Sa., 20. / So., 21. August 2016 Ausstellung Nummer 192 · 51 Wussten Sie, dass die Geschichte eines der ältesten Genussmittel wesentlich älter ist und dass es in München eine bedeutende jüdische Kulturgeschichte des Bieres gibt? Und dass das Wirtshaus für Münchner das zweite Wohnzimmer war, ganz nach dem Motto „Leben und leben lassen“? Von Christiane Gut I m Jubiläumsjahr des Reinheitsge- bots in Bayern, das in München seit 1487 gilt, gibt es zwei Bieraus- stellungen: Im Jüdischem Museum und im Münchner Stadtmuseum. Gleich vorweg: Der in der Oberpfalz beheimatete Zoiglstern und der Da- vidstern haben nur indirekt mitei- nander zu tun. Der Zoigl („Anzeiger“) ist ein Brauerstern, der sich zur glei- chen Zeit wie der Davidstern von Böhmen nach Westen verbreitet hat. Bernhard Purin, Direktor des Jüdi- schen Museums, betont, dass er bei seinen Recherchen nicht mehr über die gleichzeitige Verwendung des He- xagramms herausfinden konnte. „Der Wein dieses Landes“ Manche Bierfakten kann die Ausstel- lung schon klären: So erfährt der Be- sucher beispielsweise, dass Bier be- reits vor 5000 Jahren in Ägypten kon- sumiert wurde. Für die Israeliten leg- ten die Gelehrten im Talmud fest: Bier sei der Wein dieses Landes. Was- ser, Hopfen, Malz und Hefe, die be- kannten Bier-Ingredienzen, seien ko- scher, sie entsprechen den jüdischen rituellen Geboten. „Bier ist der Wein dieses Landes. Jüdische Brauge- schichten“ lautet folgerichtig diese Ausstellung im Jüdischen Museum. „Bier. Macht. München“ unter die- sem Motto zeigt das Münchner Stadtmuseum die Geschichte der Bierbrauerei und des Konsumierens von Münchner Bier. Der Gerstensaft spielte eine immense Rolle im gesell- schaftlichen Leben: Feste und das Kabarett, aber auch die Politik, sogar die bildenden Künste hat das Bier stark beeinflusst. Oans, zwoa, drei, gsuffa Beide Ausstellungen sind übersicht- lich auf zwei Ebenen strukturiert. Im Jüdischen Museum kann sich der Be- sucher einen unterhaltsamen Werbe- film von 1950 über das überaus be- liebte Rheingold-Bier ansehen. Her- mann Schülein, Vorstand der Löwen- bräu AG, entwickelte nach seiner Emigration 1939 in die USA das er- folgreiche Bier, das in den 40er bis 60er Jahren am meisten beworben wurde. Bernhard Purin dazu: „In manchen Jahren gaben mehr Amis ihre Stimme für die Miss Rheingold ab, als bei der Präsidentenwahl.“ Schräg gegenüber im Münchner Stadtmuseum können Sie sich schon mal aufs Oktoberfest einstimmen: Oans, zwoa, drei, gsuffa, gesellige Ok- toberfest-Songs und angeheiterte Festbesucher – in einem eigenen Raum erlebt der Besucher die einzig- artige, weltweit geschätzte Atmo- sphäre des weltweit größten Bierfes- tes. Stichwort: Hopfenhandel. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert war der Hopfenhandel – die bedeu- tendsten Hopfenanbaugebiete sind Hallertau, das Umland von Nürnberg und das westböhmische Saaz – vor- wiegend in der Hand der Juden. Mit der 1868 eingeführten Gewerbefrei- heit konnten sich jüdische Zuwande- rer auch auf die Bierkrugveredelung der bislang schlichten Steinkrüge spezialisieren. Einen großen Teil widmet die Aus- stellung im Münchner Stadtmuseum der Familie Schülein: Der aus Mittel- franken stammende Josef Schülein übernahm die Unionsbrauerei in Haidhausen. Innerhalb von 25 Jahren machte der wegen seines sozialen Engagements „König von Haidhau- sen“ genannte Schülein sie zur zweit- größten Brauerei Münchens. Nach dem Ersten Weltkrieg dann wird die neue Löwenbräu-Brauerei als Fusion von Unionsbräu mit Löwenbräu den Platz eins der bayerischen Brauerei- en behaupten. Die heute von Prinz Luitpold geleitete Schlossbrauerei Kaltenberg wurde ebenfalls von Schülein übernommen. Aber auch heute noch spielt Bier in Israel eine Rolle: Bester Beweis ist die israelische Craft-Beer-Szene. Wer mag, kann ein vom Jerusalemer Herzl Beer Workshop und der Münchner CREW Republic gebrautes Bier im Café des Museums probieren! Dass Münchner Bierkeller neben Treffpunkten der Geselligkeit auch politische Orte waren, wird im Unter- geschoss der Ausstellung im Stadt- museum thematisiert: Im Mathäser Bräu wurde am 7. November 1918 die Räterepublik ausgerufen, und die NSDAP zog Massen in die Bierhallen (die Gaudi einer Saalschlacht etwa kann der Besucher anhand von alten Filmaufnahmen miterleben). Das At- tentat von Kurt Elsner am 8. Novem- ber 1933 fand ebenfalls in einem der berühmtesten Biertempel, im Bür- gerbräukeller, statt. Grob und grantig Um 1900 ließen sich auch Literaten, Künstler, Maler und Musiker beim Genuss einer Maß inspirieren. Mün- chen stand damals unter dem Motto Kunst und Bier. Die Bedienungen waren auf der ganzen Welt bekannt, ihr Markenzeichen: grob, massig, grantig, schnell und wortgewaltig. München war die Metropole der Braukunst. Ab 1860 füllten die Braue- reien das Bier in Flaschen ab, sodass um 1900 Bier zu den wichtigsten Ex- portgütern zählte. Die Münchner Bierbrauereien zählen zu den ältes- ten Unternehmungen. Schließlich waren die Bierhallen zwischen den Weltkriegen Orte der politischen Meinungsmacher. Der meist dazuge- hörige Rausch galt übrigens bis 1968 als Kavaliersdelikt. Auch dies erfährt man in der Ausstellung. Es gibt viel zu erzählen über Mün- chen und das Bier. Vielleicht eine gu- te Gelegenheit sich noch einmal die humoristische Satire Ludwig Thomas „Ein Münchner im Himmel“ zu Ge- müte zu führen. Hopfen und Malz, Gott erhalt’s 500 Jahre Reinheitsgebot in Bayern: Zwei Ausstellungen in München mit neuen Fakten über den Gerstensaft Bierseligkeit heute wie früher: Bier und Brezn sind fester Bestandteil der Münchner Geselligkeit und Freizeit. Das Bild zeigt eine Breznverkäuferin im Hof- bräuhaus. Bild: Münchner Stadtmuseum Service ■ Ausstellung: „Bier ist der Wein dieses Landes. Jüdische Brauge- schichten“. Bis 8. Januar 2017. ■ Ort: Jüdisches Museum, St.-Ja- kobs-Platz 16. ■ Öffnungszeiten: Dienstag bis- Sonntag 10-18 Uhr. ■ Info-Telefon: 089/233-96096, [email protected] ■ Ausstellung: „Bier.Macht.Mün- chen“. Bis 8. Januar 2017. ■ Ort: Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1. ■ Öffnungszeiten: Dienstag bis- Sonntag, 10-18 Uhr. ■ Info-Telefon: 089/233-22370 [email protected]. Weitere Informationen: www.juedisches-museum-muenchen.de www.muenchner-stadtmuseum.de Hopfenhandel wurde seit Ende des 15. Jahrhunderts von Juden betrieben. Links hinten ist der historische Zoiglstern aus Eschenbach zu sehen. Bild: Jüdisches Museum München Seit 1868 profilierten sich jüdische Zuwanderung in der Bierkrugveredelung. Hier mit der offiziellen Wappenfigur, dem Münchner Kindl (links). Das legendäre Bild der Münchner Schützenlisl alias Loretta Moritz von August Kaul- bach sorgte 1878 weltweit für Furore. Um 1900 zählte Bier – seit 1860 in Flaschen abgefüllt – zu den wichtigsten Ex- portgütern weltweit. Diese Anzeige erschien um 1925. Bilder: Jüdisches Museum München/Stadtmuseum München