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Stefan Reimpell Humboldt- Universität zu Berlin Gothaer Straße 17 Philosophische Fakultät I 10823 Berlin Institut für Geschichtswissenschaften [email protected] 030/24539939 Matrikelnummer: 199333 Hauptfach: Neuere und Neueste Geschichte 1. Nebenfach: Mittelalterliche Geschichte 2. Nebenfach: Philosophie Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen 1875 und 1925 Magisterarbeit Abgabetermin: 21. Januar 2013 Erster Gutachter: Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch Zweite Gutachterin: Prof. Dr. Birgit Aschmann
312

Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen 1875 und 1925

Mar 25, 2023

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Rainer Borriss
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Page 1: Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen  1875 und 1925

Stefan Reimpell Humboldt-Universität zu BerlinGothaer Straße 17Philosophische Fakultät I10823 BerlinInstitut für [email protected]/24539939Matrikelnummer: 199333Hauptfach: Neuere und Neueste Geschichte1. Nebenfach: Mittelalterliche Geschichte2. Nebenfach: Philosophie

Heinrich Friedjung, Franz Kleinund Ludo Moritz Hartmann.Gelehrtenpolitik in Wienzwischen 1875 und 1925

MagisterarbeitAbgabetermin: 21. Januar 2013

Erster Gutachter: Prof. Dr. Rüdiger vom BruchZweite Gutachterin: Prof. Dr. Birgit Aschmann

Page 2: Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen  1875 und 1925

Inhaltsverzeichnis

Seite

A. Problem, Forschungslage, verwendete Literatur und Vorgehen

4

B. Lebenswege 13

I. Heinrich Friedjung

13

II. Franz Klein

32

III. Ludo Moritz Hartmann

45

IV. Direkte Kontakte zwischen Friedjung, Klein und Hartmann

57

1. Friedjung und Klein

58

2. Friedjung und Hartmann

59

2

Page 3: Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen  1875 und 1925

3. Klein und Hartmann

62

C. Verhältnis zur „Wiener Moderne“

62

D. Gelehrtenpolitik

68

I. Gelehrte

68

II. Politik

69

III. Politik durch Gelehrte als Gelehrte

71

E. Gelehrtenpolitik von Friedjung, Klein und Hartmann

75

I. Politik

75

1. Heinrich Friedjung

75

a. Inhalt 75

aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich

75

bb. Sozialpolitik

90

b. Mittel und Wirkung

95

2. Franz Klein 104

3

Page 4: Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen  1875 und 1925

a. Inhalt 104

aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich

104

bb. Sozialpolitik

114

b. Mittel und Wirkung

127

Seite

3. Ludo Moritz Hartmann

135

a. Inhalt 135

aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich

135

bb. Sozialpolitik

145

b. Mittel und Wirkung

147

II. Basis der Politik im wissenschaftlichen Selbstverständnis?

152

1. Heinrich Friedjung

152

2. Franz Klein 160

3. Ludo Moritz Hartmann

163

F. Drei repräsentative Wiener Gelehrte, die mehr oder weniger

4

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stark ausgeprägte Gelehrtenpolitik betrieben

170

Literaturverzeichnis

172

A. Problem, Forschungslage, verwendete Literatur und Vorgehen

„Gelehrtenpolitik“ - das heißt, allgemein ausgedrückt, von

Gelehrten als Gelehrten betriebene Politik - soll Thema dieser

Untersuchung sein.1 Denn sie bietet ein besonders interessantes1 Die hier verwandte, verhältnismäßig unspezifische Definition von„Gelehrtenpolitik“ entspricht derjenigen, die vom Bruch Wissenschaft, 20 als

5

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und problemreiches Feld für die Geschichtswissenschaft, weil

sie im Spannungsverhältnis von Wissenschaft, Politik und

öffentlicher Meinung und damit an der Schnittstelle zwischen

Wissenschafts-, Politik- und Sozialgeschichte steht und zudem

viel über das Selbstverständnis ihrer Protagonisten aussagt -

gerade auch in Abgrenzung von ihren ausschließlich

wissenschaftlich tätigen Kollegen einerseits und von

professionellen Nur-Politikern andererseits.2

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich dabei auf den

Schauplatz Wien.3 Denn in Anbetracht der zwischen 1875 und 1925

hier betriebenen Gelehrtenpolitik kommt ein weiteres,

besonderes Erkenntnisinteresse hinzu, weil zumindest die gern

als „Wiener Moderne“ bezeichnete Kernphase dieser Zeitspanne -

nämlich 1880/90 bis 1914/18 -gemäß der überwiegenden Zahl der

geschichtswissenschaftlichen Studien gerade durch einen

allgemeinen Trend zum „Rückzug“ (nicht nur von Gelehrten) aus

der Politik geprägt war.4 So ist hier das in dieser Periode in

eine vorläufige an den Beginn seiner Studie stellt, in deren Verlauf er siedann allerdings konkretisiert und damit einengt. Zur Herkunft des Begriffs -er wurde maßgeblich geprägt von Friedrich Meinecke in seinem Aufsatz über „DreiGenerationen deutscher Gelehrtenpolitik“ aus dem Jahre 1922 -: ebd., Fn. 37.2 Für vom Bruch Wissenschaft, 16, 135 ist Gelehrtenpolitik offenbar zumindesthauptsächlich Bestandteil der Wissenschaftsgeschichte. 3 Wobei zwei wesentliche hier behandelte politische Tätigkeiten - HartmannsWirken als Gesandter der Republik [Deutsch-]Österreich in Berlin und KleinsTeilnahme an der Friedensdelegation in Saint-Germain-en-Laye - zwar nicht inWien stattfanden, aber dennoch einbezogen werden sollen und können, und zwarschon allein deswegen, weil sie zum Teil von Wien aus geleitet wurden. Dassunter den Städten der Habsburger-Monarchie gerade Wien gewählt wurde, isteinerseits durch die Vorrangstellung dieser Stadt, insb. ihrer Universität,im geistigen Leben des Reiches bedingt und andererseits durch die dortbestehende beste Möglichkeit, politischen Einfluss auszuüben. 4 So vor allem Schorske Wien, 265-346. S. dazu unten, C. Das Wort „Rückzug“ist hier zumindest teilweise irreführend, weil es impliziert, dass durchdieselben Personen oder jedenfalls die Mehrheit derselben Generation zuvorbereits einmal Politik betrieben worden war - was aber nicht der Fall war.

6

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Wien dennoch nicht selten anzutreffende Phänomen der

Gelehrtenpolitik sowohl im Kontext dieser gleichzeitigen

starken Gegenströmung als auch im Vergleich mit den Jahrzehnten

vor dieser Zeit zu betrachten.5

Eine Untersuchung der Gelehrtenpolitik in Wien ist auch

deswegen angebracht, weil es bislang an Erörterungen dieses

Themas für Österreich - worunter in dieser Arbeit im Sinne der

überwiegenden zeitgenössischen Diktion für die Zeit bis zum

Ende der Habsburger-Monarchie das gesamte Cisleithanien

verstanden wird6 -, im Gegensatz etwa zum Deutschen Reich,

weitgehend mangelt.7 So konstatierte denn auch Wilhelm Filla

5 Letzteres allerdings nur in groben Zügen.6 „Österreich“ konnte allerdings auch bis zum Ende der k. u. k. Monarchiedas deutschsprachige Kernland bezeichnen, worauf sich der Begriff nachderen Zerschlagung dann exklusiv verengte. Zu den verschiedenen„Österreich“-Begriffen bis 1918 s. Lindström Empire, 14, 16.7 Soweit ersichtlich, existiert kein grundlegendes und umfassendes Werk zudiesem Thema. Lediglich gestreift werden einige Aspekte davon bei AshWissenschaft, Feichtinger Wissenschaft, Höflechner Baumeister, Preglau-HämmerleFunktion, Stimmer Eliten, Stimmer Universität sowie Weinzierl Universität. Etwaseingehender ist Kann Hochschule. Die 1947 veröffentlichte Schrift HeinrichLehrkörper betrifft immerhin die parlamentarische Tätigkeit von Dozentender Universität Wien, allerdings mit starkem Schwerpunkt auf die in dervorliegenden Arbeit eher am Rande interessierende „liberale Ära“ von 1861bis 1879, und dies zusätzlich noch unter Beschränkung auf das Herrenhaus.Das ansonsten offensichtlich einzige sachlich und teilweise auch zeitlicheinschlägige Werk ist R. Luft Professoren, das jedoch lediglich die SituationBöhmen untersucht. Auch Abhandlungen über einzelne Gelehrtenpolitiker sindrar: Zwar existieren eine Monographie über Gelehrtenpolitik bei demStaatsrechts- und Verwaltungswissenschaftler und Vorkämpfer desSozialstaatsgedankens Lorenz von Stein (1815-1890) sowie Texte über politischeTätigkeiten der Mediziner Ernst Wilhelm Brücke und Joseph Hyrtl (1819-1892 bzw.1810-1894) und des Geologen und Paläontologen Eduard Sueß (1831-1914), dochsind die ersten drei schon wegen ihrer im wesentlichen vor dem hierbetrachteten Zeitraum angesiedelten Aktivität nicht einschlägig und gehörteauch letzterer nicht derjenigen Generation an, welche der Gelehrtenpolitikab 1875 eine neue Gestalt gab. S. immerhin die kurzen Ausführungen über denBotaniker Richard Wettstein (Ritter) von Westersheim (1863-1931) als Politiker beiPetz-Grabenbauer Politiker, 380-382. Wettstein war, wie Hartmann, Mitglied desAusschusses für die Wiener volkstümlichen Universitätskurse und des WienerVolksbildungsvereins - vgl. ebd., 380 - und 1918/9, wie Klein, Mitglied der

7

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vor zwanzig Jahren und nach wie vor gültig, die Wiener Moderne

sei bislang einseitig erforscht worden, ihr sei ein bis dato

unterbeleuchteter Zug zur Demokratisierung von Wissen und

kulturellen Inhalten sowie von Lebensverhältnissen immanent

gewesen, wie er in dem Milieu der „Spätaufklärung“ zum Ausdruck

gekommen sei.8

Diese Untersuchung beschäftigt sich mit dem halben Jahrhundert,

das durch das letzte Viertel des 19. und das erste Viertel des

20. Jahrhunderts gebildet wird. Dieser zeitliche Rahmen ergibt

sich zum einen daraus, dass die - zumindest im Deutschen Reich

- von etwa 1890 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im

August 1914 erfolgte Blütezeit der Gelehrtenpolitik abgedeckt

werden soll; aus noch zu erläuternden Gründen werden jedoch

noch die fünfzehn Jahre davor und die gut elf Jahre danach

einbezogen.9

Die Facetten der Gelehrtenpolitik in der Donaumetropole

zwischen 1875 und 1925 werden hier am Beispiel dreier auf

Bürgerlich-demokratischen Partei - vgl. ebd., 381. S. allg., freilich aufdem Stand von 1999 bzw. 1988: Höflechner Auswirkungen, 149, Fn. 1: InÖsterreich fehle es noch weithin an systematischen Forschungen zurWissenschaftsgeschichte sowie R. Luft Professoren, 289: Professoren undPolitik im Österreich des 19. Jahrhunderts seien von der Forschung kaumberücksichtigt worden. 8 Filla Einleitung, 16 (mit Hinweis auf Stadler in Fn. 8). Zur „Spätaufklärung“in Österreich vgl. unten, C. Die von Rüdiger vom Bruch bedauerten und,soweit ersichtlich, immer noch bestehenden Forschungslücke auf dem Gebietder „sozialhistorischer Perspektiven in der nach wie vor umfangreichenpublizistikhistorischen Literatur“ über Gelehrtenpolitik kann im Rahmeneiner Magisterarbeit allerdings keinesfalls gefüllt werden - Zitat: vomBruch Gelehrtenpolitik, 31.9 Zur Abgrenzung des Zeitraums von 1890 bis 1914 für eine Untersuchung derGelehrtenpolitik im Deutschen Reich: vom Bruch Wissenschaft, 16-32; s. auchDöring Thesen, 148-150, 154 sowie vom Bruch Professoren, 16 f.(„Scharnierfunktion“ des Deutschen Kaiserreichs für das 20. Jahrhundert).

8

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diesem Feld besonders aktiver Wissenschaftler beleuchtet: des

Historikers Heinrich Friedjung, des Juristen Franz Klein und

des Historikers Ludo Moritz Hartmann. Warum gerade sie?

Erstens wegen ihrer jeweiligen individuellen Bedeutung in der

Wissenschaft und durch Gelehrte betriebenen Politik dieser

Zeit:

Friedjung war neben Josef Redlich einer der hervorragenden

Vertreter des späten deutschösterreichischen Liberalismus.10 Er

„gehörte jenem Kreis jüdischer Intellektueller an, die in ihrer

eigentümlichen Vermengung von deutschem Nationalismus,

liberalem Fortschrittsdenken, sozialem, ja sozialistischem

Engagement und publizistischem Einsatz für kulturelle,

künstlerische und wissenschaftliche Modernität eine geistige

Atmosphäre geschaffen haben, die als Wiener Fin de siècle den

Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert geprägt hat. In seiner

Zeit stand Friedjung weit mehr im Rampenlicht der öffentlichen

Bewunderung und der politischen Kontroversen als jene, an die

man heute denkt.“11 Viele seiner historiographischen Werke

waren zu seiner Zeit ausgesprochene Bestseller und in der

Fachwelt anerkannt.12

10 So Mommsen Sozialdemokratie, 19.11 F. Fellner Friedjung, 635. Vgl. auch Lindström Empire, 87, Endn. 32; RitterHistorians, 48; ferner Thaler North, 281 sowie Ritter Liberalism, 238.12 Vgl. z. B. von Srbik Friedjung, 540. Zu Friedjungs Einfluss als Historiker:Ritter Historians, 46 (vermutlich der bekannteste der österreichischenHistoriker des 19. Jahrhunderts), 46 f. (Friedjungs Schrift „Der Kampf umdie Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866” werde heute [1983] noch alseine autoritative Analyse von Preußens Sieg über die Habsburger-Monarchieim Jahr 1866 betrachtet - mit Verweis auf Gordon A. Craig ebd., 47, Fn. 8);Bogner Auseinandersetzungen, 231, 233; auch Redlich Nekrolog, 228 („Ich kannmich erinnern, wie beim deutschen Historikertag in Straßburg im Jahre 1909beim Namensaufruf Friedjung mit allgemeinem lauten Beifall begrüßtwurde.“).

9

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Klein, „eine der schillerndsten Persönlichkeiten der

ausgehenden Monarchie“, schuf u. a. den Höhepunkt in der

österreichischen Legislative dieser Periode, nämlich die durch

sozialpolitisches Denken geprägten sog. Justizgesetze.13 Unter

ihnen ragt wiederum das heute noch weitgehend gültige

österreichische Zivilprozessgesetz hervor, die „einflußreichste

moderne Zivilprozeßkodifikation überhaupt“, welche das Recht in

zahlreichen Ländern stark beeinflusste.14 In dem gleichen

sozialpolitischen Sinne war er zudem als Justizminister sowie

als Schriftsteller außerordentlich aktiv. Und er gehörte zu den

überragenden Rechtswissenschaftlern der Zeit.15

Hartmann schließlich war als einer der ganz wenigen

Universitätsdozenten bereits frühzeitig Mitglied der13 Vgl. Mayr Forschungsarbeiten, 108 f.; vgl. auch Böhm Grundlagen, 191.14 Zitat Erik Wolf bei Böhm Klein, 240; weitgehende Gültigkeit noch heute:Mayr Forschungsarbeiten, 109. Zur internationalen Rezeption vgl. van RheeLitigation, 313-319, insb. 313 (in Deutschland), 314 (in denNachfolgestaaten Österreich-Ungarns, in Skandinavien, Griechenland,Liechtenstein, im Kanton Zürich, z. T. auch in Italien [hier Rezeption nurdurch das Schrifttum, nicht in Gesetzesform], über dieses möglicherweiseauf der Iberischen Halbinsel, womöglich sogar in Frankreich [in Form des„juge de la mise en état“), 314-316 (in den Niederlanden), s. auch 316-318(England); Rechberger Ideen, 101-110, insb. 104-106 (in Deutschland), 106 f.(in Italien), 107 f. (in Griechenland), 108 (in Skandinavien), 108-110 (inden osteuropäischen Staaten). Zur Rezeption in Japan vgl. E. Ludwig Marsch,215-226; s. ferner Böhm Klein, 240 (zum Teil auch in Lateinamerika); SprungKlein, 9, Fn. 3 (von S. 8) (Zivilprozessordnung der Republik Litauen vom28. 2. 2002). Interessant auch die sehr positive Einschätzung desZivilprozessgesetzes Kleins, „eines genialen Mannes“, und seineradministrativen Leistungen bei deren praktischer Umsetzung durch Karl Krausin „Die Fackel“ Nr. 21 (1899) (13, 15) - vgl. Sprung Klein, 17.15 Vgl. Böhm Klein, 241: Für Erik Wolf sei er „der bedeutendsteösterreichische Jurist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ gewesen.Schey Nekrolog, 183: Die österreichische Juristengemeinde habe ihn nach derZivilprozessreform neben Josef Unger als ihren „Meister“ anerkannt und nachdessen Tod als ihren ersten Meister. Zu „Österreichs Beitrag zurRechtskultur“ allgemein: Brauneder Beitrag, 405-446, insb. 424-431 (Zentrummitteleuropäischer Rechtskultur), 441-443 (Umfassende Juristenausbildung).

10

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österreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei geworden

und innerhalb dieser der entschiedenste Anhänger einer

vornehmlich nationalen Ausrichtung der Politik sowie während

des Weltkrieges der einzige österreichische Historiker

überhaupt, der in einer politischen Partei direkt mitwirkte.16

Zudem prägte seine geschichtswissenschaftlichen Werke ein für

seine Zeit außerordentlich innovativer Ansatz. Auch wenn er

damit zwar eine sehr interessante Figur darstellt, aber kein

typischer Politiker und Gelehrter seiner Zeit war, entsprachen

sein Verhalten und Denken, um mit Günter Fellner zu sprechen,

„einer abgrenzbaren, wenn auch nicht in allen Punkten

uniformen, beruflich-soziologischen und politisch-

weltanschaulichen ‚Lebensform’“ und gehörte er zu jenem Lager,

das „sich in besonderer Weise spätaufklärerischen, liberalen,

demokratischen, sozialreformerischen und sozialistischen

Prinzipien verpflichtet fühlte.“17

Zweitens, weil sie Politik mit den unterschiedlichsten Mitteln

betrieben und insofern eine große Brandbreite abdecken: Auch

Friedjung und Klein gehörten, wenn auch nur verhältnismäßig

kurz, einer politischen Partei an, wobei Friedjung durch die

vornehmlich von ihm entworfenen Programme zumindest

vorübergehend einen entscheidenden Einfluss auf die Politik

16 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 159 bzw. DachsGeschichtswissenschaft, 16. Zur „bemerkenswerte[n] Scheu“ der Gelehrten imDeutschen Reich dieser Zeit „vor parteipolitischer Einbindung“ vgl. vomBruch Gelehrtenpolitik, 33; ähnlich für Böhmen: R. Luft Professoren, 304, 306.Zur besonders untypischen Hinwendung von Gustav Radbruch zurSozialdemokratie im Deutschen Reich vgl. vom Bruch Wissenschaft, 289. Füreine „direkte Zusammenarbeit“ [welcher Art?] von Wissenschaftlern undsozialdemokratischen Führern im Österreich dieser Zeit gibt es gemäßWeidenholzer Betrachtungen, 186 jedoch viele Beispiele. 17 Vgl. G. Fellner Hartmann, 124.

11

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jenseits des „Altliberalismus“ gewann. Zudem hatten alle drei

zu verschiedenen Zeiten Mandate in gesetzlichen

Vertretungskörpern inne, waren Mitglieder, Redner und

Funktionäre in zahlreichen politischen Vereinen und

publizistisch sowohl auf wissenschaftlichem als auch auf

politischem Gebiet in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern

außerordentlich produktiv, Friedjung gar als Eigner und

Chefredakteur von Zeitungen.18 Letzterer betrieb außerdem noch

„gouvernementale“ Gelehrtenpolitik, indem er versuchte,

Minister bei informellen Kontakten zu beeinflussen, während

Klein zeitweilig selbst Minister und Mitglied der

Friedensdelegation in Saint-Germain-en-Laye war.

Drittens, weil sie alle - trotz ihrer Unterschiede - zumindest

für viele Felder der Politik von österreichischen Gelehrten

dieser Zeit repräsentativ waren.

So urteilt Harry Ritter über Friedjung: “To the end of his life

Friedjung looked at the world with a curious combination of

liberal assumptions and anti-liberal belligerence, and it is

this tension which makes him an especially fascinating study

for one who would understand the history of central European

liberalism.” sowie “But, for all his prickly individuality,

Friedjung was a truly representative figure; it would, indeed,

be difficult to find an individual whose life more perfectly

18 Vgl. auch Hübinger Gelehrte, 231: Den „Gelehrten-Intellektuellen“ zeichnedas charakteristische Dreieck aus wissenschaftlicher, publizistischer undpolitischer Aktivität aus. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 42 weist darauf hin,dass politische Zeitschriften und fachwissenschaftliche Periodika imDeutschen Reich um 1900 insbesondere in der Beamtenschaft intensiv rezipiertworden seien.

12

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embodies such a wide range of the tensions and dilemmas of late

nineteenth-century Austria.” 19

Und Fritz Fellner hält Klein für „repräsentativ für die

großdeutsch orientierte, aus der Monarchie in die Republik

übernommene Bürokratie: ein sich überparteilich fühlender

Gelehrter und Beamter, der sich mit den Veränderungen, die sich

[nach der Niederlage der Donaumonarchie im Ersten Weltkrieg]

vollzogen haben, auch wenn er sie äußerlich und formal

akzeptiert, nicht abfinden kann...“.20

Wilhelm Filla schließlich schreibt über Hartmann: „Zur Wiener

Moderne gehörte auch eine nicht idealistische Sicht und Analyse

von Entwicklungen und Verhältnissen. Hier verkörperte Hartmann

bei aller individuellen Besonderheit und Einzigartigkeit einen

sozialen Typ, mit dem auseinanderzusetzen sich in Zukunft

lohnen wird: Sozialreformer mit bürgerlichem Hintergrund;

Intellektueller mit dem in Praxis umgesetzten Anspruch, Wissen

für möglichst viele Menschen verfügbar und anwendbar zu machen;

Wissenschaftler mit vielfältigsten organisierenden ...

Tätigkeiten; Spezialist mit breit gestreuten wissenschaftlichen

Aktivitäten. Aufgrund der Vielfalt seiner Tätigkeit war

Hartmann in ein breites intellektuelles und sozial-kulturelles

Netz von Persönlichkeiten und Aktivitätsbereichen involviert,

das sowohl Grundlage als auch Ausdruck der Wiener Moderne um

die Jahrhundertwende und in den zwanziger Jahren war.“21

Und sie widmeten sich denjenigen beiden Wissenschaftszweigen,

aus denen in Österreich bis mindestens 1914 offenbar die große

19 Ritter Historians, 49 bzw. 52.20 F. Fellner Klein, 189. Zur gebotenen Einschränkung dieser Aussage s. unten,bei Fn. 670 f.. Der in dieser Untersuchung gelegentlich zitierte Begriff„großdeutsch“ ist für die Zeit nach 1871 mehrdeutig. 21 Filla Einleitung, 16.

13

Page 14: Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen  1875 und 1925

Mehrheit der Gelehrtenpolitiker stammte: der

Geschichtswissenschaft und, cum grano salis, der

Staatswissenschaft.22

Viertens deshalb, weil ihre jeweilige Politik trotz der vielen

Übereinstimmungen und damit der guten Vergleichbarkeit der drei

Personen untereinander - so gehörten sie alle einer Generation

an, lebten von frühester Kindheit an mit recht wenigen und

verhältnismäßig kurzen Unterbrechungen bis zu ihrem Tod in

Wien, stammten auch aus mehr oder weniger demselben Milieu und

waren alle Geisteswissenschaftler - auch signifikante

Abweichungen aufwies, die als drei prinzipielle Ausformungen

der Politik von Gelehrten im Wien dieser Zeit gelten können,

und das möglicherweise gefördert durch einige unterschiedliche

Voraussetzungen - so den wissenschaftlichen Betätigungen als

Historiker (Friedjung und Hartmann) bzw. als Jurist (Klein)

inklusive ihrer verschiedenen beruflich-amtlichen Stellungen

sowie ihrer unterschiedlichen Religionszugehörigkeit bzw.

„religiösen Abstammung“.23

22 Mehrheit: Vgl. Weinzierl Universität, 17 (zumindest implizit). Zu den WienerProfessoren der Volkswirtschaftlehre und Finanzwissenschaft, vor allem denVertretern der „Wiener Schule der Nationalökonomie“, in der Politik vgl. R.Luft Professoren, 298 f. 23 Hinzu kommt im Falle von Friedjung und Hartmann, dass derGeschichtswissenschaft zumindest im Deutschen Reich um 1900 neben derNationalökonomie als „Leitdisziplin“ überragende Bedeutung zukam - vgl. vomBruch Gelehrtenpolitik, 29, 39 f.. Zudem hatten Hartmann und Klein vielfältigewissenschaftliche Beziehungen gerade zu der soeben erwähnten zweiten„Leitdisziplin“, der Nationalökonomie - zu Hartmann s. unten, B. III.; zuKlein s. Streissler, Denken, 67-74. Allerdings hatte die Jurisprudenzzumindest im Deutschen Reich ihre führende Stellung in der öffentlichenDiskussion zu dieser Zeit gerade auf Grund des dort dominierenden - und vonKlein nur bedingt geteilten - Rechtspositivismus verloren - s. vom BruchGelehrtenpolitik, 39.

14

Page 15: Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen  1875 und 1925

Und, schließlich, fünftens, weil auf Grund ihrer außerordentlich

hohen Publikationsrate sowohl auf politischem als auch auf

wissenschaftlichem Gebiet ihr „gelehrtenpolitisches“ Denken

besonders umfangreich dokumentiert ist - und dies zudem, ohne

dass einer von ihnen die anderen in dieser Hinsicht deutlich

überragt hätte.

Teilweise aus der Auswahl dieser drei Personen ergibt sich auch

die bereits erwähnte Ausdehnung des Untersuchungszeitraums vor

das Jahr 1890 und über das Jahr 1914 hinaus: Denn einerseits

hatte die politische Tätigkeit Friedjungs bereits um 1875, also

noch zur Zeit der in Österreich bis 1879 regierenden liberalen

Kabinette, begonnen, und andererseits waren alle drei

Wissenschaftler während des Ersten Weltkrieges politisch aktiv

und Klein sowie Hartmann auch danach noch bis etwa 1925,

Hartmann vor allem als Gesandter der Republik

[Deutsch-]Österreich in Berlin von Ende 1918 bis Ende 1920 und

Klein insbesondere als Mitglied der Friedensdelegation in

Saint-Germain-en-Laye Mitte 1919 - und gerade diese

Betätigungen sind besonders interessant. Ferner wird damit die

als Kernzeit der kulturellen Moderne in Europa geltende Periode

zwischen 1880 und 1930, in welcher auch der Erfolg der Politik

durch Intellektuelle besonders groß gewesen sein soll, im

Wesentlichen abgedeckt.24

24 Kernzeit: Hübinger Gelehrte, 14 f., auch zur hierin anzusiedelnden„kleine[n] Achsenzeit“ einer völligen Umgruppierung des wissenschaftlichenWissens an den europäischen Universitäten und einer neuen Selbstreflexionüber das Verhältnis von Wissenschaft und Leben. - Erfolgsperiode derIntellektuellen ebenfalls zwischen 1880 und 1930: Hübinger Gelehrte, 16 f.

15

Page 16: Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen  1875 und 1925

Da alle drei Protagonisten dieser Arbeit auf einem sehr weiten

Spektrum nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch politischer

Bereiche aktiv waren und darüber hinaus, wie erwähnt, eine

große Anzahl von Abhandlungen, Vorträgen usw. verfasst haben,

muss sich die Untersuchung auf die allen drei gemeinsamen und

zugleich für ihre Generation typischen zwei Kernbereiche ihrer

gelehrtenpolitischen Tätigkeit konzentrieren: einerseits auf

ihr Engagement für die nationalen Belange der Deutschen in

Österreich - inklusive ihrer Einstellung zum Judentum bzw. zum

Antisemitismus - und für ein enges Bündnis mit dem Deutschen

Reich in mehr oder weniger weit gehender Abgrenzung zum

monarchischen Vielvölkerstaat, in dem sie die längste Zeit

ihres Lebens verbrachten, sowie andererseits auf ihre

Sozialpolitik - wobei diese Gebiete, wenn auch nicht

gleichgewichtig, ausschlaggebend für die „Identitäten“ der drei

Männer waren.25

So werden zum Beispiel ihre freiheitliche, insbesondere ihre

antiklerikale Politik, ihr Einstehen für einen zentralistischen

Staat sowie die von Hartmann betriebene Politik im

Standesinteresse von Gelehrten und seine herausragende Rolle

beim Aufbau der europaweit vorbildlich gewordenen

25 Zur Gelehrtenpolitik und der „sozialen Frage“ im Deutschen Reich ab 1890vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 30: „Auf keinem anderen Sektor war gelehrteSinnaufweisung (Deutungskultur) so eng und nachhaltig - über dasKaiserreich hinaus - an die sozio-kulturellen Grundlagen dergesellschaftlichen Gliederung geknüpft, vermochte sie[,] über die begrenztebildungsbürgerliche Milieueinbindung hinaus zu gelangen.“ ZuGelehrtenpolitik und Sozialreform im Wilhelminischen Reich vgl. ebd., 41-44; zur Sozialpolitik als einem Teilbereich dortiger gouvernementalerGelehrtenpolitik ebd., 336-338; zu Hans Delbrück als Sozialpolitiker ebd.,347-353.

16

Page 17: Heinrich Friedjung, Franz Klein und Ludo Moritz Hartmann. Gelehrtenpolitik in Wien zwischen  1875 und 1925

österreichischen Volksbildung nur gestreift.26 Ersteres deshalb,

weil Bekenntnisse zu Freiheit, Laizismus und Zentralismus

bereits in der vorangegangenen politisch aktiven bürgerlichen

Generation herrschend gewesen war und dies auch weit gehend

blieb; letzteres deshalb, weil es sich hierbei eher um

Randgebiete von Gelehrtenpolitik handelt.27 Eine einzige Lücke

jedoch ist schmerzlich: Auf Grund des relativ engen Zeit- und

Umfangsrahmens einer Magisterarbeit kann hier die sehr

aufschlussreiche Politik der drei Gelehrten für Imperialismus

oder Antiimperialismus, insbesondere während des Ersten

Weltkriegs, nur angedeutet werden.28 26 In Bezug auf Hartmanns volksbildnerische Tätigkeit und seinen Einsatz fürdie Autonomie der Hochschulen rechtfertigt sich dies auch dadurch, dass erfür beide Bereiche strikte politische Neutralität forderte. Zudem istersteres Feld bereits recht gut erforscht. Zur Notwendigkeit derFokussierung auf einige Bereiche im Bezug auf das umfangreiche undmannigfaltige Wirken Kleins vgl. Mayr Forschungsarbeiten, 110.27 Zur Situation im Deutschen Reich vgl. Döring Thesen, 157: Die„Gelehrtenpolitik“ sei nach ca. 1880 zur Teilkultur des liberal-antiklerikalen Bereichs von Kulturwissenschaftlern geschrumpft (These). Zumfreiheitlichen Denken Friedjungs vgl. nur Ausgleich, 102; Presse, 2; fernerLitz Grundbegriffe, 31-34 (Liberalismus). Zum freiheitlichen Denken Kleinsvgl. nur Klein in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 3 sowie 35 (fürRedefreiheit auf Parteiversammlungen); Kriegsnot, 797-802; Ziele, 39 f. Zumfreiheitlichen Denken Hartmanns vgl. nur vom Bruch Rezension, 121(„Sozialdemokrat, mit stark linksliberaler Färbung“); G. Fellner Hartmann,105. Zum Antiklerikalismus Friedjungs vgl. nur Ausgleich, 1, 13, 25, 33,80. Zum Antiklerikalismus Kleins vgl. nur Klein Saint Germain, 147 (Briefan Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919); Sprung Lebensweg, 55, Fn. 195(Salzburger Wacht vom 6. 4. 1926). Zum Antiklerikalismus Hartmanns vgl. nurKlerikalismus, 398-400; G. Fellner Hartmann, 108 f. Zur Lage in Österreich um1900 vgl. Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 43 (Der Druck der katholischen Kircheauf die Intelligenz sei enorm gewesen). Zum Zentralismus Friedjungs vgl.nur Ausgleich, 12; Litz Grundbegriffe, 39-42 (s. allerdings auch ebd., 18).Zum Zentralismus Kleins vgl. nur Staat, 922-928. Zum Zentralismus Hartmannsvgl. nur Ramhardter Geschichtswissenschaft, 166, unter Hinweis auf Hartmanns„Über den Beruf unserer Zeit“, 17 (Auf lange Sicht habe Hartmann fürVerstaatlichung der Industrie und Planwirtschaft plädiert.). 28 Immerhin mag dies auch sachlich gerechtfertigt sein im Sinne derFeststellung vom Bruchs Wissenschaft, 135: „In dem Maße aber, in dem dieGesellschaft selbst sich politisierte, unter Einschluß der akademischgebildeten und im engeren Sinne der Hochschulkreise, in dem zugleich dermoderne, arbeitsteilig bedingte Differenzierungsprozeß auch von den

17

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Die im engeren Sinne politischen Publikationen von Friedjung,

Klein und Hartmann jeder Art, Monographien, Broschüren,

gedruckte Reden, Artikel in Sammelbänden, Zeitschriften und

Zeitungen usw., werden hier beinahe umfassend herangezogen -

ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen hingegen nur

insofern, als sie eine in ihrer Zeit politisch relevante

Aussage enthalten oder ihr Selbstverständnis als

Wissenschaftler bzw. ihre Sicht der von ihnen betriebenen

Wissenschaft und ihre Verbindung mit der Politik offenbaren.29

Hochschulen nicht Halt machte, wurden politische Optionen undFührungsqualitäten nicht mehr an ständischen, sondern an konkretenpolitischen Kriterien gemessen. Insofern rechtfertigt sich dieEntscheidung, das Thema ‚Wissenschaft und Kriegsmoral’ als Beitrag zurGeschichte der öffentlichen Meinung und nicht als einen Beitrag zurWissenschaftsgeschichte zu behandeln. Gleichwohl ist die hierhin führendeEntwicklung auch im Rahmen der Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte zusehen.“ Zu Friedjungs imperialistischer Einstellung vgl. z. B.Colonialpolitik, 1-3, wo er die reichsdeutsche Kolonialpolitik begrüßt; zuseiner entsprechenden Agitation während des Ersten Weltkriegs vgl.Ramhardter Geschichtswissenschaft, 73-98; Zailer Friedjung, 112-125. Zuähnlichen Fällen im späten Habsburger-Reich s. Lindström Empire, 271. ÜberFriedjungs Militarismus vgl. Zeitalter, 14; Litz Grundbegriffe, 38 f.; s.auch Denkschrift, 22 f. Zu Hartmanns lebenslang eingehaltener strikterAblehnung des Imperialismus vgl. z. B. Christentum [Dezember 1915], 29;über seinen grundsätzlichen Pazifismus: Krieg, 6. Über Gelehrtenpolitikerim Deutschen Reich und Imperialismus: vom Bruch Wissenschaft, 328 f.; auchProfessoren, 23. Über die reichsdeutschen „Mandarine“ im Ersten Weltkriegvgl. Ringer Gelehrten, 169-185. Fraglich Rumpler Elemente, 91 (Österreich-Ungarn habe um 1900 auf Machtpolitik im Stile des imperialistischenZeitgeistes verzichtet.). 29 Im Bereich der im engeren Sinne politischen Abhandlungen konnte derVerfasser neben einigen Tageszeitungen lediglich Hartmanns „Über den Berufunserer Zeit. Optimistische Betrachtungen“ (Der Aufstieg. Neue Zeit- undStreitschriften, Bd. 2), Wien o. J. [1917] nicht beschaffen; dieentsprechenden Zeitungsartikel sowie dieses Buch müssen daher aus derSekundärliteratur zitiert werden. Was die wissenschaftlichen Werkebetrifft, werden hier vor allem zwei Arten von Quellen genutzt:wissenschaftsprogrammatische Texte (Hartmanns und Kleins) und Vorwortesowie Einleitungen zu historischen Einzeluntersuchen (von Friedjung undHartmann). Zum Nachlass Friedjungs im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wienund in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek s. Bachmann Friedjung, 201; F.Fellner Friedjung, 636 f.; s. auch Österreichische Nationalbibliothek Handbuch, Bd. 1,374, Nr. 2873: „N: ...; Bibliothèque des Nations Unies, Genf“; zum Nachlass

18

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Dabei werden die - längst edierten - Briefe Kleins aus Saint-

Germain, welchen auch über Kleins Person hinaus ein hoher

Quellenwert zukommt, hier, soweit ersichtlich, erstmals

umfassend ausgewertet.30

Die Darstellungen über diese drei Gelehrtenpolitiker sind

ebenfalls umfassend verarbeitet, und zwar - wie fast alle

anderen herangezogenen Werke auch - mit Stand von Anfang

September 2012.31 Insofern ergibt sich rein quantitativ

betrachtet ein Ungleichgewicht, da es über Friedjung und Klein

deutlich mehr Sekundärliteratur gibt als - sieht man von dessen

volksbildnerischer und geschichtswissenschaftlicher Tätigkeit

ab - über Hartmann; dieser Mangel wird jedoch teilweise

wettgemacht durch die eingehenden und aus Archivquellen

gespeisten Ausführungen über Hartmanns auch

außerwissenschaftliches Wirken in Günter Fellners

Dissertation.32 Von dem Schrifttum über das Phänomen

„Gelehrtenpolitik“ und verwandte Gebiete im Allgemeinen und

insbesondere von der umfangreichen Literatur über Wissenschaft,

Universität, Politik und öffentliche Meinung in Wien und

Österreich sowie die dortige wirtschaftliche, soziale und

Kleins: F. Fellner/Maschl Einleitung, 10 (Trotz intensiver Nachforschungen seidie Feststellung seines Verbleibs unmöglich.); zum Nachlass Hartmanns imHaus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien: Mommsen Sozialdemokratie, 13 (Dieserenthalte nur Material aus der Zeit nach 1918.); vgl. auch G. Fellner Hartmann,105: Aufgrund der spärlichen autobiographischen Aussagen und Zeugnisseseines Privatlebens sei ein interpretatorisches „Ausschlachten“ vonNotizen, Tagebüchern und Briefen von vornherein [?] unmöglich. 30 Zum hohen Quellenwert dieser Briefe vgl. F. Fellner/Maschl Quellenwert, 15 f.31 Lediglich die Literatur über die „Wiener Moderne“ (vgl. C.) wurde hiernur bis Februar 2010 berücksichtigt.32 Zur guten Qualität der derjenigen Stellen in Fellners Werk, die sich aufdie Würdigung Hartmanns beziehen, vgl. vom Bruch Rezension, 122.

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kulturelle Situation zwischen 1875 und 1925 werden hingegen nur

ausgewählte Werke herangezogen.

Bedauerlicherweise musste wegen des damit verbundenen,

innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu

bewältigenden Aufwandes auf den - an sich angebrachten -

Vergleich zu anderen wissenschaftlichen und politischen Zentren

Europas verzichtet werden. Lediglich die Situation im Deutschen

Reich - mit welchem Wiener Wissenschaft und Gelehrtenpolitik in

mancherlei Austausch standen - wird gelegentlich

berücksichtigt.33

33 Zur Beziehung der Wissenschaft in Österreich zu derjenigen im DeutschenReich bzw. seinen Vorgängerstaaten: Höflechner Auswirkungen, 149, Fn. 1: „EinProblem ist weiters, daß die Entwicklung der Wissenschaft in Österreichsowie der österreichischen Wissenschaftler so eng verflochten ist mit derEntwicklung in den deutschen Ländern beziehungsweise an den deutschenUniversitäten, daß jede gründlichere Untersuchung eines besonderenAufwandes wissenschaftsgeschichtlicher Kausalanalyse und Komparatistikbedarf.“; vgl. auch ebd., 182, Fn. 79; Cometti conception, 184, Fn. 3: Dergrößte Teil der österreichischen Wissenschaftler sei in das Deutsche Reichabgewandert; auch Zöllner Jahre, 66. S. ferner vom Bruch Wissenschaft, 92, Fn.132 über die civitas academica, d. h. die traditionelle rechtlich-korporativeStellung, und die aura academica, also das noch weitgehend ungebrocheneGemeinschaftsbewusstsein: Beide Begriffe dürften „verbindende Repräsentanz“für den deutschsprachigen mitteleuropäischen Raum beanspruchen, mitdeutlichem Schwerpunkt auf Deutsch-Österreich. Von den Zeitgenossen seiensolche Gemeinsamkeiten wiederholt betont worden. Zur Möglichkeit undErforderlichkeit eines europaweiten Vergleichs im Falle der Geschichte derIntellektuellen des 19. Jahrhunderts: Charle Vordenker, 9-12, insb. 11, 18-21. Zum Verhältnis Wien-Berlin um 1900 und seiner zeitgenössischenWahrnehmung in Literatur, Theater und Publizistik: Noth Stereotypen, 220-227 (Berlin als „amerikanische“ Metropole), 227-230 (Wien und die „Kunstder Millionärssöhne“), 230-235 (Berlin: Kampf, Nüchternheit und Arbeit),235-239 (Wien: Anmut, Spiel und Pose), 239-243 (Die Antinomien „schwer -leicht“, „männlich - weiblich“ und „gesund - krank“; zur angeblichen„Weiblichkeit“ der Österreicher im Zusammenhang mit dem Recht vgl. Bolla-KotekProzess, 416-419); Sprengel/Streim Einleitung, 24-26 (Städte-Images undnationale Konkurrenz), 34-41 (Zur Entwicklung der Austauschbeziehungen). Zuden internationalen Verflechtungen der „Wiener Moderne“: Nautz/VahrenkampEinleitung, 32-37.

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Im Folgenden werden zunächst (B.) die Lebensstationen von

Friedjung, Klein und Hartmann dargestellt, was zum Verständnis

der weiteren Abschnitte dieser Arbeit unerlässlich ist.34 Sodann

(C.) folgt zur Einbettung in den zeitgenössischen Kontext eine

Erörterung dessen, was üblicherweise mit dem Etikett „Wiener

Moderne“ versehen wird. Darauf (D.) wird das Phänomen der

Gelehrtenpolitik genauer skizziert. Im Hauptteil (E.) wird die

Politik der drei Gelehrten einer eingehenden Untersuchung

unterzogen, und zwar zunächst deren Praxis, eingebettet in den

Kontext der politischen, z. T. auch der sozialen und

ökonomischen Entwicklungen in Wien, (E. I.) und sodann deren

mögliche Basis in ihrem wissenschaftlichen Selbstverständnis

(E. II.). Am Ende (F.) findet sich das Ergebnis.

B. Lebenswege

I. Heinrich Friedjung

Heinrich Friedjung wurde am 18. Januar 1851 in der kleinen

mährischen Ortschaft Rostschin/Roschtin/Roštín südwestlich

Kremsier als Kind einer mäßig begüterten deutsch-jüdischen

Kaufmannsfamilie, des Bernhard Friedjung und der Katharina geb.

Hertzka, geboren.35 Seine Eltern zogen, als Friedjung sechs

Jahre alt war, Drängen der „gescheiten tatkräftigen Mutter“ mit

ihren Kindern nach Wien, um ihnen eine gute Schulbildung zu34 Wobei ihr politisches Engagement und ihre wissenschaftlichen Auffassungennur gestreift werden, da diese unter E. detailliert zu erörtern seinwerden.35 Zur Geburt vgl. Bettelheim Friedjung, 33 (Rostschin); Kann Artikel, 451(Roschtin); Redlich Nekrolog, 225 (Roštin). S. auch Adlgasser/FriedrichEinleitung, 8, Fn. 11: in seinem eigenhändigen Lebenslauf (Wiener Stadt-und Landesbibliothek, Inventarnummer 156.770) „Rostschin“. Zur Familie:Bachmann Friedjung, 202; F. Fellner Friedjung 637; Kann Artikel, 451; RedlichNekrolog, 225; von Srbik Friedjung, 535 f. Zur Einschätzung der Mutter:Bettelheim ebd.; s. auch von Srbik Friedjung, 535: Die Mutter sei wohl der„geistig reichere“ Teil der Eltern gewesen.

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bieten.36 Damit lag Friedjung im Trend: 1870 waren 50%, 1890

65,5% der Wiener nicht in Wien geboren worden.37 Er blieb

lebenslang Junggeselle und lebte bis zu deren Tod 1908 mit

seiner Mutter zusammen.38

Nach der Volksschule besuchte er das Akademische Gymnasium, wo

er als „Vorzugsschüler ein besonderer Liebling des

Geschichtsprofessors“ Heinrich Ficker gewesen sein soll. In der

siebten Klasse soll ein Zusammenstoß mit dem Philosophie-

Professor „bei dem peinlichen, in Rechtsfragen unnachgiebigen

Ehrgefühl Friedjungs“ zu seinem Wechsel an das

Schottengymnasium geführt haben, wo er Unterricht von

bedeutenden Lehrern erhielt und unter anderen die späteren

bedeutenden Nationalökonomen Friedrich von Wieser und Eugen

Böhm von Bawerk (bzw. von Böhm-Bawerk) seine Kameraden

wurden.39 Zudem traf er dort auf den künftigen

sozialdemokratischen Führer Viktor Adler, mit dem er über die

Schul- und Studienzeit hinaus freundschaftlich verbunden blieb,

und knüpfte enge Verbindungen mit weiteren (später)

hervorragenden Persönlichkeiten, auch mit Georg von

Schönerer.40 „Daß er Historiker werden würde, stand ihm von36 Vgl. Bettelheim Friedjung, 33; von Srbik Friedjung, 536. 37 Vgl. Sagarra Vienna, 191.38 Vgl. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10. Danach wohnte seine - uneheliche -Tochter Paula bei ihm - vgl. Zailer Friedjung, 127. S. auch Kann Artikel, 451:„T Dr. Paula F.-Reinkraut“.39 Vgl. Bettelheim Friedjung, 33.40 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 101. S. ferner Engel-Janosi Rezension, 570:“Mahler’s, Adler’s, and Pernerstorfer’s widespread circle of friendsgrowing of the intellectual ‘cell’ in the Schotten Gymnasium. Includedwithin this group were ... Siegfried Lipiner ...; Heinrich Friedjung;Richard Kralik; Georg Schönerer; Hermann Bahr; Hugo Wolf; ...MaxGruber; ...Max Menger...; and... Friedrich Eckstein.“. Zum Beginn derFreundschaft zwischen Friedjung und Schönerer: Dechel Programm, Teil 1, 227-229; Moser Emanzipation, 81 f.

22

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Anfang an fest.“ Das Abitur bestand er schließlich mit

Auszeichnung.41

Fritz Fellner bemerkt zu Friedjungs Herkunft und frühem

Lebensweg in der Tendenz zutreffend, wenn auch übertreibend,

„fast stereotyp“ scheine „dieser Dreiklang: deutsch-jüdische

Abstammung, mährischer Geburtsort, frühzeitige Übersiedlung

nach Wien in den Lebensläufen der meisten jener

Persönlichkeiten auf, die das Wiener Fin de Siècle geprägt

haben, und fast ebenso selbstverständlich zählt der Besuch

eines der beiden führenden Wiener Gymnasien, des Akademischen

und des Schottengymnasiums[,] zu den Bildungswegen dieser

Männer.“42 In der Tat waren die österreichischen Juden nach

ihrer rechtlichen Emanzipation fast überall außer in Galizien

in die deutsche Kulturgemeinschaft eingetreten und wurden

außerhalb rassistischer Kreise auch mehr oder weniger als

Deutsche betrachtet.43 Und sie stellten um 1900 auch ca. ein

Drittel aller Gymnasiasten Wiens.44

Als Fünfzehnjähriger hatte ihn die Niederlage von Königgrätz

1866 erschüttert; trotzdem oder gerade deswegen blieben in ihm

„die Traditionen des endenden Deutschen Bundes“ stets

lebendig.45 Sein Studium begann Friedjung an der Universität

Prag, wo er zwei Semester blieb und sich hauptsächlich mit

41 Zu allem vgl. Bettelheim [Freund von Friedjung] Friedjung, 33; s. ferner vonSrbik Friedjung, 536.42 F. Fellner Friedjung 637.43 Vgl. Whiteside Germans, 163.44 Vgl. Beller Vienna, 177.45 Vgl. von Srbik Friedjung, 539; zur tiefen Erschütterung durch die Schlachtvon Königgrätz s. auch Friedjung Ausgleich, 11 f.; Lindström Empire, 13 f.

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Philosophie befasste.46 Bereits hier war er politisch

leidenschaftlich engagiert; so sprach er auf einem Kommers der

Burschenschaft „Germania“ über die „deutschböhmische Frage“. 47

Ab dem dritten Semester studierte er dann vornehmlich

Geschichtswissenschaften in Wien, wo er an der Universität

unter anderen Vorlesungen von Theodor von Sickel und Ottokar

Lorenz und philosophische von Theodor Gomperz besuchte und dem

Institut für österreichische Geschichtsforschung als

außerordentliches Mitglied angehörte.48 Obwohl er dort offenbar

ordentliches Mitglied hätte werden können, setzte er 1872 bis

1873 sein Studium in Berlin fort, wo er Vorlesungen bei Ranke,

Mommsen und Müllenhoff belegte.49 Sein Seminarleiter Nitzsch

46 Vgl. Bettelheim Friedjung, 33 (Insb. studierte er die Werke von Spinoza,Kant und Fichte.); von Srbik, 536. Friedjungs Studienbuch befinde sich inseinem Nachlass im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien - s.Adlgasser/Friedrich, Einleitung, 7, Fn. 3. Zur Geschichte der Universitäten derDonau-Monarchie von 1850 bis 1914 eingehend: Otruba Universitäten, 75-155(davon 115-155: Tabellen-Anhang). 47 Vgl. Bettelheim Friedjung, 34; auch von Srbik Friedjung, 536: Vgl. fernerRedlich Nekrolog, 226: Schon seit seinen Studentenjahren hätten Friedjunglebhaftestes politisches Interesse und tiefstes Gefühl für die Sache derDeutschen in Österreich erfüllt.48 Vgl. Bettelheim Friedjung, 34; von Srbik Friedjung, 536. Zur Geschichte derUniversität Wien, der Alma mater Rudolphina: Perger Lexikon, 508; zum sozialenund geographischen Profil der Studenten dort von 1860 bis 1900 eingehend:Cohen Studenten, 290-316; zur Nationalitätenstatistik der Universität Wien:Otruba Universitäten, 95 f. Zum Philologisch-historischen Seminar, zur AltenGeschichte, zur Archäologie und zur Epigraphik, zur Urgeschichte, zur„mittleren und neueren Geschichte“, zur Wirtschafts- und Sozialgeschichtesowie zur Kunstgeschichte, insb. zur „Wiener Schule der Kunstgeschichte“,an der Universität Wien von 1884 bis 1938: Zöllner Jahre, 75 f., 80-86. Überdas Institut für Österreichische Geschichtsforschung: Möcker Lexikon, 316.49 Ein Grund dafür, dass Friedjung das Institut für österreichischeGeschichtsforschung verließ, dürfte in der Ausrichtung von dessenhistorischer Arbeit zu finden sein - zu dieser vgl. Ritter Rezension Fellner,277: “Neobsolutism’s failure in the 1850s and 1860s, coupled with the IöG’stight focus on original source criticism (applied mainly to medieval andearly modern documents) deflected the historical guild from its original,present-centered civic task. Thus, late Habsburg historians ... builtcareers via meticulous antiquarianism rather than philosophizing or grandnarrative. Exceptions such as Heinrich Friedjung were usually outsiders whodid not hold academic chairs.”.

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soll geplant haben, Friedjung Ranke als einen seiner

„Hilfsarbeiter und Sekretäre“ vorzuschlagen.50 Friedjung

promovierte jedoch stattdessen im Juni 1873 in Wien und

absolvierte dort die Examina für eine Mittelschulprofessur, um

sich ein Auskommen zu ermöglichen.51

1873 erlangte er denn auch das Amt eines Lehrers für Geschichte

und deutsche Sprache an der Wiener Handelsakademie, welches er

„mit innerlichem Genügen und äußerem Erfolg“ ausgeführt haben

soll.52 In der Mitte der 1870er Jahre trat er dem die Belange

des deutschen Volkstums mit aller „Entschiedenheit“

vertretenden „Deutschen Verein“ bei, wo er zusammen mit

Engelbert Pernerstorfer einer der „stürmischen Jungen“ gewesen

sein soll, die in dauernder Fehde mit den „Altliberalen“

lagen.53

1877 vertrat Friedjung in seiner „politischen Studie“ „Der

Ausgleich mit Ungarn“ Positionen, welche nicht im Sinne der

Regierung und des Hofes waren, insbesondere die Forderung nach

einer staatsrechtlichen Trennung Österreichs und Ungarns und

Schaffung einer bloßen Personalunion, und griff darin auch

Eduard Graf Taaffe, den damaligen Statthalter in Tirol, wegen

dessen angeblichen Separatismus und wegen dessen proklerikaler

50 Vgl. zu Vorigem Bettelheim Friedjung, 34; von Srbik Friedjung, 536. 51 Vgl. Bettelheim Friedjung, 34; von Srbik Friedjung, 536. Die Promotionerfolgte noch nach der bis 1872 gültigen Rigorosenordnung, d. h. ohneDissertation - s. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 7, Fn. 3. 52 Vgl. Bettelheim [Freund Friedjungs] Friedjung, 34 (dort auch das Zitat); vonSrbik Friedjung, 536.53 Vgl. Dechel Programm, Teil 1, 212 (unter Verweis auf Alois Modl). Vgl.ferner ebd., 273 (Danach hat sich der seit 1870 bestehende „DeutscheVerein“ Anfang Februar 1887 aufgelöst.) Judson Race, 86 bemerkt über“Altliberale” und Deutschnationalisten, “the age differential separatingthe leaders of the two groups was actually insignificant”.

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Schulpolitik scharf an.54 Im Dezember desselben Jahres hielt er

auf einer Versammlung eine Rede, in welcher er eine

deutschnationale Aussage Georg von Schönerers rechtfertigte und

gegen die daraufhin Anzeige erstattet wurde, welche jedoch

nicht weiterverfolgt wurde.55 1879 dann wurde Friedjung auf

Grund von Aussagen einiger seiner Schüler durch einen Kollegen

wegen angeblicher unpatriotischer Äußerungen denunziert.56

Unter Hinweis auf die Rede von 1877 und diese vermeintlichen

Äußerungen verlangte Karl von Stremayr, der Minister für Kultus

und Unterricht im neuen, auf den „Eisernen Ring“ der Bauern,

Slawen und Klerikalen gestützten konservativ-föderalistischen

Kabinett Graf Taaffe, vom Verwaltungsrat der Handelsakademie

die Entlassung Friedjungs. Da er dies mit der Androhung

verbunden hatte, der Handelsakademie im Falle von deren

Weigerung das Recht der Öffentlichkeit - und damit die Befugnis

zur Ausstellung vom Staat anerkannter Zeugnisse - zu entziehen,

entließ sie ihn Ende 1879 dann tatsächlich.57 Friedjung nahm

dies jedoch nicht hin: Er ging publizistisch dagegen vor und

54 Die Bezeichnung des Werkes als „politische Studie“ findet sich in ihremUntertitel. Zum Angriff auf Graf Taaffe: Friedjung Ausgleich, 13. S. fernerebd., 3 (ähnlich: 15 f.): „...und es gibt nicht wenige Leute inOesterreich, welche sofort nach der Polizei und nach dem Staatsanwalt rufengegen jenen Hochverräther, der sich die Gestaltung der verbündeten Staatenvon Oesterreich und Ungarn nach einem anderen Schnitte denkt...“ Dieskönnte zwei Jahre später - s. dazu sogleich - tatsächlich auch auf Grunddieser Friedjungschen Schrift eingetreten sein; von Srbik Friedjung, 537bejaht dies. Bereits in ihr - vgl. Ausgleich, 28 f. - regte Friedjung dieGründung einer neuen, deutschnationalen Partei an. 55 Vgl. Zailer Friedjung, 30-32.56 Vgl. Bettelheim Friedjung, 36; von Srbik Friedjung, 537.57 Vgl. zu allem v. a. Zailer Friedjung, 32-34 und Dechel Programm, Teil 1,214-216; auch Adlgasser/Friedrich Einleitung, 7, Fn. 2 (mit Hinweisen aufQuellen in Friedjungs Nachlass im Haus-, Hof- und Staatarchiv zu Wien);Bettelheim Friedjung, 36; von Srbik Friedjung, 537.

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forderte ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst, jedoch

vergeblich.58

Damit sah er sich vor die Notwendigkeit gestellt, nach einem

neuen Lebensunterhalt zu suchen. Allerdings brachte ihm seine

Entlassung auch den Ruf eines deutschnationalen Helden und

Märtyrers ein.59 Nun wurde er im „Kampf um des Lebens Notdurft“

und auf Grund „ausgesprochene[r] Veranlagung“ Journalist bei

der den Liberalen nahestehenden „Deutschen Zeitung“ in Wien,

die er dann aber - vermutlich 1883 - „in Folge der Ramucski-

Affäre und des bekannten Prozesses der Deutschen Zeitung“

verließ.60

Im Januar 1880 hatte Friedjung gemeinsam mit von Schönerer den

- später in „Deutscher Klub“ umbenannten, vom noch zu

erwähnenden „Deutschen Club“ zu unterscheidenden - „Deutschen

Leseverein“ gegründet.61 Im Mai 1880 war dann ihre gemeinsame

Gründung des „Deutschen Schulvereins“ gefolgt, der unter

anderem zur Förderung der deutschen Sprache in den Schulen

58 Zu seinem in der Deutschen Zeitung (Wien) vom 18. 12. 1879 (Abendausgabe)erschienenen, gegen seine Entlassung gerichteten Artikel „ZurUnabhängigkeit des Lehrerstandes“ s. Bettelheim Friedjung, 29. Zu Friedjungsvergeblicher Forderung nach einem Disziplinargerichtsverfahren gegen sichselbst s. Zailer Friedjung, 35; Bettelheim Friedjung, 36.59 Vgl. Ritter Historians, 48.60 Zu den ersten beiden Zitaten vgl. Redlich Nekrolog, 226 f.. Zum drittenZitat und den Fakten vgl. den bei Adlgasser/Friedrich Einleitung, 9 zitierteneigenhändigen Lebenslauf Friedjungs (s. ebd., Fn. 11: f. Wiener Stadt- undLandesbibliothek, Inventarnummer 156.770). Was es mit der von Friedjungerwähnten Affäre bzw. dem von ihm angesprochenen Prozess auf sich hatte,konnte unter vernünftigem Zeitaufwand nicht festgestellt werden. Zur Näheder „Deutschen Zeitung“ zu den Liberalen: F. Fellner Friedjung, 639 - s. fernerebd.: Bereits vor seiner Entlassung aus dem Lehreramt habe Friedjunggelegentlich an der „Deutschen Zeitung“ mitgearbeitet. 61 Vgl. Dechel Programm, Teil 1, 233 f. Der „Deutsche Klub“ bestand lediglichbis 1882.

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Österreichs und zur Zurückdrängung der slawischen Sprachen

konzipiert war und besonders viele Mitglieder anzog.62

1882 rief Friedjung ebenfalls mit von Schönerer sowie anderen

Männern seiner Generation in Abgrenzung vom herkömmlichen, von

Honoratioren geprägten deutsch-österreichischen Liberalismus

den auf Massenwirksamkeit ausgerichteten „Deutschnationalen

Verein“ ins Leben; Mitglieder dieser kleinen Gruppe waren auch

Viktor Adler, Engelbert Pernerstorfer, Otto Steinwender, Robert

Pattai und Karl Lueger, deren spätere Wirksamkeit noch

darzustellen sein wird.63 Gemäß Heinrich Ritter von Srbik

fühlte sich Friedjung „angewidert von der Mattheit, dem

Doktrinarismus und den materiellen Interessen in der liberalen

Verfassungspartei“ - nur zogen er und seine Mitstreiter daraus

ganz andere Konsequenzen als viele der ähnlich fühlenden

Vertreter der sog. Wiener Moderne, indem jene - zunächst noch

innerparteiliche - politische Opposition betrieben und sich

nicht wie diese aus der Politik zurückzogen.64

62 Vgl. Dechel Programm, Teil 1, 232; Moser Emanzipation, 83 f.; ZailerFriedjung, 37 f. Zum „Deutschen Schulverein“ vgl. eingehend Judson Race, 89-91, insb. 89: Er sei die erfolgreichste der vielen deutschnationalenSchutzorganisationen gewesen. „It succeeded in mobilizing a larger and morediverse group of activists ... than any traditional Liberal clubs had inall of Central Europe. A year after its founding ... 39,000 dues-payingmembers. Five years later its membership stood at 107,000 people organizedin 986 local branches ..., including 83 women’s groups.“ - vgl. ferner ebd.93 f. Zum weiteren Schicksal dieses Vereins vgl. Mommsen Sozialdemokratie,108: Von Schönerer sei es nicht einmal gelungen, diesen ganz auf die Bahndes Rassenantisemitismus zu bringen. - sowie Judson Race, 93: Von Schönererhabe sich von „this judaized Association [sic]“ zurückgezogen und dieerfolglose „Deutschnationale Schulvereinigung“ gegründet.63 Zu Friedjungs Mitgründerschaft: von Srbik Friedjung, 538; zum Übrigen:Mommsen Sozialdemokratie, 106.64 Zitat: von Srbik Friedjung, 537. Zu Hochschullehrern und nationalemVereinswesen im Deutschen Reich zwischen 1890 und 1914: vom BruchWissenschaft, 67-70, s. auch ebd., 428-432 (Exkurs 3) sowie vom BruchGelehrtenpolitik, 35-37: Gelehrtenpolitik und Agitationsvereine -

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Bereits am 14. November 1880 hatte Friedjung auf dem 4.

Deutschösterreichischen Parteitag der liberalen

„Verfassungspartei“ ein Programm für deren Umwandlung in eine

deutschnationale und sozialpolitisch engagierte „Deutsche

Volkspartei“ vorgelegt, das allgemein so genannte Friedjung-

Programm.65 Sein Plan scheiterte jedoch.66 Immerhin aber dauerte

die Diskussion darüber sowohl in der Partei als auch in der

Presse an.67

Zwei Jahre später wirkte Friedjung an der Gestaltung des sog.

Linzer Programms mit, das die Grundlage einer „Deutschen

Volkspartei“ - letztlich „Deutschnationale Partei“ genannt -

werden sollte und dessen endgültige Fassung am 1. 9. 1882

veröffentlicht wurde.68 Wie groß sein Anteil daran war, lässt

allerdings 36: Als Vermittlungsmedien eines genuinen Gelehrtenbeitrages zurDeutungskultur hätten diese Vereine keine besondere Rolle gespielt; vgl.auch Charle Vordenker, 210 zu Intellektuellen im reichsdeutschenVereinswesen dieser Zeit. 65 Es ist abgedruckt bei Berchtold Parteiprogramme, 190-192. Vgl. dazuBerchtold, 189 f.; Dechel Programm, Teil 1, 235-247; Moser Emanzipation, 84 f.Zailer Friedjung, 39-46. Interessant ist Friedjungs Bedenken sieben Jahrespäter: „Es ist schon fraglich, ob es sich für eine Partei empfiehlt, einförmliches Programm zu entwerfen...“ (Stück, 13).66 Vgl. dazu Berchtold Parteiprogramme, 190: Der Vorsitzende des Parteitages,Sturm, habe sich gegen das Programm ausgesprochen, da es eine Kundgebunggegen die Regierungspolitik sei und „außerdem ein Parteiprogramm nicht aufeiner Volksversammlung [Vollversammlung?] beraten werden könne.“ Es seidann einem Komitee zur Beratung zugewiesen, dort aber nicht weiterbehandeltworden. 67 Vgl. F. Fellner Friedjung, 639.68 Es findet sich bei Berchtold Parteiprogramme, 199-203; dazu: ebd. 198;Dechel Programm, passim; Zailer Friedjung, 49-56. Es ist nicht zu verwechselnmit dem „Linzer Programm“ der Sozialdemokraten von 1926. Vgl. ferner DechelProgramm, Teil 1, 234: Aus den Mitgliedern des nur bis zum Sommer 1882bestehenden „Deutschen Klubs“ [nicht zu verwechseln mit dem schon erwähnten„Deutschen Club“] - des umbenannten, im Januar 1880 gegründeten DeutschenLesevereins (vgl. ebd., 233 f.) - sei jener Ausschuss von fünfzehn Männerngebildet worden, der die Gründung einer „Deutschen Volkspartei“ habevorbereiten sollen und sich mit der Ausarbeitung eines Programms befasst

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sich zwar nicht mit letzter Sicherheit klären.69 Durch

inhaltlichen und sprachlichen Vergleich vor allem mit dem

„Friedjung-Programm“ können jedoch vor allem für die

nationalpolitischen Abschnitte mit hoher Wahrscheinlichkeit

Friedjung und Schönerer als die Verfasser angenommen werden.70

Die Formulierung der sozialpolitischen Forderungen hingegen

dürfte hauptsächlich Viktor Adler vorgenommen haben.71

Einzelheiten des „Friedjung-“ und des „Linzer Programms“ werden

unter E. I. 1. a. zu würdigen sein.72

Nicht lange nach Entstehung des „Linzer Programms“ verließ

Friedjung den Kreis um

von Schönerer wegen dessen immer stärkerer Hinwendung zum

Antisemitismus und zur Feindschaft gegenüber dem k. u. k.

Staat.73 Nach seinem Ausscheiden aus der Redaktion der

habe; Berchtold Parteiprogramme, 198: Dem Beratungsausschuss hätten nebenSchönerer Pernerstorfer, Friedjung, Viktor Adler, Sylvester, Steinwender,Langgaßner u. a. angehört, als Berichterstatter habe Pernerstorferfungiert; die schriftliche Fassung habe Langgaßner besorgt. 69 Vgl. auch Dechel Programm, Teil 2, 385. 70 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 198 sowie eingehend Dechel Programm, Teil 2,383-397. Vgl. auch Stolz Männer, 55.71 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 198; Dechel Programm, Teil 2, 389.72 Wobei bei Zitaten aus dem Programm stets die Unsicherheit derUrheberschaft der konkreten Passage bedacht werden sollte. Immerhin abermacht sich jeder Verfasser eines Gemeinschaftswerkes dieses nach außen hinin allen seinen Teilen zu eigen, so dass die Zitate legitim erscheinen. ZumBedenken vom Bruchs Wissenschaft, 359 über die (Un-)Vereinbarkeit vonGelehrtenpolitik und Eingliederung in den parteipolitischenWillensbildungsprozess vgl. unten, E. I. 73 Vgl. Kann Artikel, 451; ferner Dechel Programm, Teil 1, 248-251; EderFriedjung, 32-92 (Schönerers Weg zum Rassenantisemitismus), insb. 33-40(Adlers Trennung von Schönerer), 40-48 (Pernerstorfers Trennung vonSchönerer), 48-92 (Friedjungs Trennung von Schönerer); Moser Emanzipation,85, unter Angabe des Mais 1881 als Austrittsdatums - was angesichts derZusammenarbeit der beiden an der Gestaltung des „Linzer Programms“ offenbarnoch im Sommer 1882 (vgl. oben, Fn. 68 [Dechel]) - unzutreffend erscheint.Vgl. noch Whiteside Germans, 186: “...while on his [von Schönerers] part, heseems to have particularly respected Adler and Friedjung as good Germans.”[auch noch nach seiner Radikalisierung?] sowie von Schönerer gegen oder für

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„Deutschen Zeitung“ gründete er 1883 in Wien die „Deutsche

Wochenschrift. Organ für die gemeinsamen nationalen Interessen

Oesterreichs und Deutschlands“.74 Ein weiterer Schwerpunkt

neben denjenigen, der bereits im Untertitel des Blattes zum

Ausdruck kam, war die Sozialpolitik.75 Nicht selten wurden

einzelne ihrer Artikel von der Zensur verboten.76

Das politische Hauptanliegen, das Friedjung mit der „Deutschen

Wochenschrift“ verfolgt hat, dürfte die Gründung eines

„Deutschen Clubs“ - d. h. einer deutschnationalen Fraktion im

Abgeordnetenhaus des cisleithanischen Reichsrats - gewesen

sein, so dass nach dessen tatsächlicher Entstehung Anfang 1885

das Blatt offenbar zunehmend an Bedeutung verlor.77 Jedenfalls

[?] Friedjung über diesen in „Unverfälschte deutsche Worte“ Nr. 20, 1885:„Musterjournalist und Ausnahmsjude“ (s. Stolz Männer, 67). 74 Zu Friedjung und der „Deutschen Wochenschrift“: Dechel Programm, Teil 1,252-258; F. Fellner Friedjung, 640 f.; Moser Emanzipation, 89-91; ZailerFriedjung, 57-69. Vgl. noch Friedjung Stück, 8, wo er den Journalismus alsdie „anstrengendste aller Berufsarten“ bezeichnet.75 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 109; Ritter Liberalism, 246 f.; Stolz Männer,61.76 Vgl. die jeweils auf Seite 1 zu findenden Abdrucke entsprechenderEntscheidungen des „k. k. Landesgericht[s] Wien als Preßgericht[s]“ in derDeutschen Wochenschrift Jg. 2 Nr. 30 vom 27. Juli 1884; Nr. 33 vom 17.August 1884; Nr. 46 vom16. November 1884; Nr. 50 vom 14. Dezember 1884 undJg. 3 Nr. 2 vom 11. Januar 1885. Begründet wurden diese Verbote mitstrafgesetzlichen Bestimmungen, welche „die öffentliche Ruhe und Ordnung“schützen sollten. Dabei handelte es sich teils um vom Gericht als„Schmähungen“ und/oder „Verspottungen“ bezeichnete Kritik der Zeitung anRegierung, Verwaltung bzw. Reichsrat, teils um von jenem „Feindseligkeiten“genannte Anwürfe gegen „eine Classe und einen Stand der bürgerlichenGesellschaft (den Clerus)“ bzw. eine „Nationalität (die Polen)“.77 So Glaubauf Bismarck, 112; s. auch F. Fellner Friedjung, 641. Dies lässt sichschließen aus der Vielzahl von Artikeln Friedjungs in seiner „DeutschenWochenschrift“, welche zur Gründung eines solchen „Deutschen Clubs“aufrufen - s. z. B. Friedjung, Club Wien, S. 5; Aussichten, S. 1 f.; Club[1884], S. 1 f.; Club [1885], S. 1 f.; „Staatspartei“, 1 f. Zum Motiv derAufgabe der „Deutschen Wochenschrift“ vgl. aber auch Friedjung Stück, 7: Erhabe sein „eigenes Werk, die ‚Deutsche Wochenschrift’, an welchem ich dreiarbeits- und mühevolle Jahre verwendet hatte, der Partei zu Liebehingegeben.“ Zu Friedjung und dem „Deutschen Club“: Dechel Programm, Teil 1,

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bemühte sich Friedjung gleichzeitig darum, dem Club eine

Tageszeitung zu verschaffen, welche daraufhin in dessen

offizielles Organ umgewandelt werden sollte. Dies gelang auch,

als nach einer entsprechenden Spendenkampagne die Wiener

„Deutsche Zeitung“ erworben wurde, zu deren Chefredakteur

Friedjung im Sommer 1886 bestellt wurde.78 Um diese Zeit wurde

dann auch seine „Deutsche Wochenschrift“, an deren inhaltlicher

Gestaltung er seit seinem Wechsel offenbar nicht mehr

mitwirkte, ein Parteiorgan des „Deutschen Clubs“, von Friedjung

aber bereits im November 1886 an einen Privatmann verkauft und

„nach einem unschönen Rechtsstreit, den Friedjung in einem

Flugblatt öffentlich darlegte, im Juli 1888 eingestellt“.79

Der - deutschnationale - „Deutsche Club“ entstand wie sein

Gegenspieler, der - „gouvernementale“ - “Deutsch-

österreichische Club“, aus der Spaltung der altliberalen

„Vereinigten Linken“.80 Er gab sich ein Programm, das im

Wesentlichen die früheren Forderungen Friedjungs und von

Schönerers enthielt.81 Über einen der Zwecke seiner

Unterstützung des Clubs führte Friedjung aus: „Man sollte

übrigens einsehen, daß die Gründung des Deutschen Klubs das

einzige Mittel war, um der fortwährend um sich greifenden

264-275 sowie Moser Emanzipation, 100-102, insb. 100: Friedjung habebedeutenden Anteil an dessen Gründung gehabt. 78 Vgl. Moser Emanzipation, 103; auch. Friedjung Stück, 7: Er habe sich nichtum die Stelle beworben.79 Vgl. Dechel Programm, Teil 1, 268; Moser Emanzipation, 103; Zitat: F. FellnerFriedjung, 643.80 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 108, Fn. 4. Vgl. auch Whiteside Germans,181: Bereits 1867 hätten die 118 Reichsratsabgeordneten der LiberalenPartei teilweise auf ideologischen, teilweise auf persönlichen undregionalen Unterschieden basierende rivalisierende “Clubs” gebildet. 81 So Dechel Programm, Teil 1, 267.

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Schönererschen Agitation entgegenzutreten.“82 Jedoch spaltete

sich bereits 1887 unter Otto Steinwender die von Schönerer nahe

stehende „Deutschnationale Vereinigung“ vom „Deutschen Club“ ab

und wurde schließlich die führende deutschnationale Partei in

Österreich.83 Dieser Vorgang stand in engem Zusammenhang mit

Friedjungs Stellung als Chefredakteur der vom „Deutschen Club“

erworbenen „Deutschen Zeitung“, auf die nun einzugehen ist.

Sein Wirken als Chefredakteur dieses Blattes währte lediglich

neun Monate: Im Mai 1887 trat er von diesem Posten zurück und

schied im Juli auch aus der Redaktion aus.84 Die Vorgänge, die

zur Aufgabe seines Postens geführt hatten, legte Friedjung noch

im selben Jahr in seiner Rechtfertigungsschrift „Ein Stück

Zeitungsgeschichte“ ausführlich dar.85 Er behauptet dort, der

Erwerb der Zeitung sei nicht etwa nur durch das Interesse einer

Partei, sondern „in viel höherem Grade durch einen

anerkennenswerthen Drang, bessernd in die Wiener

82 Friedjung in der Deutschen Wochenschrift 1885 Nr. 39 vom 27. September(„Die Bildung des Deutschen Klubs“), zitiert bei Moser Emanzipation, 102.83 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 108, Fn. 4; Whiteside Germans, 184 f. ZurSpaltung 1887 eingehend: Friedjung Stück, 6-19, insb. 11-15. Gemäß MommsenSozialdemokratie, 108, Fn. 4 ging aus der 1887 vom „Deutschen Club“abgespaltenen „Deutschnationalen Vereinigung“ später die „DeutscheVolkspartei“ hervor, der dann auch Friedjung angehört habe - dies dürfteallerdings ein Intermezzo zwischen maximal 1888 und 1891 gewesen sein. Überdie wechselnden Namen der altliberalen Partei vgl. Ludwig Gumplowicz beiWhiteside Germans, 179 f.: “The party ... called itself the Left at the verytime when it was on the Right. ...When [it] became disloyal to theconstitution ... it called itself the ... (Verfassungstreue). At the timewhen ... it disintegrated into a number of factions ... it called itselfthe ... (Vereinigte Linke). Finally, when it was exposed as the reactionaryguard of capitalism, it called itself ... (Deutsche Fortschrittspartei).”84 Vgl. F. Fellner Friedjung, 643.85 Vgl. zu Friedjungs Zeit als Chefredakteur der „Deutschen Zeitung“ ferner:Stolz Männer, 70-76; s. auch F. Fellner Friedjung, 641-643 - insb. 643: Es seidort noch eine Reihe anderer jüdischer Schriftsteller als Redakteure oderfreie Mitarbeiter tätig gewesen (Wertheimer, Bettelheim, Auspitz,Mauthner).

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Preßverhältnisse einzugreifen“, motiviert gewesen.86 Allerdings

sei es ein „Grundirrtum“, mit einer Zeitung bei Niemandem

Anstoß erregen, zwischen den Meinungen hindurch lavieren zu

wollen.87 Ferner versichert er, nur die Grundsätze der

Zeitungsleitung seien durch einen politischen Beirat des Clubs

festgelegt worden, im Übrigen aber sei von vornherein die

unerlässliche vollständige Freiheit der Redaktion zugestanden

und seien dann auch alle Eingriffe in ihre Rechte abgewiesen

worden; insbesondere sei sie vollständig unabhängig von

unlauteren finanziellen Einflüssen gewesen.88 Obwohl die vor

dem Kauf anvisierte Auflagenhöhe überschritten wurde und trotz

angeblicher Anerkennung der Öffentlichkeit räumte Friedjung das

Scheitern des Vorhabens ein.89

Einen Grund des frühen Endes seiner Position als Chefredakteur

der „Deutschen Zeitung“ sowie zugleich auch der Spaltung des

“Deutschen Clubs“ lässt Friedjung unter detaillierter Angabe

der einzelnen Ereignisse deutlich werden: die antisemitische

Einstellung einiger Mitglieder des „Deutschen Clubs“.90 In

86 Vgl. Stück, 4, auch ebd., 7, 12; zur Lage der Wiener Presse in dieserZeit: ebd., 3: „Ausbeutung der Presse zu selbstischen Zwecken“, 6:„erniedrigenden Stande der Presse“. Vgl. allerdings auch ebd., 6: „Manwollte, da sich die Streitsucht im Schoße des deutschen Clubs schon damalsder nichtigsten Dinge bemächtigte, etwas Positives schaffen. DieZeitung ... werde hoffentlich wie der Schwerstein wirken, der auf dieGründung der neuen Partei gelegt sei.“ Zur Tendenz hin zu einerfremdbestimmten Presse als bezahltem Sprachrohr von Interessengruppen imWilhelminischen Reich vgl. vom Bruch Wissenschaft, 276.87 Vgl. Stück, 17; auch Zeitung, 487 (Solons Vorschrift, jeder athenischeBürger solle bei inneren Parteiungen bestimmt Stellung beziehen, solle auchfür ein „gerade gewachsenes Organ der öffentlichen Meinung“ gelten.).88 Vgl. Stück, 4.89 Auflage: Stück, 17, s. auch 8, 16 - Anerkennung der Öffentlichkeit:ebd., 7 - Scheitern: ebd. 3, 21.90 Allerdings schränkt er ein, der Antisemitismus sei nicht zureichenderGrund und Anstoß dafür gewesen und habe „nur bei einem Häuflein von einemhalben Dutzend bestimmend mitgewirkt“ - vgl. Stück, 13. Dies steht jedoch

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diesem Zusammenhang merkte er an: „Es ist unstatthaft, sich in

Klagen und sentimentalen Ergüssen über Dinge zu ergehen, die

man erlebt und erlitten hat: ich kann auch ruhig auf diesen

Gegenstand eingehen. Was die antisemitische Bewegung

Niederdrückendes für das Ehrgefühl und Hemmendes für den

Schaffensdrang eines Juden besitzt, muß jedweder unter ihnen

mit sich selbst abmachen - solche Dinge verschließt der Mann am

besten in seiner Brust.“91 Die Feindseligkeiten hätten „auch

das höchste Maß dessen, was anfänglich in Erwägung gezogen

werden konnte“, überschritten.92 Nach dem Erwerb der „Deutschen

Zeitung“ durch Privatleute schlug Friedjung deren Angebot zur

Übernahme bzw. Weiterführung der Chefredaktion nach eigenen

Angaben deswegen aus, weil sich diese ein Vetorecht gegen

Artikel, die dem finanziellen und Inserateninteresse des

Blattes abträglich hätten sein können, vorbehalten hätten und

dies der „Ehre und Würde der Presse“ zuwider laufe.93

In der Zeit zwischen seinem Ausscheiden aus dem Amt des

Chefredakteurs und demjenigen aus der Redaktion hatte sich

Friedjung durch den Abschluss eines Korrespondentenvertrages

mit der Grazer Tagespost abgesichert.94 Als ständiger

nicht in Übereinstimmung mit seiner sonstigen Schilderung der Vorgänge -vgl. z. B. ebd., 12: Die Beratung vom 23. Januar 1887, in der OttoSteinwender den Antrag gestellt hatte, die Missbilligung unter anderem derBestellung Friedjungs zum Chefredakteur und der - ablehnenden - Haltung derDeutschen Zeitung gegenüber dem Antisemitismus auszusprechen, „aber gab ...den Anstoß zum Zerfall des Deutschen Clubs.“. 91 Vgl. Stück, 6-19, Zitat: 6 f., s. insb. 9: Otto Steinwenders Rede am 18.Februar 1887 in Wien nach Vollzug der Spaltung: „Das erste Bedenken war,daß der Chefredacteur ein Jude war.“92 Stück, 16.93 Vgl. Stück, 20, unter dem ironischen Zusatz „Die Annahme desselben wäre,um mit meinen geistreichen Widersachern zu sprechen, ‚gar zu jüdisch’gewesen.“.94 Vgl. F. Fellner Friedjung, 643.

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Korrespondent dieser Zeitung und anderer großer Blätter, der

„Nationalzeitung“, der „Münchener Allgemeinen Zeitung“ und der

„Vossischen Zeitung“, schlug er sich nun durch.95 Die

politische journalistische Tätigkeit setzte Friedjung bis zu

seinem Lebensende fort.96 Allerdings waren die meisten seiner

ab jetzt veröffentlichten Artikel nunmehr offenbar, „wenn schon

nicht im Dienste, so zumindest im Interesse einer

österreichischen Regierungspolitik geschrieben..., auch wenn

Friedjung oft genug sich kritisch mit ihr auseinandersetzte.“97

Hiermit deutet sich bereits an, dass Friedjung sich nach all

seiner Agitation gegen die staatstreuen Altliberalen diesen

immer mehr annäherte. Dies kam zum vollen Ausdruck in der

folgenden Periode seiner politischen Arbeit. Gründe dafür

dürften vor allem das immer stärkere Anwachsen des

Antisemitismus und der staatsfeindlichen Einstellung in der

deutschnationalen Bewegung, welche er genau deshalb verlassen

hatte, und das den Sturm und Drang seiner früheren Phase

mildernde Alter Friedjungs gewesen sein.98

Bei den Wahlen zum Wiener Gemeinderat im April 1891 wurde

Friedjung „mit 1453 [Zensuswahlrecht!] gültigen Stimmen als

liberaler Kandidat“ für die Wahlperiode bis 1895 in den zweiten

Wahlkörper des ersten Wiener Gemeindebezirkes gewählt.99 In95 Vgl. Bettelheim Friedjung, 37; F. Fellner Friedjung, 643; von Srbik Friedjung,537.96 Vgl. F. Fellner Friedjung, 643, auch 645; Redlich Nekrolog, 227. 97 So zumindest F. Fellner Friedjung, 657 über Friedjungs Texte in der„Münchener Allgemeinen Zeitung“ und in der „Vossischen Zeitung“.98 Zu Friedjungs politischem Wandel vgl. Bettelheim Friedjung, 30; DechelProgramm, Teil 1, 252-258; Stieböck Journalist, 47-49, die ebd., 48unglücklich formuliert, dieser sei „eben durch die Trennung von Schönererbedingt“ gewesen. Vgl. ferner eingehend unten, E. I. 1. a. aa. 99 Protokoll der öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates der k. u. k.Reichshaupt- und Residenzstadt vom 22. Mai 1891, Nr. 5, zitiert von Zailer

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diesen vier Jahren gab er dort als „ein sehr eifriges Mitglied“

zahlreiche Interpellationen ab, brachte wiederholt genau

ausgearbeitete Vorschläge ein und kämpfte unerbittlich scharf

gegen Missstände.100 Er zeigte sich gerade hier als - neuer -

Anhänger des „Altliberalismus“ und wurde durch die

antisemitischen Gemeinderatsmitglieder oft in die Rolle eines

Verteidigers der Juden gedrängt.101 Kurz vor den

Ergänzungswahlen zum zweiten Wahlkörper im Frühjahr 1895

stellten Friedjung und einige weitere liberale Gemeinderäte,

die sich zur „Sozialpolitischen Vereinigung im Wiener

Gemeinderat“ zusammen gefunden hatten, offenbar zum letzten Mal

während des Bestehens der Habsburger-Monarchie überhaupt ein

soziales Programm innerhalb der liberalen Partei auf.102

1895 fand sein parteipolitisches Engagement zugleich mit der

Ablösung der liberalen Leitung der Stadt Wien durch eine

christlichsoziale sein Ende.103 Sein Hauptaugenmerk richtete er

Friedjung, 77 - s. auch ebd. (m. Verw. auf Rudolf Kuppe, „Karl Lueger undseine Zeit“, S. 33): Von den damals neunzehn Gemeindebezirken seien nur imersten und zweiten Bezirk liberale Kandidaten gewählt worden, in denübrigen jedoch „die antisemitischen“. S. ferner Adlgasser/Friedrich Einleitung,10: Für einen Teil der Wahlperiode habe Friedjung auch dem WienerBezirksschulrat angehört. 100 So Zailer Friedjung, 78 mit Hinweis auf die Sitzungsprotokolle.101 Zu seinem „altliberalen“ Kurs dort vgl. Stolz Männer, 62 f.; s. auch ZailerFriedjung, 77. Zur Friedjung dort aufgedrängten Rolle eines Verteidigersder Juden vgl. Ritter Historians, 54, Fn. 37.102 Vgl. Holleis Partei, 23 mit Hinweis in Fn. 1 auf einen Artikel in der„Neuen Freien Presse“ vom 4. Januar 1895 (Morgenblatt), S. 5.103 Lindström Empire, 81 betrachtet „the problem of anti-Semitism in theGerman-Liberal camp and Friedjung’s Jewish identity [diese ist fraglich,vgl. unten, E. I. 1. a. aa.]“ teilweise als ein Pseudo-Problem, da dieDesintegration der Deutschliberalen so vollständig gewesen sei, dass selbstihr alter Führer, Ernst von Plener, gegen 1900 gänzlich isoliert gewesensei und keine [Partei-]Politik mehr habe betreiben können. Das magzutreffen, jedoch muss auch im Auge behalten werden, dass Friedjung ohneeine jüdische Herkunft gar nicht erst - gegen seinen Willen - aus derdeutschnationalen Bewegung gestoßen worden wäre und es so sehr fraglich

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ab jetzt zumindest über längere Phasen auf die

Geschichtsschreibung. Enormen Erfolg brachte ihm sein 1897/8

erschienenes Werk der „Kampf um die Vorherrschaft in

Deutschland 1859-1866“: Es erlebte insgesamt zehn Auflagen, und

allein von den ersten acht bis zum Jahr 1909 wurden mehr als

12.000 Exemplare verkauft.104 Von Srbik bemerkte dazu: „Noch nie

hatte das Werk eines Österreichers einen so riesenhaften Erfolg

geerntet.“105 So hatte Friedjung keine finanziellen Sorgen mehr,

und zwar offenbar auch nicht während seiner letzten eineinhalb

Lebensjahre in der durch extreme Inflation geprägten

Nachkriegszeit.106 Friedjungs Art der Geschichtsschreibung als

einer „großen Erzählung“, welche auch der Gegenwart dienen

sollte, stellte dabei im späten Habsburger-Reich eine Ausnahme

dar; die dortige Historikerzunft betrieb nämlich weithin eine

ist, ob er dann überhaupt jemals zum Altliberalen geworden wäre. Richtigist jedoch (auch), dass die Zersplitterung der zunächst noch mehr oderweniger als „Liberale“ firmierenden Bewegung auch ohne den Antisemitismuserfolgt wäre. Judson Race, 76-95, insb. 77-79, behauptet, der Aufstieg eineskonsequenten Nationalismus unter den Deutschösterreichern habe keineswegsdie Krise des Liberalismus verursacht, dessen Bestehen vielmehr verlängert;die liberalen Parteien hätten u. a. durch ihre Zusammenarbeit mit derMehrheit der Deutschnationalisten substantielle politische Hegemonie übereinen weit längeren Zeitraum ausüben können, als es im Allgemeinenzugestanden werde. - vgl. auch ebd., 95 über die lokale Ebene und dasVereinswesen. Vgl. schließlich noch Lindström Empire, 11 (Gegen Ende des 19.Jahrhunderts seien österreichische Liberale vermehrt in den Staatsapparateingetreten.).104 Zehn Auflagen: vgl. von Srbik Friedjung, 540 [und mehr offenbar auch bisheute nicht]. Zu den ersten acht Auflagen und der Stückzahl vgl. BettelheimFriedjung, 31. Eingehend zu diesem Werk: Bogner Auseinandersetzungen, 38-135, 227-235. Bereits die erwähnte politische Schrift „Der Ausgleich mitUngarn“ von 1877, von dem Deutschen Verein in Wien und dem Liberalen Vereinin Linz propagiert, war erfolgreich gewesen: Innerhalb eines halben Jahreshatte sie drei Auflagen erlebt - vgl. Bettelheim Friedjung, 35.105 von Srbik Friedjung, 540.106 Vgl. Zailer Friedjung, 5 (allgemein für die „späteren Jahre“).

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akribische, antiquarische Historiographie.107 Zudem war er ein

Vorreiter dessen, was man heute „Oral History“ nennt.108

Friedjung erhielt nun auch Anerkennung aus der

institutionalisierten Gelehrtenwelt. So verlieh ihm die

Universität Heidelberg 1903 das juristische Ehrendoktorat, und

von der Prager deutschen Universität wurde er, obwohl er nie

Privatdozent gewesen war, zum Professor vorgeschlagen.109 Ferner

wurde er 1909 zum korrespondierenden, 1918 zum wirklichen

Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften gewählt. 110

1909 hatte sein Ruf als Historiker allerdings durch die sog.

Friedjung-Affäre und den in deren Zusammenhang geführten sog.

Friedjung-Prozess gelitten. Auslöser war ein Artikel Friedjungs

in der „Neuen Freien Presse“ vom 25. März 1909 gewesen, in

welchem er in scharfem Ton die „jahrelange unterirdische

Wühlarbeit [Serbiens] in Bosnien und der Herzegowina“

anprangerte, eine „Minierarbeit, von Belgrad systematisch

betriebene geheime Agitation“. Die Herrschaft des

habsburgischen Reiches über Bosnien-Herzegowina sei eine

unabwendbare Tatsache, und seit dem 5. Oktober 1908 [dem Tag107 Vgl. dazu oben, Fn. 49 (Ritter).108 Vgl. F. Fellner Friedjung, 645-660 - auch kritisch zu Friedjungs Vorgehendabei: vgl. 647-651, 652-656. 109 Vgl. Bettelheim Friedjung, 28; Redlich Nekrolog, 232. 1902 (BettelheimFriedjung, 27) oder 1904 (Österreichische Nationalbibliothek Handbuch, Bd. 1, 374,Nr. 2873) wurde ihm zudem der „für höchste Leistungen in Kunst undWissenschaft“ gestiftete Müller-Preis für sein Werk „Der Kampf um dieVorherrschaft in Deutschland 1859-1866“ verliehen. 110 Vgl. Redlich Nekrolog, 232. Über die Akademie der Wissenschaften zu Wien:Czeike Lexikon, 32 f., insb. 32: Geopolitische Interessen der Monarchie undinternationale Zusammenarbeit seien in den Jahrzehnten nach 1857 bestimmendfür deren Arbeit geworden. Zudem wurde Friedjung korrespondierendesMitglied der Bayrischen Akademie der Wissenschaften - vgl. F. FellnerFriedjung, 658.

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der Annexionserklärung] sei es sein Eigentum. Es sei

„allerhöchste Zeit“ gewesen, die seinerzeitigen „Anschläge“

durch die Annexionserklärung zu vereiteln.111 Sie sei auch wegen

der Österreich-Ungarn tief verletzenden Antwort des

jungtürkischen Komitees auf eine Note der k. u. k. Regierung

notwendig gewesen.112

Ihm liege „wortgetreu“ ein Bericht an den serbischen

Außenminister über eine der Agitationsfahrten eines

Sektionschefs auf ungarischem Boden vor. Friedjung betonte

zudem: „Sollte ... die serbische Regierung irgend eine dieser

Angaben bestreiten, so würde ihnen mit näheren Einzelheiten

gedient und die Namen bestochener [kroatischer] Abgeordneter

wie die Summen genannt werden können.“ Schließlich

rechtfertigte er auch den Beginn eines - zur Zeit der Abfassung

des Artikels noch im Raume stehenden - Krieges durch

Österreich-Ungarn: „Wenn es den österreichischen Waffen

beschieden sein sollte, das Verschwörernest in Belgrad

gründlich auszufegen..., so wäre dies eine Kulturtat von hohem

Werte...“; eine Großmacht habe die Pflicht, für die Sicherheit

ihrer Grenzen zu sorgen.113

111 Oesterreich-Ungarn, 2. Zum scharfen Ton s. z. B. ebd., 3:„Unverfrorenheit“. Ca. 30 Jahre zuvor hatte Friedjung noch geschrieben,Graf Andrássy habe sich ein großes Verdienst um Österreich und um Europaerworben, indem er sich der annexionsfreundlichen Partei in Österreichbeharrlich widersetzt und dadurch seinem Land den Frieden bewahrt habe -vgl. Friedjung Ausgleich, 76. Fünf Jahre wiederum hingegen enthielt das„Linzer Programm“, Punkt 1. 2. (bei Berchtold Parteiprogramme, 199) dieForderung, „daß das Königreich Dalmatien sowie Bosnien und die Hercegowinaendgültig in Ungarn einverleibt werden“. 112 Vgl. Oesterreich-Ungarn, 4.113 Oesterreich-Ungarn, 3. Immerhin verwahrte sich Friedjung ebd., 4 gegendie „tendenziösen Ausfälle auf die serbische Nationalität als solche“.

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Die von ihm der Agitation bezichtigten kroatischen und

serbischen Abgeordneten strengten daraufhin einen

Ehrenbeleidigungsprozess gegen Friedjung vor dem

Geschworenengericht in Wien an, in dessen Verlauf sich

herausstellte, dass viele der 22 von Friedjung zum Beleg seiner

Vorwürfe benutzten Dokumente gefälscht waren, möglicherweise

gar alle bis auf ein einziges.114 Diese Unterlagen waren ihm vom

k. k. Minister des Äußeren, Graf Aloys Lexa von Aehrenthal, zur

Verfügung gestellt worden, bei welchem Friedjung seinerzeit mit

dem Ziel ein- und ausging, diesen zu beeinflussen und ggf. zu

unterstützen - und von welchem er wiederum selbst

„instrumentalisiert“ wurde.115 Die Übergabe der Dokumente an

Friedjung erfolgte dabei zu dem Zweck, die Annexion Bosniens

und der Herzegowina und die Notwendigkeit eines

österreichischen Einmarsches in Serbien in dem von ihm zu

schreibenden Zeitungsartikel zu rechtfertigen; sie stammten aus

der k. k. Botschaft in Belgrad.116 Es handelte sich bei ihnen um

in das Deutsche übersetzte Abschriften sowie um wenige

114 Vgl. Graf Friedjung, 38 bis 59 sowie 59-137, insb. 99, Fn. 155: „DiesesDokument (Nr. XX von XXII - vgl. 90 f.) erscheint als das einzigeunzweifelhaft echte...“; Seton-Watson Trial, 209-287; Zailer Friedjung, 91-111.Vgl. auch das im Selbstverlag 1909 erschienene Werk Friedjung Aktenstücke,passim, in welchem Friedjung die dem Gericht vorgelegten Dokumenteaufführt.115 Zur im Deutschen Reich üblichen Instrumentalisierung vonHochschullehrern durch den Staat zu dessen außenpolitischen Zwecken s.Charle Vordenker, 211. Vgl. auch vom Bruch Professoren, 23 über die dortigeSituation um 1900: „...in den sog. nationalen Fragen, insbesondere bei denWeichenstellungen imperialistischer und Weltpolitik bediente man sich mitErfolg professoraler Argumentationskunst und Reputation, doch alseigentliche Vordenker und Gestalter traten Professoren kaum inErscheinung.“ Allerdings wurde Friedjung spätestens 1915 tatsächlich zumVordenker in Sachen Imperialismus - dazu sogleich, insb. Fn. 150. 116 Vgl. Graf 144-151 (über die Herkunft der Falsifikate), 152-158 (über dieFehler des k. u. k. Außenministeriums und Friedjungs).

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Photographien der in serbischer und kroatischer Sprache - deren

Friedjung nicht mächtig war - verfassten Vorlagen.117

Auch neben dem Artikel in der „Neuen Freien Presse“ unternahm

Friedjung während der Annexionskrise - letztlich erfolglose -

Versuche der Einflussnahme, darunter denjenigen, die jüdische

Gemeinde Salonikis für eine Aktion zur Beendigung des Boykotts

österreichischer und ungarischer Waren im türkischen Reich zu

gewinnen, und denjenigen, zur Beseitigung des britischen

Informationsmonopols ein österreichisches Orientkomitee zu

gründen.118

Den Prozess nutzte Friedjung zu weiteren Angriffen auf Serbien,

zur Zuschreibung der Hauptschuld an der „Affäre“ an die k. k.

Regierung und zur Darstellung seiner „bona fides“/bonae

fidei.119 Er endete schließlich mit einem Vergleich: Friedjung

erkannte die Unechtheit derjenigen Dokumente an, welche sich

auf einen einzelnen Abgeordneten mit einem „Alibi“ bezogen, und

verpflichtete sich, auch die übrigen Dokumente nicht mehr „in117 Vgl. Holy Friedjungprozess, 8. Zur Vorgeschichte des Prozesses: GrafFriedjung, 20-25 (über die politische Lage in Serbien), 26-38 (über dieLage in den Südslawenländern der Monarchie), 38-59 (über die Ursache desProzesses), Holy Friedjungprozess, 4-6 (über die politische Lage), insb. 5:1908 sei der türkische Sultan Abdul Hamid II. durch eine Gruppe jungerOffiziere gestürzt und daraufhin ein Parlament gewählt worden. Daraus habesich für Österreich-Ungarn „ergeben, dass es kein Land verwalten konnte,dessen Abgeordnete nach Konstantinopel zuständig waren.“; ebd., 7-9 (überdie Entstehung des Prozesses); Seton-Watson Annexation, 200-297. 118 Vgl. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 11.119 Vgl. Holy Friedjungprozess, 121 sowie Stieböck Journalist, 75 (Aehrenthalhabe in einer Unterredung mit Josef Redlich im Januar 1910 geäußert,Friedjung habe die Taktlosigkeit begangen, den ganzen Prozess mitFingerzeig auf den Ballhausplatz zu führen.) Vgl. ferner HolyFriedjungprozess, 98-102 (über die auf den Prozess bezogenePrivatkorrespondenz Friedjungs), 103-118 (über Friedjungs Nachlass imHinblick auf den Prozess), insb. 110-113 (über Friedjungs Rückblick aufseinen Prozess).

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Anspruch“ zu nehmen, während die Abgeordneten Friedjungs guten

Glauben anerkannten und die Klage zurückzogen.120 Die

gerichtliche Auseinandersetzung erlebte eine große Resonanz in

der Presse des In- und Auslandes.121 Das Außenministerium sah

sich gezwungen, in einem Erlass an die Gesandten in zahlreichen

wichtigen Städten vom Januar 1910 seine Ansicht über den

Prozess zu erläutern, um den „vehementen Angriffen gegen die

k.u.k. Regierung“ entgegentreten zu können.122

Zwar litt Friedjungs Reputation als Historiker unter seiner

naiven, grob fahrlässigen Fehleinschätzung der Echtheit der von

ihm verwendeten Dokumente; jedoch verschaffte ihm der Prozess,

in welchem er nicht ungeschickt agierte, auch einen weiteren

großen Popularitätsschub unter den Deutschösterreichern.123 Er

selbst hat aus seinem Irrtum keinen Hehl gemacht, so z. B. als

er dem jungen Schriftsteller Wilhelm Alter Anfang 1913 vorwarf,

vermutlich gefälschtem Material für ein von ihm angekündigtes

Werk über den preußisch-österreichischen Krieg von 1866

aufgesessen zu sein, und dabei sowohl Alter gegenüber als auch

in der „Österreichische Rundschau“ auf seinen eigenen Fehler

hinwies.124 Jedoch hätte es Friedjung auch im Falle von Alter120 Vgl. Stieböck Journalist, 74. Scharfe Kritik an der seiner Auffassung nachdie Kläger unangemessen behandelnden Prozessleitung übt Seton-Watson, Trial240-245, der die Verhandlung im Gerichtssaal mitverfolgt hatte.121 Vgl. Graf Friedjung, 138-144; Stieböck Journalist, 74.122 Vgl. Stieböck Journalist, 74.123 Vgl. Eder Friedjung, 124. Holy Friedjungprozess, 122 meint darüber hinaussogar, Friedjungs Ruf als Wissenschaftler habe „keine Delle“ erhalten undsein Ruf als Ehrenmann sei bestehen geblieben - vgl. demgegenüber BachmannFriedjung, 208. Zur Naivität Friedjungs vgl. Holy Friedjungprozess, 111: DieEchtheit der Unterlagen habe Friedjung aus der Tatsache ersehen, dass dasAußenministerium keine Zweifel gehegt hatte (mit Hinweis auf FriedjungNachlass „Aufzeichnungen“, 7.).124 Vgl. Alter, 8 sowie 37 (Nachdruck des Artikels in der „ÖsterreichischenRundschau“).

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offenbar vollauf genügt, wenn dieser seine „bona fides“ hätte

nachweisen können.125

Der durch Friedjungs Schweigen über die grobe Fahrlässigkeit

seines Verhaltens hervorgerufene Eindruck, für ihn habe es sich

dabei um einen lässlichen Fehler gehandelt, brachte dann Karl

Kraus, der bis dahin stets positiv über Friedjung geschrieben

hatte, dazu, in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ wiederholt und

über Jahre hinaus ätzende Kritik an Friedjung zu üben, ihn als

den Prototyp des über eigene Fehler nur Achsel zuckenden

Österreichers darzustellen.126 Und Fredrik Lindström urteilt:

“Despite the catastrophic results, Friedjung did not draw the

expected lesson from this experience; after these events, he

only fused his historical scholarship closer with his political

engagement.”127

Im Ersten Weltkrieg agitierte Friedjung für die von ihm

angestrebten „Kriegsziele“. Der Höhepunkt dieser Wirksamkeit

war das von ihm mitverfasste, einflussreichste und „vielleicht

konkreteste“ österreichische Programm für ein „Mitteleuropa“,

die „Denkschrift aus Deutsch-Österreich“, welche ab Juli 1915

auch auf Grund der strengen Zensur „vertraulich“ an

Staatsmänner, Militärs, Parteifunktionäre, Wirtschaftsleute,

Professoren und Publizisten in Österreich und dem Deutschen

Reich verteilt wurde.128 Sie ist durch einen für die damalige125 Vgl. Alter, 11 (Brief Friedjungs an Alter vom 4. Januar 1913), 39.126 Vgl. Lind Satiriker, 388-395127 Vgl. Lindström Empire, 75 (Unmittelbar folgend erwähnt LindströmFriedjungs "Das Zeitalter des Imperialismus 1884-1914“.). 128 Zur Denkschrift s. F. Fellner Denkschriften, 235-239; Glaubauf Bismarck, 236-243; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 76-96; Zailer Friedjung, 113-119. Zuihrem Einfluss vgl. Kapp Loyalties, 133-135, insb. 133; zu ihrem konkreten

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militärische und außenpolitische Situation Österreich-Ungarns

„geradezu unglaublichen Optimismus und von imperialistischen

Überzeugungen“ geprägt - wobei dieser Optimismus allerdings

zumindest von den meisten deutschösterreichischen Historikern

geteilt wurde, von den bürgerlichen unter ihnen - so wie von

Friedjung selbst - bis weit in das Jahr 1918.129

Sie reiht sich damit ein in die in diesem Jahr stattfindende

„seltsame Verdichtung siegesgewisser und expansionistisch-

imperialistischer Kriegszieldiskussionen in der deutsch-

Charakter: Ramhardter Geschichtswissenschaft, 40; zu ihrer Vollendungszeit(Juli 1915): Denkschrift, III - s. dazu Ramhardter Geschichtswissenschaft,79: Sie sei im Juli 1915 als Handschrift privat gedruckt, verteilt undversandt worden. Zu den Adressaten und zum Geheimcharakter vgl.Denkschrift, III: „Diese gemeinsame Arbeit kann, da die Erörterung desKriegszieles nicht vor aller Welt vonstatten gehen darf, vorerst nicht derÖffentlichkeit übergeben werden. Sie wird nach getroffener Auswahl zunächsteinzelnen leitenden Männern und führenden Geistern Österreich-Ungarns unddes Deutschen Reiches zur Prüfung unterbreitet.“ sowie ebd., II: „DieseAusgabe ist nicht für den Handel bestellt. Sie gelangt nur an einenbestimmten, engbegrenzten Kreis von Personen. Die Veröffentlichung durchden Buchhandel ist für später vorgesehen.“ (was nie geschah: vgl. RamhardterGeschichtswissenschaft, 40, 94; auch Holleis Partei, 102 [Verbot durch dieZensur]) - schließlich noch ebd., Titelblatt, oben rechts: „Vertraulich!“.Zur strengen Zensur jeder öffentlichen Kriegszieldiskussion in Österreich-Ungarn vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 191. Zu den tatsächlichenEmpfängern vgl. F. Fellner Denkschriften, 236. Zu weiteren österreichischenDenkschriften über „Mitteleuropa“ im Ersten Weltkrieg s. F. FellnerDenkschriften, 232-235. Über „Mitteleuropa“-Konzepte in Österreich-Ungarn:Meyer Mitteleuropa, 174-193, davon 182-190 über den Widerstand gegen dasKonzept dort. 129 Zum optimistischen und imperialistischen Charakter der Denkschrift zuRecht: F. Fellner Denkschriften, 237; vgl. auch Glaubauf Bismarck 242. ZumOptimismus der Denkschrift vgl. zudem Denkschrift, 31 („...ohne Zweifelsiegreich geendigten Krieges...“); weitere optimistische AussagenFriedjungs über den Ausgang des laufenden Krieges - sogar noch 1918 -finden sich z. B. in Vorgänge [Mai 1918], 1 („Schon jetzt sind dasKönigreich Polen, sind die Petroleumquellen Rumäniens, die Brotversorgungdurch die Ukraine gemeinsame Angelegenheiten Österreich-Ungarns undDeutschlands, die sich vermehren werden, wenn die Ergebnisse des Kriegeseingeheimst sind ... So ... gilt es die Verteidigung einer neugeschaffenenWeltordnung - im Osten muß von einer solchen gesprochen werden...“); Abkehr[1. Juni 1918], 2. Zum Kriegsoptimismus unter den deutschösterreichischenHistorikern vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 190, 192.

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österreichischen intellektuellen Führungsschichte“, gerade auch

unter den Historikern.130 Besonders nach der Kriegserklärung

Italiens an Österreich-Ungarn Ende Mai 1915 war eine neuerliche

Woge der Begeisterung aufgebrandet, verbunden mit Entrüstung

über den „Treubruch“.131 Das Memorandum entspricht der

allgemeinen Taktik „gouvernementaler Gelehrtenpolitik“, durch

„bewußt der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemachte, der

mentalen Eigenart hoher Verwaltungsbeamter geschickt angepaßte

Gespräche, Denkschriften und Eingaben“ Einfluss nehmen.132

Welche Anteile an der Denkschrift gerade von Friedjung stammen,

ist (noch) schwerer zu entscheiden als im Falle des „Linzer

Programms“. So heißt es denn auch in ihrem Vorwort: „An der

Fassung wirkten je nach dem ihnen vertrauten Stoffe alle

Teilnehmer mit, die Endredaktion wurde nachstehenden Männern

überlassen: Dr. Heinrich Friedjung, Dr. Michael Hainisch,

Hofrat Dr. Eugen von Philippovich, Professor an der Wiener

Universität [,] und Dr. Hans Uebersberger, Professor an der

Wiener Universität. Der Inhalt der also zustande gekommenen

Denkschrift ist geistiges Eigentum nicht bloß des

Redaktionskomitees, und es ließe sich nicht feststellen, welche

130 Vgl. F. Fellner Denkschriften, 221; vgl. auch ebd., 232: Die ersten beidenKriegsjahre hätten sowohl im Deutschen Reich als auch in Österreich-Ungarneine wahre Flut von Denkschriften, Broschüren und Flugschriftenhervorgebracht, von denen ein großer Teil lediglich in vervielfältigterForm und andere als Privatdrucke verbreitet worden seien, ein nichtunbeträchtlicher Teil jedoch tatsächlich auf den Buchmarkt gelangt sei.Zudem weist er ebd., 227 auf die diese Flut begünstigende Ausschaltung desParlamentes hin. Zur Einstellung der österreichischen politischen Parteienzum Mitteleuropa-Konzept vgl. Kapp Loyalties, 123-129; zu derjenigen derHistoriker vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 40. 131 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 16.132 Zitat: vom Bruch Wissenschaft, 330 (über Hans Delbrück, Gustav Schmollerund Adolf von Harnack).

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Gedanken von jedem einzelnen der Freunde herrühren.“133 Jedoch

wird Friedjung in der Literatur als die zentrale Figur hinter

der Denkschrift angesehen - und Gleiches taten offenbar auch

die Zeitgenossen.134

Er selbst ließ denn auch den für einflussreich erachteten

Adressaten viele Exemplare persönlich zukommen, manchmal unter

Beifügung eines langen Begleitbriefs; zwischen der Vollendung

des Druckes Mitte September 1915 und dem Jahresende wurden 500

Stück verteilt.135 Wie hoch der Einfluss der Denkschrift genau

war, lässt sich trotz zahlreicher enthusiastischer Antworten an

Friedjung nicht genau sagen.136 Aus der Sicht einiger Autoren

trug sie immerhin vermutlich zum Entstehen der diplomatischen

Offensive des Deutschen Reiches über die „Mitteleuropa-Frage“

zwischen September und November 1915 bei, welche in den

Regierungskonferenzen am 10. und 11. November ihren Höhepunkt

fand.137 Um diese Zeit war Friedjung auch persönlich in Berlin

133 Vgl. Denkschrift, III. 134 Literatur: vgl. F. Fellner Denkschriften, 237; Kapp Loyalties, 133;Ramhardter Geschichtswissenschaft, 40 sowie 78 („Der führende Mann derganzen Gruppe war ... Friedjung...“). Zeitgenossen: vgl. RamhardterGeschichtswissenschaft, 77 f. sowie 93 (Brief Gustav Marchets an Friedjungvom 25. 8. 1915 als Reaktion auf die Übermittlung mehrerer Exemplare derDenkschrift durch Michael Hainisch: „...Ihnen als dem führenden Mann derGruppe...“.). 135 Vgl. Lindström Empire, 78. Vgl. auch Ramhardter Geschichtswissenschaft, 91:Bis zum 22. September seien bereits 215 Exemplare verteilt worden. Zu denim Juli 1915 „als Handschrift privat gedruckt[en]“, verteilten undversandten Exemplaren s. oben, Fn. 128 (Ramhardter). F. Fellner Denkschriften,236 stellt fest, die gedruckte Auflage habe aus 265 Stück bestanden - daswiderspricht der Angabe von Lindström nicht, wenn man die soeben erwähntenweiteren Drucke berücksichtigt. 136 Vgl. F. Fellner Denkschriften, 236, der zu Recht RamhardtersGeschichtswissenschaft, 87, 92-96 Überbewertung der im FriedjungschenNachlass befindlichen Dankesbriefe mit ihren zum Teil enthusiastischenFloskeln moniert.137 Vgl. Lindström Empire, 79 (dort auch zur Unterstützung Friedjungs durchden reichsdeutschen Botschafter in Wien, Heinrich von Tschirschky);

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und führte Gespräche mit Theobald von Bethmann Hollweg und

anderen führenden reichsdeutschen Staatsmännern.138 Zudem hält

Günther Ramhardter die Vermutung für nahe liegend, dass die im

Dezember 1915 der Regierung überreichte, von 855 - d. h. fast

allen - deutschen Hochschullehrern Österreichs unterzeichnete

Forderung nach einem engen und dauernden wirtschaftlichen

Zusammenschluss Österreich-Ungarns mit dem Deutschen Reich von

Friedjung und seinem Kreis initiiert oder zumindest durch die

Denkschrift ausgelöst wurde.139

In der Publizistik und im Kreis der deutschnationalen

österreichischen Politiker wurde die Diskussion über die

Denkschrift noch durch das Jahr 1916 hindurch geführt, jedoch

schrittweise zurückgedrängt durch Friedrich Naumanns öffentlich

zugängliche Mitteleuropa-Schrift.140 Einige Details der

„Denkschrift aus Deutsch-Österreich“ werden unter E. I. 1. a.

zu berücksichtigen sein.141

Ramhardter Geschichtswissenschaft, 89 f. Für Ramhardter waren eineunmittelbare Folge der Denkschrift die Bedingungen, die das reichsdeutscheAuswärtige Amt der Regierung in Wien für den Fall einer Angliederung Polensan Österreich-Ungarn stellte, vor allem diejenige einer (noch) engerenVerbindung zwischen den beiden Reichen nach dem Krieg - vgl. ebd., 89(unter Verweis auf Fritz Fischer).138 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 90 f.139 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 96 i. V. m. 41. Angesichts desEinflusses der „Denkschrift aus Deutsch-Österreich“ und der Eigeninitiativeseiner Verfasser kann insofern die oben, in Fn. 115 zitierte Feststellungvom Bruchs nicht auch auf jene bezogen werden. 140 Vgl. F. Fellner Denkschriften, 239.141 Wobei - wie im Falle des “Linzer Programms“ - bei Zitaten aus derDenkschrift stets die Unsicherheit der Urheberschaft der konkreten Passagein Rechnung gestellt werden sollte. Die bei Fn. 144 zitierte Angabe derEndredakteure, es habe sich eine erfreuliche Übereinstimmung der Ansichtender Verfasser gezeigt, lässt die Zitate der Denkschrift (auch) imZusammenhang mit Friedjung aber legitim erscheinen.

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Später wurde Friedjung Mitglied des in der ersten Hälfte des

Jahres 1917 gegründeten Vereins „Mitteleuropäischer

Staatenbund“, der Naumanns betont demokratisches Mitteleuropa-

Bild ablehnte und ihm ein deutsch-zentralistisches Modell

entgegenzustellen versuchte.142 Während des Krieges machte er

auch eine Frontreise, um sich von den Kämpfen einen

persönlichen Eindruck zu verschaffen.143 1917 soll er nach einer

allerdings vereinzelten Stelle sogar in das Herrenhaus berufen

worden sein.144 Zwei Jahre später erschien dann der erste Band

seines umfassender geplanten Werkes „Das Zeitalter des

Imperialismus. 1884-1914“, das zwar nicht besonders erfolgreich

war; über dessen Bedeutung führt Wolfgang J. Mommsen jedoch

aus, jede Betrachtung der älteren Theorien des Imperialismus

habe von der klassischen politischen Interpretation des

Imperialismus auszugehen, wie sie sich im späteren 19.

Jahrhundert entwickelt habe und dann vor allem durch Friedjung

mittels dieses Werkes in die Forschung eingebracht worden

sei.145

Heinrich Friedjung starb am 14. Juli 1920 in Wien, nachdem sich

zusätzlich zu einer Arteriosklerose und zu Diabetes eine

schwere Nierenerkrankung eingestellt hatte.146

142 Vgl. Glaubauf Bismarck, 240 f.; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 43. 143 Zailer Friedjung, 5 (ohne Angabe eines Datums).144 Vgl. Ritter Historians, 71, Fn. 99.145 Vgl. W. J. Mommsen Imperialismustheorien, 7 [erster Satz des eigentlichenTextes]; von Srbik Friedjung, 543 (Der große Erfolg habe sich nichteingestellt.) - ferner ebd., sowohl die Pionierstellung des Werkeswürdigend als auch seine einseitig politikgeschichtliche Ausrichtungkritisierend. 146 Vgl. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 13; von Srbik Friedjung, 535.

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II. Franz Klein

Franz Klein erblickte das Licht der Welt am 24. April 1854 in

Wien als Sohn des aus Galizien stammenden katholischen Gold-

und Silberschmiedes und beeideten Pretiosenschätzmeisters Karl

Klein und dessen aus alteingesessener Wiener Bürgerfamilie

stammenden katholischen Gattin, Theresia geb. Ipold.147 Nicht

selten wird behauptet, Klein sei väterlicherseits von jüdischer

Herkunft gewesen.148 Dies konnte jedoch trotz eingehender

Forschung durch Rainer Sprung und Peter G. Mayr nicht bestätigt

werden.149 Kleins Bindung an Wien blieb zeitlebens stark.150 Er

wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf.151 Nachdem sein

„großdeutsch“ eingestellter Vater bereits 1868 verstorben war,

erhielt seine „ebenso kluge als energische, radikal liberal

interessierte“ Mutter nur eine „sehr bescheidene“

Witwenpension.152 147 Zur Geburt vgl. Benedikt Klein, 9; Sprung/Mayr Klein, 501 (getauft am 30.April 1854 auf den Namen „Franz Joseph“). Zu den Vorfahrenmütterlicherseits: Sprung/Mayr Klein, 502-505; zu den Vorfahrenväterlicherseits: ebd., 505-508; zum Beruf des Vaters: ebd., 513-515; zuden (Halb-)Geschwistern: ebd., 511 f.148 So Meyer Mitteleuropa, 236 (i. V. m. dem Index, S. 372); ÖsterreichischeNationalbibliothek Handbuch, Bd. 2, 683, Nr. 5197; Tetzlaff Kurzbiographien, 177;s. auch Sprung/Mayr Klein, 516, welche eine parlamentarische Interpellationder Abgeordneten Schlesinger und Genossen an den Ministerpräsidenten von1900 erwähnen, in der von Klein als einem „jüdischen Sectionschef“gesprochen wird.149 S. Sprung/Mayr Klein, 516-519. S. ferner Kosch Deutschland, Sp. 2154, derKlein ohne einen Hinweis auf eine jüdische Abstammung als Katholiken führt(und ihn als „Benediktinerzögling der Schotten in Wien“ bezeichnet); s.noch Klein Saint Germain, 123 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 5. Juni 1919), woer von dem Gerücht berichtet, unter seiner Führung habe sich ein„‚arischer’ Flügel der bürgerl[ich]-demokr[atischen] Partei“ gebildet.150 Vgl. Otto Friedlaender bei Sprung/Mayr Klein, 505; Sprung Klein, 15 f. 151 So Mayr Praxiszeit, 282.152 Zum Todesjahr des Vaters: Sprung Lebensweg, 16; zur Witwenpension:Sprung/Mayr Klein, 515. S. auch Otto Friedlaender bei Sprung/Mayr Klein, 514, Fn.99: Klein sei noch als Kind der Mann im Hause geworden und habe schon alsGymnasiast zu verdienen begonnen; s. ferner Mayr Schulzeit, 45. ZurEinschätzung der Mutter: Benedikt [ein Freund Kleins] Klein, 9; fernerSprung/Mayr Klein, 504: In den nachgelassenen „Biographischen Notizen“ (s.

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Bis zu deren Tode im Jahre 1905 wohnte der lebenslange

Junggeselle Klein mit ihr zusammen.153 Gemäß Otto Friedlaender

war sie „eine freisinnige Achtundvierzigerin, eine Demokratin,

eine stolze und aufrechte Natur von natürlicher Würde, die auch

hochgestellten Personen freimütig begegnete. So war und blieb

auch sein Leben lang Franz Klein... Den Anschauungen von 1848,

die er von ihr geerbt hatte, blieb er treu.“154 Die Fortführung

der Tradition von 1848 durch Klein dürfte dabei vor dem

Hintergrund, dass diese bei den österreichischen Deutschen

länger nachwirkte als im Deutschen Reich, nicht allzu

ungewöhnlich sein, auch wenn Günter Fellner konstatiert, das

ebd., Fn. 29: verfasst vermutlich von Ottilie Friedlaender) heißt es, sie seieine sehr starke Persönlichkeit gewesen, „von einer unabhängigen undvorurteilslosen Gesinnung, welche sich in der revolutionären Epoche desJahres 1848 geformt haben mochte.“ Sie habe es geliebt, „mit einer gewissenTrockenheit und ohne jedes Pathos scharfe und schlagkräftige, sehr oftradikale Aeusserungen [sic] zu tun.“. Zur „großdeutschen“ Einstellung desVaters: Sprung Klein, 15.153 Vgl. Benedikt Klein, 9. S. ferner Sprung/Mayr Klein, 504: In dennachgelassenen „Biographischen Notizen“ heißt es, Klein sei in innigsterLiebe mit seiner Mutter verbunden, sie sei zudem die Vertraute seiner Pläneund Arbeiten gewesen. Mit Ottilie Friedlaender, der Gattin seinesJugendfreundes Josef Friedlaender, hatte Klein ein jahrzehntelanges„Verhältnis“ (was sich u. a. aus Kleins Briefen an sie aus Saint Germainergibt) - zurückhaltender ausgedrückt von Böhm Klein, 237; Sprung Klein,16. Der schon erwähnte Otto Friedlaender war der Sohn von Josef undOttilie.154 S. bei Sprung/Mayr Klein, 504 f. - dort auch: Kleins Mutter sei diestärkste menschliche Bindung in seinem Leben gewesen; sie habe seinen Geistgeformt. Offenbar hat die enge Bindung an die Mutter zusammen mitderjenigen an seine Heimatstadt eine Übersiedlung an einen anderen Ortverhindert - so Sprung Klein, 15 f. S. auch Otto Friedlaender bei Sprung/MayrKlein, 504 f.: „Er war ein Mensch mit starken Wurzeln. Wien und die Mutterwaren sein Schicksal.“ Speziell zur Ablehnung der Berufung an dieUniversität Leipzig 1904 Otto Friedlaender bei Sprung Lebensweg 37, Fn. 123: Siesei vor allem deshalb erfolgt, weil er sich von seiner neunundsiebzig Jahrealten, leidenden Mutter nicht habe trennen und ihr eine Übersiedlung nichthabe zumuten wollen.

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Andenken an die bürgerliche Revolution sei (auch) in Österreich

nur noch unter den Arbeitern hochgehalten worden.155

Nach dem Besuch von Volksschulen in Wien und Rodaun wurde Klein

1864 Schüler am Schottengymnasium in Wien.156 Offenbar bereits

als Zwölfjähriger empfand er das Ausscheiden Österreichs aus

dem Deutschen Bund als sehr bitter.157 Am Ende des Schuljahres

1867/68 musste er das Schottengymnasium wegen „eines Unfuges,

dessen Urheber und Leiter er [gewesen] war“, verlassen und

wechselte an das Akademische Gymnasium (also „umgekehrt“ zu

Friedjung).158 Dort gelangte er in die sog. Wunderklasse, zu

welcher auch der künftige k. k. Ministerpräsident Max Wladimir

(Freiherr) von Beck - in dessen Kabinett Klein dann

Justizminister wurde -, der spätere Finanzminister Robert Meyer

und Thomas Masaryk gehörten.159 Seine schulischen Leistungen

lagen über dem Durchschnitt, sein Abiturzeugnis von 1872 war

hingegen durchschnittlich, wenn auch „eher am oberen Rande des

Klassendurchschnitts“ liegend.160

Ende des Jahres nahm Klein ein Studium der Rechtswissenschaften

an der Universität Wien auf, von dem er später sagte, er habe

155 Zur längeren Nachwirkung bei den Deutschen Österreichs als im„Bismarckreich“: Mommsen Sozialdemokratie, 106. Fellners Einschätzung bei G.Fellner Hartmann, 106.156 Zu den Volksschulen vgl. Mayr Schulzeit, 41-47, insb. 41-43: Volksschule(Pfarrschulen); Sprung Klein, 10: Herbst 1859 in Wien, ab Mai 1860 inRodaun, im folgenden Schuljahr wieder in Wien, diesmal auf einerPrivatschule. Zu den Gymnasien vgl. Mayr Schulzeit, 43-46.157 S. Schiffer Klein, Sp. 621.158 Vgl. Mayr Schulzeit, 44 (dort auch zur Art des „Unfuges“).159 Vgl. Mayr Schulzeit, 45. Zum mutmaßlichen Anteil Becks an der BerufungKleins zum Justizminister s. unten, Fn. 199.160 Zu den Gymnasialzeugnissen: Mayr Schulzeit, 48-55, zum Maturitäts-Zeugnis: ebd., 56, zur Einschätzung beider: ebd., 56 f.

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es nur als „Brotstudium“ gewählt; er sei nicht gerne Jurist

geworden.161 Hier hörte er u. a. bei Lorenz von Stein und Adolf

Exner sowie - über österreichische Geschichte - bei Ottokar

Lorenz.162 Bereits in seinem ersten Studienjahr trat er dem

mehrere Hundert Mitglieder umfassenden, „großdeutsch“

ausgerichteten Leseverein der deutschen Studenten Wiens bei,

dessen Leiter er im Juli 1875 wurde.163 Und schon im Juni 1873

wurde er Mitglied der Burschenschaft „Braune Arminia“, der er

bis zu ihrer faktischen Auflösung 1887 angehörte und deren

Statuten vorsahen, ihre Mitglieder seien „auf ein thatkräftiges

Wirken für eine freiheitliche Einigung Deutschlands

vorzubereiten“.164 Auch die für Klein später so typische

„sozialpolitische Einfühlung“ soll er bereits in seiner

„Jugend“ entwickelt haben.165

Im Juli 1874 bestand er die rechtshistorische Staatsprüfung,

worauf der zweiten Teil des Studiums folgte, in welchem er u.

a. Vorlesungen bei Carl Menger (Finanzwissenschaft), Lorenz von

Stein (Nationalökonomie und Verwaltungslehre) und Ottokar

Lorenz (allgemeine Geschichte des 19. Jahrhunderts) und

161 Vgl. Mayr Praxiszeit, 265 (Zitat von Engel und Rießer). Zur Geschichte derRechtswissenschaft an der Universität Wien von 1884 bis 1984: Ogris Jahre,43-63, für die Zeit um 1900 insb.: 49-53. 162 Vgl. Mayr Praxiszeit, 266. Zu den von Klein während seines Studiumsbesuchten Lehrveranstaltungen s. die Aufstellung bei Sprung Lebensweg, 61 f.(Anhang II).163 Vgl. Mayr Praxiszeit, 268-270 (insb. 270 [Zitat von Adolf Bachrach]: Kleinhabe dort „freundschaftliche Fühlung mit Viktor Adler, mit Pernerstorfer“aufgenommen). Dieser Leseverein wurde dann behördlich aufgelöst im Dezember1878 - vgl. ebd., 269. Später wurde Klein Mitglied des bedeutenden„Juridisch-politischen Lesevereins“ - vgl. ebd., 270. 164 Vgl. Mayr Praxiszeit, 267 f. Mitglieder waren auch die beiden künftigenSozialdemokraten Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer - vgl. ebd. -sowie der spätere Strafrechtler Franz Liszt - vgl. ebd., 268, Fn. 50.165 Vgl. Adolf Bachrach bei Mayr Praxiszeit, 270.

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insbesondere bei dem sozialpolitisch außerordentlich

engagierten Anton Menger über Zivilprozessrecht besuchte,

welche ihm für seine spätere Arbeit an der Zivilprozessreform

zahlreiche Anregungen verschaffte.166 Schon als Student

interessierte sich Klein besonders für das zivilgerichtliche

Verfahrensrecht und trug sich womöglich bereits als solcher

daran, an der längst überfälligen Reform des Zivilprozesses

mitzuwirken.167 Im Juli 1876 dann absolvierte er die

„judizielle“ Staatsprüfung.168 Im Februar 1877 folgte das

„österreichische“ Rigorosum, im Juli das

staatswissenschaftliche, welches durch Ministerialerlass vom

Februar 1878 als Ersatz für die nicht abgelegte Staatprüfung

anerkannt wurde, sowie im Januar 1878 das gemeinrechtliche

Rigorosum sowie die Promotion zum Doktor der Rechte.169

166 Vgl. Mayr Praxiszeit, 270 f. - s. insb. das Zitat Kleins auf S. 271:„Zwei, drei Hörer, manchmal auch ich allein...“ (s. Fn. 67: Nachruf aufAnton Menger, Die Zeit [Wien] vom 8. 2. 1906, 1); ferner ebd., Fn. 66(Kleins Nachruf ebd.): Menger könne zu den Vorläufern der Prozessreform[Kleins] gezählt werden; s. ferner Mayr Praxiszeit, 282; Sprung Lebensweg,23; sowie Böhm Klein, 240: Menger habe Kleins Prozessreform als eineVerwirklichung seiner eigenen Idee einer legislativpolitischen Jurisprudenzbzw. sozialen Rechtswissenschaft betrachtet. S. aber auch Hofmeister Klein,204: Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, vor allem auch zu AntonMenger, habe Klein versucht, den Schutz des sozial Schwächeren unter Wahrungder freiheitlich-rechtsstaatlichen Grundrechtsordnung zu bewirken.167 Zum Interesse Kleins am Zivilverfahrensrecht vgl. Sprung Lebensweg, 22(m. Nw. in Fn. 48); zum Plan einer Zivilprozessreform bereits als Studentvgl. ebd., Fn. 49, unter Verweis auf Blum, JBl 1926, 82, aber auch unterAngabe der Gegenmeinung von Benedikt Klein, 9 der die Entstehung dieses Plansunter Berufung auf Bachrach, JW 1926, 1289 in Kleins Zeit alsAdvokaturskonzipient ansetzt.168 Vgl. Mayr Praxiszeit, 275. Kleins um diese Zeit zweimal unternommenerVersuch, seinen Wehrdienst als Einjährigfreiwilliger abzuleisten, wurdewegen Untauglichkeit abgelehnt - vgl. Mayr Praxiszeit, 274 f. (Ihm als„Mittelschulabsolventen“ wäre diese Verkürzung der üblichen Dienstzeit mitobendrein noch anschließendem Aufstieg zum Reserveoffizier möglich gewesen.Der aktive Regeldienst dauerte hingegen drei Jahre und war zudem nochverbunden mit einer siebenjährigen Reservistenzeit sowie schließlich einerZuteilung zur Landwehr für zwei Jahre - vgl. ebd.). 169 Vgl. Mayr Praxiszeit, 277 f.

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Daran schloss sich seine Advokaturspraxis an.170 Im September

1878 wurde Klein dann Konzipient in einer offenbar angesehenen

Kanzlei und blieb dies bis zum August 1886; in diese Zeit

fielen seine Richteramtsprüfung (im Mai und Oktober 1879) und

seine Advokatenprüfung (im Januar und November 1883).171 1885

wurde er offenbar zum Privatdozenten für österreichisches

Zivilprozessrecht an der Universität Wien berufen.172 Im März

1886 setzte man ihn interimistisch als Kanzleidirektor

(Syndikus) der Universität Wien ein, endgültig dann im August

desselben Jahres. Klein bekleidete diesen Posten bis zum

Februar 1891.173 Er gab ihm nach eigener Aussage „Möglichkeit,

sich durch einen praktischen Beruf weniger behindert der

wissenschaftlichen Arbeit“ zu widmen.174

Und in der Tat entstand am Ende dieser Zeit sein

wirkungsmächtigstes literarisches Werk, die „Betrachtungen über

Probleme der Civilproceßreform in Oesterreich“, die er unter

dem Titel „Pro futuro“ zwischen Oktober 1890 und März 1891

zunächst in den „Juristischen Blättern“ und kurz darauf auch in

Buchform veröffentlichte.175 Kleins Reformvorschläge waren

170 Vgl. dazu Mayr Praxiszeit, 279 f. - zu bereits zuvor ausgeübtenPraxiszeiten s. ebd., 276 f.171 Vgl. Mayr Praxiszeit, 281.172 So jedenfalls - vereinzelt - Schima Artikel NDB, 738. 173 Über Kleins Stellung als Kanzleidirektor der Universität eingehend: MayrBestellung, 142-157.174 Klein Lebensskizze, XIV.175 S. Klein futuro, passim; vgl. ferner Mayr Bestellung, 155; SprungLebensweg, 25 f. (Einzelnachweise in Fn. 69: für 1890 und 1891 jeweils neunFundstellen in den Juristischen Blättern).

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geleitet von seiner Sicht des Prozesses als eines sozialen

Übels und des Rechts als einer Wohlfahrtseinrichtung.176

Zum November 1886 war Klein zudem auf die Lehrkanzel für

österreichisches Zivilprozess- sowie Handels- und Wechselrecht

an der k. u. k. Orientalischen Akademie berufen und im Dezember

1877 zum außerordentlichen Professor dieser Lehranstalt ernannt

worden.177 Der Direktor der Akademie beurteilte seine Tätigkeit

überaus positiv, und im August 1896, nachdem Klein diesen

Posten auf Grund zu hoher Arbeitsbelastung durch seine

inzwischen erlangte neue Stellung hatte aufgeben müssen,

erhielt er die „allerhöchste Anerkennung“ dafür durch Kaiser

Franz Joseph.178

Aufgrund seiner erwähnten Vorschläge zur Zivilprozessreform

wurde Klein dann im Februar 1891 zum Ministerialsekretär im

Justizministerium ernannt, um hier endlich die immer wieder

gescheiterte Erneuerung des österreichischen Zivilprozessrechts

durchzuführen.179 Die drei Entwürfe für die „Jurisdictionsnorm“

(vorwiegend Regelung der Zuständigkeit der Zivilgerichte), die

„Civilproceßordnung“ und die „Executionsordnung“176 Vgl. Bolla-Kotek, Prozess, 415-417, 419-423; s. auch Klein (Vortrag „Zeit-und Geistesströmungen im Prozesse“ von 1901) bei Benedikt Klein, 17: Dasösterreichische Gesetz sei bisher das einzige, das mit vollem Ernst aus demPrivatrechtsstreit eine Wohlfahrtseinrichtung gemacht habe.177 Über Kleins Tätigkeit dort eingehend: Sprung/Mayr Lehrtätigkeit, 89-101,insb. 92-101. S. ferner Benedikt Klein, 11: 1886 sei Klein Mitglied derjudiziellen und 1891 der rechtshistorischen Staatsprüfungskommissiongeworden.178 Sprung/Mayr Lehrtätigkeit, 99 f. bzw.101.179 Vgl. Sprung Lebensweg, 26 - s. auch ebd.: Entwürfe für eine Neuordnungseien zuvor 1858, 1862, 1867, 1870, 1876 und 1881 veröffentlicht worden.Die entsprechenden reichsdeutschen Gesetze waren seit 1874 parlamentarischberaten worden und am 1. 10. 1879 als „Reichsjustizgesetze“ in Kraftgetreten - vgl. Sprung Lebensweg, 22 f

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(Zwangsvollstreckungsrecht) verfasste er allein, wobei er

keinerlei andere Angelegenheiten zu behandeln hatte und nicht

an Dienstzeiten gebunden war.180 Bereits am 20. März 1893

konnten sie als Regierungsvorlage im Abgeordnetenhaus

eingebracht werden.181

Die Klein ebenfalls übertragene Vertretung der Vorlagen im

Reichsrat und in allen Ausschüssen nahm er als ausgezeichneter

und überzeugender Redner erfolgreich wahr.182 Dabei gelang es

ihm sogar, eigens für seine Entwürfe die Verabschiedung eines

Beratungsgesetzes zu bewirken, welches ihre Annahme

beschleunigte.183 Daher konnten die Gesetze schon am 1. August

1895 bzw. am 27. Mai 1896 verabschiedet werden.184

Zudem war Klein bereits vor deren Inkrafttreten am 1. 1. 1898,

mit dem das österreichische Zivilverfahrensrecht auf eine

„völlig neue Grundlage“ gestellt wurde, durch Österreich

gereist, um unter den Juristen für die neuen Gesetze zu

180 Vgl. Reindl Klein, 80-85, insb. 80; Sprung Lebensweg, 27. 181 Vgl. Sprung Lebensweg, 28. Zudem hatte Klein bis dahin auch „ErläuterndeBemerkungen“ zu den drei Entwürfen verfasst - vgl. Bolla-Kotek Prozess, 420. 182 Vgl. Reindl Klein, 81; Sprung Lebensweg, 29. Vgl. auch (ohne entsprechendesSelbstlob) Klein Lebensskizze, XV. 183 Vgl. Benedikt Klein, 11 (Insbesondere habe es Spezialdebatten untersagtund lediglich die Annahme oder Ablehnung der Gesetze en bloc zugelassen.).Vgl. auch Reindl Klein, 80.184 Das „Gesetz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeitder ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdictionsnorm)“wurde am 1. August 1895 beschlossen und am 9. August 1895 im„Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche undLänder“ (RGBl.) - 111/1895 - kundgemacht. Das Gleiche gilt für das „Gesetzüber das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten(Civilproceßordnung)“ (RGBl. 113/1895). Das „Gesetz über das Executions-und Sicherungsverfahren (Executionsordnung)“ wurde am 27. Mai 1896beschlossen und am 6. Juni 1896 kundgemacht (RGBl. 79/1896).

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werben.185 So organisierte er in den bedeutenderen Städten

feierliche Inaugurationen, in welchen die ersten öffentlichen

Verhandlungen nach den neuen Gesetzen in Anwesenheit der

örtlichen Honoratioren abgehalten wurden, ordnete im September

1896 „Wochenversammlungen“ der Richter „zur Erleichterung des

Studiums der Verfahrensgesetze“ an, zu welchen auch die

Rechtsanwälte und Notare eingeladen wurden, und setzte

„Gerichtsinspektoren“ ein, welche unter Wahrung der bereits

damals anerkannten richterlichen Unabhängigkeit als Ratgeber

bei Unklarheiten und in Zweifelsfällen dienen und damit die

Einheitlichkeit der Anwendung der Gesetze sichern sollten.186

Außerdem hielt Klein an der Universität Wien Vorlesungen über

die ersten Erfahrungen mit der praktischen Anwendung der

Gesetze.187

Nur zwei Monate nach seinem Eintritt in das Justizministerium,

im April 1891, wurde Klein der Titel eines außerordentlichen

Universitätsprofessors für Zivilprozessrecht verliehen, zwei

weitere Monate darauf seine venia legendi auf das Gebiet des

185 Vgl. Benedikt Klein, 16 (dort auch: Klein habe 1897 das schwierigsteGebiet, Galizien, bereist, und es sei ihm gelungen, selbst dort in derersten Instanz die Unmittelbarkeit des Verfahrens und dessen Schnelligkeitzu sichern.); Zitat: Mayr Forschungsarbeiten, 109.186 Vgl. Reindl Klein, 81 f. S. aber auch ebd., 82: Danach hat „eine ganzeReihe“ von Erlässen Kleins durchaus die richterliche Unabhängigkeitberührt; s. auch ebd., 86 zu weiterer Kritik seitens der Richterschaft. Zur„Versöhnung“ mit den Rechtsanwälten 1904 vgl. Reindl Klein, 85.187 S. Sprung Lebensweg, 65 (Anhang III über die Vorlesungstätigkeit an derUniversität Wien): „Die praktische Anwendung der neuen Processgesetze“ (SS1899) - offenbar [etwas abweichender Titel] dazu Bolla-Kotek Prozess, 421 -,„Die praktische Anwendung der Exekutionsordnung“ (SS 1902). Zu Kleins - derwissenschaftlichen Unabhängigkeit widerstreitender - erfolgreichenEinflussnahme auf die Neubesetzung des Lehrstuhls für zivilgerichtlichesVerfahren an der Universität Wien zugunsten eines der von ihm geschaffenenGesetze gewogenen Kandidaten vgl. Reindl Klein, 84 f.

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römischen Rechtes ausgedehnt.188 Diese Kombination einer Stelle

als Professor an der Universität Wien mit einem Posten als

hoher Beamter war im späteren Habsburger-Reich nicht selten.189

Im April 1895 wurde ihm in analoger Anwendung eines die

ordentlichen Professoren im Ruhestand betreffenden Gesetzes von

1870 als erstem außerordentlichen Professor in Österreich die

Berechtigung verliehen, an der Universität Vorlesungen als

Honorarprofessor zu halten.190

Zwischen 1898 und dem Ende seiner Lehrtätigkeit mit Ablauf des

Wintersemesters 1917/18 folgten des Öfteren Phasen, in welchen

Klein keine Vorlesungen an der Universität Wien hielt.191 Seine

188 Vgl. Sprung Lebensweg, 27 f. i. V. m. 26. 189 Vgl. Gall Laufbahnen, 72. Vgl. Stimmer Eliten, 405. Vgl. auch StimmerUniversität, 80: Zwischen Hochbürokratie, Universität und politischenEntscheidungsträgern habe es eine partei- und ideologieübergreifendepersonelle Verschränkung und berufliche Zirkulation gegeben - vgl. aberHöflechner Auswirkungen, 185 (Ab ca. 1900 habe die Verdichtung der Autonomie-Idee zur Verschlechterung der Beziehungen der österreichischen Universitätenzur ministeriellen Ebene geführt.). Wobei die Reihenfolge der KleinschenErnennungen möglicherweise eher unüblich war. R. Luft Professoren, 300 weistjedenfalls darauf hin, dass die Berufung eines Professors zum höherenBeamten anders als im Deutschen Reich finanziell wie prestigemäßig eineneindeutigen Aufstieg bedeutet habe - und das angesichts dessen, dass dieherausgehobene Position der Professoren durch die stark bürokratischgeprägte Herrschaftsstruktur der Monarchie, die dem Wirtschaftsbürgertumgeringere politische Möglichkeiten ließ als im Wilhelminischen Deutschland,ohnehin verstärkt wurde (vgl. ebd., 301). Über die - der österreichischenähnliche - Lage in Frankreich sowie zur abweichenden Situation im DeutschenReich - symbolische Kluft zwischen freien und beamteten Intellektuellen,Mangel an Übergangsmöglichkeiten zwischen diesen beiden Lagern - vgl. CharleVordenker, 210 (vgl. aber unten, Fn. 395 [Döring]).190 Vgl. Sprung Lebensweg, 30 f. - s. insb. ebd., 30: Der Minister für Cultusund Unterricht, Ritter von Madeyski, habe in seinem Vortrag die im Gesetzfür die Verleihung dieser Befugnis aufgeführten Voraussetzungen bei Kleinfür gegeben angesehen: „...allgemeines hohes Ansehen in Fachkreisen,vorzügliche Wirksamkeit im Lehramte und zu gewärtigender besonderer Nutzenfür die betreffende Universität sowie für die weitere wissenschaftlicheBethätigung des in Frage kommenden Gelehrten.“. 191 Vgl. Sprung Lebensweg, 64-66 (Anhang III): keine Lehrveranstaltungen inden Sommersemestern zwischen 1898 und 1905, in der gesamten Zeit vom SS1906 bis zum SS 1910, vom SS 1911 bis zum SS 1912, vom SS 1913 bis zum SS

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Vorlesungen sollen „stets überfüllt“ gewesen sein.192 Ferner

stand er „an der Spitze“ der „Wiener internationalen

Universitätskurse“.193 Ihn erreichten zahlreiche, von ihm stets

ausgeschlagene Rufe an andere Universitäten, u. a. nach

Leipzig, Innsbruck und Prag.194

Kleins Karriere im Ministerium ging mit einer Geschwindigkeit

vor sich, wie sie äußerst ungewöhnlich war.195 Dabei spielte

eine wichtige Rolle, dass seine Vorgesetzten ihn unbedingt

halten und einen mehrfach im Raume stehenden Wechsel Kleins auf

ihm angebotene Lehrstühle oder auf einen anderen Posten

verhindern wollten.196 Im Dezember 1902 gründete er zusammen

1914 sowie im SS 1915.192 So der von Sprung Lebensweg, 14, Fn. 4 zitierte Zeitungsartikel „Von deralten Universität“ von R. Scheu, den Sprung jedoch trotz Recherche keinerbestimmten Zeitung und keinem Datum zuordnen konnte; auch dem Verfasserdieser Arbeit ist das nicht gelungen.193 Zitat: Schima Artikel ÖBL, 379.194 Vgl. Sprung Klein, 12 f., 16.195 Vgl. Benedikt Klein, 11; Sprung Lebensweg, 29. Im Einzelnen: 1893Sektionsrat (extra statum), 1894 Ministerialrat (extra statum), 1895 „Titelund Funktion“ eines Sektionschefs, 1896 Wirklicher Sektionschef (adpersonam), 1897 Titel eines Wirklichen Geheimen Rates, nach Edmund Benediktdie höchste im habsburgischen Österreich erreichbare Würde, 1900Beförderung von der einem Sektionschef normalerweise zustehenden IV. in dieIII. Rangklasse, welche die höchste Stufe der österreichischen Beamtendarstellte. Vgl. dazu Benedikt Klein, 11, 20; Reindl Klein 79 (allerdings fürdie Ernennung zum Sektionsrat 1892 angebend - s. aber den Antrag des GrafenSchönborn in der folgenden Fußnote); Sprung Lebensweg, 28 f., 32 f.196 Vgl. den Antrag auf Ernennung Kleins zum Sektionsrat durchJustizminister Graf Schönborn vom 27. 3. 1893 bei Sprung Lebensweg, 28: Esbestehe „ein eminentes Interesse“, diesen „hochbegabten Mann - selbst mitOpfern - dem Justizdienst zu erhalten.“ Er könne zudem „vermöge seinestiefen Wissens, seiner vielfältigen Bildung und glänzenden Begabung“ auchin „anderen Agenden vorzüglich Dienste“ leisten. Vgl. auch Sprung Lebensweg,29: Um der parlamentarischen Behandlung der Zivilprozeßgesetze [fast] seineganze Zeit und Kraft widmen zu können, habe sich Klein vor dieNotwendigkeit gestellt gesehen, seine Lehrtätigkeit an der WienerUniversität einzuschränken. Im Bestreben, eine angemessene Entschädigung zubieten, habe der Justizminister dessen Ernennung zum ‚Ministerialratheextra statum’ angeregt. - und ebd.: Titel und Funktion einesMinisterialrates taxfrei habe Klein erhalten, obwohl ihm als „rangjüngstem“Sektionsrat insgesamt fünf Kollegen im Range vorangegangen seien.

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mit Heinrich Lammasch in Wien die „Allgemeine Anti-Duell-Liga

für Österreich“. Auf der Gründungsversammlung machte er

konkrete Vorschläge zu Aufgaben, Organisation, Zuständigkeit

und Verfahren eines zu errichtenden Ehrenrates zur Verhinderung

von Duellen.197

Schließlich wurde Klein zum 1. Januar 1905 als Leiter an die

Spitze des Justizministeriums berufen, wenn auch noch ohne den

Titel eines Justizministers zu führen.198 Diesen erhielt er dannAusschlaggebend hierfür sei sein Vorhaben gewesen, die Lehrkanzel desrömischen Rechtes an der Prager deutschen Universität zu übernehmen. (vgl.ebd., Fn. 89: „HHStA, Kab-Kanzlei, Vorträge, Nr 4558/1893“); SprungLebensweg, 32: Die Beförderung zum Sektionschef 1896 erfolgte „zurAnerkennung... wie aus Dankbarkeit, daß Klein, dem jederzeit eine materiellergiebigere Laufbahn offenstünde, dem Staatsdienst, dem er zur Zierdegereicht, treu zu bleiben vorzieht“ (vgl. ebd., Fn.101: „HHStA, Kab-Kanzlei, Vorträge, Nr 2461/1896.“); ferner Justizminister Freiherr vonSpens-Booden im Antrag auf Beförderung in die III. Rangklasse bei SprungLebensweg, 33; sowie Sprung Lebensweg, 37 über die Bitte derösterreichischen Regierung an die sächsischen Unterrichtsverwaltung, „mitRücksicht auf die hervorragende Stellung Kleins im Justizdienste und nichtminder wegen seiner wissenschaftlichen und Lehr-Tätigkeit“ von einerBerufungsverhandlung mit ihm abzusehen. 197 Vgl. Klein Bericht Organisation, 33-73, insb. 33, wo er es als einen„über alle Zweifel vernünftige[n] Gedanke[n]“ bezeichnet, „die Genugtuungfür eine Verletzung der Ehre statt im unberechenbaren Ausfall einesWaffenganges im Urteil derer zu suchen, bei denen unsere Ehre ruht, die unsEhre geben“, vgl. ferner insb. ebd., 38-48 (Aufgabe des Ehrenrates), 48-56(Organisation des Ehrenrates) - hier insb. 56 (Es handele sich um eine„freie, private und durchaus selbständige Einrichtung“.) -, 56-62(Verhältnis des ehrenrätlichen Verfahrens zur Tätigkeit der Strafgerichte),62-67 (Unterwerfung unter den Ehrenrat) - hier insb. 67 (Zuständigkeit nurbei freiwilliger Unterwerfung der Streitenden) -, 67-73 (Verfahren) - hierinsb. 68 (Eine gütliche Beilegung sei „aufrichtig zu begrüßen“.). 198 Vgl. Benedikt Klein, 20; Sprung Lebensweg, 38. Ein erstes Angebot zurÜbernahme der Leitung des Justizministeriums im November 1897 hatte Kleinnoch abgelehnt - vgl. Friedjung Geschichte, Bd. 1, 264 (Gespräch mit GustavSeidler, Professor der Staatsrechnungswissenschaften an der Universität Wien,vom Mai 1899); Sprung Lebensweg, 32; s. auch Friedjung Geschichte, Bd. 1, 234(Gespräch mit Seidler vom 8. Februar 1898): Klein habe aus„Gesundheitsrücksichten“ abgelehnt - s. aber Benedikt Klein, 20: Klein habesich nicht durch einen etwaigen Regierungswechsel aus seiner leitendenTätigkeit reißen lassen wollen - noch etwas anders: Klein selbstLebensskizze, XV; Sprung Lebensweg, 32 f.: Er habe sich ausschließlich dernoch bevorstehenden praktischen Einführung der neuen Prozessgesetze widmen

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aber, als Freiherr von Beck am 2. Juni 1906 Ministerpräsident

wurde.199 Von 1867 bis 1918 waren offenbar 13/14 oder 15/16

Wiener Professoren Minister und drei Ministerpräsidenten, von

1895 bis 1914 jedoch nur vier Minister, darunter neben Klein

Böhm von Bawerk 1895, 1897 bis 1898 und 1900 bis 1904 als

Finanzminister.200 Während seiner Zeit als Minister - welche in

die in Österreich von 1897 bis 1911/4 dauernde Periode der sog.

Beamtenkabinette fällt - legte Klein zahlreiche

Gesetzesentwürfe vor, von denen viele auch in Kraft traten.201

Besonders erwähnenswert ist dabei das Gesetz zum Schutze der

Wahl- und Versammlungsfreiheit zur Absicherung der Wahlreform

wollen.199 Vgl. Benedikt Klein, 20. S. auch Sprung Klein, 15 f.: Sein Verweis vomSchotten-Gymnasium sei für Klein ein Glücksfall gewesen, weil er durchseinen dadurch bedingten Wechsel in das Akademische Gymnasium einKlassenkamerad von Beck geworden sei.200 Vgl. Gall Laufbahnen, 72 bzw. Heinrich Lehrkörper, 233-235 (Tabelle) - insb.ebd.: Zwei der drei Ministerpräsidenten waren demnach zuvor bereits Ministergewesen. Zur Zeit von 1895 bis 1914: Heinrich ebd.; vgl. noch StimmerUniversität, 75: Zwischen 1879 und 1911 hätten 9% der „Positionsinhaber derKabinette“ aus Universitäten gestammt (vgl. auch Stimmer Eliten, 378 und 387:Dabei sei „der Polen- und Tschechenclub“ überrepräsentiert gewesen.). Vgl.auch Knoll Konstruktion, 51: Neue, informell entstandene Eliten seien inÖsterreich um 1900 erkennbar und einflussreich geworden, nachdem sie sehrschnell Stil und Schule gebildet und unverwechselbare Merkmale erhaltenhätten; jedoch hätten sie sich erst nach einem langwierigenDiffundierungsprozess politisch-offiziell artikulieren können „- zu spät,wenn man an die Heranziehung der Ökonomen in das Regierungskabinett denkt,an Böhm-Bawerk, Wieser und Philippovich oder Lammasch und Seipel.“. 201 So wurden im März 1906 das Gesetz über die Gesellschaften mitbeschränkter Haftung und im Monat darauf das Scheckgesetz, beide von Kleinentworfen, verabschiedet - vgl. Benedikt Klein, 20; auch Baltzarek Klein, 176.Das Institut der GmbH führte er damit in Österreich ein - vgl. MayrForschungsarbeiten, 110 -, auch wenn das GmbH-Gesetz, wie Klein selbstzugab, im Wesentlichen eine Übernahme des deutschen Vorbildes darstellte -vgl. Hofmeister Klein, 208. Auch das Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz stammteaus seinem Ministerium - vgl. Baltzarek Klein, 176. Zu den sog.Beamtenkabinetten vgl. Mantl Modernisierung, 98; zudem Lindström Empire, 10.Zu Beamten in Regierungen und Parlamenten des Wilhelminischen Reiches vgl.vom Bruch Wissenschaft, 202 bzw. 327 f.

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vom 26. Januar 1907, welche das allgemeine, gleiche, direkte,

freie und geheime Wahlrecht für Männer gebracht hatte.202

Klein verblieb in dieser Stellung bis zum 15. November 1908,

als die Regierung Beck ihre Gesamtdemission erklärte.203 Im

August 1905 war Klein zudem zum Mitglied des Herrenhauses auf

Lebenszeit berufen worden, wo er sich in der Folge, wie die

meisten der aus der Wissenschaft berufenen Persönlichkeiten,

der „Mittelpartei“ anschloss.204 Er wirkte dort unter anderem

als Vorsitzender der Zentralstelle für Wohnungsreform.205 202 Vgl. Böhm Klein, 240 f. Zur Wahlreform 1907 vgl. Knauer Parlament, 16;zu den vorausgegangenen Wahlreformen von 1873 (Einführung der Direktwahl inden Städten) sowie 1882 (Mindeststeuerherabsetzung) und 1896(Mindeststeuerherabsetzung; Einführung einer fünften Kurie, der allgemeinenWählerklasse): ebd., 15 f.203 Vgl. Benedikt Klein, 20; Sprung Lebensweg, 38 f. 204 Vgl. Benedikt Klein, 20; F. Fellner Klein, 184; Heinrich Lehrkörper, 225; SprungLebensweg, 38. Zur Zusammensetzung des Herrenhauses vgl. Knauer Parlament, 14(1. die großjährigen Prinzen des kaiserlichen Hauses, 2. die großjährigenHäupter derjenigen durch ausgedehnten Grundbesitz hervorragendenAdelsgeschlechter, denen der Kaiser die erbliche Reichsratswürde verliehenhatte, 3. alle Erzbischöfe und die Bischöfe mit fürstlichem Rang für dieDauer ihres Amtes, 4. vom Monarchen wegen ihrer Verdienste um Staat oderKirche, Kunst oder Wissenschaft auf Lebensdauer ernannte Mitglieder; seit1907 habe es 150-170 Mitglieder umfasst und sei die Unvereinbarkeit derAusübung von Herrenhaustätigkeit und Abgeordnetenmandat festgeschriebengewesen.). In der Zeit seines Bestehens von 1861 bis 1918 waren 44/45 oder46 Wiener Professoren Mitglieder des Herrenhauses - vgl. Gall Laufbahnen, 71bzw. Heinrich Lehrkörper, 208 - auch ebd.: 34 der 46 hätten sich derVerfassungspartei angeschlossen sowie ebd., 224-226 (Tabelle): 7 von ihnenwurden hiernach zwischen 1861 und 1878/79, 34 von 1879 bis 1912 ernannt;vgl. ferner Stimmer Universität, 76: Zwischen 1861 und 1918 seien 9% derMitglieder akademische Lehrer gewesen, 5 % solche an der Universität Wien,85 % der Ersteren hätten liberalen Parteien angehört; Weinzierl Universität,5: Zwischen 1901 und 1907 seien von insgesamt 347 Mitgliedern 31 Professorengewesen, von denen 18 der Verfassungspartei angehört hätten. Unter denWiener Professoren im Herrenhaus haben gemäß Heinrich Lehrkörper, 209, 216Juristen „die meiste und weitesttragende Tätigkeit“ entfaltet, währendAngehörige der philosophischen Fakultät kaum aktiv gewesen seien (vgl. ebd.,214). Sie weist zudem darauf hin, dass das Herrenhaus angesichts derArbeitsunfähigkeit des Abgeordnetenhauses in den späten Jahren desHabsburger-Reiches für das öffentliche Leben an Bedeutung gewonnen habe -vgl. ebd., 206. 205 Vgl. Benedikt Klein, 22; auch Baltzarek Klein, 179.

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Die Anerkennung von Kleins wissenschaftlichen Arbeiten in der

institutionalisierten Gelehrtenwelt war groß: So wurden ihm

allein fünf Ehrendoktorate zuteil.206 Zudem wählte ihn die

Wiener Akademie der Wissenschaften 1920 zum Ehrenmitglied.207

Auch von staatlicher Seite wurde Klein für sein vielfältiges

Wirken mehrfach ausgezeichnet. 208 So wurde er an seinem 70.

Geburtstag am 24. April 1924 zum Ehrenbürger von Wien ernannt,

hauptsächlich in Anerkennung seiner Leistungen auf dem Gebieten

der Wohnungsreform und der Jugendfürsorge.209 Die letzte Ehrung

zu seinen Lebzeiten wurde ihm im November 1924 mit der

206 Vgl. Sprung Klein, 15. Und zwar der Universität Czernowitz im Dezember1900 (vgl. Sprung Lebensweg, 33 f.), der Universität Kiel im November 1913(vgl. Sprung Lebensweg, 39 f., und zwar das der Staatswissenschaften für„die Erkenntnis der Zusammenhänge von Recht, Staat und Gesellschaft“, „dieAuffassung des Privatrechtes als eines Niederschlages sozialer, zumalwirtschaftlicher Tatsachen“), der Universität Graz im Mai 1914 (vgl. SprungLebensweg, 44), der Universität Bonn im August 1919 (vgl. Sprung Lebensweg,49, und zwar der Staatswissenschaften, gewidmet „Dem Rechtsforscher. DemSozialpolitiker. Dem Gesetzesdenker“) sowie der Universität Heidelberg imDezember 1922 (vgl. Sprung Lebensweg, 49, und zwar derStaatswissenschaften). 1902 wurde er außerdem zum Mitglied der „AmericanAcademy of Political and Social Science“ in Philadelphia gewählt - vgl.Sprung Lebensweg, 34.207 Vgl. Schey Nekrolog, 183; Sprung Lebensweg, 49, insb. Fn. 177: DerWahlvorschlag von Wlassak, Voltelini et al. vom 10. 5. 1920 habe zurBegründung u. a. ausgeführt: „Bei Lebzeiten Joseph Ungers ist neben diesemMeister häufig Franz Klein genannt worden, im In- wie im Ausland. Seit demTode des Begründers der österreichischen Zivilistik ist Klein dasanerkannte Haupt der Juristengilde unseres Staates. ...ist er durchauswürdig, auch als Ehrenmitglied der Gesamtakademie an die Stelle JosephUngers zu treten.“ Vgl. zudem die Aufführung der außerordentlichzahlreichen Würdigungen Kleins zu seinem sechzigsten Geburtstag am 24. 4.1914 in Fachzeitschriften und in der Tagespresse bei Sprung Lebensweg, 42,Fn.148.208 1904 wurde er Träger des kaiserlich japanischen Ordens vom heiligenSchatze I. Klasse - vgl. Sprung Lebensweg, 35. Bei seinem Ausscheiden ausdem Justizministerium 1908 wurde ihm das Großkreuz des Leopoldordensverliehen, die zweithöchste österreichische Auszeichnung - vgl. BenediktKlein, 25; Sprung Lebensweg, 39. Im Mai 1916 erhielt er das Großkreuz desKöniglich-Schwedischen Nordstern-Ordens - gl. Sprung Lebensweg, 44 f.209 Vgl. Benedikt Klein, 28; auch Sprung Lebensweg, 50.

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Verleihung des Großen Goldenen Ehrenzeichens am Bande der

Republik Österreich für Verdienste um die Republik Österreich

zuteil.210

Eine zweite, jedoch sehr kurze Amtszeit als Justizminister

folgte während des Ersten Weltkrieges im zweiten Kabinett

(Ernest) von Koerber, und zwar vom 31. Oktober bis zum 20.

Dezember 1916, als dieses auf Grund von starken Differenzen

zwischen dem Ministerpräsidenten und dem seit dem Tod Franz

Josephs am 21. November amtierenden Kaiser Karl I. geschlossen

zurücktrat.211 Unter diesem Kabinett erfolgte ein - von Klein

nachdrücklich unterstützter - Trend hin zu einer

„Reparlamentarisierung“ im von der Suspendierung des

Abgeordnetenhauses geprägten Österreich der ersten

Kriegsjahre.212

Auch Klein betätigte sich während des Krieges in Wiener Kreisen

von Männern, welche über die österreichisch-ungarischen

„Kriegsziele“ debattierten und Einfluss auf Politiker, hohe

Beamte, Militärs und Wirtschaftsführer zu nehmen versuchten.213

Im Januar 1917 gehörte er zu den Gründern der Wiener

210 Vgl. Sprung Lebensweg, 50; einen anderen Verleihungstermin nennt BöhmKlein, 238 (ebenfalls an Kleins 70. Geburtstag). Zu weiteren staatlichenAuszeichnungen Kleins s. Sprung Lebensweg, 33, 36, 38 f.211 Vgl. Benedikt Klein, 25 - s. auch ebd.: Kleins Wiederverwendung habe sichder Kaiser 1908 vorbehalten, und zwar - s. Sprung Lebensweg, 39, Fn. 138 -unter „Fortbezug des bisherigen Aktivitätsgehaltes ... sowie einer Zulage“;Sprung Lebensweg, 45, insb. Fn. 157: Diese Ernennung Kleins sei allseits[angesichts der ebd. angeführten Quellen: in Fachkreisen] mit großerBefriedigung aufgenommen worden.212 Vgl. Lindström Empire, 6.213 Zum hohen Stellenwert lockerer elitärer Gesprächszirkel im Rahmen desbürokratisch-konstitutionellen Regierungssystems (des Deutschen Reichs):vom Bruch Gelehrtenpolitik, 43.

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„Waffenbrüderlichen Vereinigung“, die nicht einem unmittelbar

militärischen Zweck diente und nach dem Krieg in „Großdeutsche

Vereinigung“ umbenannt wurde.214

Nach Zusammenbruch der Donaumonarchie folgte sein einziges -

und kurzes - parteipolitisches Engagement in seinem Leben,

welches zwischen November/Dezember 1918 und Februar 1919 im

Rahmen der von ihm mitbegründeten „Bürgerlich-demokratischen

Partei“ stattfand und seine - auf Grund des Fehlens von

lediglich 70 Stimmen erfolglose - Kandidatur bei den Wahlen zur

Nationalversammlung der Republik am 14. Februar 1919

umfasste.215 Bis zu seinem Austritt bald nach den Wahlen war

Klein Präsident dieser Partei, im besonders auf ihn

zugeschnittenen Wahlkampf zeigte er einen hohen Einsatz.216 Seit214 Vgl. zu allem Benedikt Klein, 25 sowie die Artikel „Gründende Versammlungder österreichischen Waffenbrüderlichen Vereinigung. Wien, 29. Januar, inder Neuen Freien Presse Nr. 18836 vom 30. Januar 1917, 7 f., insb. 8(Ansprache des Ministers a. D. Dr. Franz Klein) und „Die WaffenbrüderlicheVereinigung in Berlin. Vorträge des Justizministers a. D. Dr. Franz Kleinund des Hofrates Dopsch“. Berlin, 24. Februar, in der Neuen Freien PresseNr. 18862 vom 25. Februar 1917, 8 f., insb. 9 („...Bewußtsein deraltgeschichtlichen Gemeinschaft und der gegenwärtigen zahllosen materiellenund geistigen Verflechtungen...“). Zur Umbenennung vgl. Meyer Mitteleuropa,293; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 195.215 Zum knappen Scheitern Kleins vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 567, Fn. 18(m. Nw.) - ebd. auch: Wegen der lediglich 70 fehlenden Stimmen und wegendes Bekanntwerdens einiger Unzulänglichkeiten beim Auszählen der Stimmenhabe die BDP Einspruch gegen die Ermittlung des Wahlergebnisses imWahlkreis 2 eingelegt. Eine Überprüfung habe zwar kleinere Mängel ergeben,doch sei durch diese das Gesamtergebnis in keiner Weise beeinflusst worden.216 Zur Präsidentschaft Kleins vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 524. Zu Kleinals „Spitzenkandidat“ und seiner intensiven Wahlwerbung vgl. ebd., 525 (mitNw. in Fn. 66) (Klein sei im „sichersten“ Bezirk seiner Partei [richtigwohl: im für seine Partei „sichersten“ Wahlkreis] nominiert worden, undzwar im Wahlkreis 2 [Innen-West], und habe seine Position alsSpitzenkandidat sehr ernst genommen, indem er u. a. jeweils diegrundlegenden Reden bei den Ortsgruppengründungen jener Bezirke gehaltenhabe, die zu seinem Wahlkreis gehört hätten. [Anführungszeichen imOriginal]). Zum Austritt Kleins aus der BDP: Sprung Lebensweg, 47 (Dieschwere Enttäuschung des Wahlausgangs habe Klein dazu veranlasst.); anders

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Ende November/Anfang Dezember 1918 war Klein außerdem

Vorsitzender des Vorbereitungsdienstes für die erwartete

Friedenskonferenz mit den Entente-Mächten beim Staatsamt für

Äußeres der Republik Deutsch-Österreich.217

Und so war er, gerade auch als seit dem 31. März 1919

amtierender Stellvertreter von Otto Bauer, dem

sozialdemokratischen Staatssekretär [= Minister] des

Außenamtes, zunächst auch als Leiter der österreichischen

Delegation bei den in Saint- Germain-en-Laye stattfindenden

Friedensverhandlungen vorgesehen gewesen; er stieß jedoch wegen

seiner dezidierten Anschlussfreundlichkeit und unter Hinweis

auf die in vertraulichen Gesprächen angeblich geäußerte

Ablehnung Kleins als Delegationsleiter durch den Chef der

französischen Kommission in Wien, Henry Allizé, „auf den

heftigsten, ja feindlichen Widerstand der

Christlichsozialen“.218 Daraufhin wurde am 8. Mai der

Hawlik Parteien, Teil 2, 536 (mit Nw. in Fn. 95: Toni Stolper) (Der Erfolgausgerechnet des Fabrikanten Friedmann als des einzigen aller BDP-Kandidaten habe den Ausschlag für das Ausscheiden des führendenDreigespanns Stolper, Klein, Wettstein gegeben, die Friedmann „in derGesellschaft ansehnlicher Führer“ bis dahin als gewandten Routinierertragen, ihn jedoch als einzigen Vertreter der Partei [in derNationalversammlung] als tödlich empfunden hätten.); noch etwas andersMorgenbrod Großbürgertum, 202 (Nach der Wahlniederlage seien die liberal-progressiven Kräfte um Stolper isoliert gewesen und hätten sich schließlich- vermutlich auf Druck Friedmanns - ganz aus der Partei zurückgezogen.). Zuden Wahlreden Kleins vgl. Benedikt Klein, 26: Die erste Rede habe er am 3.Januar 1919 gehalten, die letzte am 13. Februar. Vgl. schließlich auch KleinSaint Germain, 124 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 5. Juni 1919): Erhabe seit Langem schon keine Fühlung mehr mit der BDP.217 Vgl. F. Fellner Vertrag, 287; über diese existieren kaum Unterlagen - vgl.F. Fellner Klein, 184.218 Vgl. F. Fellner Klein, 187. Vgl. ebd. dazu, dass bereits Kleins Bestellungzum Stellvertreter Bauers auf starken Widerstand der Christlichsozialengestoßen war. Benedikt Klein, 26 berichtet von einem Veto der Ententestaatengegen Kleins Berufung zum Delegationsleiter. Dass die PariserVorortverträge und die ihnen voran gegangenen Friedensverhandlungen in

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sozialdemokratische Staatskanzler, Karl Renner, mit der Leitung

betraut und Klein nur als Stellvertreter des Staatssekretärs

für Äußeres sowie als einer der vier Generalkommissäre und als

Berater in die Abordnung berufen, welcher er dann von Mitte Mai

bis Anfang August angehörte und die er während der zweimaligen

Abwesenheit Renners stellvertretend leitete.219

Da er sein gesamtes, lange erspartes Vermögen in Kriegsanleihen

gezeichnet hatte und diese durch die Inflation während des

Krieges und der Nachkriegszeit so gut wie wertlos geworden

waren, musste Klein seinen Lebensunterhalt nun im Wesentlichen

durch Rechtsgutachten verdienen.220 Gerade diese Situation

machte ihm sehr zu schaffen, wie aus zahlreichen seiner Briefe

einem größeren Ausmaß als je zuvor von der Untersuchung rechtlicher Aspekteund von dem Bemühen klarer, bis ins Detail reichender juridischerEntscheidung geprägt waren, betont F. Fellner Klein, 184. Vgl. auch SprungLebensweg, 47, Fn. 170 („Unsere Friedensdelegation. Aus einem Gespräche miteinem Tiroler Politiker“, Die Reichspost vom 7. 5. 1919): „... kein Mann inDeutschösterreich außer Dr. Bauer so sehr für die Art der Anschlußpolitik,die jetzt zum Schiffbruch verurteilt wurde, sich exponiert undverantwortlich gemacht hat, wie Dr. Klein. Das ist ein bedenklich schweresReisegepäck für einen Mann, der nach St. Germain fährt, wo Anschlußsachenals Konterbande behandelt werden.“ Zu einem in einer vereinzelten Stelleabgegebenen weiteren Grund für die Ablehnung Kleins als Delegationsleitervgl. unten, Fn. 577.219 Vgl. Benedikt Klein, 26 f.; F. Fellner Klein, 187; F. Fellner/MaschlFriedensdelegation, 24. Sprung Lebensweg, 48, insb. Fn. 172 (Kurrende OttoBauers vom 31. 3. 1919). Eine Aufstellung der etwa 40 Mitglieder derösterreichischen Friedensdelegation findet sich bei F. Fellner/MaschlFriedensdelegation, 24 f. - unter ihnen waren immerhin 6Universitätsprofessoren (inkl. Kleins), davon zwei als Sachverständige, undein offenbar nichtuniversitärer Professor. 220 Vgl. Baltzarek Klein, 181; Sprung Klein, 14.

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hervorgeht.221 Er war durch den Umbruch nach dem Krieg überhaupt

in seinem Kern erschüttert.222

Neben der Erstellung der Gutachten warb er, entsprechend seinem

spätestens im Juni 1919 gefassten Entschluss, beständig weiter

für die Vereinigung Deutsch-Österreichs mit dem Deutschen

Reich.223 So gründete er zusammen mit dem reichsdeutschen

Justizminister Eugen Schiffer die „Österreichisch-deutsche

Arbeitsgemeinschaft“ zur geistigen Vorbereitung des

„Anschlusses“.224

Klein war Präsident bzw. Obmann der Juristischen Gesellschaft

zu Wien, seit 1903 Ehrenmitglied der Berliner Juristischen

Gesellschaft sowie Verfasser des Aufrufs zur Gründung eines

221 Vgl. Saint Germain, 176 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 20.Juni1919): „Wird man arbeiten müssen, weil alles andere wie Gehalte, Zinsenusw. aufhören? Und was? Wer wird nach dieser Arbeit Verlangen haben? Hierinliegt das Fürchterliche für uns. Man kann alles an Veränderungen mitmachen,aber das Verdienstproblem ist für unseresgleichen die [sic] Sphinx.“ ebd.,221 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 5. Juli 1919): „Ich sehe keineVerdienstmöglichkeit. Wer kann meine Arbeit brauchen? ... Unser Haushaltwird das erste Opfer sein.“.222 Vgl. Saint Germain, 161 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 15. Juni1919): „Alle Begriffe ... sind zu Schanden geworden, alle Herrschaftsformensind im Sterben...“; ebd., 164 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 16. Juni1919): „Vieles von dem, was ich für richtig hielt, hat die Probe nichtbestanden... Es ist ein völliges Umdenken nötig, gegen das sich aber derCharakter sträubt... Meine geistige Grundlage ist ... zerstört...“; 229(Brief an Ottilie Friedlaender vom 8.Juli 1919), wo er von einem „Umsturzder Logik, der Begriffe, eine[m] erkenntnistheoretischen Umsturz“ spricht,„der wahrscheinlich ein dauernder sein wird.“; 231 (Brief an OttilieFriedlaender vom 9. Juli 1919): „Ich sehe keinen Halt...“.223 Zu seinem Entschluss vgl. Saint Germain, 179 (Brief an OttilieFriedlaender vom 21. Juni 1919); 188 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 24.Juni 1919). Zur Durchführung dieses Entschlusses: Benedikt Klein, 27. 224 Vgl. Böhm Klein, 237 [hier: „Eduard Schiffer“ - richtig aber: „EugenSchiffer“]; Schima Artikel NDB, 738.

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„Oesterreichischen Juristenbundes“.225 Auch der Ständigen

Deputation des Deutschen Juristentages gehörte er an.226

Klein erlitt im November 1923 einen Schlaganfall, der ihn

monatelang körperlich und geistig lähmte.227 Im Februar 1924

besserte sich sein Zustand jedoch deutlich, so dass er auch die

Feier zu seinem 70. Geburtstag bei klarem Bewusstsein begehen

konnte.228 Ein zweiter Schlaganfall im Oktober 1925 führte dann

jedoch zu seiner völligen geistigen Umnachtung.229 Franz Klein

starb am 6. April 1926 in Wien.230

III. Ludo Moritz Hartmann

Ludwig Moritz Hartmann wurde am 2. März 1865 als Sohn des aus

jüdisch-deutscher Familie in Böhmen stammenden, frühzeitig

konfessionslos gewordenen berühmten Dichters und Kämpfers der

Revolution von 1848 Moritz Hartmann und dessen Gattin, Bertha

geb. Rödiger, die aus protestantischer, aus dem Rheinland nach

Genf geflohener Familie stammte, in Stuttgart als Schweizer225 Präsident bzw. Obmann: vgl. Benedikt Klein, 24 bzw. Sprung Lebensweg, 52(s. ebd., 50 f.: im Behörden- und Personalverzeichnis der Universität Wienzum Beginn des Wintersemesters 1925/26 als Obmann verzeichnet);Ehrenmitglied: vgl. Sprung Lebensweg, 35; Verfasser des Aufrufs: vgl. SchifferKlein, Sp. 621.226 Vgl. Schima Artikel NDB, 739; Sprung Lebensweg, 51 f. (s. ebd., 50 f.Behörden- und Personalverzeichnis der Universität Wien zum Beginn desWintersemesters 1925/26). Die Organisation des in Wien abgehaltenen 31.Deutschen Juristentages vom 3. bis 6. 9. 1912 hatte Klein selbst übernommen- vgl. Sprung Lebensweg, 37, Fn. 124. Vgl. noch Sprung Lebensweg, 49, Fn.179 (Bei der Wahl der Richter des ständigen Internationalen Gerichtshofes1921 habe Klein nicht die nötige Stimmenzahl erreicht.).227 Vgl. Sprung Lebensweg, 49.228 Vgl. Sprung Lebensweg, 49-51.229 Vgl. Sprung Lebensweg, 52.230 Vgl. Benedikt Klein, 28; Sprung Lebensweg, 52. Zu der außerordentlichenFülle an Nachrufen in österreichischen, reichsdeutschen und weiterenZeitungen vgl. ebd., 52-54, Fn. 191; über die die gesamte österreichischeStaatsspitze umfassende Trauergesellschaft vgl. ebd., 54 f.

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Staatsbürger geboren.231 Offenbar seit seiner Kindheit wurde er

Ludo statt Ludwig genannt.232 Nach Ernst Stein, einem Schüler

Hartmanns, war die Atmosphäre im Hause Hartmann „auch von

französischer Bildung gesättigt“; bei „entschiedenstem

deutschen Bewußtsein“ sei der geistige Horizont doch

übernational gewesen.233 Bereits 1868, im auf die allgemeine

Amnestie folgenden Jahr, ließ sich die Familie in Wien

nieder.234

Nach dem frühen Tod des Vaters 1872 sorgte seine ihrerseits

„politische radikal-demokratische Überzeugungen“ sowie ein

„warmes sozialpolitisches Empfinden“ hegende Mutter für eine

Erziehung des Sohnes ganz im Sinne von Moritz Hartmann und der

Tradition von 1848.235 Hartmann selbst formulierte in einem

„autobiographischen Versuche“, die schwere Krankheit seines

Vaters habe es mit sich gebracht, „daß ich mehr als sonst

231 Zur Geburt vgl. Hartmann in einem „autobiographischen Versuche“ bei BauerHartmann, 197; Stein Hartmann, 312 f. Zum Vater vgl. Hartmann FrageRasseforscher, 167 sowie in dem autobiographische Versuche bei BauerHartmann, 197; Stein Hartmann, 312 f. Zur Staatsbürgerschaft: G. FellnerHartmann, 109 sowie ebd., 398, Endn. 189: Fueter behaupte, Hartmann habestolz an seiner Schweizer Staatsbürgerschaft festgehalten. Erst 1900erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft - vgl. G. Fellner Hartmann,130. Zur rheinischen Flüchtlingsfamilie, aus der Hartmanns Mutter stammte:Bauer Hartmann Mitbegründer, 335, dort insb.: Die letzten Größen derRevolutionszeit - Turgenieff, Alexander Herzen, Carl Vogt, Walesrode undandere - seien Freunde ihres väterlichen Hauses gewesen.232 Vgl. G. Fellner Hartmann, 130.233 Vgl. Stein Hartmann, 313.234 Vgl. Hartmann Andenken, 16 f. Hartmanns spätere Meinung von den WienerVerhältnissen war eher gering - s. seinen bei G. Fellner Hartmann, 115zitierten Brief.235 Zur Erziehung nach den Vorstellungen des Vaters: Hartmann Andenken, 19-21- Überzeugungen und Empfindung der Mutter: ebd., 27. Über die Beziehung zuseiner Mutter ebd., 21: „Die Liebe meiner Mutter zu mir und meine Verehrungund Liebe für meine Mutter sind immer als etwas Selbstverständliches undNatürliches erschienen.“ Über Moritz Hartmann und die Ideale von 1848 s.Haacke Artikel, 738; Hiller Artikel, 697.

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kleine Kinder unter dem Einflusse meines Vaters stand, an den

Gesprächen seiner Freunde teilnehmen konnte, allerdings

natürlich als passiver Zuhörer. Die Worte Republik, Revolution,

1848, Demokratie prägten sich mir ein [,] und als mein Vater

eines frühen Todes ... verstarb und meine Mutter es übernahm,

meine Erziehung im Sinne meines Vaters zu leiten, verblieben

sie die Leitworte für die Ansätze meiner Weltanschauung...“236

Dabei war unter den Zielen der Revolution von 1848 für Moritz

Hartmann offenbar der nationale Gedanke besonders wichtig

gewesen.237

Zu dieser Erziehung gehörte auch der enge Umgang mit den alten

Freunden des Vaters.238 Ernst Stein urteilte: „Der Kreis, in dem

Mutter und Sohn in Wien verkehrten, darf als die Elite der

hiesigen liberalen großbürgerlichen Gesellschaft jener Tage

bezeichnet werden.“ Hartmann habe die freundschaftlichen

Beziehungen zu diesem Kreis stets aufrecht erhalten und sei von

ihm in seinem Denken nachhaltig beeinflusst worden.239 So galt

Hartmann seinen Wiener Schulfreunden denn auch „wenn ich so

sagen darf, als der Dauphin des Jahres 1848.“240

236 Bei Bauer Hartmann, 197. 237 S. Hartmann Andenken, 15 f.: „Kein politisches Ereignis hätte meinenVater schwerer treffen können als der Kampf zwischen Deutschen undDeutschen [1866] ... ...so konnte er doch den Ausschluß der DeutschenÖsterreichs aus Deutschland nicht verschmerzen ... Seine Stimmung warverzweifelt...“; s. ferner Hiller Artikel, 697: 1848 sei Moritz Hartmann nachBöhmen zurückgekehrt, um mitzuhelfen, die dortigen Deutschen dem großenVaterland zu erhalten. 238 Vgl. Hartmann Andenken, 23; Bauer Hartmann, 199.239 Stein Hartmann, 314.240 So Bauer Hartmann Mitbegründer, 335.

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Der Vater hatte zudem die strikte Konfessionslosigkeit der

Erziehung seines Sohnes angeordnet.241 Dies bedeutete, dass

Hartmann, weil er in einer Schule am Religionsunterricht eines

Bekenntnisses hätte teilnehmen müssen, bis zur Vollendung

seines vierzehnten Lebensjahres Privatunterricht genoss.242

Dieser Unterricht wurde offenbar frei und „nicht

schablonenmäßig“ gestaltet.243

Daher besuchte er erst von der fünften Gymnasialklasse an eine

öffentliche Schule, das Gymnasium in der Wasagasse im IX.

Wiener Gemeindebezirk, wo er unter bedeutenden Lehrern „durch

Wissen, Geistesgegenwart und Charakter an die erste oder zweite

Stelle“ gerückt sein soll.244 In der Schule bejahte er die Frage

„Ist es erlaubt, Kultur mit Gewaltmitteln zu verbreiten?“ unter

Verwendung von Auszügen aus Ferdinand Lassalles „Macht und

Recht“.245 Schon auf dem Gymnasium stand Hartmann - wie die

meisten seiner Klassenkameraden - in Opposition zu den

Habsburgern und brachte seine Verehrung der „Märzgefallenen“

von 1848 durch die Niederlegung eines Kranzes auf deren Grab in

Wien zum Ausdruck.246 Ebenfalls bereits damals fühlte er sich

zum Historiker berufen.247 Seine Matura bestand er schließlich

am 4. Juli 1883 mit Auszeichnung.248 Bis zu seiner Hochzeit mit

241 Vgl. Hartmann Andenken, 20; G. Fellner Hartmann, 108.242 Vgl. G. Fellner Hartmann, 104 f., 198; Stein Hartmann, 313; s. ferner HartmannAndenken, 21.243 Vgl. Hartmann Andenken, 21; Stein [ein Schüler Hartmanns] Hartmann, 313; s.auch Bauer [ein Freund Hartmanns] Hartmann, 197 f.244 Vgl. Bauer Hartmann, 198; Stein Hartmann, 313 f.245 Vgl. Bauer Hartmann, 198. Dazu eingehend (wenn auch bedauerlicherweisezumindest anfangs kaum diesen, eigentlichen „Aufhänger“ des Texts erkennenlassend): Engel-Janosi Hartmann, 77-91, insb. 78 f. 246 Vgl. Bauer Hartmann, 198.247 So Stein Hartmann, 314.248 Vgl. G. Fellner Hartmann, 126.

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Margarete Chroback, der Tochter des bedeutenden Gynäkologen

Rudolf Chrobak, im Jahre 1893 wohnte Hartmann bis auf ganz

kurze Unterbrechungen mit seiner Mutter zusammen; sie zog mit

ihm an seine jeweiligen Studienorte.249

Ab 1883 studierte er vier Semester lang

Geschichtswissenschaften an der Universität Wien, wo er

Vorlesungen u. a. von Theodor von Sickel und Adolf Exner, aber

auch solche über Kunstgeschichte, Archäologie,

Sanskritforschung, Philosophie der Naturwissenschaft und - bei

Lujo Brentano - Nationalökonomie besuchte.250 Im Herbst 1885

wechselte er für drei Semester an die Friedrich-Wilhelms-

Universität zu Berlin, wo er Theodor Mommsen, Harry Breslau,

Heinrich Brunner und Wilhelm Wattenbach hörte.251 Mommsen, „der

die Bedeutung dieses Schülers bald erkannte und rückhaltlos

anerkannte“, betreute dort Hartmanns Dissertation „De exilio

apud Romanos“, auf Grund deren er im März 1887 cum laude zum

Doktor der Philosophie promoviert wurde. 252

249 Vgl. Hartmann Andenken, 25 f. Danach wohnte sie nur wenige Häuser von demder Eheleute entfernt und nahm seiner Frau einen Teil der Hauswirtschaft ab(s. ebd., 28). Zur Heirat: Bauer Hartmann, 204.250 Vgl. Bauer Hartmann, 199 f.; Stein Hartmann, 315. 251 Vgl. Stein Hartmann, 315. Vgl. auch Hartmann Andenken, 25 über „die FehlerBerlins, das damals noch nicht so recht in seine neue große Rollehineingewachsen war“ und über „die etwas geringschätzige Art, mit der[dort] gelegentlich über Wien gesprochen wurde“.252 Vgl. - auch zum Zitat - Stein Hartmann, 315 sowie Bauer Hartmann, 200; G.Fellner Hartmann, 130. S. auch Hartmann bei Bauer Hartmann, 200, nachdem erneben seiner historischen auch seine juristische Schulung - u. a. durch dierömisch-rechtlichen Seminare von Adolf Exner - erwähnt hatte: „DieErgänzung und Krönung dieser Schulung wurde mir 1885 in Berlin bei TheodorMommsen zuteil...“ - vgl. dazu Stein Hartmann, 315 (Hartmann sei der Ansichtgewesen, der Historiker solle zugleich ein halber Jurist sein, und sei ihrvon Anfang gefolgt.).

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Bereits in diesem Zusammenhang war er wegen seiner in seinem

curriculum vitae angegebenen Konfessionslosigkeit in

Schwierigkeiten geraten: Der Dekan der philosophischen Fakultät

hatte ihn deswegen zunächst nicht zu den strengen Prüfungen

zulassen wollen und dieses Vorhaben erst auf Intervention von

Mommsen und Hermann von Helmholtz aufgegeben.253 Schließlich

schloss Hartmann sein Studium 1887/88 in Straßburg und 1888 im

Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien bei

Sickel ab.254 An der Universität Wien habilitierte er sich im

Frühjahr 1889 zum Privatdozenten für Römische Geschichte und

Geschichte des Mittelalters; in der Habilitationsschrift,

„Untersuchungen zur Geschichte der byzantinischen Verwaltung in

Italien (540-750)“, wandte sich Hartmann neben der Verwaltungs-

bereits der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu.255 Ihm lag in

der Folge besonders daran, die Früchte seiner Forschung und

Lehre publizistisch der Allgemeinheit zugänglich zu machen.256

Bis zum Ende der Habsburger-Monarchie blieb Hartmann der

sprichwörtliche „ewige Privatdozent“. Dies war besonders vor

dem Hintergrund ungewöhnlich, dass an der Universität Wien

zumindest in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft junge

Dozenten zu Professoren ernannt wurden und dort im Rahmen der

Gesetze eine an der Leistung und Tüchtigkeit des Kandidaten

orientierte Toleranz seinem Bildungsgang gegenüber geherrscht

253 So Stein Hartmann, 319.254 Vgl. Bauer Hartmann, 200; G. Fellner Hartmann, 131; Stein Hartmann, 315. 255 Vgl. Bauer Hartmann, 200-202; G. Fellner Hartmann, 131 f., dort auch zumProbevortrag Hartmanns „Über die Ursache des Unterganges des RömischenReiches“; Rieckenberg Artikel, 737; Stein Hartmann, 319 f.256 So Lenel Vermischtes, 574. Vgl. dazu insb. Hartmann Vorwort [zur„Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstellung“], VII, X (Adressatendieses Werkes waren Nichtwissenschaftler.).

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haben soll, so dass „oft recht günstige akademische

Aufstiegschancen“ bestanden haben sollen.257 Der Hauptgrund für

die Nichtberufung Hartmanns zum Professor war, dass Kaiser

Franz Joseph sich weigerte, Konfessionslose zu Professoren zu

ernennen.258 Aber auch bekennende Juden waren zu dieser Zeit in

Österreich in der relativ einflusslosen Gruppe der Dozenten und

Extraordinarien über-, in der Gruppe der Ordinarien hingegen

unterrepräsentiert.259

Auch Hartmanns seinerzeit unkonventionellen und keineswegs

geschätzten wissenschaftlich-weltanschaulichen Ansichten -

welche unter E. II. 3. zu erörtern sein werden - und sein gegen

1901 erfolgter Eintritt in die Sozialdemokratische

Arbeiterpartei Österreichs (SDAP) mögen zu seiner Nichtberufung

beigetragen haben.260 Tatsächlich fand die Sozialdemokratie zu257 Zu den frühen Ernennungen vgl. Gall Laufbahnen, 69 - insb. zu denMedizinern: Von 99 ordentlichen Professoren in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts waren 77 % vor ihrem 40. Lebensjahr berufen worden. Zu denrecht günstigen Aufstiegschancen: ebd., 70. Zur gegenteiligen Entwicklungim Deutschen Reich bereits seit den 1880er Jahren: vom BruchGelehrtenpolitik, 34.258 Vgl. G. Fellner Hartmann, 109, 135, 239-241; Stein Hartmann, 316. Imseinerzeit gültigen „Gesetz betreffend die Organisation derUniversitätsbehörden“ bestimmte § 11, „die Fähigkeit, zu akademischenWürden gewählt zu werden“, sei „unabhängig vom Glaubensbekenntnis“ - vgl.Akademischer Senat der Wiener Universität Wien, 51 i. V. m. 50 -; ob das Verhaltendes Kaisers damit rechtswidrig war - immerhin war Österreich(-Ungarn) imGroßen und Ganzen ein Rechtsstaat (vgl. Lindström Empire, 11, 270; RumplerElemente, 87; auch Klein Gedenkrede, 1065; zu den Einschränkungen vgl. unten,Fn. 546) -, ist eine Frage der Auslegung (Adressat des Gesetzes nur dieUniversitätsbehörden? Unabhängigkeit nur von der Art des bestehendenBekenntnisses oder auch vom „Ob“ eines Bekenntnisses?). DieReligionsfreiheit war in Artikel 17 des sog. Staatsgrundgesetzes verbürgt. 259 Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 112.260 Ein prägnantes Beispiel für die wissenschaftlich-weltanschaulichenDivergenzen zwischen Hartmann und den meisten seiner Kollegen bietet seineeigene Einschätzung in Entwickelung, VI: Er sei sich bewusst, dass „dasvorliegende Büchlein [d. h. das zentrale Werk über seinegeschichtstheoretischen Ansichten] überhaupt und namentlich in den Kreisenmeiner historischen Fachgenossen auf wenig Zustimmung rechnen“ könne. Für

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dieser Zeit in Österreich „keinen Eingang in die

Universitäten“.261 Und überhaupt hemmte das Bekenntnis zu den

politischen Einstellungen der aufkommenden Massenparteien bis

1918 eine akademische Laufbahn mehr, als dass es sie förderte,

weil besonders an der Universität Wien die meisten

Entscheidungsträger Altliberale waren und das Instrument der

Berufungsvorschläge in ihrem Sinne nutzten.262

die ähnliche Situation im Deutschen Reich s. vom Bruch Wissenschaft, 195-200(über die etablierte Zunft sowie die aufsteigenden Disziplinen undAußenseiter), 367-369 (zum „Lamprechtstreit“), 370-376 (über Karl Lamprechtund Kurt Breysig).261 Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 112. Vgl. auch Gall Laufbahnen, 69 i. V. m.68: Zwischen 1848 und 1900 sei nicht ein ausgesprochenes Arbeiterkind unterden etwas mehr als 100 Medizinprofessoren zu finden gewesen; vgl. aber auchHöflechner Baumeister, 24, Fn. 77: „Verschärfend trat in Wien hinzu, daß dortauch die sozialdemokratische Bewegung auf akademischem Boden wesentlichstärker war und beide Elemente - Sozialismus und Judentum - zu einemFeindbild der Deutschnationalen verschmolzen...“ Zur Situation im DeutschenReich zwischen 1860 und 1889, ja auch 1919 und sogar 1933 vgl. vom BruchProfessoren, 18 (Kinder von Kleinbürgern und Arbeitern hätten nur 1 bis 2%der Hochschullehrer ausgemacht.).262 Vgl. Engelbrecht Geschichte, 250; auch Lindström Empire, 11 sowie HöflechnerBaumeister, 111 - s. aber auch ebd., 27 für das Jahr 1913 (Es stehe außerZweifel, dass der Senat in genere den deutschnationalen Verbindungen mehr alsgewogen gewesen sei.) s. auch 63: Die deutschen Hochschulen in Österreichseien im Rahmen des „Universitätskampfes“ scharf gegen jedwedeUniversitätsgründung in nichtdeutschen Kronländern aufgetreten - dazu KannHochschule, 519: 1910 hätten die 35,6% Deutschen der westlichen Reichshälfteüber fünf Universitäten verfügt (Wien, Graz, Innsbruck, Prag, Czernowitz),alle 64,6% anderen Nationalitäten über drei (tschechische Universität Prag,Krakau, Lemberg [die beiden letzteren polnischsprachig]). Bei den übrigenHochschulen sei das Verhältnis ähnlich gewesen. Vgl. überdies RamhardterGeschichtswissenschaft, 192 über die Historiker (Die überwiegende Mehrheitunter ihnen sei schon vor dem Weltkrieg „großdeutsch“ eingestellt gewesen).Vgl. auch vom Bruch Professoren, 19 (Die neueren Entwicklungen in derStudentenschaft seien an der überwältigenden Mehrheit der Professoren imspäten Wilhelminischen Kaiserreich offenbar spurlos vorüber gegangen.) undebd., 20 zur akademischen Selbstergänzung im Deutschen Reich zwischen 1882und 1900 sowie ebd., 21 (Politisch „progressive“ Außenseiter seien [offenbarab ca. 1882 - vgl. ebd., 20] kaum mehr für Hochschullehrerpostenvorgeschlagen worden.).

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Jedenfalls soll Hartmann mit dem akademischen Senat und der

Fakultätsmehrheit in Konflikt gestanden haben.263 Dass er an der

Universität und unter den Geschichtswissenschaftlern

Österreichs ein Außenseiter war, ist unbestritten.264 So wurde

er vermutlich „um seiner Gesinnung willen“ auch niemals

Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften.265 Jedoch war

er insgesamt kein Abgesonderter, wie es aber die Ausführungen

von Günter Fellner nahe legen.266 Zudem leidet Fellners

Behauptung, „der“ Historismus habe in Frontstellung zu Hartmann

gestanden, unter einem zu pauschalen Ansatz.267

263 So jedenfalls Lenel Vermischtes, 572. S. auch Stein Hartmann, 317: ZurFeier des fünfzigjährigen Bestehens des Historischen Seminars habe Hartmannkeine Einladung erhalten.264 S. z. B. Bauer Hartmann, 204 f. 265 Zitat: Stein [Schüler Hartmanns] Hartmann, 316; vgl. auch G. FellnerHartmann, 243.266 Vgl. vom Bruch Rezension, 121 (Zweifellos sei Hartmann ein Außenseiter inder Zunft gewesen, aber kein Abgesonderter. Seine Publikationen hätten sichweithin großer Wertschätzung erfreut.); Zorn Hauptinitiator, 381 (Die Kluftzwischen ihm und den „Historisten“ auch in Wien sei weniger [sic]unüberbrückbar [sic] gewesen, als von Fellner beschrieben.); s. fernersogleich über Hartmanns Zeitschriftenprojekt. Zu Fellners Sicht vgl. G.Fellner Hartmann, 271-297 („Das Scheitern der institutionellen Verankerung“),298-324 („Die Abwehrhaltung der historistischen Mehrheit“), vgl. auch BauerHartmann, 204 f. und Suppanz Historismus, 264-266 (Historische Soziologieversus Historismus).267 Dies gilt vor allem für Hartmanns Stellung zur Nationalökonomie. Sobemerkt z. B. Zorn Volkswirtschaft, 469, Hartmann habe der HistorischenSchule [der Nationalökonomie] näher gestanden als der „reinwissenschaftssoziologisch nicht sozialliberalen“ Schule Carl Mengers; s.auch Bauer Hartmann Mitbegründer, 336 sowie unten, Fn. 877; zur Entwicklungder Nationalökonomie an der Universität Wien: W. Weber Jahre, 104-124. Vgl.ferner Hartmann Wesen, 216, wo eine Pseudopolitik angeprangert wird, welcheüber den Historismus spotte. Zudem findet sich gerade derEntwicklungsgedanke nicht nur Hartmann, sondern ist auch typisch für denHistorismus. S. ferner Ritter Rezension Fellner, 277: “Despite the paradigm’s[Quellenkritik des Instituts für österreichische Geschichtsforschung]strength, there was a budding pre-1914 turn toward socioeconomic history,represented by Alphons Dopsch and even the young Heinrich von Srbik.”; vgl.noch Zöllner Jahre, 82 f. (zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte an derUniversität Wien).

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Spätestens 1888 hatte Hartmann nach eigener Angabe eine

sozialistische Weltanschauung268 entwickelt. Zu Beginn der

1890er Jahre wurde er dann Mitglied des „Vereins für

Socialpolitik“, 1919 dann in dessen Ausschuss kooptiert und

1924 zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.269

1893 gehörte er neben zwei weiteren sozialdemokratisch

Orientierten, Stephan Bauer und Karl Grünberg, sowie dem

seinerzeit freikonservativen, später deutschnationalen Georg

von Below zu den Gründern der „Zeitschrift für Sozial- und

Wirtschaftsgeschichte“ (ZSWG), die trotz internationalen

Widerhalls auf Grund von Verlagsschwierigkeiten nur bis 1900

bestand.270 Der Verzicht der Herausgeber auf jede politische

Tendenz soll sich jedoch voll bewährt haben.271

Nicht viel später gewann Hartmann dann den Leipziger Verlag C.

L. Hirschfeld für die Fortsetzung als Vierteljahrschrift, die

seit 1903 erscheinende „Vierteljahrschrift für Sozial- und

Wirtschaftsgeschichte“ (VSWG), Stephan Bauer und von Below als

Mitherausgeber sowie bedeutende ausländische Wissenschaftler

268 Vgl. Andenken, 27 i. V. m. S. 26. 269 Vgl. G. Fellner Hartmann, 247. Zum „Verein für Socialpolitik“ vgl. vom BruchWissenschaft, 302-304.270 Vgl. Zorn Volkswirtschaft, 457, 468-472. Zur den dieser vorangegangenenPublikationen „Zeitschrift für Volkswirtschaft und Kulturgeschichte“ (1863-1875) bzw. „Vierteljahrschrift für Volkswirtschaft, Politik undKulturgeschichte“ (ab 1875): Zorn Volkswirtschaft, 458-467. Vgl. auch BauerHartmann Mitbegründer, 338: Von 1895 bis 1900 habe hauptsächlich Hartmanndie Redaktion geführt. Interessant ferner Zorn Volkswirtschaft, 470: „Nochim selben Jahr 1893 eröffnete die HZ durch Below ihren grundsätzlichenKampf gegen Lamprecht und dessen in Belows Augen ‚materialistische’Geschichtsschreibung. Lamprecht stellte darauf auch die Mitarbeit in derZSWG ein, zumal Below dort 1896 die seinige im Aufsatzteil begann.“. 271 Vgl. Hermann Aubin bei Zorn Volkswirtschaft, 457, unter Zustimmung Zorns.

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als Berater.272 Die redaktionelle und die literarische Kritik

ging in der Folge jedoch immer mehr an von Below über.273 Die

VSWG blieb für längere Zeit die einzige historische

Spezialzeitschrift auf ihrem Gebiet; ihre Herausgeber

versuchten - anders als Karl Lamprecht - nicht, von der Sozial-

und Wirtschaftsgeschichte her die „zünftige“

Geschichtswissenschaft in Deutschland zu revolutionieren, und

dafür blieb die VSWG im Rahmen ihres Teilaspekts respektiert.274

Sie diente dann den Begründern der „Annales d’histoire

économique et sociale“, Marc Bloch und Lucien Febvre, 1929 als

Vorbild.275

Ab 1889/90 wirkte Hartmann sowohl als Organisator als auch als

Lehrer in der Wiener Volksbildung.276 Dabei gelangen ihm

bedeutende Erfolge, welche weit über Österreich hinausstrahlten

und dort zu Vorbildern wurden.277 1895 begründete er - freilich272 Vgl. Zorn Volkswirtschaft, 471 - insb. ebd. zu den ausländischenBeratern: G. Espinas in Paris, H. Pirenne in Gent, G. Salvioli in Palermound Vinogradoff in London. Zu Hartmann und der ZSWG/derVSWG s. BauerHartmann Mitbegründer, 336-338; G. Fellner Hartmann, 272-285; ZornVolkswirtschaft, 473-475.273 So Bauer Hartmann Mitbegründer, 338.274 So Zorn Volkswirtschaft, 473.275 Vgl. Zorn Volkswirtschaft, 474.276 Zu seiner Lehrtätigkeit in der Volksbildung vgl. Stein [Schüler Hartmanns]Hartmann, 317: Hartmann habe es ausgezeichnet verstanden, die Ergebnisseseiner Wissenschaft den Laien zugänglich zu machen. 277 Vgl. Filla Hartmann, 67: Hartmanns volksbildnerische Arbeit sei dieerfolgreichste und bedeutendste, die in Österreich je von einem Einzelnengeleistet worden sei. Zu Hartmanns volksbildnerischem Wirken seihingewiesen auf Faulstisch Volksbildung; Jaretz Hartmann; Unterthumer Lernen; s.des Weiteren G. Fellner Hartmann, 250-259. Zum “Wiener Modell” derVolksbildung: Filla Hartmann, 86 f.; zur Mitarbeit Hartmanns im WienerVolksbildungsverein insbesondere: ebd., 68-73. Aufstellungen derPublikationen Hartmanns zur Volksbildung, zu seiner Kurstätigkeit imVolksheim und zu seiner Kurs- und Vortragstätigkeit im WienerVolksbildungsverein finden sich bei Filla Anhang, 195 f., 201 f. Zurinternationalen Vorbildwirkung der österreichischen Volkshochschulen s.Hartmann Oesterreich, 3; Bauer Hartmann, 203 - zur Situation im Todesjahr

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ihrerseits nach dem Vorbild der englischen „University

Extension“ - in Wien die „Volkstümlichen Universitätscurse“.278

Besonders nachhaltig wirkte er im Volkshochschulwesen; so

initiierte er „volksbildnerische Höhepunkte“ im sog. Volksheim

und bewirkte die Errichtung des ersten europäischen

Abendvolkshochschulgebäudes im Wiener Arbeiterbezirk

Ottakring.279 Zudem gründete er - der in der Monarchie zu jenen

wenigen Universitätslehrern gehörte, die für die

uneingeschränkte Zulassung von Frauen zu allen

Bildungseinrichtungen eintraten - den Frauenbildungsverein

„Athenäum“.280 Auch rief er die ab 1904 tagenden Deutschen

Volkshochschultage ins Leben, veranlasste die Erstellung

von Hartmann vgl. ebd.: In Wien haben demnach fünf Volksheime mit mehr als200 Lehrern und 12.000 ständigen Hörern bestanden - dort auch zu Hartmannsoffenbar einzigartiger Spendenrekrutierung unter den „Wiener Millionäre[n]“- zu Letzterem vgl. Hartmanns Artikel „Oesterreich“ in der bürgerlichen„Neuen Freien Presse“. 278 Vgl. Filla Hartmann, 73-77; Bauer Hartmann, 202 f.: Hartmann sei von derUniversität mit der Leitung der von ihr eingesetztenVolksbildungskommission betraut worden. Zur internationalen Wirkung derKurse vgl. Höflechner Baumeister, 82: zahlreiche Anfragen aus aller Welt (Fn.82: u. a. aus Graz, Budapest, Berlin, Hamburg, München, Zürich, Brüssel,Messina, Odessa). S. auch ebd., 82 f., insb. 82, Fn. 81 (unter Berufung aufTschermak): Die Kurse, die im November 1895 in drei Abschnitten mit 58Kursen zu je 6 Vorträgen angelaufen seien, hätten mit 6.172 Besuchern mehrInteresse als vergleichsweise in London erweckt. Zur „University Extension“im Deutschen Reich s. vom Bruch Wissenschaft, 262-264.279 Zum „Volksheim“ vgl. Filla Hartmann, 78-84 (Zitat: 78); zur OttakringerAbendvolkshochschule vgl. ebd., 87-89; vgl. auch Bauer Hartmann, 203: Ab1900/1 habe Hartmann Volkshochschulen gegründet, welche auf Andrängen derBehörden in Wien „Volksheime“ getauft worden seien. Über die vorzüglicheAusstattung des Volksheimes mit naturwissenschaftlichen Instrumenten vgl.Felt Stadt, 205 (Bericht der Arbeiter-Zeitung vom November 1907). Auch fürdie Autonomie und Lehrfreiheit der Volkshochschulen stritt Hartmann: vgl.Volkshochschulen, 180 f.280 Vgl. Filla Hartmann, 77 f.; Pribram Tod, 115. Zur Geschichte desFrauenstudiums in Österreich: Heindl Entwicklung, 17-26; OtrubaUniversitäten, 86 f.; Preglau-Hämmerle Funktion, 112 f.; vgl. auch - jeweilsvor allem die Reaktion der Konservativen und Rechtsradikalen behandelnd -Hamann Wien, 528-534 (inklusive der Frage des Frauenwahlrechts) sowie ebd.525-528 über die Frauenbewegung in Wien ab 1900.

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sozialwissenschaftlicher Volksbildungsstudien und betätigte

sich als Publizist in Fragen der Volksbildung.281 Darüber hinaus

unternahm er Vortragsreisen zu Arbeitervereinen.282

Ziel dieses Lehrens war die Anregung zu selbständigem Denken,

die Emanzipation der Einzelpersönlichkeit.283 Dabei forderte

Hartmann immer wieder die strikte politische Unabhängigkeit

(auch) der Erwachsenbildung ein.284 Bildung war für ihn „nichts

anderes ... als die Fähigkeit zur Anpassung an die gegebenen

281 Zu Hartmann und den Deutschen Volkshochschultagen vgl. Filla Hartmann, 89;zu den Studien ebd., 90-92; zu Hartmann als Publizist in Fragen derVolksbildung ebd., 92.282 Vgl. Bauer Hartmann, 203.283 Vgl. Filla Hartmann, 69 sowie G. Fellner Hartmann, 105: Gerade weil esHartmann um die soziale und kulturelle Emanzipation des Einzelnen gegangensei, habe er die „massenhafte“ Dimension des Problems gesehen. Vgl. darüberhinaus Gruber Vienna, 48 für den in der Zwischenkriegszeit unternommenen„largest and most successful attempt by a Socialist party ... to create acomprehensive proletarian counter culture“: “...the socialists’ plan ofaction for transforming Viennese workers into self-conscious, willfulactors in their own liberation as neue Menschen...” (s. allerdings auchebd., 50 f.: begrenzter Erfolg; s. zudem die Kritik Grubers an dieser, vonden bürgerlich geprägten Parteiführern paternalistisch betriebenen Politik:ebd., 49-52). Zur Funktion der Wissenschaftspopularisierung als„Abgrenzungsarbeit“ s. Felt Stadt, 211-214; zu derjenigen als Freiraum:ebd., 215-217. Zu deren Legitimationsfunktion für die Wissenschaft s. FeltWissenschaft, 58 f. (unter - irrtümlicherweise auf 1895 - datiertem HinweisZitat von Hartmann aus dem Jahre 1910 über die volkstümlichenUniversitätskurse). 284 Vgl. z. B. Hartmann Ausgestaltung, 171: Es verstehe sich nahezu vonselbst, dass alles Politische gemäß den Statuten von den Universitätskursenstrengstens ferngehalten werden müsse, wolle man nicht die Institution nachunten und nach oben in gleicher Weise gefährden; „die Politik gehörtüberhaupt nicht in den Rahmen einer allgemeinenUnterrichtsorganisation...“; s. auch Stein Hartmann, 317. Daher ist dieBehauptung von Felt Stadt, 203 zweifelhaft, durch die im Gegensatz zur„University Extension“ sowie vergleichbaren Einrichtungen im DeutschenReich weitgehend staatliche Finanzierung und Organisation dieser Kursedurch die Universität habe sich nicht nur die Erschwinglichkeit der Kursefür die Teilnehmer, sondern auch staatliche Einflussnahme ergeben, da dieStatuten „Vorträge über jene Fragen, auf die sich die politischen,religiösen und socialen Kämpfe beziehen“ untersagt hätten. Denn jedenfallsunter der Führung Hartmanns wäre auch bei privater Finanzierung nichtsAnderes in Frage gekommen.

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Verhältnisse.“285 Wohl aus dieser Anschauung heraus war für ihn

nichts „so bezeichnend für den geistigen Fortschritt im

neunzehnten Jahrhundert, als daß der Gedanke Wurzel schlug,

über die früher bestehenden Unterrichtsanstalten hinaus

Erwachsene, die schon im Beruf stehen, zu unterrichten“.286

Darüber hinaus war Hartmann stark in der Hochschulpolitik

engagiert. So fungierte er mehr als zwei Jahrzehnte als Obmann-

Stellvertreter der 1899 ins Leben gerufenen Vereinigung

österreichischer Hochschuldozenten, welche die Interessen der

Privatdozenten vertrat.287 Zudem war er einer der treibenden

Kräfte hinter der Einrichtung der deutschen

Hochschul[lehrer]tage und der Gründung des Hochschullehrer-

Vereins.288 Stets kämpfte er für die Autonomie der

Hochschulen.289 Diese Einstellung implizierte seine Ablehnung

285 Vgl. Frage Minoritätenschulen, 155; auch Christentum, 32 f.: DieSteigerung der Bildungsfähigkeit sei ein Teil der fortgeschrittenstensozialen Organisation eines Staates, der ihn den Kampf ums Dasein am bestenbestehen lasse.286 Zitat: Kulturjubiläum, 177.287 Vgl. G. Fellner Hartmann, 246 f.288 Vgl. Pribram Tod, 115. Zum Deutschen Hochschul[lehrer]tag: vom BruchWissenschaft, 114-122, insb. 122: „Die Etikettierung als Hebeldemokratischer Politik im Hochschulbereich wurde dem Hochschultag jedoch inkeiner Weise gerecht. Hartmann selbst zog sich mehr und mehr enttäuschtzurück...“ (m. Nw. in Fn. 246: „Vgl. L. M. Hartmann an Amira, 18. 12. 1912,StaBi München Amira, Korr. Hartmann.“); vgl. auch G. Fellner Hartmann, 112,247. Zum Hochschullehrer-Verein: vom Bruch Wissenschaft, 119-121, insb. 119(Er umfasste ca. 700 Mitglieder, die 1913 etwa 15% der deutschsprachigenHochschullehrer ausmachten, wobei insbesondere die Hochschulen Deutsch-Österreichs stark repräsentiert gewesen seien.), 121 (Der Verein sei einAusfluss der Übertragung des Gewerkvereinsgedankens auf die Dozentenschaftgewesen, führend geprägt durch Lujo Brentano und Hartmann.). 289 Vgl. z. B. Grundlagen, 183 f.; Pribram Tod, 114; Stein Hartmann, 315 f.;auch vom Bruch Wissenschaft, 298 (i. V. m. 297 und 438 f.). Zu den 1903 vonHartmann mitbegründeten „Salzburger Hochschulkursen“ bzw.„wissenschaftlichen Ferialkursen“, welche sich gegen die geplantekatholische Universität Salzburg richteten, s. Bauer Hartmann, 203 sowie G.Fellner Hartmann, 109 (Er sei dort nach außen nicht hervor getreten, „da es

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politischer Aussagen vom Katheder herab, was ihn in seinen

letzten Jahren in Konflikt mit Teilen der 1921 von ihm selbst

gegründeten und als Obmann geleiteten „Vereinigung

sozialistischer Hochschullehrer Österreichs“ brachte.290 Auch in

der Schulpolitik tat Hartmann sich hervor: Er rief 1905

zusammen mit Julius Ofner und Paul Freiherr von Hock den Verein

„Freie Schule“ ins Leben, der sich gegen den klerikalen

Einfluss auf die Schulen wandte.291

Der bereits erwähnte Eintritt Hartmanns in die am Jahreswechsel

1888/89 gegründete SDAP erfolgte gegen 1901.292 1911 bewarb er

sich als deren Kandidat in der Wiener Josefstadt erfolglos um

ein Mandat im cisleithanischen Abgeordnetenhaus; er verlor die

Stichwahl gegen den christlichsozialen Rivalen.293

die nationale Studentenschaft ablehnte, dem sozialdemokratischenPrivatdozenten eine offizielle Stellung zuzuerkennen.“). Zum Status derUniversitäten in Österreich vgl. Höflechner Baumeister, 45 f.: Bis zum Endeder Monarchie sei nicht geklärt worden, inwieweit sie Staatsanstalten oderKorporationen gewesen seien. 290 Vgl. Stein Hartmann, 316; auch G. Fellner Hartmann, 245; Pribram Tod, 114. 291 Vgl. Bauer Hartmann, 203; G. Fellner Hartmann, 109 f.; Hawlik, Parteien, Teil2, 573, Fn. 1; Holleis Partei, 102 f.; Pribram Tod, 114; Stein Hartmann, 315 f.sowie Adler Gedächtnis, 106: Sie sei eine der bedeutendsten,leidenschaftliche Bekämpfung hervorrufenden Schöpfungen Hartmanns gewesen.Zu den schulpolitischen Forderungen Hartmanns vgl. auch HartmannGrundlagen, 185 f. Hartmann war auch Mitglied der 1894 ins Leben gerufenenEthischen Gesellschaft, deren Angehörige sich für weltlichenMoralunterricht sowie eine altruistische und humanistische Ethik einsetzten- vgl. G. Fellner Hartmann, 119.292 Vgl. Miller Ringen, 23, Fn. 78: Über das Datum des Eintritts fänden sichunterschiedliche Angaben, jedenfalls sei er lange vor dem ersten Weltkriegerfolgt; ähnlich: Filla Einleitung, 16 f., Fn. 3. Für 1901: Bauer Hartmann,203; Rathkolb Hartmann, 53; Zorn Volkswirtschaft, 457 [unter irrigerBezeichnung der SDAP als „SPÖ“]. Vgl. auch Stein Hartmann, 315: In denneunziger Jahren hätten Hartmanns aktive Teilnahme an dersozialdemokratischen Bewegung und seine Freundschaft mit Viktor Adler undEngelbert Pernerstorfer begonnen. Zu Gründung der SDAP s. Whiteside Germans,186.293 Vgl. Adler Gedächtnis, 106; G. Fellner Hartmann 116; Rathkolb Hartmann, 53; SteinHartmann, 317. Im Abgeordnetenhaus waren in der Zeit seines Bestehens von

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Da Hartmann die Geschichtswissenschaft als einen Sektor der

Soziologie begriff - s. dazu unten, E. II. 3. -, war es nicht

erstaunlich, dass er im April 1907 zu den Gründern der

Soziologischen Gesellschaft in Wien gehörte, der gemäß Max

Adler ersten derartigen Vereinigung im deutschsprachigen

Raum.294 Zudem gründete er den „Sozialwissenschaftlichen

Bildungsverein“ an der Wiener Universität.295

Immerhin wurde Hartmanns venia docendi 1901 oder 1902 auf das

gesamte Gebiet der Geschichte ausgedehnt.296 Erst in der

Republik wurde er dann, mit dem Jahreswechsel von 1918 auf

1919, zum außerordentlichen und im Juli 1924 zum ordentlichen

Professor ernannt.297 Er soll ein vorzüglicher Lehrer gewesen

1861 bis 1918 bei zunächst 203, von 1873 bis 1907 353 und ab 1907 516Mitgliedern (vgl. Knauer Parlament, 15 f.) insgesamt 15 oder 8 WienerProfessoren vertreten - vgl. Gall Laufbahnen, 41 f. bzw. Heinrich Lehrkörper,227 f. (Tabelle); ferner Stimmer Universität, 75 (Insgesamt seien nur in denkleinen liberalen Nachfolgeparteien von 1897 bis 1913 Vertreter desakademischen Lehrkörpers zu finden gewesen.). Zu den elf Wiener Professorenunter den Landtagsabgeordneten im Habsburger-Reich von 1861 bis 1918 vgl.ebd., 229 f. (Tabelle). Zu gelehrten Politikern in den Parlamenten desDeutschen Reiches vgl. vom Bruch Wissenschaft, 327 f.; Gelehrtenpolitik, 33(vergleichsweise geringe Zahl).294 Vgl. Adler Gedächtnis, 104. S. dazu die vier bei Frisby Simmel, 201-208abgedruckten Zeitungsberichte von der Gründungsversammlung am 24. April(Einleitungsvortrag von Georg Simmel: „Wesen und Aufgabe der Soziologie“). 295 Vgl. Adler Gedächtnis, 106; G. Fellner Hartmann, 119. S. ferner unten, Fn.294. Zum „Sozialwissenschaftlichen Bibliotheksverein“ s. unten, Fn. 304.296 Vgl. Stein Hartmann, 323 (1901); G. Fellner Hartmann, 239 (1902).297 Zur Berufung zum außerordentlichen Professor vgl. G. Fellner Hartmann, 241(zum 31. 12. 1918); Stein Hartmann, 316 (Ende 1918); Bauer Hartmann, 208(1919). Zur Berufung zum ordentlichen Professor vgl. G. Fellner Hartmann, 242(am 30. Juli 1924); Stein Hartmann, 316.

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sein.298 Allerdings wurden seine Lehrveranstaltungen zumindest

in seinen früheren Dozentenjahren offenbar nicht gut besucht.299

Anders als unter den Professoren, war die Verbreitung des

Liberalismus unter den Studenten der österreichischen

Universitäten bereits seit Beginn der 1870er Jahre zugunsten

einer immer stärker werdenden Dominanz des Nationalismus

geschrumpft.300 Vor allem in den Studentenverbindungen

verbreitete sich zunehmend ein militanter Deutschnationalismus

„kleindeutscher“ Richtung, und es häuften sich heftige

Auseinandersetzungen um nationale Belange, so 1883

Ausschreitungen gegen den für die Gründung einer tschechischen

Schule in Wien eintretenden Rektor der Wiener Universität,

Friedrich Maassen, 1897 Demonstrationen gegen die

298 Vgl. Pribram Tod, 113; Stein Hartmann, 328: „Sein Vortrag war von ruhiger,vornehm-lässiger Art, doch nicht eintönig oder gar langweilig“, der Aufwandan Zeit den der vielbeschäftigte Mann der Unterweisung seiner Schülergewidmet habe, sei unglaublich gewesen; s. auch Adler Gedächtnis, 108:Seine Schüler an der Universität und in den Volkshochschulen hätten nichtnur mit Verehrung, sondern mit Liebe an ihm gehangen. Über Hartmannspädagogische Prämissen für den Beruf des Historikers eingehend: HerholtHartmann, 72-87.299 S. Stein Hartmann, 328: Hartmanns Übungen zur Zeit von Steins Studium beiihm hätten „sechs oder acht“ Teilnehmer gezählt. S. (aber) auch AdlerGedächtnis, 108: Die Zahl seiner Schüler sei stetig gewachsen.300 Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 110; s. auch Höflechner Baumeister, 38, 64.Der ab 1907 unternommene Versuch, an den Universitäten klerikal-restaurativeZiele durchzusetzen, - vgl. Kann Hochschule, 516 (Luegers Aufruf zur„Eroberung der Universitäten“ auf dem Katholikentag 1907); zurgleichzeitigen ähnlichen Entwicklung im Deutschen Reich vgl. vom BruchWissenschaft, 180-185, auch 390 - blieb erfolglos (vgl. Preglau-HämmerleFunktion, 111, insb. zur sog. „Wahrmund-Affäre“ [Abberufung des vormalsstreng kirchentreuen, sich seit 1902 immer mehr dem nationalen Lagernähernden Professors für Kirchenrecht an der juristischen Fakultät derUniversität Innsbruck Ludwig Wahrmund, auf Betreiben der Christlichsozialenund kirchlicher Kreise], welche Anfang 1908 zum ersten - dreiwöchigen undösterreichweiten - Studentenstreik führte (eingehend dazu Kann Hochschule515-519).

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Sprachenverordnungen der Regierung (Kasimir Graf von) Badeni.301

Da Hartmann ebenfalls (deutsch-)national eingestellt war, hätte

ihm dieser Stimmungsumschwung - abgesehen von seinen

gewalttätigen Folgen - auf den ersten Blick entgegen kommen

müssen.

Jedoch setzte sich in den 1880er Jahren der Antisemitismus bei

den deutschnationalen Studentenverbindungen durch, und es

erfolgten immer wieder Ausschreitungen gegen jüdische

Studenten.302 Die schwersten ereigneten sich im Mai 1913 an der

Universität Wien und führten zu deren vorübergehender

Schließung und einem allgemeinen Farbenverbot.303 Auch diese

Entwicklung führte schließlich 1920 zum Boykott von Hartmanns

Lehrveranstaltungen durch die deutschnationale Studentenschaft,

„weil er ihr wegen seiner sozialistischen Gesinnung und halb

jüdischen Abkunft als ein Schädling des deutschen Volkes

galt.“304 301 Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 110; vgl. auch Blaukopf Apocalypse, 42 zuden Studentenunruhen vom November 1908 sowie Whiteside Germans, 190, 194,197, der die Ausschreitungen von Deutschen in Böhmen nach Erlass derBadenischen Sprachenverordnungen als das für die Spaltung der NationenÖsterreichs entscheidende Ereignis betrachtet - zu Verlauf und Folgendieser Ausschreitungen inklusive zu von Schönerers Rolle dabei vgl. ebd.,190-197. Zu den Nationalitätenkämpfen an der Universität Wien bzw. an dencisleithanischen Universitäten s. Hamann Wien, 387-393 bzw. OtrubaUniversitäten, 101-104.302 Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 111 f.; s. auch Höflechner Baumeister, 24-29,32 f., 36-38, insb. 37: 1897 habe in Wien der erste deutsche Studententagstattgefunden, d. h. eine Versammlung „deutsch-arischer“ Studierender anösterreichischen Hochschulen; ebd., 36: [offenbar 1908] Gründung eines„jüdisch-nationalen Hochschulausschusses“ an der Universität Wien.303 Vgl. Höflechner Baumeister, 26.304 Vgl. Stein Hartmann, 317; auch Lenel Vermischtes, 572 (Boykott durch diegrößte Studentenorganisation, die “Deutschen Studentenschaft”). Vgl. fernerRathkolb Hartmann, 52: Hartmann habe auch die „national denkende Jugend“[wohl Zitat Karl Renner] im Rahmen des SozialwissenschaftlichenBibliotheksvereins in den Kampf der Arbeiterbewegung um sozialeGerechtigkeit einbinden wollen - sowie ebd., 53 f. (Zitat Karl Renner):

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Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt selbst der Außenseiter

Hartmann zwei - reichsdeutsche - Ehrendoktorate, dies

allerdings möglicherweise weniger wegen seiner

wissenschaftlichen Verdienste als wegen seines Engagements für

den „Anschluss“ Deutsch-Österreichs an das Deutsche Reich.305

Zudem wurde er von Viktor Adler als neuem Außenminister im

November 1918 zum Archivbevollmächtigten für Deutsch-Österreich

bestellt, als welcher er in seiner kurzen Amtszeit von nur zwei

Wochen die Sicherung, Sammlung und Ordnung der die unmittelbare

Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges betreffenden Akten

veranlasste und die Weichen für deren vorbehaltlose Publikation

stellte.306 In einem Bericht an Otto Bauer vom 24. Dezember 1918

sprach er sich dafür aus, die Akten „mit Vollständigkeit und

Exaktheit“ zu edieren, und zwar „vor allem im Interesse der

historischen Wahrheit, für die ich auch als sogenannter

Diplomat [s. dazu sogleich] nach wie vor ein faible habe“.307

Bereits am 8. Dezember hatte er Lujo Brentano geschrieben, dieWährend dieser Besprechungen habe ein Vertreter der Verbindung gefragt,„wie wir es mit dem Judenpunkt hielten.“ Nach der Antwort habe „derVertreter der Gegenseite“ erwidert: „ Man kann von deutschen Studentennicht verlangen, daß sie sich mit Jungen, deren Väter Hausierer undBinkeljuden gewesen, an einen Tisch setzen“, und damit sei die Sitzungaufgehoben gewesen.305 Und zwar (jeweils) der Staatswissenschaften im August 1919 an derUniversität Bonn und 1922 an der Universität Heidelberg - vgl. SteinHartmann, 316 f. sowie G. Fellner Hartmann, 242 (In der Begründung derletzteren Verleihung sei nicht nur auf seine Verdienste um die„fachwissenschaftliche Forschung“, sondern auch um die „popularisierendeDarstellung“ bzw. „Gestaltung des Volkshochschulwesens“ verwiesen worden.Drittens sei „mit Nachdruck“ seine Rolle als Politiker, der seine Kraft fürdie „volle staatliche Einigung des Deutschtums“ eingesetzt habe,hervorgehoben worden.). 306 Vgl. dazu eingehend Engel-Janosi Geschichte, 39-52; vgl. ferner BauerHartmann, 207; Rathkolb Hartmann, 55 f.; Stein Hartmann, 327.307 Vgl. Rathkolb Hartmann, 56.

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bevorstehenden Veröffentlichungen seien „in der Tat für

Österreich niederschmetternd“.308 Die später dann erfolgte

Publikation war gemäß Stephan Bauer nach denen der Bolschewiki

„die erste ernsthafte Aktenpublikation über den

Kriegsausbruch.“309

Ende des Monats ging Hartmann dann als Gesandter der Republik

nach Berlin, um dort für deren „Anschluss“ an das Deutsche

Reich zu wirken, und verblieb in dieser Stellung bis zum

November 1920, als er sie auf Grund der Übernahme der

österreichischen Regierung durch die Christlichsozialen

verließ.310 Dabei nahm er an der Vorarbeit für einen

Verfassungsentwurf, an der Beratung dieses Entwurfs Ende Januar

1919 durch die Ländervertreter, mit beratender Stimme an den

Verhandlungen des Verfassungsausschusses der deutschen

Nationalversammlung in Weimar und schließlich auch - von der

Bundesratstribüne aus - an denen des Plenums teil.311

308 Vgl. Engel-Janosi Geschichte, 40.309 Bauer Hartmann, 207. Zu Motivation und Wirkung der Edition vgl. Engel-JanosiGeschichte, 42 (ohne Nw.): In welchem Sinne diese Veröffentlichungengewirkt hätten [richtig: wirken sollten], habe etwa eine am 15. Juli 1921[?] an Hartmann in Berlin gerichtete Telefondepesche Renners bezeugt:„...die österreichische Regierung (will) durch ihre Zustimmung zurVeröffentlichung ... neuerlich dartun, daß die Führung der auswärtigenGeschäfte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, die vorwiegend in derHand von Abkömmlingen nicht-deutscher Adelsgeschlechter lag, ihren eigenenAnschauungen keineswegs entsprach und sie daher auch keinen Grund hat,dieselben zu decken...“ sowie ebd., 51: Die Hoffnung der ersten Monate nachKriegsende, ein „lautes reuevolles Schuldbekenntnis“ werde eine Milderungder Friedensbedingungen bewirken, habe sich als Irrglauben herausgestellt.310 Vgl. [Stephan] Bauer Hartmann, 208 [hier aber: Beginn in Berlin imDezember 1918], insb. Otto Bauer ebd. Zum ersten Auftreten Hartmanns alsGesandter in Berlin am 25. November 1918: Miller Ringen, 24 f.311 Vgl. Miller Ringen, 27 f.

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Von Februar 1919 bis Oktober 1920 erlangte er zudem für die

SDAP ein Mandat in der Nationalversammlung der Republik

(Deutsch-)Österreich.312 Hartmanns Kandidatur scheint in seiner

Partei jedoch sehr umstritten gewesen zu sein.313 Danach wurde

er dann als Vertreter des Wiener Landtags Mitglied im

Bundesrat.314 In beiden Kammern soll er wiederholt das Wort

ergriffen haben, und zwar insbesondere zu Hochschulfragen.315

Bis zuletzt als akademischer Lehrer, in der Volksbildung und in

verschiedenen politischen Funktionen tätig, starb Ludo Moritz

Hartmann am 14. November 1924 auf Grund eines Schlaganfalls.316

IV. Direkte Kontakte zwischen Friedjung, Klein und Hartmann

Von Bedeutung ist die Frage, ob sich Friedjung, Klein und

Hartmann gegenseitig beeinflusst haben. Die Annahme einer

Bekanntschaft der drei untereinander drängt sich angesichts -

wenn auch selbstverständlich überzeichnender - zeitgenössischer

Aussagen auf, welche den Eindruck erwecken, jeder habe in Wien

zumindest bis 1918 jeden gekannt.317 Jedenfalls waren die

312 Vgl. Bauer Hartmann, 208; Stein Hartmann, 317. Zur SDAP bei den Wahlen zurkonstituierenden Nationalversammlung: Hawlik Parteien, Teil 2, 649-668,insb. 649-652 (Organisation), 653-655 (Sozialstruktur), 656-658(Beziehungen zu anderen Parteien), 659-668 (Wahlkampf). Die 165 Mitgliederder konstituierenden Nationalversammlung wurden durch - erstmalig wirklichallgemeine, da nun auch Wählerinnen umfassende - Verhältniswahl bestimmt(vgl. Knauer Parlament, 197 f.). 313 Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 659 sowie 662, Fn. 7.314 Vgl. Stein Hartmann, 317. Der Bundesrat umfasste zu dieser Zeit 50Mitglieder (vgl. Knauer Parlament, 198). 315 Vgl. Stein Hartmann, 317316 Vgl. Bauer Hartmann, 208; G. Fellner Hartmann, 243: Stein Hartmann, 329. S.auch Filla Hartmann, 99, Endn. 36 („Nachtrag zu meinem letzten Willen. Wien,20. März 1911. HHStA Kart. 1, Konv. 8“).317 Vgl. das Zitat von Otto Friedlaender bei Mayr Praxiszeit, 268, Fn. 54: „...So eng war Wien damals: Jeder begegnete einmal dem anderen.“ S. aber JanikMilieus, 46.

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Diskussionszirkel und Vereine in den 1890er Jahren durch eine

relative Homogenität und Begrenztheit geprägt, welche auch

darin zum Ausdruck kamen, dass dieselben Namen bei den

verschiedensten Gelegenheiten auftauchten.318

1. Friedjung und Klein

Friedjung und Klein haben sich gekannt. So waren sie

gleichzeitig Mitglieder der Burschenschaft „Braune Arminia“.319

Zudem gehörten beide dem ca. 40 Männer aus Politik, Wirtschaft

und Wissenschaft umfassenden Kreis um den angesehenen

Staatsmann und Hochschulprofessor Gustav Marchet an, welcher

von Ende 1914 bis April 1916 u. a. über die österreichisch-

ungarischen „Kriegsziele“ debattierte, für ein enges Bündnis

mit dem Wilhelminischen Deutschland und eine Vormachtstellung

der Deutschösterreicher in Österreich eintrat und seine

Vorstellungen unter führenden Politikern, Bürokraten und

Militärs zu verbreiten suchte.320 Darüber hinaus dürfte neben318 So G. Fellner Hartmann, 118. Zu den vielfältigen Verflechtungen zwischenden zahlreichen berühmten künstlerisch-wissenschaftlichen „Wiener Kreisen“,deren Mitglieder oft in mehreren von ihnen gleichzeitig aktiv waren, vgl.Timms Kreise, 129-138, insb. 132. S. auch ebd. 131: Es hätten nur wenigeFrauen an ihnen teilgenommen; ebd., 136: Viele Angehörige dieser Kreiseseien keine gebürtigen Wiener gewesen; ebd., 137: Eine große Anzahl seijüdischer Herkunft gewesen. S. noch Schorske Wien, XVIII.319 Vgl. Mayr Praxiszeit, 267 (i. V. m. 268) über Klein, 268 Fn. 50 überFriedjung; s. ferner das Zitat von Ernst Blum bei Mayr Praxiszeit, 268 Fn.50: „Sie [die „Braune Arminia“] bot ihm Gelegenheit, mit vielen der Besten[sic] seiner Kollegen in regen Verkehr, in warme Freundschaft zukommen. ...Heinrich Friedjung und viele andere gehörten zu seinem Kreise.“.320 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 20 f. S. auch Friedjung Geschichte,Bd. 2, 412 (Gespräch mit von Bethmann-Hollweg in Berlin am 1. November 1915):„Eingehend sprach er mit mir die Stimmungen und Strömungen für und gegenden Mitteleuropäischen Wirtschaftsbund durch. Ich legte ... die StellungKoerbers, Becks, Kleins, Baernreithers dar.“). Zur Gruppe um Gustav Marchetvgl. F. Fellner Denkschriften, 228-231, insb. 231 (Es sei bei dem derzeitigenForschungsstand nicht klar zu unterscheiden, ob die Gruppe vonHerrenhausmitgliedern, mit denen zusammen Baernreither zur gleichen ZeitBeratungen über die Zukunft Österreich-Ungarns gepflegt habe, eine

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Friedjung auch Klein der vorwiegend von Angehörigen jenes

Kreises gebildeten, von 1915 bis 1918/19 bestehenden

„Österreichischen Politischen Gesellschaft“ (ÖPG) angehört

haben.321 Interessant ist ferner, dass aus der ÖPG nach dem

Krieg die Bürgerlich-demokratische Partei (BDP) hervorgegangen

ist, in der Klein dann eine so prominente Rolle gespielt hat.322

Eine gegenseitige Beeinflussung der beiden Männer könnte nach

allem am ehesten im Hinblick auf die Kriegsziele Österreich-

Ungarns erfolgt sein.

2. Friedjung und Hartmann

Friedjung und Hartmann waren Freunde.323 Vom ständig im Hause

von Bertha Hartmann verkehrenden, vierzehn Jahre älteren

Friedjung soll Hartmann viele Anregungen gewonnen haben.324

selbständige Gruppierung gewesen sei oder bloß in Ergänzung zum Marchet-Kreis eigenständige Beratungen durchgeführt habe.).321 Zur „Österreichischen Politischen Gesellschaft“ vgl. MorgenbrodGroßbürgertum, 42-206, insb. 56, 81: Deren personelle Basis habe zu einemerheblichen Teil aus Mitgliedern des „Marchet-Kreises“ bestanden. ZuFriedjungs Zugehörigkeit vgl. ebd., 218, 56, Fn. 3, auch 59, 73 i. V. m.Fn. 11 (Reden Friedrich von Wiesers und Friedjungs auf der Trauerkundgebungder ÖPG vom 2. Dezember 1916 anlässlich des Todes Kaiser Franz Josephs).Was Kleins Mitgliedschaft betrifft, so gibt Hawlik Parteien, Teil 2, 511,Fn. 31 für die Mitglieder des provisorischen Ausschusses der Bürgerlich-demokratischen Partei Ende 1918/Anfang 1919, unter denen sich auch Kleinbefand, an, sie seien mit Ausnahme eines E. Breßler [gleichzeitig]durchwegs Angehörige der ÖPG gewesen. Auf der anderen Seite geht aus ebd.,Teil 3, Blatt 66 hervor, dass Klein jedenfalls Anfang Dezember 1918 nichtMitglied der ÖPG war. Die Bezeichnung der Mitglieder der ÖPG im Titel desdiese Gesellschaft behandelnden Werkes von Morgenbrod - „Großbürgertum“ -trifft übrigens auf Friedjung wie auch auf Klein kaum zu. Vgl. nochMorgenbrod Großbürgertum, 185-198 und Hawlik Parteien, 489 f. über die vonAnfang bis Oktober 1917 in der ÖPG zwischenzeitlich dominierende Tendenzder von der Gruppe um Julius Meinl vertretenen Forderung nach baldigerBeendigung des Krieges und Wiedereinberufung des Parlaments.322 Vgl. zu diesem Hervorgehen Hawlik Parteien, Teil 2, 488-490; MorgenbrodGroßbürgertum, 201.323 Vgl. G. Fellner Hartmann, 103; vgl. auch ebd., 405, Endn. 204: Friedjungsei mit Hartmann „familiär [?] verbunden“ gewesen. 324 Vgl. Herholt Hartmann, 18; s. auch das Zitat aus Hartmanns Brief vom 9.Januar 1914 an Friedjung bei F. Fellner Friedjung, 657 sowie Pribram Tod, 109:

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Zudem waren sie in einigen Kreisen gemeinsam aktiv, nämlich bei

den Wiener Fabiern, in bzw. „in der Umgebung“ der

„Sozialpolitischen Partei“ - wo sich Hartmann freilich „am

kritischen Flügel“ befand - und, gemeinsam u. a. mit Hainisch,

Pernerstorfer, Alfred F. Pribram und Theodor Gomperz, in den

zwanglosen Runden der in der Vorkriegszeit um Friedjung

gebildeten „Gesellschaft für Geschichtsfreunde“.325

Die nach dem Muster der englischen Fabian Society 1893 auf

Initiative von Otto Wittelshöfer gegründete und bereits kurz

nach der Jahrhundertwende aufgelöste „Wiener Fabier

Gesellschaft“ war eine freie Diskutiergruppe, die

sozialpolitisch ähnlich ausgerichtet war wie der „Verein für

Socialpolitik“ im Deutschen Reich und an deren Treffen auch

Frauen sowie - an Vortragsabenden - Viktor Adler, Pernerstorfer

und andere sozialistische Führer teilnahmen; bekannt wurde ihre

Versammlung vom 18. Dezember 1894, auf welcher sich Hainisch,

„Heinrich Friedjung ward dem Gymnasiasten Führer durch das Gebiet derUniversalgeschichte.“.325 Gleichzeitige Aktivität bei den Wiener Fabiern und Hartmann „amkritischen Flügel“: G. Fellner Hartmann, 118; zu Friedjung bei den Fabiernvgl. Holleis Partei, 13, 23. In bzw. „in der Umgebung“ der „SozialpolitischenPartei“: G. Fellner Hartmann, 120. In der - nach Friedjungs Tod in „Friedjung-Gesellschaft“ umbenannten - „Gesellschaft für Geschichtsfreunde“: G. FellnerHartmann, 310 f.; zu letzterer auch Adlgasser/Friedrich Einleitung, 14: Sie seivon Alfred Francis Pribram und Hartmann als „Friedjung-Gesellschaft“ zurErforschung der Zeitgeschichte weitergeführt worden, wobei das vorrangigeZiel darin bestanden habe, Politiker und Militärs zur Geschichte desWeltkriegs sprechen zu lassen. Bundespräsident Michael Hainisch, ein alterFreund Friedjungs und Mitglied der Gesellschaft, habe für dieVeranstaltungen schließlich einen Raum im Palais am Ballhausplatz zurVerfügung gestellt (s. auch G. Fellner Hartmann, 311: Es sei wegen ihres„jüdische[n] Charakters“ eine „Gegengründung“ u. a. durch Alfons Dopsch undWilhelm Bauer erfolgt.).

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Wittelshöfer und Philippovich „im Prinzip“ für die Einführung

des allgemeinen Wahlrechts aussprachen.326

Teilweise von Mitgliedern der Fabier, teilweise von mit der

Politik der „Altliberalen“ unzufriedenen Liberalen, wurde im

März 1893 der lose organisierte und bis ca. 1907 bestehende

„Sozialpolitische Verein“ gegründet.327 Auch auf seinen

Versammlungen erschienen - z. T. prominente - Sozialdemokraten

sowie Mitglieder der „Vereinigten Deutschen Linken“, wie die

Partei der „Altliberalen“ zu dieser Zeit hieß.328 Ziel des

Vereins war neben sozialpolitischen Forderungen die Einführung

des [für Männer] allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten

Wahlrechts, weswegen es entgegen der ursprünglichen Absicht

seiner Mitglieder zu einer Trennung von den „Altliberalen“

kam.329 Der Verein unterstütze im Wiener Gemeinderatswahlkampf

1896 die dann jedoch wenig erfolgreichen sozialdemokratischen

Kandidaten.330

326 Vgl. Holleis Partei, 9-14, insb. 10 f., 13; zur Ähnlichkeit der Ziele derWiener Fabier und des Vereins für Socialpolitik vgl. G. Fellner Hartmann, 118;zu den sozialistischen Führern als Gästen vgl. Adler Gedächtnis, 106. NachAdler ebd. war Hartmann zusammen mit Wittelshöfer, Hainisch und anderenGründer der Gesellschaft, während Hartmann gemäß Rathkolb Hartmann, 52 erstum 1895 in den Kreisen der Fabier in Erscheinung trat. Vgl. darüber hinausnoch Holleis Partei, 13: Die Teilnahme der Damen habe der Gesellschaft dasGepräge eines Salons gegeben - - zur Wiener Salonkultur um dieJahrhundertwende: Ackerl Salonkultur, 695-709.327 Vgl. Holleis Partei, 14 f., insb. auch den Bericht an die k. u. k.Polizeidirektion ebd., 15: Der Verein scheine „ein Sammelpunkt für allejene Elemente zu werden, welche der proletarische Geist derArbeiterbewegung in den Reihen der Sozialdemokraten nicht duldet.Tatsächlich sind dem Verein Angehörige der verschiedenenBevölkerungsklassen ... beigetreten.“; zur losen Organisation: ebd., 25;zur faktischen Auflösung gegen 1907: ebd., 100.328 Vgl. Holleis Partei, 15-17.329 Vgl. Holleis Partei, 14, 17. 330 Vgl. Holleis Partei, 26 f.

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Offenbar im selben Jahr ging aus dem Sozialpolitischen Verein

die „Sozialpolitische Partei“ hervor, die eine Verbindung von

politischer Freiheit und umfassender Sozialreform hin zu einem

freiheitlichen Wohlfahrtsstaat sowie die Abwehr von

Klerikalismus und Antisemitismus anstrebte und zunächst einiges

Aufsehen erregte.331 Auch ihre Mitglieder traten für das

allgemeine und gleiche Wahlrecht [für Männer] ein.332 Diese

Honoratiorenpartei hat es gemäß Eva Holleis zwar vermocht, das

Interesse des liberalen Bürgertums an Sozialpolitik als einer

geistigen Strömung, nicht jedoch als einer praktischen

Parteipolitik zu erwecken.333 Noch weniger habe sie Einfluss auf

die „breite Masse des Volkes“ nehmen können.334 Auch daher löste

sie sich nach der Erfüllung ihrer Forderung nach dem

allgemeinen und gleichen Wahlrecht ebenso wie der

Sozialpolitische Verein gegen 1907 faktisch auf.335

Darüber hinaus gründeten Friedjung und Hartmann zusammen mit

anderen 1901 den „Politischen Aufklärungsverein“, welcher die

„Masse des Volkes“ politisch bilden sollte; er war in erster

Linie gegen die Christlichsoziale Partei gerichtet und

bekämpfte den Antisemitismus.336 1902 unterstützte dieser Verein

den im 9. Wiener Gemeindebezirk kandidierenden

Kompromisskandidaten der Sozialpolitischen Partei, der

Fortschrittspartei und der Sozialdemokraten gegen den

331 Vgl. Holleis Partei, 35-38.332 Vgl. Holleis Partei, 37.333 Vgl. Holleis Partei, 106.334 Vgl. Holleis Partei, 107.335 Vgl. Holleis Partei, 100.336 Vgl. Holleis Partei, 81 (1901: s. ebd., Fn. 15).

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christlichsozialen Kandidaten, wobei Hartmann Obmann des

Wahlkomitees war.337

Ferner informierte Hartmann Friedjung im März 1918 über einen

ihm von Heinrich Lammasch vorgelegten Text zur Friedenspolitik,

woraufhin Friedjung eine Pressekampagne gegen Lammasch führte,

da er in dem Text einen Verrat an dem Bündnis mit dem Deutschen

Reich erblickte. 338

Die Freundschaft zwischen Friedjung und Hartmann bedeutete

jedoch keineswegs, dass sie in allen ihren politischen und

wissenschaftlichen Ansichten übereinstimmten; im Gegenteil: Die

Kluft zwischen ihnen war insofern sehr groß. Gerade ihre

geschichtswissenschaftlichen Ansätze waren, wie noch zu zeigen

sein wird, disparat. Dies alles sprach Hartmann in einem Brief

an Louis Eisenmann vom 28. 7. 1920, also kurz nach Friedjungs

Tod, aus: „Wie Sie wissen, haben wir ja vor einiger Zeit kleine

Reibungen miteinander gehabt, aber dann doch in voller

Freundschaft miteinander verkehrt. Dass [sic] sich Friedjung in

die neuen Verhältnisse nicht mehr hineinfinden konnte, war ein

Schicksal, das sich bei seiner ganzen Entwicklung konsequent337 Vgl. Holleis Partei, 81 (1902: s. ebd., Fn. 18).338 Zu den Einzelheiten der Kampagne s. unten, E. I. 1. a. aa. Vgl. fernerLammasch Denkschrift, 2: Hartmann habe sich in einem Brief an ihn, Lammasch,als Informator Friedjungs zu erkennen gegeben. Zu Hartmanns Rolle in dieserAngelegenheit kritisch Hartmanns Parteigenosse Karl Renner unter Pseudonym inder sozialdemokratischen Zeitschrift „Der Kampf“: Mann Deutschland, 308 f.,insb. 309: „... obwohl er [Hartmann] die Kenntnis dieses Materials nur derVertrauensseligkeit Lammasch’ [sic] verdankte und obwohl Lammasch geradedamals von dem ganzen reaktionären und imperialistischen Klüngel imHerrenhause angefallen wurde. Was tut man nicht alles, wenn man dasVaterland in Gefahr glaubt!“ S. (allerdings) auch Lammasch Denkschrift, 2:Er habe Hartmann nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet. Vgl. fernerFriedjung Erwiderung, 2: „Dr. Hartmann ... die volle Verläßlichkeit meinesGewährsmannes über jeden Zweifel erhaben.“.

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ergeben mußte. Er ist bei all seinen glänzenden

schriftstellerischen Eigenschaften ein Epigone der Historiker

der 60[er] Jahre gewesen und als Politiker ein Epigone der

Bismarck’schen Aera und Österreichs. Ich hatte es natürlich

schon viele Jahre vermieden, mich in politische

Auseinandersetzungen mit ihm einzulassen; aber all dies

verhindert nicht, daß ich ... den Wert des Menschen erfasse und

anerkenne.“339 Der Kern ihrer wissenschaftlichen und politischen

Auffassungen ist also von einer Beeinflussung durch den jeweils

anderen unberührt geblieben.

3. Klein und Hartmann

Ob sich Klein und Hartmann kannten, geht aus den

Veröffentlichungen über die beiden nicht hervor. Sie könnten

sich im Österreichisch-Deutschen Volksbund (ÖDV) begegnet sein;

denn dieser wurde von Hartmann gegründet, erwuchs aber aus

einem Gala-Treffen am 17. November 1918 in Berlin und einem

daraufhin entstandenen österreichisch-reichsdeutschen Komitee,

welche Klein organisiert hatte.340 Gemeinsam war Klein und

Hartmann - ebenso wie anfangs Friedjung - (auch) die

Freundschaft mit Viktor Adler und Pernerstorfer.341 So war Klein

denn auch „wohl der einzige Minister der österreichischen

Monarchie, welcher sozialdemokratischen Führern Du sagte und

339 Bei G. Fellner Hartmann, 395, Endn. 117. Vgl. ferner ebd., 117 imZusammenhang mit dem Sozialismus.340 Zur Gründung des ÖDV durch Hartmann vgl. das Zitat von Otto Bauer bei[Stephan] Bauer Hartmann, 208. Zur Entstehung des ÖDV aus dem von Kleinorganisierten Treffen und Komitee vgl. Myers Berlin, 161, („Soon theseactivities enjoyed the aid of Schotte and Hartmann...”); vgl. auch MeyerMitteleuropa, 293.341 Zu Kleins Verhältnis zu Viktor Adler und Pernerstorfer vgl. MayrPraxiszeit, 268, 270 (Zitat Adolf Bachrach); s. ferner Mayr Schulzeit, 44.

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ihnen von der Ministerbank die Hand schüttelte.“342 Zudem soll

Klein, wie erwähnt, „an der Spitze“ der Wiener internationalen

Universitätskurse gestanden haben - was mit einiger Sicherheit

eine Bekanntschaft mit dem wissenschaftlich ebenfalls

international orientierten und die „Volkstümlichen

Universitätscurse“ organisierenden Hartmann nach sich gezogen

haben dürfte.343 Schließlich waren beide gleichzeitig in hohen

Positionen Untergebene des Staatssekretärs Otto Bauer und

stimmten zudem mit dessen nationalpolitischen Ansichten

weitgehend überein, so dass der Schluss nahe liegt, dass sie

sich kannten. Eine gegenseitige Beeinflussung Kleins und

Hartmanns ist nach allem jedoch nicht feststellbar.

C. Verhältnis zur „Wiener Moderne“344

Wie aus den Biographien ersichtlich wurde, waren alle drei

Protagonisten dieser Arbeit spätestens kurz nach der

Jahrhundertwende politisch außerordentlich aktiv. Das immer

noch gängige Bild von den Trägern der „Wiener Moderne“ des

ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts jedoch ist das

einer Generation, welche sich von dem Geschmack und der

altliberalen, im Niedergang begriffenen Politik ihrer Väter

gänzlich abgekehrt und sich aus der Politik gänzlich in das

Intime, Individuelle, Persönliche, Subjektive zurückgezogen und

dort ihre Psyche bespiegelt habe.345 Sie sei aus der

Wirklichkeit geflohen und habe Krisenverdeckungsstrategien342 Vgl. Mayr Praxiszeit, 274 (Zitat aus nachgelassenen „BiographischenNotizen“ - s. 273, insb. Fn. 80: wahrscheinlich von Ottilie Friedlaenderverfasst).343 Zitat: Schima Artikel ÖBL, 379; vgl. auch Sprung Lebensweg, 55. Zudemhielt Klein Vorträge im Wiener Volksbildungsverein (über diesen vgl.Hartmann Kulturjubiläum, 178), so z. B. 1890 Klein Rechte, 379-393.344 Reszler Mythe, 37 bezeichnet diese Periode gar als [damit doch wohl rechtkonfliktlose und sorgenfreie] „Belle Époque viennoise“.

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sowie Fiktionen als Kunstgriffe der Lebensbewältigung

entwickelt.346 Allen zahlreichen parallelen, konvergierenden

Strömungen im Wien des Fin de siècle sei gemeinsam gewesen das

Bemühen, „die Indispensabilität des Subjektes“ als des

„unabdingbare[n] Konstituens“ der Wirklichkeit aufzuzeigen.347

345 Vgl. Schorske Wien, 265-346 sowie XVII: Es sei zu einer Art kollektiverÖdipusrevolte gekommen, zu einer allgegenwärtigen und gleichzeitigen Kritikdes liberal-rationalen Erbes von verschiedenen Gebieten kulturellerTätigkeit her. Vgl. ferner ebd., XVIII: „So schien sich in Österreich eineneue Kultur zu entwickeln wie in einem Gewächshaus, wobei die politischeKrise die Wärme lieferte.“ Vgl. auch Charle Vordenker, 165-168, insb. 167:„Diese Avantgarde, die nichts mit Politik, Engagement und Öffentlichkeit zutun haben will, verkörpert die Extremform des Intellektualismus im Stil desFin de siècle.“; Hanák Lebensgefühl, 157; Le Rider Ende, 29; MantlModernisierung, 82, 97; Pollak Wien, 26; Zapotoczky Analysen, 36 f.: Diemangelnden Partizipationsmöglichkeiten im politischen und wirtschaftlichenBereich hätten Kapitulation (Resignation), Innere Emigration oder denVersuch, Stärke zu beweisen, zur Folge gehabt; vgl. ferner KnollKonstruktion, 48. Kritisch zur Mode „Wien um 1900“: Brix Interesse, 138-150;Ehalt Wien, 11-13; Mantl Wien, 253-256; Reszler Mythe, 39-41. Zur zumindestteilweisen Unangemessenheit des viel gebrauchten Diktums „Rückzug aus derPolitik“ in diesem Zusammenhang s. oben, Fn. 4; vgl. auch unten, Fn. 398.346 So Mantl Modernisierung, 95-97.347 Vgl. Leser Strömungen, 67. Offenbar hat dazu auch die im Wien derJahrhundertwende einflussreiche, allerdings auch oft missverstandene -materialistische - Philosophie Ernst Machs der Welt als eines Komplexes vonEinzelempfindungen beigetragen - vgl. Wagner Besonderheiten, 17. Nur stelltedanach auch das Ich selbst lediglich einen solchen Komplex dar - vgl. WeibelQuadrupel, 410; auch Wagner ebd., 13. Die Auffassung des um diese Zeitebenfalls in Wien forschenden und lehrenden Ludwig Boltzmann vomindividuellen Gehirn als einem Weltbild-Apparat und vom Fortschritt nichtals einer Kumulation der Fakten, sondern einer Anpassung der Theorie an dieBedürfnisse - vgl. Wagner Besonderheiten, 13 - dürfte (daher) prinzipiell(noch) geeigneter zur Entstehung des genannten Weltbildes gewesen sein alsMachs Konzept. Zur Verbindung von Positivismus und Impressionismus in der„Wiener Moderne“ vgl. Kampits Positivismus, 98-110, insb. 109: (Diese stelleeine Spezialität der österreichischen Geistigkeit um die Jahrhundertwendedar - ob sie ein Erklärungsprinzip für die kulturell-geistige Situation inWien um 1900 abgeben könne, sei „sicherlich kaum eindeutig zuentscheiden.“). Eine eigenwillige Sicht von der Philosophie in Österreich-Ungarn zwischen 1900 und 1930 als modern, d. h. das „Alte“ und das „Neue“polarisierend, (Positivismus mit aufklärerischen und sozialreformerischenFunktionen, Präsentismus und österreichische Schule der Nationalökonomie)und derjenigen im Deutschen Reich als die Moderne und die Traditionversöhnend und die Moderne lediglich selektiv aufnehmend, (Neukantianismus,

99

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Eine Untersuchung dieses immer noch dominierenden Bildes ist

notwendig, um es mit der hohen politischen Aktivität der drei

hier im Mittelpunkt stehenden Gelehrten in Beziehung zu setzen

und es dabei zugleich teilweise zu korrigieren. Dieser Blick

auf die „Wiener Moderne“ ist inzwischen denn auch zu Recht

vielfältig kritisiert worden.348 Er muss schon deswegen einseitig

sein, weil er sich fast ausschließlich auf die damalige

Künstlerelite richtet. Dabei fehlt nicht bloß der Blick auf die

„Massen“, sondern auch auf politisch aktive und keinesfalls dem

Persönlichen huldigende Nichtkünstler wie eben zum Beispiel

Friedjung, Klein und Hartmann.349

Historismus) findet sich bei Kiss Intellektuellen, 199-203. 348 S. v. a. Coen Vienna, 1-31, insb. 1-3, sowie 333-352, insb. 337 (hierallerdings mit wenig überzeugender Argumentation: “... what looked toSchorske like the middle class’s retreat from the public sphere was really asymptom of a larger transformation in the relation of state, society, andfamily, one that liberals found themselves powerless to stop.” - s. auch351: “To Schorske, and to most theorists of Central European history in thetradition of Jürgen Habermas, liberalism and the public sphere have appearedto be mutually constitutive historical phenomena. This study has insteademphasized the debt of Austrian liberalism, for better or worse, to thedomestic world of the educated middle class. ... The challenges of familylife, as they saw them, were those of a liberal society in miniature.”); RothHistory, 729-745; Spector Garden, 691-710, insb. 691-695, 702, 706 f.;Steinberg Vienna, 151-162, insb. 151-155.349 S. dazu auch Sandgruber Exklusivität, 77: Was aus bürgerlicher Sicht alsdas „Zeitalter der Sicherheit“ [Stefan Zweig - s. unten, Fn. 352] erschienensei, sei aus der Sicht der Arbeiter eine Zeit starker Unsicherheit gewesen.Ehalt Wien, 11, 13: Kritik der Ausklammerung der „kleinen Leute“ und desAlltagslebens selbst der Mittel- und Oberschichten. Zu den politischenMassenbewegungen als Bestandteil der Wiener Moderne: Fischer Theorie, 110.Die Pluralität, die Heterogenität, die Komplexität, die Ambivalenz und dieWidersprüche im Wien um 1900 allgemein und damit die Problematikvereinheitlichender Begriffe [wie „der“ „Wiener Moderne“] streichen heraus:Ehalt Wien, 10 f.; Latraverse/Moser Avant-propos, 6-8; Leser Strömungen, 63;Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 27 f.; s. auch Johnston Geistesgeschichte, 398-401. Allerdings ist einzuräumen, dass Wien in dieser Zeit auch den Typusdes Künstler-Politikers à la von Schönerer, Lueger, Herzl und Viktor Adlerhervorgerufen hat - dazu unten, E. I. 1. b.

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Zudem werden die Kontinuitäten zwischen den Generationen

ausgeklammert.350 Gerade die Wiener Kunst dieser Zeit gilt denn

auch bekanntlich als deutlich mehr auf Traditionen aufbauend

als etwa die in Berlin.351 Außerdem ist die mit diesem Bild

regelmäßig verbundene Behauptung der extremen Verunsicherung

des Wiener Bürgertums im Fin de siècle stark zu relativieren.352

Schließlich haben sich sogar einige führende Wiener Künstler

politisch engagiert, direkte Verbindungen zu „progressiven“

politischen Ideen gepflegt und unmittelbare soziale Ziele

verfolgt.353

Aber auch soweit mit diesem Bild gewisse Strömungen korrekt

gezeichnet sind, tragen diese viel eher „postmoderne“ als

moderne Züge und waren damit weniger ein „Labor(atorium) der

Moderne“ und nicht etwa ein „Leuchtfeuer der Moderne“ (William

350 Dazu kritisch: Coen Vienna, 345. S. auch Knoll Konstruktion, 48: Selbstwährend der gewaltigen Entwicklung des Fin de siècle habe in Österreicheine beharrliche Form der Verweigerung oder Verleugnung von Veränderung undVeränderbarkeit dominiert.351 Vgl. nur Le Rider Ende, 30-33 (Überschrift „Wenn die Modernen die Altenrespektieren“); Streim Kraus, 180-189 (Überschrift „Wien und Berlin“ -Tradition vs. Maschine [Karl Kraus]“); s. auch Leser Strömungen, 68;Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 39-41.352 So vor allem Coen Vienna, passim, insb. 13. Zur Dimension derUnsicherheit s. auch Leser Strömungen, 64, der die „Widersprüchlichkeit derSituation“ konstatiert: Die „Welt der Sicherheit“, die Stefan Zweig später in„Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers“, vorgeführt habe, seigleichzeitig eine Welt der Unsicherheit gewesen, wie dieser im Laufe desBuches selbst schreibe: „Wir tafelten wie weiland König Belsazar und sahennicht die Zeichen der Zeit und mußten dann erst erkennen, daß wir an derZeit vorbei gelebt haben.“ Die von Leser konstatierte „Widersprüchlichkeit“war nach Zweig jedoch nur ein Auseinanderfallen von „objektiver“, erst expost verstandener Unsicherheit und dem seinerzeit gemäß Zweig bestehendenSicherheitsgefühl. 353 Vgl. Csáky Moderne, 34 (mit Beispielen für das politische Engagement -Kreis um „Die Zeit“ [Österreichische Fabier] - für die direktenVerbindungen: Marxismus, Sozialdemokratie, Lipiner-Kreis, SozialliberalePartei - für die sozialen Ziele: Secession und Wiener Werkstätte).

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M. Johnston).354 Denn Modernisierung - und auch „Modernität“

und „die Moderne“355 - ist nach heutigem und offenbar auch nach

dem um 1900 üblichen, ob nun affirmativen oder pejorativen,

Sprachgebrauch gekennzeichnet durch Indikatoren wie

Fortschritts- und Wissenschaftsoptimismus, Rationalisierung,

Arbeitsteilung, Wirtschaftswachstum, Bevölkerungszunahme, neue

Verkehrs- und Kommunikationsmittel, Bürokratisierung,

Industrialisierung, Urbanisierung, Säkularisierung,

Emanzipation von Frauen, von Unterschichten sowie von

religiösen und nationalen Minderheiten, Demokratisierung des

354 So zu Recht Le Rider Ende, 10: Die Wiener Moderne könne als dieVorwegnahme einiger wesentlicher „postmoderner“ Themen gelten; 21: DieZeitgenossen Freuds und Hofmannsthals hätten ihre Situation in Wien eherals Behinderung betrachtet, fast als Exil. Das Kultur-, Geistes- undUniversitätsleben der anderen europäischen Hauptstädte sei stets Gegenstandihres Neids gewesen. Sie selbst hätten kaum daran gedacht, ihre Stadt alsZentrum der Moderne zu bezeichnen. Sie hätten sie eher eine Bastion allerArchaismen genannt; vgl. zudem ebd., 35-39. Ähnlich: Cometti Conception,184, Fn. 2; Fischer Theorie, 120-122; Janik Vienna, 156; Kampits Positivismus,110; Kiss Intellektuellen, 197, Fn. 3 (neben dem Individualismus auch nochauf die „anti-totalitären“ und konsumfeindlichen Einstellungen der „WienerModernen“ hinweisend); Topitsch Wien, 23, 27. „Leuchtfeuer der Moderne“:Johnston Geistesgeschichte, 404. Zur oft gebrauchten Bezeichnung „Labor derModerne“ für das Wien um 1900 z. B.: Maderthaner Zeit, 249-257. Vermittelnd:D. Luft Modernism, 37 („...the importance of Austrian thought in the earlytwentieth century is largely determined by its distinctive conjuncture by1900 of strong modernist and postmodernist traditions.”); ähnlichLatraverse/Moser Avant-propos, 10 f.; Reszler Mythe, 38 f.; Welan Wien, 43; s.auch Leser Strömungen, 64 und Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 21, die einNebeneinanderstehen von bzw. Schwanken zwischen Fortschrittseuphorie undUntergangserwartung konstatieren, sowie Mantl Modernisierung, 93 f.: DieModerne breche sich in den kritischen Großleistungen der spätenDonaumonarchie (Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Franz Kafka,Joseph Roth, Robert Musil, Hermann Broch, Karl Kraus, Adolf Loos, SigmundFreud, Ludwig Wittgenstein), sowohl die Moderne als auch die Dekadenzskeptisch untersucht hätten. Zur Begriffsgeschichte von „Modern -Modernität, Moderne“: Gumbrecht Artikel, 93-131, insb. 120-126 („Die Moderneals Programm um die Jahrhundertwende“); Piepmeier Artikel, Sp. 53-62, insb.59-62.355 Für eine Unterscheidung von als substantiell verstandenerModernität/Modernisierung auf der einen und deren theoretischer undpraktischer Verarbeitung als der Moderne auf der anderen Seite aber:Horak/Mader-thaner/Mattl/Meiss/Musner/Pfoser, Vorbemerkung, 9 f.

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politischen Prozesses, Aufstieg von Parteien und Verbänden,

Rechtsgleichheit, grundrechtlich gesicherte Freiheiten,

Mobilität [und Globalisierung] und Mindeststandards sozialer

Sicherheit.356

Die „Wiener Moderne“ hingegen war geprägt gerade von Kritik an

der wirtschaftlich-technischen Modernisierung inklusive eines

durch die Modernisierungskosten hervorgerufenes

Krisenbewusstseins und Dekadenzgefühls.357 Auch der für deren

Künstler konstatierte Eskapismus und ihre hohe

Selbstbezogenheit vertragen sich ebenso wenig mit dem

Sprachgebrauch des Begriffs „Moderne“ wie der bei ihnen weit

verbreitete Pessimismus und die unter ihnen häufige

Resignation.358

356 So zu Recht Mantl Modernisierung, 87. Zum um 1900 offenbar gebräuchlichenBegriff von „Moderne“ s. Le Riders (zweite) Bemerkung oben, Fn. 354 sowieNautz/Vahrenkamp Einleitung, 38. Allerdings sei nicht Georg Simmels einzigeDefinition der Moderne (aus dem Jahre 1911) verschwiegen: „Denn das Wesender Moderne überhaupt ist Psychologismus, das Erleben und Deuten der Weltgemäß den Reaktionen unseres Inneren und eigentlich als einer Innenwelt,die Auflösung der festen Inhalte in das flüssige Element der Seele, aus deralle Substanz herausgeläutert ist, [sic] und deren Formen nur noch Formenvon Bewegung sind.“ - s. Frisby Simmel, 19.357 So Mantl Modernisierung, 90-95; s. auch Johnston Geistesgeschichte, 393-397; Knoll Konstruktion, 48; Topitsch Wien, 23. S. allgemein auch WeißAntinomien, 52: Das Moderne sei nicht das jeweils Neue als solches, sonderndas Neue als „Fortschrittliches“. Dass der typische „Gelehrtenpolitiker“allerdings ebenso den „Primat des Geistes“ gerade auch im „technischenZeitalter“ beanspruchte - s. Schmidt Gelehrtenpolitik, 18 -, sei allerdingsnicht verschwiegen. 358 Zur in hohem Grade reflexiven Literatur in Wien um 1900: Pollak, Wien, 28;auch Charle Vordenker, 167 f. Zu Pessimismus und Resignation: MantlModernisierung, 92 f. - weiter macht er noch gesinnungsethischeKompromisslosigkeit und daraus folgend einen Mangel an pragmatischerVerantwortlichkeit, Weltschmerz, Zerrissenheit, „Nervosität“,Überfeinerung, Amoralismus, Erschöpfung, taedium vitae und amor mortis aus. ZurNervosität: Radkau Zeitalter, passim (für das Deutsche Reich); WorbsNervenkunst, passim (für Wien); s. auch Hugo von Hofmannsthal, zit. bei CsákyModerne, 30: „...hübsche Möbel und überfeine Nerven. Die Poesie dieserMöbel erscheint uns als das Vergangene, das Spiel dieser Nerven als das

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Der Ansatz von Helmut Rumpler im Hinblick insbesondere auf die

Politik im Habsburger-Reich um 1900, als „modern“ könne nur das

gelten, was heute modern sei, und dies sei die sog.

Postmoderne, bietet scheinbar eine Alternative.359 Aber er ist

nicht nur anachronistisch, sondern mit dem erwähnten

Sprachgebrauch nicht vereinbar, weil er „Moderne“ und

„Postmoderne“ auf einer Metaebene betrachtet - auf der sich

dann aus heutiger Sicht allerdings in der Tat die „Postmoderne“

als die „wahre“ Moderne darstellt -, was dann zu einer

heillosen Begriffsverwirrung führt.360 Dies insbesondere

angesichts dessen, dass Rumpler ausdrücklich eingesteht, das

„wissenschaftlich gesicherte Urteil von der Ausweglosigkeit,

das Nationalitätenproblem verfassungspolitisch zu lösen“ sei

dadurch keineswegs in Frage gestellt; es beweise eigentlich

nur, dass die Politik der Monarchie in der Frage des

Nationalitätenrechtes unzeitgemäß und in diesem Sinne unmodern

im Sinne von anachronistisch gewesen sei. Unter den

übergeordneten Gesichtspunkten postmoderner Erfahrungen seit

1918 [?] sei wohl nicht die Geschichte, wie sie notwendig

Gegenwärtige.“; Nervosität als besonderes Merkmal dieser Zeit sieht alsKonstrukt an: Roelcke Krankheit, passim. Vollends unmodern im umschriebenenSinne war der von Knoll Konstruktion, 50 zu Recht konstatierte Anspruch derKunst der „Wiener Moderne“ im Fin de siècle, an die Stelle von WirklichkeitKunst treten zu lassen, die Wahrheit durch Bilder, die Öffentlichkeit durcheinen Schauplatz zu ersetzen, bzw. „die ‚Wahrheit’ an und für sich“ zusein. 359 Zu diesem Ansatz: Rumpler Elemente, 86; ähnlich:Horak/Maderthaner/Mattl/Meiss/Musner/Pfoser, Vorbemerkung, 10 f.360 Zudem lässt dieser Ansatz den historischen „Zwischenschritt“ dermitteleuropäischen Moderne im eigentlichen Sinne in den 1920er und frühen1930er sowie in den 1950er bis 1970er Jahren gänzlich unbeachtet und„springt“ einfach auf das „Übermorgen“ der Postmoderne „vor“. Die Ablehnungdes Rumplerschen Begriffsverständnisses widerspricht auch nicht derzutreffenden Bemerkung von Weiß in Fn. 382.

104

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verlaufen sei, zu revidieren, wohl aber das historische

Urteil.361

Die im eigentlichen Sinne moderne Richtung wurde in der

Habsburger-Metropole um die Jahrhundertwende hingegen vor allem

durch die Anhänger der bereits erwähnten „Spätaufklärung“

vertreten, denen auch Klein, Hartmann und zumindest der „frühe“

Friedjung angehörten.362 Führend unter diesen waren die

jüdischstämmigen Wiener Bürger - so dass der Jude Friedjung und

361 Rumpler Elemente, 89.362 Zur sog. Spätaufklärung im Wien um 1900 s. Ehs Kelsen, 79-84; RabinbachEnlightenment, 40-42, insb. 40 (“The sphere of science in Austria ... is aLate Enlightenment, it has both the sceptical quality and this radicalquality of being more Enlightenment than the universalistic Enlightenmentof the eighteenth century.” Für die Wiener Moderne konstatiert er “a greatdeal of scepticism about universality, laws of history” und fügt hinzu:“Yet at the same time, a devout belief in science, a devout understandingof the liberating potential of science as the organizing principle of themodern world...” Vgl. auch Knoll Konstruktion, 49: „Dieser [von AdalbertStifter u. a. unternommene] Harmonisierungsversuch war das Ergebnis einerPopularisierung und Internalisierung der josephinischen Transformation vonAufklärung, der es immer an der Beförderung des allgemeinen Wohls im Rahmenpragmatisch gegebener Verhältnisse gelegen war. Sie ist auch die Basis fürRealitätssinn, Möglichkeitssinn und vorsichtigenVeränderungswillen. ...orientieren sich an empirisch ermittelbarenDurchschnittswerten, die als Maßstab sozialer Gegebenheiten dienen. DieVerbesserung durch kleine Schritte ist dann bei Popper-Lynkaeus ebenso zufinden, wie in den reformistischen Varianten des Austromarxismus.“ Vgl.(aber) auch Mantl Modernisierung, 91: Der österreichische Garantismus, d. h.dessen ausgeprägtes Sicherheitsstreben, und Juridismus hätten seit demaufgeklärten Absolutismus versucht, „Widerlager gegen die anbrandendeModernisierung zu bauen - und sie damit implizit akzeptiert.“ Zu Friedjungund der Moderne: Ritter Historians, 69 (dessen Überschrift - vgl. ebd., 45 -„Progressive Historians... Heinrich Friedjung...“ allerdings weit gehendirreführend ist - vgl. dazu unten, E. II. 1.). Zu Klein und der Modernevgl. Saint Germain, 147 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919)(„...diese spießbürgerlichen Gegner allen ‚Modernismus’...), auch ebd., 156(Brief an Ottilie Friedlaender vom 14. Juni 1919); Böhm Grundlagen, 192;Wilhelm Besuch, 1029. Zu Hartmann und der Moderne vgl. G. Fellner Hartmann,124: Die Träger des spätaufklärerisch, liberal, demokratisch,sozialreformerisch und sozialistisch geprägten Lagers, dem Hartmannangehört habe, seien „fast immer in gewisser Weise Modernisten“ gewesen.„Ihre Schlagwörter waren Vernunft, Humanität, Bildung, Aufklärung,Fortschritt, Solidarität und nicht zuletzt Sozialismus.“.

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der zum Teil jüdischstämmige Hartmann insofern typisch sind.363.

Hartmann war darüber hinaus auch ein

„Modernisierungstheoretiker“ in diesem Sinne.364

Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass die jeweils in

den Blick genommenen „Generationen“ - die jedoch nicht im

Verhältnis von Eltern und Kindern stehen - divergieren: Denn

diejenigen unter den „Jungen“, die im Zeichen der nach dem

Börseneinbruch von 1873 folgenden Wirtschaftskrise mit ihrer

Kritik an der hergebrachten Politik in der Tat in einen -

teilweise nur vorübergehenden - Konflikt mit den „Alten“

gerieten und dieser eine neue, dennoch ebenfalls weitgehend

aufgeklärte Politik entgegensetzten, waren - wie Hartmann und

beinahe auch Klein - zwischen 1855 und 1865 geboren worden.365

Die beschriebene gängige Sicht der „Wiener Moderne“ hingegen

bezieht sich hauptsächlich auf die zwischen 1870 und 1880

geborenen Jüngeren - z. B. Hugo von Hofmannsthal, Leopold von

Andrian, Felix Salten und Karl Kraus -, welche die Phase des

politischen Überschwangs ihrer Vorfahren nicht erlebt hatten

und sich von den immer noch bitteren politischen

363 Vgl. Beller Vienna, 177-180, insb. 177 (führend) und 179 (Modell undInspiration u. a. in der deutschen Aufklärung). Zu jüdischenWissenschaftlern in der österreichischen Politik Ende des 19., Anfang des20. Jahrhunderts vgl. Leser Persönlichkeiten, 9-12, 18, 20, 30-32. Freilichwaren auch unter den Vertretern der „Wiener Moderne“ Juden führend: vgl.nur Stefan Zweig bei Charle Vordenker, 166; Fischer Theorie, 118 f.364 Vgl. Suppanz Historismus, 276-279. Vgl. auch Hartmann Deutschland, 218;ferner G. Fellner Hartmann, 114: Hartmann habe eine Wachsamkeit gegenüberundemokratischen und unsozialen Missständen gekennzeichnet, welche ihndavon abgehalten habe, an den diversen künstlerisch-philosophischenEreignissen „du jour“, wie er es genannt habe, teilzunehmen. Er habe einensozial und politisch zu wenig verantwortungsvollen Kunst- undWissenschaftsbetrieb generell abgelehnt.365 Vgl. Pollak Wien, 99 f.

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Auseinandersetzungen über nationale und soziale Probleme

angewidert fühlten.366

D. Gelehrtenpolitik

I. Gelehrte

Oft wird unter der Rubrik „Gelehrtenpolitik“ das politische

Wirken ausschließlich von Professoren oder von Hochschullehrern

im engeren Sinn, d. h. von ordentlichen und außerordentlichen

Professoren sowie Privatdozenten, behandelt.367 Aus einem

solchen Blickwinkel heraus fällt Heinrich Friedjung von

vornherein nicht in den Kreis der Gelehrtenpolitiker; denn er

war als junger Mann lediglich kurze Zeit Lehrer an der Wiener

Handelsakademie gewesen, danach aber als Journalist und freier

Schriftsteller tätig.368 Dadurch entfällt bei ihm zwar ein nicht

unbedeutender Aspekt, der für den Kern der Gelehrtenpolitiker

typisch ist: die Einbindung in die Institution Hochschule.

366 So Pollak Wien, 161-163. Vgl. allerdings auch Friedjung Ausgleich, 12 über dasJahrzehnt zwischen 1867 und 1877 (Der Ausgleich mit Ungarn 1867 habe einetiefe Entmutigung in Österreich hervorgerufen: Die besten Talente wendetensich vom öffentlichen Leben ab. „Der Zuzug jüngerer Kräfte zur politischenLaufbahn hört beinahe ganz auf.“). Vgl. auch Hanák Lebensgefühl, 161, derunter Hinweis auf die erste russische Revolution, die gewaltigen sozialenBewegungen, die Bildung des Entente-Blocks und die Beschleunigung derKriegsvorbereitungen die Jahre 1905 und 1906 als Zäsur im Lebensgefühl auchin Wien sieht und als Symptom dieses Einschnittes die „rasche Abfolge vonKubismus, Expressionismus, Picasso, der Brücke, dem Blauen Reiter,Futurismus, Konstruktivismus, Apollinaire, Proust, Gide usw.“ anführt - s.auch ebd., 163; vgl. schließlich noch vom Bruch Wissenschaft, 186 f., nachwelchem im Deutschen Reich 1907 eine - allerdings auch durch ein Abrückenvon der parlamentarischen und Tagespolitik gekennzeichnete -Aufbruchstimmung einsetzte.367 So z. B. im Standardwerk vom Bruch Wissenschaft. Zu dieser Definition vonHochschullehrern s. ebd., 211, Fn. 697; auch Professoren, 11 f.368 Vgl. auch F. Fellner Friedjung, 635: Friedjung sei, „abweichend von denüblichen Erscheinungsform eines deutschen Gelehrten und ähnlicher einem inEngland anzutreffenden Typus, als Politiker und Essayist unmittelbar insLeben gestellt und von dort zum Geschichtsschreiber der neueren Zeitberufen“ worden.

107

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Dennoch soll auch Friedjungs Wirken hier erörtert werden. Denn

er war (auch) ein Wissenschaftler von Beruf: Seine

selbstständig erschienenen Schriften sind fast ausschließlich

geschichtswissenschaftlicher Natur und von ihm sein Leben

hindurch fast durchgängig verfasst und publiziert worden. Zudem

hatte er das Studium der Geschichtswissenschaften an der

Universität Wien absolviert, dort promoviert und war seit 1909

korrespondierendes, seit 1918 wirkliches Mitglied der Wiener

Akademie der Wissenschaften.369

Hinzu kommt, dass ein Lehrer einer Lehranstalt wie der

Handelsakademie im Österreich dieser Zeit ein ähnlich hohes

Prestige genoss wie die eines Universitätslehrers und er jene

unfreiwillig hatte räumen müssen, so dass sein

Selbstverständnis vermutlich durchaus (auch) das eines - wenn

auch ehemaligen - Akademielehrers war.370 Dennoch ist durch die

Einbeziehung Friedjungs klar, dass es in der vorliegenden

Arbeit bereits vom Ansatz her nicht um die Behandlung einer

„eigenständige[n] professoral-ständische[n]“ angestrebten oder

tatsächlichen „Meinungsführerschaft“ oder einen „professoralen

Kasten-Bonus“ gehen kann.371

Die Frage, ob es sinnvoll ist, grundsätzlich auch

Intellektuelle aus anderen Berufsgruppen - z. B. Rechtsanwälte,

369 Vgl. zu Letzterem Redlich Nekrolog, 232.370 Zum in Österreich traditionell geringen Unterschied des Sozialprestigesvon Mittel- und Hochschul“professoren“: R. Luft Professoren, 296. 371 Zitate: vom Bruch Professoren, 22 bzw. 24; vgl. auch ebd., 23 über das imDeutschen Reich unangefochtene soziale Prestige der Professoren - welchesFriedjung natürlich nicht zukommen konnte.

108

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Ärzte, Geistliche, und Lehrer - im Falle ihrer politischen

Betätigung gerade aus ihrem Selbstverständnis als

„Geistesarbeiter“ heraus, aber ohne eigene wissenschaftliche

Produktion als Gelehrtenpolitiker zu verstehen oder sie

historiographisch jedenfalls zusammen mit diesen zu

untersuchen, kann hier auf sich beruhen.372

II. Politik

Nach Wolfgang Gerhardt ist Politik geprägt durch acht

wesentliche Merkmale: Organisation und Ordnung - Interessen -

Konflikt und Macht - Kompromiss und Konsens - Verfahren und

Repräsentation - einen existentiellen Charakter -

Öffentlichkeit bzw. Publizität - das Ziel der

Zukunftsgestaltung.373 Blickt man auf die Aktionen von Friedjung,

Klein und Hartmann, dann erfüllen einige von diesen gerade im

Falle Friedjungs die Merkmale Verfahren und Öffentlichkeit bzw.

Publizität nicht. Jedoch sind informelle Einflussnahmen auf

372 So der Sache nach der Ansatz von Ringer Gelehrten, 15, der sich mit demvon ihm sog. Mandarinentum beschäftigt und dieses für den europäischen Raum„einfach als eine gesellschaftliche und kulturelle Elite“ definiert,„welche ihren Status in erster Linie ihren Bildungsqualifikationen undnicht Reichtum oder vererbten Rechten verdankt.“ - vgl. (aber) auch ebd.,16, wo von diesem noch die Kategorie der „‚Intellektuellen desManadinentums’ (vor allem die Universitätsprofessoren)“ als der Beschafferder „geistige[n] Nahrung“ der Elite, als Hüter der Maßstäbe für dieQualifikationen zum Eintritt in diese und als deren Sprecher in[ausschließlich?] kulturellen Fragen abgehoben wird. Zu Hübingers Begriff des„Gelehrten-Intellektuellen“ s. sogleich, unter 3. Die im deutschsprachigenRaum typische Auffassung von einem „Gelehrten“ findet sich bei Klein SaintGermain, 240 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 13. Juli 1919): DieNichtgelehrten blieben alle im Einzelnen stecken, der Gelehrte in demSinne, dass er zugleich stets Philosoph sei, beherrsche alles und könneinmitten aller Divergenzen das Versöhnende des Ganzen einnehmen. DasGegenteil vertrat Friedrich Nietzsche: Der Gelehrte bilde den Gegensatz zumfreien Gebildeten und wissenschaftlichen Menschen - vgl. Nutzen, 186 f.,auch 147-153, 160.373 Gerhardt Politik, 265-269.

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staatliche Entscheidungen ebenso politische Handlungen wie

öffentlich vollzogene, so dass auch diese hier zu

berücksichtigen sind.374 Interessant werden im Laufe der

Untersuchung (E. I. 1. und 2.) aber die Merkmale Konflikt,

Kompromiss und Konsens werden.

Im Übrigen finden sich bei Friedjung, Klein und Hartmann alle

drei klassischen Hauptfelder der Politik(wissenschaft)375:

zunächst politics, d. h. die politischen Prozesse, das vor allem

durch Kampf geprägte Vorgehen der Akteure inklusive ihrer

Interessen und Handlungspotentiale und ihres Anspruches auf

Legitimität sowie des entstehenden Konsenses. Aber auch policy,

d. h. die Inhalte, die Ebene der Programmbildung und Planung:

Vor allem waren Friedjung und Klein an der Ausarbeitung von

Parteiprogrammen beteiligt. Und schließlich spielte polity, d. h.

das Feld der Strukturen, der Normen, Institutionen, der

Verfassung und Organisation, eine wichtige Rolle, und zwar

nicht nur durch die Vereins- und Parteiarbeit, sondern im Falle

Kleins auch durch die von ihm geschaffenen Gesetze bzw. deren

Entwürfe und indirekt seine theoretischen Abhandlungen zum

Verfassungsrecht.

Welche Auffassung von Politik hatten die drei Protagonisten

dieser Arbeit selbst? Friedjung hielt „einen politischen Kopf“

für denjenigen, der die wirkenden Kräfte seiner Zeit richtig374 S. nur die besondere Berücksichtigung, welche die „gouvernementaleGelehrtenpolitik“ im Wilhelmnischen Reich bei vom Bruch Wissenschaft, 249-278, 320-363, zusammenfassend: 359-363, erfährt. Zur Staatsbezogenheit dertypischen reichsdeutschen Gelehrtenpolitik s. auch Schmidt Gelehrtenpolitik,32-34.375 S. dazu: Birle/Wagner Politikwissenschaft, 99, 130; Faust/LauthPolitikfeldanalyse, 289 f.; Mols Politik, 29 f.

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beurteile, ihre verhältnismäßige Stärke abzumessen verstehe und

den Angriffspunkt wie die Richtung ihres Stoßes voraussage.376

Alles politische Geschehen sei auch jenseits der bewussten

Täuschung doppelsinnig.377 Der praktische Politiker habe es in

erster Linie überhaupt nicht mit Lehrmeinungen, nicht mit

Gefühlen und sozialen Überlieferungen zu tun, ihm sei vielmehr

das Schaffen und Wirken Hauptsache.378 Eine bloße Vertretung

einer sozialen Schicht mache noch keine politische Partei

aus.379 Zudem bevorzugte Friedjung eine Politik mit „große[n]

Gedanke[n]“ gegenüber einer Politik von Fall zu Fall.380

Klein kennzeichnete Politik als, „wenn man sagen darf,

geregelte Schiffahrtstechnik, die mit der Unterscheidung von

Ziel und Mittel, Plan und Kraft arbeitet.“, aber auch als einen

Interessenkampf und betrachtete es als den Zweck aller Politik,

„wenn man es so nennen darf, ein hoffnungsvolles Gleichgewicht

zu sein, ein Gleichgewicht, das eine erwünschte Ausgestaltung

nicht lähmt und natürliches Streben offen läßt“. 381 Er

plädierte für eine „wahrhaftige Leitung der Staatstätigkeit“

„auf eigener Spur“ gegenüber einer bloßen Verwaltung in der

Politik.382

376 Vgl. Chlumecky II, 458.377 Vgl. Kaiser, 507 f.378 Vgl. Stück, 9. 379 Vgl. Wahlen Ungarn, 1.380 Ausgleich, 77.381 „Schiffahrtstechnik“: Saint Germain, 313 (Brief an Ottilie Friedlaendervom 5. 8. 1919). Interessenkampf: Moral, 625. Gleichgewicht: ebd., 630. S.ferner Klein bei Wilhelm Besuch, 1027: Richtig regieren heiße nicht Straßenund Brücken und Bahnen bauen, sondern die Geister beeinflussen. Dazu gehöreaber eine tiefe Kenntnis der Psychologie der menschlichen Gesellschaft. 382 Vgl. Weg, 395.

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Und Hartmann äußerte in einem dem „Wesen der Politik“

gewidmeten Text: „Man könne „die Politik definieren als die

Kunst, gesellschaftliche Tendenzen in rechtliche Formen

umzusetzen.“383 Für ihn war richtige Politik angewandte

Wissenschaft: Politische Probleme seien [nicht nur vom

Politikwissenschaftler, sondern auch] vom Politiker in

möglichst objektiver Weise, d. h. wissenschaftlich, zu

erörtern; es sei das festzustellen, was ist, und aus der

Kombination der festgestellten Tatsachen der Schluss zu ziehen;

als notwendig erkannte Entwicklungen sollten gefördert

werden.384 Politik sei die Kunst des Möglichen.385 Dabei seien

die Massenbewegungen als „Triebfedern des historischen Werdens“

in den Blick zu nehmen.386 Schließlich sieht auch Hartmann

Interessenkämpfe als ein Merkmal der (üblichen) Politik an.387

III. Politik durch Gelehrte als Gelehrte

Gelehrtenpolitik wird, wie bereits erwähnt, als Politik durch

Gelehrte gerade als Gelehrte, und das im Sinne eines

kollektiven Phänomens, beschrieben.388 Dadurch wird eine383 Wesen, 220. Ebenso: Nation, 135.384 Vgl. Wesen, 215, insb. zum Begriff des Notwendigen und des Möglichen(abweichend davon: 219); s. auch ebd., 218: Mit der Auffassung z. B.Jellineks, Politik sei „nicht eine Lehre vom Seienden, sondern vomSeinsollenden“, sei die Politik in die bequeme, weil nicht zukontrollierende Bahn der Metaphysik geraten. Er schränkt jedoch ebd., 219ein: Man könne die soziologischen Vorgänge eben nicht bis zu ihren letztenElementen analysieren und daher hier nicht die strengen Anforderungen derKausalität stellen, weil die Einwirkung auch anderer Faktoren nichtausgeschlossen sei. Hartmann hielt im Wintersemester 1913/14 eine Vorlesungüber „Soziologische Grundlagen der Politik“ (s. Filla Anhang, 199).385 Vgl. Wesen, 219. (Dieser Begriff des Möglichen weicht von dem ebd., 215ab.). 386 Vgl. Nation, 150.387 Vgl. Wesen, 216.388 1986 stellte Döring Thesen, 149 fest, es habe, soweit er sehe, nochniemand eine „systematische Definition“ von Gelehrtenpolitik gegeben. Dasdürfte immer noch gelten, ist jedoch ein vermutlich auch gar nicht

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Überfrachtung des Begriffs mit dem Wirken aller irgendwie

politisch aktiven, „politisierenden“ Gelehrten sowie demjenigen

der „gelehrten Politiker“, welche nach oder neben einer

wissenschaftlichen Karriere ein neues oder zusätzliches

Betätigungsfeld in Verwaltung, Parteien oder Wirtschaft finden,

sowie mit demjenigen eines bloßen Sachverständigen für die

eigentlichen Politiker vermieden, so dass ihm eine heuristische

Funktion zukommen kann.389 Die Träger dieser Politik betrieben

sie - insofern wie die „politischen Professoren“ der ersten

beiden Drittel des 19. Jahrhunderts - auch aus ihrem

wissenschaftlichen Selbstverständnis heraus.390 In diesem Rahmen

versuchten sie insbesondere, den Politikern als Gelehrte das

„geistige Rüstzeug zur Verfügung stellen“.391 Unter E. II. wird

zu untersuchen sein, ob dies auf die Politik von Friedjung,

Klein und Hartmann zutrifft. Die genannten „politischen

Professoren“ hatten noch zusätzliche Kriterien gekennzeichnet -

behebbarer Mangel. Zur Erforderlichkeit eines kollektiven - in dervorliegenden Arbeit jedoch allenfalls ansatzweise behandelbaren -Phänomens: vom Bruch Gelehrtenpolitik, 27. Den Gegenpol zur Politik durchGelehrte als Gelehrte bildet Max Webers bekannte Auffassung - vgl. M. WeberWissenschaft, 215-223. 389 Zum „politisierenden Gelehrten“ bzw. „politisierenden Professor“ vgl. vomBruch Fackel, 470 bzw. Gelehrtenpolitik, 44; Professoren, 17, 24; fernerWissenschaft, 135, 211 f., 385. Zum „gelehrten Politiker“ vgl. vom BruchWissenschaft, 385. S. auch Döring Thesen, 162 („professorale Politiker“ inAbgrenzung von Gelehrtenpolitikern). Zur Entwicklung desSachverständigenwesens in der reichsdeutschen Politik vgl. vom BruchWissenschaft, 251: Im späten Kaiserreich habe die „transitorische Koppelungvon traditioneller Gelehrtenpolitik und moderner gutachtlicherPolitikberatung“ stattgefunden; ähnlich Hübinger Gelehrte, 237.390 Vgl. nur vom Bruch Wissenschaft, 385 f., insb. 386, Fn. 135. 391 Zitat Gustav Schmidt bei vom Bruch Wissenschaft, 385, Fn. 133; vgl. auch CharleVordenker, 211: Die reichsdeutschen Hochschullehrer hätten sich als Ratgeberder Fürsten betrachtet.

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welche im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls noch von Bedeutung

sein werden.392

Den Typus des Gelehrtenpolitikers bestimmt dabei vor allem der

„nationalpädagogische Anspruch universaler, von materiellen

[und auch sonstigen] Sonderinteressen freier Wahrheit im

sittlichen Medium der Vernunft“ bzw. der „Anhörungsanspruch

‚als öffentliches Gewissen der Nation’“ und speziell bei den392 Die „politischen Professoren“ in Deutschland vom Vormärz bis teilweisenoch in die 1870er Jahre - s. vom Bruch Professoren, 22 -, wie sie vor allemvon den „Göttinger Sieben“ und Hochschullehrern in der FrankfurterNationalversammlung von 1848/49 verkörpert wurden, betrieben Politik nichtnur - wie auch die Gelehrtenpolitiker - als Gelehrte (vgl. Ehmke Rotteck, 11f., s. auch 23-25. Vgl. auch Muhlack Professor, 189; Real Voraussetzungen,11; Ries Wort, 48, dens. Geburt, 137; Wende Professor, 22 f. [allerdings auchfür eine Berücksichtigung des Einzelfalles], 26) und waren nicht nur -ebenfalls wie diese - der Überzeugung, dass die „Wissenschaft sich auch impolitischen Tageskampf bewähren müsse“ (Muhlack, Professor, 186 [zit. HansFenske]; vgl. auch Real, Voraussetzungen, 87; ferner vom Bruch Wissenschaft,385 f.: Mit den „politischen Professoren“ habe die Gelehrtenpolitiker dieFrage nach dem „Verhältnis der Wissenschaft zu den großen Fragen derGestaltung und Ordnung des öffentlichen Lebens“ verbunden, die Historikerunter ihnen darüber hinaus „die Frage nach dem Verhältnis von Politik undGeschichte“). Sie hatten darüber hinaus noch eine „Art von politischemAlleinvertretungsanspruch“ erhoben (Muhlack, Professor, 186; s. auch Wende,Professor, 21, 24) und waren tatsächlich noch die „einzig anerkannte Elitein Schicksalsfragen der Nation“ (vom Bruch Fackel, 469; vgl. auch WendeProfessor, 22), die „Speerspitze“ der die Gesellschaft repräsentierendenöffentlichen Meinung (s. vom Bruch Wissenschaft, 415) gewesen. S. zudem vomBruch Wissenschaft, 385 f.: Die Historiker unter den „politischenProfessoren“ hätten im Gegensatz zu den auf sie folgenden„Gelehrtenpolitikern“ die Frage nach dem Verhältnis von Politik undGeschichte „mit der besonderen Absicht, aus der Wissenschaft von derGeschichte eine Wissenschaft des Staates, der Politik zu entwickeln, beidemiteinander zu verbinden und systematisch zu begründen“ [Karl Dietrich Bracherüber Friedrich Christoph Dahlmann], gestellt; vom Bruch Professoren, 22: Der„politische Professor“ sei oft „unter Einsatz seiner ganzen Persönlichkeitund in potentiellem Konflikt mit der ihn alimentierenden Staatsbehörde odermit sog. staatstragenden Kräften für eine visionäre politische Option“eingetreten. Einen gänzlich abweichenden Begriff des „politischenProfessors“ „im eigentlichen Sinne“ vertritt R. Luft Professoren, 304: Fürihn sind Mitarbeit in Parteien oder ihren Organisationen und Bewerbung umParlamentsmandate ausschlaggebend dafür. Zur Genese der bürgerlichenÖffentlichkeit - welche Voraussetzung für das Wirken der „politischenProfessoren“ war - vgl. Habermas, Strukturwandel, 69-85, zu ihrenpolitischen Funktionen: ebd., 122-160, insb. 139-141.

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Geschichtswissenschaftlern unter diesen eine Historiographie,

welche „Wissen als historisch fundierte Sinndeutungsangebote an

die Gesellschaft zurückgibt, ihrerseits aber im herrschenden

Geschichtsbewußtsein und in eine [sic] bestimmte Lebenswelt

verwurzelt ist“.393

Die - gerade auch aus ihrer Stellung als Diener der

Wissenschaft abgeleitete - Un- bzw. Überparteilichkeit war ein

ganz wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses

zumindest der „Gelehrtenpolitiker“.394 Hinzu kommt nach Herbert

Döring noch das daraus folgende organisatorische Erfordernis

der „strikte[n] Unabhängigkeit von und [der] Distanz zu

Parteien“ und „anderen partikularen Agenten der Sinndeutung

393 Erstes Zitat: Döring Thesen, 149; zweites und drittes Zitat: SchmidtGelehrtenpolitik, 7 bzw. 18 (das zweite wiederum auf Friedrich Paulsen Bezugnehmend - vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 35); s. auch ebd., 10-19,insb.10: „politische Deutungskultur“ - ähnlich: vom Bruch Gelehrtenpolitik,27. S. auch Schmidt Gelehrtenpolitik, 12: Trotz ihres Verzichts aufunmittelbares „Politik-Gestalten-Wollen“ habe „die Historie“ den Anspruchauf „die Rolle eines Sprechers für die Zukunft der Nation“ aufrechterhalten, sowie vom Bruch Gelehrtenpolitik, 35: Die Gelehrtenpolitikerhätten den Anspruch gehabt, in den großen Fragen der inneren und äußerenFortentwicklung der Nation „mit der Fackel der Erkenntnis“ voran zuleuchten (Zitat Gustav Schmoller); s. dazu auch unten, E. II. 3. 394 S. nur Schmidt Gelehrtenpolitik, 25. Vgl. auch Ringer Gelehrten, 19: Die„Mandarine“ hätten proklamiert, der Staat stehe weit über den Interesseneines jeden Individuums, selbst über denen des Herrschers [und, so isthinzuzufügen, auch über den Interessen einer Mehrheit der Bevölkerung]. FürCharle Vordenker, 211 zeugt das gesellschaftliche Bild, das die imStaatsdienst stehenden reichsdeutschen „Mandarine“ von sich selbstentwarfen, „von einem Rückstand der historischen Entwicklung. Sie erhebenden Anspruch, der Wissenschaft zu dienen und damit über den Parteien zustehen, ganz wie der kaiserliche Staat im Unterschied zu denparlamentarischen Staaten den Anspruch erhebt, über den Parteien zustehen.“ Sie seien „gefangen“ geblieben „in einem überholten Selbstbild“,das die Gelehrten in den Rang von Vertretern der wahren öffentlichenMeinung erhoben habe, im Unterschied zu den gewählten Abgeordneten imReichstag. Fraglich ist, wie sich dies zu ebd., 212 verhält, wo Charle dasProjekt der französischen Intellektuellen als die Vereinigung aller von derUniversität herangebildeten Arbeiter des Geistes zu einer „natürlichenVolksvertretung“ beschreibt.

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politischer Streitfragen“ sowie, als drittes Kriterium, „bei

formaler Distanz eine Affinität, eine Geistesverwandtschaft“

zum Staatsbeamtentum.395 Dass das letzte und - auf den ersten

Blick - auch das zweite Kriterium auf Hartmann nicht zutrifft

und das zweite auf Phasen im Leben Friedjungs und Kleins auf

den ersten Blick ebenfalls nicht, wurde bereits in den

Biographien deutlich. Insofern wichen sie also tatsächlich bzw.

dem ersten Anschein nach vom „Kernbestand“ des

Gelehrtenpolitikers ab. Dazu bedarf es einer genaueren Analyse

unter E. I. Festzuhalten bleibt aber schon jetzt, dass in

Österreich(-Ungarn) wie im Deutschen Reich Gelehrtenpolitik

gerade deshalb aussichtsreich erschien, weil dort „weder

Parlamentarismus noch Absolutismus eine [ausschließliche]

Alternative“ darstellte.396

Gelehrtenpolitiker stellten immer eine Minderheit unter den

Gelehrten dar.397 Ihr Selbstverständnis war auch dann noch von

der Auffassung geprägt, die Wissenschaft habe den Beruf,

Erzieherin der öffentlichen Meinung zu sein, als deren

objektive Voraussetzungen auf Grund des „Zerfall[s] der

bürgerlichen Nationalkultur“ und der „gleichzeitige[n] Erosion

eines abgrenzbaren bildungsbürgerlichen Milieus“ zunehmend

395 Döring Thesen, 149; vgl. auch ebd., 153: Die enge Verbundenheit derAkademiker des Deutschen Reiches mit den höheren Beamten habe zu einergegenseitigen Entfremdung zwischen jenen und den Vertretern der Wirtschaftgeführt - vgl. aber auch oben, Fn. 189 (Charle). 396 So für das Deutsche Kaiserreich: Döring Thesen, 156. 397 Dies zeigt sich bereits daran, dass sich selbst im Ersten Weltkrieg nureine Minderheit von Universitätsprofessoren mit eigenständigen Beiträgenpolitisch zu Wort meldete (und das noch abgesehen von der Frage, ob dieseWortmeldungen Bestandteil von „Gelehrtenpolitik“ waren) - zu denHistorikern vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 185.

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brüchiger wurden.398 Typisch für Gelehrtenpolitiker zumindest im

Wilhelminischen Deutschland war ihr Versuch, die (bürgerliche)

öffentliche Meinung über die Presse und das Vereinswesen zu

beeinflussen, sowie ein liberal-konservativer Konsens über die

„imperialistische Fortentwicklung der unstrittigen Verfassung“

des Reiches.399

Die Frage, ob - wie von Gangolf Hübinger gefordert - der

Begriff des „Gelehrtenpolitikers“ grundsätzlich durch den des

„Gelehrten-Intellektuellen“ ersetzt werden sollte, soll hier

dahingestellt bleiben; denn zumindest im Zusammenhang mit der

vorliegenden Arbeit ist sie eine rein terminologische, da

Hübinger die üblicherweise als Gelehrtenpolitiker bezeichneten

Personen(gruppen) von seinem Begriff des „Gelehrten-

Intellektuellen“ keineswegs ausnimmt.400

398 Vgl. Schmidt Gelehrtenpolitik, 11 (Zitat vom Bruch), auch 13-15 (dort, derSache nach, zur autopoiesis der Gelehrtenwelt) und 29. Im Zusammenhang mit demRückgang politischer Aktivität unter den Gelehrten wird oft - z. T.missverständlicher Weise (s. oben, Fn. 4, auch 345) - von einem mehr oderweniger allmählichen „Rückzug“ aus den politischen Tageskämpfen, deraktiven Politik bzw. aus den Parteien gesprochen - vgl. vom BruchProfessoren, 21, Gelehrtenpolitik, 28 bzw. Wissenschaft, 286-289. Vgl.darüber hinaus (für das Deutsche Reich) vom Bruch Gelehrtenpolitik, 28, Fn.7, der einen solchen für die Landtage nur mit Einschränkungen für gegebenansieht und zu Recht die mangelnde Berücksichtigung erfolgloserKandidaturen moniert - es handelte sich zum Teil also vielmehr um ein„Rückgezogenwerden“ von Gelehrten aus der Politik; vgl. zudem vom BruchWissenschaft, 287 über den Mangel an Reputation von Gelehrten in denreichsdeutschen Parteien. 399 Vgl. vom Bruch Professoren, 22.400 S. Hübinger Gelehrte, 7, der sich für die Verwendung des Begriffs„spezifischer Intellektueller“ ausspricht; ferner ebd., 14: „...wird dieBezeichnung des ‚Gelehrtenpolitikers’ für die folgenden Studien durch denIdealtypus des ‚Gelehrten-Intellektuellen’ ersetzt. Darin kommt die Spannungbesser [?] zur Geltung, die sich zwischen dem Wissenschaftsethos und derRationalität des Forschers und dem kritischen Engagement deszivilbürgerlichen Zeitgenossen jeweils aufbaut und die in Wendungen wie‚Gelehrtenpolitiker’ oder gar ‚politischer Professor’ zu stark ideologisch[?] verschliffen wird.“ S. auch ebd., 13 über die dort angeführteDifferenzierung von Michel Foucault („intellectuel de gouvernement“,

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E. Gelehrtenpolitik von Friedjung, Klein und Hartmann401

Zunächst (I.) folgt eine Untersuchung der Inhalte, Mittel und

Wirkung ihrer Politik, dann (II.) wird diese daraufhin geprüft,

ob sie eine Grundlage in ihrem jeweiligen Verständnis von

Wissenschaft hatte.

I. Politik

1. Heinrich Friedjung

a. Inhalt

„intellectuel révolutionaire“ und „intellectuel spécifique“): Während dergouvernementale Intellektuelle die Macht des Staates stützen und derrevolutionäre sie stürzen wolle, stelle sich der spezifische Intellektuelle„bewusst in die Spannung zwischen Wissenschaft als Beruf und Politik alszivilbürgerliche Verpflichtung.“ - s. auch ebd., 7, 17, 237. Unklar bleibtbei Hübinger, ob (mobilisierende) Kritik ein notwendiger Bestandteil derPolitik von „Gelehrten-Intellektuellen“, ihr „Störungsfaktor“ (Joseph AloisSchumpeter - s. ebd., 22) erforderlich sein soll - so ebd., 23 - oder nicht -so ebd., 11, 231, 246 („oder“). Die Besonderheit der deutschenKulturtradition auf diesem Gebiet erkennt Hübinger Gelehrte, 23 immerhin an:Die hier religiös imprägnierte Hochschätzung von Wissenschaft undwissenschaftlicher Bildung für die Gestaltung eines freien Gemeinwesensführe die Figur des Intellektuellen mit der des Gelehrten zusammen. Ähnlichzum Verhältnis von Gelehrtenpolitik im Deutschen Reich und dergesamteuropäischen „liberalen Utopie der Überführung von Herrschaft inVernunft im Medium der von den Gebildeten verwalteten öffentlichen Meinung“:Döring Thesen, 150-156, insb. 150 f. Kritisch zu Hübingers Übertragung desIntellektuellenkonzepts von Schumpeter, Pierre Bourdieu und ChristopheCharle (s. Hübinger Gelehrte, 22 f.) auf den deutschen Kulturraum: MüllerRezension, 1 f. [nach dem Ausdrucken], insb. mit Hinweis auf den hohen Rangvon Staatsorientierung sowie Ordnungs- und Integrationssehnsucht beideutschen Gebildeten und Akademikern seit dem frühen 19. Jahrhundert; s.auch R. Ludwig Rezension, 2 [nach dem Ausdrucken]: Ein Manko scheine dieweitgehende Vernachlässigung der Forschungsliteratur zum politischenProfessor des 19. Jahrhunderts zu sein, die Hübinger aber durch seinenproblemorientierten Zugriff und durch kenntnisreiche biografische Beiträgeausgleiche [?]. Zu weiteren Inkonsistenzen bei Hübinger vgl. unten, Fn. 666.Zur Abspaltung einer „Intelligenz“ von den bürgerlichen Bildungsschichten abetwa der Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. Habermas Strukturwandel, 265 f.401 In diesem, analytischen Teil kann und soll die Chronologie derpolitischen Aktionen weitgehend außer Acht gelassen werden. Stattdessen wirddie Darstellung nach Sachgebieten geordnet vorgenommen. Nur dann, wenn - wiebei Friedjung und bei Klein - in einzelnen Politikgebieten ein Wandelstattgefunden hat, wird der chronologische Aspekt thematisiert.

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aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich

Friedjung befolgte sein Leben lang leidenschaftlich eine

Politik, welche die Deutschen Österreichs in diesem Land

entschieden begünstigen sollte, also eine nach dem

zeitgenössischen Sprachgebrauch betont nationale Politik.402

Dies war für einen jüdischen Deutschösterreicher seiner Zeit

keineswegs untypisch.403 Mit dieser Haltung verbunden war bei

Friedjung stets die Forderung nach einem sehr engen und

unauflösbaren, durch die Grundgesetze beider Länder

garantierten und auf Gleichberechtigung beruhenden Bündnis mit

dem Deutschen Reich, und zwar auch noch im März 1918, als er zu

diesem Zweck die bereits erwähnte publizistische Fehde gegen

den pazifistisch eingestellten Heinrich Lammasch führte.404

402 Zum „Deutschnationalismus“ Friedjungs s. Litz Grundbegriffe, 34-38. Vgl.auch Lindström Empire, 18 sowie von Srbik Friedjung, 535. Stolz Männer, 62 f.macht Friedjungs „hochkultivierte Persönlichkeit, deren Individualismus denNivellierungstendenzen des Nationalismus widerstrebt“ für seine immerstärker Hinwendung zum „Altliberalismus“ (mit-)verantwortlich - diesbedeutete aber keine Abwendung von nationalistischer Politik überhaupt,sondern nur von bestimmten ihrer Formen.403 Vgl. Beller Jews, 27.404 Vgl. Ausgleich, 20-33, insb. 25-33 sowie 102 (für die Angleichung desgesamten Rechts), 103 (für eine gemeinsame Währung); „Friedjung-Programm“,Punkt 9, bei Berchtold Parteiprogramme, 191, vgl. auch ebd., 191, Punkt 10sowie ebd., 191 f., Punkt 11 - dazu Berchtold ebd., 190 (Das „Friedjung-Programm“ habe als erstes deutschnationales Konzept die Forderung nacheiner Befestigung des Bündnisses mit dem Deutschen Reich durch einunauflösliches Grundgesetz erhoben.); vgl. ferner Professor, 1 f.;Zollunion Oesterreich, 1-3; Zollunion, 1 f.; das „Linzer Programm“, Punkt11.31 bei Berchtold Parteiprogramme, 203, auch Punkt 7.19. ebd., 201. ZumStreit mit Lammasch vgl. Friedjung Gegner Oesterreich, 1 f., insb. 1: „...soläßt sich in diesem Falle sagen, ein österreichischer Pazifist müsse sichnicht zu einem Schädling auswachsen.“; Gegner Deutschland, 2; Erwiderung, 2f. - zur Verteidigung von Lammasch vgl. dens. Debatte, 2; Erwiderung, 3;Denkschrift, 2. Zur Verteidigung Lammaschs durch „Karl Mann“ = Karl Renners. oben, Fn. 338; auch Karl Kraus nahm Lammasch in Schutz, und zwar inseinem Artikel „Für Lammasch“ in Die Fackel 474-483 (Mai 1918, 23.Mai1918), 46) und in seinem Gedicht „Affaire Friedjung“ ebd., 51 - vgl. LindSatiriker, 398. Auch nach den Attacken auf Lammasch verteidigte Friedjungdas Waffenbündnis - vgl. Vorgänge [Mai 1918], 1. Vgl. ferner Denkschrift,passim; von Srbik Friedjung, 535. Zur Gleichberechtigung der beiden Reiche im

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Denn er selbst verstand wie die große Mehrheit seiner Mitbürger

unter der deutschen Nation bzw. dem deutschen Volk die das

Deutsche als Muttersprache Sprechenden im Deutschen Reich und

in Österreich-Ungarn (sowie in anderen Staaten).405 Die

Zusammengehörigkeit beider Gruppen rechtfertigte Friedjung -

wie seinerzeit verbreitet - auch mit ihrer gemeinsamen

„tausendjährige[n] Geschichte“.406 Dabei kritisierte er zwar die

Deutschösterreicher für ihren Pessimismus und ihre Passivität,

erkannte ihre Leistungen aber als denen der Reichsdeutschen

ebenbürtig an.407 Eine österreichische „Nation“ unter

Einbeziehung der Tschechen, Polen, Ruthenen, Slowenen,

Italiener und anderer existierte trotz gelegentlich

changierenden Begriffsgebrauchs - im Einklang mit der großen

Mehrheit der Deutschösterreicher - für ihn nicht.408 Bündnis: Friedjung Ausgleich, 81; auch Denkschrift, 14. 405 Vgl. z. B. Ausgleich, 21-23 sowie 79: „Wie ruchlos wäre es, den Kampfmit Deutschland zu unternehmen, der das deutsch-österreichische Volk [sic]zwingen würde, Partei zu ergreifen zwischen seiner Nationalität und ...seinem Staatsbewußtsein!“; Vaterland, 1 f.; Deutschböhmen, 479-486, insb.481, 486. Zur Sprache als dem Symbol jedes „Volksstamm[es]“ in der spätenHabsburger-Monarchie vgl. Feichtinger Wissenschaft, 55. 406 Vgl. Ausgleich, 28; „Friedjung-Programm”, Punkt 7, bei BerchtoldParteiprogramme, 191. Dabei betrachtete er Österreich-Ungarn -merkwürdigerweise nicht etwa nur Österreich - als die „größte Kolonie desdeutschen Mutterlandes“ - vgl. Vorrede, XIII. Vgl. auch FeichtingerWissenschaft, 55 (Insbesondere die Historiographie habe sich zu dieser Zeitmittels ihrer nationalen Meistererzählungen „tief in das politischeVorhaben des ‚nation-building’ verstrickt“.).407 Zur Kritik vgl. Ausgleich, 32, 96 f.; Stück, 20; auch Denkschrift, 73sowie Ritter Historians, 48, Fn. 12. Zur Ebenbürtigkeit vgl. Ausgleich, 22f.; Kampf, Bd. 2, 6; Vorrede, XIII; auch Denkschrift, 35. Lindström Empire,13 meint sogar, „the Austro-German tradition represented by Friedjung wasalso marked by its feeling of superiority vis-à-vis the Prusso-Germantradition...”; woraus Lindström diese, vereinzelte, Auffassung bezieht, gibter nicht an - man vergleiche demgegenüber nur Friedjungs starke Bismarck-Verehrung (dazu Glaubauf Bismarck, passim). 408 Ein Beispiel für ungenaue Begrifflichkeit findet sich - da Nation undVolk für Friedjung Synonyme waren (vgl. Ausgleich, 22 f.) - in Ausgleich,30, wo vom „österreichischen Volk“ die Rede ist - was auch bedeuten würde,

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Zwar verwendete Friedjung zur Bezeichnung der Nation bzw. des

Volkes, wie zu seiner Zeit üblich, des Öfteren auch biologische

Metaphern wie die eines „gesunden Volksorganismus“ und sogar

den Begriff der „Race“ bzw. „Rasse“.409 Dennoch spielte diese

oder eine langfristige Abstammung für seinen Nations- bzw.

Volksbegriff keine Rolle.410 Das Gleiche gilt für die

Religionszugehörigkeit.411 Überhaupt war Friedjung unreligiös,

auch wenn er nie aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft

austrat.412 Für ihn gab es, wie für die meisten Juden

Westeuropas, außer dem Glaubensbekenntnis keinen Unterschied

zwischen Juden und Nichtjuden.413 Hervorzuheben ist immerhin

seine besondere Frontstellung gegen den Katholizismus, dem er

den Protestantismus als eine die Modernisierung fördernde

Bewegung positiv gegenüber stellte.414 Friedjungs Auffassung von

dass dieses nicht zusammen mit den Deutschen im Deutschen Reich eineEinheit gebildet hätte. Genauer spricht er ebd., 21 f. von „Stamm“ und 22f. von einem „Glied des deutschen Volkes“. Zur Einstellung der großenMehrheit der Deutschösterreicher vgl. z. B. Cohen Politics, 276; WhitesideGermans, 159, 175. 409 Zur zitierten Metapher vgl. Ausgleich, 30; vgl. auch ebd., 25: „EinSiechthum aber erfüllte unseren Volkskörper...“; zur „Race“ bzw. „Rasse“vgl. unten, bei Fn. 425 bzw. 436.410 Vgl. Litz Grundbegriffe, 38.411 Vgl. Litz Grundbegriffe, 35.412 Vgl. Ritter Historians, 54: “Friedjung was a temperamental sans-culottewho rejected the ‘final principal of every religion, the subjection of manto a higher being’.“ (Nw.: s. Fn. 36 i. V. m. 53, Fn. 30); Stolz Männer, 65(Mit dem Glauben seiner „Väter“ habe Friedjung nichts mehr verbunden.),ebd. über das Verbleiben Friedjungs in der israelitischen Kultusgemeinde(mit Nw. in Fn. 2: Archiv der israelitischen Kultusgemeinde Wiens), ebd.,66 (Grund dafür unbekannt). Eingehend zu Friedjungs Verhältnis zurReligion: Litz Grundbegriffe, 45-51.413 Vgl. Moser Emanzipation, 91.414 Vgl. Ausgleich, 21 sowie 23 (Durch die „katholische Reaction des 17.Jahrhunderts“ seien die Deutschösterreicher um die „Ernte der geistigenArbeit betrogen worden, welche im Reformationszeitalter allüberallausgesäet worden war.“); Kampf, Bd. 2, 6 (Die Gegenreformation habe dasgeistige Leben des deutschösterreichischen „Volksstammes, der keinem deranderen deutschen Stämme an Begabung nachsteht, gebrochen oder

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der Nation steht im Einklang mit der Feststellung Rüdiger vom

Bruchs, gegen 1900 hätten lediglich bei den Juden „ältere

Muster von Bildungsaneignung als Hebel für kollektive Identität

und eine gleichzeitige emanzipatorische Eingliederung in eine

über Bildung vermittelte ‚Kulturnation’ ungebrochen“ fort

gelebt.415

Den vor allem infolge der großen Zahl von aus Osteuropa

einwandernden Juden in den 1880er Jahren in Wien immer stärker

anschwellenden Antisemitismus verurteilte Friedjung stets

scharf: So geißelte er die „dumpfen Empfindungen, welche bei

der Wahl [zum Abgeordnetenhaus] am 1. Juni den Ausschlag gaben.

Dies ist insbesondere bei dem Antisemitismus der Fall.“ sowie

„das schmachvolle und nichtswürdige Treiben der

Antisemiten. ... Unterdessen aber richtet [sic] sich der

roheste Fanatismus und die blindeste Ungerechtigkeit gegen die

Juden in ihrer Gesamtheit, und er verbittert und vertieft die

Gegensätze in einer viel verderblicheren Weise, als es das

jüdische Element, selbst nach der strengsten Schätzung,

eingeschläfert.“ Denn die von den Jesuiten getragene Form des Katholizismushabe die Menschen dort von den höchsten Pflichten der Religion ab- und sie,„zufrieden mit äußerer Werktätigkeit, auf den leichteren Genuß in Kunst undLeben“ gelenkt.). Vgl. auch Ritter Historians, 54 (“Catholicism ... was theform of religious consciousness he singled out for special attack as theepitome of spiritual servitude and authoritarianism, and he depicted theReformation as a heroic rebellion against spiritual bondage, an affirmationof the individual and his integrity.”) sowie Litz Grundbegriffe, 31-33.Dörings These, ab ca. 1880 sei „Gelehrtenpolitik“ im Deutschen Reich zurTeilkultur des liberal-antiklerikalen beziehungsweise säkularisiert-protestantischen Bereichs von Kulturwissenschaftlern geschrumpft - vgl.Döring Thesen, 157 -, passt gut zu dieser Einstellung Friedjungs und seinerPolitik - nicht so sehr jedoch Dörings weitere Kennzeichnung jenerTeilkultur als einer „protestantisch-kleindeutschen“.415 Zum Zitat vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 30 f. S. auch LitzGrundbegriffe, 38.

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verschuldet.“416 Zudem trat er im Wiener Gemeinderat den

Angriffen der Antisemiten entgegen und gründete u. a. zum Zweck

der Abwehr des Antisemitismus zusammen mit Hartmann den

„Politischen Aufklärungsverein“.417

Allerdings war in Friedjungs Augen die Forderung nach

„Verschmelzung“ der Juden mit der jeweiligen Nation nicht

antisemitisch - im Gegenteil: „Nicht derjenige ist Antisemit,

der den Juden strenge und unerbittlich die Nothwendigkeit

vorhält, allgemach in deutscher Art und Auffassung aufzugehen;

auch nicht derjenige Deutsche, der sich aus einem starken

Volksgefühle heraus von der Besonderheit jüdischer

Eigenschaften abgestoßen fühlt. Gegen solche Empfindungen läßt

416 Vgl. Wahlen Wien, 2. Vgl. ferner Stück, 8 („Es ist eine wenigerfreuliche Seite des öffentlichen Lebens in Oesterreich, daß auch solcheAbgeordnete, welche sich in ihrer Thätigkeit wesentlich und in erster Linievon der Abneigung gegen das Judenthum leiten ließen, unaufhörlichbetheuerten, daß sie gegen die Bezeichnung von [sic] Antisemitenprotestiren. ... In Deutschland kennt man die Halbheit und Heuchelei nicht,die sich darin ausdrückt; dort besteht glücklicherweise jene Richtungnicht, welche man die des ‚geleugneten Antisemitismus’ nennen kann...“);ebd. (über „die wahnwitzige Verlogenheit der Schönerer’schen Presse“);ferner ebd., 20; Moser Emanzipation, 102. Zu Friedjung und Lueger:Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10; Moser Emanzipation, 123 f.; s. auch WahlenUngarn, 1 („redegewandte Streber wie Lueger“). Über Lueger: Hamann Wien,393-435, insb. 410-418 über dessen Antisemitismus. Über die jüdischenImmigranten aus Galizien, Böhmen und Ungarn in Wien vgl. Sagarra Vienna,194: “They were increasingly regarded by the other established VienneseJews as a threat to the position they themselves had achieved.” Der Anteilder Juden an der Wiener Bevölkerung sei zwischen 1800 und 1900 von unter0,3% auf 10% gestiegen. - vgl. auch Friedjung Wahlen Wien, 2: „Seit dem Jahre1848 ist die Zahl der Juden in Wien von etwa 8000 auf 90.000 gestiegen...Uebrigens ist es wahrscheinlich, daß Wien, der Herd des Antisemitismus inOesterreich, keinen größeren Zuwachs an Juden mehr erhalten wird; derSättigungspunkt scheint erreicht zu sein...“; vgl. schließlich noch HamannWien, 467-496 (über Juden in Wien), insb. 473-479 („Massenwanderung derOstjuden“), 482-488 („West- und Ostjuden“).417 Zum 1891 in Wien gegründeten, von Christen geleiteten Verein zur Abwehrdes Antisemitismus, der die Juden nicht für sich selbst sprechen ließ und(auch) deswegen zusehends in Spannungen mit Juden und in innere Konfliktegeriet, nach 1898 kaum noch aktiv war: Kornberg Vienna, 153-173.

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sich nicht streiten. Wer, gewohnt den Dingen scharf ins Auge zu

sehen, den Gegensatz kräftig hervorhebt, dem darf man nicht

Gehässigkeit vorwerfen, wenn er das nur thut, um zur

Verschmelzung des jüdischen Bevölkerungsbruchtheils mit der sie

gastlich beherbergenden Nation zu spornen, nicht aber um sie zu

hindern. ... Wer so handelt, daß er das wünschenswerthe

Aufgehen der Juden im deutschen Volke fördert, der ist kein

Antisemit, wenn er auch mit der von dieser Partei gelehrten

Völkerpsychologie liebäugelt; und derjenige ist Antisemit, der,

wie die in Oesterreich unaufhörlich geschieht, wohl seine

Unparteilichkeit betheuert, der aber dennoch alles thut, um die

Verbitterung zu nähren, um den Gegensatz zu verschärfen und zu

vertiefen.“418 Österreichischen Juden assimilierten sich denn

auch gerade in dieser Zeit in großer Zahl an die deutsche

Kultur.419

Jonny Moser legt Friedjungs Forderungen - trotz dessen

radikaler Wortwahl („Aufgehen“, „Aufsaugung“) - so aus, diese

hätten nicht eine Assimilation, d. h. „eine Auflösung in der

Wirtsbevölkerung [sic] unter Aufgabe des418 Stück, 8 f.; vgl. auch Wahlen Wien, 2: „...der Proceß der Aufsaugung desjüdischen Elementes, der nothwendigerweise erfolgen muß...“ sowie BellerJews, 27 (m. Nw. in Fn. 16: Friedjung: „‚Rohling und die Moral desJudenthums’, Die [sic] Deutsche Wochenschrift, 25 October 1885, p. 5“);Friedjung in „Neue Schriften über die Judenfrage“ in der DeutschenWochenschrift Jg. 3 Nr. 52 vom 27. 12. 1885, S. 4 f. bei Dechel Programm,Teil 1, 260 wo er nach Wegen verlangt, auf denen „das deutsche Volk einenursprünglich fremdartigen und schon deshalb störenden Bestandteil in seinenOrganismus ohne Schäden“ aufnehmen kann. „Und es wäre die Aufgabe derChristen und Juden, die notwendige Germanisation des ... fremdartigenVolkselementes zu vollenden.“; vgl. zudem ebd., 261. Dass Friedjung Zeitseines Lebens ein Gegner des zionistischen Gedankens war - vgl. F. FellnerFriedjung, 643 -, überrascht nach Allem nicht. Zu „Friedjungs Stellungnahmezur Judenfrage“ allgemein: Dechel Programm, Teil 1, 259-263; MoserEmanzipation, 91-96. 419 Vgl. Beller Jews, 27.

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Glaubensbekenntnisses“, zum Ziel gehabt, sondern lediglich eine

Integration, d. h. „eine vollkommene Angleichung der Juden an

die Wirtsbevölkerung [sic] ohne Aufgabe ihres

Glaubensbekenntnisses“.420 Dies dürfte zutreffen, jedoch hat

Friedjung offenbar zumindest mit einer de facto sich

vollziehenden allgemeinen Aufgabe des jüdischen Glaubens

zumindest in den deutschsprachigen Gebieten gerechnet; denn er

prognostizierte: „Das Judentum ist zum Absterben bestimmt.“421

Sein Integrationswunsch im Hinblick auf die Juden dürfte dabei

angesichts seiner stetigen Verteidigung der Juden kaum auf der

- für Juden seiner Zeit durchaus nicht untypischen - Übernahme

antisemitischer Stereotypen, gar auf einen - in seiner Zeit

ebenfalls nicht seltenen - „jüdischen Selbsthass“ gegründet

gewesen sein.422

Auch wenn sich Friedjung mit dieser Einstellung im Einklang vor

allem mit den schon länger in Wien ansässigen Juden seiner

Generation befand, erntete er dafür auch scharfe Kritik von den

420 Vgl. Moser Emanzipation, 91 (Definition von „Assimilation“: ebd., Fn.4). Vgl. auch Lindström Empire, 81, der sich gegen die Auffassung ausspricht,Friedjung sei „a cultural anti-Semite“ gewesen.421 S. Friedjung in „Neue Schriften über die Judenfrage“ in der DeutschenWochenschrift Jg. 3 Nr. 52 vom 27. 12. 1885, S. 4 f. bei Dechel Programm,Teil 1, 260.422 Vgl. aber immerhin Ritter Historians, 54, Fn. 37 (In seinem Artikel„Rohling und die Moral des Judenthums“, Deutsche Wochenschrift vom 25.Oktober 1885, 3-5, habe Friedjung den Mangel des griechischen Idealsmännlicher Strenge und Schönheit in der alten Hebräischen Kultur beklagt.).Zur allgemeinen Situation: Casillas Politics, 27 (“Many young Jews, in fact,accepted the stereotype of their elders as the unscrupulous bankers andmoney grubbers of European society. As George Mosse indicates, ‘many Jewsfelt this was a just image, and many of the young people, especially,thought they saw it exemplified by their parents.’ [Friedjung stammte aberjedenfalls nicht aus reichem Hause.]); vgl. auch ebd., 65 (“...theassumptions of late nineteenth-century antisemitism were so deeply-rootedand pervasive that they even conditioned the thought of the Jewishintelligentsia.”) sowie Fischer Theorie, 119; Whiteside Germans, 185.

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sog. jüdischen Nationalisten, welche noch „das unbekümmerte

Selbstvertrauen des Ostjudentums“ besaßen; so richtete sich

deren Entrüstung nach den Worten ihres Führers, Joseph Samuel

Bloch, gegen Friedjung, „einen Mann, der[,] äußerlich im Kreise

seiner viel angefeindeten Glaubensgenossen“ beharrend, „den

traurigen Mut besitzt, denselben Insulten [sic] ins Gesicht zu

schleudern; Entrüstung gegen einen Mann, dem der Mut des

Konfessionswechsels gebricht und der sich doch nicht scheut,

seine Stammesangehörigen auf diesen Weg des Treubruches

öffentlich und mit Gewalt [?] zu drängen.“423 Indes hatte

Friedjung in dem von Bloch angegriffenen Artikel festgestellt,

423 Übereinstimmung: vgl. F. Fellner Friedjung, 642 (Friedjung habe mit seinerForderung nach „Aufgehen der Juden im deutschen Volke” die nationale undkulturelle Grundeinstellung seiner ganzen Generation offengelegt.). Zu den[sog.] jüdischen Nationalisten vgl. Moser Emanzipation, 91 (Zitat„Selbstvertrauen“: Tietze, 244 f. - s. 92, Fn. 2); zu den vehementenAngriffen auf Friedjung, insb. den Worten von Bloch („Der nationale Zwistund die Juden in Österreich“, 63 f.) - welche sich auf Friedjungs Artikel„Neue Schriften über die Judenfrage“, in: Deutsche Wochenschrift Nr. 52 vom27. Dezember 1885 beziehen -, ebd., 92 f. Sehr interessant ist auch dieKritik Theodor Herzls an Friedjung - vgl. dazu Casillas Politics, 68 f.: Herzlhabe erwogen, ein Buch mit Friedjung als Hauptprotagonisten zu schreiben,dessen Leben ruiniert wurde, weil er “too German” war - s. Herzls [insEnglische übersetzten] Abriss in seinem Tagebuch ebd.: „Hero: a Jewishnewspaperman (something like Dr. Friedjung) of Rabbinical background whoturns Germanic. ... Second Volume: The German Paper. ... Gang of literatijoining in, politicians who want to get themselves boosted. Smack in themiddle, the guileless fool who doesn’t see a thing. But all doors open tohim because he is against corruption. ... Intoxication with power. ...Third volume: Collapse. The Germans in Bohemia, etc., refuse to be led by aJew. The paper declines. Like a gambler gone wild he sacrifices everythingto it, first his money, then his principles of purity. The impresariomanipulates him cleverly. Finally, scandalous collapse. Dishonored, heleaves Vienna... But he had [?] discovered Zion. In the first volume helaughed at the crazy members of Kadimah, after the breakdown (meanwhilethey have grown) he recognizes them as solace. As he boards the boat ...the curtain falls.” - zu Friedjungs Kampf gegen die Korruption vgl. MoserEmanzipation, 96-99; von Srbik Friedjung, 537); zur losen Bekanntschaft vonFriedjung und Herzl vgl. ebd., 93, Endn. 55 (dort auch: Friedjung habeHerzl nach Einreichung eines Manuskripts für die „Deutsche Wochenschrift“geraten, einen „weniger jüdischen“ Autorennamen anzunehmen.); s. auch BellerJews, 27 (Herzl habe einige “literary pieces” für Friedjung geschrieben.).

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die Juden Mitteleuropas unterschieden sich „durch eine Welt von

geistigen und sittlichen Anschauungen von der großen Masse der

galizischen Juden“, und daraus den Schluss gezogen, „nichts

wäre wünschenswerter als ihre volle Loslösung [?] von

denselben.“424

Hellsichtig erkannte er: „Der Antisemitismus in Ungarn ist ein

wüstes, tolles Agitationsmittel geworden, das mit

verbrecherischen Mitteln, mit Aufhetzung zu Gewaltthaten

arbeitet, [sic] und das zweifelhaften Existenzen eine

vergängliche Popularität verschafft. Es liegt in diesem Treiben

eine Unaufrichtigkeit, die sich selbst richtet. Was wollen die

Antisemiten? Nur wenige, und deren Offenherzigkeit ist immerhin

anzuerkennen, sagen rund heraus: Die Juden müssen

todtgeschlagen werden! Das sind die Einzigen, die, wenn man

sich so ausdrücken darf, ein Programm haben. ... Wollte jemand

vor die Antisemiten hintreten und ihnen sagen: Wir wollen dem

Judenthum als einer gesonderten Race [!] ein Ende machen, doch

[sic] die Juden müssen in der modernen Volksgemeinschaft unter

Ablegung ihrer Eigenthümlichkeit aufgehen, so würden die

wunderlichen Heiligen dies als Philosemitismus und

Judengenossenschaft brandmarken. Das Judenthum muß, wenn es

nach ihnen geht, bestehen bleiben, auf daß sie einen Gegenstand

des Hasses und der Agitation besitzen.“425

424 Friedjung in „Neue Schriften über die Judenfrage“ in der DeutschenWochenschrift Jg. 3 Nr. 52 vom 27. 12. 1885, S. 4 f. bei Dechel Programm,Teil 1, 260. Zum Fragezeichen hinter „Loslösung“: Das Schriftbild derVorlage ist hier sehr schlecht, so dass diese Lesart nicht sicher ist.425 Wahlen Ungarn, 2; vgl. aber auch Wahlen Wien 2: „Auf der anderen Seitefindet sich, zumal in den von Juden geleiteten Journalen, eine solcheUnkenntnis der wirthschaftlichen Ursachen des Antisemitismus, eine solcheNaivetät und Selbstgenügsamkeit [Anm.: „So brachte das ‚N. Wr. Tgbl.’ einenArtikel, in welchem es den Rückgang der Civilisation infolge der

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Die Entstehung des Antisemitismus war für ihn offenbar

ausschließlich wirtschaftlich-sozial bedingt: Es liege „in der

Natur der Sache, daß dieses massenhafte Einströmen eines

fremden, energischen, mit dem stärksten Erwerbstriebe

ausgestatteten Volkselementes Störungen im socialen Organismus

hervorruft... Eine unglückselige Geschichte hat die Juden dem

Handwerk und dem Ackerbau entfremdet...; sie haben sich, durch

ungerechte Gesetze gezwungen, auf den Geld- und Zwischenhandel

werfen müssen, und Viele von ihnen dehnen die geschäftliche

Auffassung dieser Erwerbszweige auch auf Gebiete aus, wo sie

nur verderblich und zersetzend wirken kann. Das Unrecht, das

ihnen durch ein Jahrtausend widerfuhr, rächt sich jetzt an der

Gesellschaft, und zum Unglück gerade an jener Gesellschaft,

welche ihnen die langentbehrte Freiheit wiedergab.“426 Den

Antisemitismus der deutschösterreichischen Studenten hielt er

(aber) für ein vorübergehendes Phänomen jugendlichen

Unverstandes.427

Friedjung wollte nicht bloß den status quo bewahren, sondern

auch, dass die Deutschösterreicher, welche sich seit dem 16.

antisemitischen Wahlen voraussieht und dies symbolisch so ausdrückt, daß imnächsten Abgeordnetenhause ein Nachbar den andern vergeblich um einZündhölzchen ersucht - denn die Welt sei wieder in die Zeit desFeuerschwammes zurückgekehrt.“], daß die Irrthümer dieses socialen odervielmehr ethischen Instinctes nur in Parallele gesetzt werden können mitder gleich rohen Empfindung unserer Vorstadtwähler...“ sowie WhitesideGermans, 185 f. („Georg Schönerer’s Prussophile and anti-Semitic blasts inthe ’eighties [sic] were taken by such genuine democrats as EngelbertPernerstorfer, Robert Pattai, Viktor Adler, and Heinrich Friedjung, of whomthe last two were Jews, rather as sensational rallying cries for ademocratic ‚people’s party’ than as an assault on the fundamental radicalpremise of civic equality.“).426 Vgl. Wahlen Wien, 2; vgl. zudem Uebergewicht, 5; Wahlen Ungarn, 1 f. 427 Vgl. Studenten, 2.

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Jahrhundert naturgemäß vielem hätten entfremden müssen, was

deutscher Geist hervorgebracht habe, einen von ihm

idealisierten Zustand wiederherstellen.428 Für ihn war

ausgemacht, dass die Deutschen Österreichs eine reine

Interessenpolitik zu ihren eigenen Gunsten betreiben sollten.429

So forderte er in seiner politischen Schrift 1877 wie erwähnt

die staatsrechtliche Loslösung Ungarns von Österreich mit der

Begründung, dass „wir uns voll und rückhaltslos [sic] als

Deutsche bekennen und aus dem nationalen Geiste heraus alles

Fremdartige und Krankhafte aus unserem Staat entfernen.“430 Es

dürfe, „wo immer ... unsere Stammesgenossen um Geltung oder gar

um nationales Dasein ringen, ... ihnen der Beistand des

Hinterlandes nicht fehlen“, das Ausbleiben einer solchen

Unterstützung „wäre Verrat“.431 (Auch) seine eigene Rolle

beschrieb er so: Es sei die höchste Aufgabe eines politischen

Schriftstellers, „auf jenen dunklen Urgrund aller

Völkergeschichte, auf den Nationalcharakter[,] zu wirken“.432

428 Vgl. Ausgleich, 21.429 Vgl. Ausgleich, 28, auch 25 (hier allerdings bezogen auf den Staat);vgl. überdies Litz Grundbegriffe, 36. Zu Friedjungs Forderung nachMoralfreiheit in der Historiographie vgl. unten, II. 1. Zur Diskussion umPolitik und Moral 1900 vgl. vom Bruch Wissenschaft, 435 f. (Exkurs 5).430 Vgl. Ausgleich, 25; auch ebd., 24 zu „den unglückseligenkosmopolitischen Tendenzen der österreichischen Geschichte“. Zur Forderungnach der staatsrechtlichen Trennung von Ungarn vgl. Ausgleich, 3-19, insb.4 (Es bestehe faktisch eine Tributpflichtigkeit Österreichs an denungarischen Staat.), 8, 16 („...sprechen wir ... unsere Fremdheit, unserenGegensatz, ja die mögliche Feindschaft gegen unseren östlichen Nachbarnaus...“), 17 f. (vollständige Unabhängigkeit Ungarns, Ungarn als Ausländeraus Österreich ausgeschlossen), 20, ferner ebd., 21, wo Friedjung beklagt,dass „wir seit Jahrhunderten zu einem Sonderleben verurtheilt waren, inwelchem wir unsere besten Kräfte für nichtdeutsche Interessen verbrauchthaben.“ sowie 22. Zu „Nothwendige[n] Reformen“ ebd., 54-72; zu „Der neueAusgleich mit Ungarn“: ebd., 34-53; s. auch das „Friedjung-Programm“, Punkt4, bei Berchtold Parteiprogramme, 190 f. sowie das „Linzer Programm, Punkt 1.1. (für eine bloße Personalunion), ebd., 199. 431 Vgl. Deutschböhmen, 485 f.; ähnlich Stück, 11, 16.432 Vgl. Ausgleich, 30.

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Diese Interessenpolitik bestand für Friedjung eindeutig in der

Wahrung bzw. Wieder-/Herstellung der Hegemonie der Deutschen in

Österreich.433 Insbesondere setzte er sich sein Leben lang für

das Deutsche als Staats- und Heeressprache und unerlässliche

Voraussetzung für den Eintritt in den Staatsdienst Österreichs

ein.434

433 Vgl. Ausgleich, 81: „...festbegründeten Hegemonie des deutschen Stammesin Österreich...“; vgl. auch Deutschböhmen, 480 f. unter Berufung auch aufdie Geschichte sowie Denkschrift, 91, 95; ferner Lindström Empire, 271; LitzGrundbegriffe, 36; von Srbik Friedjung, 535. Vgl. auch noch das „Friedjung-Programm“, Punkt 2, bei Berchtold Parteiprogramme, 190 (Der Staatsname sollte„Österreich“ sein, und zwar u. a. wegen der „untrennbarenZusammengehörigkeit aller Deutschen Österreichs“.). Allerdings warFriedjung ein Verfechter des Rechtsstaats - vgl. Ritter Historians, 63 -, derdiese Hegemonie daher auch nicht mit illegalen Mitteln herzustellengedachte. Vgl. zudem Whiteside Germans, 172 („In Jászi’s opinion, certainGerman and Magyar Jews acted as ‚an extremely loud and bigoted bodyguard’for the German and Magyar leadership...”). Zu der objektiv bereitsbestehenden Hegemonie der Deutschen in Österreich vgl. Whiteside Germans,162-164 (deutsche Dominanz in der Wirtschaft), 164 (Überwiegen derDeutschen in den höheren Schulen [in den Gymnasien gegen 1914 allerdingskaum], Universitäten - s. dazu auch oben, Fn. 262 - und technischenInstituten), 164 f. (in den Ministerien 1914 80% Deutsche; Überwiegen auchin der lokalen Verwaltung und in der Justiz); 165 f. (Deutsch als Sprachein der Armee, allerdings einschränkend), 166 (Dominanz in der katholischenKirche und in wichtigen Orden; Deutschsprachige die bedeutenden Figuren inLiteratur, Drama, Musik, Kunst, Wissenschaft und Gelehrtenwelt; mehrZeitungen und Bücher auf Deutsch als in allen anderen Sprachen zusammen) -die Habsburger-Dynastie nicht zu vergessen (s. auch ebd., 167); vgl. auchnoch ebd., 163 („One reason for German economic predominance was that, toquote Jászi, ‚capitalism ... assumed more and more an outstanding Jewishcolor.’“). 434 Vgl. das „Friedjung-Programm“, Punkt 1, bei Berchtold Parteiprogramme, 190- dazu Berchtold ebd., 190 (Das Verlangen nach dem Deutschen alsStaatssprache sei gegenüber den bis dahin erhobenen Forderungendeutschnationaler Kreise neu gewesen.); Sprachenrecht, 474-486, insb. 476-478 unter kaum plausibler historischer Herleitung; Staatssprache, 2 f.;sowie das „Linzer Programm“, Punkt 2, insb. Punkt 2. 5. (In Orten mitsprachlich gemischter Bevölkerung solle an allen Mittelschulen die deutscheSprache als obligater Gegenstand gelehrt werden, wohingegen kein Schülerzur Erlernung einer anderen, etwa landes- oder bezirksüblichen, Sprachegezwungen werden dürfe.) bei Berchtold Parteiprogramme, 199 und schließlichDenkschrift, 41, 92 f. Eingehend zur deutschen Sprache im spätenhabsburgischen Österreich: Whiteside Germans, 159-162, insb. 161, Fn. 3 zuden „landesüblichen“ und den „Landessprachen“ in den einzelnen Gebieten.

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Dabei sah er die Vormachtstellung der Deutschen in einem

staatsrechtlich geeinten Österreich-Ungarn durch die Ungarn und

Slawen und in Österreich selbst durch die Slawen stets als

bedroht an.435 Offenbar sozialdarwinistisch angehaucht, sprach

er von einem „Ringen der deutschen und der slawischen Rasse [!]

um Geltung und Herrschaft in den Sudetenländern“ und einem

„notgedrungene[n] Kampf für deutsche Art und Sitte der nächsten

Generation“, rief zur Verteidigung des deutschen „Sprachbodens“

auf und forderte die „Wacht an der Sprachgrenze“.436 Überhaupt

Immerhin bekräftigt Denkschrift, 92 den Anspruch der „von alters heransässigen Nationalitäten“ auf Errichtung von Volksschulen (nicht aber derzu- und abwandernden „Elemente“).435 Zu Ungarn vgl. Ausgleich, 24 („Man muß demnach die vielleicht bittereLehre aus der Geschichte der dreihundertjährigen Ehe Oesterreichs mitUngarn ziehen, daß wir nicht politische Kraft genug besitzen, um Ungarnunserem Staatsleben einzuordnen.“); zu Friedjungs antiungarischerEinstellung vgl. ebd., 16 („...rabulistischen magyarischen Volke...“). ZuFriedjungs Angst vor den Slawen vgl. Ausgleich, 1 („...die möglicheBedrohung unserer führenden Stellung durch Tschechen, Polen undUltramontane...“); Deutschböhmen, 479 sowie 480 (Die Deutschböhmen dämmten„die Slawenflut ein und hindern ihr Überschäumen in das übrige deutscheGebiet.“), ebd.., 483 (Viele deutsche Städte und Dörfer in Böhmen seien „inihrem nationalen Charakter bedroht“.); vgl. ferner Zeitalter, 7; das„Linzer Programm“, Punkt 2 bei Berchtold Parteiprogramme, 199, wo verlangtwird, den ehemals dem Deutschen Bund angehörenden Ländern der Monarchiemüsse der deutsche Charakter gewahrt bleiben, sowie Denkschrift, 102, woeine „unnachgiebige Festhaltung des deutschen Charakters der ehemaligenReichsländer“ und eine „Wiedergewinnung der verlorenen Posten in [sic]Südsteiermark, Böhmen und Südtirol“ gefordert werden. Vgl. aber auchAbkehr, 2: Die Regierung dürfe sich nicht zu Verfolgungen gegen Tschechenhinreißen lassen - sowie Denkschrift, 11 und schließlich Litz Grundbegriffe,34: In Friedjungs Frühwerk „Kaiser Karl IV. und sein Antheil am geistigenLeben seiner Zeit“ habe dieser - im Gegensatz zu seiner später aggressivenEinstellung - ein durchaus wohlwollendes Verhältnis zum „Tschechentum“gezeigt.436 Vgl. Deutschböhmen, 485. Dass sich Friedjung hier besonders für die„Deutschböhmen“ stark machte, dürfte auch durch seine Herkunft aus Mährenveranlasst gewesen sein sowie durch den Umstand, dass außer in Galizien -offenbar nur - in Böhmen und Mähren die Deutschen um 1900 in den Justiz-und Verwaltungsbehörden unterrepräsentiert waren (zu Letzterem vgl. WhitesideGermans, 165, unter Berufung auf Hugelmann).

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war die Idee des Kampfes zentraler Bestandteil seiner

Weltsicht.437

Angst vor den Slawen Österreichs war unter den

Deutschösterreichern, insbesondere unter den

deutschösterreichischen Historikern, weit verbreitet.438

Zwischen 1867 und 1918 lebten in Cisleithanien durchschnittlich

neben den ca. 36% Deutschen denn auch jeweils etwa 23%

Tschechen, 18% Polen, 13% Ruthenen, 5% Slowenen sowie 3%

Italiener und 1% Rumänen.439 Diese „Bedrohung“ war in Friedjungs

Augen zumindest teilweise bedingt durch „bittere[r]

Gehässigkeit“ gegen die Deutschen, wobei er merkwürdigerweise

das Verhalten der letzteren als eine mögliche Quelle jenes

Gefühls gar nicht in Betracht zog.440

Er postulierte, die Deutschen Österreichs könnten „erst dann

Herren im eigenen Hause“ sein, wenn Galizien eine selbständige

Stellung neben und zum Teil außer dem cisleithanischen Staat

erhalte - und damit polnische Abgeordnete nicht in Gemeinschaft

437 So Ritter Historians, 50. Vgl. auch Friedjung Stück, 20 („Verloren ist nurDerjenige, der sich selbst verloren gibt; erst dann ist der Triumphzerstörender Kräfte entschieden, wenn die Entschlossenheit versagt, denKampf von neuem aufzunehmen.“).438 Vgl. Judson Race, 90, 94; auch Whiteside Germans, 181, 184 über dieLiberalen. Über die deutschösterreichischen Historiker: RamhardterGeschichtswissenschaft, 192. Vgl. (aber) auch Charle Vordenker, 168, wonaches der österreichischen [künstlerischen] Avantgarde besser als denfranzösischen und deutschen Schriftstellern gelungen sei, sich vor derAnsteckung durch Nationalismus und Fremdenhass zu schützen.439 Vgl. Whiteside Germans, 159 f. Zu den Tschechen in Wien vgl. Hamann Wien,437-462.440 Vgl. Deutschböhmen, 484 (bezogen auf die tschechischen Bürger undBauern); auch Mommsen Sozialdemokratie, 19. Dass die Situation zwischenden Nationalitäten des späten habsburgischen Österreich so dramatisch war,wie sie herkömmlich geschildert wird, bestreitet Cohen Politics, 242-277;vgl. auch Whiteside Germans, 190 (für die Zeit bis 1897).

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mit tschechischen u. a. die deutschen leicht überstimmen

könnten.441 Österreich war für ihn ein „deutscher“ Staat, in

welchem die Deutschösterreicher, der „führende Volksstamm, ...

die anderen Stämme leiten“ und „die Nationalitäten

niederhalten“ sollten.442 Ausdrücklich gerade auch diesem Zweck

diente seine Forderung nach einem engen Bündnis mit dem

Deutschen Reich.443

Michael Pollaks Bemerkung, die Begeisterung für das Deutschtum

im Österreich der 1870er und 1880er Jahre sei „aufbrausenden

Charakters“ und von nur kurzer Dauer gewesen, trifft auf

Friedjung allenfalls in sehr abgeschwächtem Maß zu; zudem

übersieht Pollak in der Gesamtsicht den immer mehr

441 Vgl. Deutsche, 1; ähnlich Ausgleich, 101; Punkt 3 des „Friedjung-Programms“ (vgl. Berchtold Parteiprogramme, 190); Punkt 1. 3. des “LinzerProgramms“ - hier ebenso für die Bukowina gefordert - (vgl. BerchtoldParteiprogramme, 199); Denkschrift, 86 - s. auch ebd. 87 (gegen eineDemokratie in Galizien). Auch der von Ende 1914 bis Juli 1916 aktive Kreisum Gustav Marchet und Josef Maria Baernreither, welchem Friedjungangehörte, vertrat diese Ansicht - vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft,20 f.442 Vgl. Ausgleich, 20, 24, 28; Auf der anderen Seite sollten die Deutschenin Ungarn nach dem Krieg „nicht mehr mit derselben Unbilligkeit behandeltwerden wie bisher.“ - vgl. Denkschrift, 80. Vgl. auch Meyer Mitteleuropa,197: Trotz seiner starken Sympathien für die Deutschösterreicher habeNaumann die „Denkschrift aus Deutsch-Österreich“ u. a. wegen derengrundlegend antislawischen Tones kritisiert. Vgl. ferner MommsenSozialdemokratie, 109: Die „Deutsche Wochenschrift“ habe die deutscheArbeiterschaft für einen maßvollen Nationalismus gegen die slawischenationale Bewegung zu gewinnen versucht, die in diesen Jahren denSprachenkampf erneut verstärkt habe. 443 Vgl. Ausgleich, 81 (Warum ein - von Friedjung abgelehnter - „Anschluss“[Gesamt-]Österreichs an das Deutsche Reich anders gewirkt haben würde [vgl.ebd., 30-33], bleibt unklar.); Vaterland, 2; auch Denkschrift, 77; ThalerNorth, 281. Zu den - aus Friedjungs Sicht vermutlich z. T.kontraproduktiven - Folgen des Bündnisses vgl. Whiteside Germans, 182 f.:“The alliance probably barred the way to any outright anti-Germangovernment in Austria, but it also guaranteed the Austrian governmentagainst intervention by Berlin in favor of the Germans when the Slavs movedto achieve greater equality.” (m. Nw. in Fn. 32: “See the dispatches byPrince Lichnowsky and Count Eulenberg from 1898 to 1899...”).

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anschwellenden Nationalismus unter den deutschösterreichischen

Studenten.444 So war denn auch die überwiegende Mehrheit der

österreichischen Historiker bereits vor dem Weltkrieg

deutschnational eingestellt und versuchte spätestens

währenddessen, die Vormachtstellung der Deutschösterreicher in

Cisleithanien historisch herzuleiten.445

Keineswegs war Friedjung ein Befürworter der Zerschlagung des

Habsburger-Reiches etwa zugunsten eines Anschlusses

Deutschösterreichs an das Deutsche Reich.446 Damit stand er bis

zum Kriegsende im Einklang mit der Haltung der großen Mehrheit

der politischen Parteien und Organisationen und überhaupt der

Bevölkerung, welche auch unter den österreichischen Historikern

weit verbreitet war.447

Er war fest von der „Daseinsnotwendigkeit“ der Donaumonarchie

überzeugt, die er auch nach ihrer Auflösung noch verteidigte,

obwohl er sah, dass sie „durch eine Totenklage nicht zum Leben

zu erwecken“ sei.448 Diese Notwendigkeit begründete er letztlich

444 Bemerkung: Pollak Wien, 103 - unter dem interessanten Zusatz, dieseBegeisterung sei durch Zukunftsängste vor allem derjenigen gespeist worden,deren ausschließliches Arbeitsmittel die Sprache gewesen sei. 445 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 192 (allerdings mit dem hierunglücklichen Begriff „großdeutsch“ statt deutschnational) bzw. 194 f.,auch 192.446 Und zwar bereits in seiner ersten politischen Publikation: vgl.Ausgleich, 16, wo er sich „mit Stolz und Freude zu unserem [Ungarnausschließenden] Oesterreich“ bekennt und die Deutschösterreicher aufruft,„feurige entschlossene Patrioten dieses deutschen [Gesamt-]Oesterreichs“ zuwerden, ebd., 30-33 (gegen einen „Anschluss“). Vgl. auch von Srbik Friedjung,535. 447 Parteien und Organisationen: vgl. Cohen Politics, 242 - Bevölkerung: vgl.ebd., 276, auch Lindström Empire, 11, 271 - Historiker: vgl. RamhardterGeschichtswissenschaft, 61.448 Vgl. Vorrede, VII; auch Redlich Nekrolog, 227. Vgl. ferner Vorrede, XI:Der militärische Untergang eines Staates an sich beweise nicht, dass er

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mit der Aufgabe der Deutschösterreicher, ein „Bollwerk“ gegen

die südöstlichen Nachbarn der Deutschen zu bilden.449

Nur eine Großmachtstellung des österreichisch-ungarischen

Reiches kann dabei gemäß der „Denkschrift aus Deutsch-

Österreich“ seine Selbsterhaltung garantieren.450 Zudem gab es

für Friedjung eine eigentümliche österreichische Kultur in

Recht und Gesittung; der Versuch, sie „abzustreifen, ist ein

Rückfall in die Barbarei.“451 Für einen „Anschluss“ an das

Deutsche Reich sprach er sich, keinesfalls inkonsequent, erst

aus, als Österreich-Ungarn bereits in Einzelstaaten zerfallen

war - womit er in Übereinstimmung mit wohl den weitaus meisten

deutschösterreichischen Historikern stand: Spätestens in den

1920er Jahren bekannten sich „ a l l e “ österreichischen

lebensunfähig gewesen sei - das verwundert angesichts von FriedjungsMachtkonzept des Staates. In diesem Zusammenhang argumentiert Friedjung inRichtung einer „Dolchstoßlegende“: vgl. ebd., XII („Verrat im Hinterland“),auch IX f.; vgl. zudem von Srbik Friedjung, 535; Stieböck Journalist, 3 sowieoben, bei Fn. 339 (Hartmanns Aussage); s. aber Eder Friedjung, 125 (ohneNw.): Friedjung sei auch nach der Niederlage immer für die neuenVerhältnisse aufgeschlossen geblieben - sowie Lindström Empire, 272(„Arguably, Friedjung and Renner were less severely struck by thedissolution because they both had their identities firmly anchored in theGerman nation.“).449 Vgl. Vorrede, XIII; auch Denkschrift, 101 f., wo von den derhabsburgischen Monarchie „bereits in die Wiege gelegten Aufgaben derVerknüpfung des Orients mit dem Okzident wie der Abwehr der von Osten herdrohenden Barbarei“ die Rede ist. Vgl. ferner Lindström Empire, 271; ThalerNorth, 281. Allerdings sah Friedjung diese Mission in Bezug auf Großungarnals gescheitert an und forderte daher 1877 eine Beschränkung derWirksamkeit der Deutschösterreicher auf Cisleithanien - vgl. Ausgleich,24, auch 103. 450 Vgl. Denkschrift, 12. Vgl. auch von Srbik Friedjung, 535 (Friedjung seistets der Politiker und Historiker eines Österreich gewesen, das ermilitärisch kraftvoll habe wissen wollen.); zudem Whiteside Germans, 174(“The overwhelming majority of German nationalists in the Habsburg empirewere ... strong supporters of the empire’s position as a great power.”).451 Vgl. Vorrede, XV.

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Historiker an Universitäten „offen und klar zum

Anschlußgedanken“.452

Überhaupt hielt Friedjung zumindest für die Fälle, in welchen

„die Wohnsitze und Sprachinseln der verschiedenen

Volksstämme ... durcheinandergeworfen sind“, nichts von der

Bildung „geschlossene[r] Nationalstaaten“.453 Aber dies

bedeutete für Friedjung nicht etwa die Forderung oder Duldung

einer gegenseitigen „Durchmischung“ der Nationen, vielmehr

sollten sie großen Wert auf ihre gegenseitige Abgrenzung

legen.454

Friedjungs Patriotismus nahm im Laufe seines Lebens zu. Am

prägnantesten ist dies zu ersehen aus seiner Aussage vom

Februar 1884: „Da erkannte der Schreiber dieser Zeilen an

seiner eigenen inneren Erfahrung wieder, mit welch’ zähen

Fasern selbst der entschiedenste, b e d i n g u n g s l o s

national denkende Deutsch-Oesterreicher in seinem engeren452 Vgl. Vorrede, XIII: „Jetzt, da Österreich zerfallen ist, drängt sichunsere ganze Empfindung in der Liebe zum Kernvolke der alten Monarchie unddamit zur großen deutschen Nation zusammen. ..., zuletzt aber werden wirdoch zum Mutterlande zurückkehren.“ Konsequenz in Friedjungs spätemBekenntnis zum „Anschluss“ erblicken ebenfalls Glaubauf Bismarck, 249; LitzGrundbegriffe, 37. Österreichische Historiker an Universitäten: DachsGeschichtswissenschaft, 74 (Sperrdruck im Original); vgl. auch RamhardterGeschichtswissenschaft, 195. 453 Vgl. Vorrede, XII.454 Vgl. Abkehr [Juni 1918], 1 zur Beziehung der Deutschen und TschechenBöhmens. Vgl. auch Zeitalter, 13: „Es ist kein Nachteil, daß die gemeinsameLiebe zum Vaterland sich in allen Nationen stärker erwiesen hat als derzwischen den Gesellschaftsklassen bestehende Gegensatz, als der unter ihnengesäte Haß“ - was mindestens eine Abgrenzung der „Nationen“ impliziert. InDenkschrift, 102 werden für Österreich sogar eine „energischereGermanisierung, wo der Widerstand weniger zäh, scheinbare Nachgiebigkeit,wo er ernster ist“ verlangt. Vgl. in diesem Zusammenhang auch WhitesideGermans, 177 über Artikel 19 des sog. Staatsgrundgesetzes von 1867, derjedem das gleiche und unveräußerliche - persönliche, nicht kollektive -Recht garantierte, seine Nationalität zu wahren und zu pflegen.

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Vaterlande wurzle: an meiner tiefen Empörung über das auf der

Balkan-Halbinsel geschehene Unrecht habe ich es empfunden: Ich

bin ein guter Oesterreicher.“455

Sogar den Ausgleich mit Ungarn beurteilte Friedjung 1897/98

insofern positiver als noch zwanzig Jahre zuvor, als er ihn

nunmehr als eine Quelle der Verjüngung der Außenpolitik des

Gesamtreiches darstellte.456 Dennoch „blieb“ er „der Politiker

und Historiker ... eines Österreich, das künftig in eigener

Staatlichkeit neben Ungarn in der Monarchie stehen ...

sollte.“457

Auch die Regierungsform der konstitutionellen Monarchie und die

Dynastie der Habsburger beurteilte Friedjung nach 1877 immer

positiver.458 So postulierte er in seinem „Friedjung-Programm“455 Vgl. Bahnen, 3 [Sperrdruck im Original]. Dies beeinflusste auch seineGeschichtsschreibung: “He ... maintains much of his earlier idealization ofthe ... Revolution of 1848..., but tends now to see these events more ascentrifugal and reactionary [!] dangers from the nationalities andprovinces for the future of Austria. ...the modernizing authoritariancentralism of the 1850s, which he sees as carrying forth the Liberal [sic]Josephinist inheritance in important regards.” - vgl. Lindström Empire, 36 i.V. m. 35 über das 1908 entstandene Werk “Österreich von 1848 bis 1860”.Vgl. auch Denkschrift 102 f.: „Seit dem Weltkrieg rauschten Vaterlandsliebeund Nationalgefühl der Deutschösterreicher „in einem einzigen, mächtigenStrome dahin“.456 Vgl. Ritter Historians, 66, Fn. 85. Vgl. zudem Denkschrift, 78 f. (keinAusgleich mehr, dafür aber ein über mindestens 25 Jahre laufendesMitteleuropa-Bündnis), 96 (Aufrechterhaltung der im Ausgleich von 1867umschriebenen Staatlichkeit Ungarns).457 Von Srbik Friedjung, 535.458 Zur frühen Kritik vgl. Ausgleich, 9 („...werden wir immer mehr derSpielball in den Händen der Ungarn und der Hofpartei sein, welche demdynastischen Interesse zu Liebe Oesterreich alle Lasten aufbürden will, umdas verhätschelte Ungarn ja bei guter Laune zu erhalten.“), auch ebd., 15,21-23, 97. Whiteside Germans, 169 hebt hervor, gerade die deutschsprachigenJuden seien dem Staat gegenüber loyal gewesen; zu den österreichischenJuden als Wählern vgl. Simon Vote, 108 (Sie seien als brennende Anhängerdes Liberalismus in das politische Leben eingetreten.), 121 (1918 habeweder der Sozialismus noch der Klerikalismus noch der Deutschnationalismus

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1880: „Ebenso untrennbar wie mit den Schicksalen der deutschen

Nation ... sind die Deutschen Österreichs mit dem Geschicke der

österreichisch-ungarischen Monarchie verknüpft...“459 Und im

Mai 1918 schrieb er: „Gerade in dieser Monarchie ist es ein

unabweisliches Bedürfnis, daß sich niemand zwischen den

Herrscher und seine Getreuen dränge, denn das Reich der

Habsburger ist entstanden und beruht noch heute auf dem

Einklange und dem treuen Zusammenstehen von Fürst und Volk, ein

Verhältnis, das uns glücklich über die Stürme des Weltkrieges

hinübergeholfen hat und ... eine lichtere Zukunft verbürgt.“460

Die „Arbeiter-Zeitung“ hatte ihn denn auch bereits 1913 als

einen „offiziösen Journalisten im Historikermantel“

bezeichnet.461

Diese Änderung von Friedjungs politischer Einstellung ist viel

diskutiert worden. Trotz aller auf den ersten Blick

grundsätzlichen Abweichungen der einzelnen Analysen besteht der

Sache nach zu Recht Einigkeit dahin gehend, dass dieser Wandel

Juden aus der Mittelklasse angezogen.). 459 Vgl. Punkt 8 bei Berchtold Parteiprogramme, 191. Vgl.auch Vaterland, 2.460 Vorgänge, 2; vgl. auch Denkschrift, 13 sowie Morgenbrod Großbürgertum, 73i. V. m. Fn. 11. Vgl. aber auch Vorrede, S. XII: „Der Leser wird in diesemBuche ebensowenig wie in meinen früheren auf das stoßen, was mandynastische Gesinnung nennt, umso häufiger auf die Überzeugung, daß derVerband der durcheinandergemengten Nationalitäten zusammengehalten werdensollte.“ Zur konstitutionellen Monarchie in Österreich-Ungarn seit 1867vgl. Whiteside Germans, 176. 461 Vgl. F. Fellner Friedjung, 657 (Arbeiter-Zeitung vom 18. September 1913) -vgl. auch ebd.: Auf ein Schreiben Friedjungs, in dem er sich empört überdiese Titulierung gezeigt habe, habe Hartmann in einem Brief vom 9. Januar1914 (Nachlass Friedjung, HHStA) geantwortet: „Man hat sich daran gewöhnt,Dich in der Öffentlichkeit als eine Art von ‚Officiosus’ (das Wort ist hiervon mir gewiß nicht böse gemeint) der Idee des österreichischen Staatsüberhaupt zu betrachten - was eine Abhängigkeit von den einzelnenRegierungen natürlich prinzipiell ausschließt und nur besagen will, daß Dufreiwillig ein officium übernommen hast, das Deiner Überzeugung ebenentspricht.“ Vgl. ferner Lindström Empire, 18.

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lediglich von gradueller Natur war, während die politischen

Grundgedanken Friedjungs gleich blieben.462 Das Diktum Friedrich

Naumanns über die oft viel biegsamer gewordenen Gelehrten und

den Professor, der im Allgemeinen nicht mehr protestiere und

stattdessen die Welt nehme, wie sie sei, trifft auf den

späteren Friedjung allerdings partiell zu.463

Friedjungs Einstellung zur Demokratie war zwiespältig.464 Hans

Mommsen scheint an einer Stelle sogar zu implizieren, er habe

(bereits) während seiner Tätigkeit als Chefredakteur der

„Deutschen Wochenschrift“ das allgemeine Wahlrecht abgelehnt.465

462 Vgl. von Srbik Friedjung, 535, 539, 542, 544; Lindström Empire, 33, 82;Zailer Friedjung, 3; zudem Bogner Auseinandersetzungen, 17, Fn. 24; DechelProgramm, Teil 2, 424; F. Fellner Friedjung, 641, auch 639, 644 f; ; LitzGrundbegriffe, 34 f., 38; Redlich Nekrolog, 227; Ritter Historians, 49, 57,sowie 49, Fn. 15 (wo Ritter darauf hinweist, Friedjung habe alsachtzehnjähriger Student in Prag 1869 eine Vorlesung mit dem Titel “Derösterreichische Staat” vorbereitet, welche bereits viele der fundamentalenMuster seines späteren Denkens erkennen lasse; das Manuskript befinde sichim Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Nachlass Friedjung, Karton 3.). EineEinteilung in vier bis fünf, sich aber auch nur graduell unterscheidendenPhasen von Friedjungs politischer Einstellung nimmt Lindström Empire, 32-34,38, 82 f. vor. Vgl. ferner Stolz Männer 63 (Zur Amtszeit Taaffes hätten nochFriedjungs deutschnational-liberale Gesinnungen überwogen und habe er gegenden wachsenden slawischen Einfluss gekämpft.). Zur Bedeutung des Bündnissesvon 1879 für die Deutschösterreicher vgl. Whiteside Germans, 182: Seitdemhabe es ihnen die nationale Loyalität verboten, ihre Opposition zur innerenösterreichischen Politik so weit zu treiben, dass sie die Stabilitätdesjenigen Staates gefährdeten, auf den das deutsche Vaterland nun fürseine eigene Sicherheit angewiesen gewesen sei. 463 Zitiert bei vom Bruch Wissenschaft, 58.464 Zu Demokratie und Sozialismus bei Friedjung vgl. Litz Grundbegriffe, 42-45. Zur geringen Neigung der „Mandarine“, eine Ausdehnung rein politischerRechte zu verlangen oder eine Beteiligung des Volkes an der Herrschaftanzustreben, vgl. Ringer Gelehrten, 19.465 Mommsen Sozialdemokratie, 115, Fn. 5: „Wahrscheinlich hofften Adler undPernerstorfer noch, Friedjung und den Deutschen Club für eine Unterstützungder politischen Arbeiterbewegung, also für allgemeines Wahlrecht undSozialreform, zu gewinnen.“ - vgl. aber auch ebd., 114: „Kautsky erwogernsthaft, ob man mit der ... Gruppe um Friedjung in der Wahlrechtsfragezusammengehen könnte...“ Ähnlich wie Hans Mommsens erstgenanntes Diktumscheint dasjenige von Srbik Friedjung, 539 zu sein: „Wir begreifen es, daß ersich dem Altliberalismus, gegen den er durch Jahre gestritten hatte,

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Immerhin hatte Friedjung in der Tat zu Anfang der 1870er Jahre

noch erhebliche Vorbehalte gegen die im Lesezirkel zur

Besprechung sozialistischer Schriften erhobene Forderung nach

Erweiterung des Wahlrechts geltend gemacht.466 1877 dann hatte

er zu einem „energischen Selbstregiment des Volkes“ aufgerufen.467 Und noch in seinem „Friedjung-Programm“ hatte er 1880 die

„immer fortschreitende Erweiterung des Wahlrechtes“

gefordert.468

In der von ihm mitverfassten „Denkschrift aus Deutsch-

Österreich“ von 1915 heißt es dann über die Zukunft Österreich-

Ungarns und des Deutschen Reiches wiederum: „Das entscheidende

Wort werden die Monarchen zu sprechen haben.“469 Genau diesen

näherte: dieser Liberalismus mit seiner Einschränkung des politischenRechtes auf die Gebildeten und Besitzenden entsprach schließlich F.s [sic]innerer Ablehnung aller Nivellierung ...“ Gegen eine Änderung in FriedjungsEinstellung zur Wahlrechtsfrage spricht seine Äußerung von 1909 -allerdings nach Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts fürMänner - in Deutschböhmen 484: „...es wäre ganz vergeblich, das Vordringender Demokratie in Österreich deshalb bekämpfen zu wollen, weil sie jetztden Slawen zum Nutzen gereicht. Man muß, ob man will oder nicht, die Wellenbrausen und rauschen lassen, sich aber kräftig im Wogenprall behaupten.“Jedoch saß Friedjung zwischen 1890 und 1895 ja als Liberaler im WienerGemeinderat und stürzte 1893 das Kabinett Taaffe über den Widerstand u. a.der „Vereinigten Deutschen Linken“, wie sich die Liberalen damals nannten,gegen die Wahlreformvorlage, nach welcher jedem mindestens 24-jährigen Mannohne Rücksicht auf die Steuerleistung das Wahlrecht gewährt werden sollte -vgl. Holleis Partei, 16.466 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 104.467 Vgl. Ausgleich, 99.468 Vgl. Punkt 5 bei Berchtold Parteiprogramme, 191. Vgl. auch das „LinzerProgramm“, Punkt 3. 7. bei Berchtold Parteiprogramme, 199, sowie Punkt 3. 7.,ebd., 200 (direkte und geheime Wahl). 469 Vgl. Denkschrift, 104. Vgl. bereits Friedjung Ausgleich, 21: „...dieZertretung aller Keime der Freiheit, welche im 17. Jahrhundert stattfand,mußte man einem Herrschergeschlechte verzeihen, welches eine großeOrientpolitik zu verfolgen hatte und dem man eine Art Dictatur inOesterreich zu übertragen genöthigt war, da es dafür Ungarn an uns zufesseln versprechen konnte. ... Ein Volk, welches ein anderes unterwirft,muß immer seiner eigenen Regierung einen höheren Grad von Gewalteinräumen.“.

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Ansatz kritisierte Friedrich Naumann trotz seiner starken

Sympathien für die Deutschösterreicher.470

Eine solche Verbindung von Staatstreue, Patriotismus und

deutschem Nationalismus prägte zwischen Österreichs Ausscheiden

aus dem Deutschen Bund 1866 und dem Ende der Donaumonarchie

1918 die Mehrheit der Deutschösterreicher.471 Diese „geteilte

Identität“ brachte für viele nicht nur praktische, sondern auch

psychisch-geistige Probleme mit sich.472 So wird den

Deutschösterreichern dieser Zeit denn auch häufig eine

Identitätskrise bescheinigt.473 Gerade wenn das Streben nach

Hegemonie hinzutrat, mussten sich gedankliche und konnten sich

innere Spannungen ergeben.

Friedjung scheint dies alles ausgeblendet zu haben; so stellt

Kapp fest: “Friedjung did not see the glaring contradiction in

his identification of Austro-German goals with the Monarchy’s

vital interests; for any attempt on restore German hegemony

would increase Austria-Hungary’s dependence on Germany and

antagonize its other nationalities. Perhaps because he avoided

this dilemma of divided loyalties...”474

470 Vgl. Meyer Mitteleuropa, 197. Immerhin prophezeite die Denkschrift, 79aber, es werde „aus einem unabweisbaren Entwicklungsbedürfnisse heraus auchin Ungarn zum allgemeinen Wahlrecht kommen“. 471 Vgl. Cohen Politics, 276; Whiteside Germans, 159, 175. Das galt auch fürdie Sozialisten - vgl. ebd., 188. Zur Schlüsselstellung des AusscheidensÖsterreichs aus dem Deutschen Bund 1866 für die Identitätsfrage derDeutschösterreicher: ebd., 174. 472 Vgl. Hanák Lebensgefühl, 160 f.; Lindström Empire, 13-16; MeyerMitteleuropa, 174-193 („The Austro-Hungarian Dilemma“); Whiteside Germans,157-200 (Untertitel: „The Dilemma of Dominance”). 473 Vgl. z. B. Casillas Politics, 4, 7.474 Kapp Loyalties, 134 (f.).

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Auf der anderen Seite war sein ganzes Lebenswerk geprägt von

einem Ringen um eine Identität der Deutschösterreicher.475 Das

zeigt sich bereits an „Der Ausgleich mit Ungarn“ von 1877, wo

er feststellte: „Die Schlacht bei Königgrätz hat uns einen

schweren Schlag zugefügt und uns in unserem Selbstbewußtsein

tief erschüttert. ...seitdem schwanken wir und haben wir kein

Vaterland.“476 Und im Hinblick auf die von ihm zu dieser Zeit

weitgehend abgelehnten Bindungen zwischen Österreich und Ungarn

deklamierte er: „Schon weil ich ein ganzer Mensch sein will,

will ich auch bloß Bürger eines einzigen Staates sein. Ich will

bloß e i n Vaterland haben, weil es mir Bedürfniß ist, mich

meinem Staate g a n z zu weihen, und weil ich fürchte, daß

die Wärme meines Gefühles abnehmen müßte, wenn ich sie [auch]

einem anderen Volke weihte als meinem eigenen.“477 Dass sich das

Problem für Österreich allein, ohne Ungarn, ebenso stellte,

weil auch dort schließlich die Nichtdeutschen in der Mehrheit

waren, hat er entweder nicht gesehen oder eben durch seine

Forderung nach Hegemonie der Deutschsprachigen „lösen“ wollen.

Gerade der größte Teil seiner Geschichtsschreibung - dazu

unten, II. 1. - stellte den Versuch der „Therapie“ einer von

475 So auch Lindström Empire, 30-39, 82. Vgl. auch Casillas Politics, 6 f.(“...their [Friedjungs und Herzls] lives also reflected a high degree ofuncertainty regarding the flaws of Austrian society and the proper way toremedy them. The fact that both men frequently vacillated from posture toposture was the result of their fundamental intellectual inconsistency, ormore specifically, their psychological ambivalence.” [wobei “frequently”für Friedjung nicht zutrifft]) - vgl. zudem ebd., 10-51 über Friedjung,auch 79-83 sowie Ritter Historians, 57 (“...one might well conclude thatFriedjung was seriously divided within himself concerning his politics andhis vocation... This moderate-radical ambivalence remained a permanentfeature of his work and personality.”).476 Ausgleich, 11 f. bzw. 14.477 Ausgleich, 18 f. (Sperrdruck im Original).

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ihm an sich selbst und bei den meisten Deutschösterreichern

diagnostizierten „Seelenkrankheit“ dar.

bb. Sozialpolitik

Wie beschrieben, gehörte Friedjung zunächst zu den „Jungen

Liberalen“, die sich von den „Alten“ inhaltlich vor allem durch

ihren Nationalismus und ihre Forderung nach Sozialpolitik

absetzten.478 Kaum überraschen kann angesichts dieser Ziele,

dass jene zumeist aus „kleinen Verhältnissen“ stammten.479

Bereits im - freilich nie gültig gewordenen - „Friedjung-

Programm“ von 1880 verwendete er sich dafür, „den gewerblichen

und ackerbautreibenden Klassen ... neben dem Großgrundbesitze

und dem beweglichen Kapitale ... endlich die ihnen gebührende

Stellung im Staate“ zukommen zu lassen. Diesen Grundsatz

konkretisierte er durch die Forderungen nach „Entlastung der

ärmeren Volksklassen von den drückenden Verzehrungssteuern“,

nach Einführung einer progressiven Einkommenssteuer und von

Luxus- und Börsensteuern sowie nach einer „Reform der

Erbsteuer“ und schließlich nach einer Bekämpfung des Lottos als

478 Vgl. auch von Srbik Friedjung, 539: Die frühzeitig in Friedjung erwachteErkenntnis der Notwendigkeit sozialpolitischer Reformen sei sein festesBekenntnis geblieben.479 Zitat Adam Wandruszka bei Dechel Programm, Teil 2, 422. Vgl. auch RitterHistorians, 52 (“...certain marginal and socially insecure groups which ...were able to play leading roles in shaping modern Austria’s politics. Intheir eagerness to transcend their own uncertainty, members of these groups- Jewish assimilationists like Adler, upward-striving members of the pettybourgeoisie such as Lueger and Pernerstorfer, nouveaux arrivés likeSchönerer - attempted to bridge the gap between Austria’s liberal,patrician Großbürgertum and the people.”).

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einer „moralisch verwerfliche[n] und den Wohlstand des kleinen

Mannes bedrohende[n] Steuer“.480

Diese Punkte wurden dann zwei Jahre darauf im von Friedjung

maßgebend mit gestalteten und auch gültig gewordenen „Linzer

Programm“ bis auf den letzten aufgegriffen und durch weitere

Forderungen konkretisiert. Zu diesen gehörte die „Festsetzung

eines steuerfreien Existenzminimums“, die „Aufstellung höherer

Steuersätze für das Renteneinkommen und niedrigere [sic] Sätze

für das Arbeitseinkommen“ sowie die Einführung „wirksamer

Vorkehrungen gegen Steuerumgehungen seitens des mobilen

Kapitals“ ebenso wie die weitestgehende Abschaffung von

indirekten Steuern auf die „unentbehrlichen Lebens- und

Gebrauchsartikel“.481

Neu gegenüber dem „Friedjung-Programm“ war die

korporativistisch erscheinende Forderung nach einer

„Organisation der arbeitenden Klassen durch Einführung von

obligaten Gewerbegenossenschaften und Arbeitergewerksvereinen“

und nach „Bildung von Wirtschaftskammern“.482 Auch das Verlangen

nach Verstaatlichung der Eisenbahnen und „des

Versicherungswesens“ unter gleichzeitiger Einführung einer

Alters- und Unfallversicherung findet sich hier.483 Weiter wird

480 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 191, Punkt 6. Die progressiveEinkommenssteuer wurde gemäß Otruba Jahre, 51 f. erst 1896 durch Böhm vonBawerk durchgesetzt. Zum Ruf der meisten Wissenschaftler im WilhelminischenDeutschland nach Einführung einer Erbschaftssteuer s. vom BruchWissenschaft,133 f.481 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 201, Punkt 6, insb. die (Unter-)Punkte6.16, 6.17 und 6.18. In Punkt 6.17. wird verlangt, die „gründliche Reformder Erbsteuer mit besonderer Rücksichtnahme auf die Armenversorgung“durchzuführen.482 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 201, Punkt 7.20.483 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 202, Punkt 8. 22, 8.23.

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eine „Reform der Fabrikgesetzgebung, insbesondere mit

Feststellung einer Normalarbeitszeit, Beschränkung der Kinder-

und Frauenarbeit“ angestrebt.484 Und auf Initiative von

Schönerers wurde auch noch ein Punkt aufgenommen, der

„Maßnahmen zugunsten des Bauernstandes“ anmahnte.485

Viele der sozialpolitischen Forderungen des „Friedjung-

Programms“ und des „Linzer Programms“ wurden 1893 auch Ziele

des Sozialpolitischen Vereins, dessen Mitglied Friedjung wohl

war.486 Einige wurden auch von der von ihm 1895 mitgegründeten

„Sozialpolitischen Vereinigung im Wiener Gemeinderat“

vertreten; darüber hinaus verlangte diese die Einrichtung von

Kindergärten und einer kommunalen Großschlachterei sowie die

Verköstigung bedürftiger Schulkinder, Fürsorge für das

Kleingewerbe und vor allem eine „Neuordnung“ des

Wohnungswesens.487

484 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 202, Punkt 9.26.485 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 202, Punkt 10; s. auch ebd., 200, Punkt4.12. Im weiteren Sinne gehört auch Punkt 9. 27 - vgl. BerchtoldParteiprogramme, 202 - zu einer Sozialpolitik: „Anlegung von Strafkolonienzur Unterbringung und Beschäftigung gemeinschädlicher Individuen“.486 Vgl. Holleis Partei, 14: Verstaatlichung bzw. Kommunalisierung wichtigeröffentlicher Einrichtungen, Einführung einer progressiven Einkommen- bzw.Kapital- oder Besitzsteuer, Befreiung der Waren zur Deckung derunentbehrlichen Bedürfnisse des Volkes von den indirekten Steuern,Errichtung staatlicher Wohlfahrtseinrichtungen für das arbeitende Volk,insbesondere [und insofern z. T. über die beiden Programme hinausgehend]Einführung einer Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. FriedjungsMitgliedschaft im Sozialpolitischen Verein erwähnt Holleis nicht eigens, wohlaber seine Zugehörigkeit zur aus diesem entstandenen und parallel zu jenembestehenden Sozialpolitischen Partei - vgl. oben, Fn. 325.487 Vgl. Holleis Partei, 23 (Anführungszeichen um „Neuordnung“ in derVorlage). Mit dem „Friedjung-“ und dem “Linzer“ Programm übereinstimmendwaren die Forderungen nach Arbeiterversicherungen und Kommunalisierungallgemeiner Einrichtungen. Vgl. auch ebd., 26: 1896 habe Viktor Adler dasProgramm der Sozialpolitischen Vereinigung als durchaus gut bezeichnet.Sein Fehler sei aber gewesen, dass es innerhalb der Liberalen Partei habeverwirklicht werden sollen.

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In der „Deutschen Wochenschrift“ setzte sich Friedjung

wiederholt für sozialpolitische Belange ein. So polemisierte er

in seinem gleichnamigen Artikel gegen „Das Uebergewicht des

mobilen Capitals“: Das Sinken der Grundrente untergrabe „die

festeste Wurzel aller staatlichen Ordnung: den Stand der

mittleren und kleinen Grundbesitzer. In Oesterreich tritt noch

das außerordentliche, unentschuldbare Unrecht dazu, daß die

Besitzer mobiler Werthe fast vollständig steuerfrei sind. Dem

kann eine Börsensteuer allein nicht abhelfen, sondern nur eine

gerechte Einkommenssteuer, wie sie von der deutschen Opposition

geplant wird. ... Eine gute Einkommenssteuer müßte in einer

Zeit steigender Grundrente den Grundbesitz verhältnißmäßig

höher treffen, und in einer Zeit steigender Course müßte der

Percentsteuersatz auf Renteneinkommen erhöht werden. ...wie

weit aber sind wir davon noch in Oesterreich entfernt, wo der

Besitzer einer Schusterwerkstatt mehr directe Steuer zahlt als

der Rentner, der sich eines Einkommens von vielen Tausenden

erfreut!“488 Auch setzte er sich für eine - allerdings eher

geringe - Verkürzung der Arbeitszeiten der Arbeiter ein.489

Die Redaktion der „Deutsche Wochenschrift“ unterhielt zunächst

denn auch rege Beziehungen zu sozialpolitischen

Intellektuellen, auch zu Viktor Adler und Pernerstorfer, und

„trat entschieden für sozialpolitische, nicht nur

mittelständlerische Reformen ein“.490 Die Sozialdemokraten lobte

488 Uebergewicht, 5. Wobei Friedjung einen Vorwurf an die auch von ihm alsHauptverursacher dieser Entwicklung ausgemachten jüdischen Kapitalisten als„geradezu thöricht“ ablehnte. 489 Vgl. Arbeiterordnung, 1-3.490 Mommsen Sozialdemokratie, 109.

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Friedjung: „An sich sind sociale Instincte gewiß nicht

unberechtigt; wenn dieselben zu solcher Höhe emporgehoben

werden, wie dies in der ganzen, von den besten Köpfen

entworfenen Staats- und Weltanschauung der Socialdemokratie

geschehen ist, so können sie zur Neugestaltung der Gesellschaft

auf’s Heilsamste mitwirken.“491 Und noch 1919 bezeichnete er die

„vom Sozialismus den arbeitenden Klassen geleisteten Dienste“

als „unschätzbar“.492 Auch die „Deutsche Zeitung“ trat gemäß

Friedjung „für Sozialreform ein, verfocht insbesondere die

Arbeiterschutzgesetzgebung. Dies geschah, wie ich glaube, eher

zu vorsichtig, als zu [sic] übermäßig.“493

Der Beginn von Friedjungs sozialpolitischem Engagement fiel in

eine Zeit des „Paradigmenwechsels auf Seiten der Arbeiter und

des Staates“: Die Verfestigung des neuen, von Weidenholzer so

genannten kathedersozialistischen Paradigmas hatte zu Beginn

der 1870er Jahre begonnen, seine Ausbreitung wurde begünstigt

durch den Zusammenbruch der Wiener Börse am 9. Mai 1873, welche

zu einer Kritik des einseitigen ökonomischen Liberalismus quer

durch alle ideologischen Positionen führte.494

In den 1880er Jahren erlangte diese Diskussion dann verstärkt

Auswirkung auf die Gesetzgebung: 1883 wurde die Gewerbefreiheit

eingeschränkt, 1885 der Arbeiterschutz ausgebaut, und ab 1887

wurden Arbeiterversicherungsgesetze erlassen, wobei die seit491 Wahlen Wien, 2.492 Vgl. Zeitalter, 12.493 Stück, 18.494 Vgl. Weidenholzer Betrachtungen, 176. Erschwerend kam dabei dieVerwicklung von Führern der „Altliberalen“ in Finanzskandale hinzu - vgl.Judson Race, 86. Zu den Folgen des „Börsenkrachs“ vgl. auch Resch Wien, 57,insb. Tabelle 6; Whiteside Germans, 180.

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1887 obligatorische Krankenversicherung nur für

Industriearbeiter galt und für die Einrichtung einer

Altersversorgung selbst gegen 1900 nur vage Pläne bestanden, so

dass das Leben für die unteren Schichten immer noch von

„höchster Unsicherheit“ geprägt blieb.495

Friedjung vertrat einen gemeinwohlorientierten Ansatz in der

Sozialpolitik, so dass er - wie erwähnt - Gruppierungen, die

sich der bloßen Vertretung schichtspezifischer Interessen

verschreiben, noch nicht einmal als politische Parteien

anerkannte.496 Aber die „rüde Durchsetzung organisierter

wirtschaftlicher und sozialer Interessen an Stelle

individueller Entscheidungschancen“ kennzeichnete offenbar auch

in Österreich zunehmend die Parteien.497

Die von Friedjung angestrebte Mitarbeit seines damaligen

Freundes Viktor Adler sowie Karl Kautskys an seiner „Deutschen

Wochenschrift“, welcher die beiden zunächst nicht ablehnend

gegenüber gestanden hatten, an unterschiedlichen Auffassungen:

Während jener für eine bürgerliche Sozialpolitik eintrat,

wollten Kautsky und der sich seinerzeit sozialdemokratischen

495 Zu den einzelnen Gesetzen vgl. Hofmeister Klein, 203. Zu den Begrenzungender Arbeiterversicherungsgesetze vgl. Sandgruber Exklusivität, 78 - Zitat:ebd., 77. Vgl. ferner Mommsen Sozialdemokratie, 106: Gerade diesozialpolitische Haltung der Deutschnationalen sei dabei von derBismarckschen Sozialgesetzgebung der 1880er Jahre beeinflusst gewesen.496 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 114 (Heinrich Mandl habe kurz nach 1882/83von der „Gruppe um Friedjung“ berichtet, deren Mehrheit denke „reinnational“, und nur ein sehr kleiner Teil sei „national-sozialistisch à laDr. Adler“ gesinnt. [nur das letzte Zitat wörtlich von Mandl]); allgemeinzur paternalistischen Rolle der Verwaltung im späten Habsburger-Reich:Lindström Empire, 270. Reine Interessenpolitik contra politische Partei: vgl.oben, D. II. 497 So, für das Deutsche Reich, vom Bruch Wissenschaft, 276; vgl. auch ebd.,58 (Friedrich Naumann) sowie Habermas Strukturwandel, 272 f.

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Positionen nähernde Adler die politische Arbeiterbewegung

fördern.498 Daher konnte Friedjung kaum wie die von Weidenholzer

so genannte kathedersozialistische Intelligenz eine

„Dolmetschfunktion“ zwischen dem Liberalismus und der

Arbeiterbewegung ausüben.499 Zudem stand seine Sozialpolitik

damit wie die der Gelehrtenpolitiker im Deutschen Reich um

diese Zeit „im Übergang vom vorbürgerlichen Wohlfahrts- zum

nachbürgerlichen Sozialstaat“.500

Die „Predigt vom Klassenkampf“ nannte er - zumindest aus

heutiger Sicht wohl kaum zu Unrecht - eine „Halbwahrheit“.501

Obwohl Friedjungs Ziel wie beschrieben zumindest bei seiner

Tätigkeit für den Deutschnationalen Verein und für die

Deutschnationale Partei Massenwirksamkeit war, hatte er selbst

seine Einstellung zur „Menge“ bereits zuvor als „kühl“498 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 109 (insb. Fn. 3: Schreiben Friedjungs anKautsky o. D. [1883] mit der Aufforderung zur Mitarbeit [„Nachlaß Kautsky DX, 491]“), 114 f.; vgl. ferner ebd., 115, Fn. 5 über die Annäherung Adlersund Pernerstorfers an die Sozialdemokratie im Februar 1886 bei der vonihnen gleichzeitig wahrscheinlich gehegten Hoffnung, Friedjung und den„Deutschen Club“ doch noch für eine Unterstützung der politischenArbeiterbewegung gewinnen zu können. Schon im Lesezirkel zur Besprechungsozialistischer Schriften hatte Friedjung den Plan Viktor Adlers, jenersolle sozialpolitisch tätig werden, verhindert - vgl. MommsenSozialdemokratie, 103 f. Zum Verhältnis zwischen Friedjung und Adler um1870 vgl. Dechel Programm, Teil 1, 295 („Du bist der Ruhigste von uns, Dubist der Gescheiteste von uns. Von Dir möchte ich gerne etwas hören, an dasich mich ein bißchen klammern kann...“ [Brief Viktor Adlers an Friedjung von1870]); zum späteren Verhältnis der beiden vgl. F. Fellner Friedjung, 658 (Diepersönliche Rivalität zwischen den ehemaligen Freunden habe immer wieder zupublizistischen Kontroversen und wechselseitigen Kränkungen geführt.) Vgl.ferner Friedjung Zeitalter, 11, wo er behauptet, die Sozialdemokratie seimitverantwortlich dafür, dass die Menschen vor dem Massenmord in Aufständenund Feldschlachten nicht zurückscheuten.499 Zur „kathedersozialistischen Intelligenz“ und ihrer „Dolmetschfunktion“vgl. Weidenholzer Betrachtungen, 179 f.500 Vgl. vom Bruch Professoren, 25.501 Zitate: Zeitalter, 11. Zu Friedjungs Einstellung zur marxistischenSchule bzw. zum Sozialismus vgl. darüber hinaus Litz Grundbegriffe, 26-29bzw. 44 f.

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bezeichnet.502 Eine solche elitäre Sicht war auch für

Gelehrtenpolitiker im Wilhelminischen Deutschland nicht

ungewöhnlich.503

b. Mittel und Wirkung

Friedjungs frühes Wirken in politischen Parteien und Vereinen

könnte man mit einer durch ihn in diesen betriebenen

„Gelehrtenpolitik“ für unvereinbar ansehen.504 Sein hoher Anteil

insbesondere an der Formulierung des „Linzer Programms“ der

Deutschnationalen Partei zeigt aber den großen Einfluss, den er

gerade auf diese Partei, ja sogar auf ihre Entstehung, genommen

hat, auch wenn er die - vermutlich nicht von ihm verfassten -

sozialpolitischen Punkte des Programms möglicherweise als zum

Teil zu weit gehend betrachtet hat.505

Auf Grund des - durch seine eigene Politik beschleunigten -

Aufkommens von „Massenparteien“, welche im letzten Viertel des

19. Jahrhunderts in Wien offenbar mehr noch als sonst wo in

502 Vgl. Ritter Historians, 48, Fn. 12: “Although Friedjung was indeed a majortheorist of populism, he also displayed the strong-willed intellectual’sdistrust of ‘people’. His publicistic and scholarly works are strewn withdisparaging references to the ‘Austrian character’ and ‘public opinion’. In1878, he privately confessed to Adler that, unlike his friend, he was ‘cooltoward the multitude.’ HHSA, Nachlaß F., Karton 4, F. to Adler, Jan. 13,1878“. Vgl. überdies von Srbik Friedjung, 539; Stolz Männer, 62 f., 78.503 Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 282-286 über „Geistesaristokratie undMassengesellschaft“, auch 280-282 (über Schmoller und Delbrück). 504 Über die „mit Gelehrtenpolitik kaum zu vereinbarende langfristigeEingliederung in den parteipolitischen Willensbildungsprozeß“ vgl. vom BruchWissenschaft, 359; ähnlich: Gelehrtenpolitik, 37 f.; vgl. zudem noch ebd.,33: [reichsdeutsche] Gelehrte habe eine „bemerkenswerte Scheu vorparteipolitischer Einbindung“ gekennzeichnet.505 Letzteres deswegen, weil er im „Friedjung-Programm“ zwei Jahre zuvorweniger weit gehende sozialpolitische Forderungen erhoben hatte, als siedann im „Linzer Programm“ erschienen. Dies dürfte insbesondere für das - im„Friedjung-Programm“ gänzlich fehlende - Verlangen nach Verstaatlichungenin letzterem gelten.

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Europa die politische Führung übernahmen, war Friedjungs

sozialpolitisches Engagement immer weniger gefragt.506 Die von

Gustave Le Bon 1895 zumindest nicht gänzlich untreffend

beschriebene und auch im deutschsprachigen Raum stark

rezipierte „Psychologie der Massen“ dürfte Friedjung zwar

durchaus wahrgenommen haben, einer strategisch-taktischen

Ausrichtung an dieser jedoch stark abgeneigt gewesen sein.507 So

entsprach der trotz aller seiner Leidenschaft um rationale

Argumentation bemühte Friedjung nicht dem nun empor kommenden

506 Zur vermutlich europaweiten Vorreiterrolle der Massenparteien Wiens indieser Zeit vgl. Sagarra Vienna, 198. Vgl. auch Whiteside Germans, 197 (“After1900 Austrian political parties ... were mass organizations manipulated byprofessional politicians. Planned propaganda emphasizing fear, hatred, andmessianic hope with sensational extravagance was substituted for seriousdiscussion and reasoned persuasion.”). Jedoch war die Betonung derNotwendigkeit individueller Verantwortung im Angesicht der kollektivenKräfte gerade (deshalb) in Wien im europaweiten Vergleich auch wiederumbesonders intensiv - vgl. Beller Vienna, 180. Vgl. überdies Charle Vordenker,212 (Die reichsdeutschen Intellektuellen [(um) 1897: s. Zitat FriedrichPaulsen, ebd. 211f.] seien sich ähnlich wie die französischen der Gefahrbewusst geworden, dass die Gebildeten in einer von den Massen, denParteien, der Wirtschaft und dem Staat beherrschten Welt an den Randgedrängt würden.). Zur Umstellung der Honoratiorenparteien auf solche mitMassenbasis zu dieser Zeit vgl. Habermas Strukturwandel, 302. Zur vonFriedjung selbst mit hervorgerufenen Tendenz zur „Massenpartei“ vgl. RitterHistorians, 52: “Instead of awakening a public-spirited democracy, theirpopulism conjured up a new radicalism, based to a large extent on a racialanti-Semitism which eventually drove Friedjung himself from public[richtig: parteipolitischem] life.”. 507 Zu Le Bons Sicht vgl. dessen Werk Psychologie, insb. 2-5 (Veränderung derPolitik, Auflösung der Kulturen), 42 f., 80-82 (Vernunft sei auf die„Massen“ ohne Einfluss.), 128-136 (über „Die Wählermassen“), 137-151 (über„Die Parlamentsversammlungen“), insb. 143 f.: „Zuweilen gibt es einenintelligenten und gebildeten Führer, doch das schadet ihm in der Regelmehr[,] als es ihm nützt. Die Intelligenz, die die Verbundenheit allerDinge erkennt, die Verstehen und Erklären ermöglicht, macht nachgiebig undvermindert die Kraft und Gewalt der Überzeugungen erheblich, die dieApostel nötig haben. Die großen Führer aller Zeiten ... waren sehrbeschränkt und haben deshalb den größten Einfluß ausgeübt. ...welche Machtein Mann, der sich mit einem Nimbus zu umgeben weiß, durch die Verbindungvon starker Überzeugung mit außergewöhnlicher Beschränktheit des Geisteserlangt. Das sind ... die notwendigen Voraussetzungen, um die Hindernissezu übersehen und um wollen zu können. Instinktiv erkennen die Massen indiesen kraftvoll Überzeugten die Gebieter, die sie brauchen.“.

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Typus des „Künstler-Politikers“ à la Lueger, von Schönerer oder

Herzl, welcher die Politik ästhetisierte, sich insbesondere

aristokratisch stilisierte und zugleich mit dem Gestus des

Volksnahen auftrat sowie Erlösungserwartungen nährte. 508 Auch

Viktor Adler betrieb nun, in den Worten Wolfgang Maderthaners,

eine „poetische Politik“.509

Zudem entsprachen die Ziele der neuen Massenparteien, der

Sozialdemokraten und der Christlichsozialen, nicht denen von

Friedjung. Insbesondere sah er deutlich, dass das überwiegend

die Letzteren wählende Kleinbürgertum - dem er freilich selbst

entstammte - ein aufgrund der „mächtigen Gewalten des

unbarmherzigen wirthschaftlichen Fortschrittes“ verunsichertes

und - im Großen und Ganzen - „unklares, unzufriedenes, jedem

mundfertigen Demagogen zugängliches Bevölkerungselement“ war.510

Schließlich zeigte sich Friedjung nicht gewillt, seine

Tätigkeit als Historiker aufzugeben, was angesichts der

Entwicklung der Parteien hin zum Berufspolitikertum „mit dem

Zwang zu hauptamtlich besoldeten Funktionärskadern“ aber wohl508 Zu dieser Entwicklung vgl. Lorenz Moderne, 23 f. - vgl. dort insb. noch24 (Zumindest Luegers und Herzls öffentliches Auftreten sei durch einDandytum geprägt gewesen, das wiederum auf die Selbststilisierung desKünstlervirtuosen in der Literatur des Fin de Siècle verweise.).509 Vgl. Maderthaner Politik, 759-776, insb. 776 sowie 770, 772-776 - undhier wiederum insb. 773 („Ästhetisierung der Politik“, „Metapolitik“,„Politik als Gesamtkunstwerk“ seien die Schlagworte, mit denen die neuereForschung die Politikkonzeption Adlers und der frühen Führungsschicht derösterreichischen Sozialdemokratie umschreibe. Sie habe eine gefühlsmäßigeBindung der Arbeitermassen über einen fest umschriebenen, ritualisiertenKanon von Feiern und Festen angestrebt.). 510 Vgl. Wahlen Ungarn 1. Allerdings prophezeite er ebd. - unzutreffend -auch den Untergang des Kleinbürgertums, d. h. des „Gewerbestandes, derKleingewerbetreibenden, der ‚Fünfguldenmänner’“. Es werde „in nicht allzuferner Zeit zermalmt werden zwischen den capitalbildenden Classen und ...der kraftvoll emporstrebenden Arbeiterschaft.“.

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nötig geworden wäre. 511 Alles dies führte mit zu seinem

Übergang zu einer „gouvernementalen“ Gelehrtenpolitik.512

Friedjungs Methode vor allem seiner späteren Jahre, sich für

politische Anliegen direkt an Minister zu wenden, war zu dieser

Zeit in Österreich üblich.513 Gerade in der Zeit der

„Beamtenkabinette“ ab 1897 war sie zumindest auf den ersten

Blick ein besonders probates Mittel der Einflussnahme, weil dem

vorherigen bürokratischen Werdegang vieler der Minister in der

Regel eine ähnliche Sozialisation im bildungsbürgerlichen

Milieu vorangegangen war, wie sie auch Friedjung prägte.514 Dies511 Zu Friedjungs Unwillen dagegen, sich ganz von den historischen Studienab- und dem (politischen) Zeitungswesen zuzuwenden, vgl. F. Fellner Friedjung,644 (Brief Friedjungs an Bettelheim vom 24. 2. 1891 - vgl. ebd., Fn. 46).Zitat: vom Bruch Wissenschaft, 276; vgl. auch Ringer Gelehrten, 22 („Obwohldas Mandarinentum kämpfen wird... Parteiführer, Kapitalisten und Technikerwerden seine Führungsrolle übernehmen.“).512 Vgl. zu den eine entsprechende Taktik anwendenden Gelehrtenpolitikern imWilhelminischen Reich vom Bruch Wissenschaft, 360 (Der Delbrück/Schmoller-Gruppe sei gemeinsam gewesen „ihre unter dem Aspekt Geist und Massediskutierte Überlegenheit gegenüber den ... auf parteipolitische Betätigungverwiesenen, praktisch sich überwiegend auf einzelne publizistischeVorstöße beschränkenden Kollegen“.).513 Zu Friedjungs Methode vgl. F. Fellner Friedjung, 656; Lindström Empire, 30f., 38, 81, 271; vgl. aber immerhin auch Litz Grundbegriffe, 33 (ohne Nw.)(Beim staatlichen Absolutismus habe Friedjung eine patriarchalische undeine bürokratische Spielart unterschieden, wobei ihm die letztere als dieumfassendere am verdammenswertesten erschienen sei.). Zur Üblichkeit diesesVorgehens vgl. Lindström Empire, 12, 81. Zur entsprechenden Gelehrtenpolitikim Wilhelminischen Deutschland vgl. vom Bruch Wissenschaft, 63-66, 249-278,330-338, 359-363.514 Insbesondere besetzte das (alt-)liberale Bürgertum in dieser Zeit immernoch, ja teilweise - sozusagen in Kompensation seiner alten herrschendenStellung in der parlamentarischen Politik - erstmalig wichtige Positionenin der Verwaltung - vgl. Lindström Empire, 11; vgl. auch ebd. („Thepeculiarities of the Austrian Rechtsstaat and Josephinist Verwaltung partlycanceled out the opposition between bureaucratic and political leadershipin late Imperial Austria.”). Zu den gemeinsamen Vorbedingungen derGelehrtenpolitiker und der höheren Beamten im Deutschen Reich -Selbstverständnis, Milieu und Vorbildung - vgl. vom Bruch Wissenschaft, 249-253 (zur Vorbildung der höheren Verwaltungsbeamten in Preußen insb. ebd.,436-438 [Exkurs 6]). Zur - von Friedjung zu dieser Zeit ja erfüllten -Voraussetzung der parteipolitischen Zurückhaltung und des damit

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vor allem angesichts der Tatsache, dass die homogene

bürokratisch-militärische Elite bis 1918 eine Vormachtstellung

inne hatte und somit teilweise in der Lage war, an sie

herangetragene Wünsche umzusetzen.515

Insgesamt fuhr Friedjung alle vier politischen Strategien: 1.

die direkte und offene, wie z. B. im Gemeinderat; 2. die eher

verdeckte, nämlich den Versuch der Einflussnahme auf

Entscheidungsträger in persönlichen Treffen; 3. die indirekte

und offene, also die Publikation eindeutig politischer Texte;

4. die indirekte und eher verdeckte, d. h. die Veröffentlichung

historischer Werke in politischer Absicht. Dabei wechselte er

gegen 1900 von der ersten zur zweiten, während er die dritte

und vierte durchgängig verfolgte.

Das von Friedjung maßgebend mitgestaltete „Linzer Programm“

bildete die Basis der „Deutschnationalen Partei“ und übte in

den Worten von Alfred Dechel einen ungeheuren ideologischen

Einfluss auf die deutschnationale Bewegung und auf die Ideen

des gesamten Nationalismus in Österreich aus; es wurde durch

einhergehenden ungetrübten Prestiges des anerkannt unabhängigen Gelehrtenfür eine „gouvernementale“ Gelehrtenpolitik vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik,37 f. 515 Zur Vormachtstellung dieser Elite vgl. Knoll Konstruktion, 52; vgl.ferner Sandgruber Exklusivität, 76 (Der Anteil der Beamtenschaft an denErwerbstätigen sei in Wien um 1900 viel höher gewesen als in Berlin.). Vgl.auch vom Bruch Wissenschaft, 354: Angesichts der tatsächlich oder scheinbarvorhandenen Alternativen habe die „gouvernementale“ Gelehrtenpolitik denVorzug hoher Effizienz im Vorkriegsdeutschland gehabt, zumal sieFlexibilität nicht ausgeschlossen habe - ähnlich: 359, wo vom Bruch zudemnoch auf deren Vorteile der Möglichkeit jederzeitigen Rückzuges, derWahrung der individuellen Autorität und des relativ geringen Zeitverlusteshinweist; vgl. aber auch, ebenfalls für das Wilhelminische Deutschland, vomBruch Wissenschaft, 361 (Gustav Schmoller habe das politische Gewicht vonBeamtenschaft, sozialpolitisch engagierter Intelligenz und öffentlichenMandatsträgern überschätzt.).

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von Schönerer erst 1907 offiziell aufgegeben.516 Allerdings

hatte Letzterer diesem „nach 1885“ den folgenden zusätzlichen

Punkt hinzugefügt: „Zur Durchführung der angestrebten Reformen

ist die Beseitigung des jüdischen Einflusses auf allen Gebieten

des öffentlichen Lebens unerläßlich.“517 Das grundsätzlich

staatstreue Programm verlor zudem auf Grund der Radikalisierung

von Schönerers Deutschnationalismus und Feindlichkeit gegenüber

der Donaumonarchie innerhalb der Partei auch insofern rasch an

Bedeutung.518

In dem von sämtlichen bürgerlichen Parteien mit Ausnahme

derjenigen von Schönerers unterstützten „Pfingstprogramm“ von

1899 hingegen finden sich ähnliche nationalpolitische

516 Vgl. Dechel Programm, Teil 2, 416; auch Berchtold Parteiprogramme, 198sowie Whiteside Germans, 183; s. ferner: Casillas Politics, 65 über “Derjüdische Staat” von Theodor Herzl: “A number of passages ... are, in fact,strongly reminiscent of ‘The Linz Program’...” „Deutsche Volkspartei“ hattesich kurz zuvor eine „Gegengründung“ von Adolf Fischhof genannt, die trotzihres Namens dezidiert übernational ausgerichtet war, woraufhin die obdieser „Namensusurpation“ empörten Deutschnationalen unter der Führung vonFriedjung und Pernerstorfer wüste Störungsversuche unternahmen - vgl. ZailerFriedjung 47 f., insb. den dort zitierten Bericht über die Versammlung derDVP am 16. Juli 1882 in der Neuen Freien Presse Nr. 6425 vom 17. Juli 1882,Morgenausgabe, 2-4 sowie den bei Moser Emanzipation, 87 f. zitierten Berichtder Wiener Allgemeinen Zeitung vom 17. Juli 1882, Morgenausgabe.517 Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 203, Punkt 12 inklusive der dortigenAnmerkung. Zu Schönerer vgl. Hamann Wien, 337-361, insb. 344-347(Rassenantisemitismus), 352-355 (Aktionen gegen die „Judenpresse“), auch186-190. Zum Verhältnis zwischen Friedjung und Schönerer: Dechel Programm,Teil 1, 227-251 sowie Moser Emanzipation, 82: Friedjung, SchönerersIdeengeber, sei von diesem wiederholt in überschwänglichen Toasts gefeiertworden: „An mein Herz, du edler deutscher Kämpe! Nicht Friedjung, sondernStreitjung sollst du fortab heißen!“; vgl. auch von Srbik Friedjung, 537: 1879habe Schönerer nur die Beseitigung der „bisherigen semitischen Herrschaftdes Geldes und der Phrase“ gefordert, womit auch Friedjung einverstandengewesen sei.518 Unglücklich ausgedrückt von Dechel Programm, Teil 2, 414: „Jedoch gerietdiese Bewegung ... immer mehr ins chauvinistische, antisemitische undantiösterreichische Fahrwasser, so daß die ursprünglichen Ideen des ‚LinzerProgramms’... in eine ganz andere Richtung gelenkt wurden.“

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Forderungen wie im „Linzer Programm“.519 Zudem wurden ein

Großteil von dessen sozialpolitischen und einige seiner

freiheitlich-demokratische Forderungen in der Folge

staatlicherseits verwirklicht - was möglicherweise ohne das

Programm nicht oder später geschehen wäre.520

Neben der inhaltlichen Wirkung auf die Deutschnationalen war

das „Linzer Programm“ auch richtungweisend für den politischen

Stil in Österreich, leistete es „wesentliche Vorarbeit für das

spätere österreichische Parteiwesen, für die Entwicklung der

auf Massenwirksamkeit ausgerichteten ‚modernen’ Parteien...“.521

Auf der anderen Seite konnte es den Zerfall der

deutschnational-liberal-sozialen Bewegung nicht verhindern, und

eben die modernen Parteien wurden ausgerechnet von deren

früheren Anhängern gegründet - die Sozialdemokratische

Arbeiterpartei von Viktor Adler und Pernerstorfer, die

Christlichsoziale Partei von Pattai und Lueger -, so dass man

das „Linzer Programm“ mit Dechel als „das Sprungbrett für einen

politisch-ideologischen Frontenwechsel“ bezeichnen kann.522 Für

Hans Mommsen trat mit dem Linzer Programm gar „der

519 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 19.520 Vgl. Dechel Programm, Teil 2, 426, der allerdings - ohne Nachweise - aufeine Kausalität zu schließen scheint. 521 So Dechel Programm, Teil 2, 426. Vgl. auch Mommsen Sozialdemokratie, 106zum „Deutschnationalen Verein“ allgemein.522 Vgl. Dechel Programm, Teil 2, 426 (mit der Einschränkung„gewissermaßen“); vgl. allerdings ebd., 421: Das Verhältnis Luegers zurGruppe um das Linzer Programm sei ein eher lockeres gewesen. Vgl. auchMommsen Sozialdemokratie, 107: Aus der deutschnationalen Partei seien dieFührer der modernen Parteien Österreichs, der Alldeutschen, derDeutschfortschrittlichen, der Christlichsozialen und der Sozialdemokratie,hervorgegangen.

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Zersetzungsprozeß des deutsch-österreichischen Liberalismus in

seine entscheidende Phase.“523

Nach Anton Bettelheim, einem Freund Friedjungs, fand die

„Deutsche Wochenschrift“ Friedjungs „starken Anhang bei Lesern

und Schreibern“.524 Jedoch kann sich dies nicht auf einen

Vergleich mit den führenden Blättern beziehen. Denn ab 1880

hatte ein rapider Wandel in der Wiener Tagespresse eingesetzt:

Mit Ausnahme der „Neuen Freien Presse“, die ihre beherrschende

Position halten konnte, sanken die Auflagen der loyalen und

traditionellen Presse.525 Dies geschah im Rahmen des

„Strukturwandels der Öffentlichkeit“, welcher - unter anderem -

die Entstehung eines Massenmarktes für geistige Produkte

bedeutete.526

523 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 106; ähnlich Judson Race, 87. Das trifftaber lediglich für die mit dem Programm bereits vollzogene Spaltung derliberalen Verfassungspartei in eine „altliberale“ und eine „jungliberal“-sozial-nationale Bewegung zu - die spätere Spaltung der letzteren in die„modernen“ Parteien hingegen konnte das Programm lediglich nichtverhindern, hat sie aber kaum gar noch unterstützt. Zur Wirkung des “LinzerProgramms” auf die Nichtdeutschen in Österreich vgl. Whiteside Germans, 183:“But to the Slavs it was only another form of ruthless German oppression,rendered all the more hateful by its pretense of democracy.”.524 Vgl. Bettelheim Friedjung, 37.525 Vgl. Pollak Wien, 105, s. auch die Tabelle ebd., 107, insb. dieStückzahlen der „Neuen Freien Presse“: 1890: 40.000 - 1895: 45.000 - 1900:55.000 - 1910: 50.000 sowie der Arbeiter-Zeitung: 1890: 9.000 - 1895:15.000 - 1900: 24.000 - 1910: 54.000. Vgl. auch Friedjung Stück, 5: „Mit denreichen Geldmitteln dieses Blattes [der „Neuen Freien Presse“], durchwelche mit Leichtigkeit die besten Mitarbeiter, die weitreichendstenVerbindungen gewonnen werden konnten, war ein Wettbewerb nicht zuversuchen.“526 Zur Entstehung des Massenmarktes für geistige Produkte als einemBestandteil des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“ vgl. Hübinger Gelehrte,236 f. Zum Letzterem grundlegend: Habermas Strukturwandel, 21-33, 225-342 -speziell zum medialen Massenmarkt ebd., 257-265. Vgl. ferner ebd., 161-178,343-359 zum Begriff der öffentlichen Meinung; zu letzterem imWilhelminischen Deutschland: vom Bruch Wissenschaft, 392-413; vgl.schließlich Friedjung Stück, 22 (Es sei nicht wahr, dass das Publikum unreifsei für eine seriöse politische Zeitung. „Wer so spricht, begeht an der

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Dass Friedjung mit seinem für die Entstehung des „Deutschen

Clubs“ maßgeblichen Engagement zur Spaltung der (alt-)liberalen

„Vereinigten Linken“ beitrug und - wenn auch ungewollt und

gänzlich unverschuldet - auch zur Spaltung wiederum des

Ersteren, kann wohl (auch) kaum als Erfolg seiner Politik

gewertet werden. Und sein Einsatz in der Annexionskrise endete

ja in einem Desaster. Insbesondere gingen die serbische

Regierung und die irredentistischen Kräfte in den südslawischen

Gebieten des Habsburger-Reiches gestärkt aus der

Auseinandersetzung hervor, weil sich die Grundlosigkeit der

Beschuldigungen gezeigt hatte.527

Die Urteile über die Wirksamkeit von Friedjungs politischer

Karriere in der Literatur fallen denn auch negativ aus: Nach

Franz Adlgasser und Margret Friedrich war sie „konfliktbeladen

und wenig erfolgreich“, gemäß Heinrich Ritter von Srbik besaß

Friedjung die „Gabe zum aktiv wirkenden Politiker ... wohl

überhaupt nicht in großem Maße. Er war zu sehr von dem

Verlangen, den Werdegang der Gegenwart zu erkennen, beseelt,

als daß er den entschiedenen Tatwillen für politische Ziele

hätte aufbringen können.“528 Letzteres traf offenbar auf viele

öffentlichen Meinung ein schweres Unrecht.“). 527 Südland bei Holy Friedjungprozess, 120. S. ferner ebd. (mit Verweis inFn. 258 auf Rappaport, Rund um den Friedjungprozess, 357): Der Prozess habezur Folge gehabt, dass man sich in Österreich Jahre hindurch nicht mehrgetraut habe, Geheimnachrichten zu gebrauchen. So habe man bei derZusammenstellung des Dossiers zum Ultimatum vom 22. Juli 1914 eine ganzeReihe teils geheimer, teils „ostensibler“ Schriftstücke über die “SchwarzeHand“ nicht verwendet. Friedjung hielt seine Niederlage nicht davon ab, dieEinverleibung Bosniens und der Herzegowina bis zu seinem Tod zu verteidigen- vgl. Lindström Empire, 75.528 Vgl. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10 bzw. von Srbik Friedjung, 539; ähnlichbereits Stolz Männer [von 1941, aber - außer allenfalls dieser Stelle -

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Gelehrtenpolitiker zu.529 Ferner führt von Srbik aus, Einfluss

auf die Masse habe der „innerlich den Massentrieben stets

fremde, kulturerfüllte Mann“ nicht gewinnen können, „dessen

geistigem Wesen nur ein kleinerer bildungsgesättigter Kreis

homogen war. Die zunehmende Demokratisierung der

deutschnationalen Bewegung, die sich eines Teils der

Volksinstinkte bemächtigte“, sei ihm fremd gewesen.530

So bemerkt denn auch Erich Zailer, Friedjungs Reden seien für

die Masse der Zuhörer viel zu hoch gewesen, und er habe nicht

über die Gabe verfügt, seine Gefolgschaft zu begeistern und

mitzureißen.531 Allerdings war Friedjungs politische Taktik nach

keineswegs antisemitisch oder sonst voreingenommen gegen Friedjung], 62(Friedjung sei eben „zuviel Wissenschaftler und doch auch zu viel Jude“gewesen, „als daß er sich nicht mit der Wirklichkeit abgefunden hätte“.Praktischer politischer Erfolg sei ihm versagt geblieben, weil es ihm alsTheoretiker am Willen zur Tat gefehlt habe.); Zailer Friedjung, 5, 77. Vgl.ferner F. Fellner Friedjung, 644 (Brief Friedjungs an Bettelheim vom 30. 1. 1901- vgl. ebd., Fn. 48): „Auch bin ich 15 Jahre älter[,] als ich es bei demVersuche mit der Deutschen Zeitung war. Ich besitze nicht mehr dieElastizität wie zu jener Zeit und vor allem nicht mehr den Glauben an diesiegreiche Kraft eines ehrlichen Wirkens. Daher eigne ich mich nicht mehrzum Handeln, sondern zur Betrachtung und Schilderung historischerVorgänge.“ [Kursivschrift in der Vorlage] Gemäß F. Fellner war es jedoch nichtdas Handeln selbst, vor dem Friedjung zurückschreckt habe, es sei die Scheugewesen, „an leitender Stelle Verantwortung für Handlungsentscheidungenübernehmen zu müssen.“ In der theoretischen Konzeption und Analyse, nichtin der praktischen Umsetzung der politischen Urteile habe dessen Stärkegelegen. Jedenfalls rief Friedjung oft zum Aktivismus auf: vgl. Stück, 20;Ausgleich, 13, 32 f., 93 f., 97-100. Zu „konfliktbeladen“ vgl. auch FriedjungStück, 8: „Im öffentlichen Leben muß mancher Strauß ausgefochten werden; imKampfe gegen die Gemeinheit der Gesinnung soll kein Pardon gegeben werdenund keine Schonung erwartet werden.“. 529 Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 286 unter Zustimmung zu Friedrich Paulsen.530 Vgl. von Srbik Friedjung, 539.531 Vgl. Zailer Friedjung, 77. Vgl. auch den Zeitgenossen Mayer in seinem Werk„Ein jüdischer Kaufmann, 322“ über die Funktionäre der SozialpolitischenPartei (bei Holleis Partei, 38): „Die Leute waren brav, aber keinepraktischen Politiker. Sie kannten weder die Psychologie der Massen, nochhatten sie überhaupt Menschenkenntnis. Sie glaubten[,] durch ihreAufrichtigkeit in ihren sozialpolitischen Bestrebungen Menschen gewinnen zukönnen, die an ganz andere Dinge dachten ... und von denen sie verspottet

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1895 - freilich sicher gerade auch deswegen - ja ohnehin kaum

mehr durch den Versuch geprägt, direkt auf die „Massen“ zu

wirken. Ob die „gouvernementale“ Politik, die er seit ca. 1900

bevorzugte, von Erfolg gekrönt war, lässt sich kaum sagen,

zumindest dürfte er nicht nachhaltig gewesen sein.532

Und gemäß Elisabeth Stieböck erlebte er gerade in der Politik

die größten Rückschläge - was ganz in seiner Veranlagung

begründet gewesen sei; u. a. habe er die politischen

Verhältnisse falsch eingestuft und seine Fähigkeiten

überschätzt.533 Auch Friedjungs Tochter, Pauline [bzw. Paula -

vgl. oben, Fn. 38] Reinkraut, fällte ein insoweit vernichtendes

Urteil: „Ich frage mich unaufhörlich, wie sich ein Theoretiker,

wie er es war, an die Politik verlieren konnte. ... Nicht nur,

daß er keine Begabung zum Politiker hatte, es nahm an seinen

Versuchen nie nur der Kopf, sondern auch das Herz zu viel

teil.“534

wurden. Zwiespältig in ihrem Herzen und schwankend nach außen[,] hatten siekeine Haltung und gelangten zu keiner Stellung.“ (Letzteres ist freilichübertrieben.). Vgl. überdies noch Stieböck Journalist, 2 (Friedjungspolitische Manifeste hätten nie die breite Masse erreicht.).532 Dass messbare Daten für den Einfluss von „gouvernementaler“Gelehrtenpolitik [hier: im Deutschen Reich von 1890 bis 1914] nichtangegeben werden könnten, bemerkt vom Bruch Wissenschaft, 418, vgl. auchebd. 359 (Friedrich Meinecke). Zur Kurzlebigkeit als Merkmal dergouvernementalen Gelehrtenpolitik vgl. Meinecke bei vom Bruch Wissenschaft,359.533 Vgl. Stieböck Journalist, 86 - hier auch Zitat der CharakterisierungFriedjungs durch Josef Redlich: „linkisch wie immer“ (Fn. 1: „Das politischeTagebuch, S. 35“); auch ebd., 75 (In einer Unterredung mit Josef Redlich am9. Januar 1910 habe sich Aehrenthal sehr über Friedjungs Eitelkeit undUnklugheit beklagt.). Vgl. zudem Zailer Friedjung, 77: Friedjung sei sichseiner Mängel als Politiker nicht bewusst gewesen.534 Vgl. Bogner Auseinandersetzungen, 17, Fn. 25 (ohne Nw. - s. auch ebd., 3Fn. 2, wo eine schriftliche Rücksprache - offenbar in anderer Sache - mitPauline Reinkraut erwähnt wird).

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Besonders hinderlich für einen politischen Einfluss wirkte sich

Friedjungs - bei vielen anderen Gelehrtenpolitiker ebenso

vorhandene - Kompromisslosigkeit aus.535 Außerdem war er

dünnhäutig und „ehrpusselig“.536 Als weiteres schweres Hindernis

erwiesen sich seine Naivität und Leichtgläubigkeit, wie sie

sich in der „Friedjung-Affäre“ gezeigt hatten.537 So prophezeite

er allen Ernstes, die von ihm geforderte Übernahme der

Außenpolitik der slawischen Balkanstaaten durch Deutschland und

535 Vgl. Zailer Friedjung, 4, 77. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10 (Friedjung seiein „Streithansel“ gewesen, „der Konflikte ohne Kompromißbereitschaftaustrug und auf diese Weise sogar alte Freundschaftenzerstörte.“[Anführungszeichen bei „Streithansel“ im Original]); auch RitterHistorians, 50 (Friedjung sei emotional, aggressiv und kompromisslosgewesen.); Ritter Historians, 50 (Seine Beziehung zu anderen Menschen seihäufig die einer engen Freundschaft und Zusammenarbeit gewesen, welche voneiner melodramatischen Entfremdung abgelöst worden sei.). ZurKompromisslosigkeit vieler Gelehrtenpolitiker vgl. vom Bruch Wissenschaft,286 f.536 Vgl. Zailer Friedjung, 77 bzw. Bettelheim Friedjung, 33 und Adlgasser/FriedrichEinleitung, 10: Friedjung habe Karl Lueger zum Duell gefordert, was dieserjedoch abgelehnt habe. Ständig kehrte Friedjung zudem, freilich durchaus imSinne des „Zeitgeists“, den Wert der bzw. seiner „Mannhaftigkeit“ und„Männlichkeit“ hervor - vgl. Stück, 16; Ausgleich, 16, 30, 99; Kampf, Bd.2, 6; Ritter Historians, 50 (dort auch zur Üblichkeit eines solchen Bildes zudieser Zeit), der darin „controlling images“ sieht, möglicherweiseProjektionen von Friedjungs eigenen Problemen mit seiner Selbstkontrolle -in einem Brief an Viktor Adler von 1878 habe dieser sein eigenes “Selbst“als ein „uncontrollable element of his personality, an ‚idol, to which Icould sacrifice everything’“ bezeichnet, aber auch als einen „‚häßliche[n]Geselle[n]’ ... which ‚draws me irresistibly into the struggle’“. - vgl.ferner ebd., 70 f. (“Like many Austrian intellectuals, Friedjung dramatizedhis life as well as his work according to the structure of BürgerlichesTrauerspiel - he privately yearned for recognition of his service to thestate and constantly (though unjustly) complained that his contributionswere not appreciated - and thus unconsciously exhibited and fostered thepolitical and psychological immaturity wich he so loufly deplored.“) sowieCasillas Politics, 69 über Herzls Ansicht von Friedjung; s. aber Bettelheim[Freund Friedjungs] Friedjung, 29 (Friedjung habe Eitelkeit fern gelegen.).537 Sein Freund Anton Bettelheim schrieb zu Friedjungs Lebzeiten über dessen„reine, im Kern kindliche Natur“: Den „Mahnruf zu beständigem Mißtraueneigner und fremder Handlungen und Unterlassungen wird Friedjung schwerlichje zu dem seinigen machen.“ - vgl. Bettelheim Friedjung, 28 bzw. 35; fernerRitter Rezension Adlgasser, 291: Friedjung hätten “intractable emotions,self-important vanity, an aversion to compromise, and abundant politicalnaiveté” gekennzeichnet.

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Österreich unter gleichzeitiger Garantie ihrer Selbständigkeit

im Inneren werde ein „Geschenk“ sein, welches jene „willig“

annehmen würden.538 Und Graf Aehrenthal sah er offenbar als den

Schwarzenberg seiner Zeit an.539 Auch nahm er die Beteuerung der

Anhänglichkeit an das Herrscherhaus, die durch die Führer aller

in den zwei Parlamenten vertretenen nationalen Parteien fast

bis zum Ende des Krieges wiederholt wurde, doch wohl allzu

ernst.540

Insgesamt ist festzustellen, dass Friedjungs politische

Aktivität im eigentlichen Sinne Alles in Allem entweder kaum

oder aber sogar einen kontraproduktiven Einfluss gehabt hat -

538 Vgl. Ausgleich, 83. Friedjungs ähnliche Behauptung in der VossischenZeitung während des Ersten Weltkriegs, Serbien werde zu den Kriegsgewinnerngehören, da es in Zukunft durch verstärkte wirtschaftliche und politischeBande enger mit der Monarchie verbunden sein werde, wurde denn auch von KarlKraus entsprechend satirisch behandelt vgl. Lind Satiriker, 398 f. („Derdarbende Bürger“, in Die Fackel 474-483 [Mai 1918, 23.Mai 1918], [u. a.?]56). Vgl. auch das „Friedjung-Programm“, Punkt 12, bei BerchtoldParteiprogramme, 192: „...auf daß die Balkan-Staaten sich der großenmitteleuropäischen Allianz ohne Sorge für ihre politische Freiheit und ohneFurcht vor Annexionen anzuschließen vermögen.“.539 Vgl. Lindström Empire, 38.540 Zur Ernstnahme dieser Beteuerungen vgl. Vorrede, IX f. Vgl. schließlichnoch Ausgleich, 8, wo Friedjung die völlige Trennung der österreichischenund der ungarischen Armee und die in beiden jeweils allein herrschendeGültigkeit des „nationalen Gedanken[s]“ fordert, und gleichzeitig verlangt,den beiden Armeen danach eine „klare Idee“ zu geben, für welche beidezusammen einzustehen vermöchten. Zu Friedjungs Leichtgläubigkeit gegenüberden Aussagen der von ihm befragten Zeitzeugen und zu seinerInstrumentalisierung durch diese vgl. F. Fellner Friedjung, 652; Ritter RezensionAdlgasser, 292 - zu Herzls entsprechender allgemeiner Sicht auf Friedjungvgl. oben, Fn. 423. Nicht verschwiegen werden soll, dass Friedjung durchausüber Einsicht in die Funktionsweise praktischer Politik verfügte, wie diesebeiden Aussagen von ihm belegen: „Es ist ganz und gar ungeschickt, übereine taktische Frage der Zukunft zu berathen, bevor die Sachlage dazutreibt.“ vgl. Stück, 15. Es sei verhängnisvoll, wenn man die „Behandlungder Geschäfte durch einen parlamentarischen Club, welcher ... bestimmtepolitische Actionen durchzuführen hat“, mit „der oft nothwendigen, aber ansich nichtigen agitatorischen Thätigkeit durch einen Verein, der etwasGroßes damit gethan zu haben glaubt, wenn er einen weithin tönendenBeschluß faßt“, verwechsele - vgl. Stück, 13.

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wie im Fall seiner Förderung der deutschnationalen Bewegung:

Denn diese trug durch ihren Versuch, mittels eines neuen

politischen Stils die traditionelle Honoratiorenstruktur zu

überwinden und Massenwirksamkeit zu erlangen, gerade zur

Entstehung radikaler, insbesondere antisemitischer Politik und

damit auch zu Friedjungs Hinwendung zu den immer unbedeutender

werdenden Altliberalen bei.541 Dennoch hätte er als Jude

langfristig auch ohne diesen seinen Anteil an der Entwicklung

und wohl selbst im Falle einer Konversion keine Chance gehabt,

im deutschnationalen Lager zu verbleiben. Allerdings dürften

seine in politischer Absicht verfassten historischen Werke

angesichts ihrer hohen Verkaufszahlen im

deutschösterreichischen Bürgertum geistig recht stark gewirkt

haben.

2. Franz Klein

a. Inhalt

aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich

Klein war stets stark deutschnational eingestellt. So ist er

gemäß Otto Friedlaender seit seiner Studienzeit „ein geradezu

naiv-gläubiger Großdeutscher“ geblieben.542 Sein Begriff der

541 Ähnlich Ritter Historians, 52; vgl. auch Dechel Programm, Teil 2, 426. S.ferner Mommsen Sozialdemokratie, 106, zudem (aber) auch 107 f. (Das „Fünf-Gulden-Wahlrecht“ von 1882 habe den kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichenBevölkerungskreisen einen unverhältnismäßig großen Einfluss eingeräumt,womit das Eindringen des sozialen und des rassischen Antisemitismus in denParteienkampf erleichtert worden sei, weil dieser sich als geeignetesMittel zur Gewinnung der Sympathie jener angeboten habe.).542 Vgl. Mayr Praxiszeit, 282.

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Nation bzw. des Volkes war ein kultureller.543 Religion war ihm

grundsätzlich weder für seinen Nationsbegriff noch für sein

eigenes Empfinden von Belang.544 Privat äußerte er sich 1919 -

ausgerechnet seiner jüdischen Geliebten, Ottilie Friedlaender,

gegenüber - durchaus antisemitisch, und zwar teilweise auch

unter begrifflicher Abgrenzung von Deutschen und Juden, doch in

seiner Politik spielte der Antisemitismus, soweit ersichtlich,

niemals eine Rolle.545

Öffentlichen Ausdruck fand seine nationale Einstellung bis zum

November 1918 nur wenig. Gerade im Hinblick auf seine beiden

Amtszeiten als Justizminister verwundert das nicht, weil er als

543 Und das „Volk“ sah er offenbar als eine kollektive Einheit - vgl. SaintGermain, 229 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 8. Juli 1919):„Volkspersönlichkeit“. Allerdings lehnte Klein gemäß Böhm Grundlagen, 201die Lehre der historistischen Schule des Rechts von dem „das positive Rechtschaffenden Volksgeist“ als „Mystizismus und spirituelle Romantik“ ab. 544 Zu seiner eigenen religiösen Indifferenz vgl. Saint Germain, 147 (Briefan Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919), 307 (Brief an OttilieFriedlaender vom 3. August 1919); s. aber auch Kulturgemeinschaft, 109, woer die „hinreißende seelische Veredelung“ durch den „Siegeszug desChristentums oder die Reformation“ preist.545 Zu Kleins privaten antisemitischen Äußerungen vgl. Saint Germain, 105-107 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 1. Juni 1919), insb. 106, wo er „diebekannte jüdische Gegnerschaft gegen Deutschland und die bekannte jüdischeHinneigung zu den Westländern“ beklagt, sowie ebd., 220 (Brief an OttilieFriedlaender vom 5. Juli 1919) („Aber das hiesige Gesindel, die gesamteJudenschaft, die nun plötzlich hier eingedrungen ist, ... leuchtete[angesichts der - zutreffenden [s. ebd. 219, Fn. 2] - Meldung, Otto Bauerhabe am Vortag in einer Rede vor dem Kongress der Arbeiterräte erklärt, dieRegierung sehe von einem Anschluss ab] ordentlich.“). Vgl. ferner z. B.ebd., 140 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 9. Juni 1919), 200 f. (Briefan Ottilie Friedlaender vom 28. Juni 1919), 270 (Brief an OttilieFriedlaender vom 23.Juli 1919). Zur Bedeutungslosigkeit dieserRessentiments für Kleins Politik vgl. auch die bereits genannteInterpellation der Abgeordneten Schlesinger und Genossen an denMinisterpräsidenten von 1900, nach welcher Klein Juden bei derStellenvergabe sogar bevorzugt habe - vgl. Sprung/Mayr Klein, 516. DassOttilie Friedlaender Kleins Geliebte war, geht z. B. aus Saint Germain,291-293 (Brief von Ottilie Friedlaender an Klein vom 29. Juli 1919) hervor.

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solcher kaum parteiisch sein konnte, zumal die Gleichheit vor

dem Gesetz galt. 546

Seine Einstellung zum Staat Österreich-Ungarn hingegen erfuhr

durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg einen starken Wandel -

welcher in der Literatur bislang offensichtlich noch nicht

beleuchtet worden ist. So hatte Klein im November 1914 von dem

„Gefühl der staatlichen Solidarität“ geschwärmt, das so

intensiv gewesen sei, dass es die nationalen Gegensätze mit

einem Male überbrückt habe.547 Und er bezeichnete die Beendigung

der Tätigkeit des Ostmarkvereins im Deutschen Reich, die dessen

Vorstand „angesichts des lobenswerten Verhaltens der Polen in

der Kriegszeit“ beschlossen habe, als „erfreuliches Dokument

für das Zurückdrängen des nationalen Standpunktes durch den

Patriotismus“, sprach von „verbohrte[n] Nationalisten.548

Schließlich lobte er das Streben, „verschiedene Volksstämme in

einem modernen Kulturstaate, das heißt auf der Basis vollen

Anteiles am Staatsleben, gleichen Rechtes und kultureller

Entwicklungsfreiheit[,] zu vereinigen.“549

546 Zu Österreich(-Ungarn) als einem mehr oder weniger ausgeprägtenRechtsstaat vgl. oben, Fn. 258. Es muss aber darauf hingewiesen werden,dass die in den sog. Grundgesetzen vom Dezember 1867 enthaltenenGrundrechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit von denBehörden oft missachtet wurden - vgl. Whiteside Germans, 177 i. V. m. 176,der dort allerdings trotz aller dieser Einschränkungen auch bemerkt, es seizweifelhaft, ob sich der deutschösterreichische klassische oder Laissez-faire-Liberalismus in Inhalt und Elan beträchtlich vom Liberalismus andererwesteuropäischer Staaten mit Ausnahme Englands unterschieden habe. ZurAusbildung des Verwaltungsrechts in Österreich s. Brauneder Beitrag, 419-421.547 Vgl. Krieg, 763.548 Vgl. Krieg, 764 [erstes Zitat auch in der Vorlage in Anführungszeichen]bzw. 768.549 Vgl. Krieg, 772. Vgl. ferner Kulturgemeinschaft [1915], 100, Fn. 1: DieForderung nach einem engeren Bündnis zwischen dem Deutschen Reich undÖsterreich-Ungarn sei kein nationales Verlangen, es gehe vielmehr um diepolitische Zukunft der beiden Reiche - sowie ebd., 111, wo er das das

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Im Dezember 1917 lehnte er die „nun hemmungslos über das Ziel

schießenden“ nationalen Wünsche ab und freute sich über den

sich seiner Einschätzung nach anbahnenden „Bankrott des

Größenwahnes, nach eigenem Gutdünken und Interesse

geschichtlich gewordene Gebilde vernichten oder auflösen zu

wollen, die sich zur Achtung der Rechte anderer bekennen und

daraus ihre Lebensfähigkeit und ihr Daseinsrecht schöpfen.“550

Und noch am 1. November 1918 hatte er sich gegen die Auflösung

der Donaumonarchie und gegen das Selbstbestimmungsrecht als ein

Naturrecht ausgesprochen: Er forderte die Errichtung von

Gliedstaaten unter Wahrung aller Vorteile eines großen

geordneten Staates nach dem Muster Deutschlands oder auch „nur“

der Vereinigten Staaten und führte aus: „Sofern das Ausscheiden

nicht die Genehmigung der gesetzgebenden Faktoren des

Stammstaates ... erhalten hat, haftet dem Vorgange etwas von

Staatsstreich oder Revolution an.“; deswegen sei „irgendeine

Art von Zweiseitigkeit des Ablösungsvorganges ratsam“.551 Zudem

Vorhaben einer „Auflösung Deutschlands und Österreich-Ungarns“ als Torheitbezeichnet; ferner Gedenkrede [1916], 1065 f. sowie seine PropagandaschriftKriegsgeist, 7, auch 13. Bereits 1910 hatte Klein dem von ihm sog.nationalen Internationalismus, d. h. dem weltweit den staatlichenInteressen verfolgenden Nationalismus ohne Gegenseitigkeit, den Vorteilzuerkannt, in einem Vielvölkerstaat „über dem sondernden Stammesbewußtseindas der staatlichen Gemeinsamkeit, der höheren Einheit“ zu etablieren -vgl. Internationalismus, 595. Vgl. ferner Schiffer Klein, Sp. 620 f. (ImErsten Weltkrieg sei von der Bewegung, der Klein angehört habe, noch„Rücksichtnahme auf die unantastbare Souveränität beider Teile [nämlichÖsterreich-Ungarns und des Deutschen Reiches]“ geübt worden.). 550 Vgl. Gedenktag, 654; vgl. auch Gedenkrede [Dezember 1916], 1065.551 Vgl. Recht Selbstbestimmung, 659 bzw. 657; zum Erscheinungsdatum vgl.Klein Reden, V i. Verb. m. dem Inhaltsverzeichnis der DeutschenJuristenzeitung 23 (1918), Heft 21/22.

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berief er sich auf „Österreichs Bestimmung, eine ‚Barriere

gegen Osten’ zu sein“.552

Die Staatstreue Kleins kam auch darin zum Ausdruck, dass er

kurz vor Weihnachten 1914 zusammen mit Mitgliedern des

Niederösterreichischen Gewerbevereins und mit Karl Urban, Eugen

von Philippovich, Michael Hainisch u. a. das erste umfassende

österreichische „Mitteleuropa“-Konzept entwarf, dessen

Erstellung u. a. der - in der Vorlage in das Englische

übersetzte - Leitsatz zugrunde lag, dass „these events demanded

the most effective possible consolidation and strengthening of

the state to counter ‘irresponsable disturbers of the peace and

centrifugal tendencies’.“553 Und er strebte eine

Rechtsvereinheitlichung zwischen Österreich und Ungarn an.554

Auch die Dynastie der Habsburger pries er in dieser Zeit noch.

So führte er die von ihm begrüßte Überbrückung der nationalen

Gegensätze im Krieg auch auf das Gefühl der „Pflicht, für

Dynastie und Heimat einzustehen“, zurück.555 Und in seiner

Gedenkrede auf Kaiser Franz Joseph am 8. Dezember 1916 rühmte

er nicht nur, dieser habe „als conditor juris in der

Rechtspflege nicht seinesgleichen“, sondern nahm auch

„trauernd“ von dem „erhabenen Toten Abschied, in dem sich für

uns alle von ihrer [sic] Kindheit [sic] Staatswesen und

Staatsmacht verkörperten“, und rief aus: „...innigst hoffend,552 Vgl. Recht Selbstbestimmung, 658.553 Vgl. Meyer Mitteleuropa, 152 m. Nw. in Fn. 41 („Nachlass Baernreither,Tagebuch Notizen, 1914-15; mimeographed item, Einige Leitsätze für dieBesprechung über die deutsch-österreich-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen,n. d.“).554 Vgl. Benedikt Klein, 25; Schiffer Klein, Sp. 620 f.555 Vgl. Krieg, 763 f.

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daß seinem Herrscheramte das Glück lächeln wird, huldigen wir

des verstorbenen Kaisers erlauchtem Nachfolger...“556

Den in Mitteleuropa „plötzlich aus dem Grabe gestiegen[en]“

Geist des Absolutismus jedoch lehnte er bereits im Krieg ab.557

In der parlamentslosen Zeit von August 1914 bis Mai 1917

betonte er immer wieder die Notwendigkeit von mehr Demokratie

und forderte insofern eine „Läuterung der amtlichen Praxis“.558

In seiner Ansprache an die Beamten des Ministeriums nach seiner

zweiten Ernennung zum Justizminister mahnte er ganz unverblümt:

„Man kann die heutige ... Gesellschaft nicht ohne sie regieren

und ihre Angelegenheiten nicht ohne sie verwalten, weder im

Frieden noch im Kriege.“559 Klein selbst stellte rückblickend

dazu fest, diese Antrittsrede, in der er „die vollständige

Abkehr“ von den im Krieg bis dahin maßgebend gewesenen

Regierungsgrundsätzen für notwendig erklärt habe, habe

lebhaften Widerhall in Publikum und Presse gefunden.560 Und im

Dezember 1917 klagte er: „Ein besonders trüber Abschnitt dieses

Mangels an Einklang [zwischen Regierungskunst und Verfassung]

trägt die Überschrift: Notverordnung.“561 Schon 1912 hatte er556 Vgl. Gedenkrede, 1065 f. Allerdings wird man von dieser Rede im Hinblickauf Kleins innere Einstellung vermutlich einige Abstriche zu machen haben,weil er sie in seiner Eigenschaft als Minister hielt, ja möglicherweisehalten musste.557 Vgl. Rechte Krieges, 808.558 Vgl. Rechte Krieges, 803-809, insb. 807 („Läuterung“); vgl. auchKriegsnot, 798. Dies implizierte seine Forderung nach dem höchstmöglichenGrad von Pressefreiheit - vgl. seine eigene Einschätzung in Lebensskizze,XVI („Klein bemühte sich während der kurzen Zeit[,] in die Zensur Ordnungund Maß zu bringen...“).559 Ansprache Beamten Wiederernennung, 1031. Allerdings begründete er diesvor allem mit der erwähnten praktischen Notwendigkeit, welche der „innersteunpolitische, soziale Grund der Notwendigkeit“ parlamentarischerEinrichtungen sei.560 Vgl. Lebensskizze, XVI.561 Vgl. Gedenktag, 652.

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für eine umfangreiche Beteiligung der gesamten Bevölkerung an

der politischen Willensbildung geworben und vor einer

Schwächung oder Lahmlegung des Parlaments gewarnt. 562

Bereits im Januar 1919 monierte Klein dann auf einer

Versammlung der BDP den „schalen Staatsgedanken“, dem die

Angehörigen seiner Generation in Österreich ihre politischen

Ansichten und sogar ihr Nationalbewusstsein geopfert hätten, so

dass sie es „bis heute nicht wiedergefunden haben.“563 Später

bezeichnete er die Christlichsozialen „als Reinkultur aller

schlechten Eigenschaften und Untugenden der habsburgisch

mißleiteten Deutsch-Österreicher“, durch deren Herrschaft sich

Letztere Schmach und eine Schande auf sich geladen hätten, der

die Geringschätzung und Verachtung der Welt verdientermaßen

zuteil geworden sei.564 Außerdem beklagte er, an der misslichen

Aufgabe Deutschösterreichs, fremde Völker im Zaume zu halten,

sei es fast verblutet.565 Für ihn war „das alte Österreich“ nun

„bis in den Kern krank“ gewesen.566 Den Plan zur Bildung einer

„Donaukonföderation“ der früher zum Habsburger-Reich gehörenden

Länder lehnte Klein ebenfalls ab.567

562 Vgl. Sozius [1912], 596-600, insb. 599 („Es ist an sich kein schlechtesZeichen für den Stand von Intelligenz und Kultur, wenn die Bevölkerungaußerhalb des Parlaments an dessen Arbeiten Interesse gewinnt und sieverständnisvoll verfolgt.“), 600 (gegen Schwächung oder Lahmlegung desParlaments).563 Vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 7.564 Vgl. St. Germain, 267 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 22. Juli1919); ähnlich ebd., 310 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 4. August1919). 565 Vgl. Anschlußfrage, 1001. Vgl. auch Antwort Friedensvertrag, 853(„...aller planmäßigen Schwächung, welche die Deutschen seit Taaffe inÖsterreich zu erleiden hatten...“); ähnlich: Grundgedanken, 861.566 Vgl. Staat, 922.567 Vgl. Anschlußfrage, 998 f., insb. 999: „Die Gemeinschaft mit den anderenNationalstaaten wird Deutschösterreich auch nicht kräftigen, denn es sind

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Auch von der im Habsburger-Reich betriebenen Innenpolitik

zeigte er sich nun besonders angewidert. So schrieb er am 22.

November 1918, Österreich sei immer ein Staat bevormundender

Obrigkeit gewesen.568 Und „der Jugend“ rief er auf einer

Versammlung der Bürgerlich-demokratischen Partei im Januar 1919

zu, sie solle es besser machen als die „Aelteren und Alten

unter uns“ - Klein selbst eingeschlossen -, welche in

Unselbständigkeit gelebt und sich ihren „Geist und Willen“

hätten „verkümmern und verkrüppeln lassen“.569

Bereits am 13. November 1918 hatte er sich in einer von ihm

einberufenen Veranstaltung in der Juristischen Gesellschaft für

den Aufbau eines (sozialen und) demokratischen Gemeinwesens

eingesetzt.570 Von nun ab forderte er beständig den „raschesten

Auf- und Ausbau der Demokratie“; der Geist der Demokratie müsse

mit allen Mitteln geweckt und gefördert werden, wobei die

weitere Vernachlässigung der geistigen oder Gefühlsseiten dabei

ein Irrtum wäre, der sich schwer rächen könnte.571 Ja, ergrößtenteils die alten Feinde der Deutschen aus der Monarchie, die vieldazu beigetragen haben, Deutschösterreich in seinen jetzigen verzweifeltenZustand zu versetzen[,] und es schwächen wollen.“ S. allerdings auch die -freilich aus taktischen Gründen abgegebene - Äußerung Kleins im Interview mitdem Korrespondenten des „Temps“ in Saint-Germain: Nicht Deutschösterreich,sondern die neuen, aus der alten Monarchie hervorgegangenen Staaten seienes, „die den Gedanken jeder politischen Gemeinschaft zurückgewiesen haben“- vgl. Anschluß, 989. 568 Vgl. Demokratisierung 667.569 Klein in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 3. Vgl. auch SaintGermain, 105 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 31. Mai 1919): „Das istauch eine Art Dank vom Haus Habsburg, daß wir durch dieses Geschlecht soherunter regiert wurden, bis wir selber ein unmögliches, kraftloses Volkgeworden sind.“ - vgl. ferner ebd., 80 (Brief an Ottilie Friedlaender vom24. 5. 1919); 158 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 14. Juni 1919).570 Vgl. Benedikt Klein, 26.571 Vgl. Demokratisierung, 669; vgl. auch Ziele, 40 sowie Punkt 2 der„Leitsätze der Bürgerlich-demokratischen Partei“, unterzeichnet von Dr.

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prangerte Ende November 1918 als undemokratisch gar an, dass

Behörden unterhalb der ministeriellen Ebene konstant blieben

„und, als ob gar nichts geschehen wäre, nach dem alten Schimmel

fortarbeite[n]“.572 Fritz Fellners Einschätzung Kleins als eines

kühlen Vernunftrepublikaners mutet nach alledem zweifelhaft

an.573 Die beiden zuletzt aufgeführten Aussagen Kleins

erscheinen angesichts der folgenden Entwicklung gerade in der

Weimarer Republik als prophetisch.

Den Wechsel seines Blickes auf das Habsburger-Reich beschreibt

und erklärt möglicherweise zum Teil seine nachträgliche

Einschätzung, die (Deutsch-)Österreicher hätten sich bislang in

einer Atmosphäre der Zersetzung hoffnungslos fort „gefristet“,

„die jeden herabdrückte, ohne daß er es wußte.“574 Demgegenüber

projizierte er allerdings im August desselben Jahres seine

nunmehrige Sicht auf die Zeit vor der Niederlage: „Wie man

früher schon, Österreichs wahre Verhältnisse kennend, trostlos

in die Zukunft sah...“575

Franz Klein, Minister a. D.: „Wir wollen ein freies, sichselbstbestimmendes demokratisches Volk sein und bleiben.“ bei Stern Stolper,497; Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 67 (hier als Sonderabdruck, Die Zeit vom10. Januar 1919): [6] jeweils Fotokopie; ferner Referat Völkerbundenquete,868 über den Völkerbund: „Irrig war, daß man ihn als eine Staaten- undRegierungsanstalt errichtete, statt, wie es seinem Namen entsprochen hätte,als einen wahren Bund der Völker...“ sowie „Die 14 Punkte der Bürgerlich-demokratischen Partei“, Punkt 2: „Wir fordern die Sicherung der D e m o kr a t i e durch G l e i c h b e r e c h t i g u n g aller Männer undFrauen vor dem Gesetz.“ bei Stern Stolper, 496; Hawlik Parteien, Teil 3, Bl.68 (hier in Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom 12. Februar 1919, S. 3[?]),jeweils Fotokopie [Sperrdruck in den Vorlagen].572 Vgl. Demokratisierung, 668.573 Zu Fellners Urteil: F. Fellner Klein, 185 (bezogen auf den ersten, von Kleinverfassten Aufruf der BDP in „Die Zeit“ vom 4. Dezember 1918).574 Vgl. Saint Germain, 188 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 24. Juni1919). Vgl. dazu auch Stefan Zweigs Beurteilung oben, Fn. 352. 575 Vgl. Saint Germain, 315 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 6. August1919).

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Dabei hegte (auch) Klein zumindest nach dem Zerfall des Reiches

antiungarische und antislawische Ressentiments und Ängste.576

Das wirkte sich nach einer - allerdings vereinzelten - Stelle

auch politisch aus: Denn Klein wurde demnach 1919 nicht nur

wegen seines prononcierten Anschlusskurses, sondern auch wegen

antislawischer Äußerungen nicht zum Leiter der österreichischen

Friedensdelegation berufen.577

Wenn Klein bis zum Kriegsende auch noch nicht für den

„Anschluss“ an das Deutsche Reich votiert hatte, so war er in

dieser Zeit, vor allem während des Krieges selbst, ein rühriger

Agitator für ein enges Wirtschaftbündnis mit diesem und für

eine weit gehende Angleichung der Rechtssysteme beider

Staaten.578 Bereits während seiner Mitgliedschaft im Leseverein

der deutschen Studenten Wiens hatte er sich „eifrigst

eingenommen für die Verbindung zwischen den beiden Reichen“

gezeigt.579 Dabei sah er die Deutschösterreicher insbesondere

wegen des von ihm bei ihnen ausgemachten Phlegmas sowie wegen

ihrer angeblichen Servilität, Leichtsinnigkeit und

576 Vgl. Saint Germain, 74 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 21. 5. 1919):Die Deutschen Österreichs müssten vor „Versumpfung und Vertschechung“bewahrt werden; ebd., 158 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 14. Juni1919): Ungarn und Böhmen seien „der Erbfeind“ [sic]; sowie ebd., 178 f.(Brief an Ottilie Friedlaender vom 21. Juni 1919), wo seine Angst besonderszum Ausdruck kommt; vgl. ferner Kulturgemeinschaft, 96: „Sven Hedin schriebim Mai, die Einigkeit der beiden Reiche sei der Faktor, vor dem dieslawischen Wogen sich gelegt haben... Ebenso große Kraft und daher auchEinigkeit ... erheischt...“.577 S. Resch Wien, 53.578 Vgl. Kulturgemeinschaft, 87-112, insb. 92 („geistig-kulturelleVerwandtschaft“) und 98 („der staats-, welt- und kulturpolitischunerläßliche Zusammenschluß“); Rechtsannäherung, 968-974; Einklang, 702-719. 579 Vgl. Mayr Praxiszeit, 270 (Zitat Adolf Bachrach).

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Grundsatzlosigkeit - zumindest während seiner Zeit in Saint-

Germain - als den Reichsdeutschen unterlegen an.580

Im Dezember 1914 sprach er sich im Rahmen der bereits erwähnten

Aktion des Niederösterreichischen Gewerbevereins für engere

wirtschaftliche Bindungen an das Deutsche Reich aus.581 Darüber

hinaus setzte er das im August 1915 durch die Ältesten der

Berliner Kaufmannschaft verfasste Programm für die

Vereinheitlichung der Gesetze beider Länder in deren Auftrag

um, vertiefte und verdichtete es dabei und entwickelte es

schöpferisch weiter.582 Ferner bewirkte er eine Entschließung

der ständigen Deputation des Deutschen Juristentages am 8.

580 Vgl. Saint Germain, 110 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 2. Juni1919): „Oft kommt mir der Gedanke in den Sinn, ob es nicht wirklichvernünftiger wäre, wenn dieses deutsch-öster[reichische] Volk verschwände.Es wird allen zum Ekel immer im Wege sein ... und ein guter Deutscher mußeigentlich froh sein, wenn dem deutschen Reich dieses Geschenk ... erspartbliebe... Das Gesunde, Heilfähige, Stärkende wird dadurch nichtgefördert.“; ebd., 190 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 25. Juni 1919),wo er die „völlige Unfruchtbarkeit unserer Landsleute in allen ihrenSchichten“ beklagt; vgl. auch ebd., 280 (Brief an Ottilie Friedlaender vom16. Juli 1919), wo er sich lobend über die Reichsdeutschen äußert. Weiterewüste Invektive gegen die Deutschösterreicher bzw. die (deutschen) Wienerfinden sich z. B. in Saint Germain, 52 f. (Brief an Ottilie Friedlaendervom 15. 5. 1919), 130 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 7. Juni 1919), 275f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 24. Juli 1919), 300 f. (Brief anOttilie Friedlaender vom 1. August 1919), 313 (Brief an OttilieFriedlaender vom 5. August 1919). Auf der anderen Seite beklagte er sichoft „mit einem Gemisch aus Spott und Wehmut“ über die Reichsdeutschen, die„manchmal ohne Verständnis, jedoch nicht ohne Hochmut“ auf dieDeutschösterreicher herabsähen - vgl. Schiffer Klein, Sp. 621. S. auch nochSprung Lebensweg, 44 (Erwiderung Kleins auf die Festrede des Sektionschefsim Justizministerium Dr. Ritter von Schauer an seinem 60. Geburtstag am 14.4. 1914 - s. 42): „...damit bei dem ohnehin geringen Prestige, das leideroft österreichische Schöpfungen begleitet, man nicht sagen könne, daß dasWerk abgefallen sei.“.581 Vgl. Meyer Mitteleuropa, 152 - s. dort Punkt 3 (m. Nw. in Fn. 41:„Nachlass Baernreither, Tagebuch Notizen, 1914-15; mimeographed item,Einige Leitsätze für die Besprechung über die deutsch-österreich-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen, n. d.“). 582 So Schiffer Klein, Sp. 620.

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April 1916, wonach entsprechend der „notwendigen“ Vertiefung

des politischen Bündnisses und der erhofften wirtschaftlichen

Annäherung auch eine Vereinheitlichung des Rechts in möglichst

hohem Maß herbeigeführt werden sollte.583 Während des Krieges

setzte sich Klein auch für das Militärbündnis zwischen den

Mittelmächten ein.584

Nach dessen Ende sprach er sich sowohl in Publikationen als

auch im Rahmen seiner parteipolitischen Aktivität immer wieder

prononciert für den nationalen Gedanken aus.585 Besonders kam

dies zum Ausdruck in seinen beständigen Forderungen nach dem

Selbstbestimmungsrecht der Deutschösterreicher und nach

Vereinigung mit dem Deutschen Reich sowie in seiner Ablehnung

der Zuteilung von Gebieten mit deutschsprachiger Bevölkerung an

andere Staaten.586 Auch die von ihm mitgeführte BDP propagierte583 So Benedikt Klein, 24 f. Im Wintersemester 1915/16 hielt Klein darüberhinaus noch eine Vorlesung über „Die Gesellschaftslehre des Krieges“, imWintersemester 1917/18 eine über „Das Organisationswesen der Gegenwart II:Kriegs- und Friedensorganisationen“ - vgl. Sprung Lebensweg, 66.584 Vgl. Kulturgemeinschaft, 90 („Sie [die beiden Kaiserreiche] müssen imVerhandlungssaale wie am Schlachtfelde ein Körper sein, der sich nichtzersplittern läßt.“; ähnlich 111). 585 Vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4, 7; Grundgedanken, 862f., insb. 863: „Wir sind - und mag man uns das noch so oft absprechen -Deutsche...“; vgl. auch Saint Germain, 102 (Brief an Ottilie Friedlaendervom 31. 5. 1919) über die Forderung der Siegermächte, den Namen „Deutsch-Österreich“ zugunsten von „Österreich“ abzulegen: „Man kann sich keinegrößere Unverschämtheit denken.“ ebd., 140 (Brief an Ottilie Friedlaendervom 9. Juni 1919): „Ich bringe diesem internationalen Geckentum [HeinrichLammaschs] keine Sympathie entgegen, kann sie [solche Leute] aberverstehen.“.586 Vgl. Punkt 4 der Leitsätze der Bürgerlich-demokratischen Partei,unterzeichnet von Dr. Franz Klein, Minister a. D.: „Wir wollen deutsch seinund bleiben; [im Sonderabdruck: ,] deutsch nicht bloß in der Sprache,sondern auch in Seele, Gemüt, Sittlichkeit und unserem ganzen Wesen,deutsch in lebendigstem Bewußtsein unserer Zugehörigkeit [zu] unduntrennbaren Verbindung mit dem ganzen deutschen Volke.“ bei Stern Stolper,497; Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 67 (hier in der Form des Sonderabdruckesin „Die Zeit“ vom 10. Januar 1919), jeweils Fotokopie. Für das Recht aufSelbstbestimmung: Antwort Friedensvertrag, 853; Grundgedanken, 862;

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die Vereinigung, wenn auch in ihren „14 Punkten“ nicht gänzlich

eindeutig: „Deutschösterreich ist eine Republik und ein

untrennbarer Bestandteil des g r o ß e n d e u t s c h e n V

a t e r l a n d e s. In dieser Gemeinschaft allein erblicken

wir eine Gewähr unserer geistigen, sittlichen und

wirtschaftlichen Wohlfahrt“.587

Der Wunsch nach einem „völlige[n] Anschluß“ beherrschte Klein

nun mehr und mehr, und „dieses Sehnen“ füllte sein „Herz fast

bis zum Rande“.588 Seine entsprechenden Reden soll er mit

„hinreißender Beredsamkeit“ vorgetragen und damit Begeisterung

erweckt haben.589 „Heißen Herzens bat, mahnte und drängte er“,

Friedensvertrag, 866 f.; Revision, 876; Anchluß, 988 f. Vertragsentwurf,851 f., auch unter Hinweis auf die vierzehn Punkte Wilsons - dass WilsonsGrundsatz gar nicht das Selbstbestimmungsrecht, sondern lediglich „theinterest of the population concerned“ gewesen sei, welche zunächst dieBeibehaltung traditioneller administrativer Grenzen, dann Modifikationenauf Grund ökonomischer Überlegungen und verkehrspolitischer Erwägungen undschließlich strategisch-politische Forderungen umfasste, betont F. FellnerVertrag, 292; vgl. ferner: Klein Saint Germain 107 (Brief an OttilieFriedlaender vom 1. Juni 1919): „Die Warnung Bauers, sich nicht zu sehr aufdie Selbstbestimmung zu berufen, hat mich schon seinerzeit sehr überrascht,nun habe ich mit dieser ganz falschen Preisgebung eines Hauptgrundes leidereinen Kampf auszufechten.“ Für den „Anschluss“: Anschluß, 989;Deutschösterreich, 990-996; Anschlußfrage, 999 f.; Revision, 877. Gegen dieZuteilung Südtirols an Italien: South Tyrol, 878-880, insb. 880: “Now thatthe peace treaties have thrust differing peoples into one politicalsystem...”.587 „Die 14 Punkte der Bürgerlich-demokratischen Partei“, Punkt 1 - bei SternStolper, 496; Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 68 (hier in Die Zeit Nr. 5883[,18. Jg.] vom 12. Februar 1919, S. 3[?]), jeweils Fotokopie [Sperrdruck inden Vorlagen].588 Vgl. Schiffer Klein, Sp. 621. Vgl. auch Benedikt Klein, 29. 589 So Benedikt [Freund Kleins] Klein, 26. Vgl. aber auch Hawlik Parteien, Teil2, 525: Kleins Stellungnahme zur Anschlussfrage sei nicht von dementhusiasmierten Elan Gustav Stolpers getragen gewesen und erscheine eherabwartend (mit Zitat aus der Neuen Freien Presse vom 28. Januar 1919, woKlein sich für den Anschluss ausspricht, jedoch bemerkt: „Vorläufig denkenwir nicht daran, ein entscheidendes Wort zu sprechen, bevor der Friedenicht geschlossen ist.“); ebd., 526: Damit aber Kleins Anschlussfreudenicht unterschätzt werde, habe er sie in einem rhetorisch wirksamenWortspiel bekräftigt (Zitat aus Neuen Freien Presse vom 28. Januar 1919):

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den günstigen Augenblick für den Anschluss nicht zu versäumen.

„Er sah periculum in mora, und fast verzweifelt warnte er immer

und immer wieder vor einer Politik, die sich in Reden und

Stimmung, in Hoffen und Harren verausgabte.“590 Auf der anderen

Seite versuchte er, Optimismus zu verbreiten; so bekräftigte er

im Juli 1920: „Die Vereinigung reift schon heran.“591

Zwar hatte sich mittlerweile eine neue Situation ergeben, so

dass Klein und auch Karl Renner argumentieren konnten, das

Streben nach „Anschluss“ sei keine neue Phase des

pangermanischen Programms, sondern lediglich ein Ausdruck von

„despair and abandonment.“592 So wies Klein denn auch immer

wieder auf die „Lebensunfähigkeit“ eines Rumpfösterreichs

hin.593 Und in der Tat war dies die Ansicht offenbar sämtlicher

führender Österreicher in dieser Zeit, weswegen die Diskussion

„Daß es aber unter Deutschen Deutsche gibt, welche verhindern wollen, daßDeutsche Deutsche sind, ist empörend.“); sowie ebd. 508 (Stolper sei in derPartei wohl der entschiedenste Verfechter der Anschlussidee gewesen, dieanderen „Proponenten“ der Partei hätten sich als „weitaus vorsichtiger“erwiesen.). 590 Schiffer Klein, Sp. 621; vgl. auch Revision, 874 f., wo Klein dieDeutschösterreicher anprangert, sich selbst dadurch ein schweres Unrechtzuzufügen, dass sie „so schweigend und so still“ duldeten. Sich selbst lautzur Geltung zu bringen, sei „höchste Zeit“. Vgl. ferner Saint Germain, 168(Brief an Ottilie Friedlaender vom 18. Juni 1919) sowie 294 (Brief anOttilie Friedlaender vom 30. Juli 1919): „...aber trägt nicht der neue Kurszur Zeit alles in sich, um das Herankommen der günstigen Stunde mehr undmehr hinauszuschieben, so daß sie schließlich überhaupt verpaßt seinwird?“; schließlich noch Kleins Aufruf zum Aktivismus in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4 sowie Saint Germain, 313 (Brief an OttilieFriedlaender vom 5. August 1919) („Vom Schwätzen zur Tat ist aber leiderein unangenehmer schwerer Weg für Menschen...“).591 Anschlußfrage, 1001.592 Vgl. zu dieser Argumentation Meyer Mitteleuropa, 294.593 Vgl. nur Friedensvertrag, 868, 875. S. auch Saint Germain, 116 (Brief anOttilie Friedlaender vom 3. Juni 1919): „Wenn man uns selbst in diesemZustand verurteilt, allein zu bleiben, [sic] und eigene Wirtschaft zuführen, so ist das ein Beweis, daß es auf Ausrottung abgesehen ist.“.

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allein um die Alternative(n) „Anschluss oder

Donaukonföderation?“ kreiste.594

Trotzdem kann dies kaum Kleins einziger Beweggrund gewesen

sein, weil er nunmehr so betont national argumentierte. Ein

solcher Wechsel von einer Propaganda des „Mitteleuropa“-

Gedankens hin zur Anschlussbewegung war nach Kriegsende

jedenfalls keineswegs selten.595

Wiederholt betonte Klein allerdings die internationale Idee und

verwarf eine grundsätzliche Abneigung gegen „das Fremde“.596

Zudem sah er, dass der Nationalismus nichts an sich Gutes,

Moralisches, sondern etwas Emotionales ist.597 Überhaupt vertrat

er die Position, Politik habe moralisch zu sein, sie habe

„dieselben Sittenregeln zur Richtschnur zu nehmen wie alles

übrige Tun in der Gesellschaft.“598

594 Vgl. Myers Berlin, 168.595 Vgl. Meyer Mitteleuropa, 293; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 195.596 Vgl. nur Internationalismus, 594 (inkl. des Zitats); Kulturgemeinschaft,6, 16-38, 41, 49 f., insb. 50 (für weltbürgerliche Bildung, Abschütteln vonVorurteilen, Abschwächen des Nationalismus, Pflege des rein Menschlichen,Altruismus im friedlichen Völkerverkehr, einen Kreuzzug gegen diechauvinistische Presse), 92-94, 105, 108-112 - das alles freilich unterBezeichnung der Ententemächte als der Störer der internationalen Idee.Interessant auch seine Ablehnung des (italienischen) Faschismus als einerGesetze brechenden und gewalttätigen Bewegung - vgl. South Tyrol, 879. Auchwies Klein wiederholt auf die Errungenschaften in anderen Staaten hin, dieÖsterreich(-Ungarn) zum Vorbild dienen sollten - vgl. z. B.Begrüßungsansprache Wohnungskongreß, 540; Foregger Klein, 221 (s. Fn. 10:„StProt über die Beratungen zur Strafgesetzreform 1.“)597 Vgl. Moral, 629.598 Vgl. Moral, 617-639, insb. 628, auch 638; ferner Ziele, 39 (Ethik,Gemeinsinn, Menschentum, idealistische und altruistische Gesinnung alsLeitfäden der Politik). Über die „Sittlichkeit als eigenständigeSinndimension“ bei Klein vgl. Böhm Grundlagen, 197, auch 199; vgl. zudemBöhm Klein, 242 (Klein habe eine am Kantschen Pflichtbegriff orientierteVerantwortungsethik geprägt.). Zur Diskussion um Politik und Moral gegen1900 im Wilhelminischen Deutschland vgl. vom Bruch Wissenschaft, 435 f.(Exkurs 5).

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Den Vertrag von Saint-Germain brandmarkte er als

„Weltverbrechen“, das - im Gegensatz zum Krieg - die wahre

„Quelle unseres unsäglichen Elendes“ sei.599 Die

Friedensverträge mit Österreich und mit dem Deutschen Reich

seien „vom selben Geist der Vernichtung beseelt“.600 Fast das

gesamte öffentliche und private Leben Österreichs war in Kleins

Augen der Siegerwillkür preisgegeben.601 Mit dieser Sicht stand

er keineswegs allein: Zumindest die dem bürgerlichen Lager

nahestehenden deutschösterreichischen Historiker hatten - wie

auch Klein - die Mittelmächte bereits während des Krieges als

in einem Kampf gegen eine Welt von Hass und Lüge gesehen.602

Kleins Verzweiflung am Ende seiner Tätigkeit in der

Friedensdelegation war, nach seinen Briefen aus Saint-Germain

an Ottilie Friedlaender zu schließen, vollkommen.603 Eine

599 Vgl. Revision, 874. Eine überwiegend positive Bewertung des Vertragesvon Saint-Germain nimmt F. Fellner Vertrag, 282-304 vor.600 Vgl. Friedensvertrag, 864; vgl. auch Grundgedanken, 863 sowie SaintGermain, 59 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 18. 5. 1919) über dieSiegermächte: „Und was da noch vom vernunftlosen Tiere unterscheidet ... inentfesselter Bosheit, Rache, Furcht und Herrschbegier...“; s. aber auchAnschlußfrage, 997 („Deutschland gegenüber war die Haltung Frankreichs beimFriedensschluß durch Haß und Revanche vorgezeichnet, hinsichtlichDeutschösterreich [sic] war es anders. Alles fließt da noch[,] undFrankreich will sich nichts verderben.“).601 Vgl. Friedensvertrag, 865. Vgl. auch Revision, 875: Die durch denVertrag bewirkte Abhängigkeit des Landes von ausländischen Kreditenversetze seine Bewohner zurück in die Lage Höriger; jener entbehre allerHumanität und habe den Verlust von allem, was dem Leben Zweck und Wertverleihe, bewirkt.602 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 189; vgl. auch ebd., 190: 1914habe eine einheitliche Woge der Empörung die gesamte Historikerschafterfasst, weil ihr der Krieg als den friedliebenden Mittelmächtenaufgezwungen erschienen sei. Interessant ist insbesondere, dass Kleinvornehmlich die Intellektuellen der Ententeländer - im Gegensatz zu einemgroßen Teil, vielleicht der Mehrheit von denen im Zweibund - als diejenigenausmachte, welche den Hass zwischen den Krieg führenden Lagern gesät hätten- vgl. Kulturgemeinschaft, 65-67 sowie 71; vgl. aber auch Moral, 617.

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Kriegsschuld Österreichs oder des Deutschen Reiches sah er

nicht.604

bb. Sozialpolitik

In Kleins gesamtem Wirken spielte die Sozialpolitik die

bedeutendste Rolle. Diesem Befund entsprach auch seine

Selbstsicht: Er mochte nicht Jurist, sondern wollte

„Sozialpolitiker“ genannt werden.605 Vermutlich erwarb Klein

sein großes Verständnis für soziale Fragen auch durch seine

Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen.606 Er sah sich in allen

seinen juristischen Tätigkeiten primär als Sozialpolitiker,

weil für ihn das Recht in erster Linie ein Instrument zur

Verbesserung gesellschaftlicher Zustände war.607 Letzteres hat

er immer wieder hervorgehoben, vor allem nach seiner ersten

Amtszeit als Justizminister.608 603 Vgl. vor allem die letzten (veröffentlichten) Sätze Kleins in dieserKorrespondenz überhaupt: Saint Germain, 315 (Brief an Ottilie Friedlaendervom 6. August 1919): „Alles ... hinfällig ... Man ist Fremder in seinemVaterland geworden... Ich bin hier gestorben als tätiger Mensch und alsdenkendes Wesen... Der Epilog mußte sein, wie er ist. Wie der Friede imGanzen aussieht, ein Volk und ein Mensch ist da gebrochen worden...“ [dieletzten Punkte zwar in der Vorlage, aber möglicherweise nicht im Original:s. die allgemeine Bemerkung von F. Fellner/Adlgasser Einleitung 11 f.]. 604 Vgl. Kulturgemeinschaft, 72, 104, 106; Moral, 637; auch Revision, 875;vgl. ferner Saint Germain, 185 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 23.Juni 1919) („...daß sie [die „Ententeleute“] Tausende, Millionen vonMenschen durch ihre Politik, wenn nicht durch den von ihnen planmäßigvorbereiteten Krieg zugrunde gerichtet haben..., das ist natürlich etwasSittlich-Schönes.“); ebd., 228 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 8. Juli1919). 605 Vgl. Otto Friedlaender bei Mayr Praxiszeit, 266, Fn. 38 (von Seite 265).606 So auch Mayr Praxiszeit, 282. Vgl. ferner Benedikt [Freund Kleins], Klein,22 über „Kleins soziales Empfinden und sein oft verkanntes warmes Herz“sowie Böhm Klein, 242 über sein „warmherziges soziales Empfinden“.607 Vgl. Hofmeister Klein, 203; auch Benedikt Klein, 28, der auf Kleinsaußerordentliche Bedeutung bei der theoretischen Begründung eines solchenAnsatzes hinweist, sowie Böhm Klein, 241 (Ganz allgemein sei die Hebung derVolkswohlfahrt und -bildung Kleins vorrangiges Ziel gewesen.).608 Vgl. seine Selbsteinschätzung in Lebensskizze, XVI: Die Jahre nachseiner ersten Demission habe er sich der wissenschaftlichen Arbeit mit

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So berief er sich für von ihm erstrebte Gesetzesvorhaben auf

„Sozialpolitik und Mitleidsgedanken unserer Zeit“ und hob die

soziale Verantwortung der Beamten des Justizministeriums

hervor.609 Der „Gedanke der Fürsorge, der Pflegschaft, des

Errettens“ müsse das Walten der Justiz durchdringen; statt der

bloß rechtlichen und juristischen Gesichtspunkte seien auch für

Rechtspflege und Rechtsordnung die gesamten staatlichen,

gesellschaftlichen Interessen ebenso maßgebend geworden wie für

die Politik - das Recht sei von einer „kahlen Schutzmaßregel“

zu einem „vollbürtigen Wohlfahrts- und Kulturelement“ zu

erheben.610 1910 bereits hatte er die von ihm mitgeführte

internationale Bewegung zur Verbesserung der Wohnungssituation

als „in jedem Sinne sozial“ bezeichnet: Sie arbeite für alle,

sei eine echte Kulturbewegung. Das Beste habe die Menschheit

fast immer durch Bestrebungen gewonnen, die „zuvörderst nur an

die Bedürftigen und Schwachen dachten.“ Die Gesellschaft habe

sich in Bezug auf die Lage der Familien zu lange

unverzeihlicher, fast sträflicher Sorglosigkeit hingegeben.

„Alles sich selbst überlassen und auf die Vernunft der Dinge

warten ist eine schlechte Politik.“611

Das war eine klare Absage an „Manchestertum“ und laissez faire-

Politik mit ihrem Vertrauen zur einst von Adam Smith

besonderer Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialpolitischer Fragengewidmet; vgl. auch Baltzarek Klein, 180; Sprung Lebensweg, 39.609 Vgl. Stabilisierung, 723 bzw. Ansprache Beamten Demission, 1021. Vgl.ferner Moral, 621, 632. S. schließlich noch Baltzarek Klein, 180 (Klein habeden Anschauungen der Wiener Fabier, ohne ihnen unmittelbar anzugehören, inVielem nahe gestanden.). 610 Ansprache Beamten Wiederernennung, 1032 f.611 Vgl. zu allem Begrüßungsansprache Wohnungskongreß, 546 f.

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postulierten invisible hand.612 Allerdings war dies in Österreich

spätestens um 1900 zum Gemeingut geworden.613 Auch war die

Einbettung des Rechtswesens in eine politische, ökonomische und

soziale Gesamtschau für die Wiener Rechtslehrer dieser Zeit

typisch.614

Auf der anderen Seite ging das Interesse des Bürgertums an der

sozialliberalen Bewegung spätestens seit der Einführung des

allgemeinen Wahlrechts für Männer 1907 zurück; denn die

Interessen der Arbeiter konnten nun im Abgeordnetenhaus durch

von ihnen gewählte Vertreter wahrgenommen werden, so dass die

Fürsprache durch die gehobenen Schichten nicht mehr so dringend

geboten war wie zuvor; zudem schlug das Gefühl der

Bürgerlichen für die Arbeiter mit dem Aufstieg der

Sozialdemokratie tendenziell in Angst vor dem „roten Gespenst“

um.615 Diesem Trend lief das gerade zu dieser Zeit sogar noch612 Vgl. auch noch Kulturgemeinschaft, 37: Die Anhänger des altenLiberalismus hätten wohl gedacht, „daß sich von selbst ein mächtiger, derWelt und der Menschheit heilsamer Gedanke aus dem Chaos der einzelnenBestrebungen herausarbeiten werde. Das aber war ... ein schöner Wahn...“.Vgl. ferner Böhm Grundlagen, 195.613 Vgl. Mayr Forschungsarbeiten, 107; Böhm Grundlagen, 195; auch CohenPolitics, 244 (“...civil society involved widening segments of the generalpopulation during the last decades before World War I, and it developed ...in close connection with evolving governmental and administrativestructures that had to provide a growing array of public services ... andfind ways to accommodate, to at least some extent, social demands.”), ebd.257 (“At the end of the century books, journals, and newspapers presented arich flowering of political and social criticism of all stripes in all themajor languages of the Austrian crown lands.”). Zum Deutschen Reich vgl.vom Bruch Wissenschaft, 158, der die „ungewöhnliche Einmütigkeit innerhalbder aura academica“ hervorhebt, in der „die älteren Kathedersozialisten wieSchmoller, Wagner und Brentano als geistige Väter des neuen ethischenIdealismus gefeiert“ worden seien.614 Vgl. Sprung Lebensweg, 34, Fn. 114. Zum sozialen Recht in Österreich vgl.Somek Politik, 372-377.615 So Holleis Partei, 100; sie bezieht sich allerdings auf „dieWahlrechtserweiterungen” und die Möglichkeit der eigenenInteressenvertretung „in den parlamentarischen Körperschaften” - dies

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wachsende Interesse Kleins an Sozialpolitik also diametral

zuwider.

Bei aller seiner Vorliebe für die Sozialpolitik war Klein

keineswegs ein Anhänger des Sozialismus.616 So sprach er sich

offenbar stets für so wenige staatliche Eingriffe in Wirtschaft

und Gesellschaft wie nur irgendwie möglich und in der Regel für

lediglich indirekte Hilfe (zur Selbsthilfe) durch den Staat an

die Selbstverwaltungseinrichtungen der betroffenen Berufe

aus.617 Die Kommunalisierung von Monopolbetrieben in Wien - der

seinerzeit so genannte, auch im Deutschen Reich bedeutsame

bedarf der Einschränkung, da das Wahlrecht für die meistenProvinzparlamente und auch Kommunalversammlungen in den österreichischenKronländern bis zum Ende der Monarchie beschränkt und gestuft blieb - vgl.Cohen Politics, 250. Zur Lage im Deutschen Reich vgl. vom BruchWissenschaft, 158 i. V. m. 157: Die 1890 eingetretene sozialpolitischeAufbruchstimmung sei ab 1897 u. a. durch „Flottenenthusiasmus“ und „eineoffenkundige sozialpolitische Ermüdung“ gedämpft worden. 616 Vgl. dazu z. B. Saint Germain, 147 (Brief an Ottilie Friedlaender vom11. Juni 1919); ebd., 245 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 15. Juli1919): „Als einzige Rettung bleibt nur der Sozialismus, das ist aber eineRettung, die alles vernichtet, was uns lieb und teuer war.“; zudem ebd.,262 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 20. Juli 1919). Vgl. aber auch ebd.,80 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 24. 5. 1919), wo sich Klein imZusammenhang mit dem Sozialismus gegen die Reaktion und fürentwicklungsgeschichtliches Denken ausspricht. Interessant ist seineEinschätzung ebd., 298 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 31. Juli 1919),auf lange Sicht dürften die antisozialistischen Länder, die seinerzeit dieFührung hätten, „in der Vorderhand bleiben“. 617 Vgl. Baltzarek Klein, 180 f.; vgl. auch Böhm Grundlagen, 195 sowieHofmeister Klein, 204: Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, vor allemauch zu seinem Lehrer Anton Menger, habe Klein versucht, den Schutz dessozial Schwächeren unter Wahrung der vom Liberalismus geschaffenenfreiheitlich-rechtsstaatlichen Grundrechtsordnung zu bewirken. Vgl. fernerInternationalismus, 596 für den internationalen Geschäftsverkehr. Zu KleinsVorstellungen über die Kartelle vgl. Baltzarek Klein, 176-178; Benedikt Klein,19. Vgl. schließlich Sprung Lebensweg, 51 (Behörden- und Personalverzeichnisder Universität Wien zum Beginn des Wintersemesters 1925/26): Klein warEhrenmitglied der Gremien der Wiener Kaufmannschaft und desniederösterreichischen Gewerbevereins. Interessant ist auch, dass Kleinsich privat gegen eine staatliche Arbeitslosenunterstützung aussprach -vgl. Saint Germain, 224 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 6.Juli 1919).

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Munizipalsozialismus - durch die Christlichsozialen dürfte

daher nur für Zeiten echter Not seine Zustimmung gefunden

haben.618

Zudem verfolgte Klein mit seiner Sozialpolitik die Stützung

vornehmlich des unteren Mittelstands der Gewerbetreibenden,

Bauern und Beamten und kaum der ärmsten

Bevölkerungsschichten.619 Auch dies dürfte durch seine Herkunft

mitbedingt gewesen sein.620 Immerhin war diese Ausrichtung von

Kleins Sozialpolitik deswegen keineswegs abwegig, weil Wiens

ökonomische Struktur zumindest um 1900 trotz des gleichzeitigen

Industrialisierungsschubes dort weiterhin vorrangig vom

Kleingewerbe und den Dienstleistungen geprägt war.621 Was die

Kandidaten und die öffentlich bekennenden Sympathisanten der

BDP betrifft, gab es einen „Überhang zu“ selbständigen Berufen;

Arbeiter, untergeordnete Angestellte, Kleingewerbetreibende

618 Zum „Munizipalsozialismus“ im Wien der Jahrhundertwende vgl. HamannWien, 399-401; Sandgruber Exklusivität, 78. 619 Vgl. Baltzarek Klein, 181. Zu Kleins verhaltener Einstellung zum „Land“ imGegensatz zur Stadt vgl. Saint Germain, 139 (Brief an Ottilie Friedlaendervom 9. Juni 1919); ebd., 156 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 14. Juni1919). Zum österreichischen „Garantismus und Juridismus“, vgl. oben, Fn.362. Über schichtspezifische Einseitigkeiten in der politischen undvornehmlich sozialpolitischen Beurteilung unter reichsdeutschenGelehrtenpolitikern (hier insb. Gustav Schmollers) vgl. vom BruchWissenschaft, 361. 620 Allgemein zu Bildungsbürgertum und Hochschullehrerschaft bzw.Bildungsbürgertum und Universität vgl. vom Bruch Wissenschaft, 424-427(Exkurs I) bzw. Gelehrtenpolitik, 30-35.621 Zu Letzterem vgl. Sandgruber Exklusivität, 75 f. S. auch Ringer Gelehrten,16-18 für die ökonomischen und staatlichen Voraussetzungen des von ihm sog.Mandarinentums - insb. 16 (Es gedeihe auf der Zwischenstufe zwischen derprimär agrarischen Stufe der ökonomischen Organisation und dervollständigen Industrialisierung.), 17 (Politisch begünstige dieallmähliche Wandlung eines im Wesentlichen feudalen Staates in einebürokratisierte Monarchie die Herausbildung einer starken undselbstbewussten Elite von Mandarinen.).

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[und sicher auch Bauern] spielten dort eine unbedeutende

Rolle.622

Allerdings war Klein nicht nur selbst als Minister ohne Scheu

vor öffentlichen Kontakten mit Sozialdemokraten, sondern warb

bereits Anfang 1917 dafür, der Staat solle nach dem Frieden

„dem Arbeiter vorurteilslos und gerecht begegnen. Auch dem

sozialdemokratischen.“623 Und er hatte sich bereits auf dem 27.

Deutschen Juristentag 1904 in Innsbruck für das freie

Koalitionsrecht der Arbeiter als ein Gegengewicht zur Freiheit

des unternehmerischen Zusammenschlusses eingesetzt.624 Überhaupt

war Kleins Stellung in der Wiener Gesellschaft günstig für

seine - auf Ausgleich bedachte - Politik; so hieß es in einem

offenbar nach seinem Tod erschienenen Zeitungsartikel: „Da er

für einen überaus aufgeklärten und freisinnigen Mann galt, aber

zugleich der erklärte Liebling der konservativen Bürokratie

war, so bewies er in seiner Person, daß man in Österreich sehr

622 Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 539. Vgl. außerdem unten, Fn. 698(Honoratiorenpartei). Dass sich die Wahlversammlungen, auf denen Klein als„Spitzenkandidat“ und Spitzenredner auftrat, auf die bürgerlichen BezirkeWiens beschränkten, bemerkt F. Fellner Klein, 185. 623 Vgl. Moral, 633, unter Zitat von Bernhard Fürst von Bülow. Vgl. auch KleinsLob der Sozialdemokratie in Österreich für ihren „Burgfrieden“ - Krieg, 764[„Burgfrieden“ nicht in der Vorlage]. 624 Vgl. Sprung Lebensweg, 38 i. V. m. 37. Vgl. (aber) auch unten, bei Fn.638. Über Gustav Schmollers These der sich gegenseitig ausbalancierendensozialen Klassen vgl. vom Bruch Wissenschaft 361 (Diese übersteigere dierealen Machtmittel und rechtlichen Möglichkeiten der organisiertenArbeiterschaft.). Klein gehörte auch dem seit 1911 bestehenden ständigenArbeitsbeirat im Handelsministerium an - vgl. Sprung Lebensweg, 44; vgl.insb. Fn. 150: Dieser sei „auch berufen ..., Gutachten abzugeben undAnträge zu stellen in allen Angelegenheiten, welche das Arbeitsverhältnis,den Arbeiterschutz, die Arbeiterversicherung und die Arbeiterfürsorgebetreffen.“ Er war zu je einem Drittel aus Unternehmern, Arbeitern undFachleuten zusammengesetzt. - „Akt des ‚Präsidiums des k.k. Handels-Ministeriums’ Prot Z 4646/1911 (erliegend im Österreichischen Staatsarchiv,Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien)“.

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entgegengesetzte Lager vereinigen konnte, wenn man den

richtigen Stil dazu fand.“625

Wie beschrieben, lehnte Klein Revolutionen ab und favorisierte

stattdessen Reformen innerhalb der jeweiligen Staatsform; zudem

betrachtete er es als wichtigste Funktion des von ihm begrüßten

„Parlament[s] des allgemeinen Wahlrechtes“, ein

„Sicherheitsventil für innere gesellschaftliche Spannungen“ zu

sein, ein „Anfang der Heilung für die sozialen Konflikte,

soweit Heilung möglich ist.“626 Insbesondere verwarf Klein den

Sozialdarwinismus.627 Das Ziel, soziale Konflikte -

präventiv/prophylaktisch - zu vermeiden oder jedenfalls -

reaktiv/therapeutisch - zu beheben, verfolgten zur gleichen

Zeit auch die typischen Gelehrtenpolitiker im Deutschen

Reich.628 Dabei dachte Klein allerdings keineswegs statisch oder625 Vgl. Sprung Lebensweg, 14, Fn. 4 (R. Scheu „Von der alten Universität“ inZeitung NN, Datum NN - die Suche nach der Fundstelle sei erfolglosgeblieben).626 Vgl. Sozius, 600.627 Vgl. Kriegsrätsel, 788 - allerdings mit einer seltsamen(Teil-)Begründung: „...die Vorstellung vom Kampfe ums Dasein, die in denGesellschaftswissenschaften landläufig geworden ist, haben dieNaturhistoriker schon lange beiseite gelegt.“; vgl. ferner Philosophie, 678(Die neue Philosophie werde vom schrankenlosen Recht des Herrenmenschen zurMacht und der vorausbestimmten Niedrigkeit der Herdenmenschen abzugehenhaben. Das weise in der Pädagogik auf „Hingabe an die Gesamtheit undMenschlichkeit“ und in der Geschichtsphilosophie auf ein „Zurücktreten vonMacht und Wirtschaft hinter Kultur, Zivilisation und dem ‚ewigen Werte desGuten und Schönen’“ hin, „durchwegs als jedermann zugängliche Gütergedacht.“).628 Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 353-358 („Rotes Kreuz“ oder „Friedensliga“im „socialen Krieg“?) sowie Schmidt Gelehrtenpolitik, 18 (Gelehrtenpolitikerhätten eine Politik des „innerpolitischen Ausgleichs und der Kanalisierungvon sozialen Konflikten“ betrieben.) sowie ebd., 28. Vgl. ferner vom BruchGelehrtenpolitik, 42 (Leitender Gesichtspunkt des Vereins für Socialpolitiksei „die reibungslose Bewältigung von Modernisierungskrisen durchstaatliche Gesetzgebung“ gewesen.). Vgl. schließlich noch vom BruchWissenschaft, 157-164 zum „Sozialismus der Hochschullehrer“, ebd., 294-320zum „Kathedersozialismus“ und ebd., 336-338 zur Sozialpolitik als einemTeilbereich „gouvernementaler“ Gelehrtenpolitik.

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harmoniebesessen, sondern befürwortete ein „Streben, in den

verschiedenen Schichten und Teilen ein gleiches Niveau

herzustellen, das die Gesellschaft in immerwährender Bewegung

hält“, also ein Politik der Balance, des Austarierens.629

Diese bürgerliche, insbesondere „gelehrtenpolitische“

Einstellung verknüpfte sich bei ihm mit einer weiteren: Er

forderte stets eine am „Gemeinwohl“ orientierte - also mehr

oder weniger „überparteiliche“ - Politik.630 (Auch) daher

verfolgte er stets eine „pragmatisch betonte Mittellinie“, wie

dies auch durch Gelehrtenpolitiker im Deutschen Reich

629 Zitat aus Klein „Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse“ von 1901 beiBöhm Grundlagen, 193 (wiederum zitiert nach Erik Wolf).630 Vgl. nur in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4; Ziele, 39; auchKrieg [November 1914], 765 f.: Der Krieg habe das Land von dem „Alpdrucke“des unempfindlichen Egoismus befreit und endlich wieder das ganze Volk eineGemeinschaft „auf Gedeih und Verderb“ werden lassen. Die Einzelnen gingenin der Gesamtheit auf, das soziale Bewusstsein sei, wie es immer seinsollte, an die erste Stelle getreten. [zweites Zitat bereits in der Vorlagein Anführungszeichen]. Vgl. zudem noch Saint Germain, 189 (Brief an OttilieFriedlaender vom 24. Juni 1919) „Was jetzt der Staat ist, das ist ...nichts anderes als eine kleinliche Parteienbalgerei...“; ebd., 275 (Briefan Ottilie Friedlaender vom 24. Juli 1919): Auch die Sozialdemokratenwollten nur ihre Gedanken „wissenschaftlich hergerichtet hören“, um Bildungals Mittel „höheren, mehr objektiven Denkens“ gehe es ihnen hingegen nicht.Dass das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung im (späten) habsburgischenÖsterreich groß war, der Staat sorge für die Wohlfahrt der ganzenBevölkerung, betont Lindström Empire, 12. Für die Gelehrtenpolitiker des„Weimarer Kreises“ vgl. Döring Thesen, 166: Obwohl diese eine Mitgliedschaftin einer politischen Partei für „unvereinbar mit der gelehrtenpolitischenAusstrahlung eines Hochschullehrers“ gehalten hätten, „gehörten sieüberwiegend der DDP [der Schwesterpartei der BDP - vgl. unten, Fn. 698] an.Sie hielten diese für eine Ausnahme unter den modernen Massenparteien undsahen in ihr ein ähnlich idealistisches Politikverständnis wie bei sichselbst vertreten, das keinem engen Gruppeninteresse diene, sondernWeltanschauung und Staatsgesinnung über ökonomische und soziale Interessenstelle.“. Vgl. auch vom Bruch Wissenschaft, 361, der Gustav SchmollersÜberschätzung der neutralen Funktion von Beamtenschaft, sozialpolitischengagierter Intelligenz und öffentlichen Mandatsträgern konstatiert. Aucheine ausgleichende und korrigierende Funktion der gebildeten öffentlichenMeinung lasse sich für das Wilhelminische Deutschland nicht nachweisen.

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geschah.631 Insbesondere sollten sich seiner Meinung nach „die

bürgerliche und die soziale Wahrheit zum Wohle des Ganzen

vereinigen“.632 Dabei versuchte er, einen starken Mittelstand

als unabdingbare Voraussetzung eines funktionierenden Staates

zu propagieren: Dort begegneten und bänden sich Kapital und

Arbeit. Kein Gemeinwesen könne ohne solche ausgleichenden

Übergangsschichten bestehen. Der Mittelstand sei zudem eine

„unersetzliche Durchgangsstelle der aufsteigenden

Klassenbewegung“.633

631 Zitat: Hofmeister Klein, 215. Vgl. auch Benedikt Klein, 19: Immer habe KleinMontesquieus Anschauung befolgt, die Mäßigung regiere die Welt, nicht derExzess. Zur Situation im Deutschen Reich vgl. vom Bruch Wissenschaft, 388(In der späten Bismarckzeit [s. 387] hätten Jungakademiker [derGeschichtswissenschaft - s. 364/Überschrift] eine „über Reform verankertePolitik der ‚mittleren Linie’“, die Stabilisierung einer Regierung über denParteien angestrebt.); Schmidt Gelehrtenpolitik, 28 („Ideologie der Mitte“).632 Vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 6; vgl. auchStabilisierung, 721.Vgl. des Weiteren Saint Germain, 229 (Brief an OttilieFriedlaender vom 8. Juli 1919), wo er klagt, aus der Sozialpolitik sei inÖsterreich 1919 eine Proletariatsdiktatur geworden. Vgl. ferner HawlikParteien, Teil 2, 496 unter Hinweis auch darauf, dass das „Bürgerlich“ imNamen der Partei von deren Gründern nicht als Klassenbezeichnung, sondernals Inbegriff der Volksgesamtheit verstanden worden sei. Zu Recht bemerktHawlik ebd., die Sorge um das Gemeinwohl sei, angesichts der von denGroßparteien verfolgten Interessen, zur [bloß negativ definierten]„Sammelbeckenideologie“ für all jene geworden, die sich den Blöcken nichtzugehörig gefühlt hätten, mithin zu einem Überbau der partikularenInteressen der Parteimitglieder. [Anführungszeichen in der Vorlage]. ZurTradition der Förderung des Gemeinwohls im Habsburger-Reich vgl. oben, Fn.362 (Knoll).633 Vgl. Mittelstandssorgen, 843. Kleins Sorgen um die Existenz desBürgertums, dem er sich selbst zurechnete, kommen zum Ausdruck in SaintGermain, 190 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 25. Juni 1919): Es findeein Kampf zwischen Bauern und Arbeitern statt, und „das allerdingsselbstschuldige Bürgertum verschwindet. Samt seiner Kultur. Wer dasaushalten kann!“ sowie ebd., 298 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 31.Juli 1919); vgl. ferner in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 6: Das„seit langem immer mehr und mehr sinkende und immer mehr sich verlierendeBürgertum“ solle gehoben und wieder erweckt werden. Vgl. noch F. Fellner Klein,189: Kleins Denken sei durch eine „seltsame Widersprüchlichkeit“gekennzeichnet, wie sie in seinen Briefen sichtbar werde: „Deraufgeschlossenen Reformbereitschaft, mit der Klein als Jurist dieModernisierung des Rechtssystems vorangetrieben hat, steht eine fastengstirnig anmutende Ablehnung und Abwertung der realen politischen und

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In diesem Sinne besagte der fünfte der (ausschließlich) von

Klein unterzeichneten sechs „Leitsätze der Bürgerlich-

demokratischen Partei“ vom Januar 1919 : „Wir wollen ein

Staatswesen, das politisch, wirtschaftlich und sozial gerecht

die Klassen- und Parteigegensätze tunlichst mildert, um alle

Volkskraft für fruchtbare Zwecke der Gesamtheit zu

verwenden.“634 Und „Die 14 Punkte der Bürgerlich-demokratischen

Partei“ vom darauf folgenden Monat enthielten folgende

vorwiegend sozial- bzw. wirtschaftspolitischen Ziele:

„3. Wir fordern die Teilnahme aller Stände an der Leitung der

staatlichen Geschicke und verwerfen darum K l a s s e n h e r

r s c h a f t wie K l a s s e n k a m p f. Die

V e r w a l t u n g darf nicht bürokratisch bleiben, sondern

muß auf der tätigen Mitarbeit des ganzen Volkes gegründet

werden.

...

8. Wir fordern eine soziale Steuerpolitik, die nicht den

Mittelstand erdrückt, sondern die K r i e g s l a s t e n in

Stadt und Land vor allem von jenen tragen läßt, die aus dem

Krieg Vorteil gezogen haben. Die Steuerpolitik soll u n g e s

gesellschaftlichen Veränderungen, die sich um ihn vollziehen, gegenüber.“Dies erscheint nicht plausibel: Denn die beiden von Fellner in Bezuggenommenen Re-/Aktionen Kleins fanden zu gänzlich unterschiedlichen Zeitenin politisch-gesellschaftlich gänzlich verschiedenen Situationen statt. 634 Vgl. bei Stern Stolper, 497 sowie bei Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 67(hier als Sonderabdruck, Die Zeit vom 10. Januar 1919): Leitsätze derBürgerlich-demokratischen Partei, unterzeichnet von „Dr. Franz Klein,Minister a. D.“ (jeweils Fotokopie). Klein hatte bereits den ersten Aufrufder Partei verfasst - vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 524 (Fn. 64: „Zeit 4.12. 1918 p. 1“) - zum Urteil Fritz Fellners darüber vgl. oben, bei Fn. 573.

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u n d e E i n k o m- m e n- u n d B e s i t z v e r s c h i

e d e n h e i t ausgleichen.

...

10. Wir fordern eine durchgreifende Besserstellung der S t a a

t s a n g e s t e l l -

t e n, deren Bezüge so geregelt werden müssen, daß sie frei

von materiellen Sorgen sich erhöhten Anforderungen des Dienstes

widmen können; die Staatsangestellten müssen gegen p a r t e i

p o l i t i s c h e A b h ä n g i g k e i t gesichert werden.

11. Wir fordern den Schutz jedes w o h l e r w o r b e n e n

E i g e n t u m s, vor allem die Sicherung der K r i e g s a n

l e i h e durch eine allgemeine Vermögensabgabe. Niemand darf

durch seine finanzielle Pflichterfüllung gegen den Staat zu

Schaden kommen.

12. Wir fordern Schutz g e g e n A u s b e u t u n g aller

Art. Wir fordern daher insbesondere den internationalen A c h

t s t u n d e n t a g für Arbeiter [sic - nicht gesperrt

gedruckt] und A n g e s t e l l t e , Ausbau der s o z i a l

e n V e r s i c h e -

r u n g, A r b e i t s l o s e n f ü r s o r g e , Behebung

des Wohnungselends durch städtische Bodenreform und

Bautätigkeit, vor allem Fürsorge für die leibliche und

sittliche Gesundheit der K i n d e r unseres Volkes.

13. Wir fordern die Verallgemeinerung der V o l k s b i l d u

n g, verbesserte F a c h- b i l d u n g für städtische und

ländliche Erwerbsstände und Beseitigung des B i l -

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d u n g s p r i v i l e g s der Besitzenden. Die Schule muß

frei sein von politischen und kirchlichen Einflüssen, der L e

h r e r, dem wir die Erziehung unserer Kinder anvertrauen,

bewahrt sein vor w i r t s c h a f t l i c h e r S o r g e.“635

Dass Kleins Zivilprozessreform sozialpolitisch geprägt war,

wurde bereits betont.636 Auch hier zeigte sich sein Streben nach

Linderung sozialer Kämpfe.637 Besonders prägnant kam dies in

seiner Rede bei der Gründung der Allgemeinen Anti-Duell-Liga

für Österreich 1902 zum Ausdruck: „Streit und Zwiespalt gab es

zu aller Zeit in der Welt, aber in den Formen seiner [sic]

Schlichtung überwiegt abwechselnd: ich möchte sagen, das Kampf-

und das Friedenselement. Übersatt des Kampfes, von dem man sich

moralische Läuterung erhofft hat, während er häufig nur

Verwüstung und Trostlosigkeit brachte, taucht in der neueren635 Vgl. bei Stern Stolper, 496 sowie bei Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 68 (hierin Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom 12. Februar 1919, S. 3[?]) (jeweilsFotokopie) [Sperrdruck in den Vorlagen]. Zur BDP eingehend: Hawlik Parteien,Teil 2, 488-572, insb. 488-493 (zur Entstehung), 494-509 (zu Ideologie undProgrammatik), 510-520 (zur Organisation), 521-536 (zu den führendenPersönlichkeiten und ihrer Stellung innerhalb der Partei), 537-541 (zurSozialstruktur), 542-557 (zu den Beziehungen zu anderen Parteien), 558-561(zur Kandidatenauslese), 562-566 (zur Wahlpropaganda), 567-572 (zumWahlausgang und den Konsequenzen) sowie Stern Stolper, 172-220, insb. 176-187 (zu den programmatischen Ausführungen Gustav Stolpers), 188-193 (zurBeschaffung der Parteigelder), 194-197 (zum Wahlkampf), 198-206 (zu den diePartei unterstützenden Gruppen), 207-212 (zu Aufbau und Organisation), 213-220 (zum Wahlergebnis, Analyse der Niederlage).636 Zu den sozialpolitischen Grundgedanken der Exekutionsordnung Kleins vgl.Rechberger Klein Exekutionsrecht, 127-129; auch Bolla-Kotek Prozess, 422 f.(Mit ihr habe Klein die Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz desSchuldners angestrebt.).637 S. dazu auch Kleins Wirken für die Friedensgerichtsbarkeit - vgl. MayrKlein Friedensgerichtsbarkeit, 135-155. Vgl. zudem Foregger Klein, 218: Es seiwohl kein Zufall gewesen, dass in der Amtszeit Kleins als Justizminister1907 das Gesetz über die Gemeindevermittlungsämter geschaffen worden sei,welche auch die Aufgabe gehabt hätten, Ehrenbeleidigungsstreitigkeitenschieds- und friedensrichterlich beizulegen.

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Zeit das Friedenselement wieder mehr empor. Nur zwei Beispiele

aus weit auseinanderliegenden Lebensgebieten: im Ringen um die

Arbeitsbedingungen der Kollektivvertrag und die Einigungsämter

und Ausschüsse, in den internationalen Beziehungen das aus der

Haager Konferenz hervorgegangene Schiedsgericht. Das Institut

des [zur Verhinderung von Duellen eingerichteten] Ehrenrates

ist vom selben Stamm.“ 638

Damit setzte er der ungemein einflussreichen, 1872 ausgerechnet

in Wien erstmals geäußerten und mit einer Spitze gegen die

Österreicher versehenen Auffassung Rudolf von Jherings, der

„Kampf ums Recht“ sei eine Pflicht des Berechtigten gegen sich

selbst und gegen das Gemeinwesen, ein konträres Konzept

entgegen.639

638 In Vorstand der Allgemeinen Anti-Duell-Liga für Österreich Bericht, 91. Vgl. auchKlein, „Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse“, 28 zitiert bei Bolla-KotekProzess: „Jeder gut durchgeführte und richtig entschiedene Prozeß ist einTriumph des Rechts; aber für Staat und Gesellschaft, für Politik,Volkswohlstand, ethische Kultur und Menschenliebe ist doch ein ohne Zwang undReibung loyal erfülltes Rechtsgeschäft unendlich mehr Gewinn als hundert tadelloseProzesse!“ [Kursivdruck in der Vorlage]. Vgl. ferner Moral [März-April1917], 635: Von dem „Götzen Gewalt“ kehrten sich nun viele „in Grauen undÜberdruß“ ab, die ihm vor dem Krieg „feurig gehuldigt“ hätten. 639 Zu von Jherings Auffassung vgl. von Jhering Kampf, 17-36, insb. 17, 24sowie Bolla-Kotek Prozess, 418 f. Zum Einfluss dieses Werkes vgl. von JheringKampf, 3 [Vorbemerkung] (Eine weitere Verbreitung als von Jherings „DerKampf ums Recht“ habe kein Werk der Rechtsliteratur in neuerer Zeitgefunden.); Bolla-Kotek Prozess, 418 („Der Kampf ums Recht“ dürfte heute dieam weitesten verbreitete Fachschrift eines Rechtsgelehrten sein. Bereits umdie Jahrhundertwende sei diese Schrift in fast alle europäischen Sprachenund ins Japanische übersetzt worden.). Der der Schrift zugrunde liegendeVortrag des seinerzeit in Wien lehrenden von Jhering im Frühling 1872 warauf Einladung der Wiener Juristischen Gesellschaft erfolgt - vgl. Bolla-KotekProzess, 418. Über die Spitze gegen die Österreicher s. Bolla-Kotek Prozess,419. Dass Klein mit Jhering allerdings in seiner Auffassung von derNotwendigkeit der soziologischen Sinndeutung der Rechtspflegeübereinstimmte, hebt Böhm Grundlagen, 193 f., hervor.

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Kleins Hauptaugenmerk bei der Reform lag auf der Schnelligkeit

des Verfahrens und damit auch auf der Senkung von dessen Kosten

sowie auf der trotz dessen wirksamen und wahrheitsgemäßen

Sachverhaltsermittlung.640 Er schwächte die liberalen

Prozessgrundsätze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit gegenüber

der reichsdeutschen Zivilprozessordnung von 1877 auf „ein

praktisch vertretbares Maß“ ab und verband

Beibringungsgrundsatz und Verhandlungsmaxime mit Elementen des

Amtsbetriebs und der Inquisitionsmaxime, indem er insbesondere

die richterliche Prozessleitungspflicht im Interesse der

wirtschaftlich schwächeren Partei stärkte.641 Bereits die von

ihm angestrebte Verkürzung der Verfahren entsprach seiner Sicht

des Prozesses als eines „sozialen Übels“, und in letzterem

Sinne verankerte er nicht nur die Wahrheitspflicht der Parteien

640 Vgl. Kralik Verwirklichung, 89. Zur ökonomischen Deutung desZivilprozesses als eines arbeitsteiligen Verfahrens „unter der zentralenAnforderung von Zeit, Kosten und Arbeitskraft“ durch Emil Steinbach und zurÜbernahme dieses Konzeptes durch Klein vgl. Böhm Grundlagen, 196. 641 Vgl. Hofmeister/Neumair Artikel, 350 - vgl. auch ebd.: Auf diese Weise habeKlein den um die Jahrhundertwende herrschenden Denkweisen (Prozess alsMassenerscheinung; Sozialfunktion auch des Zivilprozesses) besser gerechtwerden können als durch Verfolgung eines rein liberalenProzessrechtsdenkens wie etwa desjenigen von Adolf Wach. ZurVerfahrensschnelligkeit in Kleins Reform vgl. Kralik Verwirklichung, 90 f.,94 f., zur Sachverhaltsermittlung vgl. ebd., 91-93; zur Mündlichkeit undUnmittelbarkeit vgl. ebd., 93 f. Vgl. ferner Benedikt Klein, 11-19; van RheeLitigation, 308-313. Sehr aufschlussreich ist im Zusammenhang mit derEinführung des Untersuchungsgrundsatzes (d. h. der Inquisitionsmaxime)Kleins bei Böhm Grundlagen, 199 f. zitiertes Diktum: Die„Wahrheitsbeurteilung im Prozesse“ sei „tatsächlich zu jeder Zeit derAbglanz der höchsten Geistesstufe eines Volkes“ (Zitat aus „Zeit- undGeistesströmungen im Prozesse“, 13 f. - vgl. ebd., 200, Fn. 31). Dass Kleinbei seiner Reform nicht nur das „Gemeinwohl“, sondern auch den Schutzindividueller Rechtsgüter im Auge hatte, hebt Bolla-Kotek Prozess, 421 (unternicht nachgewiesenem Zitat Kleins) hervor. Zur Verwurzelung der Macht desRichters im Zivilverfahren in der österreichischen Rechtstradition s. BöhmGrundlagen, 200.

192

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im Gesetz, sondern legte sogar größten Wert auf deren

„gegenseitige Unterstützung“.642

Klein nahm, „frei von jedem Dogmatismus und Maximenkult“, eine

Synthese von Prozessgrundsätzen vor.643 Er ging dabei nach

eigener Aussage „nicht in kahl dialektischer Weise, sondern in

historischer Beleuchtung, rechtsvergleichend“ unter

„Zuhilfenahme der Statistik“ vor.644

Kleins größtes persönliches Anliegen innerhalb der

Sozialpolitik war die Jugendfürsorge. Er selbst bezeichnete

sich auf dem 1. österreichischen Kinderschutzkongress 1907 als

begeisterten Anhänger des Kinder- und Jugendschutzes und

forderte den Schutz der Kinder auch gegen einen Missbrauch der

elterlichen Rechte.645 Außerdem führte er ganz im Sinne des

Resozialisierungsgedankens aus, Verurteilung und Bestrafung

eines Jugendlichen seien nicht der Weisheit letzter Schluss.646

642 Zum Zusammenhang von mehr oder weniger starker Friedensstörung durch denProzess und dessen Länge bzw. Kürze vgl. Bolla-Kotek Prozess, 420. ZurWahrheitspflicht und gegenseitigen Unterstützung: Kralik Verwirklichung, 91bzw. 92 (Zitat von Klein). 643 Vgl. Böhm Klein, 240 (Zitat); Bolla-Kotek Prozess, 420 f.; Schey Nekrolog,182; vgl. auch Kralik Verwirklichung, 89 (Klein sei an der Lösung von Fragender Prozessdogmatik, die auch damals schon in der Wissenschaft eingehenderörtert worden seien, wenig gelegen gewesen, manchmal sei er diesengeradezu ausgewichen.).644 Vgl. Benedikt Klein, 9 f. (Zitat Kleins aus „Sind wir bereit?Betrachtungen über Probleme der Zivilprozeßreform“). Wobei Klein den(juristischen) Historismus ablehnte - vgl. Schima Artikel NDB, 739, ArtikelÖBL, 379.645 Vgl. Rede Kinderschutzkongreß (Bericht der Neuen Freien Presse), 496 -vgl. auch ebd.: Das Verständnis für das Eigenwesen der sich entfaltendenjungen Menschenseele erwache. Ellen Keys einflussreiches Werk „DasJahrhundert des Kindes“ war 1900 erschienen und 1902 auf Deutsch publiziertworden. Vgl. auch Hofmeister Klein, 209 f. sowie Sprung Lebensweg, 36. 646 Vgl. Rede Kinderschutzkongreß (Bericht der Neuen Freien Presse) 497;vgl. auch Foregger Klein, 227: Kleins Tendenz im Strafvollzugsrechtallgemein sei die Betonung erzieherischer Beeinflussung, insbesondere durch

193

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Hier kündigte er auch eine Erhöhung der Strafmündigkeitsgrenze

- sie lag seinerzeit bei nur 7 Jahren - und neue materielle

strafrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Kinder und

Jugendlichen sowie eine Beschränkung der Öffentlichkeit bei

Strafverhandlungen gegen diese an.647

Rückblickend auf seine erste Zeit im Justizministerium,

bewertete er denn auch die Schaffung der Grundlagen der

Jugendfürsorge als noch bedeutender als die Zivilprozessreform.

Die Mitarbeiter des Ministeriums hätten jene „damals in dem

großen Begeisterungsrausch ohne Gesetz, ohne Verordnung“

gelegt, „indem wir durch die Gerichte den Zustand herstellten,

wie er sich kaum durch eine Gesetzgebung in der Praxis

verwirklichen läßt.“ 648 In der Tat hatte Klein ohne gesetzliche

Grundlage die Institution des Jugendrichters eingeführt,

sinnvolle Arbeiten, und im Jugendstrafrecht der Vorrang derDeliktsvermeidung vor repressiven Maßnahmen gewesen.647 Vgl. Rede Kinderschutzkongreß (Bericht der Neuen Freien Presse) 498 f.Das von ihm 1907 vorgelegte Gesetz betreffend die strafrechtlicheBehandlung und den strafrechtlichen Schutz Jugendlicher wurde jedoch nichtverabschiedet - vgl. Benedikt Klein, 22. Zum nicht in Kraft getretenenEntwurf eines ersten Jugendgerichtsgesetzes von 1907 vgl. Foregger Klein,223 f.: Die Strafmündigkeit sollte danach erst ab dem 14. Lebensjahrbeginnen - die alte Grenze von 7 Jahren galt in Österreich bzw. derRepublik Österreich dann noch bis 1928, als ein Jugendgerichtsgesetzerlassen wurde. Der Entwurf sah ferner vor: die Einführung eines„besonderen Entschuldigungsgrundes“ der „problematischen Reife“, desStrafersatzes der „Ermahnung“, einer Schutzaufsicht - der Vorläuferin derBewährungshilfe -, einer bedingten Entlassung nach Verbüßung von zweiDritteln der Strafe (mindestens aber von drei Monaten), einerRehabilitation vor allem durch Tilgung von Verurteilungen, desausnahmslosen Ausschlusses der Öffentlichkeit und der heute unter dem Namender Jugendgerichtshilfe bekannten Einrichtung sowie die Abschaffung vonStrafverfügungen und Abwesenheitsurteilen gegen Jugendliche.648 Vgl. Sprung Lebensweg, 43 f. (Erwiderung Kleins auf die Festrede desSektionschefs im Justizministerium Dr. Ritter von Schauer an seinem 60.Geburtstag am 14. 4. 1914 - s. ebd., 42).

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Waisenräte geschaffen und die Fürsorgeerziehung gefördert.649

Ja, er hatte gar die Beteiligung der Richter an den

Waisenräten, an Jugendschutz und Armenwesen angeregt, was ihm

aus Reihen der Ersteren Kritik einbrachte.650

Schon mit Verordnung vom 23. 5. 1905 über den Rechtsschutz der

Unmündigen und Jugendlichen im gerichtlichen Strafverfahren war

eine umfangreiche Regelung des Jugendstrafverfahrens getroffen

worden, welche u. a. die Rechte der gesetzlichen Vertreter,

insbesondere dasjenige auf Akteneinsicht, festlegte, für den

Fall von deren Verhinderung oder Ausschließung die Bestellung

eines Kurators anordnete, die Zuweisung eines Verteidigers auch

im bezirksgerichtlichen Verfahren für obligat erklärte und die

Untersuchungshaft Jugendlicher beschränkte.651 Vier Monate

später wurden durch die außerordentlich umfangreiche Verordnung

vom 30. 9. 1905 über den Strafvollzug an Unmündigen und

Jugendlichen eigene Jugendabteilungen in allen

Vollzugsanstalten geschaffen - solche hatten bis dahin nur in

vier österreichischen Städten existiert -, die Trennung der

„unverdorbenen“ jungen Menschen von den „verderbten“ und der

Einsatz nur der besten Beamten dort verfügt; zudem wurden

stumpfsinnige Arbeiten verboten sowie ideelle und materielle

Hilfen in der Zeit nach der Entlassung eingeführt.652 Am 21. 10.

1908 dann folgte die Verordnung über das Strafverfahren gegen

Jugendliche, welche u. a. die Konzentration dieser Verfahren

649 Vgl. Benedikt Klein, 22. Zum Anteil Kleins an all diesen Maßnahmen vgl.Foregger Klein, 228: Die massive Hinwendung des Justizministeriums zumStrafrecht und zum Jugendstrafrecht während Kleins erster Amtszeit tragedeutlich dessen Züge. 650 Vgl. Reindl Klein, 86.651 Vgl. Foregger Klein, 221 f.652 Vgl. Foregger Klein, 222.

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bei bestimmten Richtern und die strikte Trennung von den

Strafsachen gegen Erwachsene vorschrieb.653

Klein kümmerte sich jedoch nicht nur um den strafrechtlichen

Aspekt des Jugendschutzes - d. h. um die Verbesserung der Lage

minderjähriger Täter und um den durch Straftatbestände zu

bewirkenden Schutz Minderjähriger vor Straftaten -, sondern

auch um dessen weitere Felder. So verlangte er, das

„sozialpolitische Institut“ der vormunds- und

pflegschaftsbehördliche Fürsorge habe mit allen Zweigen der

Justiz, mit Polizei und Verwaltung, freiwilligen

Hilfsorganisationen u. a. zusammenzuarbeiten, wobei die

Jugendfürsorge einen besonderen Verwaltungszweig bilden

solle.654

Ein anderer Schwerpunkt von Kleins Sozialpolitik lag auf dem

Gebiet des Bau- und Wohnungswesens. Die Wohnverhältnisse im

Wien der ausgehenden Habsburgerzeit waren sehr schlecht,

schlechter noch als im Berlin dieser Epoche.655 Klein machte

sich auf dem 9. Internationalen Wohnungskongress in Wien 1910

stark für eine Abhilfe „gegen das Wohnungselend in den ärmeren

Volksschichten“, die „trostlosen, oft geradezu

menschenunwürdigen Wohnverhältnissen“ ausgesetzt seien.656 Bei653 Vgl. Foregger Klein, 222. Vgl. ferner ebd., 223 über dieMinisterialerlasse vom 15. 3. 1905 bzw. 1. 2. 1907: Darin sei dieEmpfehlung ausgesprochen worden, in Fällen falscher Zeugenaussagen vonJugendlichen die Möglichkeit einer Erledigung nach § 2 des Strafgesetzes(„Gründe, die den bösen Vorsatz ausschließen“) vorzusehen [sic], bzw. einHinwirken auf Vermeidung falscher Zeugenaussagen durch Jugendlichevorgeschrieben worden.654 Vgl. Hälfte, 501 bzw. 503.655 Vgl. Hamann Wien, 202-206; Le Rider Ende, 26; Sandgruber Exklusivität, 77(hier auch der Vergleich mit Berlin).656 Vgl. Begrüßungsansprache Wohnungskongreß, 541.

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der Schaffung neuer Wohnungen für diese Menschen sei die „Trias

Gesundheit, Zweckmäßigkeit und Billigkeit unter tunlichstem

Bedacht auf das ästhetische Moment“ zu berücksichtigen, und

auch Selbsthilfe solle gefördert werden.657

Im selben Jahr wirkte er auch im Herrenhaus in diese Richtung,

wo er „das Gesetz vom 26. April 1912 betreffend das Baurecht

zustande brachte“, das Bodenspekulation hemmen, den Bau von

Kleinwohnungen erleichtern und die Mieten senken und

stabilisieren sollte.658 Er war zudem Vorsitzender der

Zentralstelle für Wohnungsreform sowie Mitglied des Kuratoriums

der Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläums-Stiftung für Volkswohnungen

[und Wohlfahrtseinrichtungen].659 Trotz seiner besonderen

Betonung der Wohnungsverhältnisse der Ärmsten auf dem genannten

Kongress war das Baurecht gemäß Herbert Hofmeister für Klein

vor allem ein Instrument der Mittelstandspolitik.660

Jedenfalls war Mittelstandspolitik ein weiterer Schwerpunkt

seiner Sozialpolitik.661 So schlug er 1904 zum Zwecke der

657 Vgl. Begrüßungsansprache Wohnungskongreß, 543 f.658 1910: vgl. Rede Generaldebatte, 513-521. 1912: vgl. Benedikt Klein, 22 f.659 Vgl. Benedikt Klein, 22 bzw. Sprung Lebensweg, 51 f. (Eintrag im Behörden-und Personalverzeichnis der Universität Wien zum Beginn des Wintersemesters1925/26). 660 Vgl. Hofmeister Klein, 206 - wobei er unter „Mittelstandspolitik“ offenbarweniger die Förderung von Bauunternehmen, also auch Konjunkturpolitik,versteht als vielmehr den Bau guter Wohnungen für „Mittelständler“. ZuKleins Wohnungspolitik vgl. auch noch Baltzarek Klein, 179.661 Vgl. auch Hofmeister Klein, 207. Gegen die „Zügellosigkeit des Kapitals“sprach sich Klein bereits 1910 aus - vgl. Internationalismus, 595. Dass ervor allem nach dem Ersten Weltkrieg kein Freund des „Großkapitals“ war, istaus Saint Germain, 233 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 10. Juli 1919),260 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 20. Juli 1919) ersichtlich - vgl.auch ebd., 212 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 2. Juli 1919) („...dieFinanzleute, an denen ich den berufsmäßigen Kapitalismus hassen lerne...“)sowie 309 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 4. August 1919).

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Entschuldung landwirtschaftlicher Betriebe den staatlich

geförderten Ausbau des genossenschaftlichen Agrarkredites

vor.662 Und er sprach sich für die gesetzliche Festlegung eines

Mindestlohnes für Angestellte, für deren Koalitionsrecht und

für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch für solche

Angestellte aus, deren Dienstverhältnisse in größeren Gruppen

überwiegend gleichmäßig geordnet waren.663 Des Weiteren trat

1910 Kleins Entwurf eines Handlungsgehilfengesetzes in Kraft,

welches zusammen mit dem 1906 erlassenen

Altersversicherungsgesetz der Angestellten international,

„führend“ war, „teilweise sogar gegenüber dem Deutschen

Reich“.664

Und 1922 setzte sich Klein auch in eigener Sache für „geistige,

künstlerische und technische Kräfte“ ein, insbesondere für eine

Festsetzung des Wertes der österreichischen Währung, welche

nicht dazu führen würde, dass sich diese „im Kampf um ihre

Existenz aufreiben“ müssten.665 Der beabsichtige

Währungsstabilisierungskurs käme einer Enteignung gleich, so

dass das Mindeste eine angemessene Entschädigung wäre.666 In662 Vgl. Entschuldungsfrage, 164; Hofmeister Klein, 205.663 Vgl. Benedikt Klein, 23 - vgl. insb. ebd.: Dabei habe er den Mindestlohnals beste Maßregel gegen gewaltsame Erzwingung der Forderungen derAngestellten angepriesen. 664 Vgl. Hofmeister Klein, 206 f. Den Gesetzgeber sah Klein auch an eineplanmäßige Fürsorge „für den letzten Lebensabschnitt“ gebunden - vgl.Stabilisierung, 723. 665 Vgl. Stabilisierung, 722 f.666 Vgl. Stabilisierung, 723. Zum - sozial geleiteten - volkswirtschaftlichenDenken Kleins s. Streissler Denken, 67-74. Vgl. auch Hübinger Gelehrte, 236 (DerZeitpunkt der Erörterungen der „Not der geistigen Arbeiter“, in denen AlfredWeber sich stark engagiert habe, mache den strukturellen Wandel vom altengelehrtenpolitischen zum neuen intellektuellen Selbstverständnis besonderssinnfällig. Hieran fällt auf, dass Hübinger plötzlich Gelehrtenpolitik undbewusste Intellektualität doch als gesonderte Erscheinungen begreift. DasGleiche gilt für die Passage ebd., 236 f.: Die Rolle des Generalkritikers

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einigen seiner Briefe aus Saint-Germain reflektierte er denn

auch über den Bedeutungsverlust der „Intellektuellen“.667

Aber auch auf anderen Feldern der Sozialpolitik war Klein

aktiv. Genannt werden sollen hier nur noch das Eherecht, die

Besserstellung der Frauen überhaupt sowie das

Erwachsenenstrafrecht und dort besonders sein - freilich

zumindest zunächst vergeblicher - Einsatz für eine nur noch

fakultative Androhung der Todesstrafe sowie für eine besonders

großzügige Amnestie aus Anlass der Thronbesteigung Karls I.668

und Vordenkers des Zeitgeistes hätten die Gelehrten-Intellektuellen mehr undmehr abgegeben, ihre Präsenz auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt seijetzt weniger Ausdruck eines „gelehrtenpolitischen Gruppenbewußtseins“ alsZeichen individuellen Engagements - sowie für seine Feststellung ebd., 237f.: Max Weber habe ein wichtiges Element des alten gelehrtenpolitischenTypus - nämlich die „Verantwortung vor der Geschichte“ - in die Zeit nach1918 gerettet.).667 Vgl. Saint Germain, 256 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 18. Juli1919): „...und ein Intellektueller, der sonst nichts ist, hat nun überhauptkeine Existenzfähigkeit.“; ebd., 280 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 26.Juli 1919): „Der Intellektuelle zahlt die Zeche.“ Vgl. noch CharleVordenker, 205 f.: Die Reflexion über die eigene Rolle sei einer der dreiBestandteile des deutschen und des französischen Begriffs desIntellektuellen. 668 Zu Kleins Erwachsenenstrafrechtspolitik vgl. Benedikt Klein, 20-22;Foregger Klein, 219-221 (Entwurf eines Strafgesetzbuches - dazu Klein selbstLebensskizze, XVI: „Aus diesen Beratungen ging der vor dem Kriege imHerrenhause beschlossene Strafgesetzentwurf hervor. Die Arbeit dazu war beiKleins Rücktritt zur schwereren Hälfte bereits getan.“), 224 (Hausordnungenfür die gerichtlichen Gefangenenhäuser, welche mit die Keimzelle desheutigen Strafvollzugsgesetzes gewesen seien), 226 (Klein 1917/18 imHerrenhaus Berichterstatter über das Gesetz über die Entschädigungungerechtfertigt verurteilter Personen). Zu Kleins Forderung nach nur nochfakultativer Androhung der Todesstrafe vgl. Foregger Klein, 220. ZurAmnestie vgl. Klein Lebensskizze, XVI: „Sein letztes Amt war die Vorbereitungder Amnestie aus Anlaß der Thronbesteigung, die er großzügiger geplanthatte, als sie schließlich ausging.“ Zum Eherecht vgl. Punkt 14 der „14Punkte der Bürgerlich-Demokratischen Partei“: „Wir fordern ... eine Reformdes E h e r e c h t e s nach dem Muster aller fortgeschrittenen Staaten.“- vgl. bei Stern Stolper, 496 sowie bei Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 68 (hierin Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom 12. Februar 1919, S. 3[?]) (jeweilsFotokopie) [Sperrdruck in der Vorlage]; bereits 1905 hatte sich Klein fürein „modernes“ Eherecht ausgesprochen, dessen Realisierung zu diesemZeitpunkt allerdings auf Grund der katholisch geprägten Ansichten der

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b. Mittel und Wirkung

Da Klein politisch vor allem als verhältnismäßig ungebundener

Mitarbeiter im Justizministerium - er scheint in seiner Politik

weitgehend freie Hand gehabt und im Justizministerium die alle

wichtige Vorhaben prägende Kraft gewesen zu sein - und als

führender Parteipolitiker in der BDP sowie als freier

Schriftsteller hervortrat, konnte er den rechtspositivistischen

Ansatz der Neutralität der Gerichte und der Verwaltung für

seine politische Tätigkeit weitgehend ignorieren und als

Gestalter fungieren.669 Er war auch entgegen der von Fritz

Fellner in der Einleitung dieser Arbeit zitierten Einschätzung

zwar durchaus ein typischer Vertreter des Bürgertums, als er

sich im Grunde überparteilich wähnte, aber keineswegs ein

Freund der Bürokratie. Dies erhellt glaubhaft aus mehrfachen

Äußerungen Kleins.670 So urteilte denn auch Rainer Sprung, Klein

habe die Pedanterie, den Hochmut und die ängstliche

Umständlichkeit der Beamten gehasst.671

Mehrheit der Bevölkerung für aussichtslos erklärt: vgl. Weg, 393-395; vgl.auch noch in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 6 (Das „Eigenwesen derFrau“ solle sich auch in der Politik ausprägen.) sowie Sprung Lebensweg, 44(Namens des Bundes österreichischer Frauenvereine sei Klein an seinem 60.Geburtstag eine Gratulations-Adresse überreicht worden.). 669 Zu Kleins Stellung im Justizministerium vgl. Foregger Klein, 228: Dessenspezifische Ausrichtung unter jenem als Leiter indiziere Kleins Rolle alsIdeenspender und Initiator in sehr vielen Belangen, und alle wichtigenPunkte seien wohl nicht nur mit, sondern zu einem großen Teil durch Kleingeregelt worden.670 Vgl. Saint Germain, 109 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 2. Juni1919), auch ebd., 146 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919),216 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 4. Juli 1919) sowie 265 (Brief anOttilie Friedlaender vom 21. Juli 1919): „Die Beamten stumpf undgleichgültig, kühl wie immer. Eine Gesellschaft mit Wasser in den Adern...“Vgl. auch Kleins Brief vom 19. Juli 1895 an Ottilie Friedlaender bei BenediktKlein, 16.671 Vgl. Sprung Lebensweg, 26 f. In den „14 Punkten der Bürgerlich-Demokratischen Partei“ fand sich denn auch unter Punkt 3.: „Die V e r w al t u n g darf nicht bürokratisch bleiben, sondern muß auf der tätigen

200

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Seinem politischen Streben waren jedoch dadurch Schranken

gesetzt, dass er - wie der klassische Gelehrtenpolitiker -

„Massenparteien“ gegenüber äußerst skeptisch war.672 Zwar

begrüßte er stets eine umfangreiche Beteiligung der gesamten

Bevölkerung an der politischen Willensbildung und forderte

„Wohlwollen für das Entfalten der geistigen Begabung der

Massen“, sah auch frühzeitig sehr klar die dadurch gebotene

Veränderung in der Form der Politik.673 Auch formulierte er

seine Gesetzesentwürfe in einem volkstümlichen, verständlichen

Stil.674 Und schließlich mahnte er im Wahlkampf der BDP an, das

Bürgertum müsse „eine tiefgreifende Abkehr von überlieferten

Zuständen, von überlieferten Einrichtungen“ vollziehen.675

Innerlich blieb er den „Massen“ gegenüber jedoch fremd.676

Klein war nach allen hier herangezogenen zeitgenössischen

Aussagen ein glänzender, enthusiastischer und Wahrhaftigkeit

Mitarbeit des ganzen Volkes gegründet werden.“ [Sperrdruck im Original] -vgl. bei Stern Stolper, 496 sowie bei Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 68 (hierin Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom 12. Februar 1919, S. 3[?]) (jeweilsFotokopie). Vgl. aber immerhin auch Reindl Klein, 86 (Die Richterschaft habedem Ministerium Kleins zum Vorwurf gemacht, dass Verwaltungsbeamte in hoheRichterpositionen berufen würden.). 672 Vgl. F. Fellner Klein, 189: „Geprägt von dem individualistischen Elitismusdeutscher Erziehung[,] fürchtet er von den nun in der Politik zur Führunggelangenden demokratischen Massenparteien die Zerstörung des überliefertengesellschaftlichen Ordnungssystems.“.673 Vgl. oben, a. aa. bzw. Ziele, 39 bzw. Sozius [1912], 599 f. (Die früherentsprechend den Kreisen, welche die Volksvertretungen damals hauptsächlichgestellt hätten, „akademisch auf der Tribüne“ stattfindenden Diskussionenseien notwendigerweise in dem Maße abgelöst worden, als aus jenen wahreVolksbewegungen geworden seien.).674 So Schima Artikel NDB, 739; dazu auch: Böhm Grundlagen, 201. 675 Vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4 f.676 Vgl. Saint Germain, 218 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 4. Juli1919): „Haben wir auf anderes zu rechnen, als daß eine neue roheGesellschaft voll Selbstgefühl ihrer brutalen Massenstärke uns beiseiteschiebt?“; auch ebd., 229 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 8. Juli 1919).

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ausstrahlender Redner, der durch diese Gaben mitzureißen und zu

überzeugen verstand.677 Gemäß seinem Freund Edmund Benedikt

wirkten „die tiefe Überzeugung von dem, was er sprach, seine

Erscheinung, seine Beherrschung des Wortes, sein klangvolles

Organ ... hinreißend, fast betäubend und rissen alle Hörer

mit.“678 Außerdem trug zu seinen Erfolgen bei, dass er sehr viel

arbeitete.679

In seinen jüngeren Jahren verfügte er auch über den nötigen

Takt, um seine Ziele ohne große Reibungsverluste zu

erreichen.680 Das wohl beste Beispiel für beides ist sein

Einsatz im Reichsrat, der zum Durchbruch bei den Verhandlungen

über sog. Justizgesetze führte; und dabei vor allem, dass es

ihm gelang, die Mehrheit von dessen Mitgliedern von der

Notwendigkeit eines eigenen Beratungsgesetzes zur

677 Vgl. Benedikt [Freund Kleins] Klein, 9 (Bereits als Student habe er sichdurch seine rednerische Begabung hervorgetan.) ebd., 19, 26 (zur tiefenÜberzeugung seiner Äußerungen bzw. zum Eindruck ihrer Wahrhaftigkeit); BöhmKlein, 242 („unbedingte Wahrheitsliebe“ „Formulierungskunst“, „glänzendeRednergabe“, „enthusiastische[s] Gemüt“, „mitreißende[s] Temperament“).Vgl. auch Sprung Lebensweg, 14, Fn. 4 (R. Scheu „Von der alten Universität“in Zeitung NN, Datum NN - Suche nach der Fundstelle erfolglos): Klein seifeurig und stürmisch gewesen, seine Person habe fasziniert und im Ruf derGenialität gestanden, seine Lebhaftigkeit „etwas vom Champagner“ gehabt.Vgl. überdies noch Böhm Klein, 242 (umfassende Bildung Kleins); BöhmGrundlagen, 192 („ungeheure Belesenheit auf zahlreichen Gebieten“).678 Benedikt Klein, 19 - vgl. auch ebd. über die „merkwürdige Verbindung desimpetuosen, oft leidenschaftlichen Vortrages mit der Mäßigung derAnschauungen und Vorschläge, die alle sozialpolitischen Schriften Kleins“kennzeichne.679 Vgl. Böhm Klein, 242; auch Klein selbst bei Wilhelm Besuch, 1029 („Inmeinem Leben gibt es wenig Interessantes oder gar Romantisches. DasHervorstechendste darin ist vielleicht, daß ich immer wie ein Tiergearbeitet habe, denn unser heutiges Leben verlangt den Fleiß alsGrundbedingung jeder Existenz und jeden [sic] Erfolges.“).680 Vgl. Schey Nekrolog, 181 (bezogen auf die parlamentarischen Verhandlungender sog. Justizgesetze - vgl. dazu auch die folgende Fußnote).

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Beschleunigung der Verhandlungen zu überzeugen - immerhin gaben

die Abgeordneten damit einen Teil ihrer Rechte auf.681

Alle Details zur Umsetzung seiner Ideen konnte Klein im

Reichsrat allerdings nicht durchsetzen.682 Auch haben nicht alle

aus dem Entwurf in das Gesetz übernommenen Einzelbestimmungen

in der Praxis den von Klein angestrebten Erfolg gezeitigt.683

Jedenfalls aber stellte Justizminister Alois Freiherr Spens von

Booden 1900 fest, Klein sei es „zu verdanken, daß die

Civilproceßreform ... sich zum Vortheile der Bevölkerung in

allen Kronländern mit überwältigender Schnelligkeit eingelebt

hat.“684

681 Über die parlamentarischen Verhandlungen der sog. Justizgesetze vgl.Schey Nekrolog, 181; Sprung Lebensweg, 29 (Auch für die Vertretung derGesetzentwürfe im ständigen Ausschuss sowie im Plenum desAbgeordnetenhauses habe sich der ausgezeichnete und überzeugende RednerKlein als unentbehrlich erwiesen). Über das Beratungsgesetz vgl. BenediktKlein, 11 (Dessen Zustandekommen sei der „merkwürdigen Kraft derPersönlichkeit Kleins“ zu verdanken gewesen.).682 Vgl. die drei Beispiele bei Kralik Verwirklichung, 90 f., 93.683 Vgl. Kralik Verwirklichung, 90-93, 95. Vgl. auch Benedikt Klein, 18 sowieSprung Lebensweg, 44 (Kleins Erwiderung auf die Festrede des Sektionschefsim Justizministerium Dr. Ritter von Schauer an seinem 60. Geburtstag am 14.4. 1914 - s. ebd., 42): „...beschleicht mich immer mehr die Sorge, ... obnicht das, was hell aufstrebend zur Sonne gedacht war, sich zu neigenbeginnt. Nicht alles kann ja mit jener Kraft gehalten werden, die dieBegeisterung gibt.“. Zur Kritik an Einzelbestimmungen Kleins vgl. KralikVerwirklichung, 90 f. (Die Überprüfung des ablehnenden Beschlusses übereine gerichtsablehnende Einrede lediglich durch das einseitigeRekursverfahren sei eine nicht ausreichende Rechtsschutzgarantie.), 94(Einige Fristen seien zu kurz.). Ob das Neuerungsverbot imRechtsmittelverfahren, eine „eigenständige Schöpfung Kleins“, sounproblematisch ist, wie Kralik Verwirklichung, 95 meint, ist zu bezweifeln(vgl. auch Kraliks gegenteilige Einschätzung in einem ähnlich gelagertenProblem ebd., 92).684 In seinem Antrag auf Einreihung Kleins in die III. Rangklasse derStaatsbeamten ad personam - zitiert bei Sprung Lebensweg, 33. Vgl. auch ReindlKlein, 85: Die rund 5.100 Richter der Monarchie hätten die neuenVerfahrensregeln offenbar nicht nur gewissenhaft, sondern häufig sogar miteiner gewissen Begeisterung angewendet.

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Auf der anderen Seite brachte sich Klein offenbar um manchen

sachlichen Erfolg, weil er auf Grund gewisser Charakterzüge

abgelehnt wurde.685 So war er „für seine Person“ offenbar ein

Einzelgänger.686 Seine Empfindlichkeit und seine

Kompromisslosigkeit steigerten sich im Laufe seines Lebens

immer mehr.687 Die permanente Unzufriedenheit mit seiner

jeweiligen Aufgabe und sein beständiges Schwanken, ob er statt

des politischen Wirkens nicht doch lieber wieder seine Lehr-

und Forschungstätigkeit intensivieren solle, werden dazu

beigetragen haben.688 Dabei muss hervorgehoben werden, dass

685 Theodor Rittler in einem Gespräch in Trins, wiedergegeben bei SprungLebensweg, 14.686 Vgl. Schima Artikel NDB, 739.687 Vgl. Benedikt Klein, 20: Sein feines Gefühl habe ihn den Kampf imParlament und später denjenigen mit den „unbedingten Kartelladvokaten“ miteinem gewissen Ekel empfinden lassen, „ja er ging so weit, sich durch dieseFehden als fast entehrt zu bezeichnen.“; vgl. auch Saint Germain, 231(Brief an Ottilie Friedlaender vom 9.Juli 1919): „Man darf nicht zufeinfühlig sein... Ich kann mir aber heute nicht mehr abgewöhnen, was nuneinmal zu meinem Wesen gehört, ob es gut oder unvernünftig ist.“ Vgl.ferner Sprung Klein, 16: Von einigen Zeitgenossen sei Klein als hochbegabt,wissenschaftlich genial, fast immer lachend und mit einer Redegabe von„beständig überschäumender Lustigkeit“ beschrieben worden, von anderen alspessimistische, unnahbare, permanent überarbeitete, gereizte, ungeduldige,sarkastische und im privaten Verkehr mimosenhaft empfindlichePersönlichkeit; ähnlich: Sprung Lebensweg, 13 f.; vgl. auch Fellner Klein,189. Diese verschiedenen Eindrücke müssen - auch abgesehen von ihrerohnehin gegebenen Subjektivität - nicht unvereinbar sein; insbesondereliegt es auf Grund der von Klein in Saint Germain geschriebenen Briefenahe, dass sich bei ihm im zunehmenden Alter die zuletzt genanntenCharakterzüge immer mehr bemerkbar machten. Vgl. ferner Friedjung Geschichte,Bd. 1, 234 (Gespräch mit Gustav Seidler, Professor derStaatsrechnungswissenschaften an der Universität Wien, vom 8. Februar1898); Saint Germain, 203 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 29. Juni1919): „Jedem schlägt seine Stunde, wo die Entwicklung über ihn hinweggeht. Für mich hätte sie bei meiner geringen Assimilationsneigung schonviel früher geschlagen, wenn ich nicht lange genug außerhalb des Lebensgestanden wäre...“, auch ebd., 161 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 15.Juni 1919); ebd., 314 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 6. August 1919).Zur Kompromisslosigkeit vieler Gelehrtenpolitiker vgl. oben, Fn. 535.688 Zu Kleins Unzufriedenheit und seinem Schwanken vgl. Benedikt Klein, 16 f.(insb. Kleins Brief vom 19. Juli 1895 an Ottilie Friedlaender über seineAufgaben im Justizministerium nach der Fertigstellung seiner Entwürfe der

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Klein selbst sich durch die stetig anwachsenden Anerkennungen

und finanziellen Zugeständnisse der Regierung in den 1890er und

1910er Jahren immer wieder in das Justizministerium bzw. die

Regierung hat einbinden lassen.689

Die bereits zitierten Zweifel vom Bruchs an der Vereinbarkeit

von Gelehrtenpolitik und langfristiger Eingliederung in den

parteipolitischen Willensbildungsprozess treffen auf Kleins

Wirken in der BDP überwiegend zu.690 Auf der einen Seite war

Klein deren Präsident und der von der Partei am stärksten

unterstützte Kandidat bei den Wahlen zur Nationalversammlung,

sog. Jusiznormen: Es sei „ein trauriger schwerer Anfang schwierigsterAufgaben, die tief unter den Höhen des Geisteslebens liegen, wo keinGedankenblitz hinreicht. Trockene Erdgräber, höchstensGemüsegartenarbeit.“) sowie 19 (In seinen Briefen vom 11./12. September1904 an Ottilie Friedlaender bemerkte er hiernach, alle gerade errungenenErfolge seien nutzlos für ihn, da er für ewige Zeit in die Beamtenstellungverbannt sei, obwohl doch nur der Weg der Wissenschaft wünschenswert sei.),28 („Manche Äußerung läßt darauf schließen, daß er sich stärker zu einerrein wissenschaftlichen Tätigkeit hingezogen fühlte, dann wieder, daß ihmdie Führung des Staates als leitender Staatsmann als das eigentliche Zieldes Lebens erschienen ist.“). Vgl. (aber) auch Sprung Lebensweg, 39 undKlein, 13: 1908 sei Klein „unfreiwilliger Staatspensionist“ geworden.[Anführungszeichen in der Vorlage]. Zur Einschränkung seiner Lehrtätigkeitan der Universität Wien durch seine Aufgaben im Justizministerium vgl.Sprung Lebensweg, 29-31. Zur für Gelehrtenpolitiker typischen Unlust, sichmit zahllosen Detailfragen zu beschäftigten, vgl. vom Bruch Wissenschaft,286.689 Vgl. Sprung Lebensweg, 37: Nachdem die österreichische Regierung diesächsische Unterrichtsverwaltung nach dem entsprechenden Vorschlag derUniversität Leipzig 1904 dringend ersucht habe, von einerBerufungsverhandlung mit Klein abzusehen, habe Klein mit Schreiben vom 28.8. 1904 an die Universität Leipzig [ohne Nw.] unter Hinweis auch auf dasihm „früher bewilligte Entgegenkommen“ geäußert: „...aber nachdem dieösterr. [sic] Regierung sich so ... ausgesprochen hat, wäre es geradezu einfeindseliger Akt, wenn ich trotzdem weggehen wollte.“ - vgl. aber auch dieAussage Otto Friedlaenders oben, Fn. 154.690 Vgl. auch noch vom Bruch Professoren, 24 zur Lage im Deutschen Reich(„...angesichts der bereits 1916 unüberbrückbaren und 1917 institutionellabschottenden Polarisierung innen- und außenpolitischer Zielprojektionenzerbrach jener labile Konsens, gliederten sich die Professoren in diepolitischen und sozialen Lagerbildungen ein, wurde der professorale Kasten-Bonus dauerhaft nivelliert.“).

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gehörte zudem neben seinen beiden Professorenkollegen Gustav

Solper und Richard Wettstein Ritter von Westersheim zu den drei

Männern, welche auch programmatisch das Rückgrat der Partei

bildeten - und war damit in der Lage, möglicherweise

„gelehrtenpolitische“ Wirkung zu entfalten.691 Auch der

weiteren Feststellung vom Bruchs, die parteipolitische

Einbindung der „heftig politisierenden Gelehrten“ habe in der

Weimarer Republik keine eigenständige professoral-ständische

Meinungsführerschaft [oder gar Stimmführerführerschaft] mehr

erkennen lassen, unterfällt Klein damit jedenfalls insofern

nicht, als er einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die den

Kurs der BDP hatte.692 Allerdings war dieser Einfluss in der Tat

kein eigenständiger professoral-ständischer.

Auf der anderen Seite war Klein innerhalb der Partei „eine

Mittlerrolle“ zwischen deren beiden Flügeln, dem

kapitalistisch-konservativen einerseits und dem akademisch-

progressiven andererseits, „zugefallen“, die er natürlich nicht

ohne Abstriche auch an seinen eigenen politischen Auffassungen

wahrnehmen konnte - auch wenn er neben Wettstein, Stolper und

Hainisch derjenige war, der „vom Grundsatz her“ nicht gewillt

691 Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 524: Klein habe nach Gustav Stolper wohldie meisten programmatischen Artikel der Partei verfasst (drei Nw. in Fn.65). Zu Kleins Aussagen im Wahlkampf vgl. insb. in Bürgerlich-demokratischePartei Jugend, 3-7, 35, 39. Vgl. ferner Hawlik ebd., 565: Stolper und Kleinhätten auf den Wahlversammlungen über die grundlegenden Fragen der Parteigesprochen; ebd., 531: Klein, Wettstein und Stolper seien das Dreigestirngewesen, welches das Rückgrat der Bürgerlich-Demokratischen Parteidargestellt habe; vgl. ferner ebd., 564: „Vor allem Klein, Wettstein, aberauch Friedmann und Granitsch wurden in den Mittelpunkt der Wahlwerbunggesetzt.“ Diese vier hätten zusammen mit Stolper die meistenWählerversammlungen bestritten. 692 Für die Passage über die Weimarer Republik vgl. vom Bruch Professoren,22.

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war, die Gesamtinteressen der Partei zugunsten von

Interessengruppen preiszugeben.693

Im Zusammenhang mit dem Mangel an Wirksamkeit in der

österreichischen Politik, den Kleins Aktivität in der BDP

letztlich kennzeichnete, sind auch die Gründe für das

weitgehende Scheitern der Partei und für den Misserfolg seiner

Kandidatur zu erwägen. Das gerade vor dem Hintergrund, dass

diese Partei im Wahlkampf einen seinerzeit außergewöhnlichen

Aufwand betrieben hatte: Sie hatte u. a. Kinematographen,

Lautsprecherwagen, „Sandwich-men“, welche als „lebende

Plakatwände“ fungiert hatten, und möglicherweise auch

Flugblätter abwerfende Flugzeuge eingesetzt; zudem hatte sie

mehr als alle anderen Parteien Wert auf Stil und Optik des

Wahlkampfes gelegt.694

693 Zu Kleins „Mittlerrolle“: Hawlik Parteien, Teil 2, 526. Zu Kleinspragmatischem Kurs der „Mittellinie“ allgemein vgl. oben, bei und in Fn.631. Eingehend zu den genannten beiden Flügeln der Partei: Hawlik Parteien,Teil 2, 526-536; vgl. auch ebd., 497 f. (Durch den Eintritt von Mitgliedernder mittelständischen Berufsgruppen und die Spenden industrieller Mäzenehabe sich die Partei zur Interessenvertreterin des bürgerlichenMittelstands entwickelt). Zu den vier die Gesamtinteressen der Parteibetonenden Männern vgl. ebd., 529. Zu Kleins abweichender Meinung zu Punkt12 (Arbeitslosenfürsorge) der „14 Punkte der Bürgerlich-demokratischenPartei“ vgl. oben, Fn. 619 a. E. Zur allgemeinen Entwicklung der Parteien -„rüde Durchsetzung organisierter wirtschaftlicher und sozialer Interessenan Stelle individueller Entscheidungschancen“ - vgl. oben, bei Fn. 497.Vgl. schließlich noch Kleins eigene Einschätzung nur wenige Monate nachseinem Engagement in der BDP: Saint Germain, 100 (Brief an OttilieFriedlaender vom 30. Mai 1919): „Es gibt nur ein Wort: Weg aus derÖffentlichkeit oder doch aus der ‚aktiven Politik’ und ihren Trägernheraus! Stets dienen müssen..., an Leute gebunden sein, die einem nichtsbedeuten... - dazu bin ich zu alt.“. 694 Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 562 (dort auch: Die BDP habe wohl den mitAbstand größten Werbeaufwand betrieben.) bzw. 564. Die von der BDPeingesetzten Lautsprecherwagen bezeichnet F. Fellner Klein, 186 als „völligneues Instrument der Propaganda“, und er weist darauf hin, die „Sandwich-men“ seien zuvor nur zu [gewerblichen] Reklamezwecken verwendet worden;vgl. (aber) auch ebd., 186: Der geplante Einsatz von Flugzeugen sei an denhohen Kosten gescheitert.

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Klein selbst führte das Scheitern - durchaus zu Recht - auf das

Fehlen innerer Geschlossenheit des Bürgertums zurück, welches

stärker als die proletarischen Massen geistig, wirtschaftlich

und sozial differenziert und daher nicht leicht auf einen

Nenner zu bringen sei.695 Diese Zersplitterung des bürgerlichen

Lagers hatte auch darin ihren Ausdruck gefunden, dass sich

„allzuviele Parteien“ um die Stimmen gerade des bürgerlichen

Mittelstands bewarben.696 Tatsächlich hatte bereits [spätestens]

in der Gründerzeit eine soziokulturelle Binnendifferenzierung

des österreichischen Bürgertums eingesetzt und sich im Zuge der

Wahlrechtsreform verstärkt - und zwar, mit den Worten von

Ulrike Döcker, „in die Askese eines klerikal-sparsamen

Kleinbürgertums, in die Nationaltümelei eines

695 Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 567 f. i. V. m. 568 Fn. 19 m. Nw. desKleinschen Diktums („Die Wahlsünden der Bürgerlich-demokratischen Partei,in: Der Friede 28. 2. 1919.“). Vgl. auch Morgenbrod Großbürgertum, 201 f.Kleins extreme Enttäuschung über seine Wahlniederlage ist ausgedrückt inzahlreichen Briefen an Ottilie Friedlaender aus Saint Germain 1919 - vgl.nur Saint Germain, 90 (Brief vom 27. 5. 1919); 100 f. (Brief vom 30 Mai1919): „Besonders genugtuend verlaufen meine Extratouren wahrhaftig nicht!Stets nahe Erfolge winkend und dann Sturz. Das muß seine Ursache haben,aber ich durchschaue sie nicht ganz.“; 118 f. (Brief vom 4. Juni 1919).696 Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 569 f.; allgemein zur Zersplitterung derBürgerlichen auch ebd., 542-555. Klein selbst hatte bereits im Januar 1919mit der Begründung für die BDP geworben, die „heillos zersplittertenbürgerlichen Parteien“ und die „Erstarrung ihrer ehernen Programme“überwinden zu wollen - vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4.In einem Brief an Stolper vom 28. Februar 1919 (BA Koblenz, Nl. GustavStolper, Nr. 5) benannte Klein noch einen weiteren (möglichen) Grund fürden Misserfolg: Die Partei habe es versäumt, in der Öffentlichkeit ihrenGegensatz zu der pazifistischen Gedankenwelt der Gruppe um Meinl, die sichjetzt als Feind des Anschlusses an Deutschland profiliere, deutlich zumachen - vgl. Stern Stolper, 202 Fn. 4. Stolper wiederum sah rückblickenddas Fehlen eines eigenen Parteiblattes als eine Ursache an: Man habe statteines redaktionellen Werbeartikels die bezahlte Annonce und an die Stelledes ausführlichen Versammlungsberichts die übermäßigeVersammlungsankündigung gesetzt - vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 563.

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abschottungswilligen Mittelbürgertums, in die

Lebensästhetisierung eines wohlbetuchten Großbürgertums“.697

Hawlik benennt „versuchsweise“ noch andere mögliche Gründe der

Niederlage der BDP: eine mangelhafte Organisation, das Image

der Partei von Reichtum und Überfluss, die Unglaubhaftigkeit

von deren sozialem Engagement, einen unterschwelligen

Antisemitismus bei den Wählern, Animositäten des kleinen Mannes

gegenüber den in der Partei vorherrschenden Intellektuellen.698

697 Zitat bei Morgenbrod Großbürgertum, 181. 698 Vgl. Hawlik Parteien, 568 f. Vgl. ebd., 492 f. zur starken materiellenHilfe für die Partei, welche manchen Kompromiss notwendig gemacht und damitauch einen Verlust an Glaubwürdigkeit mit sich gebracht habe. ebd., 562:Die Partei habe wohl mit Abstand den größten Werbeaufwand betrieben,„dieses Übermaß an Werbung“, welches den Gegnern Agitationsstoff gebotenhabe, habe fast schon eine kontraproduktive Wirkung gezeitigt. ZurFinanzierung der Partei v. a. von Kreisen aus dem Deutschen Reich vgl. SternStolper, 188-193, insb. 191 (Zitat aus - s. Fn. 56 i. V. m. Fn. 55 -Bürgerlich-demokratische Wählerversammlung, Die Zeit Jg. 18 Nr. 5886 vom15. 2. 1919, S. 6): „Ich erkläre, sagte Redner [Klein], auf Ehre undSeligkeit, daß wir weder aus dem Günther- noch aus dem Schoeller-Fonds oderirgendeinem anderen industriellen oder finanziellen Fonds Gelder verlangtoder empfangen haben[.] (Rufe: woher kommt das Geld?) Unsere Mittel kommenaus Sammlungen von Freunden und Mitgliedern. (Rufe: Kriegsgewinnern,Wucherern, Millionären! Großer Lärm.. [sic])“ sowie ebd., 193: Ungeklärtbleibe, warum die BDP nicht dezidiert erklärt habe, dass ihre Parteigelderaus Deutschland gestammt hätten, und „sich weiters auf derartig vageUmschreibungen einließ, wie sie Franz Klein“ in seiner Stellungnahmeabgegeben habe. Vgl. zudem Hawlik Parteien, Teil 2, 555 f: Die Beziehungenzur Schwesterpartei in Deutschland, der Deutschen demokratischen Partei(DDP), seien sehr eng gewesen; von dort habe sie großzügige finanzielleHilfe und die Unterstützung durch prominente Wahlredner wie v. a. HjalmarSchacht und Theodor Heuß erhalten Vgl. noch - ohne Nachweise - F. FellnerKlein, 185 („Aber es war nicht nur die Liebe zur deutschen Nation, die denProtagonisten der neuen Partei gemeinsam war, es war auch, ja vor allem dasdeutsche Geld.“ [Kursivschrift im Original]). Zum Charakter der BDP als einerzumindest teilweisen Honoratiorenpartei vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 492;vgl. ferner ebd., 510 (Unter den 23 Mitgliedern - vgl. dazu ebd., 510 f. -des provisorischen Ausschusses der Partei befanden sich demnach neben Kleinnoch drei Universitätsprofessoren.) sowie ebd., 510, Fn. 30 (Derprovisorische Vorstand habe zunächst aus vier, dann acht Mitgliedernbestanden - und zumindest unter letzteren befanden sich mit Klein undWettstein mindestens zwei Universitätsprofessoren; im Übrigen gehörte auchder Universitätsprofessor Edmund Bernatzik zu den führenden Mitgliedern derPartei - zu dessen Mitgliedschaft vgl. ebd., 529).

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Gerade die letztere - plausible - Erwägung Hawliks spricht

Bände über die Chancen einer Partei, in welcher auch

„Gelehrtenpolitiker“ bzw. „politisierende Gelehrte“ eine große

Rolle spielten. So trifft vom Bruchs Beobachtung, die

Diskrepanz zwischen Aufstellung und Wahlerfolg von

Hochschullehrern seit den 1870er Jahren belege einen zunehmend

unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Politik als Beruf und

Wissenschaft als Beruf, offenbar auch auf Klein und seine

gelehrten Kollegen zu.699 Aber vor dem Hintergrund, dass gemäß

Döring in der Weimarer Republik in der durch die Niederlage und

die Revolution ausgelösten Identifikationskrise überhaupt nur

noch „sozialliberale Professoren vom linken Flügel der

‚Kathedersozialisten’ gelehrtenpolitisch aktiv“ waren, ist

Kleins Kandidatur immerhin bemerkenswert.700

Außerdem klagte Klein nach dem Scheitern seiner Kandidatur zur

Nationalversammlung immer wieder über die von ihm selbst -

trotz seiner Verbitterung sicherlich nicht zu Unrecht -

konstatierte unüberwindbare Kluft zwischen ihm selbst und den

699 Zu der genannten Diskrepanz: vom Bruch Professoren, 23.700 Vgl. Döring Thesen, 148.

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Parteipolitikern.701 Dies entsprach in hohem Maße dem typischen

Gelehrtenpolitiker.

Die Wirksamkeit seiner eigenen Tätigkeit im Rahmen der

Delegation in Saint-Germain schätzte Klein in dort verfassten

Briefen wegen der von ihm konstatierten und auch seiner eigenen

Einschätzung nach teilweise selbstverschuldeten Isolierung

seiner Person in derselben als äußerst gering ein.702 Das gilt

701 Vgl. Saint Germain, 239 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 13. Juli1919); vgl. zudem ebd., 103 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 31. Mai1919): „Wer zu viel erkennt ..., der kann nicht mehr mit dem politischenPack leben, dessen Kurzsichtigkeit und Beschränktheit die erste Bedingungihrer [sic] Existenz ist [sic].“ Keiner von den Parteileuten in SaintGermain interessiere sich mehr als für eine bestimmte Fragen- undInteressengruppe. „Ob sie und wie sie in das gesamte Weltbild sich schickt,das überlassen sie dem lieben Herrgott... Daher kam mein Versuch, insöffentliche Leben hinein zu wachsen, viel zu spät oder war ein Versuch,gänzlich Unvereinbares zu vereinigen. Nun heißt es, diese Weisheit fort zuschleppen als Strafe für grobe Unklugheit.“ [Punkte im Original]; vgl.ferner ebd., 146 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919): „Aberdiese Politik mit ihrem allzu Menschlichen. Nun erst begreife ich imletzten den Unterschied zwischen den Parteileuten und meinem Denken. Wennder Cristl[ich]-Soz[iale] ‚Berater’ Schwächen der Soz[ial]-Demok[raten] ansLicht zieht..., ist ihm das wertvoller[,] als ob das unserer Arbeit nütztoder schadet. Er läßt das Dümmste geschehen, wenn er daraus Parteivorteileoder Anklage gegen eine andere Partei herausschlagen kann.“ [Danach folgtdie gleiche Anklage gegen die Sozialdemokraten.]; ebd., 278 (Brief anOttilie Friedlaender vom 25. Juli 1919): „Mein Abschied von der Politik istendlich ein unbedingter. Für sie bin ich nicht ordinär genug. So roh[,] alsman dafür sein muß, liegt mir nicht.“.702 Die Zahl dieser Briefe beträgt ca. 30 (von insgesamt über 70). Daher seihier nur eine Auswahl von ihnen angegeben: Saint Germain, 105, 107 (Briefan Ottilie Friedlaender vom 1. Juni 1919), ebd., 141 (Brief an OttilieFriedlaender vom 9. Juni 1919) - dort allerdings auch: „Denn als eineStütze und ein Beschützer der deutschen Orientierung glaube ich, bishernicht versagt und nicht [sic] ausgelassen zu haben.“-, ebd., 205 (Brief anOttilie Friedlaender vom 30. Juni 1919), ebd., 244 (Brief an OttilieFriedlaender vom 14. Juli 1919) - s. auch ebd., Fn. 1 (EinDenkschriftentwurf Kleins sei extrem verändert worden.) -, 273 (Brief anOtto Bauer vom 23. Juli 1919), 279 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 26.Juli 1919). F. Fellner Klein, 189 meint auch im Zusammenhang mit denFriedensverhandlungen: „Indem Klein auf den Gegenseiten nur Haß, Bosheitund Zerstörungssucht zu sehen vermochte, verschloß er sich selbst derMöglichkeit einer positiven Mitgestaltung an der politischen, nationalenund gesellschaftlichen Neuordnung.“ Das impliziert einerseits die Prämisse,

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noch verstärkt für die Zeit nach Otto Bauers Rücktritt als

Staatssekretär des Äußeren Ende Juli 1919, mit welchem er sich

im Gegensatz zum Staatskanzler und Leiter der Delegation, Karl

Renner, in allen wesentlichen Fragen des Friedensvertrages

einig war.703 Allerdings wird man hier einige Abstriche zu

machen haben, weil Klein sich in Saint-Germain ganz offenbar im

Zustand einer Depression befand, was zum Teil auch zu seiner

negativen Beurteilung seines eigenen Einflusses geführt haben

dürfte.704

Zudem hatten die Pläne der Ententemächte seiner Auffassung nach

ohnehin bereits festgestanden, als die österreichische

Delegation ihre schriftlichen Eingaben machte.705 Insbesondere

beklagte er die Verweigerung mündlicher Verhandlungen durch die

Siegermächte.706

Die Wirksamkeit von Kleins Politik ist nach alledem gespalten:

Seine sozialpolitischen Anstrengungen während seiner Zeit im

die Ententemächte seien tatsächlich offen gewesen für Vorschläge derVerliererstaaten, und ist, was die Innenpolitik betrifft, verfehlt, weilKlein einer ausgleichenden Linie folgte und im Falle des Erfolges seinernur knapp gescheiterten Kandidatur für die Nationalversammlung mehr hättebewirken können. 703 Vgl. nur Saint Germain, 295 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 30. Juli1919), 308 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 4. August 1919). ZurÜbereinstimmung mit Otto Bauer und nicht mit Karl Renner vgl. SaintGermain, 71 (Brief an Otto Bauer vom 20. Mai 1919); 167 (Brief an OttilieFriedlaender vom 17. Juni 1919). Vgl. zudem Sprung Lebensweg, 48, Fn. 173(Die Reichspost vom 3. 8. 1919): „...Dr. Klein hat bekanntermaßen imEinverständnis mit Dr. Bauer hinter dem Rücken des Staatskanzlers der vonDr. Renner vertretenen Politik der realen Auffassungenentgegengearbeitet.“.704 Zu einem Beleg für Kleins Depression vgl. nur Saint Germain, 283 f.(Brief an Ottilie Friedlaender vom 27. Juli 1919).705 Vgl. Vertragsentwurf, 851.706 Vgl. Grundgedanken, 860.

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Justizministerium zeitigten zu einem erheblichen Teil Erfolg,

sein sonstiges politisches Engagement hingegen kaum.

3. Ludo Moritz Hartmann

a. Inhalt

aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich

Hartmann war sein Leben lang ein begeisterter

Deutschnationaler.707 Er definierte die Nation als „die

Gesamtheit der durch gemeinsames Schicksal und gemeinsamen

Verkehr, dessen Vermittlerin die Sprache ist, zu einer

Kulturgemeinschaft verbundenen Menschen.“708 Obwohl er auch von

einem „Volksindividuum“ sprach, betonte er, bei

Menschengruppen handele es sich nicht um etwas von den

Individuen Losgelöstes, die Zusammenfassung von Menschen zu

einer Gruppe sei etwas Subjektives, die Gruppe dürfe nicht als

etwas an sich und über den Menschen Bestehendes hypostasiert

werden.709

707 Vgl. G. Fellner Hartmann, 259-270; auch Hartmann Niedergang, 680: DasGeschick der Deutschen in Österreich sei ein Stück Geschichte des deutschenVolkes.708 Nation, 135; zur Wechselseitigkeit von Verkehrsgemeinschaft und Sprachevgl. ebd., 141 (Allein durch die Bildung einer Verkehrsgemeinschaft sei esmöglich, die gemeinsame Sprache zu erhalten.). Dabei betrachtet er dieNation der Sache nach als identisch mit dem, was üblicherweise als „Volk“angesehen wird, verwendet den Begriff „Volk“ zuweilen aber als Bezeichnungfür das „Staatsvolk“ = die Staatsbevölkerung - vgl. ebd., 137. Zu einemWiderspruch gegen seinen Nationsbegriff vgl. unten, Fn. 734.709 „Volksindividuum“: Grenze, 190; vgl. auch Nation, 137 („Organismus“);zur Gruppe: Entwickelung, 36, 50.

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Dabei lehnte er ausdrücklich auch die damaligen Rassenkonzepte

ab.710 Die Zugehörigkeit zu einer Religion oder Konfession war

für die Auffassung des konfessionslosen Hartmann von der Nation

irrelevant.711 Gegen den Antisemitismus engagierte er sich wie

erwähnt im von ihm und Friedjung gegründeten „Politischen

Aufklärungsverein“, auch nahm er im November 1923 an einer

Protestkundgebung gegen die gewalttätigen Krawalle teil, die

völkisch-nationale gegen jüdische und sozialistische Studenten

inszenierten.712 Ein „jüdischer Selbsthass”, wie ihn Walter B.

Simon bei jüdischstämmigen sozialistischen Führern in

Österreich um 1918 ausmacht, ist bei Hartmann kaum zu

erkennen.713

Den nationalen Staat sah Hartmann als „die vorläufig höchste

Stufe der Entwicklung, der gegenüber alle anderen

staatsbildenden Faktoren - Eroberung, Religion etc. - als

Rudimente erscheinen“, auch wenn es sich hierbei

selbstverständlich nur um eine historische Tendenz handele, die

wie alle soziologischen Prinzipien nicht „ausnahmslos exakt“

wirke.714 An die Stelle des durch feindliche Allianzen

zerrissenen europäischen Gleichgewichtssystems müsse die

arbeitsteilige Völkergesellschaft der kultivierten Nationen710 Vgl. Entwickelung, 38-46, insb. 42: „Was die Rassentheoretiker undRassenphantasten ... setzen möchten, ist eine auf unexakten Beobachtungenberuhende Mystik.“; Rezension, 174 f.; s. auch Hartmanns ironische „Fragean den Rasseforscher Frank“, 167 f., 170. Interessant auch G. FellnerHartmann, 108 über Hartmanns 1923 in Arbeiter-Zeitung erschienene (vgl.ebd., 107) Warnung vor den „neuen Glücksritter[n] auf der fascistischenEinheitsfront“; vgl. dazu auch Stein Hartmann, 329.711 Vgl. auch G. Fellner Hartmann, 111.712 Zu Letzterem vgl. G. Fellner Hartmann, 245. 713 Zum “Jewish self-hatred” jüdischstämmiger sozialistischer Führer: SimonVote, 121714 Vgl. Nation, 137 bzw. 139.

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treten.715 Die Nationen waren ihm im weltwirtschaftlichen Rahmen

die Träger spezialisierter ökonomischer Tätigkeit - er vertrat

damit eine Globalisierungstheorie ganz besonderen Zuschnitts.716

Sie seien notwendige Bedingung eines stabilen internationalen

Gleichgewichts.717 Die nationalen Staaten würden so lange

bestehen, wie ihre Gemeinschaften auf die Sprache angewiesen

und die räumliche Trennung nicht technisch vollständig

überwunden sein werde.718

Aus der von ihm behaupteten „historischen Tendenz“ ergab sich

für Hartmann zunächst die Ablehnung des Imperialismus, auch in

der Form sprachlicher Expansionsbestrebungen.719 Ferner folgten

aus ihr für ihn die Ablehnung von „Vielvölkerstaaten“ wie

Österreich-Ungarn, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und

die Forderung nach einem „Anschluss“ der mehrheitlich

715 Vgl. Krieg, 24 f.716 Vgl. Nation, 147; Grenze, 190 sowie Ursachen, 365 unter Hinweis darauf,dass die wirtschaftlichen Argumente der „Freihändler“ nicht widerlegtworden seien. 717 Vgl. Grenze, 190.718 Vgl. Entwickelung, 61: Die historische Entwicklung bewege sich „auf demWege der Staatenkämpfe in der Richtung der Aufhebung derStaatengegensätze." (dies neben der Aufhebung der Klassen der zweite Teildes „historischen Assoziationsgesetzes“ oder des „Gesetzes derfortschreitenden Vergesellschaftung“ oder, „etwas hochtrabend“, des„soziologischen Grundgesetzes“); vgl. auch Suppanz Historismus, 275(„Globalisierung - die Assoziation zur Weltgesellschaft“). Vgl. zudemHartmann Krieg, 25, wo er sich für die internationale Organisation der„nationalen Einheiten der Kulturvölker“ [nicht der „primitiven“?]ausspricht. Vgl. aber auch Rathkolb Hartmann, 58: Hartmann habe sich „stetsskeptisch gegenüber der Durchführbarkeit des Völkerbundgedankens in derGegenwart“ gezeigt (unter Hinweis auf Hartmanns Bericht an Bauer vom 11.Dezember 1918). 719 Vgl. Nation 141. Vgl. auch Grenze, 187: „Die Eroberungsgrenzen ... sindnicht nur auf Dauer für den erobernden Staat von Schaden, weil fremdartigeBestandteile die Entwicklung des Staates stören, weil eben dasZusammengehörigkeitsgefühl selbst und zentrifugale Strömungen die Aktiondes Staates hemmen, sondern sie vergewaltigen und beschädigen vor allem denbesiegten Staat.“.

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deutschsprachig besiedelten und an das Deutsche Reich

angrenzenden Gebiete an letzteres.720 Für Hartmann waren die

Deutschösterreicher ihren „Brüdern“, den Reichsdeutschen,

zumindest im Hinblick auf Willenskraft, Berufsausbildung und

Technik unterlegen.721 Und selbstverständlich hatte Wien sich im

Falle einer Vereinigung Deutschösterreichs mit dem Deutschen

Reich seiner Meinung nach - im Gegensatz zu nicht wenigen

seiner Landsleute - mit einer zweiten Position im großen Reich

abzufinden.722

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte Hartmann - trotz aller

Zensur - öffentlich die Auflösung der Donaumonarchie

gefordert.723 Und im April 1918 polemisierte er gegen die „allzu

720 Hier kann es sich um einen Zirkel handeln; denn Hartmann „wollte“ diedeutsche Nationalstaatlichkeit zumindest auch aus emotionalen Gründen, sodass letztere womöglich erst zu seiner Behauptung der entsprechenden„historischen Tendenz“ geführt haben - vgl. auch Hartmann selbst Debatte,166: „...wie viele subjektive Momente beinahe notwendig bei der Beurteilungderartiger Dinge mitunterlaufen.“ Selbstverständlich war Hartmann auch fürden Verbleib Elsaß-Lothringens beim Deutschen Reich - vgl. Deutschland, 216f. Interessant in diesem Zusammenhang Karl Kautsky über den Beginn der 1880erJahre bei Maderthaner Politik, 769: “Die österreichischen Juden waren damalsdie feurigsten Vertreter des Anschlußgedankens...”.721 Vgl. in Sozialdemokraten (Bericht), 3 (dort auch das Zitat) - wo erallerdings auch in Aussicht stellt, dass im vereinten Deutschland Preußennicht mehr die unbedingte Vorherrschaft haben werde und „auch wirSüddeutsche mit unserer kulturellen Eigenart uns ... werden geltend machenkönnen.“; vgl. auch Niedergang, 679; Deutschland, 218; vgl. zudem (aber)Oesterreich, 3, wo er mit seinem Lob der Deutschösterreicher insbesonderewegen ihrer in Europa führenden Stellung im Volksbildungswesen allerdingsvornehmlich den Eingang von Spenden für dieses fördern will. Kritisch zudieser überaus positiven Einstellung Hartmanns zu den Reichsdeutschen: SteinHartmann, 314; diesem zustimmend: G. Fellner Hartmann, 264.722 Vgl. Myers Berlin, 162 (Fn. 33: „‚Interview mit Dr. Ludo Hartmann,’ [sic]Berliner Tageblatt, No. 620, Dec. 4, 1918, AA, Österreich 95, Bd. 26.“).Dass von 1866 bis 1938 viele Deutschösterreicher sich ihr Land zwar alsTeil eines Großdeutschland vorstellen konnten, dabei jedoch mindestens aneine Mitherrschaft Wiens dachten, hebt Lindström Empire, 15 - möglicherweiseübertreibend - hervor. 723 Vgl. Nation [1912], 136-149, insb. 138 i. V. m. 137 („ein Rudiment derEntwicklung“), 148 f.; Debatte, 162 („...der unmögliche, naturwidrige

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‚Gemütlichen’, die nichts mehr fürchten, als daß das

Raritätenkabinett, das man Oesterreich nennt, einmal ordentlich

ausgestaubt werden könnte, wobei allzuviel kostbarer Moder

verloren gehen könnte.“724 Dabei erkannte er klar den inneren

Widerspruch der „deutsch-bürgerlichen Parteien in Oesterreich,

die sowohl zentralistisch als auch national sein wollen... Halb

Irredentisten, halb Staatspartei, kommen sie nicht selten so

weit, daß sie auch die Träger einer äußeren Politik werden,

welche nur imperialistisch genannt werden kann...“ - womit er

den inneren Widerspruch auch der Politik seines Freundes

Friedjung treffend beschrieb.725

Hartmann war offenbar überhaupt der einzige seinerzeitige

deutschösterreichische Historiker, der die Donaumonarchie und

ihre Ideen scharf kritisierte.726 Seine - die Zerschlagung

Österreich-Ungarns implizierende - Forderung nach Vereinigung

Deutschösterreichs mit dem Deutschen Reich hätte ihn 1918

Staat..., der all dieses Jammers trübe Quelle ist“ [Zitat Austerlitz] -„...dieses naturwidrigen Staates...“); s. ferner Deutschland [April 1918],218 („...das sattsam bekannte Elend dieses österreichischenZwangsverbandes...“); Appell, 8 (bereits für die Zeit der Revolution 1848),11 („Und nachdem das sonderbare Konglomerat Österreich zusammengeraubt,zusammengeheiratet und durch das Schwert der Türken zusammengeschweißtwar...“); vgl. auch Rathkolb Hartmann, 55; ferner G. Fellner Hartmann, 112, 260.724 Deutschland, 218.725 Vgl. Nation, 149. Auf die ähnliche Haltung vieler seiner (führenden)Parteigenossen wies er dabei jedoch nicht hin. Interessant ist in diesemZusammenhang die auf die deutschösterreichischen Nationalisten im ErstenWeltkrieg bezogene Bemerkung von Whiteside Germans, 198 (“The victories ofthe Central Powers on the eastern front during the war induced a defensive,almost defeatist, attitude among the Austrian Germans, in contrast to theexpansionist energy released in Germany. The grandiose plans ... onlyfilled German national political leaders with dismay at the prospect of theempire’s becoming more and more a Slav state. The end of the war, whichbrought unparalleled disaster ..., came to the national leaders almost as arelief...”).726 So jedenfalls Dachs Geschichtswissenschaft, 37.

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beinahe noch ins Gefängnis gebracht.727 Scharf waren nach dem

Ende des Habsburger-Reiches auch seine Attacken gegen den

erwähnten Plan einer „Donaukonföderation“.728

Und zum Selbstbestimmungsrecht führte er im Oktober 1918 -

ganz im Gegensatz zu Klein und unter unverhohlener Drohung -

aus, dieses könne „natürlich nicht vom heutigen Staate

ausgehen, der es leugnet und sein Widerspiel ist. Es gründet

sich auf die gesellschaftliche Notwendigkeit, die eben neues

positives Recht schafft, auf ruhigem Wege, wenn der Staat sich

anpaßt, und auf revolutionärem Wege, wenn er gezwungen werden

muß.“729

Selbstverständlich lehnte Hartmann an Österreich-Ungarn auch

die Staatsform der Monarchie und die Dynastie der Habsburger

von Anfang an ab. Nach Ernst Stein hat er sich auch während

727 Vgl. G. Fellner, 266 m. Nw. auf S. 434, Endnote 248 („Alfred Werre, ‚LudoHartmann’, Nachlaß-LMH, HHStA, K. 1, Konv. 10, 3 f.“): „Ein Vortrag, den erin München gehalten hatte, war der äußere Anlaß. ... Es wurde gegenHartmann ein hochnotpeinliches Verfahren wegen Hochverrates eingeleitet.Aber die Oktober[-] und Novembertage des Jahres 1918 machten diesem Spuksehr rasch ein Ende.“. 728 Vgl. in Sozialdemokraten, 3: Die Idee der „berüchtigtenDonaukonföderation gehört wohl zu den verschrobensten, man könntevielleicht auch sagen, verbrecherischesten, die Völker, die sich mit einemgroßen Hurra von der Zusammengehörigkeit befreit haben und von dem jedeseinzelne dem anderen bestätigt, es wolle mit ihm politisch nichts mehr zutun haben, jetzt wieder zusammenzufügen und ihnen zuzurufen: Liebet euchuntereinander! (Heiterkeit)“ Damit befand sich Hartmann in Übereinstimmungmit vielen österreichischen Historikern - vgl. Dachs Geschichtswissenschaft,74. Vgl. auch den Bericht Hartmanns an Otto Bauer vom 7. Jänner 1919) beiRathkolb Hartmann, 61.729 Vgl. Selbstbestimmungsrecht, 2 - vgl. auch ebd.: Der Übergang der Machtvon einem Träger des Staatswillens auf den anderen sei dem Inhalt nachimmer revolutionär. Die österreichische wie die preußische Verfassung gehein letzter Linie auf einen Oktroi von oben zurück. Für dasSelbstbestimmungsrecht ferner Deutschland [April 1918], 215; Appell, 11;Grenze, 187, 190.

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deren Herrschaft „wenig Mühe gegeben, seinen vom Vater ererbten

Abscheu gegen die monarchische Staatsform und gegen die

habsburgische Dynastie im besonderen zu verbergen.“730

Hartmann war stets Demokrat. Während des Ersten Weltkriegs war

er gemäß Herbert Dachs der einzige deutschösterreichische

Historiker, der den parlamentslosen Zustand in Cisleithanien

und das scharfe Vorgehen der Behörden kritisierte.731 So

gehörte er - freilich mit nicht wenigen weiteren

Universitätsgelehrten - zu denjenigen, die für den 22. Oktober

1916 eine Versammlung zur Forderung nach Wiedereinberufung des

Reichsrates vorbereiteten, welche jedoch drei Tage davor von

der Wiener Polizeibehörde verboten wurde.732 Auch verlangte

Hartmann eine Demokratisierung der Schulen und Hochschulen im

Sinne von Zugang und Chancengleichheit für alle.733 Dass auch

eine - zumindest im engeren Sinne undemokratische - Diktatur

des Proletariats für ihn letztlich nicht in Frage kam, wird

unter II. 3. zu zeigen sein.

730 Vgl. Stein Hartmann, 316 sowie auch Rathkolb Hartmann, 54. Bereits zumHabsburgerjubiläum 1882 war Hartmanns Gymnasialklasse den Feierlichkeitenan der Schule fern geblieben und hatte, wie bereits angedeutet, aufAnregung Hartmanns einen Kranz beschafft, mit einer roten Schleife und derAufschrift „Das Helle vor uns, Finsternis im Rücken“ aus dem „Faust“versehen und ihn dann durch Stephan Bauer und Hartmann selbst auf dem Grabder Märzgefallenen niederlegen lassen - vgl. Bauer Hartmann, 198 unter Zitateines autobiographischen Versuchs Hartmanns.731 Vgl. Dachs Geschichtswissenschaft, 19, 66.732 Vgl. Dachs Geschichtswissenschaft, 66; Ramhardter Geschichtswissenschaft,65 sowie Morgenbrod Großbürgertum, 65: Neben Hartmann seien dieUniversitätsprofessoren Edmund Bernatzik, Heinrich Lammasch, Ernst Fuchs,Emil von Schrutka und Hans Sperl die Initiatoren gewesen. Eine unmittelbareFolge des Versammlungsverbots sei das Attentat Friedrich Adlers auf denMinisterpräsidenten Karl Graf von Stürgkh am 21. Oktober gewesen.733 Vgl. Grundlagen, 185-188.

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Außerdem ergab sich aus seiner Sicht der historischen

Entwicklung „die naturgesetzliche Notwendigkeit“ und damit das

Gebot der - wenn auch „natürlich nicht durch Gewaltmaßregeln“

zu bewirkenden - Förderung einer völligen Assimilierung der

(auf wie auch immer abzugrenzenden Gebieten lebenden)

jeweiligen nationalen Minderheiten.734 Auch auf diesem Gebiet

galt ihm die darwinistische Formel, dass „lebensfähig nur ist,

was sich als das Stärkere erweist, weil es sich den

Verhältnissen anpasst.“735 Dabei war er konsequent: Dort, wo sie

selbst in der Minderheit waren, hatten sich die

Deutschsprachigen seiner Auffassung nach der jeweiligen

Mehrheit sprachlich anzupassen.736 Vermutlich wurzelte Hartmanns

Assimilationsforderung auch darin, dass nicht wenige seiner

Vorfahren selbst sich dem Deutschen angeglichen hatten.737

Mit diesem nationalpolitischen Konzept befand sich Hartmann bis

1918 und zum Teil darüber hinaus in Opposition zur Großzahl

seiner sozialdemokratischen Parteigenossen.738 In der Tat

734 Vgl. Nation, 141-144 („natürlich nicht durch Gewaltmaßregeln“: 143);Frage Minoritätenschulen, 154-160; Debatte, 163 f. („naturgesetzlicheNotwendigkeit“: 163). In Nation, 144 spricht Hartmann von „innere[r]Kolonisation“ als nationaler Aufgabe. Immerhin meinte er - wenn auch inWiderspruch zu seinem auf der Sprache aufbauenden Nationsbegriff -: „Es magsich ein jeder persönlich zu jeder beliebigen Nation bekennen und soll inseiner persönlichen Freiheit des Bekenntnisses nicht eingeschränkt werden.“Aber es sei wohl eine andere Frage, sich zu irgendeiner Sprache zubekennen. - vgl. Debatte 164.735 Vgl. Frage Minoritätenschulen, 154. 736 Vgl. aber (?) auch Nation, 144, wo er im Zusammenhang mit derAssimilation eine „energische Sozialpolitik“ fordert, „welche dieLebensenergie der Nationsgenossen erhöht“.737 S. dazu Frage Rasseforscher, 167-170. Vgl. (aber) auch Appell, 5:Deutschlands „leidensvolles Geschick“ habe es immer wieder zur Aufnahmenicht autochthoner Bildungselemente geführt. 738 Vgl. Kulemann Beispiel, 137; s. Frage Minoritätenschulen, 160, Anm.: Inder sozialdemokratischen Monatsschrift „Der Kampf“, dem theoretischen Organder österreichischen Sozialdemokraten habe von der ersten Ausgabe im

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stellte sowohl Karl Renner als auch Otto Bauer dieselbe

Spannung zwischen einem Verlangen nach Einheit des Habsburger-

Reiches und deutschnationaler Auffassung, wie sie unter vielen

Bürgerlichen bestand, auch bei sich selbst und unter den

Arbeitern fest und hegten auch sie Gedanken an eine Hegemonie

der Deutschösterreicher.739 Ganz anders Hartmann: Er sprach von

einem „vulgär-sozialistisches Vorurteil“, dass der Klassenkampf

die Nation überwinde oder ausschließe; man könne vielmehr

„geradezu sagen, daß die notwendige organisatorische ErgänzungOktober 1907 bis 1912 eine intensive und teilweise auf hohem theoretischenNiveau stehende Diskussion der „nationalen Frage“ stattgefunden, in dersich Hartmann für seine Position herbe Kritik habe gefallen lassen müssen.Mit ihren 56 Artikeln sei dies die breiteste Diskussion nationaler Fragengewesen, die je in einem österreichischen Medium stattgefunden habe. - vgl.auch Goldinger Question, 153. Zur Zeitschrift „Der Kampf“ vgl. KollmanRezension, 423-425, insb. 423 („high level“, „broad coverage“, „widehorizon“), 425 („the high intellectual level and the creativeness“).Während des Ersten Weltkriegs existierten drei Richtungen innerhalb derSozialdemokratie Österreichs: eine österreichisch orientierte (Renner inder deutschen, Šmeral in der tschechoslawischen [sic], Diamand in derpolnischen Partei), eine national orientierte ([Karl]Leuthner und LudoMoritz Hartmann in der deutschen, Habermann und Modráček in dertschechoslawischen, Moraczewski in der polnischen Partei) und eineinternationale Richtung (die deutsch-österreichische „Linke“, dietschechischen Zentralisten und die sich ihnen nähernde Gruppe Stivin unterden Tschechoslawen und die polnische „Linke“) - vgl. den Bericht über denParteitag der polnischen Sozialdemokratie in „Der Kampf“ 11 (1918), Nr. 7(Juli), 511 f. Vgl. auch Miller Ringen, 5 i. V. m. 4: Die Forderung nacheiner Umgestaltung Österreichs zu einer Föderation autonomer Nationen seiauch während des Krieges von der überwältigenden Mehrheit der Partei nichtin Frage gestellt worden. Einflussreichster Vertreter dieser Konzeption seiKarl Renner gewesen, und auch der unumstrittene Führer der Partei, ViktorAdler, habe es verfolgt. Zu einem ähnlich untypischen Fall von Verknüpfungvon Nationalismus und Sozialismus wie dem von Hartmann im Deutschen Reichgegen 1900 (Adolph Wagner - der freilich auch christlich orientiert war) s.vom Bruch Wissenschaft, 69, auch ebd. Fn. 55. 739 Zur Spannung vgl. Whiteside Germans, 188; zu unbewussten Hegemonie-Vorstellungen in der Partei vgl. Kulemann Partei, 126; zur Hegemonie beiRenner vgl. dessen Aussage bei Kulemann, 130 „Die Deutschen können nurherrschen, wenn sie führen; führen können sie heute nur im Zeichen derDemokratie.“; zu Bauer vgl. Kulemann Beispiel, 129, aber auch über dessensich andeutenden inneren Wandel in der Reichsfrage seinen ebd. zitiertenBrief an Kautsky vom September 1913 („Am verständlichsten wäre heutevielleicht eine Propaganda, die die Hoffnung der Arbeiter auf den ZerfallÖsterreichs lenken würde. Aber das ist noch nicht möglich...“).

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der Klassenorganisation die nationale ist, die sich zu jener

verhält wie die horizontale Gliederung zur vertikalen.“740

Außerdem führte die Demokratie in seinen Augen notwendigerweise

zum Nationalstaat.741 Die Intensität seines nationalen

Empfindens reichte in den Augen seines Schülers Ernst Stein

„ bis hart an die Grenze dessen ..., was mit seiner

international-sozialistischen Gesinnung vereinbar war“, und

Oliver Rathkolb fällt die „für einen dem Materialismus

theoretisch verbundenen Historiker unglaubliche Romantik“

seines Deutschnationalismus auf.742

Im nationalen Sinne verfolgte Hartmann z. B. gegen 1896 den

Plan, zusammen mit den bürgerlichen deutschen Parteien ein

gemeinsames Nationalitätenprogramm unter der Führung der

deutschen und unter Ausschluss der nichtdeutschen

Sozialdemokraten zustande zu bringen, was mit der

internationalen Haltung der Partei nicht vereinbar war.743 Zudem

war der mit diesem Plan bezweckte nationale Föderalismus für

Hartmann konsequenterweise ohnehin nur ein Übergangsstadium für

740 Vgl. Nation, 145; ähnlich Debatte, 161 f., 164 f.741 Vgl. Ursachen, 362; Appell, 7, auch 10 f.; ferner Nation, 147.742 Stein Hartmann, 314; Rathkolb Hartmann, 52. Vgl. auch G. Fellner Hartmann,261, 263 sowie Hartmanns seltsame Aussagen in einem Bericht an Otto Bauervom 2. Januar 1919 bei Rathkolb Hartmann, 59: Die „deutsche Umwälzung“ bzw.„deutsche Revolution“ von 1918/19 sei eine rein soziale Bewegung ohnenationalen Inhalt und gedankenarm. Es fehle ihr der romantische [!] Schwungebenso wie die nationale Begeisterung des Jahres 1848. Sie sei keinegeistige Revolution, sondern ein rein materieller [!] Kampf.743 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 300 (unter Hinweis auf „Verus (pseud.)[Hartmann]: Die Nationalitäten in Österreich und die Sozialdemokratie, NeueZeit XV/2 (1896/97), S. 688 ff.“ in Fn. 3), 306. Vgl. zudem oben, Fn. 304über Hartmanns - vergeblichen - Versuch, mit der deutschnationalenStudentenschaft zusammen zu arbeiten.

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die Auflösung des Habsburger-Reiches und den „historisch

notwendigen Anschluß“ Deutschösterreichs an das Reich.744

Auf Grund dieser, in seiner Partei isolierten Stellung

Hartmanns in der nationalen Politik sind die von vom Bruch zu

Recht erhobenen, bereits erwähnten Zweifel an der Vereinbarkeit

von Gelehrtenpolitik und langfristiger Eingliederung in den

parteipolitischen Willensbildungsprozess für Hartmann zumindest

insofern nicht einschlägig.745 Die deutschösterreichischen

Sozialdemokraten näherten sich zudem auf Druck insbesondere

ihrer tschechischen Parteigenossen tatsächlich dem nationalen

Gedanken an, was seinen Ausdruck im bis 1918 geltenden Brünner

Nationalitätenprogramm von 1898 fand, das die Umwandlung der

Habsburger-Monarchie in einen demokratischen

Nationalitätenbundesstaat forderte.746 Im Gegensatz zu Hartmanns

Vorstellungen wurde hier allerdings das Recht der nationalen

Minderheiten anerkannt und ein Recht der „Nationalitäten“ auf

744 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 306 - mit Nachweis in Fn. 2: „Vgl. denBrief Hartmanns an Kautsky vom 5. 2. 1898, wo er sich zustimmend zuKautskys Zerfallsprognose äußert, und den Brief vom 15. 7. 1897 (NachlaßKautsky D XII, 85 u. 83).“.745 Nur scheinbar widerspricht dem oben Gesagten Adler Gedächtnis, 106: „Erwäre schon früher auch offiziell der sozialdemokratischen Parteibeigetreten, wenn nicht gerade die Partei selbst Wert darauf gelegt hätte,einen Mann solchen Gepräges wie Hartmann als einen Helfer zu haben, der ihrdurch seine Haltung außerhalb der Organisation mehr nützen konnte, als wenner sich dieses Vorteiles einer Art neutralen Stellung begab. Aberschließlich fand es Hartmann doch mit seiner Überzeugung unvereinbar, ineiner doch unmöglichen Neutralität zu verharren...“.746 Zum Brünner Nationalitätenprogramm: Kulemann Beispiel, 122-126. Zuvorhatte die Hainfelder Erklärung gegolten, welche sich auf die Verurteilungder Vorrechte der Nationen und die Erklärung der SDAP zu einerinternationalen Partei beschränkte - vgl. ebd., 121. Zu den mit dem BrünnerProgramm übereinstimmenden Konzepten von Otto Bauer und von Karl Renner vordem Ersten Weltkrieg vgl. ebd., 126-129 bzw. 129-131 (vgl. aber 130 zuRenners Vorschlag, die Nationen nach dem Personalitätsprinzip zuorganisieren).

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Trennung vom Gesamtreich implizit negiert.747 Das Programm

konnte den Bruch zwischen der deutschösterreichischen und der

großen Mehrheit der tschechischen Sozialdemokratie nicht

verhindern, der sich zwischen 1906 und 1911 vollzog.748 Ab ca.

1907 vertraten die Sozialdemokraten immer mehr die Interessen

der einzelnen Völker gegen den Staat, was den nationalen

Gedanken nun auch in der deutschösterreichischen Arbeiterschaft

wachsen ließ und auch die „großdeutschen“ Überlieferungen unter

ihnen erneuerte. 749

Hartmann betonte jedoch stets, „die weltbürgerliche Idee“ sei

eine notwendige Ergänzung der nationalen, wahres Weltbürgertum

und nationaler Staat bedingten einander wie Gesellschaft und

Individuum.750 Außerdem sei im Kampf um das

Selbstbestimmungsrecht der eigenen Nation nicht die Feindschaft

gegen die fremde inbegriffen und nationalistische oder

747 Vgl. Kulemann Beispiel, 122 - vgl. auch noch ebd.: Die Forderung nacheiner Staatssprache sei verworfen worden. 748 Vgl. Kulemann Beispiel, 135-137; Whiteside Germans, 186-188. Bereits 1897war ein neues Organisationsstatut der Partei ergangen, das diese de factoin eine Föderation nationaler Parteien mit einer föderativen Leitungverwandelt hatte - vgl. Kulemann Beispiel, 121.749 Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 354.750 Vgl. Nation, 147 bzw. Krieg, 25. Es fragt sich, in welchem VerhältnisLetzteres zu der von Hartmann durchaus bejahten Möglichkeit des Endes derNationalstaaten - vgl. oben, Fn. 718 - steht. Vgl. ferner Christentum[Dezember 1915], 25 f. (für Internationalität und eine Weltorganisation).Zudem hatte Hartman einen weiten internationalen Horizont - vgl. BauerHartmann Mitbegründer, 339 (Hartmann habe an der Erkenntnis der Einheit derabendländischen Zivilisation gearbeitet.); Pribram Tod, 110 („Er warsprachenkundig, ein feiner Kenner der Literaturen aller Zeiten undVölker.“); s. auch die von ihm 1919 herausgegebene „Weltgeschichte ingemeinverständlicher Darstellung“, unter deren Mitarbeitern sich zudem einJapaner, ein Franzose und ein Italiener befanden, womit Hartmann gemäß SteinHartmann, 326 als erster angesehener Gelehrte nach dem Ersten Weltkrieg„die sonst einander noch immer feindlich gegenüberstehenden Nationen zuinternationaler Kulturarbeit zu vereinigen gewusst“ hat.

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chauvinistische Politik abzulehnen.751 Dennoch sollen auch ihm

Ressentiments gegen die Angehörigen anderer Völker nicht fremd

gewesen sein.752

Da Hartmann den „Anschluss“ an das Deutsche Reich befürwortete,

verwundert es nicht, dass er in der Zeit, in der dieses Ziel

nicht zu verwirklichen war, jedenfalls auf ein enges Bündnis

zwischen den beiden Staaten hinwirkte. So gehörte er neben von

Philippovich, von Wettstein, Uebersberger u. a. dem

Initiativkomitee an, das die Forderung nach einem engen und

dauernden wirtschaftlichen Zusammenschluss Österreich-Ungarns

mit dem Deutschen Reich aufstellte und wie erwähnt bis zum

Dezember 1915 deren Unterzeichnung durch 855 deutschsprachige

Hochschullehrer Österreichs zustande brachte.753 Mit enormem

Enthusiasmus machte sich Hartmann für eine Zollunion zwischen

Österreich [also offenbar ohne Ungarn] und dem Deutschen Reich

stark und forderte in der Ausschusssitzung des „Vereins für

Socialpolitik“ am 6. April 1916 in Berlin, dieses solle die

Initiative ergreifen und jenem das Zollbündnis aufzwingen.754

In einem Artikel vom April 1918 trat Hartmann auch für das

Waffenbündnis als notwendiges Übel ein.755 Seine Information

Friedjungs über die angeblich bündnisfeindliche Denkschrift von751 Vgl. Krieg, 25 bzw. Nation, 146-148.752 Vgl. - allerdings vereinzelt - Heuss bei RamhardterGeschichtswissenschaft, 166: Hartmann sei ein „gefühlsbetonterGroßdeutscher voll antimagyarischer, auch antislawischer Empfindung“gewesen. Man mag seine Rede von den „Excesse[n] des czechischen Mob [sic]“,welcher die Prager deutschen Kliniken und Institute im Dezember 1897 mitSteinen beworfen und mit Fäkalien verunreinigt habe - vgl. Niedergang, 678- als antislawisch bezeichnen.753 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 41, auch 96.754 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 166 f.755 Vgl. Deutschland, 215-219.

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Lammasch gehört auch in diesen Rahmen, da sie ja zur

Pressekampagne Friedjungs gegen Letzteren führte. Gemäß

Ramhardter gab es in Österreich von Anfang 1915 bis zum

Kriegsende „keinen einzigen Gelehrten oder Publizisten“, der

sich nicht für ein unauflösliches, enges Bündnis mit dem

Deutschen Reich ausgesprochen hätte.756

Nach dem Krieg wurde Hartmann dann vollends zum „Propheten des

Anschlusses“.757 Wie kaum ein zweiter engagierte er sich mit

agitatorischem Pathos und grenzenlosem Enthusiasmus für dieses

Ziel. 758 Selbst Otto Bauer war Hartmanns Vorgehen dabei oft zu

forsch, zu wenig vorsichtig.759

Über seine persönlichen Kontakte mit führenden Politikern

hinaus lancierte Hartmann diverse Kampagnen zur Gewinnung der756 Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 192. Das ist unglücklichausgedrückt mindestens deswegen, weil Ramhardter selbst ermittelt hat, dassweite Teile der Gelehrtenschaft sich während des Krieges jeder politischenStellungnahme und Betätigung enthielten - vgl. ebd., 185. Gemeint könnenalso allenfalls diejenigen Gelehrten und Publizisten sein, die sich damalsüberhaupt politisch äußerten. Zudem dürfte er auch nur die auf dem Gebietder Geschichte aktiv gewesenen meinen; denn sein Werk bezieht sich nur aufHistoriker.757 Zitat aus der Arbeiter-Zeitung bei G. Fellner Hartmann, 259. 758 Vgl. G. Fellner Hartmann, 261; Myers Berlin, 160 f.; auch RamhardterGeschichtswissenschaft, 168 (Hartmann habe „mit geradezu schwärmerischerVerehrung“ der deutschen Einheit vorzuarbeiten versucht.). 759 Vgl. Low Austria, 57 (mit Zitat 57 f.); Rathkolb Hartmann, 60 („Ich bittedaher auch Sie, sich bei Ihrer Tätigkeit in Berlin, die im Allgemeinenmeinen Intentionen vollkommen entspricht, etwas mehr Zurückhaltungaufzuerlegen.“ [Otto Bauer an Hartmann, 3. Januar 1919]); vgl. auch MyersBerlin, 160 sowie 169 (“...reports to the French embassy about the‘impassioned’ activity of Hartmann in Berlin only increased French doubtsabout the sincerity of the German-Austrians.”). Über Otto Bauer alsIdeologen und Motor des “Anschluss”-Versuchs: Miller Ringen, 3-15. ZurÄnderung von Bauers Haltung vgl. Myers Berlin, 155-165 (1. Phase) bzw. 165-171 (2. Phase), insb. 165 (“Since Germany did not ‘show the resolution’which Bauer desired..., he began to find it more difficult to maintain hispolicy in the face of the opposition at home and from France.”) - s. aberauch ebd., 174 f.

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öffentlichen Meinung für das Vorhaben, sei es in der Presse

oder durch Versammlungen, in welchen Professoren, Publizisten

und Politiker für die Vereinigung sprachen.760 Als Pendler

zwischen Berlin und Wien betrieb er gleichzeitig Propaganda in

Österreich selbst.761

Dort hatten bereits alle Parteien für den „Anschluss“ optiert,

so dass sich Hartmann nun auch in dieser Hinsicht nicht mehr in

Opposition zur Mehrheit zumindest der Politiker befand.762

Artikel 2 des durch die Provisorische Nationalversammlung

760 Vgl. Myers Berlin, 161 f. Rathkolb Hartmann, 58: Hartmann habe eine sehrgeschickt gesteuerte Pressepropagandaoffensive geführt; nach eigenerAussage wollte er damit auch verhindern, dass die Agitation in die Händenvon Leuten gelangt, „die des Alldeutschtums verdächtig sind“; denn siedürfe nicht von einem annexionistischen Gesichtspunkt, sondern müsse vomSelbstbestimmungsrecht der Völker ausgehen (Bericht an Bauer vom 28.November 1918). Publizistisch nahm Hartmann z. B. in Vorwort Verdross, 6und Appell, 19-32 für den „Anschluss“ Stellung. Vgl. zudem noch seine im SS1921 sowie im WS 1922/23 an der Universität Wien gehaltene Vorlesung„(Die) Geschichte des großdeutschen Gedankens“ - vgl. Filla Anhang, 200; s.dazu auch Weinzierl Universität, 11: Von den beginnenden zwanziger Jahren anseien an allen österreichischen Universitäten eigene Vorlesungen über diedamals noch von einer Mehrheit der Österreicher erhoffte VereinigungÖsterreichs mit dem Deutschen Reich gehalten worden, und zwar vonHistorikern und Staatswissenschaftlern der unterschiedlichsten Provenienz.761 Vgl. z. B. den Bericht Sozialdemokraten, 3 vom 4. Februar 1919 überHartmanns Rede im Rahmen der Wahlen zur Nationalversammlung; Stein Hartmann,329 (Organisation von Anschlussdemonstrationen in Österreich durchHartmann). Auch Hartmann brachte in der Diskussion der Sache nach dasArgument von der „Lebensunfähigkeit“ der Republik (Deutsch-)Österreich vor- vgl. in Sozialdemokraten, 3.762 Für die SDAP vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 648 („uneingeschränkte[s]Eintreten“), 665. Ein erster, „allerdings noch recht zögerlicher“ Vorstoßder SDAP „in Richtung auf eine Vereinigung mit dem Deutschen Reich“ war derBeschluss des Klubs der deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten imösterreichischen Abgeordnetenhaus vom 3. Oktober 1918 - vgl. Miller Ringen,11 f. Ausdrücklich erfolgte das Bekenntnis zum „Anschluss“ dann durchViktor Adler im Namen der Partei auf der konstituierenden Sitzung derdeutsch-österreichischen Provisorischen Nationalversammlung in Wien am 21.Oktober 1918 - vgl. Miller Ringen, 13 f. Vgl. schließlich Rathkolb Hartmann,53 (Vor allem in der Führungsschicht der Sozialdemokraten hätten zahlreicheIntellektuelle jüdischer Herkunft nach 1918 einen Anschluss an einsozialistisches Deutschland gefordert.).

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erlassenen Gesetzes über die Staats- und Regierungsform

Deutschösterreichs vom 12. November 1918 bestimmte:

„Deutschösterreich ist ein Bestandteil der deutschen Republik.“763 Und es waren, wie bereits gesagt, nun auch (fast) alle

österreichischen Historiker-Kollegen Hartmanns Befürworter des

Zusammenschlusses mit dem Deutschen Reich geworden. Wie die

Stimmung der Bevölkerung in dieser Frage war, ist abgesehen von

den bekannten, freilich (sofern nicht manipuliert) eindeutigen

Volksreferenden in einigen österreichischen Bundesländern

schwer zu beurteilen, jedoch dürfte die große Mehrheit eine

Vereinigung mit dem Deutschen Reich ebenfalls befürwortet

haben.764 Auf jeden Fall waren die Deutschösterreicher wie

bereits zuvor im Hinblick auf die Mitteleuropa-Bewegung im

Schnitt enthusiastischer für den „Anschluss“ eingenommen als

die Reichsdeutschen.765

Wie Klein warnte Hartmann beständig vor halbem Vorgehen und

verlangte den Vollzug „jene[s] berühmte[n] kühne[n] Griff[s]“,

forderte, den „günstige[n] Moment“ „eben auf irgendeine Weise“

763 Vgl. Miller Ringen, 14 f.764 Vgl. Suval Search, 275; Meyer Mitteleuropa, 293 (Konservative, Liberaleund Sozialisten in beiden Ländern hätten den Anschluss fast einmütigunterstützt.).Vgl. ferner Boyer War, 38 f. insb. 38 („...remarkably diverseand inconsistent, pendulating from week to week and month to month...”) und39, Fn. 167 und 169 (Schreiben Otto Bauers an Hartmann vom 3. Januar bzw. 15.Juli 1919). Zur Resonanz auf den „Anschlussgedanken“ innerhalb derArbeiterbewegung: Miller Ringen, 39-48, insb. 39 (Nach der Akzeptanz durchdie SDAP habe es hier - soweit es sich feststellen lasse - keine Oppositionmehr dagegen.). 765 Vgl. Meyer Mitteleuropa, 294.

228

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herbeizuführen.766 Das heißt: Er befürwortete ein

staatsrechtliches fait accompli.767

Auch wenn die Vergeblichkeit aller seiner Bemühungen um die

Vereinigung die größte Enttäuschung seines Lebens darstellte,

war Hartmann bei seiner endgültigen Rückkehr nach Wien

keineswegs gebrochen, „eben weil er an der Konsequenz der

‚Weltgeschichte’ nie gezweifelt“ habe.768

bb. Sozialpolitik

Zunächst war Hartmann wie erwähnt in verschiedenen

sozialpolitisch ausgerichteten Vereinigungen aktiv. Die im

Rahmen der Erörterungen über Friedjungs Sozialpolitik bereits

beschriebenen sozialpolitischen Ziele der Wiener Fabier sowie

der Sozialpolitischen Partei dürfte er zumindest weit gehend

geteilt haben.

Angesichts seiner Mitgliedschaft in der SDAP seit ca. 1901

liegt die Annahme nahe, er habe sich - gerade im Verhältnis zu

Friedjung und Klein - zumindest seitdem besonders stark in der

Sozialpolitik engagiert.769 Sie trifft jedoch, zumindest nach766 Vgl. G. Fellner Hartmann, 270. Vgl. auch Hartmann Vorwort Verdross, 6:„...soll aber jeder Deutsche seine Stimme erheben für das Gebot derGerechtigkeit und Notwendigkeit, das Groß-Deutschland heißt.“.767 Vgl. Miller Ringen, 37. 768 Größte Enttäuschung: Pribram Tod, 114; Ungebrochenheit: G. Fellner Hartmann,270 unter Berufung auf Hartmanns Tochter (Nw. in Endn. 287, S. 436); vgl.auch Hartmann Vorwort Verdross, 6: Falls die Konferenz in Saint-Germain dasSelbstbestimmungsrecht des Volkes verkennen sollte, werde „die Geschichteüber sie selbst hinweggehen.“ Die Entscheidung stehe nahe bevor.769 Von den von Weidenholzer Betrachtungen, 182 f. im Anschluss an Robert Michelsgenannten acht - in etwa nach ihrer „Güte“ geordneten - typischen Motivenfür den Beitritt Intellektueller zu einer sozialdemokratischen Parteidürften für Hartmann (nur) die ersten drei eine weitgehende Rolle gespielthaben: „1. Der Mann der Wissenschaft ist vom ‚veredelten Idealismus

229

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den bisher über Hartmanns politische Aktivität veröffentlichten

wenigen Darstellungen und seinen hier herangezogenen eigenen

Publikationen zu urteilen, nur insoweit zu, als man seinen

durchgängig starken Einsatz für die Volksbildung in Betracht

zieht. Ansonsten trat er in konkreten sozialpolitischen Fragen

offenbar erstaunlich wenig in Erscheinung.770 Das überrascht

vielleicht umso mehr, als Hartmann in Max Adlers Worten sich

nicht bloß wie die meisten Gebildeten dieser Zeit als ein zum

Volk herabsteigender Gebender, sondern (entgegen seiner eigenen

sozialen Herkunft) als ein Teil seiner aufstrebenden und

kämpfenden Klassen gefühlt hat.771

Aus zwei zeitgenössischen Aussagen geht jedenfalls hervor, dass

Hartmann sich in der SDAP offenbar überwiegend nur im Sinne

einer Agitation gegen den Klerikalismus und für den Schutz

freier Forschung engagierte - was nur am Rande sozialpolitisch

beseelt’, ‚wissenschaftliche Konsequenz ist ihm kategorischer Imperativ’,und die Opfer, die er der Partei bringt, steigern sein Lebensgefühl. 2. DerMann des ‚starken, von innerer Glut durchdrungenen Gefühlslebens wird vomBekennermut getrieben’ und vom ‚Bedürfnis, Gutes zu tun’ geleitet. Er hegt‚Abscheu vor aller Ungerechtigkeit’ und ‚Mitleid mit der Schwäche und demElend’. Seine persönliche Befriedigung liegt in der ‚Hingabe an dieVerwirklichung großer Ideen’. 3. Der Patriot, ‚der dem Sozialismus austiefem Schmerz oder bitterer Enttäuschung über die Leiden des Vaterlandes’beitritt. Der Sozialismus ist für ihn ‚unbewußt nicht Selbstzweck, sondernMittel zum Zweck’.“. 770 Kaum etwas zu tun hat dies mit einer eventuell befürchteten Repressiondurch die Behörden - der Hartmann ohnehin stets mutig entgegen stand -;denn die im Juni 1886 nach dem Vorbild der reichsdeutschen„Sozialistengesetze“ in Österreich(-Ungarn) eingeleiteten Maßnahmen gegen„anarchistische“ Agitation waren Ende der 1880er Jahre entschärft worden,und seitdem wurden keinerlei Versuche durch den Staat mehr unternommen,Oppositionsbewegungen für ungesetzlich zu erklären - vgl. Cohen Politics,251 f.. Vgl. noch Holleis Partei, 106 (Das liberale Bürgertum habe u. a.Hartmanns sozialpolitische Schriften mit großem Interesse gelesen, jedochkein Interesse an aktiver Sozialpolitik gehabt.) sowie die immerhin hoheAuflagenzahl der Arbeiter-Zeitung - vgl. oben, Fn. 525 -, in welcherHartmann zahlreiche Artikel veröffentlichte. 771 Vgl. Adler Gedächtnis, 106.

230

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und überdies nicht spezifisch sozialdemokratisch war, was

selbstverständlich auch jeder aktive Liberale dieser Zeit

tat.772 Allerdings war die gesamte deutschsprachige

sozialdemokratische Intelligenz in Wien gemäß Josef

Weidenholzer „in erster Linie einmal antiklerikal“.773

In der Theorie postulierte Hartmann - der von Marx beeinflusst,

aber kein Austro-/Marxist war - zwar die Notwendigkeit des

Klassenkampfes.774 Auch behauptete er, die

Arbeiterorganisationen seien vor allem auch

Widerstandsorganisationen gegen die „Herrschaft“ des

Unternehmers, die Arbeiterklasse vertrete das Gesamtinteresse

der Zukunft, und sprach sich auf lange Sicht für

Verstaatlichung der Industrie, Planwirtschaft und eine

772 Zu diesen beiden, offenbar fast ausschließlichen Schwerpunkten vonHartmanns Tätigkeit innerhalb der Partei: Pribram Tod, 114; Stein Hartmann,315.773 Zitat: Weidenholzer Betrachtungen, 186. Zur Liberalität derösterreichischen „kathedersozialistische[n] Intelligenz“ allgemein: ebd.,179, 186.774 Vgl. Entwickelung, 53-56; auch Christentum, 31 f., 34; Klerikalismus,400. Zur „Soziologie der Revolution“ vgl. Soziologie, 24-39. Kein Marxist:vgl. Adler Gedächtnis, 103 f.; vom Bruch Rezension, 121 sowie G. FellnerHartmann, 121 (Hartmann habe kein ausgeprägtes Marxismusverständnisbesessen.). Vgl. auch Hartmann Entwickelung, V (dort auch zu Hartmannsselbst bekundeter ausdrücklicher Übereinstimmung mit Pjotr Kropotkin „inmanchen Punkten“). Vgl. überdies Filla Hartmann, 84: „Hartmanns Volksheim hatsich ... zum [sic] Marxismus in zunehmendem Maße geöffnet...” Zur Offenheitund Transformation des Austromarxismus vgl. Knapp Rezension, 582.

231

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Abschaffung des Systems der Profitwirtschaft aus.775 Aber dies

wirkte sich in seiner Tagespolitik offensichtlich kaum aus.776

Möglicherweise ist das offenbar nicht allzu starke Engagement

Hartmanns in der Sozialpolitik im engeren Sinne auch auf seine

enorme Arbeitsbelastung in Forschung, Lehre und Volksbildung

sowie im Kampf für die deutsche Nation zurückzuführen.777 So

benutzte er seine zahlreichen Dienstreisen als Gesandter in

Berlin von dort nach Wien, wo er sich dann ein bis zwei Tage

aufhielt, zur Fortsetzung seiner akademischen Lehrtätigkeit und

arbeitete nachts noch einige Stunden wissenschaftlich.778 Die775 Vgl. Rezension, 175 bzw. Frage Minoritätenschulen, 153 bzw. RamhardterGeschichtswissenschaft, 166 (mit Hinweis auf Hartmanns „Über den Berufunserer Zeit“, 17). Zur „Soziologie der Revolution“ vgl. HartmannSoziologie, 24-39. Zu Hartmanns Einstellung zur Gewalt vgl. Engel-JanosiHartmann, 77-91. Zur Arbeiterschaft als Vertreterin des Gesamtinteressesder Zukunft vgl. auch Hawlik Parteien, Teil 2, 653 (In ihrer Theorie sei dieSDAP als Kämpferin aller Unterprivilegierten aufgetreten. Tatsächlich habesie jedoch nur den überwiegenden Teil des Proletariats umfasst, während siedie Interessen der Mittelständler und Kleinbauern nicht berücksichtigthabe.).776 Nur in scheinbarem Widerspruch hierzu steht die unten bei Fn. 808zitierte Aussage Hartmanns über die österreichische Sozialdemokratie. 777 Vgl. G. Fellner Hartmann, 105: Hartmanns Leben sei von ständigeraufreibender Arbeit überlastet gewesen. 778 Vgl. Stein Hartmann, 329. Vgl. für das späte Deutsche Kaiserreich auch vomBruch Wissenschaft, 12: Die „Professionalisierung“ im Hochschulbereich habein erheblichem Maße zuvor politisch einsetzbare Energien gebunden - zu deneinzelnen Faktoren vgl. ebd., 250 (v. a. zunehmende wissenschaftlicheSpezialisierung, Konkurrenzdruck, „Großbetrieb der Wissenschaft“ [Harnack],wissenschaftlicher Produktionszwang, Verwaltungstätigkeiten, wachsendePrüfungs- und Lehraufgaben, vehement nachdrängender wissenschaftlicherNachwuchs). Zu den Trends an den reichsdeutschen Universitäten dieser Zeitvgl. ferner vom Bruch Gelehrtenpolitik, 33-35, insb. 34: Konzentration (aufdie Massenuniversitäten [Berlin, München, Leipzig]) und Organisation (lokaleSchwerpunktforschung im Zuge wissenschaftspolitischer Steuerungsmaßnahmensowie organisierte Verbundforschung und hochschulfrei organisierteProjektforschung) - Diversifikation (Spezialisierung, aufgewertete bzw. neueHochschultypen, Personalstruktur), ebd., 34 f. (Dekorporierung). ZurExplosion der studentischen Frequenzen im Deutschen Reich zwischen 1870 und1910 bzw. 1869 und 1914: vom Bruch Professoren, 13 bzw. 19; zudem auchHübinger Gelehrte, 235. Für Österreich in den 1890er Jahren konstatiertHöflechner Baumeister, 176 f. (allerdings), das Hochschulsystem sei „in sich

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bereits erwähnte Entwicklung der Parteien hin zum

Berufspolitikertum „mit dem Zwang zu hauptamtlich besoldeten

Funktionärskadern“ wird das Ihrige dazu beigetragen haben; so

ist von einem bestimmten Posten Hartmanns in der SDAP in der

Literatur nichts zu finden. Über eine zur Durchsetzung eigener

Vorhaben in der Partei nötige „Hausmacht“ verfügte Hartmann wie

der typische Gelehrtenpolitiker wohl kaum, aber möglicherweise

hat er (auch) sozialpolitisch Einfluss auf die eng mit ihm

befreundeten Führer der Partei genommen.779

Dass er innerhalb seiner politischen Aktivität jedoch offenbar

andere als sozialpolitische Schwerpunkte setzte, muss Gründe

außerhalb der vorstehenden Erwägungen gehabt haben - vermutlich

u. a. seine bürgerliche, eben gerade diese politischen

Schwerpunkte setzende Erziehung.780

b. Mittel und Wirkung

Zwar präzisierte Hartmann 1917, als die österreichische

Sozialdemokratie immer mehr in Opposition zur Kriegspolitik

gelangte, seine schon früher indirekt erhobene Forderung nach

Beseitigung des bürgerlichen Klassenstaates in der Broschüre

„Über den Beruf unserer Zeit“, in welcher er prophezeite, der

Kampf der Bourgeoisien untereinander liefere dem Proletariat

die Waffen, welche sich gegen die Bourgeoisie selbst kehren

überaltert“ gewesen, und es habe ein Strom von Berufungen an reichsdeutscheHochschulen eingesetzt, welcher im Gegenzug kaum eine Entsprechung gefundenhabe; vgl. dazu auch Hartmann Niedergang [1902], 678-680.779 Zu diesen Freundschaften vgl. Pribram Tod, 114 (vor allem mit ViktorAdler und Pernerstorfer); [Max] Adler Gedächtnis, 106 (mit Viktor Adler);Bauer Hartmann, 203 (mit Viktor Adler). Zum regelmäßigen Fehlen einerHausmacht von Gelehrtenpolitikern vgl. vom Bruch Wissenschaft, 287. 780 Vgl. auch vom Bruch Rezension, 121 über Hartmann („Sozialdemokrat, mitstark linksliberaler Färbung“).

233

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würden, und in der er die Arbeiterschaft aufforderte, die

Initiative zu ergreifen.781 Ansonsten aber befürwortete er

evolutionäre Mittel zur Erreichung des revolutionären Zustandes

und lehnte besonders die Anwendung der „bolschewikischen

Methoden“, insbesondere „die Terrorisierung der Mehrheit durch

die bewußten Minderheiten“ in Deutschland ab.782

Mit letzteren Ansichten befand er sich in der SDAP nicht in

einer Minderheit. Denn der österreichische Sozialismus

(zumindest) der Vorkriegszeit verstand sich „vornehmlich als

Kulturbewegung, als Mittel zur sittlichen, moralischen und

intellektuellen Hebung der Arbeiterschaft“.783 Und nach

Hartmanns eigener Einschätzung von 1910 arbeitete die

österreichische Sozialdemokratie im Gegensatz zur SPD nicht in

erster Linie auf die Gestaltung der Zukunft hin, sondern wollte

Einfluss auf die bestehenden Verhältnisse ausüben.784 Zudem war

die SDAP gemäß Peter Kulemann zwar aktivistischer und

kämpferischer als die deutsche Sozialdemokratie, wie es

besonders in der Massenstreikfrage zum Ausdruck gekommen sei,

es habe ihr auch ein „revisionistischer“ Flügel gefehlt; jedoch781 Vgl. Huber Universität, 46; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 165; zudieser Schrift Hartmanns vgl. ferner Herholt Hartmann, 72-81, auch 82 f. S.schließlich noch Lenel Vermischtes, 572 (Hartmann habe sich [beständig?]„empört über die Nachgiebigkeit der [reichs-]deutschen Sozialdemokratiegegen die Reaktion“ geäußert.).782 Vgl. oben, a. aa. zu seiner Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit denbürgerlichen Parteien in der nationalen Frage; auch Knapp Rezension, 583über „the quick willingness of Ludo Moritz Hartmann, before 1914, to callfor political democracy and to disregard revolution“. Gegen die„bolschewikischen“ Methoden in Deutschland: Hartmann Deutschland, 218. 783 Zitat: Maderthaner Politik, 773. Vgl. auch Kulemann Beispiel, 157: 784 Vgl. Kulemann Beispiel, 157 (1910: s. ebd. 435, Endn. 346). Vgl. auchWeidenholzer Betrachtungen, 170 (Leo Trotzki über die Austromarxisten): „DieseMenschen waren keine Revolutionäre ... Der Austromarxist aber erwies sichzu oft als ein Philister, der den einen oder den anderen Teil der MarxschenTheorie studierte, wie man Jus studiert...“.

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habe sie ihre Politik viel taktischer als die SPD formuliert

und sei viel eher als diese zum Lavieren und zur Nutzung von

Gelegenheiten wie „Hofgang oder ... Mitarbeit an bürgerlichen

Zeitungen, die eine formale Oppositionshaltung ausdrückten“,

bereit gewesen.785 Demnach durchbrach die SDAP „in der Praxis

nicht den Rahmen der bürgerlichen Zielvorstellungen, war ein

Gutteil ihrer Politik in der habsburgischen Monarchie auf die

Durchsetzung bürgerlich-demokratischer Ideale und Reformen

gerichtet“.786

Die Einschätzung der Aktivität Hartmanns innerhalb der SDAP ist

nicht ganz einheitlich: Nach Hans Jürgen Rieckenberg ist er

parteipolitisch nicht besonders hervorgetreten, gemäß Alfred

Francis Pribram wirkte er „im alten Staate ... Dezennien

hindurch“ im Interesse der sozialdemokratischen Partei und

diente ihr selbstlos.787 In der Einschätzung Günter Fellners war

er als Parteipolitiker „nicht sehr erfolgreich“.788

Obwohl Hartmanns Propaganda als Gesandter in Berlin zum größten

Teil in Form persönlicher Einwirkungen stattfand und ihr785 Vgl. Kulemann Beispiel, 157. Zur josephinischen Tradition derVerbesserung durch kleine Schritte, die sich bis hin zu den reformistischenVarianten des Austromarxismus ausgewirkt habe, vgl. Knoll Konstruktion, 49.Über die „distinct ‚Austrian idea’“ parlamentarischer Politik - scharfeWorte gegenüber den eigenen Anhängern bei gleichzeitigen, zu Kompromissenführenden Verhandlungen mit den politischen Gegnern - zumindest bis 1897allgemein: Whiteside Germans, 190. Vgl. auch Hawlik Parteien, Teil 2, 635(-646): In der SDAP sei kontrovers über die Frage bürgerliche Demokratie oderRäterepublik bzw. Diktatur des Proletariats [also über das anzustrebendeZiel] diskutiert worden. Der Parteitag 1917 habe erstmals den Gegensatzzwischen “Reformisten” (“Rechten”) und “Revolutionären” (“Linken”) [alsozwischen den Propagandisten verschiedener Mittel zur Erreichung des Zieles]zu Tage gebracht. 786 So Kulemann Beispiel, 134.787 Vgl. Rieckenberg Artikel, 737 bzw. Pribram Tod, 114.788 Vgl. G. Fellner Hartmann, 116.

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Einfluss daher insofern nur schwer abzuschätzen ist, waren sich

die Zeitgenossen offenbar einig darüber, dass erst seiner

„Agitation von Mann zu Mann“, seiner Einflussnahme auf die

führenden Politiker aller Parteien in Berlin gelang, die dem

„Anschluss“ gegenüber dort ursprünglich sehr reservierte

Stimmung innerhalb von nur fünf Monaten derart zu ändern, dass

nun alle reichsdeutschen Parteien für diesen plädierten.789

Insbesondere baute er „sehr schnell“ ein „sehr intimes

Verhältnis“ zu Friedrich Ebert auf und bereitete die Berliner

Verhandlungen der beiden Außenminister, Otto Bauer und Ulrich

Graf von Brockdorff-Rantzau, vor.790

789 Vgl. Otto Bauer bei [Stephan] Bauer Hartmann, 208; „AdR, NPA,Gesandtschaftsakten Berlin, 1929[?], 423/Pol v. 23. Nov. 1920“ bei RathkolbHartmann, 63: “Den Erfolg des zweijährigen Wirkens des erstenösterreichischen Gesandten bildet die Einheitsfront aller deutschenParteien des Reiches in der Anschlußfrage.” Vgl. auch Myers Berlin, 160:„...it cannot be doubted that he effectively rallied supporters to theAnschluss cause.” - auch ebd., 161, 174; vgl. ferner, allgemein zum - demWechsel in Otto Bauers Politik (s. oben, Fn. 759) konträren -Stimmungswandel in Berlin, Hartmann Appell, 6 und Myers Berlin, 153-165 (1.Phase) bzw. 172-174 (2. Phase). In seinem Bericht an Bauer vom 2. Januar1919 hatte er noch gemeldet: „Der von Deutsch-Österreich ergangene Ruf nachVereinigung aller Deutschen verhallt teilnahmslos...“ - vgl. RathkolbHartmann, 59; vgl. dazu ebenfalls Miller Ringen, 15-20, 21-28 (zur Politikder Volksbeauftragten), 41-48, insb. 46 (Auch die Repräsentanten dersüddeutschen Länder hätten nur eine schwache Anteilnahme gezeigt - mitZitat von Hartmann in Fn. 162), sowie 49 f. (Hartmann in einem Brief an R.Laun). Zu Hartmanns Wirken als Gesandter in Berlin s. Miller Ringen, 23-30,32, 36-40, 46, Fn. 162, 49 f., insb. 24 f.(Bereits die Ansprache beimersten Auftreten Hartmanns als österreichischer Gesandter auf der Konferenzvom 25. November 1918 in Berlin, zu der die „Reichsleitung“ Vertretersämtlicher deutscher Länder sowie die Staatssekretäre der Reichsämter undihre Beigeordneten eingeladen hatte, habe nach Oberst Hans von Haeften vomPreußischen Kriegsministerium großen Eindruck gemacht.).790 Vgl. Otto Bauer bei [Stephan] Bauer Hartmann, 208; Miller Ringen, 38(Eigenartigerweise habe sich zwischen dem „oft übervorsichtigen, nüchternenEbert“ und dem „als etwas weltfremd geltenden Enthusiasten Hartmann“ eineÜbereinstimmung über die Notwendigkeit des Anschlusses vor demFriedensschluss herausgebildet.).

236

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Und während Susanne Miller einen gestaltenden Einfluss

Hartmanns auf die Beratungsergebnisse in der Weimarer

Nationalversammlung bestreitet, hielt Otto Bauer einen solchen

nicht nur für existent, sondern auch für groß.791 In diesem

Zusammenhang bemerkte Bauer, auf Hartmanns Vorschlag hin sei

die schwarzrotgoldene Flagge in der Weimarer Verfassung als

Reichsflagge festgeschrieben und die Bestimmung aufgenommen

worden, die Österreich den „Anschluss“ offen hielt.792

Dennoch erwies sich sein großer Einsatz in dieser Frage

bekanntlich im Ergebnis als unwirksam. Mit seinem Drängen nach

einem fait accompli hatte er sich gegen die von den Außenministern

der beiden Länder angewandte Taktik eines schrittweisen

Vorgehens zudem nicht durchsetzen können.793 Immerhin haben sich

einige seiner Einschätzungen als zutreffend erwiesen: seine

Skepsis hinsichtlich der Förderung der Einheit beider Länder

durch wirtschafts- und währungspolitische Verhandlungen und

auch, dass der „Anschluss“ nach dem Friedensschluss vermutlich

eine noch geringere Chance hatte als davor.794

Einige Charaktereigenschaften Hartmanns dürften seinem Erfolg

in der Politik abträglich gewesen sein. Zu jenen gehörten nach

791 Vgl. Miller Ringen, 28 [ohne Nw.] mit dem Zusatz, nur selten habe Hartmann„in diesem Gremium“ [wohl: im Plenum] das Wort ergriffen, und dies zumeistauch nur, um seine Übereinstimmung mit dem Standpunkt von Hugo Preuß unddem der Sozialdemokraten zu bekunden [ohne Nw.] bzw. Otto Bauer bei [Stephan]Bauer Hartmann, 208.792 Otto Bauer bei [Stephan] Bauer Hartmann, 208.793 Vgl. Miller Ringen, 35 f.794 So Miller Ringen, 39 bzw. ähnlich ebd., 38 (genau: „...nach Friedensschlußder Anschluß erst recht keine Chance mehr hatte.“). Zum Vorziehen derBehandlung wirtschaftlicher Fragen vgl. Miller, Ringen, 36 f. (mit Zitateines Schreibens von Hartmann an Otto Bauer vom 4. 3. 1919).

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Aussage nicht nur seiner Freunde und Schüler besonders seine,

auch von den politischen Gegnern anerkannte Wahrhaftigkeit und

Gesinnungstreue: Er trat hiernach immer mit ganzer Kraft mutig

für seine Überzeugung ein ohne Rücksichtnahme auf mögliche

negative Folgen.795 Das müsste dann nicht bloß seine bekannten -

aber auf Grund seines mangelnden Ehrgeizes, innerhalb des

Systems politische Karriere zu machen, wenig relevanten -

Schwierigkeiten mit dem k. u. k. Staat zur Folge gehabt,

sondern sich auch auf seine Stellung innerhalb der SDAP

ausgewirkt haben.796 Durch seine Wortmeldungen zur „nationalen

Frage“ war er denn auch, wie gesagt, jedenfalls in dieser

Hinsicht bis 1918 isoliert in seiner Partei.

Außerdem galt Hartmann, wie angeführt, als „etwas weltfremd“ -

was eine dem Politisieren nicht gerade förderliche Eigenschaft

ist.797 Das gilt wohl - ohne dass zum Beleg dafür tiefschürfende

psychologische Untersuchungen nötig wären - zum Teil auch für

seine in allen Nachrufen, ob von wissenschaftlichen Gegnern

oder von persönlichen Freunden, gepriesene menschliche Wärme,

Güte und Fairness.798 Und noch mehr dafür, dass er795 Vgl. Pribram [Freund Hartmanns] Tod, 113-115; auch Bauer [FreundHartmanns] Hartmann, 197; Stein [Schüler Hartmanns] Hartmann, 316; vgl.ferner Hartmann selbst Andenken, 21 sowie einen Gegner Hartmanns aufwissenschaftlichem und politischem Gebiet, Lenel, in Vermischtes, 572, 574.796 Zu den Reibungen mit dem Habsburger-Staat vgl. das erwähnte Verfahrengegen ihn kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs sowie Stein Hartmann, 316 (DaHartmann sich nie gescheut habe, das auszusprechen, was er für wahr undrecht gehalten habe, habe es an Konflikten mit dem Habsburgerstaat nichtfehlen können. Bereits als Jüngling habe er aus Entrüstung über dieBrutalität eines Polizisten eine „Einmengung in eine Amtshandlung“begangen, und 1912 sei er „auf eine lächerliche Anklage hin“ wegenBeleidigung der Prager Polizei zu einer Geldstrafe verurteilt worden.).797 Zitat: Miller Ringen, 38. Vgl. auch noch Stein Hartmann, 315 (Hartmann seiin den Dingen des Alltags sehr unpraktisch gewesen.).798 Über die Nachrufe und deren entsprechenden Inhalt: Herholt Hartmann, 18.Vgl. auch Adler Gedächtnis, 108; Pribram Tod, 115; Stein Hartmann, 329.

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undemagogisch, still, fein, bescheiden, geistig vornehm und

tolerant gewesen sein soll.799 Allerdings halfen ihm seine

„bezwingende Liebenswürdigkeit“ und die Sympathien, die er

weithin erweckte, in politischer Hinsicht auch; und zwar dann,

wenn er - wie als Gesandter in Berlin - in persönlichem Kontakt

mit einflussreichen Menschen stand.800

Dennoch urteilte sein Schüler Ernst Stein über Hartmanns Wirken

als Gesandter in Berlin offenbar zu Recht: „Der stets

vertrauensvolle und ehrliche Optimist besaß wohl die

liebenswürdigsten Umgangsformen, aber nicht die

Verschlagenheit, die der Diplomat braucht. So beurteilte er die

Wirklichkeit allzusehr nach den öligen Phrasen, mit denen die

Regierungen beiderseits nicht sparten...“801 Zudem verfügte

Hartmann über ein „politischem Finassieren abholde[s]

Temperament“ - was bekanntlich dem Erfolg von Politik in der

Regel hinderlich ist.802 In der Tat fehlte vielen

Gelehrtenpolitikern der Wille, sich an taktischen Winkelzügen

zu beteiligen.803 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Hartmanns

Politik wenig Erfolg beschieden war.

799 Undemagogisch: Bauer Hartmann, 203; tolerant: Stein Hartmann, 316; zu denübrigen aufgeführten Eigenschaften vgl. Adler Gedächtnis, 108; zurBescheidenheit bzw. Selbstlosigkeit Hartmanns vgl. (auch) Stein Hartmann,316 bzw. G. Fellner Hartmann, 105. 800 Zitat: Adler Gedächtnis, 108; über die Sympathien: Bauer Hartmann, 203;über den Wert von Hartmanns Liebenswürdigkeit in der Politik: Bauer HartmannMitbegründer, 338.801 Stein Hartmann, 329; vgl. auch Myers Berlin, 160 (Hartmanns emotionaleBindung habe eine objektive Berichterstattung von der Situation in Berlinzuweilen verhindert.); Miller Ringen, 37 i. V. m. 36 zur falschenEinschätzung der Haltung Graf Brockdorff-Rantzaus durch Hartmann in einemSchreiben an Otto Bauer vom 4. 3. 1919. Zum „sittlichen Optimismus“Hartmanns vgl. noch Lenel Vermischtes, 574. 802 Zitat: Miller Ringen, 36. 803 Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 286.

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II. Basis der Politik im wissenschaftlichen Selbstverständnis?

1. Heinrich Friedjung

Aufgabe des Historikers war für Friedjung nicht, über Wahrheit

und Irrtum zu urteilen, sondern „festzustellen, welche Kräfte

in der Vergangenheit gewaltet haben und welche Wirkungen durch

ihr Wechselspiel ausgelöst worden sind.“804 Dabei gebe es in der

Kette von Ursache und Wirkung keine Lücke.805

Allerdings differenzierte er: „Die innere Notwendigkeit des

Geschehens und all das, was wir die Gesetzmäßigkeit

geschichtlichen Werdens nennen, tritt eben nur dann hervor,

wenn die Welthistorie in großen Epochen betrachtet wird.

Dagegen hängt das Schicksal der einzelnen Generation oder gar

der Ausgang jedes besonderen Krieges oft weniger von der

Gediegenheit der verschiedenen Volksnaturen als von den

Fähigkeiten der handelnden Menschen ab. Die Geschichte ist also

ein kunstvolles Gewebe von Notwendigkeit und Zufall - und in

den vieldeutigen Begriff des Zufalls fällt alles Persönliche...

In dieser verwirrenden und zugleich reizvollen Mannigfaltigkeit

sucht der Geschichtsschreiber das Gesetz der Entwicklung“,804 Vgl. Zeitalter, 12. Zu Friedjung als Historiker vgl. v. a. GlaubaufBismarck, passim, insb. 244-250. Zum Stil der historischen Werke Friedjungsvgl. - lobend - Hartmann an Louis Eisenmann (Paris), 28. 7. 1920 bei G.Fellner Hartmann, 395, Endn. 117; Redlich Nekrolog, 226, 228 f.; RitterHistorians, 70 (zu Friedjungs Charakter-Darstellungen) und RezensionAdlgasser, 291; von Srbik Friedjung, 536, 540 (insb.: „Feinheit derPorträts“, „Plastik der Schlachtenschilderungen“, „Künstler“); vgl. nochBettelheim Friedjung, 29 („Künstler“); Bogner Auseinandersetzungen, 108;ablehnend hingegen Karl Kraus - vgl. Lind Satiriker, 391 („Papierdeutsch“). 805 Vgl. Custoza, 6. Kritisch zur Art der Historiographie Friedjungs äußertesich sein Freund Hartmann - vgl. oben, bei Fn. 339.

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welche durch die Kräfte bestimmt sei, die „aus dem

geheimnisvollen Urgrunde der Volksseele aufsteigen.“806

Insgesamt zeichnete Friedjung angesichts der „unendlich

reich[en]“ Fülle und „wundervollen Mannigfaltigkeit“ der

Geschichte eine Abneigung gegen Lehrsätze und Systeme in der

Historie aus.807

Die Hauptträger der Geschichte waren für ihn - ganz im Sinne

des historistischen Konzepts vom „Volksgeist“ - also die

„Völker“: Im großen Gang der Weltgeschichte entscheide in

erster Linie die „lebendige Volkskraft“, sie werde

„gebieterisch durch die Kräfte bestimmt..., die aus dem

geheimnisvollen Urgrund der Volksseele aufsteigen.“808 Dabei

stellte er sich diese „Völker“ und ihr „Volksgefühl“ als

bereits sehr lange mehr oder weniger unverändert vor.809 So

befand er: „Dem Historiker ist es eine lohnende Aufgabe, die

Erinnerung an den Heldenmut der Vorfahren und an deren

segensreiche Taten im Frieden wach zu halten: das ist sein

Leitstern durch das Gestrüpp von der Menschen Schuld und

806 Vgl. Kampf, Bd. 2, 1 f. Eine Begründung für diese Differenzierungliefert Friedjung nicht.807 Vgl. Litz Grundbegriffe, 26 f. Auch dies ist typisch historistisch. ZurSkepsis gegenüber historischen Gesetzen im Wien um 1900 s. oben, Fn. 362(Rabinbach).808 Vgl. Kampf, Bd. 2, 1 f.; vgl. auch Ausgleich, 30, („...jenen dunklenUrgrund aller Völkergeschichte ... den Nationalcharakter...“). Die Rolleder Juden in der österreichischen Geschichte behandelte Friedjung in seinemwissenschaftlichen Werk - gemäß dem genannten Ansatz in Verbindung mitseinem Volksbegriff konsequent - nur selten - vgl. Ritter Historians, 54, dermeint, dies sei offenbar deswegen geschehen, weil Friedjung seineObjektivität nicht habe kompromittieren wollen.809 Vgl. Einigung, 1 - s. allerdings auch ebd.: Die geistige Blüte des 18.Jahrhunderts habe das Volksgefühl gehoben: Die deutsche Nation sei sich desZusammenhangs ihrer Volksstämme bewusst geworden.

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Torheit, das uns beim Wandern durch die Jahrhunderte den Atem

raubt und das Herz beklemmt.“810

Dies bedeutete allerdings nicht, dass Friedjung nicht auch

Universalgeschichtsschreibung betrieb.811 Und der angeblich

überragende Einfluss der Völker auf die Geschichte verhinderte

auch nicht, dass sich seine historischen Werke auf Personen

konzentrierten.812 Wichtig waren ihm dabei deren

Handlungsmotive, ihre Entschlussfassung und ihre Charaktere.813

So heißt es, wenn auch unter Hinweis auf die Notwendigkeit

einer Beschränkung aus Gründen der Zeit- und Stofffülle, im

Vorwort zum „Zeitalter des Imperialismus“, das Werk beschränke

sich der Hauptsache nach auf „das wundervolle Geflecht der

äußeren Politik, auf das Zusammen- und Gegenspiel der

internationalen Entwürfe und Handlungen der führenden

Männer.“814

Neben den Personen standen in Friedjungs Geschichtsschreibung

diplomatische und kriegerische Aktionen im Vordergrund.815 Er

selbst räumte in seinem „Zeitalter des Imperialismus“ ein, die

Nichtberücksichtigung der inneren Entwicklung der Nationen,

ihrer Kultur- und Sozialgeschichte beruhe nicht darauf, dass er

810 Custoza, 3.811 Nämlich vor allem in seinem letzten großen Werk, „Das Zeitalter desImperialismus“ - s. insb. Zeitalter, VII f. (Ohne Bemühen nach Erkenntnisder weltgeschichtlichen Zusammenhänge liefere der Historiker „bloß einenTrümmerhaufen von Ereignissen“, er müsse vielmehr in das Wesen einesZeitalters eindringen und Einheit in die Mannigfaltigkeit bringen. Auchdies ist ein „urhistoristisches“ Anliegen.)812 Über diese Konzentration: von Srbik Friedjung, 540 f. Sie entsprachFriedjungs Individualismus - vgl. ebd., 539.813 Vgl. Kampf, Bd. 1, VI.814 Vgl. Zeitalter, VI.815 Vgl. von Srbik Friedjung, 540 f.

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diesen geringere Wichtigkeit beigemessen habe, sondern auf dem

Bewusstsein der Schranken seines Könnens.816 Bereits in

„Österreich von 1848 bis 1860“ hatte er bekannt, auf den

unbedingt einzubeziehenden Gebieten der Wirtschafts- und

Rechtsgeschichte kein Kenner, sondern ein Lernender zu sein.817

Zudem lobte er sogar die marxistische Geschichtsschreibung,

welche „wie eine Fackel in das Reich des historischen Wissens“

leuchte, wenn auch ihre Einseitigkeit habe überwunden werden

müssen.818 Dem Gedanken eines Fortschrittes in der Geschichte

stand Friedjung nicht ablehnend, aber doch skeptisch gegenüber:

Immer setze sich die Menschheit höhere Ziele, steige auch

aufwärts, immer jedoch stoße sie auf die Schranken der Natur;

die Weltgeschichte dürfe nicht in den Rahmen eines

selbstgebildeten Begriffs des Fortschrittes der Menschheit

gezwängt werden.819

Friedjungs Einstellung zur Objektivität bzw. Subjektivität des

Historikers war unklar. Auf der einen Seite bestand er darauf,

mit seinem geschichtswissenschaftlichen Werk ausschließlich der

historischen Wahrheit zu dienen.820 Insbesondere verwarf er „mit

Bestimmtheit“ den „Einbruch von Phantasie und Willkür in die816 Vgl. Zeitalter, VI. Vgl. auch - kritisch - von Srbik Friedjung, 543; RedlichNekrolog, 230 f. (zu geringe Beachtung der weltwirtschaftlichenEntwicklungen); ferner Litz Grundbegriffe, 29 (Friedjung habe diesoziologische und ökonomische Komponente der geschichtlichen Entwicklungweit gehend außer Acht gelassen.).817 Vgl. Österreich, IX f. Kritisch zur geringen Berücksichtigung vonVerfassung und Verwaltung sowie geistigem, kirchlichem und künstlerischemLeben dort: von Srbik Friedjung, 542. Ganz anders: Ritter Liberalism, 246(“Heinrich Friedjung, the famous historian, is a good example of a liberalwho is seldom associated with enlightened social views. In point of fact,Friedjung was a perceptive sociocultural historian, as the second volume ofhis unfinished Österreich von 1848 bis 1860 testifies.“).818 Vgl. Zeitalter, 12. Vgl. auch Litz Grundbegriffe, 26-29.819 Vgl. Zeitalter, 3 bzw. (implizit) Karl IV., 2.

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Wissenschaft“.821 Auf der anderen Seite aber hielt er es für

„unbillig, von dem Schilderer [nur?] zeitgenössischer

Geschichte Parteilosigkeit zu verlangen, zumal bei Ereignissen,

welche die eigene Heimat betreffen und oft an seine innerste

Empfindung rühren.“822

So gelangte er zu einem seltsam inkonsistenten Ergebnis: „Kein

fühlender Mensch kann sich vermessen, an diese Dinge mit voller

Unparteilichkeit zu gehen, wohl aber ist der Historiker zu

strenger Wahrhaftigkeit verpflichtet[,] und Geschehenes darf

von ihm nicht verschwiegen werden, auch wenn dadurch

politischen oder nationalen Gegnern Stoff und Rüstzeug

geliefert werden sollte. Mag der Geschichtsschreiber immerhin

gleich Tacitus von Leidenschaft und Teilnahme ergriffen sein,820 Vgl. Benedeks, XVI (allerdings nur für dieses Buch); ähnlich: Kampf, Bd.1, IX. Vgl. auch Österreich, VIII (Weder Sieg noch Niederlage dürfe „dasUrteil des Geschichtsschreibers bei der Feststellung von Tatsachen und derWürdigung der Triebfedern beirren.“); ähnlich Kampf, Bd. 2, 1 - s. aber vonSrbik Friedjung, 541 (In „Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland“bestimme der Blick auf den Kampfausgang sehr die Anschauung derösterreichischen Vorkriegspolitik.). Vgl. ferner Karl IV., 1 (Jedes „Ding“sei um seiner selbst willen zu betrachten. [implizit]), ebd., 3 (DerHistoriker solle versuchen, sich „in die Dinge selbst hineinzuversetzen“und ihnen „nach eigenem Werth Rang und Stellung in der Geschichteanzuweisen“.); ähnlich: Österreich, VIII; Zeitalter, VIII. Vom BruchProfessoren, 21 verweist darauf, dass gerade eine „scheinbar unpolitische,nur wissenschaftlicher Dignität geschuldete Gelehrtenreputation“ sich imöffentlichen Meinungskampf umso wirkungsvoller habe instrumentalisierenlassen; vgl. auch Gelehrtenpolitik, 40: Voraussetzung für die Resonanzhistorischer Werke „im gebildeten Bürgertum, bei publizistischen opinionleaders und der bürokratischen Herrschaftselite“ sei nach der Gründung desDeutschen Reiches u. a. deren “Objektivität“ gewesen. [Anführungszeichenbei Objektivität in der Vorlage].821 Alter, 21.822 Österreich, VIII; ähnlich Zeitalter, V. Zu den besonderenSchwierigkeiten der Zeitgeschichtsschreibung vgl. Österreich, IX;Zeitalter, V. Zur Unmöglichkeit einer vollkommen unparteiischen Zeitung, dadie „Unpersönlichkeit“ der menschlichen Natur gerade nicht entspreche, vgl.Zeitung, 487. Vgl. auch noch Bettelheim Friedjung, 39 (Friedjung habe dieGeschichte des neuen Österreich äußerlich und innerlich leidenschaftlichmiterlebt.).

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wenn er nur die Fähigkeit besitzt, Menschen und Dinge nach

ihrer eigensten Natur zu sehen und zu schildern; dann erkennt

man die Wahrheit auch durch den Schleier, den seine Neigungen

über sie gebreitet haben mögen.“823

Friedjungs Geschichtsschreibung war in der Tat stark von seinen

eigenen Werturteilen geprägt.824 In mindestens einem Fall

entlarvte er sich insofern - zwar nicht notwendiger, aber doch

wahrscheinlicher Weise - selbst, als er in einem Brief an Anton

Bettelheim vom 2. 1. 1898 von diesem verlangte, die ihm

gegenüber offenbarten Motive, welche ihn zum Schreiben der

Biographie Ludwig August Ritters von Benedek veranlasst hatten,

sollten wegen ihrer „starke[r] persönliche[r] Färbung unter uns

bleiben“.825 823 Österreich, VIII (inkl. „Wem aber die Gaben des Historikers versagtsind, der leuchtet auch mit der vielgerühmten Objektivität nicht in dasWesen der Dinge hinein.“); ferner Vorrede, VII; Redlich Nekrolog, 228 über„Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859-1866“. Vgl. - in Bezugauf Friedjungs im Text wiedergegebene Forderung, nichts zu verschweigen -aber auch Benedeks, XV: „Darunter befindet sich nicht ein Blatt, dasgeeignet wäre, die Empfindungen eines seinem österreichischen Vaterlandenoch so ergebenen Bürgers oder Soldaten zu verletzen. ... Sonach konnte indiesem Buche alles Belangreiche aus seinen [Benedeks] Papierenveröffentlicht, nichts Wesentliches mußte unterdrückt werden.“ Zu„Darstellung und Urteil“ bei Friedjung s. Litz Grundbegriffe, 22-25. 824 Vgl. auch von Srbik Friedjung, 541: Der Maßstab in „Kampf um dieVorherrschaft in Deutschland“ sei sehr dem politischen Liberalismus desAutors entnommen; den dortigen absolutierenden Werturteilen über dieInnenstruktur Österreichs könne eine bestimmte Einseitigkeit nichtabgesprochen werden. Noch weit mehr habe Friedjungs zeitpolitischeEinstellung in seinem zweiten großen Werk, „Österreich von 1848 bis 1860“,zu sehr die Macht in seinem historisch-politischen Werten übernommen. Vgl.aber auch (teilweise wenig überzeugend) Bogner Auseinandersetzungen, 228 f.,231-233. Zur Werturteilsdiskussion im Deutschen Reich v. a. im Rahmen derNationalökonomie und Soziologie vgl. vom Bruch Wissenschaft, 294-320, insb.294 f. über „Wissenschaftlich-methodische Angriffe in politischer Absicht“.825 Vgl. F. Fellner Friedjung, 646. Logisch betrachtet, ist ein subjektivesMotiv für die Auswahl eines Themas noch kein hinreichender Grund dafür,dass auch eine subjektive Behandlung des Stoffes erfolgt; aber geradeFriedjungs Einschwören Bettelheims auf Verschwiegenheit deutet auch aufLetztere hin; Entsprechendes gilt (sogar) für die sogleich anzusprechende

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Zudem strebte Friedjung mit seiner Geschichtsschreibung

vielfach politische Ziele an.826 So schrieb er in seinem

Begleitbrief zu einem Exemplar der “Denkschrift aus Deutsch-

Österreich” an Bethmannn Hollweg: Da er Jahre seines Lebens der

Geschichtsschreibung des Bruderkrieges von 1866 gewidmet habe

mit der Absicht, diesen Kampf als Vorbedingung für die echte

Versöhnung darzustellen, seien seine Arbeiten und Bemühungen

nun darauf gerichtet, dem Ziel der Vereinigung Mitteleuropas zu

dienen und es als Produkt des ruhmreichen Krieges von 1915 zu

porträtieren.827 Ähnliches konnte für den Zeitpunkt einer

Absicht, mit einem wissenschaftlichen Werk zugleich politische Ziele zuerreichen. 826 Vgl. auch Glaubauf Bismarck, 116 (Friedjung habe jene Ziele, für die erals Journalist und in seinen politischen Studien eingetreten war, mit denMitteln der wissenschaftlichen Historie zu propagieren versucht.), 118(Seine politische Grundeinstellung sei eine extrem starke Komponente seineshistorischen Denkens gewesen.); Litz Grundbegriffe, 22 f. (Friedjung behaltesich das Recht vor, „ahnen zu lassen, welche Wege er den Völkern und derMenschheit, besonders aber dem eigenen Vaterlande weisen möchte“ - Nw.ebd., Fn. 26), 25 (Von politischer Indifferenz sei in Friedjungs Werkennichts zu spüren). Die anschließende Behauptung von Litz ebd., 26: „Friedjunglöst also das durch den Titel dieses Abschnittes [„Politisches Bekenntnisund geschichtliche Wahrheit“] ausgedrückte Dilemma in dem Sinne, daß erweder der geschichtlichen Wahrheit sein politisches Bekenntnis, noch seinempolitischen Bekenntnis die geschichtliche Wahrheit opfern will.“ istverwunderlich: Dies ist keinesfalls eine Lösung, sondern sogar eineBekräftigung des Dilemmas, da Friedjung dabei ja keine strikte Trennungbeider Bereiche im Sinne etwa von M. Weber Wissenschaft, 215-223 vornahm.Vgl. zudem Lindström Empire, 31 („...his interest in the question of(political) partisanship versus (historical) truthfulness, which inFriedjung seems to have generated a tension that propelled his verysuccessful dual career forward.“), 75; Ritter Historians, 56 („Friedjung’shistorical imagination was made to serve his political fantasy. The basicoutlines of the Linz Program of 1881 are already visible in these two worksof 1876 and 1877 [Karl IV. und Ausgleich].”); vgl. auch ebd., 55 f. überFriedjungs Frühwerk “Karl IV.” als Fürstenspiegel.827 Vgl. Lindström Empire, 78. Vgl. auch von Srbik Friedjung, 540: Mit „DerKampf um die Vorherrschaft in Deutschland“ habe Friedjung versöhnen undvereinen wollen; sowie Ritter Historians. 66: „Der Kampf um die Vorherrschaftin Deutschland“ sei zu einem großen Teil geschrieben, um eine existierendeRegierungspolitik zu unterstützen: das Bündnis mit Deutschland und Italien.

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Neuausgabe gelten: Im selben Jahr bezeichnete er es als Zweck

des Separatdruckes der Schilderung der Schlachten von Custoza

und Lissa aus „Der Kampf um die Vorherrschaft um Deutschland“,

den Leser in seinem „Vertrauen auf unsere heldenmütig

streitende Armee und auf unsere bewährte Flotte“ zu bestärken;

die Siege Altösterreichs sollten als „Ansporn für den Kampf der

Söhne der habsburgischen Monarchie an der Seite ihrer

Waffenbrüder aus dem Deutschen Reiche“ dienen.828 Zu dem

Grundwerk hatte er angemerkt, auch durch die Benennung der

tieferen Ursachen von dessen Niederlagen erweise der

Geschichtsschreiber seinem Staat einen Dienst.829

Klar ersichtlich ist in Friedjungs Historiographie denn auch

eine „therapeutische“ Absicht, gerade zur Überwindung des

Traumas von 1866.830 Folgende Passage veranschaulicht dies

besonders gut: „So ist der Krieg von 1866 dem Österreicher eine

schmerzlich-stolze Erinnerung. Er brachte schwere Schläge für

das vielgeprüfte Reich, aber unrühmlich wurde nirgends

gestritten, die Waffenehre überall gewahrt. Und da auf dem

blutgedüngten Gefilde von Königgrätz die Saat des Bündnisses828 Vgl. Custoza, 3. 829 Implizit in der Kampf, Bd. 2, 2. Vgl. auch Ritter Historians 67 (“DerKampf um die Vorherrschaft in Deutschland” “was conceived as an instrumentof purgation, a device to arouse pity and fear and thereby exorcise theghosts of three hundred years of repression: Friedjung intended his book asa final radical political act to help topple the old structure once and forall.”). Zu Friedjungs nicht allein politischem Interesse an derGeschichtsschreibung vgl. Vorrede, S. VII („Finden meine Worte den Weg auchzu den Herzen und dem Willen des Lesers, so ist dies eine erwünschteNebenwirkung, wenn die Arbeiten auch in erster Linie der historischenErkenntnis dienen sollten.“) und VIII („War doch mit dem Zerfalle derösterreichisch-ungarischen Monarchie nichts wertlos geworden, was jemalsdie Kenntnis vom alten Österreich erweitert hatte.“).830 So bereits Bettelheim Friedjung, 30 („Für sich und andere schöpfte er ausder richtigen Quelle den richtigen Heiltrank.“) sowie Lindström Empire, 32,35; vgl. auch Ritter in der vorigen Fn.

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mit Deutschland aufsproß, ... so war die Trauer über die

erlittene Niederlage doch gemildert, und gehobenen Mutes können

die Söhne der Sieger von Custoza und Lissa von den zu Lande und

zu Wasser erfochtenen Siegen erzählen.“831

Um 1910 - also nachdem Friedjung bereits längst in diesem Sinne

gewirkt hatte - häuften sich auch im Wilhelminischen

Deutschland die Stimmen von Historikern, die einer „notwendigen

politischen Relevanz historischer Erkenntnisse“ das Wort

redeten, wobei neben der legitimationsbedürftigen Weltpolitik

zentrale Motive „zunehmendes Unbehagen über bloß spezialisierte

Detailforschung sowie - etwa im Falle Lamprechts - eine

‚bedrückende Einsicht in die nationalpolitische

Einflußlosigkeit und Ziellosigkeit der deutschen

Geschichtsschreibung’ waren.“832 Jedoch sollte nach deren

Auffassung - im Gegensatz zu großen Teilen von Friedjungs

historischen Arbeiten - eine solche „erforderliche

Historisierung der Politik und des öffentlichen politischen

Bewußtseins nicht mit einer Politisierung der Historie als

Wissenschaft“ einhergehen, die „Historie“ nicht „zur Dienerin

der Politik“ werden.833 Letzteres gilt nach Ramhardter sogar für

831 Custoza, 4 f.832 Vgl. Vom Bruch Wissenschaft, 378 f. - Zitat von W. Goetz (vgl. 379, Fn.90).833 Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 379 - „Historie zur Dienerin der Politik“:Zitat von Lenz (vgl. ebd., Fn. 99); vgl. weiter ebd.: „Die Historiker sahen... in der Verbindung von nationaler Färbung der Darstellung und objektiverUniversalität des Standpunktes (Oncken) die Voraussetzung für eine nationalverbindliche wie wissenschaftlich distanzierte und unangreifbareDurchdringung und Beratung der zeitgenössischen Politik, um sodann um sounbefangener zu politischen Wertungen und Forderungen gelangen zu können.Die für die historisch-politische Publizistik maßgebende Verfahrensweiseausführlicher und meist weitausholender historischer Abrisse undTrendbeschreibungen und deren Einmünden in konkrete politischeHandlungsanweisungen oder Belehrungen des öffentlichen Bewußtseins erklärt

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den ganz überwiegenden Teil der Geschichtsschreibung durch

deutschösterreichische Historiker während des Ersten

Weltkriegs.834 Insofern war Friedjungs Ansatz - zumindest in

seiner Offenheit - eine Ausnahme.

Moralische Urteile in der Historiographie lehnte Friedjung für

den Regelfall (jedoch) ab: „Als Historiker befolge ich den

Grundsatz, moralische Urteile nur insoweit abzugeben, als sich

die Geschichtsdarstellung zu den Ansichten der Zeitgenossen, in

erster Linie der beteiligten Personen, in ein Verhältnis setzen

muß. Wenn diese sich zu ihren Handlungen durch die sittliche

Auffassung einer Tat bestimmen ließen, so kann es der

Historiker nicht vermeiden, auch auf Motive solcher Art

sorgfältig einzugehen.“835 So äußerte er im Hinblick auf das

Streben Ungarns nach Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert: Wer

hier „von Recht und Unrecht spricht, verkennt die Natur der

Völker. Es ist nicht Sache des Geschichtsschreibers, das

Richteramt zu üben und den Nationen und Volkskräften Recht oder

Schuld zuzumessen. ... Ihnen [den großen Historikern des

Altertums] galt es als selbstverständlich, daß der Starke nach

Sieg und Macht strebt, und ebenso, daß der Unterworfene die ihm

sich mit aus dieser Prämisse...“.834 Ramhardter Geschichtswissenschaft, 186 f. - vgl. (aber) auch ebd., 191:Viele österreichische Historiker hätten sich im Krieg auf die historischenGrundlagen und die politischen Traditionen der Habsburger-Monarchiezurückbesonnen und daraus die Aufgaben Österreichs abgeleitet sowie dieösterreichische Staatsmission und die Existenznotwendigkeit desVielvölkerreiches beschworen. Dabei hätten sie es ihrem wissenschaftlichenRuf als nicht abträglich empfunden, wenn sie zu diesem Zweck bestimmtevorgefasste politische Ansichten mit historischen Fakten zu belegenversuchten, die willkürlich auf das Ergebnis hin ausgewählt gewesen seien. 835 Entgegnung, 132. Vgl. auch Litz Grundbegriffe, 23 f.: Für Friedjung seilediglich die Geeignetheit der Mittel zu einem von der betreffendenhistorischen Persönlichkeit angestrebten Ziel voll bewertbar, weil es sichhier um eine Sache des abwägenden Verstandes handele.

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auferlegte Herrschaft abschütteln will...“836 Diese, sich selbst

auferlegte Zurückhaltung wahrte er allerdings nicht immer.837

Den Grundsatz „Macht vor Recht“ erkannte Friedjung denn auch

nicht nur für das Gebiet des zeitgenössischen „Kampfes“ der

Nationen, sondern auch für das gesamte Feld der Geschichte

„vorbehaltlos“ an.838 Nach dem Zerfall des Habsburger-Reiches,

dessen „Daseinsnotwendigkeit“ er so oft postuliert hatte,

jedoch abstrahierte er von gewissen die Macht mitbestimmenden

Faktoren: Der militärische Untergang eines Staates an sich

beweise nicht, dass er lebensunfähig gewesen sei. „Aus inneren

Gründen heraus hätte der vollständige Auseinanderbruch

Österreich-Ungarns nicht eintreten müssen, so daß man mit

Wallenstein ausrufen möchte: ‚Das aber ist geschehen wider

Sternenlauf und Schicksal!’“839 Das „unbestochene [!] Auge“ sehe

nur den Kampf der Stärkeren gegen die Schwächeren, erkenne in

836 Österreich, VII. Vgl. auch Zeitalter, V und 12.837 Vgl. z. B. - freilich in einem eher politisch ausgerichteten Artikel -Chlumecky II, 461 („Italiens treuloser Politik“).838 Zu Friedjungs Historiographie vgl. insofern Glaubauf Bismarck 167-170,insb. 168 (Zitat). Eingehend über Friedjungs „Ethische Grundbegriffe“: LitzGrundbegriffe, 69-85- vgl. auch ebd., 23: Der moralische Maßstab sei fürFriedjung nur im Hinblick auf das Verhalten einzelner Menschen anwendbarund die moralische Beurteilung einer historischen Persönlichkeit für ihnauf Grund der für den Historiker nur eingeschränkten Zugänglichkeit vonderen Innerem sehr problematisch gewesen, sowie ebd., 35: Friedjung hatdemnach die Macht eines Volkes - im Sinne eines „Rechts des Stärkeren“ -auch als rechtsbegründend angesehen; die zweite, nachrangige Rechtsquellesei ihm das „historische“ Recht gewesen, welches in seiner Sichtausschließlich auf Verträgen basiere. Vgl. auch Oesterreich-Ungarn, 2, woFriedjung die Annexion Bosniens und der Herzegowina neben internationalenVerträgen mit österreichisch-ungarischen militärischen Siegen und der Sachenach mit der bloßen „unabwendbare[n] Tatsache der österreichischenHerrschaft“ rechtfertigt, sowie Chlumecky Adria, 454 [1906], wo zur bloßenVormachtstellung Österreichs in Albanien noch deren historische Begründungtritt. 839 Vgl. Vorrede, XI. Es fragt sich, wie sich dies zu ebd., VII verhält, woFriedjung eine „schändliche Selbstaufgabe im Oktober 1918“ anprangert.

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der Gewalt das letzte Wort der „sogenannten Weltvernunft“.840

Und plötzlich argumentierte er in diesem Zusammenhang

moralisch: „Nur dann sind die Fürsprecher des alten Österreich

vor dem Gerichtshof der Weltgeschichte des Irrtums überwiesen,

wenn an seiner Stelle wieder Staaten mit dauernden Rechts-,

Friedens- und Machtordnungen entstehen.“841

Was besagt nun diese Auffassung Friedjungs über seine

Wissenschaft für seine Politik? Auf jeden Fall war ihm der

Dienst am „Gemeinwohl“ Pflicht - wobei dies noch keine

spezifische Pflicht gerade eines Wissenschaftlers bedeutet.842

Es ist darüber hinaus (nochmals) hervorzuheben, dass er bereits

unmittelbar durch seine historischen Werke Politik betrieb und

seine politischen Äußerungen überdies oft mit historischen

„Begründungen“ versah - womit er wie die typischen

Gelehrtenpolitiker den Anspruch vertrat, Sprecher „für die

Zukunft der Nation“ zu sein.843 Daher kann - auch mit vielen

840 Vgl. Vorrede, XI. Vgl. auch Chlumecky II, 461 („Es widerspräche meinerDenkungsart, meine Ansicht dem von Italiens treuloser Politik erzieltenErfolg anzupassen...“), 462 (Die österreichisch-ungarische Armee habe langegegen die in der Überzahl befindlichen Italiener standgehalten; erst nachden Siegen „des Feindes“ auf dem Balkan und in Frankreich und dem dadurchhervorgerufenen inneren Zusammenbruch Österreich-Ungarns hätten jene „überdie bereits zertrümmerte Mauer“ steigen können. „Die Götzendiener desErfolgs werden der österreichisch-ungarischen Armee auch nach derenZerschlagung diesen Ruhm nicht entreißen können.“).841 Vgl. Vorrede, XVI.842 Zur Pflicht zur Förderung des Gemeinwohls: Stück, 22; vgl. zudem von SrbikFriedjung, 538: Friedjung habe das „Tagesschriftstellertum stets als einAmt am Volke und Staate“ angesehen. Vgl. schließlich noch FriedjungAusgleich, 13, wo er sich über die im Jahrzehnt von 1867 bis 1877 geringeBeteiligung der Österreicher an der Politik sowie darüber beklagt, dass dieprivaten Tugenden in Österreich geschätzt würden, der öffentliche Charakterjedoch niedriger Motive beschuldigt werde. 843 Zu Letzterem vgl. z. B. sein historisch-analoges Argument in Abkehr [1.Juni 1918], 2: 1866, 1897 und 1908, in den drei Krisenjahren Böhmens, seikein Riss erfolgt, „und nicht viel anders, so darf man wohl annehmen, wirdes auch jetzt sein.“.

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Stimmen in der Literatur - festgehalten werden: Bei Friedjung

haben Wissenschaft und Politik eine untrennbare Einheit

gebildet, in welcher beide Aspekte in beständiger,

spannungsreicher Wechselwirkung standen.844 Auch trifft auf ihn

das angeführte Merkmal des gelehrtenpolitischen Historikers zu,

dass er „Wissen als historisch fundierte Sinndeutungsangebote

an die Gesellschaft“ zurückgab, seinerseits aber im

herrschenden Geschichtsbewusstsein - nämlich dem

späthistoristischen - verwurzelt war. Friedjung war daher

insofern durchaus ein Gelehrtenpolitiker.

2. Franz Klein

Für Klein war das Recht, wie gesehen, Mittel zur Verwirklichung

sozialer Ziele. Genau wie in der Politik folgte er auch in der

Rechtswissenschaft einer „pragmatisch betonte[n] Mittellinie“.

So bezeichnet ihn Hofmeister als in methodischer Hinsicht

ausgewogensten Rechtsdenker des alten Österreich. Er sei

vollkommen frei von Einseitigkeiten gewesen, an denen gerade844 Ähnlich bereits von Srbik Friedjung, 535 sowie F. Fellner Friedjung, 644; LitzGrundbegriffe, 19. Vgl. ferner Adlgasser/Friedrich Einleitung, 12; LindströmEmpire, 30 („Sometimes ... Friedjung’s attempt to fashion a new historicalnarrative on the development of Austria fused completely with his day-to-day political writing. ... Friedjung attempted to write the history ofAustria simultaneously as he was partaking in the enactment of thisnarrative, attempting to influence the course of this history as it wasunfolding.”). Vgl. auch noch Zeitalter, S. VI: („Förderlich war der Arbeitmeine durch vier Jahrzehnte ununterbrochene publizistische Tätigkeit.“).Journalismus als einen eigenen, dritten Aspekt von Friedjungs Wirken zubetrachten - wie F. Fellner Friedjung, 644 dies tut -, ist allerdings kaumangemessen, da es sich dabei, anders als bei Wissenschaft und Politik,lediglich um ein Mittel zur Verbreitung von Gedanken handelt, und zwar imFalle von Friedjung zur Werbung für seine Politik. F. Fellner Friedjung, 645monierte 1988, Fachhistoriker hätten sich nie der Mühe unterzogen,„Friedjungs tagespolitische Produktion im Kontext seiner sogenanntenwissenschaftlichen Werke zu sehen.“ Das trifft - bis heute - (nur) insoweitzu, als dies noch nicht detailliert geschehen ist.

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die Rechtslehre des frühen 20. Jahrhunderts nicht gerade arm

gewesen sei: Unter den jüngeren Zeitgenossen Kleins hätten sich

„extreme Anhänger der soziologischen Jurisprudenz

(Freirechtler, Eugen Ehrlich, Armin Ehrenzweig usw[.]) wie auch

Rechtspositivisten (die Gründergeneration der Wiener

rechtstheoretischen Schule)“ befunden.845

In der Tat wandte sich Klein gegen die Freirechtsschule in der

Gestalt, welche Hermann Kantorowicz vertrat, nämlich gegen ein

weit gehend ungebundenes Juristenrecht: Deren Umsetzung würde

„ein unkontrollierbares Juristenmonopol, jedenfalls eine starke

Mehrung ihres Einflusses“ bedeuten.“846 Sie sei der

Rechtssicherheit abträglich, antisozial, „von echter

Juristenüberhebung erfüllt“ und berücksichtige nicht die

Interessen der Bevölkerung. Das Recht sei „überhaupt nicht

845 Vgl. Hofmeister Klein, 215. Zu Kleins beiden wohl bedeutendstenrechtswissenschaftlichen Werken, „Sachbesitz und Ersitzung, Forschungen imGebiete des römischen Sachenrechtes und Zivilprozesses“ von 1891 und „Diepsychischen Quellen des Rechtsgehorsams und der Rechtsgeltung“ von 1912,vgl. Benedikt Klein, 10 bzw. 23; über letzteres auch Böhm Grundlagen, 196-199, insb. 197: Dieses sei, beeinflusst durch Wilhelm Wundt, ein„bahnbrechendes Werk der Rechtspsychologie“ gewesen; Coing, Grundzüge, 289f. sowie 292. Dass Kleins „allgemein-theoretische“ Studien bis auf ebendieses Werk in der Literatur „kaum Aufmerksamkeit und Widerhall“ erweckthätten, betont Böhm ebd., 196. Über Eugen Ehrlichs rechtssoziologischenAnsatz: Rehbinder Begründung, 34-99, insb. 96-99 („Die freie Rechtsfindungals Rechtschöpfung im Falle echter Lücken“), hier wiederum insb. 98: DerRichter „soll kein Sozialrevolutionär sein, sondern seine Entscheidungbehutsam auf dem sozialen Sachverhalt, d. h. aber auf den Tatsachen desRechts und damit auf den Normen des gesellschaftlichen Rechts, aufbauen.“;Somek Politik, 375, 378-384, insb. 378: „Überspitzt ausgedrückt[,] istEhrlich der Schöpfer der Rechtstheorie der selbstorganisierten sozialenSysteme.“ Mit der „Gründergeneration der Wiener rechtstheoretischen Schule“spielt Hofmeister vor allem auf Hans Kelsen an - zu ihm vgl. sogleich, Fn.866.846 Vgl. Kampf, 396 (Klein bespricht hier die von Hermann Kantorowiczverfasste und unter dem Pseudonym „Gnaeus Flavius“ 1906 publizierte Schrift„Der Kampf um die Rechtswissenschaft“.).

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Richtereigentum, sondern Gemeingut.“847 Zudem verstießen diese

Vorstellungen gegen die Verfassung, und ihre Durchführung würde

eine „Art Staatstreich“ bedeuten.848

Auf der anderen Seite beschritt Klein, wie beschrieben,

zumindest im Hinblick auf die Einrichtung der Jugendfürsorge

ohne die Grundlage eines Gesetzes oder einer Verordnung selbst

unkonventionelle Wege. Auch seine bereits zitierte Forderung,

der „Gedanke der Fürsorge, der Pflegschaft, des Errettens“ habe

das Walten der Justiz zu durchdringen, lässt keinen strengen

Gesetzespositivismus erkennen, wie er etwa von Hans Kelsen

propagiert wurde.849 Mit Eugen Ehrlich stimmte er darüber hinaus

insofern überein, dass der „volkstümlichen Verkehrssitte“,

soweit möglich, „die Funktion einer Rechtsnorm zu übertragen“

sei.850

847 Vgl. Kampf, 398 f.848 Vgl. Kampf, 400.849 Noch deutlicher Klein in „Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse“(1901), bei Bolla-Kotek Prozess: „Man braucht nur die gebundene Kraft desRichters freizugeben und sie wie die der übrigen Staatsorgane in den Dienstdes Rechts, des Gemeinwohles und des gesellschaftlichen Friedens zustellen.“ [Kursivdruck in der Vorlage]. Über Kelsens Lehre: Métall Kelsen,102-121; Somek Politik, 385-400; auch Ehs Kelsen, 13-27; über sein Leben:Métall Kelsen, 1-101; zur überragenden Bedeutung seiner Theorie des Rechts,deren weltweiter Rezeption: Somek Politik, 400 f.; über das Verhältnisseines Werkes zur dort sog. Wiener Moderne: Jabloner Kelsen, 61-77, insb. 77:Ein spezifisch „moderner“ Zug an Kelsen sei das „Paradigma einer Verbindungvon Rationalität und Fortschritt.“ Die Reine Rechtslehre als Theorie despositiven Rechts habe „die Verfügbarkeit des Rechts als bewusstes undwillentlich eingesetztes Mittel zur Veränderung der Gesellschaft“gesteigert. [Anführungszeichen bei „moderner“ im Original] Auch wenn manLetzterem zustimmen würde, wäre aber auch die Einschränkung der Macht desRichters für Veränderungen zu berücksichtigen. Allerdings war dieösterreichische Juristentradition ohnehin seit Langem stark formalistischgeprägt gewesen, und zwar gerade im Sinne des Versuchs einer Kompensationder Modernisierung - vgl. dazu Mantl Modernisierung, 98. Vgl. fernerNautz/Vahrenkamp Einleitung, 43: Kelsen selbst habe seine 1934 edierte„Reine Rechtslehre“ als Ausfluss des Vielvölkerstaates bezeichnet.850 Vgl. Böhm Grundlagen, 201 (Zitat aus Klein Die psychischen Quellen desRechtsgehorsams und der Rechtsgeltung, 70 - vgl. ebd., 202, Fn. 39) sowie -

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Jedoch war diese auf wissenschaftlichem Gebiet ausgleichende

Position Kleins - welche sich, wie gesagt, auch in seiner

Synthese von Zivilprozessmaximen ausdrückte - nicht so sehr ein

Grund für seine ebenfalls möglichst auf Ausgleich bedachte

Politik.851 Eher dürfte, gerade angesichts der nach seinem

Konzept dienenden Funktion des Rechts, das Gegenteil gelten:

Die Politik der „Mitte“ verlangt eine Rechtswissenschaft und

Justiz der „Mitte“. Daher war Klein insofern kein

„Gelehrtenpolitiker“ im eigentlichen Sinn, als es seine

„eigene“ Wissenschaft betrifft: Er erhob zwar für sich, wie

sich aus den bisherigen Ausführungen dieser Arbeit ergibt,

durchaus einen „nationalpädagogischen Anspruch universaler ...

Wahrheit im sittlichen Medium der Vernunft“; aber sein

politisches Engagement fußte offenbar kaum auf einem

rechtswissenschaftlichen Fundament oder Selbstverständnis.

Jedoch setzte Klein seine rechtswissenschaftlichen Kenntnisse

immerhin als Mittel zur Erreichung seiner politischen Ziele

ein. Dies entspricht durchaus auch dem Verständnis

(nationalökonomischer) Gelehrtenpolitiker im Wilhelminischen

Deutschland.852 für Eugen Ehrlich - oben, Fn. 845 (Rehbinder). 851 Vgl. auch Böhm Grundlagen, 192 über Kleins pragmatischen Realismus (auch)auf dem Gebiet des Rechts und seine sich jeder eindeutigen Zuordnungentziehenden rechtstheoretischen und rechtssoziologischen Reflexionen -dabei betont Böhm jedoch die gedankliche Eigenständigkeit Kleins - sowieüber dessen Denken und Schreib- bzw. Redestil: „Das Geistreiche,Enthusiastische, Sprunghaft-Assoziative, das sich neben klaremWirklichkeitssinn und abwägender Rationalität in seinem Wesen findet, wieauch der essayistische, faszinierende und oft auch überredende Stilschwächen mitunter die Präzision seiner Gedankenführung, der ohnehin jedeSystematik um ihrer selbst willen völlig ferne liegt.“; zu Letzterem vgl.ferner Bolla-Kotek Prozess, 422 („Meister der Sprache“). 852 Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 357 f. über Gustav Schmoller (Der „um das‚Gemeinwohl’ besorgten und dadurch im zeitgenössischen Verständnis zugleich

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Zudem darf man nicht übersehen, dass Klein über sein engeres

Fachgebiet hinaus blickte: Die Beachtung der Erkenntnisse der

Soziologie und Psychologie war in seinen Augen von hoher

Bedeutung - und das, so darf man annehmen, gerade auch für eine

gute Politik.853 Auch selbst versuchte er - vor allem nach

seiner ersten Amtszeit als Justizminister -, die

gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und psychischen Gründe und

Ziele der Rechtsnormen und die soziologische Zusammenhänge der

Rechtslehre aufzudecken - ohne dabei einen „vordergründigen

Ökonomismus“, den Materialismus oder einen Psychologismus zu

verfechten, (aber) unter Zubilligung von „Teilwahrheiten“ des

Sozialismus und Marxismus.854 Außerdem war Klein stets

Befürworter einer Politik mit einem Plan - welcher wiederum

(auch) aus wissenschaftlichen Erkenntnissen hätte folgen

können, ja vermutlich zumindest zum Teil auch sollen.855

eng mit ‚Sozialpolitik’ gekoppelten Wissenschaft“ werde „iminnerstaatlichen Bereich die Durchsetzung sozialer ‚Gerechtigkeit’“zugewiesen, „womit zugleich das Leitmotiv der nationalökonomischenPolitiker bezeichnet“ gewesen sei.).853 Vgl. Klein bei Wilhelm Besuch [Mai 1914], 1027; auch Ziele, 6 f., wo Kleinsich für die Soziologie als einen verfeinerten Erkenntnisbehelf starkmacht, insb. 6 („Staat, Volk, Gesellschaft, Parteien, Massen usw., ehemalsentweder bloß Sammelworte oder vieldeutige streitige Begriffe, hat dieseWissenschaft als lebendige geistig-seelische Bildungen auf physischerGrundlage zu erfassen gelehrt.“). 854 Zu den entsprechenden Versuchen Kleins vgl. Schey Nekrolog, 183. Vgl.auch Böhm Klein, 239: Kleins soziologische Reflexionen hätten einenwesentlichen Teil seines literarischen Werks geprägt. Böhm behauptet hierzudem, Klein habe „allgemeine Anerkennung als Rechtssoziologe“ gefunden.Vgl. auch Böhm Grundlagen, 195 bzw. 197 - dort insb. zu Kleins Ablehnungvon „vordergründige[m] Ökonomismus“ und Materialismus und zur Zubilligungder genannten „Teilwahrheiten“ bzw. zu seiner nicht-psychologistischenPosition.855 Vgl. Weg [September 1905, anonym], 395 („Man legt sich die Frage vor,wie viel politischen Einfluß die Regierungen haben, die sich seit längererZeit folgen. Mehr Verwaltung als wahrhaftige Leitung der Staatstätigkeit.Ein beständiges Diplomatisieren um die täglichen Notwendigkeiten desStaatslebens. Ein Abmühen, notdürftig, das politische Gleichgewicht zu

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Dennoch dürfte Kleins Politik kaum systematisch auf einer

wissenschaftlichen Basis gestanden haben.856 Gegen seine

Einstufung in die Gruppe der „Gelehrtenpolitiker“ spricht zudem

seine eigene Außendarstellung. Denn Klein nutzte im Rahmen

seiner politischen Tätigkeit, soweit ersichtlich, niemals die

Bezeichnung „Professor“; vielmehr trat er seit seiner ersten

Amtszeit als Minister (und abgesehen natürlich von seiner

kurzen zweiten Amtszeit) offenbar entweder einfach unter seinem

Namen (mit oder auch ohne den Zusatz „Dr.“) oder als „Minister

a. D.“ auf.857 Ob dies auch seiner inneren Sicht von sich selbst

entsprach, ist zwar unklar, aber der Eindruck auf die

Adressaten seiner Politik und damit auch deren

Erwartungshaltung war - und dies sicher von Klein beabsichtigt

- eindeutig.

Allerdings rief Klein in einer an die „akademische Jugend“

gerichteten Versammlung der BDP vom 10. Januar 1919 aus: „Oder

darf ich vielleicht sagen: Kommilitonen; denn auch ich stehe in

Reih’ und Glied mit Ihnen im Kampfe, dessen Hauptstützen seit

jeher die deutschen Hochschulen waren, im Kampfe gegen

politische und geistige Dunkelheit und Enge.“858 Diese, wenn

auch offensichtlich vereinzelte, Aussage lässt sogar die

Deutung zu, Kleins Selbstbild sei das eines „politischen

halten, das es ganz und gar verwehrt, einmal auf eigner Spureinherzuschreiten.“); Saint Germain, 309 f. (Brief an Ottilie Friedlaendervom 4. August 1919).856 Dass die Verwissenschaftlichung der Sozialpolitik bereits in derGeneration Max Webers den Intellektuellentypus geprägt habe, merkt HübingerGelehrte, 237 an.857 Das betrifft sämtliche hier ausgewerteten Quellen.858 In Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 3.

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Professors“ gewesen, wie er in den ersten beiden Dritteln des

19.Jahrhunderts verbreitet war. Zudem war auch Klein offenbar

der Auffassung, die Gebildeten und insbesondere die

Universitäten seien Wortführer ihrer jeweiligen Nationen.859 Die

Anwendung des Begriffs „Gelehrtenpolitiker“ auf Klein ist nach

Allem zweifelhaft.

3. Ludo Moritz Hartmann

In der Sicht Hartmanns gehört die Geschichte zum Bereich der

Biologie.860 In letzterem wiederum hätten die auf dem Gebiet der

anorganischen Natur herrschenden mechanischen Gesetze

grundsätzlich ebenfalls Geltung, da beide Bereiche sich nur

durch ihre jeweiligen Tatsachenkomplexe unterschieden, nicht

859 Vgl. Kulturgemeinschaft, 65: Die trotzigsten Absagen an dengesellschaftlichen Internationalismus seien „aus den Lagern der hohen undhöchsten Bildung gekommen, von den Wortführern der Nationen und denangesehensten Körperschaften ihres geistigen Lebens.“ Und kurz danach -ebd., 65 f. - werden die Universitäten angesprochen. Ganz wörtlichgenommen, ergäbe sich zwar gerade ein Unterschied zwischen den Wortführernder Nationen und den Universitäten, aber dies dürfte Klein kaum gemeinthaben.860 Vgl. Entwickelung, 2-5. Gerne verwandte Hartmann bei der Behandlunghistorischer Fragen denn auch Worte wie „rudimentär“ und „atavistisch“ -vgl. z. B. Krieg, 24. Eingehend zu Hartmanns geschichtswissenschaftlichesKonzept: G. Fellner Hartmann, 137-237, insb. 137-171. Fellner nutzt die Figurdes „Paradigmenwechsels“, um Hartmanns Stellung zur herrschenden Strömungin der Geschichtswissenschaft zu beschreiben - zum „Wechsel derParadigmata“ bzw. zur „wissenschaftlichen Revolution“ vgl. Kuhn Struktur,25, 57-64, 79 f., 97-99, 103, 104-170, 179, 187-203, 215 f. EinVerzeichnis der historischen Schriften Hartmanns findet sich bei SteinHartmann, 329-332. Speziell zu „Hartmann und die Alte Geschichte“ s. HerholtHartmann, 89-154. Zu Hartmanns wohl wichtigstem Werk, „Geschichte Italiensim Mittelalter“, vgl. Stein [Schüler Hartmanns] Hartmann, 324 f., insb. 325(Es sei nicht zuviel gesagt, wenn man sie „ein erlesenes unvergänglichesDenkmal der historischen Weltliteratur“ nenne.). Zu Hartmanns Schreibstilpositiv: Stein Hartmann, 324 f.; Pribram Tod, 110; Rieckenberg Artikel, 737;vgl. auch Lenel Vermischtes, 574. Zur enormen Quellenkenntnis Hartmanns undder Seriosität seiner historischen Arbeiten vgl. Herholt Hartmann, 12; auchPribram Tod, 110.

258

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aber durch die Elemente, aus denen sie sich zusammensetzten.861

Die historische Entwicklung ist somit also determiniert, ebenso

wie es für Hartmann der menschliche Wille ist.862 Pathetisch

nannte er „die Weltgeschichte“ die „stärkste aller Herrinnen“,

ja das „Weltgericht in letzter Instanz“.863 Mit einer solchen

Sicht befand sich Hartmann im eklatanten Widerspruch zur sog.

Wiener Moderne.864

Die historische Entwicklung ist gemäß Hartmann durch

Fortschritt geprägt, und zwar durch fortschreitende

Vergesellschaftung, fortschreitende Produktivität und

fortschreitende Differenzierung.865 Sie bewege sich „auf dem Wege

der Klassenkämpfe in Richtung nach der Aufhebung der Klassen“.866

„Man mag diese Entwickelungstendenz als historisches

Assoziationsgesetz oder als Gesetz der fortschreitenden

Vergesellschaftung oder auch etwas hochtrabend als

861 Vgl. Entwickelung, 2 f. (unter Berufung auf Ernst Mach); zurGesetzmäßigkeit in der Geschichte vgl. insgesamt ebd., 1-25; ferner BauerHartmann, 204: „Er war stets auf der Suche nach Entwicklungsgesetzen, inder Jugend naiver und doktrinärer, später behutsamer...“ - ähnlich: PribramTod, 113.862 Vgl. Wesen, 216 (menschlicher Wille). Vgl. auch Christentum, 26. Zueinem ähnlichen Ansatz im Deutschen Reich (Franz Eulenburg), der kaumbeachtet wurde, vgl. vom Bruch Wissenschaft, 370, insb. Fn. 41. Zur Skepsisgegenüber historischen Gesetzen im Wien um 1900 s. oben, Fn. 362(Rabinbach). 863 Weltgeschichte, XVI bzw. Krieg, 6.864 Das erhellt aus Schorske Wien, XI: „Die vielen Begriffe, die man geprägthatte, um jede der Strömungen in der Kultur der Zeit nach Nietzsche zudefinieren oder zu beherrschen - Irrationalismus, Subjektivismus,Abstraktion, Angst, Technologie - besaßen weder die äußerliche Eigenschaft,sich zur Verallgemeinerung zu eignen, noch erlaubten sie irgendeineüberzeugende dialektische Integration in den geschichtlichen Prozeß...“.865 Vgl. Entwickelung, 56-89, insb. 62, sowie 82-89. Vgl. auch SuppanzHistorismus, 265 (Hartmann habe in der Tradition eines starkenFortschrittsglaubens gestanden.).866 Vgl. Entwickelung, 61; ferner Christentum, 34.

259

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soziologisches Grundgesetz bezeichnen.“867 Die politische

Geschichte sei eine Funktion der Wirtschaftsgeschichte.868

Überhaupt komme es auf die Massenerscheinungen und nicht auf

die „Intriguen der einzelnen zufällig [?] zum äußeren Handeln

berufenen Persönlichkeiten“ an.869 Die Form der historischen

Entwicklung sei durch direkte Anpassung und Auslese im Kampf

ums Dasein bedingt.870

Allerdings sei der genannte Fortschritt nur ein

„Entwickelungsgesetz“, nicht ein Gesetz im Sinne der

physikalischen Kausalität, was bedeute, dass jenes „nicht

ausnahmslos exakt“ wirke und nur die Richtung der menschlichen

Entwicklung angebe sowie lediglich auf die Gesamtheit aller

Gruppen von Menschen anwendbar sei.871 So gibt Hartmann denn

auch zu, dass die „Vorgänge, auf welche wir in der Geschichte867 Entwickelung, 61; vgl. dazu Suppanz Historismus, 267-269. S. ferner G.Fellner Hartmann, 122: Nahezu alle der folgenden Theoreme Hartmanns:historische, d. h. hauptsächlich wirtschaftliche, Entwicklung, weitgehendeNotwendigkeit dieser, Leugnung der Willensfreiheit, Dialektik = „Hegelei“,Determinierung der sozialen und kulturellen Überbauphänomene, Sozialismusals letzte Stufe der historischen Entwicklung seien cum grano salis vomGros der Intellektuellen der reichsdeutschen und österreichischenSozialdemokratie vertreten worden.868 Vgl. Entwickelung, 30.869 Vgl. Nation, 150. Vgl. auch Weltgeschichte, IX sowie Rezension, 174(„...würde, wenn man schon psychologisch sein will, die Psychologie der 3000 000 sozialdemokratischen Stimmen die Psychologie Krupps aufwiegen.“).Zudem betrachtete Hartmann oft längere Entwicklungslinien - vgl. HerholtHartmann, 12. S. allerdings auch Pribram Tod, 112: „...aber deshalb mangelteihm keineswegs das Interesse noch die Fähigkeit, den großen historischenPersönlichkeiten gerecht zu werden.“ Aus Hartmanns Feder hätten vielmehrzahlreiche glänzend geschriebene Charakteristiken gestammt.870 Vgl. Entwickelung, 62. Zum Kampf ums Dasein vgl. ebd., 26-38; zuAnpassung und Auslese ebd., 47-50. Vgl. auch Christentum, 32 f. (Diefortgeschrittenste soziale Organisation eines Staates lasse ihn den Kampfums Dasein am besten bestehen.). Zu seiner Beeinflussung durch Darwin vgl.Entwickelung, V. S. schließlich noch G. Fellner Hartmann, 123: Dem Darwinismussei in einer antiidealistisch und antichristlich interpretierten Version inden Kreisen der Arbeiterbewegung wie in Teilen des fortschrittlichenBürgertums hervorragende Bedeutung zugekommen.

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die Aufmerksamkeit richten, die allerkompliziertesten“ und „die

Kategorien, die zur Zusammenfassung derartiger Vorgänge unter

einem Gesichtspunkte verwendet werden können, so weit und

unbestimmt“ seien, „daß von einer Exaktheit im Sinne

physikalischer Abstraktionen nicht die Rede sein kann“; ja, er

geht so weit, anzuerkennen, dass bei „der Auswahl und

Abgrenzung der Tatsachenkomplexe, die miteinander in

Zusammenhang gebracht werden, notwendig die größte Willkür

Platz greift.“872 Ihm war auch klar, dass jeder darstellende

Historiker gezwungen ist „zu konstruieren, zu rekonstruieren“;

mit dieser Synthese müssten aber einerseits Kritik und Analyse

der Quellen und andererseits die Anschauung von den kausalen

Zusammenhängen, das eigentlich Erkenntnistheoretische der

Soziologie, Hand in Hand gehen.873

Dieses Konzept wirkt sich nach Hartmann für den Historiker

dahingehend aus, dass dieser seine Wissenschaft, soweit sie

nicht die quellenkritische Feststellung von Einzeltatsachen

betrifft, mit denselben Methoden wie denen der Soziologie zu

871 Vgl. Entwickelung, 60 unter Berufung auf Ernst Mach (Zitat „nichtausnahmslos exakt“); vgl. auch 24 f. Zum universalgeschichtlichen BlickHartmanns vgl. Stein Hartmann, 326 (In der von ihm herausgegebenen„Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstellung“ sei als ein besondererBand die erste in einer europäischen Sprache und nach europäischenGrundsätzen geschriebene Geschichte Chinas erschienen.); vgl. auch G. FellnerHartmann, 249 (Hartmanns Referat „Geschichtsauffassung undGeschichtsdarstellung“ 1921 auf dem Ersten Sozialdemokratischen Kulturtagin Dresden - s. 248); Suppanz Historismus, 265. 872 Vgl. Entwickelung, 3 f.873 Vgl. Lamprecht, 212.

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betreiben hat.874 Diesen Methodenmonismus hat er stets

vertreten.875 Psychologische Erklärungen lehnte er ab, weil sie

andere Zusammenhänge voraussetzten, als in der übrigen Natur

angenommen würden, und weil sie bloß zwei Seiten desselben

Vorganges beschrieben.876 Stattdessen waren für Hartmann

Wirtschafts- und Sozialgeschichte die durch den Historiker zu

bearbeitenden Gebiete.877

874 Vgl. Entwickelung, 2-5; vgl. bereits den Untertitel dieses Werkes:„Sechs Vorträge zur Einleitung in eine historische Soziologie“. Zu Hartmannund der Soziologie vgl. Fleck Hartmann, 37-50; Herholt, 23-87 sowie AdlerGedächtnis, 103 f.; Stein Hartmann, 318 f.; Suppanz Historismus, 264-266.Adler Gedächtnis, 104 hebt Hartmanns unermüdlichen Einsatz für dieEinführung der Soziologie an den Universitäten hervor. Er selbst habe zuden Ersten gehört, die neben Prof. Emil Reich an der Universität [Wien]über soziologische Themen Kollegien gelesen hätten. Und noch zuletzt sei erbemüht gewesen, durch die Vorbereitung einer Studienreform der juristischenStudien auch der Gesellschaftswissenschaft größere Bedeutung einzuräumen.Unter Hartmanns Vorlesungen bzw. Übungen an der Universität Wien findensich auch folgende: „Über historische Entwicklung“ (SS 1892), „Einleitungin eine historische Sociologie“ bzw. „...Soziologie“ (SS 1895, WS 1903/04),Einführung in die soziologische Geschichtsbetrachtung (WS 1906/07),Soziologische Grundlagen der Politik (WS 1913/14), Historisch-soziologischeZeitfragen (WS 1914/15), Soziologische und historische Übungen (WS 1924/25)- vgl. die Übersicht in Filla Anhang, 197-200. Zur Geschichte der Soziologiein Österreich vgl. Knoll Soziologie, 56-62; Torrance Entstehung, 443-495. 875 Vgl. Rezension, 169; auch Suppanz Historismus, 265. Über diegegenteilige, fragmentierte Situation in der „Wiener Moderne“ vgl. SchorskeWien, XI (Jedes Feld habe Unabhängigkeit vom Ganzen verkündet und seiselbst noch in Teile zerfallen.).876 Vgl. Entwickelung, 7-14, insb. 8; auch Rezension, 169-171, 174. Vgl.zudem G. Fellner Hartmann, 102 sowie 115: Hartmann habe keinerlei Interesse anFreud und der Psychoanalyse gezeigt, Freuds Name sei in seinem Schrifttumnicht erwähnt - zur Psychoanalyse in Wien am Beginn des 20. Jahrhundertsvgl. Dvorak Revolution, 427-435; Strotzka Wien, 365-374. 877 Vgl. Weltgeschichte, IX; Debatte, 161 (Das historische Werden sei nuraus Klassenkämpfen zu begreifen.); ferner Adler Gedächtnis, 103; BauerHartmann Mitbegründer, 336 (dort auch zur Ausgangslage und MotivationHartmanns bei der Suche nach wirtschaftlichen Gesetzen zur Erklärunggeschichtlicher Vorgänge sowie zum Einfluss des Methodenstreits in derNationalökonomie darauf: Hartmann habe die Lehre des nach Wien berufenenLujo Brentano der individualwirtschaftlichen Analyse der Mengerschenvorgezogen.). Vgl. außerdem oben, Fn. 267. Zur Sozialgeschichtsschreibungim Wilhelminischen Reich vgl. vom Bruch Wissenschaft, 364-376.

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Die Feststellung eines Fortschritts in der Geschichte sei

lediglich auf deren bloßes Fortschreiten bezogen und impliziere

nicht die Bewertung des Letzteren als positiv (oder negativ).878

Zwar nicht vom Standpunkt eines etwa übergeordneten Sollens,

wohl aber von dem der Entwicklung aus sei eine Handlung

historisch wertvoll oder schädlich, je nachdem sie die

Entwicklung gefördert oder gehemmt habe.879 Der Wertmaßstab des

Historikers beurteile jede Handlung danach, ob sie zur

Vergesellschaftung beigetragen oder deren Tendenz

entgegengesetzt gewesen sei, und die einzelne Persönlichkeit

danach, ob ihre Motive Förderung oder Zersetzung der

Vergesellschaftung gewesen seien.880 „Und damit erhält auch der

kategorische Imperativ seinen Inhalt: Handle so, daß deine

Handlung beiträgt zur Vergesellschaftung. Richtiger: Beurteile

eine Handlung danach, ob sie zur Gesellschaft beigetragen

hat.“881 Da Hartmann dem Fortschreiten als solchem keinen

Eigenwert beimisst und man die letztlich ja ohnehin notwendige

Entwicklung auch einfach inklusive der ihr entgegen stehenden

Widerstände ablaufen lassen könnte, kann diese Wertung wohl nur

darauf basieren, dass er Reibungsverluste durch Hemmungen

dieser Entwicklung für schädlich hält.882 878 Vgl. Entwickelung, 83 - zum Fortschritt insgesamt: 82-89.879 Vgl. Entwickelung, 87. Über den normativen Gehalt von HartmannsEntwicklungslehre s. Suppanz Historismus, 269 f.880 Vgl. Entwickelung, 87 f. Warum bei der Beurteilung der Persönlichkeitplötzlich psychische Faktoren eine Rolle spielen sollen, erklärt Hartmannnicht. 881 Vgl. Entwickelung, 88 - konkret bedeutet dies gemäß Hartmann eine„Pflicht“ der Vergesellschaftung, der einerseits die „Pflicht“ der Arbeit,andererseits die „Pflicht“ der selbständigen Ausbildung der Persönlichkeitentspringe (vgl. ebd. [Anführungszeichen in der Vorlage]).882 S. z. B. Frage Minoritätenschulen, 154, wo er die Erforderlichkeit dervölligen Assimilation an die Mehrheitssprache damit begründet,Minderheitensprachen stellten ein Verkehrshindernis dar. Die „Notwendigkeitdes politischen Kampfes“ proklamierte er in Christentum, 34. Eine weitere -

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Vor teleologischen und im engeren Sinne ethischen Betrachtungen

warnte Hartmann oft.883 Überhaupt vertrat er den Standpunkt, dem

Historiker bleibe Objektivität, d. h. [!] das Streben nach

Wahrheit, „Lebensgesetz“.884 Die „Hingebung an die Wahrheit, wie

sie dem Gebildeten ziemt, ohne Rücksicht auf Dogmen oder

Wünsche“, habe zwar kein Forscher und kein Laie jemals

erreicht, aber „wir nehmen für uns in Anspruch die unbedingte

Ehrlichkeit der Forschung“ bzw. das Streben nach größtmöglicher

Annäherung an dieses Ziel.885 Er zitierte dabei gern Theodor

Mommsens berühmtes Diktum „Unser Lebensnerv ist die

voraussetzungslose Forschung...“886 Dass Hartmann diesem Ideal

selbst nicht ausnahmslos entsprochen hat, braucht kaum betont

zu werden.887 allerdings letztlich zu verneinende - Frage ist, ob Hartmanns Propagierungder Entwicklungsförderung auf der Prämisse der von ihm vertretenenUnfreiheit des menschlichen Willens nicht ohnehin nutzlos ist. Vgl. auch G.Fellner Hartmann, 122: In der Theorie habe Hartmann die Willensfreiheit fast[?] ausnahmslos geleugnet, „in der Praxis - sei es in der historischenDetailschilderung oder im Fall des unermüdlich aktiven Menschen Hartmannselber - offenbar weniger.“. 883 Vgl. Rezension, 172; vgl. auch Jahre, 6: Man müsse auf der Hut sein,„nicht das für den Historiker stets gefährliche ethische Pathos anunrechter Stelle anzuwenden. Wenn man sich aber zu einem Verdammungsurteilegedrängt fühlt, so gebe man es nicht über das Volk im allgemeinen, dessenEinfluß historisch gebunden und klassenmäßig verschieden ist, sondern überStaat und Regierung ab...“ sowie Entwickelung, 86: Wenn der Historiker„eigentliche, direkte Werturteile“ fälle, dann sei das „Sichhineinversetzenin den Geist der Zeit besonders geboten“.884 Vgl. Jahre, 5. Damit befand er sich im Einklang mit der WienerPhilosophie und der Psychoanalyse um 1900 - dazu: Fischer Theorie, 125. ZurWerturteilsdiskussion im Deutschen Reich vgl. oben, Fn. 824.885 Vgl. Weltgeschichte, VIII bzw. Grundlagen, 183. Vgl. zudem BauerHartmann, 206; Pribram Tod, 109.886 Vgl. z. B. Grundlagen, 183; ähnlich Ursachen, 360. Vgl. noch G. FellnerHartmann, 110: Hartmann habe „einen strikten Gegensatz zwischen dem, was ervoraussetzungslos, dogmenfrei, wissenschaftlich, empirisch, induktivnannte, und religiösen oder politischen Dogmen“ gesehen. 887 Vgl. auch Lenel Vermischtes, 573; Stein Hartmann, 318. Rathkolb Hartmann, 56meint, Hartmann habe als Archivbevollmächtigter der Republik Deutsch-Österreich trotz seiner kurzen Amtszeit die politische Zielrichtung der an

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Er hielt ferner dafür: So berechtigt die Forderung, die

Geschichte solle die Lehrerin des gegenwärtigen und zukünftigen

Lebens sein, an sich auch sei, verlasse doch der darstellende

Historiker sein Gebiet, wenn er die Nutzanwendung lehre, wenn

er von der Wissenschaft der Geschichte übergehe zur Kunst der

Politik.888 Diesen Schritt hin zum Politiker hat Hartmann zwar

häufig getan, so z. B. wenn er aus der Geschichte die

Notwendigkeit der Bildung von Nationalstaaten und der

Assimilation von Minderheiten herleitete. Logisch

widersprüchlich ist dies jedoch nicht. Das gilt auch für

Hartmanns - Korporationsgeist zeigende - Äußerung, die

Universitäten seien durch die volkstümlichen Universitätskurse

„aus der Zunft“ herausgehoben und durch sie in

wissenschaftlicher Hinsicht zu Führern des Volkes gemacht

worden, und seine Feststellung, die Lehrenden seien nicht mehr

unbeteiligte Vermittler von Wissen über die Vergangenheit,

sondern aktive Gestalter des „Werdenden“.889

sich gut gemachten Edition geprägt, welche die politische Verantwortung desDeutschen Reiches fast völlig marginalisiert und ausgeklammert habe; vgl.auch Engel-Janosi Geschichte, 43: Die veröffentlichten Akten seien soausgewählt worden, dass die Publikation zu einer „Anklageschrift vonerdrückendem Gewicht“ [Konsul Norbert Bischoff] geworden sei. Lediglich auf denKonflikt mit Serbien bezogene Dokumente seien aufgenommen worden.888 Vgl. Weltgeschichte, IX f. Ähnlich M. Weber Wissenschaft, 215-223.Überhaupt sah Hartmann (historische) Analogieschlüsse sehr kritisch - vgl.Rezension, 172; auch Entwickelung, 60, Fn. 2; sowie G. Fellner Hartmann, 249(Hartmanns Referat „Geschichtsauffassung und Geschichtsdarstellung“ 1921auf dem Ersten Sozialdemokratischen Kulturtag in Dresden - s. 248); vgl.aber Hartmann selbst bei G. Fellner Hartmann, 132 in seinem Probevortrag „Überdie Ursachen des Unterganges des römischen Reiches“.889 Vgl. dazu Oesterreich, 3 bzw. „Über den Beruf unserer Zeit“,Nachkriegsausgabe, zitiert bei Herholt Hartmann, 73.

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Wie verhält sich nun Hartmanns Konzept der Geschichte und der

Geschichtsschreibung zu seiner Politik? Im Gegensatz zu

Friedjung betrieb Hartmann in aller Regel nicht bereits durch

seine wissenschaftlichen Publikationen Politik; denn er erhob

für diese nicht nur den Anspruch auf strikte Objektivität und

politische Neutralität, sondern wurde diesem offenbar

überwiegend auch gerecht. Abgesehen von seiner Schrift „Über

historische Entwickelung“, kann im Großen und Ganzen allenfalls

seine Konzentration auf sozial- und wirtschaftshistorische

Themen geeignet gewesen sein, den Leser in der Ausbildung einer

entsprechenden Weltanschauung zu bestärken. Mit dieser relativ

geringen Parteilichkeit in seinem wissenschaftlichen Wirken

entsprach er genau dem Selbstbild des typischen

Gelehrtenpolitikers.

In der anderen Richtung jedoch fand eine Wirkung in höchstem

Maße statt, genau wie es Merkmal des Gelehrtenpolitikers war:

Hartmanns wissenschaftlich-philosophische Anschauung von der

notwendigen Entwicklung der Menschheit war Ausgangspunkt seiner

politischen Aktivität, welche ja dem Ziel dienen sollte, eben

diese Entwicklung voranzutreiben - und er forderte, wie

beschrieben, auch grundsätzlich eine an den von ihm gesehenen

Notwendigkeiten orientierte, „wissenschaftliche“ Politik -

wollte also in der Tat wie die Gelehrtenpolitiker den

Politikern mit seiner Wissenschaft das „geistige Rüstzeug zur

Verfügung stellen“ und Sprecher „für die Zukunft der Nation“

sein.890

890 Vgl. dazu oben, D. 2. In diesen Zusammenhang gehört auch HartmannsGlaube, „objektiver“, „wissenschaftlicher“ Unterricht (insb. in derVolkshochschule) sei der Garant dafür, dass sich der Sozialismus und eine

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Gut dazu passt Günter Fellners Einschätzung, für die Gruppe in

Wien, der Hartmann angehört habe, habe der „emanzipatorische

Positivismus“ eine „Lebensform“ gebildet, wie sie dann

besonders im Wiener Kreis der 1920er und 1930er Jahre zum

Ausdruck gekommen sei; diese Spielart des Positivismus habe

ältere Formen dieser Denkrichtung aus dem 19. Jahrhundert mit

einer neopositivistischen Ausprägung verbunden.891 Auch

Hartmanns Sicht der Universitäten als Führer des Volkes in

wissenschaftlicher Hinsicht und der Lehrenden als aktiven

Gestaltern des Werdenden in Verbindung mit seinem erwähnten

Glauben, der „wissenschaftliche“ Unterricht werde von selbst

zur Bekehrung der Lernenden zu einem nationalen Sozialismus

führen, entspricht exakt dem nationalpädagogischen Anspruch von

Gelehrtenpolitikern auf Wahrheit sowie darauf, die Wissenschaft

habe den Beruf, Erzieherin der öffentlichen Meinung zu sein.

nationale Politik durchsetzen würden - vgl. (für den Sozialismus) SteinHartmann, 317 sowie Ash Wissenschaft, 32: „Der Anspruch, ‚Denke zu lehren’,wie dies Hartmann formulierte, beschränkte sich aber keineswegs auf dieVerbreitung wissenschaftlichen Wissens. Vielmehr lag diesem Anspruch dieimplizite Annahme zugrunde, daß der geistigen Befreiung die politische aufdem Fuß folgen würde“; Adler Gedächtnis, 105: Die Wissenschaft habe inHartmanns Sicht an die Massen vermittelt werden müssen, um auf diese Weisedie Nation zu einer wirklichen kulturellen Einheit zu machen. S. ferner,allgemein zur Wiener Volksbildung dieser Zeit, insbesondere aber zu der vonSozialdemokraten betriebenen: Felt Wissenschaft, 52 f. S. zudem HartmannsForderung nach einem „Bund der Wissenschaft und der Arbeiter” - vgl. G.Fellner Hartmann, 108 (in einem Artikel in einer Ausgabe der Arbeiter-Zeitungvon 1923 - s. ebd. 107). Zum Glauben an das befreiende Potential derWissenschaft als des organisierenden Prinzips der modernen Welt in Wien um1900 s. oben, Fn. 362 (Rabinbach). Darüber hinaus entsprach es auchHartmanns Auffassung von den „Pflichten eines [jeden] Mannes“, dass er sichin das öffentliche Leben begab, um dort u. a. als Politiker im Dienst desVolkes zu wirken - vgl. Pribram Tod, 113; auch G. Fellner Hartmann, 105 - , wasdem hier aufgestellten Befund aber nicht abträglich ist.891 Vgl. G. Fellner Hartmann, 124 - s. auch ebd.: Symbolfigur dieses Lagers seiErnst Mach gewesen, sowie oben, bei Fn. 17. Vgl. noch Kiss Intellektuellen,200, Fn. 10: Der Positivismus des Wiener Kreises sei „in breiten Flächenpolitisch links“ gewesen.

267

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Mit dieser Auffassung von Politik entsprach Hartmann nicht bloß

dem Typus des Gelehrtenpolitikers, sondern sogar dem des

„politischen (Geschichts-)Professors“ vor seiner Zeit: Wie

bereits zitiert, hatten sich die Historiker unter den

„politischen Professoren“ die Frage nach dem Verhältnis von

Politik und Geschichte nämlich im Gegensatz zu den auf sie

folgenden „Gelehrtenpolitikern“ „mit der besonderen Absicht“

gestellt, „aus der Wissenschaft von der Geschichte eine

Wissenschaft des Staates, der Politik zu entwickeln, beide

miteinander zu verbinden und systematisch zu begründen“.892 Mehr

noch, Hartmann entsprach bis 1918 auch dadurch dem „alten“

Typus des „politischen Professors“, dass er tatsächlich wie

dieser „unter Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit und in

potentiellem Konflikt mit der ihn alimentierenden Staatsbehörde

oder mit staatstragenden Kräften für eine visionäre politische

Option eintrat“.893 Und dies als Teil einer - wenn auch

hauchdünnen - „Speerspitze“ der Gesellschaft, welche in seiner

Sicht ja bereits theoretisch die Basis des bloßen „Überbaus“

Staat war. Allerdings erhob Hartmann - trotz aller seiner

Forderungen nach Verwissenschaftlichung der Politik - nicht

etwa eine „Art von politischem Alleinvertretungsanspruch“ der

Gelehrten, und dieser wäre, im Gegensatz zur Lage während der

ersten beiden Drittel des 19. Jahrhunderts, auch illusorisch

gewesen.

892 vom Bruch Wissenschaft, 385 f. (Zitat: Karl Dietrich Bracher über FriedrichChristoph Dahlmann). 893 Zitat: vom Bruch, Professoren, 22. Vgl. noch Hartmann selbst inGrundlagen, 184: Es seien nicht zum Mindesten Studenten und Professorengewesen, welche für die Ideale des 19. Jahrhunderts gekämpft hätten.

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Da alle soeben nicht genannten Merkmale des „politischen

Professors“ und des „Gelehrtenpolitikers“ übereinstimmen und

das erste der beiden oben aufgeführten Merkmale immerhin nur

ein „Mehr“ gegenüber dem immerhin ebenfalls auf der Basis

seiner Wissenschaftsauffassung Politik betreibenden

Gelehrtenpolitiker darstellt, kann man Hartmann auch als

Gelehrtenpolitiker bezeichnen - zumal damit für die hier

behandelte Epoche eine Abgrenzung sinnvoller Weise weniger zum

„politischen Professors“ alten Stiles als zu „politisierenden

Gelehrten“ oder „gelehrten Politikern“ unter Hartmanns

Zeitgenossen gemeint sein kann. Freilich fehlte Hartmann die

für Gelehrtenpolitiker zumindest im deutschsprachigen Raum

typische Loyalität gegenüber dem

(konstitutionell-)monarchischen Staat, welchen er, im

Gegenteil, ablehnte und gelegentlich sogar verbal bekämpfte.

Dieses Merkmal von Gelehrtenpolitik ist jedoch nur ein

typisches, aber nicht ein zwingendes.

F. Drei repräsentative Wiener Gelehrte, die mehr oder weniger

stark ausgeprägte Gelehrtenpolitik betrieben

Die drei Protagonisten dieser Untersuchung waren anders als

viele ihrer Wiener Zeitgenossen, vor allem als die Vertreter

der sog. Wiener Moderne, politisch auf vielen Feldern und mit

verschiedensten Mitteln sehr aktiv. Trotz eines zum Teil nicht

geringen Einflusses auf das politische Leben war ihrem

Engagement - abgesehen von Klein mit seiner Tätigkeit als

Justizminister - im Ergebnis allerdings kein großer Erfolg

beschieden, was auch durch einige ihrer Charaktereigenschaften

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und Einstellungen bedingt war, wie sie bei vielen Gelehrten zu

finden waren. Sie gehörten dem Bildungsbürgertum sowie -

Hartmann und Klein mehr, Friedjung weniger - dem freilich nicht

sehr großen Milieu der „Spätaufklärung“ an, wobei Klein und

Hartmann besonders durch die Traditionen der Revolution von

1848/49 geprägt waren.

Die Inhalte der Politik der drei Männer wiesen einige

Überschneidungen, trotz ihrer ähnlichen Sozialisation aber auch

starke Unterschiede auf. Friedjung verkörperte dabei mit seiner

Sicht von und seinem Kampf um die deutschösterreichische

Identität besonders exemplarisch das Denken und Fühlen seiner

Landsleute. Mit ihm sowie Klein und Hartmann dürften alle

methodischen und die meisten inhaltlichen Varianten Wiener

Gelehrtenpolitik zwischen 1875 und 1925 abgedeckt sein.

Die politische Tätigkeit der Drei war in unterschiedlichem Maß

von den Merkmalen der „Gelehrtenpolitik“ geprägt: Im Hinblick

auf das Fundament ihrer Politik in ihrem wissenschaftlichen

Selbstverständnis war Hartmann eindeutig ein

Gelehrtenpolitiker, Friedjung recht klar auch, Klein weniger

klar.

Bei Friedjung und vor allem bei Klein ist (aber) noch ihre -

für Gelehrtenpolitiker, freilich auch für andere

Bildungsbürger, typische -, mehr oder weniger „überparteiliche“

Gemeinwohlorientierung im politischen Bereich zu

berücksichtigen. Zudem nutzten alle drei auch das unter

Gelehrtenpolitikern besonders übliche Mittel der Beeinflussung

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der „öffentlichen Meinung“ durch Presse und Vereinswesen in

weitem Umfang. Bei Friedjung ist zudem noch seine - ebenfalls

für Gelehrtenpolitiker kennzeichnende - Geistesverwandtschaft

mit dem Beamtentum hervorzuheben, die sich auch in seinem, die

Gelehrtenpolitik allgemein oft prägenden, „gouvernementalen“

Vorgehen ausdrückte; bei ihm und Klein (zumindest) bis 1918

zudem noch ihre Bejahung der Verfassung ihres Staates.

Die im vorstehenden Absatz herausgehobenen Elemente sind

geeignet, die Einstufung zumindest von Hartmanns und Friedjungs

politischer Aktivität als Gelehrtenpolitik noch zu

unterstreichen. Vor allem Friedjung gehörte mit seiner Art der

Politik ab ca. 1900 allerdings einer „aussterbenden Spezies“

an: dem Gelehrtenpolitiker.

Literaturverzeichnis

I. Quellen

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- Der Weg. Wien, September 1905, Bd. 1, S. 393-395.

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- Begrüßungsansprache auf dem Neunten InternationalenWohnungskongreß (Auf dem Kongreß sind folgende Regierungenvertreten: Österreich, Ungarn, Deutsches Reich, Frankreich,Belgien, Niederlande, Schweden, Vereinigte Staaten vonAmerika). Wien, 30. Mai 1910, Bd. 1, S. 540-548.

- Rede in der Generaldebatte über die Errichtung einesWohnungsfürsorgefonds (Stenographisches Protokoll desHerrenhauses). 21. Dezember 1910, Bd. 1, S. 513-521.

- Nationaler Internationalismus. 25. Dezember 1910, Bd. 2, S.593-596.

- Der neue politische Sozius. 26. Mai 1912, Bd. 2, S. 596-600.

- Krieg und Gesellschaftsgeist. November 1914, Bd. 2, S. 761-773.

- Die zweite Hälfte des Jugendschutzes. Wien, Dezember 1914,Bd. 1, S. 500-508.

- Das Kriegsrätsel. 25. Dezember 1914, Bd. 2, S. 788-791.

- Die Kriegsnot der Presse. 24. Jänner 1915, Bd. 2, S. 797-802.

- Die politischen Rechte während des Krieges. 4. April 1915,Bd. 2, S. 802-809.

- Die Rechtsannäherung zwischen den Mittelmächten. 1. Juli1916, Bd. 2, S. 968-974.

- Ansprache an die Beamten des Justizministeriums bei derWiederernennung zum Minister. 4. November 1916, Bd. 2, S. 1030-1034.

- Gedenkrede des Justizministers auf Kaiser Franz Josef I. inder Versammlung der Wiener Juristischen Gesellschaft. 8.Dezember 1916, Bd. 2, S. 1065 f.

- Der Einklang österreichischer und deutscherWirtschaftspolitik. Berlin 1917, Bd. 2, S. 702-719.

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- Ein Gedenktag der Dezemberverfassung. 21. Dezember 1917, Bd.2, S. 651-654.

- Mittelstandssorgen. 24. Dezember 1917, Bd. 2, S. 842-847.

- Das Recht der Selbstbestimmung. Berlin 1918, Bd. 2, S. 654-659.

- Demokratisierung. 22. November 1918, Bd. 2, S. 666-669.

- Der Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich (Unterredungmit dem Korrespondenten des „Temps“ in St. Germain). April1919, Bd. 2, S. 988-990.

- Über den Vertragsentwurf für Deutschösterreich (Interview desNeuen Wiener Tagblattes, St. Germain, 7. Juni 1919), Bd. 2, S.851 f.

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VERSICHERUNG

Ich habe diese Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen

Quellen und Hilfsmittel benutzt als die in ihr angegebenen.

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