Ich habe in der Tat, teure Dame, die Denkwrdig-keiten meiner
Zeit, insofern meine eigene Persondamit als Zuschauer oder als
Opfer in Berhrungkam, so wahrhaft und getreu als mglich
aufzuzeich-nen gesucht.Diese Aufzeichnungen, denen ich
selbstgefllig denTitel Memoiren verlieh, habe ich jedoch schier
zurHlfte wieder vernichten mssen, teils aus
leidigenFamilienrcksichten, teils auch wegen religiserSkrupeln.Ich
habe mich seitdem bemht, die entstandenenLakunen notdrftig zu
fllen, doch ich frchte, postu-me Pflichten oder ein
selbstqulerischer berdruzwingen mich, meine Memoiren vor meinem
Todeeinem neuen Autodaf zu berliefern, und was als-dann die Flammen
verschonen, wird vielleicht nie-mals das Tageslicht der
ffentlichkeit erblicken.Ich nehme mich wohl in acht, die Freunde zu
nen-nen, die ich mit der Hut meines Manuskriptes und
derVollstreckung meines Letzten Willens in bezug aufdasselbe
betraue; ich will sie nicht nach meinem Ab-leben der
Zudringlichkeit eines migen Publikumsund dadurch einer Untreue an
ihrem Mandat blostel-len.Eine solche Untreue habe ich nie
entschuldigenknnen; es ist eine unerlaubte und unsittlicheHandlung,
auch nur eine Zeile von einem Schriftstel-ler zu verffentlichen,
die er nicht selber fr das groePublikum bestimmt hat. Dieses gilt
ganz besondersvon Briefen, die an Privatpersonen gerichtet sind.Wer
sie drucken lt oder verlegt, macht sich einerFelonie schuldig, die
Verachtung verdient.Nach diesen Bekenntnissen, teure Dame,
werdenSie leicht zur Einsicht gelangen, da ich Ihnen nicht,wie Sie
wnschen, die Lektre meiner Memoiren undBriefschaften gewhren
kann.Jedoch, ein Hfling Ihrer Liebenswrdigkeit, wieich es immer
war, kann ich Ihnen kein Begehr unbe-dingt verweigern, und um
meinen guten Willen zu be-kunden, will ich in anderer Weise die
holde Neugierstillen, die aus einer liebenden Teilnahme an
meinenSchicksalen hervorgeht.Ich habe die folgenden Bltter in
dieser Absichtniedergeschrieben, und die biographischen Notizen,die
fr Sie ein Interesse haben, finden Sie hier inreichlicher Flle.
Alles Bedeutsame und Charakteri-stische ist hier treuherzig
mitgeteilt, und die Wechsel-wirkung uerer Begebenheiten und innerer
Seele-nereignisse offenbart Ihnen die Signatura meinesSeins und
Wesens. Die Hlle fllt ab von der Seele,und du kannst sie betrachten
in ihrer schnen Nackt-heit. Da sind keine Flecken, nur Wunden. Ach!
undnur Wunden, welche die Hand der Freunde, nicht dieHandlung, auch
nur eine Zeile von einem Schriftstel-ler zu verffentlichen, die er
nicht selber fr das groePublikum bestimmt hat. Dieses gilt ganz
besondersvon Briefen, die an Privatpersonen gerichtet sind.Wer sie
drucken lt oder verlegt, macht sich einerFelonie schuldig, die
Verachtung verdient.Nach diesen Bekenntnissen, teure Dame,
werdenSie leicht zur Einsicht gelangen, da ich Ihnen nicht,wie Sie
wnschen, die Lektre meiner Memoiren undBriefschaften gewhren
kann.Jedoch, ein Hfling Ihrer Liebenswrdigkeit, wieich es immer
war, kann ich Ihnen kein Begehr unbe-dingt verweigern, und um
meinen guten Willen zu be-kunden, will ich in anderer Weise die
holde Neugierstillen, die aus einer liebenden Teilnahme an
meinenSchicksalen hervorgeht.Ich habe die folgenden Bltter in
dieser Absichtniedergeschrieben, und die biographischen Notizen,die
fr Sie ein Interesse haben, finden Sie hier inreichlicher Flle.
Alles Bedeutsame und Charakteri-stische ist hier treuherzig
mitgeteilt, und die Wechsel-wirkung uerer Begebenheiten und innerer
Seele-nereignisse offenbart Ihnen die Signatura meinesSeins und
Wesens. Die Hlle fllt ab von der Seele,und du kannst sie betrachten
in ihrer schnen Nackt-heit. Da sind keine Flecken, nur Wunden. Ach!
undnur Wunden, welche die Hand der Freunde, nicht dieder Feinde
geschlagen hat!Die Nacht ist stumm. Nur drauen klatscht derRegen
auf die Dcher und chzet wehmtig derHerbstwind.Das arme
Krankenzimmer ist in diesem Augenblickfast wohllustig heimlich, und
ich sitze schmerzlos imgroen Sessel.Da tritt dein holdes Bild
herein, ohne da sich dieTrklinke bewegt, und du lagerst dich auf
das Kissenzu meinen Fen. Lege dein schnes Haupt auf meineKnie und
horche, ohne aufzublicken.Ich will dir das Mrchen meines Lebens
erzhlen.Wenn manchmal dicke Tropfen auf dein Locken-haupt fallen,
so bleibe dennoch ruhig; es ist nicht derRegen, welcher durch das
Dach sickert. Weine nichtund drcke mir nur schweigend die
Hand.*Welch ein erhabenes Gefhl mu einen solchenKirchenfrsten
beseelen, wenn er hinabblickt auf denwimmelnden Marktplatz, wo
Tausende entbltenHauptes mit Andacht vor ihm niederkniend
seinenSegen erwarten!In der italienischen Reisebeschreibung des
HofratsMoritz las ich einst eine Beschreibung jener Szene,wo ein
Umstand vorkam, der mir ebenfalls jetzt inden Sinn kommt.Unter dem
Landvolk, erzhlt Moritz, das er dortauf den Knien liegen sah,
erregte seine besondereAufmerksamkeit einer jener wandernden
Rosenkranz-hndler des Gebirges, die aus einer braunen Holzgat-tung
die schnsten Rosenkrnze schnitzen und sie inder ganzen Romagna um
so teurer verkaufen, da siedenselben an obenerwhntem Feiertage vom
Papsteselbst die Weihe zu verschaffen wissen.Mit der grten Andacht
lag der Mann auf denKnien, doch den breitkrempigen Filzhut, worin
seineWare, die Rosenkrnze, befindlich, hielt er in dieHhe, und
whrend der Papst mit ausgestrecktenHnden den Segen sprach, rttelte
jener seinen Hutund rhrte darin herum, wie Kastanienverkufer zutun
pflegen, wenn sie ihre Kastanien auf dem Rostbraten; gewissenhaft
schien er dafr zu sorgen, dadie Rosenkrnze, die unten im Hut lagen,
auch etwasvon dem ppstlichen Segen abbekmen und allegleichmig
geweiht wrden.Ich konnte nicht umhin, diesen rhrenden Zug
vonfrommer Naivett hier einzuflechten, und ergreife wie-der den
Faden meiner Gestndnisse, die alle auf dengeistigen Proze Bezug
haben, den ich spter durch-machen mute.Aus den frhesten Anfngen
erklren sich die sp-testen Erscheinungen. Es ist gewi bedeutsam,
damir bereits in meinem dreizehnten Lebensjahr alle Sy-steme der
freien Denker vorgetragen wurden, undzwar durch einen ehrwrdigen
Geistlichen, der seinesazerdotalen Amtspflichten nicht im
geringsten ver-nachlssigte, so da ich hier frhe sah, wie ohne
Heu-chelei Religion und Zweifel ruhig nebeneinandergin-gen, woraus
nicht blo in mir der Unglauben, sondernauch die toleranteste
Gleichgltigkeit entstand.Ort und Zeit sind auch wichtige Momente:
ich bingeboren zu Ende des skeptischen achtzehnten Jahr-hunderts
und in einer Stadt, wo zur Zeit meiner Kind-heit nicht blo die
Franzosen, sondern auch der fran-zsische Geist herrschte.Die
Franzosen, die ich kennenlernte, machten mich,ich mu es gestehen,
mit Bchern bekannt, die sehrunsauber und mir ein Vorurteil gegen
die ganze fran-zsische Literatur einflten.Ich habe sie auch spter
nie so sehr geliebt, wie siees verdient, und am ungerechtesten
blieb ich gegendie franzsische Poesie, die mir von Jugend an
fatalwar.Daran ist wohl zunchst der vermaledeite Abbd'Aulnoi
schuld, der im Lyzeum zu Dsseldorf diefranzsische Sprache dozierte
und mich durchauszwingen wollte, franzsische Verse zu machen.Wenig
fehlte, und er htte mir nicht blo die franzsi-sche, sondern die
Poesie berhaupt verleidet.Der Abb d'Aulnoi, ein emigrierter
Priester, warein ltliches Mnnchen mit den beweglichsten
Ge-sichtsmuskeln und mit einer braunen Percke, die,sooft er in Zorn
geriet, eine sehr schiefe Stellung an-nahm.Er hatte mehrere
franzsische Grammatiken sowieauch Chrestomathien, worin Auszge
deutscher undfranzsischer Klassiker, zum bersetzen fr
seineverschiedenen Klassen geschrieben; fr die
obersteverffentlichte er auch eine Art oratoire und eineArt
potique, zwei Bchlein, wovon das erstere Be-redsamkeitsrezepte aus
Quintilian enthielt, angewen-det auf Beispiele von Predigten
Flchiers, Massillons,Bourdaloues und Bossuets, welche mich nicht
allzu-sehr langweilten. -Aber gar das andere Buch, das die
Definitionenvon der Poesie: l'art de peindre par les images,
denfaden Abhub der alten Schule von Batteux, auch diefranzsische
Prosodie und berhaupt die ganze Me-trik der Franzosen enthielt,
welch ein schrecklicherAlp!Ich kenne auch jetzt nichts
Abgeschmackteres alsdas metrische System der franzsischen Poesie,
dieserart de peindre par les images, wie die Franzosen die-selbe
definieren, welcher verkehrte Begriff vielleichtdazu beitrgt, da
sie immer in die malerische Para-phrase geraten.Ihre Metrik hat
gewi Prokrustes erfunden; sie isteine wahre Zwangsjacke fr
Gedanken, die bei ihrerZahmheit gewi nicht einer solchen bedrfen.
Da dieSchnheit eines Gedichtes in der berwindung dermetrischen
Schwierigkeiten bestehe, ist ein lcherli-cher Grundsatz, derselben
nrrischen Quelle entsprun-gen. Der franzsische Hexameter, dieses
gereimteRlpsen, ist mir wahrhaft ein Abscheu. Die Franzo-sen haben
diese widrige Unnatur, die weit sndhafterals die Greuel von Sodom
und Gomorrha, immerselbst gefhlt, und ihre guten Schauspieler sind
daraufangewiesen, die Verse so sakkadiert zu sprechen, alswren sie
Prosa - warum aber alsdann die berflssi-ge Mhe der Versifikation?So
denk ich jetzt, und so fhlt ich schon als Knabe,und man kann sich
leicht vorstellen, da es zwischenmir und der alten braunen Percke
zu offnen Feindse-ligkeiten kommen mute, als ich ihm erklrte, wie
esmir rein unmglich sei, franzsische Verse zu ma-chen. Er sprach
mir allen Sinn fr Poesie ab undnannte mich einen Barbaren des
Teutoburger Waldes.Ich denke noch mit Entsetzen daran, da ich
ausder Chrestomathie des Professors die Anrede des Kai-phas an den
Sanhedrin aus den Hexametern der Klop-stockschen Messiade in
franzsische Alexandrinerbersetzen sollte! Es war ein Raffinement
von Grau-samkeit, die alle Passionsqualen des Messias
selbstbersteigt und die selbst dieser nicht ruhig erduldethtte.
Gott verzeih, ich verwnschte die Welt und diefremden Unterdrcker,
die uns ihre Metrik aufbrdenwollten, und ich war nahe dran, ein
Franzosenfresserzu werden.Ich htte fr Frankreich sterben knnen,
aber fran-zsische Verse machen - nimmermehr!Durch den Rektor und
meine Mutter wurde derZwist beigelegt. Letztere war berhaupt nicht
damitzufrieden, da ich Verse machen lernte, und seien esauch nur
franzsische. Sie hatte nmlich damals diegrte Angst, da ich ein
Dichter werden mchte; daswre das Schlimmste, sagte sie immer, was
mir pas-sieren knne.Die Begriffe, die man damals mit dem
NamenDichter verknpfte, waren nmlich nicht sehr ehren-haft, und ein
Poet war ein zerlumpter, armer Teufel,der fr ein paar Taler ein
Gelegenheitsgedicht verfer-tigt und am Ende im Hospital
stirbt.Meine Mutter aber hatte groe, hochfliegendeDinge mit mir im
Sinn, und alle Erziehungsplne ziel-ten darauf hin. Sie spielte die
Hauptrolle in meinerEntwickelungsgeschichte, sie machte die
Programmealler meiner Studien, und schon vor meiner Geburtbegannen
ihre Erziehungsplne. Ich folgte gehorsamihren ausgesprochenen
Wnschen, jedoch gestehe ich,da sie schuld war an der
Unfruchtbarkeit meinermeisten Versuche und Bestrebungen in
brgerlichenStellen, da dieselben niemals meinem Naturell
ent-sprachen, Letzteres, weit mehr als die Weltbegeben-heiten,
bestimmte meine Zukunft.In uns selbst liegen die Sterne unseres
Glcks.Zuerst war es die Pracht des Kaiserreichs, diemeine Mutter
blendete, und da die Tochter eines Ei-senfabrikanten unserer
Gegend, die mit meiner Muttersehr befreundet war, eine Herzogin
geworden und ihrgemeldet hatte, da ihr Mann sehr viele
Schlachtengewonnen und bald auch zum Knig avancierenwrde - ach, da
trumte meine Mutter fr mich diegoldensten Epauletten oder die
brodiertesten Ehren-chargen am Hofe des Kaisers, dessen Dienst sie
michganz zu widmen beabsichtigte.Deshalb mute ich jetzt
vorzugsweise diejenigenStudien betreiben, die einer solchen
Laufbahn frder-lich, und obgleich im Lyzeum schon hinlnglich
frmathematische Wissenschaften gesorgt war und ichbei dem
liebenswrdigen Professor Brewer vollaufmit Geometrie, Statik,
Hydrostatik, Hydraulik und soweiter gefttert ward und in
Logarithmen und Algebraschwamm, so mute ich doch noch
Privatunterricht indergleichen Disziplinen nehmen, die mich instand
set-zen sollten, ein groer Strategiker oder ntigenfallsder
Administrator von eroberten Provinzen zu wer-den.Mit dem Fall des
Kaiserreichs mute auch meineMutter der prachtvollen Laufbahn, die
sie fr michgetrumt, entsagen; die dahin zielenden Studien nah-men
ein Ende, und sonderbar! sie lieben auch keineSpur in meinem Geiste
zurck, so sehr waren siedemselben fremd. Es war nur eine
mechanische Er-rungenschaft, die ich von mir warf als unntzen
Plun-der.Meine Mutter begann jetzt in anderer Richtung eineglnzende
Zukunft fr mich zu trumen.Das Rothschildsche Haus, mit dessen Chef
meinVater vertraut war, hatte zu jener Zeit seinen fabelhaf-ten
Flor bereits begonnen; auch andere Frsten derBank und der Industrie
hatten in unserer Nhe sicherhoben, und meine Mutter behauptete, es
habe jetztdie Stunde geschlagen, wo ein bedeutender Kopf
immerkantilischen Fache das Ungeheuerlichste erreichenund sich zum
hchsten Gipfel der weltlichen Machtemporschwingen knne. Sie beschlo
daher jetzt, daich eine Geldmacht werden sollte, und jetzt mute
ichfremde Sprachen, besonders Englisch, Geographie,Buchhalten,
kurz, alle auf den Land- und Seehandelund Gewerbskunde bezglichen
Wissenschaften stu-dieren.Um etwas vom Wechselgeschft und von
Kolonial-waren kennenzulernen, mute ich spter das Comp-toir eines
Bankiers meines Vaters und die Gewlbeeines groen Spezereihndlers
besuchen; erstere Be-suche dauerten hchstens drei Wochen, letztere
vierWochen, doch ich lernte bei dieser Gelegenheit, wieman einen
Wechsel ausstellt und wie Muskatnsseaussehen.Ein berhmter Kaufmann,
bei welchem ich einapprenti millionaire werden wollte, meinte, ich
httekein Talent zum Erwerb, und lachend gestand ichihm, da er wohl
recht haben mchte.Da bald darauf eine groe Handelskrisis
entstandund wie viele unserer Freunde auch mein Vater seinVermgen
verlor, da platzte die merkantilische Sei-fenblase noch schneller
und klglicher als die impe-riale, und meine Mutter mute nun wohl
eine andereLaufhahn fr mich trumen.Sie meinte jetzt, ich msse
durchaus Jurisprudenzstudieren.Sie hatte nmlich bemerkt, wie lngst
in England,aber auch in Frankreich und im
konstitutionellenDeutschland der Juristenstand allmchtig sei und
be-sonders die Advokaten durch die Gewohnheit des f-fentlichen
Vortrags die schwatzenden Hauptrollenspielen und dadurch zu den
hchsten Staatsmtern ge-langen. Meine Mutter hatte ganz richtig
beobachtet.Da eben die neue Universitt Bonn errichtet wor-den, wo
die Juristische Fakultt von den berhmtestenProfessoren besetzt war,
schickte mich meine Mutterunverzglich nach Bonn, wo ich bald zu den
FenMackeldeys und Welckers sa und die Manna ihresWissens
einschlrfte.Von den sieben Jahren, die ich auf deutschen
Uni-versitten zubrachte, vergeudete ich drei schne bl-hende
Lebensjahre durch das Studium der rmischenKasuistik, der
Jurisprudenz, dieser illiberalsten Wis-senschaft.Welch ein
frchterliches Buch ist das Corpus juris,die Bibel des Egoismus!Wie
die Rmer selbst blieb mir immer verhat ihrRechtskodex. Diese Ruber
wollten ihren Raub si-cherstellen, und was sie mit dem Schwerte
erbeutet,suchten sie durch Gesetze zu schtzen; deshalb warder Rmer
zu gleicher Zeit Soldat und Advokat, undes entstand eine Mischung
der widerwrtigsten Art.Wahrhaftig, jenen rmischen Dieben verdanken
wirdie Theorie des Eigentums, das vorher nur als Tatsa-che bestand,
und die Ausbildung dieser Lehre in ihrenschndesten Konsequenzen ist
jenes gepriesene rmi-sche Recht, das allen unseren heutigen
Legislationen,ja allen modernen Staatsinstituten zugrunde liegt,
ob-gleich es im grellsten Widerspruch mit der Religion,der Moral,
dem Menschengefhl und der Vernunftsteht.Ich brachte jenes
gottverfluchte Studium zu Ende,aber ich konnte mich nimmer
entschlieen, vonsolcher Errungenschaft Gebrauch zu machen,
undvielleicht auch weil ich fhlte, da andere mich in
derAdvokasserie und Rabulisterei leicht berflgelnwrden, hing ich
meinen juristischen Doktorhut anden Nagel.Meine Mutter machte eine
noch ernstere Miene alsgewhnlich. Aber ich war ein sehr
erwachsenerMensch geworden, der in dem Alter stand, wo er
dermtterlichen Obhut entbehren mu.Die gute Frau war ebenfalls lter
geworden, undindem sie nach so manchem Fiasko die Oberleitungmeines
Lebens aufgab, bereute sie, wie wir oben ge-sehen, da sie mich
nicht dem geistlichen Stande ge-widmet.Sie ist jetzt eine Matrone
von siebenundachtzigJahren, und ihr Geist hat durch das Alter nicht
gelit-ten. ber meine wirkliche Denkart hat sie sich nieeine
Herrschaft angemat und war fr mich immer dieSchonung und Liebe
selbst.Ihr Glauben war ein strenger Deismus, der ihrervorwaltenden
Vernunftrichtung ganz angemessen. Siewar eine Schlerin Rousseaus,
hatte dessen milegelesen, sugte selbst ihre Kinder, und
Erziehungswe-sen war ihr Steckenpferd. Sie selbst hatte eine
gelehr-te Erziehung genossen und war die Studiengefhrtineines
Bruders gewesen, der ein ausgezeichneter Arztward, aber frh starb.
Schon als ganz junges Mdchenmute sie ihrem Vater die lateinischen
Dissertationenund sonstige gelehrte Schriften vorlesen, wobei sie
oftden Alten durch ihre Fragen in Erstaunen setzte.Ihre Vernunft
und ihre Empfindung war die Ge-sundheit selbst, und nicht von ihr
erbte ich den Sinnfr das Phantastische und die Romantik. Sie
hatte,wie ich schon erwhnt, eine Angst vor Poesie, entrimir jeden
Roman, den sie in meinen Hnden fand, er-laubte mir keinen Besuch
des Schauspiels, versagtemir alle Teilnahme an Volksspielen,
berwachte mei-nen Umgang, schalt die Mgde, welche in meiner
Ge-genwart Gespenstergeschichten erzhlten, kurz, sie tatalles
Mgliche, um Aberglauben und Poesie von mirzu entfernen.Sie war
sparsam, aber nur in bezug auf ihre eigenePerson; fr das Vergngen
andrer konnte sie ver-schwenderisch sein, und da sie das Geld nicht
liebte,sondern nur schtzte, schenkte sie mit leichter Handund
setzte mich oft durch ihre Wohlttigkeit und Frei-gebigkeit in
Erstaunen.Welche Aufopferung bewies sie dem Sohne, demsie in
schwieriger Zeit nicht blo das Programm sei-ner Studien, sondern
auch die Mittel dazu lieferte! Alsich die Universitt bezog, waren
die Geschfte meinesVaters in sehr traurigem Zustand, und meine
Mutterverkaufte ihren Schmuck, Halsband und Ohrringe vongroem
Werte, um mir das Auskommen fr die vierersten Universittsjahre zu
sichern.Ich war brigens nicht der erste in unserer Familie,der auf
der Universitt Edelsteine aufgegessen undPerlen verschluckt hatte.
Der Vater meiner Mutter,wie diese mir einst erzhlte, erprobte
dasselbe Kunst-stck. Die Juwelen, welche das Gebetbuch seiner
ver-storbenen Mutter verzierten, muten die Kosten sei-nes
Aufenthalts auf der Universitt bestreiten, als seinVater, der alte
Lazarus de Geldern, durch einen Suk-zessionsproze mit einer
verheirateten Schwester ingroe Armut geraten war, er, der von
seinem Vaterein Vermgen geerbt hatte, von dessen Gre mireine alte
Gromuhme soviel Wunderdinge erzhlte.Das klang dem Knaben immer wie
Mrchen vonTausendundeiner Nacht, wenn die Alte von dengroen Palsten
und den persischen Tapeten und demmassiven Gold- und Silbergeschirr
erzhlte, die dergute Mann, der am Hofe des Kurfrsten und der
Kur-frstin soviel Ehren geno, so klglich einbte. SeinHaus in der
Stadt war das groe Hotel in derRheinstrae; das jetzige Krankenhaus
in der Neustadtgehrte ihm ebenfalls sowie ein Schlo bei
Graven-berg, und am Ende hatte er kaum, wo er sein Haupthinlegen
konnte.Eine Geschichte, die ein Seitenstock zu der obigenbildet,
will ich hier einweben, da sie die verunglimpf-te Mutter eines
meiner Kollegen in der ffentlichenMeinung rehabilitieren drfte. Ich
las nmlich einmalin der Biographie des armen Dietrich Grabbe, dadas
Laster des Trunks, woran derselbe zugrunde ge-gangen, ihm durch
seine eigene Mutter frhe einge-pflanzt worden sei, indem sie dem
Knaben, ja demKinde Branntewein zu trinken gegeben habe.
DieseAnklage, die der Herausgeber der Biographie aus demMunde
feindseliger Verwandter erfahren, scheintgrundfalsch, wenn ich mich
der Worte erinnere,womit der selige Grabbe mehrmals von seiner
Muttersprach, die ihn oft gegen dat Suppen mit den
nach-drcklichsten Worten verwarnte.Sie war eine rohe Dame, die Frau
eines Gefngnis-wrters, und wenn sie ihren jungen Wolf-Dietrich
ka-ressierte, mag sie ihn wohl manchmal mit den Tatzeneiner Wlfin
auch ein bichen gekratzt haben. Abersie hatte doch ein echtes
Mutterherz und bewhrtesolches, als ihr Sohn nach Berlin reiste, um
dort zustudieren.Beim Abschied, erzhlte mir Grabbe, drckte sieihm
ein Paket in die Hand, worin, weich umwickeltmit Baumwolle, sich
ein halb Dutzend silberne Lffelnebst sechs dito kleinen
Kaffeelffeln und ein groerdito Potagelffel befand, ein stolzer
Hausschatz, des-sen die Frauen aus dem Volke sich nie ohne
Herzblu-ten entuern, da sie gleichsam eine silberne Dekora-tion
sind, wodurch sie sich von dem gewhnlichenzinnernen Pbel zu
unterscheiden glauben. Als ichGrabbe kennenlernte, hatte er bereits
den Potagelf-fel, den Goliath, wie er ihn nannte, aufgezehrt.
Be-fragte ich ihn manchmal, wie es ihm gehe, antworteteer mit
bewlkter Stirn lakonisch: Ich bin an meinemdritten Lffel, oder: Ich
bin an meinem vierten Lf-fel. - Die groen gehen dahin, seufzte er
einst,und es wird sehr schmale Bissen geben, wenn diekleinen, die
Kaffeelffelchen, an die Reihe kommen,und wenn diese dahin sind,
gibt's gar keine Bissenmehr.Leider hatte er recht, und je weniger
er zu essenhatte, desto mehr legte er sich aufs Trinken und wardein
Trunkenbold. Anfangs Elend und spter husli-cher Gram trieben den
Unglcklichen, im Rausche Er-heiterung oder Vergessenheit zu suchen,
und zuletztmochte er wohl zur Flasche gegriffen haben, wie an-dere
zur Pistole, um dem Jammertum ein Ende zu ma-chen. Glauben Sie mir,
sagte mir einst ein naiverwestflischer Landsmann Grabbes, der
konnte vielvertragen und wre nicht gestorben, weil er trank,sondern
er trank, weil er sterben wollte; er starb durchSelbsttrunk.Obige
Ehrenrettung einer Mutter ist gewi nie amunrechten Platz; ich
versumte bis jetzt, sie zur Spra-che zu sie in einer Charakteristik
Grabbes aufzeich-nen wollte, diese kam nie zustande, und auch
inmeinem Buche De l'Allemagne konnte ich Grabbesnur flchtig
erwhnen.Obige Notiz ist mehr an den deutschen als an
denfranzsischen Leser gerichtet, und fr letzteren willich hier nur
bemerken, da besagter Dietrich Grabbeeiner der grten deutschen
Dichter war und von allenunseren dramatischen Dichtern wohl als
derjenige ge-nannt werden darf, der die meiste Verwandtschaft
mitShakespeare hat. Er mag weniger Saiten auf seinerLeier haben als
andre, die dadurch ihn vielleicht ber-ragen, aber die Saiten, die
er besitzt, haben einenKlang, der nur bei dem groen Briten gefunden
wird.Er hat dieselben Pltzlichkeiten, dieselben Naturlaute,womit
uns Shakespeare erschreckt, erschttert, ent-zckt.Aber alle seine
Vorzge sind verdunkelt durch eineGeschmacklosigkeit, einen Zynismus
und eine Ausge-lassenheit, die das Tollste und Abscheulichste
ber-bieten, das je ein Gehirn zutage gefrdert. Es ist abernicht
Krankheit, etwa Fieber oder Bldsinn, was der-gleichen
hervorbrachte, sondern eine geistige Intoxi-kation des Genies. Wie
Plato den Diogenes sehr tref-fend einen wahnsinnigen Sokrates
nannte, so knnteman unsern Grabbe leider mit doppeltem Rechteeinen
betrunkenen Shakespeare nennen.In seinen gedruckten Dramen sind
jene Monstruosi-tten sehr gemildert, sie befanden sich aber
grauenhaftgrell in dem Manuskript seines Gothland, einerTragdie,
die er einst, als er mir noch ganz unbekanntwar, berreichte oder
vielmehr vor die Fe schmimit den Worten: Ich wollte wissen, was an
mir sei,und da habe ich dieses Manuskript dem Professor Gu-bitz
gebracht, der darber den Kopf geschttelt und,um meiner loszuwerden,
mich an Sie verwies, derebenso tolle Grillen im Kopfe trge wie ich
und michdaher weit besser verstnde - hier ist nun der Bulk!Nach
diesen Worten, ohne Antwort zu erwarten,troddelte der nrrische Kauz
wieder fort, und da icheben zu Frau von Varnhagen ging, nahm ich
das Ma-nuskript mit, um ihr die Primeur eines Dichters
zuverschaffen; denn ich hatte an den wenigen Stellen,die ich las,
schon gemerkt, da hier ein Dichter war.Wir erkennen das poetische
Wild schon am Ge-ruch. Aber der Geruch war diesmal zu stark fr
weib-liche Nerven, und spt, schon gegen Mitternacht, liemich Frau
von Varnhagen rufen und beschwor michum Gottes willen, das
entsetzliche Manuskript wiederzurckzunehmen, da sie nicht schlafen
knne, solangesich dasselbe noch im Hause befnde. Einen
solchenEindruck machten Grabbes Produktionen in ihrer
ur-sprnglichen Gestalt.Obige Abschweifung mag ihr Gegenstand
selbstrechtfertigen.Die Ehrenrettung einer Mutter ist berall an
ihremPlatze, und der fhlende Leser wird die oben mitge-teilten
uerungen Grabbes ber die arme verun-glimpfte Frau, die ihn zur Welt
gebracht, nicht aberals eine mige Abschweifung betrachten.Jetzt
aber, nachdem ich mich einer Pflicht der Pie-tt gegen einen
unglcklichen Dichter erledigt habe,will ich wieder zu meiner
eigenen Mutter und ihrerSippschaft zurckkehren, in weiterer
Besprechung desEinflusses, der von dieser Seite auf meine
geistigeBildung ausgebt wurde.Nach meiner Mutter beschftigte sich
mit letztererganz besonders ihr Bruder, mein Oheim Simon deGeldern.
Er ist tot seit zwanzig Jahren. Er war einSonderling von
unscheinbarem, ja sogar nrrischemueren. Eine kleine, gehbige Figur,
mit einembllichen, strengen Gesichte, dessen Nase zwar grie-chisch
gradlinicht, aber gewi um ein Drittel lngerwar, als die Griechen
ihre Nasen zu tragen pflegten.In seiner Jugend, sagte man, sei
diese Nase von ge-whnlicher Gre gewesen, und nur durch die
bleGewohnheit, da er sich bestndig daran zupfte, sollsie sich so
bergebhrlich in die Lnge gezogenhaben. Fragten wir Kinder den Ohm,
ob das wahr sei,so verwies er uns solche respektwidrige Rede mit
gro-em Eifer und zupfte sich dann wieder an der Nase.Er ging ganz
altfrnkisch gekleidet, trug kurzeBeinkleider, weiseidene Strmpfe,
Schnallenschuheund nach der alten Mode einen ziemlich langen
Zopf,der, wenn das kleine Mnnchen durch die Straentrippelte, von
einer Schulter zur andern flog, allerleiKapriolen schnitt und sich
ber seinen eigenen Herrnhinter seinem Rcken zu mokieren schien.Oft,
wenn der gute Onkel in Gedanken vertieft saoder die Zeitung las,
berschlich mich das frevle Ge-lste, heimlich sein Zpfchen zu
ergreifen und daranzu ziehen, als wre es eine Hausklingel,
worberebenfalls der Ohm sich sehr erboste, indem er jam-mernd die
Hnde rang ber die junge Brut, die vornichts mehr Respekt hat, weder
durch menschlichenoch durch gttliche Autoritt mehr in Schranken
zuhalten und sich endlich an dem Heiligsten vergreifenwerde.War
aber das uere des Mannes nicht geeignet,Respekt einzuflen, so war
sein Inneres, sein Herzdesto respektabler, und es war das bravste
und edel-mtigste Herz, das ich hier auf Erden kennenlernte.Es war
eine Ehrenhaftigkeit in dem Manne, die an denRigorismus der Ehre in
altspanischen Dramen erin-nerte, und auch in der Treue glich er den
Heldenderselben. Er hatte nie Gelegenheit, der Arzt seinerEhre zu
werden, doch ein Standhafter Prinz war erin ebenso ritterlicher
Gre, obgleich er nicht in vier-figen Trochen deklamierte, gar nicht
nach To-despalmen lechzte und statt des glnzendenRittermantels ein
scheinloses Rckchen mit Bachstel-zenschwanz trug.Er war durchaus
kein sinnenfeindlicher Askete, erliebte Kirmesfeste, die Weinstube
des GastwirtsRasia, wo er besonders gern Krammetsvgel a
mitWacholderbeeren - aber alle Krammetsvgel dieserWelt und alle
ihre Lebensgensse opferte er mit stol-zer Entschiedenheit, wenn es
die Idee galt, die er frwahr und gut erkannt. Und er tat dieses mit
solcherAnspruchlosigkeit, ja Verschmtheit, da niemandmerkte, wie
eigentlich ein heimlicher Mrtyrer in die-ser spahaften Hlle
steckte.Nach weltlichen Begriffen war sein Leben ein ver-fehltes.
Simon de Geldern hatte im Kollegium der Je-suiten seine sogenannten
humanistischen Studien, Hu-maniora, gemacht, doch als der Tod
seiner Eltern ihmdie vllig freie Wahl einer Lebenslaufbahn lie,
whl-te er gar keine, verzichtete auf jedes sogenannte Brot-studium
der auslndischen Universitten und blieblieber daheim zu Dsseldorf
in der Arche No, wiedas kleine Haus hie, welches ihm sein Vater
hinter-lie und ber dessen Tre das Bild der Arche Norecht hbsch
ausgemeielt und bunt koloriert zuschauen war.Von rastlosem Fleie,
berlie er sich hier allenseinen gelehrten Liebhabereien und
Schnurrpfeiferei-en, seiner Bibliomanie und besonders seiner Wut
desSchriftstellerns, die er besonders in politischen Tages-blttern
und obskuren Zeitschriften auslie.Nebenbei gesagt, kostete ihm
nicht blo dasSchreiben, sondern auch das Denken die grte
An-strengung.Entstand diese Schreibwut vielleicht durch denDrang,
gemeinntzig zu wirken? Er nahm teil an allenTagesfragen, und das
Lesen von Zeitungen und Bro-schren trieb er bis zur Manie. Die
Nachbarn nanntenihn den Doktor, aber nicht eigentlich wegen
seinerGelahrtheit, sondern weil sein Vater und sein BruderDoktoren
der Medizin gewesen. Und die alten Weiberlieen es sich nicht
ausreden, da der Sohn des altenDoktors, der sie so oft kuriert,
nicht auch die Heilmit-tel seines Vaters geerbt haben msse, und
wenn sieerkrankten, kamen sie zu ihm gelaufen mit ihren
Urin-flaschen, mit Weinen und Bitten, da er dieselbendoch besehen
mchte, ihnen zu sagen, was ihnenfehle. Wenn der arme Oheim
solcherweise in seinenStudien gestrt wurde, konnte er in Zorn
geraten unddie alten Trullen mit ihren Urinflaschen zum
Teufelwnschen und davonjagen.Dieser Oheim war es nun, der auf meine
geistigeBildung groen Einflu gebt und dem ich in solcherBeziehung
unendlich viel zu verdanken habe. Wiesehr auch unsere Ansichten
verschieden und so km-merlich auch seine literrischen Bestrebungen
waren,so regten sie doch vielleicht in mir die Lust zu
schrift-lichen Versuchen.Der Ohm schrieb einen alten steifen
Kanzleistil,wie er in den Jesuitenschulen, wo Latein die
Hauptsa-che, gelehrt wird, und konnte sich nicht leicht be-freunden
mit meiner Ausdrucksweise, die ihm zuleicht, zu spielend, zu
irreverenzis vorkam. Abersein Eifer, womit er mir die Hlfsmittel
des geistigenFortschritts zuwies, war fr mich von grtem Nut-zen.Er
beschenkte schon den Knaben mit den schn-sten, kost barsten Werken;
er stellte zu meiner Verf-gung seine eigene Bibliothek, die an
klassischen B-chern und wichtigen Tagesbroschren so reich war,und
er erlaubte mir sogar, auf dem Sller der ArcheNo in den Kisten
herumzukramen, worin sich diealten Bcher und Skripturen des seligen
Grovatersbefanden.Welche geheimnisvolle Wonne jauchzte im Herzendes
Knaben, wenn er auf jenem Sller, der eigentlicheine groe Dachstube
war, ganze Tage verbringenkonnte.Es war nicht eben ein schner
Aufenthalt, und dieeinzige Bewohnerin desselben, eine dicke
Angorakat-ze, hielt nicht sonderlich auf Sauberkeit, und nur
sel-ten fegte sie mit ihrem Schweife ein bichen denStaub und das
Spinnweb fort von dem altenGermpel, das dort aufgestapelt lag.Aber
mein Herz war so blhend jung, und dieSonne schien so heiter durch
die kleine Lukarne, damir alles von einem phantastischen Lichte
bergossenschien und die alte Katze selbst mir wie eine ver-wnschte
Prinzessin vorkam, die wohl pltzlich, ausihrer tierischen Gestalt
wieder befreit, sich in der vori-gen Schne und Herrlichkeit zeigen
drfte, whrenddie Dachkammer sich in einen prachtvollen
Palastverwandeln wrde, wie es in allen Zaubergeschichtenzu
geschehen pflegt.Doch die alte gute Mrchenzeit ist verschwunden,die
Katzen bleiben Katzen, und die Dachstube derArche No blieb eine
staubige Rumpelkammer, einHospital fr inkurablen Hausrat, eine
Salptrire fralte Mbel, die den uersten Grad der Dekrepitdeerlangt
und die man doch nicht vor die Tre schmei-en darf, aus
sentimentaler Anhnglichkeit und Be-rcksichtigung der frommen
Erinnerung, die sichdamit verknpften.Da stand eine morsch
zerbrochene Wiege, worineinst meine Mutter gewiegt worden; jetzt
lag darin dieStaatspercke meines Grovaters, die ganz vermodertwar
und vor Alter kindisch geworden zu sein schien.Der verrostete
Galanteriedegen des Grovaters undeine Feuerzange, die nur einen Arm
hatte, und anderesinvalides Eisengeschirr hing an der Wand.
Danebenauf einem wackligen Brette stand der ausgestopfte Pa-pagei
der seligen Gromutter, der jetzt ganz entfiedertund nicht mehr grn,
sondern aschgrau war und mitdem einzigen Glasauge, das ihm
geblieben, sehr un-heimlich aussah.Hier stand auch ein groer, grner
Mops von Por-zellan, welcher inwendig hohl war; ein Stck des
Hin-terteils war abgebrochen, und die Katze schien frdieses
chinesische oder japanische Kunstbild einengroen Respekt zu hegen;
sie machte vor demselbenallerlei devote Katzenbuckel und hielt es
vielleicht frein gttliches Wesen; die Katzen sind so
aberglu-bisch.In einem Winkel lag eine alte Flte, welche
einstmeiner Mutter gehrt; sie spielte darauf, als sie nochein
junges Mdchen war, und ebenjene Dachkammerwhlte sie zu ihrem
Konzertsaale, damit der alte Herr,ihr Vater, nicht von der Musik in
seiner Arbeit gestrtoder auch ob dem sentimentalen Zeitverlust,
dessensich seine Tochter schuldig machte, unwirsch wrde.Die Katze
hatte jetzt diese Flte zu ihrem liebstenSpielzeug erwhlt, indem sie
an dem verblichenenRosaband, das an der Flte befestigt war,
dieselbe hinund her auf dem Boden rollte.Zu den Antiquitten der
Dachkammer gehrtenauch Weltkugeln, die wunderlichsten
Planetenbilderund Kolben und Retorten, erinnernd an
astrologischeund alchimistische Studien.In den Kisten, unter den
Bchern des Grovaters,befanden sich auch viele Schriften, die auf
solche Ge-heimwissenschaften Bezug hatten. Die meisten B-cher waren
freilich medizinische Scharteken. An phi-losophischen war kein
Mangel, doch neben dem erz-vernnftigen Cartesius befanden sich auch
Phantastenwie Paracelsus, van Helmont und gar Agrippa
vonNettesheim, dessen Philosophia occulta ich hierzum erstenmal zu
Gesicht bekam. Schon den Knabenamsierte die Dedikationsepistel an
den Abt Trithem,dessen Antwortschreiben beigedruckt, wo
diesercompre dem andern Scharlatan seine bombastischenKomplimente
mit Zinsen zurckerstattet.Der beste und kostbarste Fund jedoch, den
ich inden bestubten Kisten machte, war ein Notizenbuchvon der Hand
eines Bruders meines Grovaters, denman den Chevalier oder den
Morgenlnder nannte undvon welchem die alten Muhmen immer soviel zu
sin-gen und zu sagen wuten.Dieser Grooheim, welcher ebenfalls Simon
deGeldern hie, mu ein sonderbarer Heiliger gewesensein. Den Zunamen
der Morgenlnder empfing er,weil er groe Reisen im Oriente gemacht
und sich beiseiner Rckkehr immer in orientalische Tracht
kleide-te.Am lngsten scheint er in den KstenstdtenNordafrikas,
namentlich in den marokkanischen Staa-ten, verweilt zu haben, wo er
von einem Portugiesendas Handwerk eines Waffenschmieds erlernte
unddasselbe mit Glck betrieb.Er wallfahrtete nach Jerusalem, wo er
in der Ver-zckung des Gebetes, auf dem Berge Moria, ein Ge-sicht
hatte. Was sah er? Er offenbarte es nie.Ein unabhngiger
Beduinenstamm, der sich nichtzum Islam, sondern zu einer Art
Mosaismus bekannteund in einer der unbekannten Oasen der
nordafrikani-schen Sandwste gleichsam sein Absteigequartierhatte,
whlte ihn zu seinem Anfhrer oder Scheik.Dieses kriegerische Vlkchen
lebte in Fehde mit allenNachbarstmmen und war der Schrecken der
Karawa-nen. Europisch zu reden: mein seliger Grooheim,der fromme
Visionr vom heiligen Berge Moria, wardRuberhauptmann. In dieser
schnen Gegend erwarber auch jene Kenntnisse von Pferdezucht und
jeneReiterknste, womit er nach seiner Heimkehr insAbendland so
viele Bewunderung erregte.An den verschiedenen Hfen, wo er sich
lange auf-hielt, glnzte er auch durch seine persnliche Schn-heit
und Stattlichkeit sowie auch durch die Pracht derorientalischen
Kleidung, welche besonders auf dieFrauen ihren Zauber bte. Er
imponierte wohl nocham meisten durch sein vorgebliches
Geheimwissen,und niemand wagte es, den allmchtigenNekromanten bei
seinen hohen Gnnern herabzuset-zen. Der Geist der Intrige frchtete
die Geister derKabbala.Nur sein eigener bermut konnte ihn ins
Verder-ben strzen, und sonderbar geheimnisvoll schtteltendie alten
Muhmen ihre greisen Kpflein, wenn sieetwas von dem galanten
Verhltnis munkelten, worinder Morgenlnder mit einer sehr erlauchten
Damestand und dessen Entdeckung ihn ntigte, aufs schleu-nigste den
Hof und das Land zu verlassen. Nur durchdie Flucht mit
Hinterlassung aller seiner Habseligkei-ten konnte er dem sichern
Tode entgehen, und ebenseiner erprobten Reiterkunst verdankte er
seine Ret-tung.Nach diesem Abenteuer scheint er in England
einensichern, aber kmmerlichen Zufluchtsort gefunden zuhaben. Ich
schliee solches aus einer zu London ge-druckten Broschre des
Grooheims, welche icheinst, als ich in der Dsseldorfer Bibliothek
bis zuden hchsten Bcherbrettern kletterte, zufllig ent-deckte. Es
war ein Oratorium in franzsischen Ver-sen, betitelt Moses auf dem
Horeb, hatte vielleichtBezug auf die erwhnte Vision, die Vorrede
war aberin englischer Sprache geschrieben und von Londondatiert;
die Verse, wie alle franzsische Verse, ge-reimtes lauwarmes Wasser,
aber in der englischenProsa der Vorrede verriet sich der Unmut
einesstolzen Mannes, der sich in einer drftigen Lage be-findet.Aus
dem Notizenbuch des Grooheims konnte ichnicht viel Sicheres
ermitteln; es war, vielleicht ausVorsicht, meistens mit arabischen,
syrischen undkoptischen Buchstaben geschrieben, worin,
sonderbargenug, franzsische Zitate vorkamen, z.B. sehr oft
derVers:
O l'innocence prit c'est un crime de vivre.
Mich frappierten auch manche uerungen, dieebenfalls in
franzsischer Sprache geschrieben; letzte-re scheint das gewhnliche
Idiom des Schreibendengewesen zu sein.Eine rtselhafte Erscheinung,
schwer zu begreifen,war dieser Grooheim. Er fhrte eine jener
wunderli-chen Existenzen, die nur im Anfang und in der Mittedes
achtzehnten Jahrhunderts mglich gewesen; erwar halb Schwrmer, der
fr kosmopolitische, weltbe-glckende Utopien Propaganda machte, halb
Glcks-ritter, der im Gefhl seiner individuellen Kraft diemorschen
Schranken einer morschen Gesellschaftdurchbricht oder berspringt.
Jedenfalls war er ganzein Mensch.Sein Scharlatanismus, den wir
nicht in Abrede stel-len, war nicht von gemeiner Sorte. Er war
keingewhnlicher Scharlatan, der den Bauern auf denMrkten die Zhne
ausreit, sondern er drang mutigin die Palste der Groen, denen er
den strkstenBackzahn ausri, wie weiland Ritter Hon von Bor-deaux
dem Sultan von Babylon tat. Klappern gehrtzum Handwerk, sagt das
Sprchwort, und das Lebenist ein Handwerk wie jedes andre.Und
welcher bedeutende Mensch ist nicht ein bi-chen Scharlatan? Die
Scharlatane der Bescheidenheitsind die schlimmsten mit ihrem demtig
tuendenDnkel! Wer gar auf die Menge wirken will, bedarfeiner
scharlatanischen Zutat.Der Zweck heiligt die Mittel. Hat doch der
liebeGott selbst, als er auf dem Berg Sinai sein
Gesetzpromulgierte, nicht verschmht, bei dieser Gelegen-heit tchtig
zu blitzen und zu donnern, obgleich dasGesetz so vortrefflich, so
gttlich gut war, da es fg-lich aller Zutat von leuchtendem
Kolophonium unddonnernden Paukenschlgen entbehren konnte. Aberder
Herr kannte sein Publikum, das mit seinen Ochsenund Schafen und
aufgesperrten Mulern unten amBerge stand und welchem gewi ein
physikalischesKunststck mehr Bewunderung einflen konnte alsalle
Mirakel des ewigen Gedankens.Wie dem auch sei, dieser Groohm hat
die Einbil-dungskraft des Knaben auerordentlich beschftigt.Alles,
was man von ihm erzhlte, machte einenunauslschlichen Eindruck auf
mein junges Gemt,und ich versenkte mich so tief in seine Irrfahrten
undSchicksale, da mich manchmal am hellen, lichtenTage ein
unheimliches Gefhl ergriff und es mir vor-kam, als sei ich selbst
mein seliger Grooheim undals lebte ich nur eine Fortsetzung des
Lebens jeneslngst Verstorbenen!In der Nacht spiegelte sich dasselbe
retrospektivzurck in meine Trume. Mein Leben glich damalseinem
groen Journal, wo die obere Abteilung die Ge-genwart, den Tag mit
seinen Tagesberichten und Ta-gesdebatten, enthielt, whrend in der
unteren Abtei-lung die poetische Vergangenheit in
fortlaufendenNachttrumen wie eine Reihenfolge von Romanfeuil-letons
sich phantastisch kundgab.In diesen Trumen identifizierte ich mich
gnzlichmit meinem Groohm, und mit Grauen fhlte ich zu-gleich, da
ich ein anderer war und einer anderen Zeitangehrte. Da gab es
rtlichkeiten, die ich nie vorhergesehen, da gab es Verhltnisse,
wovon ich frherkeine Ahnung hatte, und doch wandelte ich dort
mitsicherem Fu und sicherem Verhalten.Da begegneten mir Menschen in
brennend bunten,sonderbaren Trachten und mit abenteuerlich
wstenPhysiognomien, denen ich dennoch wie alten Bekann-ten die Hnde
drckte; ihre wildfremde, nie gehrteSprache verstand ich, zu meiner
Verwunderungantwortete ich ihnen sogar in derselben Sprache,
wh-rend ich mit einer Heftigkeit gestikulierte, die mir nieeigen
war, und whrend ich sogar Dinge sagte, diemit meiner gewhnlichen
Denkweise widerwrtigkontrastierten.Dieser wunderliche Zustand
dauerte wohl ein Jahr,und obgleich ich wieder ganz zur Einheit des
Selbst-bewutseins kam, blieben doch geheime Spuren inmeiner Seele.
Manche Idiosynkrasie, manche fataleSympathien und Antipathien, die
gar nicht zu meinemNaturell passen, ja sogar manche Handlungen, die
imWiderspruch mit meiner Denkweise sind, erklre ichmir als
Nachwirkungen aus jener Traumzeit, wo ichmein eigener Grooheim
war.Wenn ich Fehler begehe, deren Entstehung mir un-begreiflich
erscheint, schiebe ich sie gern auf Rech-nung meines
morgenlndischen Doppelgngers. Alsich einst meinem Vater eine solche
Hypothese mitteil-te, um ein kleines Versehen zu beschnigen,
bemerkteer schalkhaft: er hoffe, da mein Grooheim keineWechsel
unterschrieben habe, die mir einst zur Be-zahlung prsentiert werden
knnten.Es sind mir keine solche orientalischen Wechselvorgezeigt
worden, und ich habe genug Nte mit mei-nen eigenen okzidentalischen
Wechseln gehabt.Aber es gibt gewi noch schlimmere Schulden
alsGeldschulden, welche uns die Vorfahren zur Tilgunghinterlassen.
Jede Generation ist eine Fortsetzung derandern und ist
verantwortlich fr ihre Taten. DieSchrift sagt: die Vter haben
Herlinge (unreife Trau-ben) gegessen, und die Enkel haben davon
schmerz-haft taube Zhne bekommen.Es herrscht eine Solidaritt der
Generationen, dieaufeinanderfolgen, ja die Vlker, die
hintereinander indie Arena treten, bernehmen eine solche
Solidaritt,und die ganze Menschheit liquidiert am Ende diegroe
Hinterlassenschaft der Vergangenheit. Im TaleJosaphat wird das groe
Schuldbuch vernichtet wer-den oder vielleicht vorher noch durch
einen Universal-bankrott.Der Gesetzgeber der Juden hat diese
Solidaritt tieferkannt und besonders in seinem Erbrecht
sanktio-niert; fr ihn gab es vielleicht keine individuelle
Fort-dauer nach dem Tode, und er glaubte nur an die
Un-sterblichkeit der Familie; alle Gter waren Familien-eigentum,
und niemand konnte sie so vollstndig alie-nieren, da sie nicht zu
einer gewissen Zeit an die Fa-milienglieder zurckfielen.Einen
schroffen Gegensatz zu jener menschen-freundlichen Idee des
mosaischen Gesetzes bildet dasrmische, welches ebenfalls im
Erbrechte den Egois-mus des rmischen Charakters bekundet.Ich will
hierber keine Untersuchungen erffnen,und meine persnlichen
Bekenntnisse verfolgend, willich vielmehr die Gelegenheit benutzen,
die sich mirhier bietet, wieder durch ein Beispiel zu zeigen,
wiedie harmlosesten Tatsachen zuweilen zu den bswil-ligsten
Insinuationen von meinen Feinden benutztworden. Letztere wollen
nmlich die Entdeckung ge-macht haben, da ich bei biographischen
Mitteilun-gen sehr viel von meiner mtterlichen Familie, abergar
nichts von meinen vterlichen Sippen und Magensprche, und sie
bezeichneten solches als ein absicht-liches Hervorheben und
Verschweigen und beschul-digten mich derselben eiteln
Hintergedanken, die manauch meinem seligen Kollegen Wolfgang Goethe
vor-warf.Es ist freilich wahr, da in dessen Memoiren sehroft von
dem Grovater von vterlicher Seite, welcherals gestrenger Herr
Schulthei auf dem Rmer zuFrankfurt prsidierte, mit besonderem
Behagen dieRede ist, whrend der Grovater von mtterlicherSeite, der
als ehrsames Flickschneiderlein auf derBockenheimer Gasse auf dem
Werktische hockte unddie alten Hosen der Republik ausbesserte, mit
keinemWorte erwhnt wird.Ich habe Goethen in betreff dieses
Ignorierens nichtzu vertreten, doch was mich selbst betrifft, mchte
ichjene bswilligen und oft ausgebeuteten Interpretatio-nen und
Insinuationen dahin berichten, da es nichtmeine Schuld ist, wenn in
meinen Schriften von einemvterlichen Grovater nie gesprochen ward.
Die Ursa-che ist ganz einfach: ich habe nie viel von ihm zusagen
gewut. Mein seliger Vater war als ganz frem-der Mann nach meiner
Geburtsstadt Dsseldorf ge-kommen und besa hier keine Anverwandten,
keinejener alten Muhmen und Basen, welche die weibli-chen Barden
sind, die der jungen Brut tagtglich diealten Familienlegenden mit
epischer Monotonie vor-singen, whrend sie die bei den schottischen
Bardenobligate Dudelsackbegleitung durch das Schnarrenihrer Nasen
ersetzen. Nur ber die groen Kmpendes mtterlichen Clans konnte von
dieser Seite meinjunges Gemt frhe Eindrcke empfangen, und
ichhorchte mit Andacht, wenn die alte Brunle oderBrunhildis
erzhlte.Mein Vater selbst war sehr einsilbiger Natur,sprach nicht
gern, und einst als kleines Bbchen, zurZeit, wo ich die Werkeltage
in der den Franziskaner-Klosterschule, jedoch die Sonntage zu Hause
zu-brachte, nahm ich hier eine Gelegenheit wahr, meinenVater zu
befragen, wer mein Grovater gewesen sei.Auf diese Frage antwortete
er halb lachend, halb un-wirsch: Dein Grovater war ein kleiner Jude
undhatte einen groen Bart.Den andern Tag, als ich in den Schulsaal
trat, woich bereits meine kleinen Kameraden versammeltfand, beeilte
ich mich sogleich, ihnen die wichtigeNeuigkeit zu erzhlen: da mein
Grovater ein klei-ner Jude war, welcher einen langen Bart
hatte.Kaum hatte ich diese Mitteilung gemacht, als sievon Mund zu
Mund flog, in allen Tonarten wiederholtward, mit Begleitung von
nachgefften Tierstimmen.Die Kleinen sprangen ber Tische und Bnke,
rissenvon den Wnden die Rechentafeln, welche auf denBoden purzelten
nebst den Tintenfssern, und dabeiwurde gelacht, gemeckert,
gegrunzt, gebellt, gekrht -ein Hllenspektakel, dessen Refrain immer
der Gro-vater war, der ein kleiner Jude gewesen und einen gro-en
Bart hatte.Der Lehrer, welchem die Klasse gehrte, vernahmden Lrm
und trat mit zornglhendem Gesichte in denSaal und fragte gleich
nach dem Urheber dieses Un-fugs. Wie immer in solchen Fllen
geschieht: einjeder suchte kleinlaut sich zu diskulpieren, und
amEnde der Untersuchung ergab es sich, da ich rm-ster berwiesen
ward, durch meine Mitteilung bermeinen Grovater den ganzen Lrm
veranlat zuhaben, und ich bte meine Schuld durch eine bedeu-tende
Anzahl Prgel.Es waren die ersten Prgel, die ich auf dieser
Erdeempfing, und ich machte bei dieser Gelegenheit schondie
philosophische Betrachtung, da der liebe Gott,der die Prgel
erschaffen, in seiner gtigen Weisheitauch dafr sorgte, da
derjenige, welcher sie erteilt,am Ende mde wird, indem sonst am
Ende die Prgelunertrglich wrden.Der Stock, womit ich geprgelt ward,
war ein Rohrvon gelber Farbe, doch die Streifen, welche dasselbeauf
meinem Rcken lie, waren dunkelblau. Ich habesie nicht
vergessen.Auch den Namen des Lehrers, der mich so unbarm-herzig
schlug, verga ich nicht: es war der PaterDickerscheit; er wurde
bald von der Schule entfernt,aus Grnden, die ich ebenfalls nicht
vergessen, abernicht mitteilen will.Der Liberalismus hat den
Priesterstand oft genugmit Unrecht verunglimpft, und man knnte ihm
wohljetzt einige Schonung angedeihen lassen, wenn einunwrdiges
Mitglied Verbrechen begeht, die am Endedoch nur der menschlichen
Natur oder vielmehr Unna-tur beizumessen sind.Wie der Name des
Mannes, der mir die ersten Pr-gel erteilte, blieb mir auch der Anla
im Gedchtnis,nmlich meine unglckliche genealogische Mittei-lung,
und die Nachwirkung jener frhen Jugendein-drcke ist so gro, da
jedesmal, wenn von kleinenJuden mit groen Brten die Rede war, mir
eine un-heimliche Erinnerung grselnd ber den Rcken lief.Gesottene
Katze scheut den kochenden Kessel, sagtdas Sprchwort, und jeder
wird leicht begreifen, daich seitdem keine groe Neigung empfand,
nhereAuskunft ber jenen bedenklichen Grovater und sei-nen Stammbaum
zu erhalten oder gar dem groen Pu-blikum, wie einst dem kleinen,
dahinbezgliche Mit-teilungen zu machen.Meine Gromutter
vterlicherseits, von welcher ichebenfalls nur wenig zu sagen wei,
will ich jedochnicht unerwhnt lassen. Sie war eine
auerordentlichschne Frau und einzige Tochter eines Bankiers
zuHamburg, der wegen seines Reichtums weit und breitberhmt war.
Diese Umstnde lassen mich vermuten,da der kleine Jude, der die
schne Person aus demHause ihrer hochbegterten Eltern nach
seinemWohnorte Hannover heimfhrte, noch auer seinemgroen Barte sehr
rhmliche Eigenschaften besessenund sehr respektabel gewesen sein
mu.Er starb frhe, eine junge Witwe mit sechs Kin-dern, smtlich
Knaben im zartesten Alter, zurcklas-send. Sie kehrte nach Hamburg
zurck und starb dortebenfalls nicht sehr betagt.Im Schlafzimmer
meines Oheims Salomon Heinezu Hamburg sah ich einst das Portrt der
Gromutter.Der Maler, welcher in Rembrandtscher Manier nachLicht-
und Schatteneffekten haschte, hatte dem Bildeeine schwarze
klsterliche Kopfbedeckung, eine fastebenso strenge, dunkle Robe und
den pechdunkelstenHintergrund erteilt, so da das vollwangichte,
miteinem Doppelkinn versehene Gesicht wie einVollmond aus
nchtlichem Gewlk hervorschimmer-te.Ihre Zge trugen noch die Spuren
groer Schn-heit, sie waren zugleich milde und ernsthaft, und
be-sonders die Morbidezza der Hautfarbe gab dem gan-zen Gesicht
einen Ausdruck von Vornehmheit eigen-tmlicher Art; htte der Maler
der Dame ein groesKreuz von Diamanten vor die Brust gemalt, so
htteman sicher geglaubt, das Portrt irgendeiner gefrste-ten btissin
eines protestantischen adligen Stiftes zusehen.Von den Kindern
meiner Gromutter haben, sovielich wei, nur zwei ihre
auerordentliche Schnheitgeerbt, nmlich mein Vater und mein Oheim
SalomonHeine, der verstorbene Chef des hamburgischen Ban-kierhauses
dieses Namens.Die Schnheit meines Vaters hatte etwas berwei-ches,
Charakterloses, fast Weibliches. Sein Bruderbesa vielmehr eine
mnnliche Schnheit, und er warberhaupt ein Mann, dessen
Charakterstrke sichauch in seinen edelgemessenen, regelmigen
Zgenimposant, ja manchmal sogar verblffend offenbarte.Seine Kinder
waren alle ohne Ausnahme zur ent-zckendsten Schnheit emporgeblht,
doch der Todraffte sie dahin in ihrer Blte, und von diesem sch-nen
Menschenblumenstrau leben jetzt nur zwei, derjetzige Chef des
Bankierhauses und seine Schwester,eine seltene Erscheinung mit
---Ich hatte alle diese Kinder so lieb, und ich liebteauch ihre
Mutter, die ebenfalls so schn war und frhdahinschied, und alle
haben mir viele Trnen geko-stet. Ich habe wahrhaftig in diesem
Augenblickentig, meine Schellenkappe zu schtteln, um die
wei-nerlichen Gedanken zu berklingeln.Ich habe oben gesagt, da die
Schnheit meinesVaters etwas Weibliches hatte. Ich will hiermit
kei-neswegs einen Mangel an Mnnlichkeit andeuten:letztere hat er
zumal in seiner Jugend oft erprobt, undich selbst bin am Ende ein
lebendes Zeugnis dersel-ben. Es sollte das keine unziemliche uerung
sein;im Sinne hatte ich nur die Formen seiner
krperlichenErscheinung, die nicht straff und drall, sondern
viel-mehr weich und zrtlich gerndet waren. Den Kontu-ren seiner Zge
fehlte das Markierte, und sie ver-schwammen ins Unbestimmte. In
seinen spteren Jah-ren ward er fett, aber auch in seiner Jugend
scheint ernicht eben mager gewesen zu sein.In dieser Vermutung
besttigt mich ein Portrt,welches seitdem in einer Feuersbrunst bei
meinerMutter verlorenging und meinen Vater als einen jun-gen
Menschen von etwa achtzehn oder neunzehn Jah-ren, in roter Uniform,
das Haupt gepudert und verse-hen mit einem Haarbeutel,
darstellt.Dieses Portrt war gnstigerweise mit Pastellfarbegemalt.
Ich sage gnstigerweise, da letztere weit bes-ser als die lfarbe mit
dem hinzukommenden Glanz-leinenfirnis jenen Bltenstaub wiedergeben
kann, denwir auf den Gesichtern der Leute, welche Puder tra-gen,
bemerken, und die Unbestimmtheit der Zge vor-teilhaft verschleiert.
Indem der Maler auf besagtemPortrt mit den kreidewei gepuderten
Haaren und derebenso weien Halsbinde das rosichte Gesicht
enka-drierte, verlieh er demselben durch den Kontrast einstrkeres
Kolorit, und es tritt krftiger hervor.Auch die scharlachrote Farbe
des Rocks, die auflgemlden so schauderhaft uns angrinst, macht
hierim Gegenteil einen guten Effekt, indem dadurch dieRosenfarbe
des Gesichtes angenehm gemildert wird.Der Typus von Schnheit, der
sich in den Zgendesselben aussprach, erinnerte weder an die
strengekeusche Idealitt der griechischen Kunstwerke nochan den
spiritualistisch schwrmerischen, aber mitheidnischer Gesundheit
geschwngerten Stil der Re-naissance; nein, besagtes Portrt trug
vielmehr ganzden Charakter einer Zeit, die eben keinen
Charakterbesa, die minder die Schnheit als das Hbsche,
dasNiedliche, das Kokett-Zierliche liebte; einer Zeit, diees in der
Fadheit bis zur Poesie brachte, jener sen,geschnrkelten Zeit des
Rokoko, die man auch dieHaarbeutelzeit nannte und die wirklich als
Wahrzei-chen, nicht an der Stirn, sondern am Hinterkopfe,einen
Haarbeutel trug. Wre das Bild meines Vatersauf besagtem Portrte
etwas mehr Miniatur gewesen,so htte man glauben knnen, der
vortreffliche Wat-teau habe es gemalt, um, mit phantastischen
Arabes-ken von bunten Edelsteinen und Goldflittern um-rahmt, auf
einem Fcher der Frau von Pompadour zuparadieren.Bemerkenswert ist
vielleicht der Umstand, damein Vater auch in seinen spteren Jahren
der altfrn-kischen Mode des Puders treu blieb und bis an
seinseliges Ende sich alle Tage pudern lie, obgleich erdas schnste
Haar, das man sich denken kann, besa.Es war blond, fast golden, und
von einer Weichheit,wie ich sie nur bei chinesischer Flockseide
gefunden.Den Haarbeutel htte er gewi ebenfalls gern bei-behalten,
jedoch der fortschreitende Zeitgeist war un-erbitterlich. In dieser
Bedrngnis fand mein Vater einbeschwichtigendes Auskunftsmittel. Er
opferte nur dieForm, das schwarze Sckchen, den Beutel; die
langenHaarlocken jedoch selbst trug er seitdem wie
einbreitgeflochtenes Chignon mit kleinen Kmmchen aufdem Haupte
befestigt. Diese Haarflechte war bei derWeichheit der Haare und
wegen des Puders fast garnicht bemerkbar, und so war mein Vater
doch imGrunde kein Abtrnniger des alten Haarbeuteltums,und er hatte
nur wie so mancher Kryptoorthodoxedem grausamen Zeitgeiste sich
uerlich gefgt.Die rote Uniform, worin mein Vater auf dem er-whnten
Portrte abkonterfeit ist, deutet auf hann-versche
Dienstverhltnisse. Im Gefolge des PrinzenErnst von Cumberland
befand sich mein Vater zu An-fang der franzsischen Revolution und
machte denFeldzug in Flandern und Brabant mit in der Eigen-schaft
eines Proviantmeisters oder Kommissariusoder, wie es die Franzosen
nennen, eines officier debouche; die Preuen nennen es einen
Mehlwurm.Das eigentliche Amt des blutjungen Menschen waraber das
eines Gnstlings des Prinzen, eines Brum-mells au petit pied und
ohne gesteifte Krawatte, under teilte auch am Ende das Schicksal
solcher Spielzeu-ge der Frstengunst. Mein Vater blieb zwar
zeitlebensfest berzeugt, da der Prinz, welcher spter Knigvon
Hannover ward, ihn nie vergessen habe, dochwute er sich nie zu
erklren, warum der Prinz nie-mals nach ihm schickte, niemals sich
nach ihm erkun-digen lie, da er doch nicht wissen konnte, ob
seinehemaliger Gnstling nicht in Verhltnissen lebte, woer etwa
seiner bedrftig sein mchte.Aus jener Feldzugsperiode stammen manche
be-denkliche Liebhabereien meines Vaters, die ihmmeine Mutter nur
allmhlich abgewhnen konnte.Zum Beispiel er lie sich gern zu hohem
Spiel verlei-ten, protegierte die dramatische Kunst oder
vielmehrihre Priesterinnen, und gar Pferde und Hunde warenseine
Passion. Bei seiner Ankunft in Dsseldorf, woer sich aus Liebe fr
meine Mutter als Kaufmann eta-blierte, hatte er zwlf der schnsten
Gule mitge-bracht. Er entuerte sich aber derselben auf
aus-drcklichen Wunsch seiner jungen Gattin, die ihmvorstellte, da
dieses vierfige Kapital zuviel Haferfresse und gar nichts
eintrage.Schwerer ward es meiner Mutter, auch den Stall-meister zu
entfernen, einen vierschrtigen Flegel, derbestndig mit irgendeinem
aufgegabelten Lump imStalle lag und Karten spielte. Er ging endlich
vonselbst in Begleitung einer goldenen Repetieruhr mei-nes Vaters
und einiger anderer Kleinodien von Wert.Nachdem meine Mutter den
Taugenichts los war,gab sie auch den Jagdhunden meines Vaters ihre
Ent-lassung, mit Ausnahme eines einzigen, welcher Jolyhie, aber
erzhlich war. Er fand Gnade in ihrenAugen, weil er eben gar nichts
von einem Jagdhundan sich hatte und ein brgerlich treuer und
tugendhaf-ter Haushund werden konnte. Er bewohnte im leerenStalle
die alte Kalesche meines Vaters, und wenn die-ser hier mit ihm
zusammentraf, warfen sie sich wech-selseitig bedeutende Blicke zu.
Ja, Joly, seufztedann mein Vater, und Joly wedelte wehmtig mit
demSchwanze.Ich glaube, der Hund war ein Heuchler, und einstin bler
Laune, als sein Liebling ber einen Futrittallzu jmmerlich wimmerte,
gestand mein Vater, dadie Kanaille sich verstelle. Am Ende ward
Joly sehrrudig, und da er eine wandelnde Kaserne von Flhengeworden,
mute er ersuft werden, was mein Vaterohne Einspruch geschehen lie.
- Die Menschen sa-krifizieren ihre vierfigen Gnstlinge mit
derselbenIndifferenz wie die Frsten die zweifigen.Aus der
Feldlagerperiode meines Vaters stammteauch wohl seine grenzenlose
Vorliebe fr den Solda-tenstand oder vielmehr fr das Soldatenspiel,
die Lustan jenem lustigen, migen Leben, wo Goldflitter
undScharlachlappen die innere Leere verhllen und dieberauschte
Eitelkeit sich als Mut gebrden kann.In seiner junkerlichen Umgebung
gab es weder mi-litrischen Ernst noch wahre Ruhmsucht; von
Herois-mus konnte gar nicht die Rede sein. Als die Hauptsa-che
erschien ihm die Wachtparade, das klirrendeWehrgehenke, die
straffanliegende Uniform, so kleid-sam fr schne Mnner.Wie glcklich
war daher mein Vater, als zu Ds-seldorf die Brgergarden errichtet
wurden und er alsOffizier derselben die schne dunkelblaue, mit
him-melblauen Sammetaufschlgen versehene Uniformtragen und an der
Spitze seiner Kolonnen an unseremHause vorbeidefilieren konnte. Vor
meiner Mutter,welche errtend am Fenster stand, salutierte er
dannmit allerliebster Courtoisie; der Federbusch aufseinem
dreieckigen Hute flatterte da so stolz, und imSonnenlicht blitzten
freudig die Epauletten.Noch glcklicher war mein Vater in jener
Zeit,wenn die Reihe an ihn kam, als kommandierender Of-fizier die
Hauptwache zu beziehen und fr die Sicher-heit der Stadt zu sorgen.
An solchen Tagen flo aufder Hauptwache eitel Rdesheimer und
Amannshu-ser von den trefflichsten Jahrgngen, alles auf Rech-nung
des kommandierenden Offiziers, dessen Freige-bigkeit seine
Brgergardisten, seine Krethi und Ple-thi, nicht genug zu rhmen
wuten.Auch geno mein Vater unter ihnen eine Populari-tt, die gewi
ebenso gro war wie die Begeisterung,womit die alte Garde den Kaiser
Napoleon umjubelte.Dieser freilich verstand seine Leute in anderer
Weisezu berauschen. Den Garden meines Vaters fehlte esnicht an
einer gewissen Tapferkeit, zumal wo es galt,eine Batterie von
Weinflaschen, deren Schlnde vomgrten Kaliber, zu erstrmen. Aber ihr
Heldenmutwar doch von einer andern Sorte als die, welche wirbei der
alten Kaisergarde fanden. Letztere starb undbergab sich nicht,
whrend die Gardisten meines Va-ters immer am Leben blieben und sich
oft bergaben.Was die Sicherheit der Stadt Dsseldorf betrifft, somag
es sehr bedenklich damit ausgesehen haben inden Nchten, wo mein
Vater auf der Hauptwachekommandierte. Er trug zwar Sorge,
Patrouillenauszuschicken, die singend und klirrend in
verschie-denen Richtungen die Stadt durchstreiften. Es
geschaheinst, da zwei solcher Patrouillen sich begegnetenund in der
Dunkelheit die einen die andern als Trun-kenbolde und Ruhestrer
arretieren wollten. ZumGlck sind meine Landsleute ein harmlos
frhlichesVlkchen, sie sind im Rausche gutmtig, ils ont levin bon,
und es geschah kein Malheur; sie berga-ben sich wechselseitig.Eine
grenzenlose Lebenslust war ein Hauptzug imCharakter meines Vaters,
er war genuschtig, froh-sinnig, rosenlaunig. In seinem Gemte war
bestndigKirmes, und wenn auch manchmal die Tanzmusiknicht sehr
rauschend, so wurden doch immer die Vio-linen gestimmt. Immer
himmelblaue Heiterkeit undFanfaren des Leichtsinns. Eine
Sorglosigkeit, die desvorigen Tages verga und nie an den
kommendenMorgen denken wollte.Dieses Naturell stand im
wunderlichsten Wider-spruch mit der Gravitt, die ber sein
strengruhigesAntlitz verbreitet war und sich in der Haltung
undjeder Bewegung des Krpers kundgab. Wer ihn nichtkannte und zum
ersten Male diese ernsthafte, gepu-derte Gestalt und diese wichtige
Miene sah, httegewi glauben knnen, einen von den Sieben
WeisenGriechenlands zu erblicken. Aber bei nherer Be-kanntschaft
merkte man wohl, da er weder einThales noch ein Lampsakus war, der
ber kosmogoni-sche Probleme nachgrble. Jene Gravitt war zwarnicht
erborgt, aber sie erinnerte doch an jene antikenBasreliefs, wo ein
heiteres Kind sich eine groe tragi-sche Maske vor das Antlitz
hlt.Er war wirklich ein groes Kind mit einer kindli-chen Naivett,
die bei platten Verstandesvirtuosensehr leicht fr Einfalt gelten
konnte, aber manchmaldurch irgendeinen tiefsinnigen Ausspruch das
bedeu-tendste Anschauungsvermgen (Intuition) verriet.Er witterte
mit seinen geistigen Fhlhrnern, wasdie Klugen erst langsam durch
die Reflexion begrif-fen. Er dachte weniger mit dem Kopfe als mit
demHerzen und hatte das liebenswrdigste Herz, das mansich denken
kann. Das Lcheln, das manchmal umseine Lippen spielte und mit der
obenerwhnten Gra-vitt gar drollig anmutig kontrastierte, war der
seWiderschein seiner Seelengte.Auch seine Stimme, obgleich mnnlich,
klangvoll,hatte etwas Kindliches, ich mchte fast sagen etwas,das an
Waldtne, etwa an Rotkehlchenlaute, erinner-te; wenn er sprach, so
drang seine Stimme so direktzu Herzen, als habe sie gar nicht ntig
gehabt, denWeg durch die Ohren zu nehmen.Er redete den Dialekt
Hannovers, wo, wie auch inder sdlichen Nachbarschaft dieser Stadt,
das Deut-sche am besten ausgesprochen wird. Das war eingroer
Vorteil fr mich, da solchermaen schon inder Kindheit durch meinen
Vater mein Ohr an einegute Aussprache des Deutschen gewhnt wurde,
wh-rend in unserer Stadt selbst jenes fatale Kauderwelschdes
Niederrheins gesprochen wird, das zu Dsseldorfnoch einigermaen
ertrglich, aber in dem nachbarli-chen Kln wahrhaft ekelhaft wird.
Kln ist das Tos-kana einer klassisch schlechten Aussprache des
Deut-schen, und Kobes klngelt mit Marizzebill in einerMundart, die
wie faule Eier klingt, fast riecht.In der Sprache der Dsseldorfer
merkt man schoneinen bergang in das Froschgequke der hollndi-schen
Smpfe. Ich will der hollndischen Sprachebeileibe nicht ihre
eigentmlichen Schnheiten ab-sprechen, nur gestehe ich, da ich kein
Ohr dafrhabe. Es mag sogar wahr sein, da unsere eigenedeutsche
Sprache, wie patriotische Linguisten in denNiederlanden behauptet
haben, nur ein verdorbenesHollndisch sei. Es ist mglich.Dieses
erinnert mich an die Behauptung eines kos-mopolitischen Zoologen,
welcher den Affen fr denAhnherrn des Menschengeschlechts erklrt;
die Men-schen sind nach seiner Meinung nur ausgebildete,
jaberbildete Affen. Wenn die Affen sprechen knnten,sie wrden
wahrscheinlich behaupten, da die Men-schen nur ausgeartete Affen
seien, da die Menschheitein verdorbenes Affentum, wie nach der
Meinung derHollnder die deutsche Sprache ein verdorbenes
Hol-lndisch ist.Ich sage: wenn die Affen sprechen knnten, ob-gleich
ich von solchem Unvermgen des Sprechensnicht berzeugt bin. Die
Neger am Senegal versichernsteif und fest, die Affen seien Menschen
ganz wie wir,jedoch klger, indem sie sich des Sprechens
enthalten,um nicht als Menschen anerkannt und zum Arbeitengezwungen
zu werden; ihre skurrile Affenspe seienlauter Pfiffigkeit, wodurch
sie bei den Machthabernder Erde fr untauglich erscheinen mchten,
wie wirandre ausgebeutet zu werden.Solche Entuerung aller Eitelkeit
wrde mir vondiesen Menschen, die ein stummes Inkognito beibe-halten
und sich vielleicht ber unsere Einfalt lustigmachen, eine sehr hohe
Idee einflen. Sie bleibenfrei in ihren Wldern, dem Naturzustand nie
entsa-gend. Sie knnten wahrlich mit Recht behaupten, dader Mensch
ein ausgearteter Affe sei.Vielleicht haben unsere Vorfahren im
achtzehntenJahrhundert dergleichen schon geahnt, und indem
sieinstinktmig fhlten, wie unsere glatte berzivilisa-tion nur eine
gefirnite Fulnis ist und wie es ntigsei, zur Natur zurckzukehren,
suchten sie sich unse-rem Urtypus, dem natrlichen Affentum, wieder
zunhern. Sie taten das Mgliche, und als ihnen endlich,um ganz Affe
zu sein, nur noch der Schwanz fehlte,ersetzten sie diesen Mangel
durch den Zopf. So ist dieZopfmode ein bedeutsames Symptom eines
ernstenBedrfnisses und nicht ein Spiel der Frivolitt - -doch ich
suche vergebens durch das Schellen meinerKappe die Wehmut zu
berklingeln, die mich jedes-mal ergreift, wenn ich an meinen
verstorbenen Vaterdenke.Er war von allen Menschen derjenige, den
ich ammeisten auf dieser Erde geliebt. Er ist jetzt tot seitlnger
als fnfundzwanzig Jahren. Ich dachte niedaran, da ich ihn einst
verlieren wrde, und selbstjetzt kann ich es kaum glauben, da ich
ihn wirklichverloren habe. Es ist so schwer, sich von dem Tod
derMenschen zu berzeugen, die wir so innig liebten.Aber sie sind
auch nicht tot, sie leben fort in uns undwohnen in unserer Seele.Es
verging seitdem keine Nacht, wo ich nicht anmeinen seligen Vater
denken mute, und wenn ich desMorgens erwache, glaube ich oft noch
den Klang sei-ner Stimme zu hren wie das Echo eines Traumes.Alsdann
ist mir zu Sinn, als mt ich mich geschwindankleiden und zu meinem
Vater hinabeilen in diegroe Stube, wie ich als Knabe tat.Mein Vater
pflegte immer sehr frhe aufzustehenund sich an seine Geschfte zu
begeben, im Winterwie im Sommer, und ich fand ihn gewhnlich schonam
Schreibtisch, wo er, ohne aufzublicken, mir dieHand hinreichte zum
Kusse. Eine schne, feinge-schnittene, vornehme Hand, die er immer
mit Mandel-klei wusch. Ich sehe sie noch vor mir, ich sehe
nochjedes blaue derchen, das diese blendendweie Mar-morhand
durchrieselte. Mir ist, als steige der Mandel-duft prickelnd in
meine Nase, und das Auge wirdfeucht.Zuweilen blieb es nicht beim
bloen Handku, undmein Vater nahm mich zwischen seine Knie undkte
mich auf die Stirn. Eines Morgens umarmte ermich mit ganz
besonderer Zrtlichkeit und sagte: Ichhabe diese Nacht etwas Schnes
von dir getrumt undbin sehr zufrieden mit dir, mein lieber Harry.
Wh-rend er diese naiven Worte sprach, zog ein Lchelnum seine
Lippen, welches zu sagen schien: mag derHarry sich noch so unartig
in der Wirklichkeit auffh-ren, ich werde dennoch, um ihn ungetrbt
zu lieben,immer etwas Schnes von ihm trumen.Harry ist bei den
Englndern der familire Namederjenigen, welche Henri heien, und er
entsprichtganz meinem deutschen Taufnamen Heinrich. Diefamiliren
Benennungen des letztern sind in dem Dia-lekte meiner Heimat uerst
miklingend, ja fastskurril, z.B. Heinz, Heinzchen, Hinz. Heinzchen
wer-den oft auch die kleinen Hauskobolde genannt, undder
gestiefelte Kater im Puppenspiel und berhauptder Kater in der
Volksfabel heit Hinze.Aber nicht um solcher Milichkeit abzuhelfen,
son-dern um einen seiner besten Freunde in England zuehren, ward
von meinem Vater mein Name anglisiert.Mr. Harry war meines Vaters
Geschftsfhrer (Korre-spondent) in Liverpool; er kannte dort die
besten Fa-briken, wo Velveteen fabriziert wurde, ein
Handelsar-tikel, der meinem Vater sehr am Herzen lag, mehr
ausAmbition als aus Eigennutz, denn obgleich er be-hauptete, da er
viel Geld an jenem Artikel verdiene,so blieb solches doch sehr
problematisch, und meinVater htte vielleicht noch Geld zugesetzt,
wenn esdarauf ankam, den Velveteen in besserer Qualitt undin grerer
Quantitt abzusetzen als seine Kompetito-ren. Wie denn berhaupt mein
Vater eigentlich keinenberechnenden Kaufmannsgeist hatte, obgleich
erimmer rechnete, und der Handel fr ihn vielmehr einSpiel war, wie
die Kinder Soldaten oder Kochen spie-len.Seine Ttigkeit war
eigentlich nur eine unaufhrli-che Geschftigkeit. Der Velveteen war
ganz beson-ders seine Puppe, und er war glcklich, wenn die gro-en
Frachtkarren abgeladen wurden und schon beimAbpacken alle
Handelsjuden der benachbarten Ge-gend die Hausflur fllten; denn die
letzteren warenseine besten Kunden, und bei ihnen fand sein
Velve-teen nicht blo den grten Absatz, sondern auch eh-renhafte
Anerkennung.Da du, teurer Leser, vielleicht nicht weit,
wasVelveteen ist, so erlaube ich mir, dir zu erklren,da dieses ein
englisches Wort ist, welches samtar-tig bedeutet, und man benennt
damit eine Art Samtvon Baumwolle, woraus sehr schne Hosen,
Westen,sogar Kamisle verfertigt werden. Es trgt
dieserKleidungsstoff auch den Namen Manchester nachder
gleichnamigen Fabrikstadt, wo derselbe zuerst fa-briziert
wurde.Weil nun der Freund meines Vaters, der sich aufden Einkauf
des Velveteens am besten verstand, denNamen Harry fhrte, erhielt
auch ich diesen Namen,und Harry ward ich genannt in der Familie und
beiHausfreunden und Nachbarn.Ich hre mich noch jetzt sehr gern bei
diesemNamen nennen, obgleich ich demselben auch vielVerdru,
vielleicht den empfindlichsten Verdru mei-ner Kindheit verdankte.
Erst jetzt, wo ich nicht mehrunter den Lebenden lebe und folglich
alle gesell-schaftliche Eitelkeit in meiner Seele erlischt, kann
ichohne Befangenheit davon sprechen.Hier in Frankreich ist mir
gleich nach meiner An-kunft in Paris mein deutscher Name Heinrich
inHenri bersetzt worden, und ich mute mich darinschicken und auch
endlich hierzulande selbst so nen-nen, da das Wort Heinrich dem
franzsischen Ohrnicht zusagte und berhaupt die Franzosen sich
alleDinge in der Welt recht bequem machen. Auch denNamen Henri
Heine haben sie nie recht ausspre-chen knnen, und bei den meisten
heie ich M. EnriEnn; von vielen wird dieses in ein Enrienne
zusam-mengezogen, und einige nannten mich M. Un rien.Das schadet
mir in mancherlei literrischer Bezie-hung, gewhrt aber auch wieder
einigen Vorteil. ZumBeispiel unter meinen edlen Landsleuten, welche
nachParis kommen, sind manche, die mich hier gern verl-stern
machten, aber da sie immer meinen Namendeutsch aussprechen, so
kommt es den Franzosennicht in den Sinn, da der Bsewicht und
Unschuld-brunnenvergifter, ber den so schrecklich geschimpftward,
kein anderer als ihr Freund Monsieur Enriennesei, und jene edlen
Seelen haben vergebens ihrem Tu-gendeifer die Zgel schieen lassen;
die Franzosenwissen nicht, da von mir die Rede ist, und die
trans-rhenanische Tugend hat vergebens alle Bolzen derVerleumdung
abgeschossen.Es hat aber, wie gesagt, etwas Miliches, wennman
unsern Namen schlecht ausspricht. Es gibt Men-schen, die in solchen
Fllen eine groe Empfindlich-keit an den Tag legen. Ich machte mir
mal den Spa,den alten Cherubini zu befragen, ob es wahr sei, dader
Kaiser Napoleon seinen Namen immer wie Sche-rubini und nicht wie
Kerubini ausgesprochen, ob-gleich der Kaiser des Italienischen
genugsam kundigwar, um zu wissen, wo das italienische ch wie ein
queoder k ausgesprochen wird. Bei dieser Anfrage expek-torierte
sich der alte Maestro mit hchst komischerWut.Ich habe dergleichen
nie empfunden.Heinrich, Harry, Henri - alle diese Namen klingengut,
wenn sie von schnen Lippen gleiten. Am bestenfreilich klingt Signor
Enrico. So hie ich in jenenhellblauen, mit groen silbernen Sternen
gesticktenSommernchten jenes edlen und unglcklichen Lan-des, das
die Heimat der Schnheit ist und RaffaelSanzio von Urbino, Joachimo
Rossini und die Princi-pessa Christina Belgiojoso hervorgebracht
hat.Da mein krperlicher Zustand mir alle Hoffnungraubt, jemals
wieder in der Gesellschaft zu leben, undletztere wirklich nicht
mehr fr mich existiert, so habeich auch die Fessel jener
persnlichen Eitelkeit abge-streift, die jeden behaftet, der unter
den Menschen, inder sogenannten Welt, sich herumtreiben mu.Ich kann
daher jetzt mit unbefangenem Sinn vondem Migeschick sprechen, das
mit meinem NamenHarry verbunden war und mir die schnsten
Frh-lingsjahre des Lebens vergllte und vergiftete.Es hatte damit
folgende Bewandtnis. In meiner Va-terstadt wohnte ein Mann, welcher
der Dreckmichelhie, weil er jeden Morgen mit einem Karren, woranein
Esel gespannt war, die Straen der Stadt durchzogund vor jedem Hause
stillhielt, um den Kehricht, wel-chen die Mdchen in zierlichen
Haufen zusammenge-kehrt, aufzuladen und aus der Stadt nach dem
Mistfel-de zu transportieren. Der Mann sah aus wie sein Ge-werbe,
und der Esel, welcher seinerseits wie sein Herraussah, hielt still
vor den Husern oder setzte sich inTrab, je nachdem die Modulation
war, womit der Mi-chel ihm das Wort Haarh! zurief.War solches sein
wirklicher Name oder nur einStichwort? Ich wei nicht, doch soviel
ist gewi, daich durch die hnlichkeit jenes Wortes mit meinemNamen
Harry auerordentlich viel Leid von Schulka-meraden und
Nachbarskindern auszustehen hatte. Ummich zu nergeln, sprachen sie
ihn ganz so aus, wie derDreckmichel seinen Esel rief, und ward ich
darob er-bost, so nahmen die Schlke manchmal eine ganz un-schuldige
Miene an und verlangten, um jede Ver-wechselung zu vermeiden, ich
sollte sie lehren, wiemein Name und der des Esels ausgesprochen
werdenmten, stellten sich aber dabei sehr ungelehrig,meinten, der
Michel pflege die erste Silbe immer sehrlangsam anzuziehen, whrend
er die zweite Silbeimmer sehr schnell abschnappen lasse; zu
anderenZeiten geschhe das Gegenteil, wodurch der Ruf wie-der ganz
meinem eigenen Namen gleichlaute, undindem die Buben in der
unsinnigsten Weise alle Be-griffe und mich mit dem Esel und wieder
diesen mitmir verwechselten, gab es tolle coq--l'ne, ber diejeder
andere lachen, aber ich selbst weinen mute.Als ich mich bei meiner
Mutter beklagte, meintesie, ich solle nur suchen, viel zu lernen
und gescheitzu werden, und man werde mich dann nie mit einemEsel
verwechseln.Aber meine Homonymitt mit dem schbigenLangohr blieb
mein Alp. Die groen Buben gingenvorbei und grten: Haarh!, die
kleineren riefenmir denselben Gru, aber in einiger Entfernung.
Inder Schule ward dasselbe Thema mit raffinierterGrausamkeit
ausgebeutet; wenn nur irgend von einemEsel die Rede war, schielte
man nach mir, der ichimmer errtete, und es ist unglaublich, wie
Schulkna-ben berall Anzglichkeiten hervorzuheben oder zuerfinden
wissen.Zum Beispiel der eine frug den andern: Wie unter-scheidet
sich das Zebra von dem Esel des Barlaam,Sohn Boers? Die Antwort
lautete: Der eine sprichtzebrisch und der andere sprach hebrisch. -
Dannkam die Frage: Wie unterscheidet sich aber der Eseldes
Dreckmichels von seinem Namensvetter?, unddie impertinente Antwort
war: Den Unterschied wis-sen wir nicht. Ich wollte dann zuschlagen,
aber manbeschwichtigte mich, und mein Freund Dietrich,
derauerordentlich schne Heiligenbildchen zu verferti-gen wute und
auch spter ein berhmter Malerwurde, suchte mich einst bei einer
solchen Gelegen-heit zu trsten, indem er mir ein Bild versprach.
Ermalte fr mich einen heiligen Michael - aber der B-sewicht hatte
mich schndlich verhhnt. Der Erzengelhatte die Zge des Dreckmichels,
sein Ro sah ganzaus wie dessen Esel, und statt einen Drachen
durch-stach die Lanze das Aas einer toten Katze.Sogar der
blondlockichte, sanfte, mdchenhafteFranz, den ich so sehr liebte,
verriet mich einst: erschlo mich in seine Arme, lehnte seine Wange
zrt-lich an die meinige, blieb lange sentimental an meinerBrust und
- rief mir pltzlich ins Ohr ein lachendesHaarh! - das schnde Wort
im Davonlaufen be-stndig modulierend, da es weithin durch die
Kreuz-gnge des Klosters widerhallte.Noch roher behandelten mich
einige Nachbarskin-der, Gassenbuben jener niedrigsten Klasse,
welchewir in Dsseldorf Haluten nannten, ein Wort, wel-ches
Etymologienjger gewi von den Heloten derSpartaner ableiten
wrden.Ein solcher Halut war der kleine Jupp, welches Jo-seph heit
und den ich auch mit seinem VatersnamenFlader benennen will, damit
er beileibe nicht mit demJupp Rrsch verwechselt werde, welcher ein
ganz ar-tiges Nachbarskind war und, wie ich zufllig erfahren,jetzt
als Postbeamter in Bonn lebt. Der Jupp Fladertrug immer einen
langen Fischerstecken, womit ernach mir schlug, wenn er mir
begegnete. Er pflegtemir auch gern Ropfel an den Kopf zu werfen,
die erbrhwarm, wie sie aus dem Backofen der Naturkamen, von der
Strae aufraffte. Aber nie unterlie erdann auch, das fatale Haarh!
zu rufen, und zwar inallen Modulationen.Der bse Bub war der Enkel
der alten Frau Flader,welche zu den Klientinnen meines Vaters
gehrte. Sobse der Bub war, so gutmtig war die arme Gro-mutter, ein
Bild der Armut und des Elends, aber nichtabstoend, sondern nur
herzzerreiend. Sie war wohlber achtzig Jahre alt, eine groe
Schlottergestalt, einweies Ledergesicht mit blassen Kummeraugen,
eineweiche, rchelnde, wimmernde Stimme, und bettelndganz ohne
Phrase, was immer furchtbar klingt.Mein Vater gab ihr immer einen
Stuhl, wenn siekam, ihr Monatsgeld abzuholen an den Tagen, wo erals
Armenpfleger seine Sitzungen hielt.Von diesen Sitzungen meines
Vaters als Armen-pfleger blieben mir nur diejenigen im
Gedchtnis,welche im Winter stattfanden, in der Frhe des Mor-gens,
wenn's noch dunkel war. Mein Vater sa dannan einem groen Tische,
der mit Geldtten jederGre bedeckt war; statt der silbernen Leuchter
mitWachskerzen, deren sich mein Vater gewhnlich be-diente und womit
er, dessen Herz soviel Takt besa,vor der Armut nicht prunken
wollte, standen jetzt aufdem Tische zwei kupferne Leuchter mit
Talglichtern,die mit der roten Flamme des dicken,
schwarzge-brannten Dochtes gar traurig die anwesende Gesell-schaft
beleuchteten.Das waren arme Leute jedes Alters, die bis in
denVorsaal Queue machten. Einer nach dem andern kam,seine Tte in
Empfang zu nehmen, und mancher er-hielt zwei; die groe Tte enthielt
das Privatalmosenmeines Vaters, die kleine das Geld der
Armenkasse.Ich sa auf einem hohen Stuhle neben meinemVater und
reichte ihm die Tten. Mein Vater wolltenmlich, ich sollte lernen,
wie man gibt, und in die-sem Fache konnte man bei meinem Vater
etwas Tch-tiges lernen.Viele Menschen haben das Herz auf dem
rechtenFleck, aber sie verstehen nicht zu geben, und es dau-ert
lange, ehe der Wille des Herzens den Weg bis zurTasche macht;
zwischen dem guten Vorsatz und derVollstreckung vergeht langsam die
Zeit wie bei einerPostschnecke. Zwischen dem Herzen meines
Vatersund seiner Tasche war gleichsam schon eine Eisen-bahn
eingerichtet. Da er durch die Aktionen solcherEisenbahn nicht reich
wurde, versteht sich von selbst.Bei der Nord- oder Lyonbahn ist
mehr verdient wor-den.Die meisten Klienten meines Vaters waren
Frauen,und zwar alte, und auch in spteren Zeiten, selbstdamals, als
seine Umstnde sehr unglnzend zu seinbegannen, hatte er eine solche
Klientel von bejahrtenWeibspersonen, denen er kleine Pensionen
verab-reichte. Sie standen berall auf der Lauer, wo seinWeg ihn
vorberfhren mute, und er hatte solcher-maen eine geheime Leibwache
von alten Weibernwie einst der selige Robespierre.Unter dieser
altergrauen Garde war manche Vettel,die durchaus nicht aus
Drftigkeit ihm nachlief, son-dern aus wahrem Wohlgefallen an seiner
Person, anseiner freundlichen und immer liebreichen Erschei-nung.Er
war ja die Artigkeit in Person, nicht blo denjungen, sondern auch
den lteren Frauen gegenber,und die alten Weiber, die so grausam
sich zeigen,wenn sie verletzt werden, sind die dankbarste
Nation,wenn man ihnen einige Aufmerksamkeit und Zuvor-kommenheit
erwiesen, und wer in Schmeicheleien be-zahlt sein will, der findet
in ihnen Personen, die nichtknickern, whrend die jungen
schnippischen Dingeruns fr alle unsere Zuvorkommenheiten kaum
einesKopfnickens wrdigen.Da nun fr schne Mnner, deren Spezialitt
drinbesteht, da sie schne Mnner sind, die Schmeiche-lei ein groes
Bedrfnis ist und es ihnen dabei gleich-gltig ist, ob der Weihrauch
aus einem rosichten oderwelken Munde kommt, wenn er nur stark
undreichlich hervorquillt, so begreift man, wie mein teu-rer Vater,
ohne eben darauf spekuliert zu haben, den-noch in seinem Verkehr
mit den alten Damen eingutes Geschft machte.Es ist unbegreiflich,
wie gro oft die Dosis Weih-rauch war, mit welcher sie ihn
eindampften, und wiegut er die strkste Portion vertragen konnte.
Das warsein glckliches Temperament, durchaus nicht Einfalt.Er wute
sehr wohl, da man ihm schmeichle, aber erwute auch, da Schmeichelei
wie Zucker immer sist, und er war wie das Kind, welches zu der
Muttersagt: Schmeichle mir ein bichen, sogar ein bichenzuviel.Das
Verhltnis meines Vaters zu den besagtenFrauen hatte aber noch
auerdem einen ernsterenGrund. Er war nmlich ihr Ratgeber, und es
ist merk-wrdig, da dieser Mann, der sich selber so schlechtzu raten
wute, dennoch die Lebensklugheit selbstwar, wenn es galt, anderen
in milichen Vorfallenhei-ten einen guten Rat zu erteilen. Er
durchschaute danngleich die Position, und wenn die betrbte
Klientinihm auseinandergesetzt, wie es ihr in ihrem Gewerbeimmer
schlimmer gehe, so tat er am Ende einen Aus-spruch, den ich so oft,
wenn alles schlecht ging, ausseinem Munde hrte, nmlich: In diesem
Falle muman ein neues Fchen anstechen. Er wollte damitanraten, da
man nicht in einer verlorenen Sacheeigensinnig ferner beharren,
sondern etwas Neues be-ginnen, eine neue Richtung einschlagen msse.
Manmu dem alten Fa, woraus nur saurer Wein und nursparsam trpfelt,
lieber gleich den Boden ausschlagenund ein neues Fchen anstechen!
Aber statt dessenlegt man sich faul mit offenem Mund unter
dastrockene Spundloch und hofft auf seres und reichli-cheres
Rinnen.Als die alte Hanne meinem Vater klagte, da ihreKundschaft
abgenommen und sie nichts mehr zubrocken und, was fr sie noch
empfindlicher, nichtsmehr zu schlucken habe, gab er ihr erst einen
Taler,und dann sann er nach. Die alte Hanne war frhereine der
vornehmsten Hebammen, aber in spterenJahren ergab sie sich etwas
dem Trinken und beson-ders dem Tabakschnupfen; da in ihrer roten
Naseimmer Tauwetter war und der Tropfenfall die weienBettcher der
Wchnerinnen sehr verbrunte, so warddie Frau berall
abgeschafft.Nachdem mein Vater nun reiflich nachgedacht,sagte er
endlich: Da mu man ein neues Fchen an-stechen, und diesmal mu es
ein Branntweinfchensein; ich rate Euch, in einer etwas vornehmen,
vonMatrosen besuchten Strae am Hafen einen kleinenLikrladen zu
erffnen, ein Schnapsldchen.Die Ex-Hebamme folgte diesem Rat, sie
etabliertesich mit einer Schnapsbutike am Hafen, machte
guteGeschfte, und sie htte gewi ein Vermgen erwor-ben, wenn nicht
unglcklicherweise sie selbst ihrebeste Kunde gewesen wre. Sie
verkaufte auch Tabak,und ich sah sie oft vor ihrem Laden stehen mit
ihrerrot aufgedunsenen Schnupftabaksnase, eine lebendeReklame, die
manchen gefhlvollen Seemann anlock-te.Zu den schnen Eigenschaften
meines Vaters ge-hrte vorzglich seine groe Hflichkeit, die er,
alsein wahrhaft vornehmer Mann, ebensosehr gegenArme wie gegen
Reiche ausbte. Ich bemerkte diesesbesonders in den oberwhnten
Sitzungen, wo er, denarmen Leuten ihre Geldtte verabreichend,
ihnenimmer einige hfliche Worte sagte.Ich konnte da etwas lernen,
und in der Tat, man-cher berhmte Wohltter, der den armen
Leutenimmer die Tte an den Kopf warf, da man mit jedemTaler auch
ein Loch in den Kopf bekam, htte hier beimeinem hflichen Vater
etwas lernen knnen. Er be-fragte die meisten armen Weiber nach
ihrem Befin-den, und er war so gewohnt an die Redeformel Ichhabe
die Ehre, da er sie auch anwandte, wenn ermancher Vettel, die etwa
unzufrieden und patzig, dieTre zeigte.Gegen die alte Flader war er
am hflichsten, und erbot ihr immer einen Stuhl. Sie war auch
wirklich soschlecht auf den Beinen und konnte mit ihrerHandkrcke
kaum forthumpeln.Als sie zum letztenmal zu meinem Vater kam, umihr
Monatsgeld abzuholen, war sie so zusammenfal-lend, da ihr Enkel,
der Jupp, sie fhren mute. Die-ser warf mir einen sonderbaren Blick
zu, als er michan dem Tische neben meinem Vater sitzen sah. DieAlte
erhielt auer der kleinen Tte auch noch eineganz groe Privattte von
meinem Vater, und sieergo sich in einen Strom von Segenswnschen
undTrnen.Es ist frchterlich, wenn eine alte Gromutter sostark
weint. Ich htte selbst weinen knnen, und diealte Frau mochte es mir
wohl anmerken. Sie konntenicht genug rhmen, welch ein hbsches Kind
ich sei,und sie sagte, sie wollte die Muttergottes bitten, dafrzu
sorgen, da ich niemals im Leben Hunger leidenund bei den Leuten
betteln msse.Mein Vater ward ber diese Worte etwas verdrie-lich,
aber die Alte meinte es ehrlich; es lag in ihremBlick etwas so
Geisterhaftes, aber zugleich Frmmi-ges und Liebreiches, und sie
sagte zuletzt zu ihremEnkel: Geh, Jupp, und ksse dem lieben Kinde
dieHand. Der Jupp schnitt eine suerliche Grimasse,aber er gehorchte
dem Befehl der Gromutter; ichfhlte auf meiner Hand seine brennenden
Lippen wieden Stich einer Viper. Schwerlich konnte ich sagenwarum,
aber ich zog aus der Tasche alle meineFettmnnchen und gab sie dem
Jupp, der mit einemroh blden Gesicht sie Stck vor Stck zhlte
undendlich ganz gelassen in die Tasche seiner Bux steck-te.Zur
Belehrung des Lesers bemerke ich, da Fett-mnnchen der Name einer
fettigdicken Kupfermnzeist, die ungefhr einen Sou wert ist.Die alte
Flader ist bald darauf gestorben, aber derJupp ist gewi noch am
Leben, wenn er nicht seitdemgehenkt worden ist. - Der bse Bube
blieb unvern-dert. Schon den andern Tag nach unserm
Zusammen-treffen bei meinem Vater begegnete ich ihm auf derStrae.
Er ging mit seiner wohlbekannten langen Fi-scherrute. Er schlug
mich wieder mit diesem Stecken,warf auch wieder nach mir mit
einigen Ropfeln undschrie wieder das fatale Haarh!, und zwar so
lautund die Stimme des Dreckmichels so treu nachah-mend, da der
Esel desselben, der sich mit dem Kar-ren zufllig in einer
Nebengasse befand, den Ruf sei-nes Herrn zu vernehmen glaubte und
ein frhliches I-A erschallen lie.Wie gesagt, die Gromutter des Jupp
ist bald dar-auf gestorben, und zwar in dem Ruf einer Hexe, wassie
gewi nicht war, obgleich unsere Zippel steif undfest das Gegenteil
behauptete.Zippel war der Name einer noch nicht sehr altenPerson,
welche eigentlich Sibylle hie, meine ersteWrterin war und auch
spter im Hause blieb. Sie be-fand sich zufllig im Zimmer am Morgen
der erwhn-ten Szene, wo die alte Flader mir so viele
Lobsprcheerteilte und die Schnheit des Kindes bewunderte. Alsdie
Zippel diese Worte hrte, erwachte in ihr der alteVolkswahn, da es
den Kindern schdlich sei, wennsie solchermaen gelobt werden, da sie
dadurch er-kranken oder von einem bel befallen werden, undum das
bel abzuwenden, womit sie mich bedrohtglaubte, nahm sie ihre
Zuflucht zu dem vom Volks-glauben als probat empfohlene Mittel,
welches darinbesteht, da man das gelobte Kind dreimal anspuckenmu.
Sie kam auch gleich auf mich zugesprungen undspuckte mir hastig
dreimal auf den Kopf.Doch dieses war erst ein provisorisches
Bespeien,denn die Wissenden behaupten, wenn die
bedenklicheLobspende von einer Hexe gemacht worden, so knneder bse
Zauber nur durch eine Person gebrochenwerden, die ebenfalls eine
Hexe, und so entschlosich die Zippel, noch denselben Tag zu einer
Frau zugehen, die ihr als Hexe bekannt war und ihr auch, wieich
spter erfahren, manche Dienste durch ihre ge-heimnisvolle und
verbotene Kunst geleistet hatte. DieHexe bestrich mir mit ihrem
Daumen, den sie mitSpeichel angefeuchtet, den Scheitel des Hauptes,
wosie einige Haare abgeschnitten; auch andere Stellenbestrich sie
solchermaen, whrend sie allerleiAbrakadabra-Unsinn dabei murmelte,
und so ward ichvielleicht schon frhe zum Teufelspriester
ordiniert.Jedenfalls hat diese Frau, deren Bekanntschaft mirseitdem
verblieb, mich spterhin, als ich schon er-wachsen, in die geheime
Kunst iniziert.Ich bin zwar selbst kein Hexenmeister geworden,aber
ich wei, wie gehext wird, und besonders weiich, was keine Hexerei
ist.Jene Frau nannte man die Meisterin oder auch dieGchin, weil sie
aus Goch gebrtig war, wo auch ihrverstorbener Gatte, der das
verrufene Gewerbe einesScharfrichters trieb, sein Domizil hatte und
von nahund fern zu Amtsverrichtungen gerufen wurde. Manwute, da er
seiner Witwe mancherlei Arkana hinter-lassen, und diese verstand
es, diesen Ruf auszubeuten.Ihre besten Kunden waren Bierwirte,
denen sie dieTotenfinger verkaufte, die sie noch aus der
Verlassen-schaft ihres Mannes zu besitzen vorgab. Das sindFinger
eines gehenkten Diebes, und sie dienen dazu,das Bier im Fasse
wohlschmeckend zu machen und zuvermehren. Wenn man nmlich den
Finger eines Ge-henkten, zumal eines unschuldig Gehenkten, an
einemBindfaden befestigt im Fasse hinabhngen lt, sowird das Bier
dadurch nicht blo wohlschmeckender,sondern man kann aus besagtem
Fasse doppelt, javierfach soviel zapfen wie aus einem
gewhnlichenFasse von gleicher Gre. Aufgeklrte Bierwirtepflegen ein
rationaleres Mittel anzuwenden, um dasBier zu vermehren, aber es
verliert dadurch an Strke.Auch von jungen Leuten zrtlichen Herzens
hattedie Meisterin viel Zuspruch, und sie versah sie
mitLiebestrnken, denen sie in ihrer scharlatanischen La-tinittswut,
wo sie das Latein noch lateinischer klin-gen lassen wollte, den
Namen eines Philtrariums er-teilte; den Mann, der den Trank seiner
Schnen ein-gab, nannte sie den Philtrarius, und die Dame hiedann
die Philtrariata.Es geschah zuweilen, da das Philtrarium
seineWirkung verfehlte oder gar eine entgegengesetzte
her-vorbrachte. So hatte z.B. ein ungeliebter Bursche, derseine
sprde Schne beschwatzt hatte, mit ihm eineFlasche Wein zu trinken,
ein Philtrarium unversehensin ihr Glas gegossen, und er bemerkte
auch in demBenehmen seiner Philtrariata, sobald sie getrunkenhatte,
eine seltsame Vernderung, eine gewisse Ben-autigkeit, die er fr den
Durchbruch einer Liebes-brunst hielt! und glaubte sich dem groen
Momentenahe. Aber ach! als er die Errtende jetzt gewaltsamin seine
Arme schlo, drang ihm ein Duft in die Nase,der nicht zu den
Parfmerien Amors gehrt, er merk-te, da das Philtrarium vielmehr als
ein Laxariumagierte, und seine Leidenschaft ward dadurch gar
wi-derwrtig abgekhlt.Die Meisterin rettete den Ruf ihrer Kunst,
indemsie behauptete, den unglcklichen Philtrarius miver-standen und
geglaubt zu