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AAggressivitYt (aggressivity). Disposition zu
aggressivemVerhalten gegenMenschen oder Sachen (Vandalismus).Die
individuellen Ausprogungsunterschiede sind vonder Kindheit bis ins
frnhe Erwachsenenalter als relativstabil nachgewiesen, besonders
beim monnlichen Ge-schlecht. Aggressionen kçnnen sehr viele Formen
ha-ben, z. B. physische Gewaltanwendung (houfiger beiJungen),
Beleidigungen, Einschnchterung, Ausschlussaus der sozialen Gruppe.
Die Motivation aggressivenVerhaltens reicht von der Durchsetzung
von Interessennber die Verteidigung von Ansprnchen bis zur
Vergel-tung erlebter Ungerechtigkeiten und Verletzungen.
Ag-gressivitot entwickelt sich als Reaktion auf selbst erlit-tene
Aggression und Feindseligkeit. In den ! SettingsSchule und
Berufswelt wird heute ! Mobbing als Son-derform der Aggressivitot
diskutiert.Akkommodation. Siehe Assimilation –
Akkommoda-tion.Akkulturation (acculturation). Wandel
ursprnnglicherkultureller, durch ! Enkulturation entstandener
Ent-wicklungsmuster infolge dauerhafter Kontakte mitneuen
kulturellen Gruppen. Akkulturation kann alssekundore Enkulturation
verstanden werden.Antisoziales Verhalten. Siehe prosoziales –
antisozialesVerhalten.Assimilation – Akkommodation (assimilation –
accom-modation). Das Begriffspaar wurde von Piaget einge-fnhrt, um
die Entwicklung menschlicher Erkenntnis undInformationsverarbeitung
zu erkloren. Assimilation istdie Integration von Neuem in
bestehende mentale (undHandlungs-)Strukturen, Akkommodation die
Anpas-sung bestehendermentaler (undHandlungs-)Strukturenan
Umweltanforderungen. Durch das Wechselspiel bei-der Prozesse werden
nach Piaget die gesamte mensch-liche Erkenntnis und das mit ihr
verbundene Wissenaufgebaut. Assimilation und Akkommodation
sindzugleich die basalen Prozesse der mentalen
Kons-truktionsleistungen beim Aufbau von! Schemata und! Strukturen.
Das Begriffspaar wird auch zur Beschrei-bung von zwei Formen der !
Bewoltigung von Ver-lusten im Erwachsenenalter
verwendet.Attribution (attribution). Zuschreibung. Personen wer-den
Merkmale, Motive, Verantwortlichkeit fnr Leistun-
gen, Misserfolge, Erkrankungen, Unfolle und andere
ver-lustreiche Ereignisse zugeschrieben.Man spricht auch
beisubjektiven Erklorungen von Leistungen oder Versagenvon
Attribution. Leistungen werden z. B. auf Begabung,Anstrengung,
Zufall, soziale Unterstntzung oder andereFaktoren »attribuiert«.
Diese Attributionen haben Fol-gen, z. B. fnr die
Leistungsmotivation oder das Leistungs-selbstbild. Der
Attributionsstil bezeichnet die Tendenzvon Personen, bestimmte
Attributionen anderen vor-zuziehen. Zugeschriebene positive oder
negative Merk-male kçnnen in das Selbstbild aufgenommen
werden.Aufmerksamkeit (attention). Leistung der Selektion
ausWahrnehmungs- und Vorstellungsakten. Aufmerksam-keit
konzentriert, fixiert und fokussiert angesichts derFnlle von
unentwegt auf den Organismus auftreffendenReizen und der Menge
innerer Vorstellungen und Re-prosentationen. Aufmerksamkeit wird
durch das auf-steigende retikulore Aktivierungs-System (ARAS)
ge-steuert, das vor allem den Wachheitsgrad (Vigilanz)bestimmt.
Darnber hinaus sind aber je nach Aufgabeeine Reihe anderer
Gehirnzentren beteiligt.
BBegabung (talent). Wird als kausale Voraussetzungjedweder
Leistung in einer ! Domone, aber auch alsVoraussetzung fnr
besondere Leistungen angesehen. Imletzteren Falle spricht man auch
von Begabtheit (gifted-ness) oder Talent. Von Hochbegabung wird
allgemeindann ausgegangen, wenn in einem Intelligenztest einIQ-Wert
von 130 erreicht oder nberschritten wird.Bereichsspezifische
Entwicklung (domain-specific deve-lopment). Kennzeichnet den
Sachverhalt, dass Entwick-lungs- und Lernfortschritte nicht in
allen oder vielenBereichen, gleichzeitig oder parallel verlaufen,
sondernauf einen eng umgrenzten Bereich (! Domone) be-schronkt
bleiben. Dies gilt insbesondere fnr Hochleistun-gen und!
Expertise.BewYltigung (Coping). Aktivitoten des
Individuums,Verluste und Gefohrdungen wichtiger Anliegen oder
ei-nes positiven Selbstbildes durch Schicksalsschloge, Ver-sagen,
Konflikte, unerwartete Barrieren u. a. zu meisternund/oder die
dadurch ausgelçsten belastenden Gefnhlezu
dompfen.AssimilativeBewoltigung bedeutet problem-orientiertes
Handeln zur Sicherung oder Realisierung der
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bedrohten Anliegen, akkommodative Bewoltigung dasAufgeben
oderAbwerten nicht (mehr) erreichbarer sowiedie positivere
Neubewertung erreichbarer Anliegen undZiele (! Assimilation –
Akkommodation). Weitere Ein-teilungen unterscheiden zwischen
defensiver Bewoltigung(Verleugnen, Verdrongen) und aktiver
Bewoltigung (Co-ping) sowie zwischen problemzentriertem Coping
(Aus-einandersetzung mit anstehenden Problemen) und
emo-tionszentriertem Coping (Versuche der Verminderungbelastender
Gefnhle wie Angst, Empçrung, Bitterkeit,Schuldgefnhle, Scham,
Eifersucht, Trauer). Das! SOK-Modell thematisiert Bewoltigung als
Voraussetzung er-folgreicher Entwicklung.Big Five. Mit !
Faktorenanalysen gefundene Persçn-lichkeitsfaktoren: Neurotizismus,
Extraversion, Offen-heit fnr Neues, Vertroglichkeit und
Gewissenhaftigkeit.Die ersten drei Faktoren zeigen bei llteren
geringereWerte, die letzten beiden hçhere Werte als bei
jnngerenGruppen. Die Big Five weisen hohe
intraindividuelleStabilitot auf und finden sich in ohnlicher Weise
invielen Kulturen.Bindungstheorie (attachment theory). Beschreibt
denAufbau der Beziehung zwischen Kleinkind und Bezugs-person als
Bindungssystem, das mit dem Erkundungs-system (! Exploration)
dergestalt inWechselbeziehungsteht, dass sichere Bindung
Erkundungsverhalten anregtund das Kind bei angsteinflçßenden Reizen
ins Bin-dungssystem zurnckkehren kann. Bindung baut sicherst gegen
Ende des 1. und im Laufe des 2. Lebensjahresauf und scheint eine
Universalie zu sein. Als Bindungs-stile werden unterschieden:
sicher gebunden (Typ B),unsicher vermeidend (Typ A), unsicher
ambivalent(TypC) unddesorganisiert/desorientiert
(TypD).DieseBindungsstile bleiben auch spoter in der Entwicklung
biszu einem gewissen Grad bestimmend und wirken sichauf die
Qualitot des Sozialverhaltens aus.Bullying. Siehe unter
Mobbing.
CCoping. Siehe Bewoltigung.
DDeliberate Practice. Gezieltes, intensives, hoch
konzen-triertes qben, das zur Erzielung von Hochleistungenbençtigt
wird. Das Ausmaß korreliert mit dem erreichtenLeistungsniveau,
weshalb manche Autoren auf das Kon-zept der! Begabung in Musik,
Tanz und Sport verzich-ten zu kçnnen glauben. Dies wore aber
voreilig, da nicht
alle Menschen bei gleichem qbungsaufwand die gleicheLeistung
erreichen und die Dunkelziffer der Abbrecherunbekannt ist. Vielmehr
scheint es eine Wechselwirkungvon Begabung und Deliberate Practice
dergestalt zu ge-ben, dass der relativ rasch erzielbare Fortschritt
zu wei-terer, noch intensiverer qbung motiviert.Delinquenz
(delinquency). Straffolliges Verhalten. EineStraftat liegt vor,
wenn eine Tat oder eine Unterlassungeinem rechtlich definierten
Straftatbestand entsprechenund dem Toter die Verantwortung fnr die
Tat zuge-schrieben wird. Erklort werden Straftaten mit persona-len
und situationalen Bedingungen. Erstere resultierenauch aus der
Entwicklungsgeschichte einer Person. Fnrein Verstondnis von
Straftaten und fnr ihre Proventionsind auch ihre Motive zu
erkunden, die sehr unter-schiedlich sein kçnnen.Bei Delikten von
Jugendlichen ist houfig die Verteidi-
gung oder Gewinnung von Sozialstatus das Motiv. Ne-ben dieser
Jugenddelinquenz gibt es eine persistenteDelinquenz, die sich schon
wohrend der Kindheit inVerhaltensstçrungen, oft aggressiver Art,
anknndigtund im Erwachsenenalter erhalten bleibt.Denken (thinking).
Mentale Totigkeiten oder!Operationen, z. B. zumLçsen von
Problemen.Man-che Probleme lassen sich durch die Vorstellung
einerSequenz vonHandlungen lçsen, ohne dass dieseHand-lungen
ausgefnhrt werden mnssten. In anderen Follensind andere mentale
Operationen erforderlich. Analo-ges Denken nutzt Wissen, das bei
anderen Problemen,die in einer bestimmten Hinsicht ohnlich sind,
zumZiel fnhrt. Als allgemeine Formel des analogen Den-kens gilt: A
: B = C : D. Deduktives Denken zieht ausPromissen einen logisch
zwingenden Schluss. Prototypdes deduktivenDenkens ist der
Syllogismus. InduktivesDenken verallgemeinert einen Fall als gnltig
fnr andereunbekannte Folle (wird bei Hypothesenbildung benç-tigt).
Kausales Denken fnhrt ein beobachtetes Ereignisauf Ursachen zurnck,
eine Fohigkeit, die schon beiSouglingen zu finden ist.
Wissenschaftliches Denkenbezeichnet das in den Naturwissenschaften
nblicheVorgehen der empirischen Prnfung einer Hypothesedurch
kontrollierte Variation und Kombination vonVariablen.Devianz
(deviancy). Von der Norm abweichendes Ver-halten. ! Delinquenz ist
eine Form der Devianz. AuchSnchte, Verhaltens- und
Persçnlichkeitsstçrungen oderpsychopathologische Erkrankungen wie
Schizophreniefnhren zu deviantem Verhalten. Verhaltensmuster,
die
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in einer Kultur nblich sind, kçnnen in einer anderenKultur als
deviant gelten.Differenzierung (differentiation). Ausgliederung
vonTeilen aus einem ungegliederten Ganzen. Differenzie-rung wird
als generelles Entwicklungsgesetz angesehenund zeigt sich vor allem
in der Kindheit und Jugend alsAusfocherung von Teilleistungen, die
aber ihrerseitskoordiniert sind und hierarchisch reguliert werden(!
Integration).Im schulischen Bereich steht Leistungsdifferenzie-
rung im Vordergrund. Die Qußere Differenzierungtrennt
Leistungsgruppen nach Schularten, die innereDifferenzierung
versucht, die Lernenden innerhalb dergleichen Gruppe (z. B.
Schulklasse) entsprechend ihremLeistungsniveau zu fçrdern
(individualisierender Un-terricht).DomYnen (domains). Lern- und
Entwicklungsbereiche,in denen sich Leistungen entwickeln. Die
Entwicklungs-psychologie grenzt den Begriff der Domone auf
Bereicheein, die eine biologische Basis zu haben scheinen, wie
dieintuitive Mathematik, Physik und Biologie. Die Poda-gogische
Psychologie definiert Domonen meist durchdie Schul- bzw.
Wissenschaftsfocher (einschließlich dermusischen Bereiche) und
gelangt zu einer nach obenoffenen Anzahl von Domonen.DSM-IV. Siehe
unter Klassifikationssysteme psychischerStçrungen.
EEffektstYrke (effect size). Die Effektstorke gibt an, wiegroß
(oder bedeutsam) der Effekt z. B. einer Maßnahmeoder einer anderen
mutmaßlichen Entwicklungsbedin-gung, etwa bestimmter
Kontextmerkmale, ist. Sie wirdauch als praktische Signifikanz
bezeichnet. Damit dieEffektstorke mehrerer Untersuchungen (z. B. in
Meta-analysen), verschiedener Maßnahmen, Variablen undihren
Skalierungen verglichen werden kann, wird sie
instandardisierterQuantifizierung als Anteil an derVarianzder
interessierendenMessvariablen erfasst.Egozentrismus
(egocentrism).DieUnfohigkeit, eine vonder eigenen Perspektive
abweichende Perspektive eineranderen Person einzunehmen.Man spricht
von Egozen-trismus, wenn nicht erkannt wird, dass und was
eineandere Person von einer anderen Position im Raum auswahrnimmt,
oder wenn angenommen wird, eine anderePerson habe dieselben
Informationen und Erkenntnissewie man selbst.
Emotionen (emotions). Emotionen sind Erlebnisquali-toten, die
»einen Anlass« haben. Sie sind zum grçßtenTeil Ausdruck
spezifischer ! Kognitionen und Bewer-tungen dieses »Anlasses«. So
drnckt z. B. Angst eineerlebte Bedrohung durch den Anlass aus,
Empçrungden Vorwurf einer Normverletzung, Trauer einen Ver-lust,
Schuld ein moralisches Versagen, Scham einenEhrverlust, Stolz einen
Gewinn an Selbstwert, Neid eineerlebte Minderwertigkeit im
Vergleich zu einer anderenPerson.Enkulturation (enculturation).
Aneignung von Hand-lungskompetenzen, die fnr das Leben in der
Kultur, inder das Individuumaufwochst, erforderlich sind.
Enkul-turation kann als Prozess der qbernahme der Kulturbzw. des
Hineinwachsens in die Kultur verstanden wer-den.Entwicklung
(development). Nachhaltige und nachhal-tig wirkende psychologische
Veronderungen einer Per-son bzw. ihrer Merkmale, z. B.
Dispositionen, Wissen,Fohigkeiten. Diese Veronderungen kçnnen
universell,differenziell oder individuell sein.Entwicklungsaufgaben
(developmental tasks). Ergebensich aus entwicklungsabhongigen
Fohigkeiten und Mçg-lichkeiten, aus somatischen Reifungs- und
Abbauprozes-sen und altersnormierten gesellschaftlichen
Erwartungenund Anforderungen, die kulturspezifisch sein
kçnnen.Idealerweise liegt eine ! Passung zwischen den
Ent-wicklungsgegebenheiten und den altersnormierten
ge-sellschaftlichen Erwartungen vor, z. B. beznglich
Blasen-kontrolle, Schuleintritt, Eheschließung, Ausscheidenaus dem
Berufsleben. Von Entwicklungsaufgaben sind! kritische
Lebensereignisse zu unterscheiden.Entwicklungsgenetik
(developmental genetics). Erfor-schung des Einflusses der
Erbanlagen (! Gene) auf dieEntwicklung. Entwicklung beruht nicht
linear-kausalauf einem genetischen Programm, sondern auf
derWechselwirkung zwischenGenaktivitot, neuronaler Ak-tivitot,
Verhalten und Umwelt. Die Genaktivitot variiertim Verlauf der
Entwicklung.Entwicklungsmodelle (developmental models). Mo-delle
sind Versuche, eine komplexe Wirklichkeit dar-zustellen. Sie kçnnen
die Wirklichkeit mehr oder weni-ger richtig, mehr oder weniger
vollstondig darstellen; esbleiben immer Lncken. Modelle sind
fruchtbar, wennsie ein angemessenes Verstondnis der Wirklichkeit
er-mçglichen, wenn aus oder mit ihnen Vorhersagen
oderEinflussnahmen abgeleitet werden kçnnen.
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Es gibt unterschiedlicheModelle, mit denen spezifischeSichten
auf Veronderungen und Stabilitoten in derEntwicklung mçglich sind:
Entwicklung als quantitati-ves Wachstum, Entwicklung als
qualitative Veronde-rung (z. B. als Differenzierung und
Integration, alsStufenfolge, als Abfolge von Phasen, als
qberschich-tung).
Werden die Einflussfaktoren in die Modellbildungeinbezogen, sind
Reifungsmodelle von Modellen derInteraktion von Anlagen und
Umwelteinflnssen zu un-terscheiden. Ein spezifisches Modell ist
hierbei dasaktionale Entwicklungsmodell mit der Annahme,
dassMenschen einen aktiv gestaltenden Einfluss auf ihreeigene
Entwicklung nehmen, indem sie Ziele und An-liegen verfolgen, sich
ihre eigene Lebensumwelt aus-suchen und gestalten.
Systemische Entwicklungsmodelle (! Systemtheorie)differenzieren
die Faktoren Anlage, Umwelt, die sichentwickelnde Person sowie die
Mçglichkeiten ihres Zu-sammenspiels weiter auf. Grundsotzlich haben
alle Ele-mente des ! Systems Beznge zueinander. Es ist Aufgabeder
Modellbildung, einflussreiche Beznge zu ermittelnund das
grundsotzlich offene System in Ausschnittendarzustellen, die
individuelle und differenzielle Entwick-lungen erkloren und
Ansatzpunkte fnr fçrderliches undproventives Handeln
bieten.Entwicklungsnormen (developmental norms). Empi-risch
ermittelte Altersangaben fnr bestimmte Entwick-lungsmerkmale wie
Intelligenz, Motorik, Sprache undSozialverhalten. Diemit
Entwicklungstests gewonnenenNormen reichen nur bis etwa zum 16.
Lebensjahr, weilEntwicklungsveronderungen im weiteren
Lebensverlaufnicht mehr allgemein, sondern differenziell sind,
wes-halb Jahrgangsnormen keine brauchbare Orientierungliefern.
Entwicklungsnormen beziehen sich aber auchauf
Entwicklungsstrukturen, !
Entwicklungsaufgaben,Entwicklungsnbergonge und -krisen in einzelnen
Le-bensabschnitten wie Einschulung, Schulabschlnsse,Aufnahme und
Ende der Berufstotigkeit, Partnerschaft,Elternschaft und deren
adoquate! Bewoltigung.Werden Strukturniveaus (Stufen oder Stadien)
er-
fasst, sind diese Niveaus in den Testitems abzubilden.Die Skalen
dienen dann nicht nur der Diagnostik deserreichten
Entwicklungsniveaus, sondern auch derqberprnfung
entwicklungstheoretischer Hypothesen,etwa der These Piagets, dass
ein neues Strukturniveauin verschiedenen Domonen zur gleichen Zeit
erreichtwird und dass Regressionen auf ein frnheres Stadium
kaum vorkommen, weil mit dem hçheren Struktur-niveau
Widersprnchlichkeiten nberwunden und ver-mieden werden, die auf dem
vorhergehenden als solcheerkannt, aber noch nicht gelçst
wurden.Entwicklungsstçrungen (disorders of psychological
de-velopment). Darunter werden im ICD-10 unterF80–F89 die
Beeintrochtigungen zusammengefasst, diedrei Merkmale aufweisen: (1)
einen Beginn, der imKleinkindalter oder in der Kindheit liegt; (2)
eine Ein-schronkung oder Verzçgerung in der Entwicklung
vonFunktionen, die eng mit der biologischen Reifung
desZentralnervensystems verknnpft sind; (3) einen stetigenVerlauf,
der nicht die fnr viele psychischen Stçrungentypischen Remissionen
und Rezidive zeigt. Der Termi-nus »Entwicklungsstçrungen« wird
darnber hinaus oftfnr eine Vielfalt von Stçrungen verwendet, die in
Kind-heit und Jugend auftreten (z. B. fnr ! Lernstçrungen).Fnr das
Erwachsenenalter verwendetman
denTerminuskaum.Erblichkeitskoeffizient. Siehe
Heritabilitot.Erhebungsmethoden (assessment methods). Wie in
derPsychologie generell werden auch in der Entwicklungs-psychologie
die theoriengeleitete Verhaltensbeobach-tung, Fragebçgen,
Leistungstests und standardisiertebzw. semistrukturierte Interviews
verwendet. In derfrnhen Kindheit sind die wichtigsten
Erhebungsmetho-den die Erfassung des orientierenden Reflexes und
derdarauffolgenden Habituierung, die Proferenzreaktionbei
Darbietung zweier (visueller oder akustischer) Reiz-muster
undBewegungsmessungen (z. B. Blickbewegungbeim Abtasten eines
Reizmusters, Fnhren der Greifbe-wegung nach einem bewegten Objekt).
In den erstenLebenswochen steht als Indikator das Saugverhalten
zurVerfngung.Bei theoriengeleiteter Beobachtung bevorzugt man
standardisierte Situationen (z. B. den Fremde-Situa-tions-Test
zur Erfassung des Bindungsverhaltens oderkontrollierte Darbietungen
zur Erfassung der Objekt-permanenz), analysiert aber auch
(videografierte) freieSituationen, wie beim Spielverhalten und beim
Verhal-ten in der Peergruppe sowie generell beim Sozialver-halten
im natnrlichen Umfeld. Solche Beobachtungenwerden heute nicht mehr
ohne videografierte Doku-mentationen durchgefnhrt, die danach
theoriengeleitetauswertbar sind. VonBedeutung fnr die emotionale
undmotivationale Entwicklung ist die standardisierte Ana-lyse des
emotionalen Ausdrucks (z. B. ab wann er inAbwesenheit von sozialen
Partnern ausbleibt).
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Aufgabenstellungen zur Ermittlung des Entwicklungs-standes
erfolgen entweder innerhalb vorgegebener Si-tuationen oder in Form
von Leistungstests; bei diesenkann man unterscheiden zwischen
Intelligenz- und Fo-higkeitstests (z. B. fnr musikalische
Fohigkeiten), Ent-wicklungstests (fnr das generelle
Entwicklungsniveau)und Leistungstests (v. a. fnr schulbezogene
Leistungen).Befragungen existieren in Form von Exploration
(offene Befragung nach dem Lebenslauf), standardi-sierten und
semistrukturierten Interviews sowie Fra-gebçgen, die entweder
bereits standardisiert sind oderbei neuen Fragestellungen speziell
entwickelt werden.Dabei richten sich die Items auf die
Gesamtpersçnlich-keit, auf Teilkomponenten der Persçnlichkeit (z.
B.Selbstkonzept, Kçrperkonzept, Motivation), auf
Ent-wicklungsaufgaben und -ziele oder auf kritische
Le-bensereignisse. Zur raschen Erfassung von Entwick-lungsniveaus
bzw. -stçrungen nutzt man Screening-verfahren, die ebenfalls meist
standardisiert sind. Alsfruchtbar hat sich die Bearbeitung von
Dilemmataerwiesen (z. B. fnr die Einschotzung des Niveaus
derPerspektivennbernahme, des moralischen Urteilensund des
dialektischen Denkens).
Spezielle Verfahren, die heute eine wichtige Rolle inder
Entwicklungspsychologie spielen, sind bildgebendeVerfahren zur
Erfassung des neurologischen Status imGehirn (z. B. EEG,
Magnetresonanztomografie, Posi-tronenemissionstomografie),
Messungen des Hor-monspiegels (z. B. Cortisol im Mundspeichel,
Melato-nin, rstrogen und Testosteron), der Pulsfrequenz unddes
Hautwiderstands sowie Reaktionszeitmessungen.Erkundung. Siehe
Exploration.Erziehung (education, parenting). Einwirkung von
El-tern und Podagogen auf Kinder und Jugendliche in derAbsicht,
deren Entwicklung auf spezifische Ziele hin zusteuern. Was dabei
angestrebt wird, liegt in der Ent-scheidungsmacht der Erzieher.
Absichtsvolle Versuche,bei anderen Menschen Entwicklungen zu
bestimmtenZielen zu erreichen, gibt es selbstverstondlich auch
invielen anderen sozialen Beziehungen. Auch Versucheder Kinder und
Jugendlichen, Eltern und Podagogen zuerziehen, dnrfen nicht
nbersehen werden.Erziehungsziele sind nicht in erster Linie Wissen
und
Kompetenzen, sondern Werthaltungen, Normorientie-rungen,
Einstellungen und andere Persçnlichkeitsmerk-male. AberWissen und
Kompetenzen kçnnen erforder-lich sein, um die Entwicklungsziele zu
erreichen undderen Umsetzung in Handeln zu ermçglichen. Die mo-
ralische Erziehung mag primor das Ziel haben, dieAkzeptanz
bestimmter moralischer Normen zu errei-chen. Deren Umsetzung in
Handeln mag jedoch Kom-petenzen der Selbstkontrolle bei
Versuchungen zurqbertretung oder Kompetenzen der
Normbegrnndunggegennber Andersdenkenden erfordern, die dann
eben-falls erzieherisch vermittelt werden kçnnen. Wenn
dasErziehungsziel das eigenverantwortliche Treffen
vonEntscheidungen in Normendilemmata ist, mnssenKompetenzen der
Reflexion und des Diskurses nbersolche Dilemmata vermittelt werden.
Wenn das Erzie-hungsziel ein positives Leistungsselbstbild ist,
sindKompetenzen zum Erzielen guter Leistungen gefragt.Erziehung ist
ein Sonderfall der! Sozialisation, wo-
mit alle Einflnsse auf die Persçnlichkeitsentwicklunggemeint
sind, auch solche, die nicht absichtsvoll aus-genbt werden. In der
entwicklungspsychologischen For-schung sind neben Erziehungszielen
auch Erziehungs-stile und erzieherische Kompetenzen als
einflussreichfnr die Persçnlichkeitsentwicklung
nachgewiesen.Evaluation (evaluation). qberprnfung der
Wirksamkeitvon Maßnahmen der Entwicklungsfçrderung oder
derProvention von Entwicklungsstçrungen. Hierfnr
sindUntersuchungsplone erforderlich, mit denen sicher-gestellt
wird, dass die beobachteten Effekte auf dieMaß-nahmen und nicht auf
andere Einflnsse zurnckzufnhrensind, z. B. auf Reifung oder
gnnstige Umwelteinflnsse.Erforderlich ist zumindest eine
Interventionsgruppe(IG) und eine in Bezug auf relevante Variablen
paralle-lisierte Kontrollgruppe (KG). Es sollte auch
sicher-gestellt werden, dass die KG nicht indirekt von denMaßnahmen
profitiert, etwa durch Kontakte mit Mit-gliedern der
IG.qblicherweise gibt es mindestens drei Messzeitpunk-
te: (1) einen Protest vor Beginn derMaßnahme,mit demauch
kontrolliert wird, dass die Ausgangswerte der IGund KG gleich sind;
(2) einen Posttest bald nach Been-digung der Maßnahme und (3) eine
Follow-up-Messung einige Zeit spoter, umdie Stabilitot der
Effekte,evtl. auch ihre spontaneWeiterentwicklung, zu
kontrol-lieren, aber auch um zu prnfen, ob ein erzielter
Ent-wicklungsvorsprung der IG erhalten bleibt und die KGnicht
spontan aufholt.Neben dieser Prnfung der Gesamtwirksamkeit
(sum-
mative Evaluation) gibt es eine formative Evaluationmitdem Ziel,
die Maßnahme und ihre Durchfnhrung aufder Grundlage der empirischen
Erprobung von Vari-anten der Konzeption, der Vermittlungsverfahren
und
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des Trainings von Personen, die das Programm durch-fnhren
sollen, zu optimieren. InMetaevaluationen wer-den mçglichst viele
Evaluationen der gleichen Maß-nahme zusammengefasst. Dies erlaubt
eine Aussagedarnber, wie wirksam sie generell ist und ob ihre
Wirk-samkeit moderiert wird (! Moderatorvariable), z.
B.durchMerkmale der Adressaten (etwa der Freiwilligkeitder
Teilnahme oder der Motivation), durch Merkmaleihres Umfeldes (etwa
der Bildung der Eltern), durchunterschiedliche Formen der
Realisierung (etwa Ein-bezug der Eltern oder nicht), oder ob die
Wirkungenmehr auf die Kompetenzen der Vermittler als auf
dasinhaltliche Programm der Maßnahme zurnckzufnhrensind.Expertise
(expertise). Spezialisiertes, aber tiefes! Wissen in spezifischen
Bereichen (Domonen). FnrExpertisen mit Hochleistung scheint die
10-Jahres-Regel zu gelten: Man bençtigt ca. 10 Jahre, um in
einerDomone zum Experten zu werden. Das Konzept derExpertise
ersetzt bis zu einem gewissen Grad das Kon-zept der ! Begabung, da
die entscheidende Bedingungin einer intensiven langfristigen
Beschoftigung mit denGegenstonden des Bereichs zu suchen ist (!
DeliberatePractice). Die Entwicklung des Kindes, das als
univer-seller Novize anzusehen ist, besteht unter dieser
Per-spektive in einemAufbau von Expertisen, selbst bis zumNiveau
von Erwachsenen. Abhongig von der Intensitotder Beschoftigung mit
bestimmten Gegenstonden oderThemen kçnnen Kinder Experten und
Erwachsene No-vizen sein (z. B. bei der Beherrschung eines
Musik-instruments, bei sportlichen Hochleistungen oder
beiComputerwissen).Exploration, Erkundung (exploration). Ein in der
frn-hen Kindheit einsetzendes Verhalten, das der Erfor-schung
derUmwelt dient und fnr die kognitive Entwick-lung daher zentrale
Bedeutung besitzt. Sicher gebun-dene Kinder zeigen mehr explorative
Aktivitoten alsandere (! Bindungstheorie,!Neugierverhalten).
FFYhigkeiten (abilities). Merkmale der! Persçnlichkeit,die
relativ stabil sind und als innere Ursachen fnr Ver-halten,
Ausdruck und Leistung angesehen werden. Un-ter Leistungsaspekten
lassen sich Fohigkeiten bestimm-ten ! Domonen zuordnen und gelten
dort als dasResultat von Lernprozessen. Wohrend man frnher
Fo-higkeiten storker als angeborene Merkmale ansah, wer-den sie
heute als Produkt der Wechselwirkung von
genetischen Voraussetzungen, Umweltbedingungenund eigener
konstruktiver Aktivitot gesehen.Faktorenanalyse (factor analysis).
Ein mathematischesVerfahren zur Reduktion von Matrizen, die
lineareZusammenhonge zwischen Variablen abbilden (Korre-lationen
oder Kovarianzen). Die Faktorenanalyse ermit-telt lhnlichkeiten
zwischen Variablen und gruppiert sienach Faktoren, auf denen
bestimmte Variablen hoch,die nbrigen jedoch niedrig laden; damit
ist gemeint, dassbestimmte Variablen fnr bestimmte Faktoren
hohesGewicht haben und diese Faktoren inhaltlich definieren,die
anderen ein niedriges Gewicht und von daher eherbedeutungslos sind.
Auf diese Weise erholt man eineFaktorenstruktur. Bei der
konfirmatorischen Faktoren-analyse werden theoretisch abgeleitete
Faktorenstruktu-ren vorgegeben, bei der exploratorischen
Faktorenana-lyse nicht.Familie (family). Im engeren Sinn
biologisch-sozialeGruppe von Eltern mit ihren ledigen, leiblichen
und/oder adoptierten Kindern. Die Kernfamilie umfasst nurzwei
Generationen, die Großfamilie drei oder vier Ge-nerationen (und in
anderen Kulturen auch nohere Ver-wandte). Familien sind offene,
sich entwickelnde undsich partiell selbst regulierende! Systeme mit
Bezngenzwischen ihren Elementen und Teilsystemen und ande-ren
Systemen (andere Familien, Nachbarn, Schulen,Berufswelt, Rechts-
undWirtschaftsordnung, kulturelleWert- und Normsysteme).
Ihre Entwicklung ist imKontext materieller und sozia-ler!
Ressourcen und Restriktionen, einschließlich Auf-gaben und
Anforderungen (! Entwicklungsaufgaben),zu sehen. Familiore
Lebensformen zeigen gegenwortigeine Pluralisierung, wobei die
traditionelle Kernfamilienur eine von mehreren Mçglichkeiten
darstellt. Einerelativ houfige Form bilden Patchworkfamilien, bei
derPartner nach Ehescheidung und Auflçsung der bisheri-gen Familie
neue Partnerschaften eingehen und Kinderaus erster Ehe (oder
nachfolgenden Ehen)mit in die neueLebensgemeinschaft
bringen.Forschungsdesigns (study designs). Das einfachste
For-schungsdesign zur Erfassung von Entwicklungsver-onderungen ist
das Vorher-Nachher-Design (Mini-malforderung: Versuchs- und
Kontrollgruppe), beidem geprnft wird, ob ein Treatment (z. B.
eineentwicklungsfçrdernde Maßnahme) wirksam war(! Evaluation). Die
! Longsschnittuntersuchung be-nçtigt demgegennber eine grçßere
Anzahl von Mess-wiederholungen. Die!Querschnittuntersuchung,
die
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verschiedene Altersstufen (und damit ! Kohorten)zum gleichen
Zeitpunkt erfasst, kann nur dann zu vali-den Ergebnissen fnhren,
wenn die gefundenen Entwick-lungsunterschiede generell
(nomothetisch) und nichtdifferenziell gelten. Zu den Vor- und
Nachteilen beiderDesigns siehe unter den beiden Stichwçrtern.Das
Kohortensequenzdesign verbindet beide Verfahrenund fongt bei
mehrfacher Wiederholung systematischeFehler auf. Follow-up-Studien
verfolgen ein Entwick-lungsergebnis oder Fçrdermaßnahmen durch eine
odermehrere Erhebungen nach einem longeren Zeitraum.Eine
Sonderstellung nimmt das Single-Subject-Designein, bei dem nur eine
Versuchsperson, dafnr aber zusehr vielen Zeitpunkten untersucht
wird. Ein verall-gemeinerbarer Erkenntnisgewinn ergibt sich nur
dann,wenn die Befunde Hinweise auf allgemeine Gesetz-moßigkeiten
von Entwicklung liefern, die dann gezieltergeprnft werden kçnnen.
Retrospektive Untersuchun-gen, die Probanden in der Rnckschau nber
vergangeneEreignisse und Erfahrungen befragen, sind problema-tisch,
sofern sie auf tatsochliche Ereignisse abzielen,hingegen
interessant, wenn sie die integrativen Kons-truktionsleistungen der
Einzelnen erfassen, die ihr Le-ben in der Rnckschau zu einem
stimmigen Ganzengestalten.
In der Erforschung der kindlichen Entwicklung spieltnach wie vor
das experimentelle Forschungsdesign eineHauptrolle. Hier wird unter
Kontrolle aller erfassbarenVariablen nur eine variiert, um zu
prnfen, ob der theo-retisch zu erwartende Entwicklungseffekt
tatsochlich aufdie angenommene Wirkgrçße zurnckzufnhren ist.
DerHauptnachteil dieser Formdes Experimentes liegt in dergeringen
çkologischen! Validitot, was man durch sog.çkologische Experimente,
die in der sozialen Realitotmçglichst wirklichkeitsnah und zugleich
kontrolliertkonzipiert werden, auffangen kann.
GGedYchtnis (memory). Die Fohigkeit, Information zuspeichern und
zu nutzen.Wiedererkennen (vonGeburtan vorhanden) identifiziert
externe Reizmuster mitzuvor gespeicherten Mustern, Reproduzieren
(tritt abdem 2. Lebensjahr auf) vermag gespeicherte Informa-tion
ohne externe Hilfen abzurufen und zu produzie-ren. Beznglich der
Dauer des Behaltenen unterscheidetman zwischen Ultrakurzzeit-
(Bruchteile von Sekun-den), Kurzzeit- (Sekunden bis Minuten) und
Langzeit-gedQchtnis (zeitlich unbegrenzt); das Ultrakurzzeitge-
dochtnis wird auch houfig »sensorisches Register« ge-nannt, das
Kurzzeitgedochtnis als ArbeitsgedQchtnisbezeichnet. Beim
Langzeitgedochtnis unterscheidetman das explizite oder deklarative
(bewusst verfngbareInformation) und das implizite oder
nicht-deklarativeGedochtnis (nicht bewusst verfngbares
prozeduralesWissen, das mit der Nutzung von Strategien und
demEinsatz von Fertigkeiten zu tun hat; ! Lernen,! Priming). Das
explizite Gedochtnis gliedert sich indas episodische (Speicherung
von Erfahrenem) und dassemantische Gedochtnis (fachlich und logisch
geglie-derte Wissensinhalte). Das autobiografische Gedochtnisist
Teil des episodischen Gedochtnisses, in dem Erinne-rungen mit
starkem Selbstbezug reprosentiert sind.Weiter werden
Gedochtniskapazitot (Umfang des ver-fngbaren Speichers) und
Gedochtnisstrategien (fnr dasEinprogen und das Abrufen aus dem
Speicher) unter-schieden. DasMetagedQchtnis bezieht sich auf das
Wis-sen nber das Gedochtnis; dabei unterscheidet man
eindeklaratives (verfngbares, mitteilbares Wissen nber
Ge-dochtnisvorgonge) und ein prozedurales Metagedocht-nis
(Fohigkeit zur Kontrolle und Regulierung gedocht-nisbezogener
Aktivitoten). Das Gedochtnis ist alsokeine einheitliche Funktion,
sondern besteht aus vielen»Gedochtnissen«, deren Leistungsfohigkeit
auch in-traindividuell sehr unterschiedlich sein kann.Gene (genes).
Beim Menschen die Segmente auf den23 Chromosomenpaaren, die die
Erbinformation inForm von DNA enthalten. Jedes Gen auf den 22
homo-logen Chromosomenpaaren hat zwei parallele Allele,eines von
der Mutter, eines vom Vater (beim Mann istein Paar nicht homolog,
das X- und das Y-Chromo-som). Das menschliche Genom (die gesamte
Erbinfor-mation) schotzt man heute auf 35.000–40.000 Gene(etwa so
viel wie bei einer Graspflanze). 98,5 % derGene haben wir mit
unseren nochsten Verwandten, denSchimpansen, gemeinsam. Die
Menschen unterschei-den sich untereinander praktisch nicht
hinsichtlich derGene (99,9 % sind gemeinsam), sondern nur
hinsicht-lich der Allele. Aufgrund der großen lhnlichkeit zwi-schen
verschiedenenmenschlichen Populationen gibt esentgegen der
Alltagsmeinung keine verschiedenenmenschlichen Rassen.
HHabituation – Dishabituation (habituation – dishabi-tuation).
Man gibt Kindern in einem ersten Schritt dieMçglichkeit, ein
»Objekt« (z. B. Spieltier oder ein Bild
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davon) durch Betrachten oder Manipulieren zu erkun-den, bis ihr
Interesse daran absinkt, was als Indikator fnrHabituation gilt. Im
zweiten Schritt gibt man ihnenanschließend entweder wieder dasselbe
Objekt oder einanderes, das in verschiedener Hinsicht mehr oder
weni-ger verschieden ist, oder beide Objekte gleichzeitig
(zurAuswahl) zum Betrachten oder Manipulieren. Meistwird das neue
Objekt longer betrachtet oder houfigerausgewohlt. Das Paradigma
ermçglicht schon bei Kin-dern im vorsprachlichen Alter
festzustellen, was sie alsohnlich oder verschieden sehen. Ein
interessanter Be-fund ist, dass schon sehr frnh Kategorien gebildet
wer-den. Wenn im zweiten Schritt das neue Objekt wiederein Tier
ist, wird es weniger lange die Aufmerksamkeitbinden als ein Objekt
aus einer anderen Kategorie (z. B.ein Fahrzeug oder eine Frucht).
So losst sich ermitteln,nber welche Kategorien Kinder wann
verfngen.Handlung (action). Verhalten, das willentlich und
ziel-orientiert ausgefnhrt wird. Verhalten kann auch
durchBedingungen determiniert sein, nber die das Subjektzumindest
in der aktuellen Situation keine Kontrollehat: externe Bedingungen
wie Naturgewalten, internewie Unvermçgen oder psychopathologische
Stçrungen.Fnr ihre Handlungen sindMenschen verantwortlich
undverantwortlich zu machen, fnr determiniertes Verhaltennicht. Die
Verantwortlichkeit ist auszuschließen, wennMenschen nicht hotten
anders handeln kçnnen. Die Ver-antwortlichkeit fnr Handlungsfolgen
ist auszuschließen,wenn die Folgen nicht vorhersehbar waren. Die
Auswei-tung der Handlungsfohigkeit ist ein wichtiges Entwick-lungs-
und Erziehungsziel, ebenso die Fçrderung desBewusstseins,
entscheidungs- und handlungsfohig zusein, das sich in internalen
Kontrollnberzeugungen(! Kontrolle) und erlebter! Selbstwirksamkeit
nieder-schlogt.HeritabilitYt, Erblichkeitskoeffizient
(heritability, heri-tability coefficient). Der
Erblichkeitskoeffizient gibt denAnteil der genetisch bedingten
Varianz eines Merkmalsan der ermittelten Gesamtvarianz dieses
Merkmals inder untersuchten Population an. Er kann zwischen 0und
1.0 variieren. Ein Erblichkeitskoeffizient von .50besagt, dass 50 %
der beobachteten Varianz in dieserPopulation auf genetische
Unterschiede zurnckgehen,aber nicht, dass die Merkmalsausprogung
bei einzelnenIndividuen zu 50% genetisch bedingt sei. Der
Erblich-keitskoeffizient fnr ein Merkmal wird umso geringerwerden,
je grçßer die Unterschiede der relevanten Um-weltbedingungen in der
untersuchten Population wer-
den. Wnrde die gesamte Population in denselben
Um-weltbedingungen leben, wnrde der Erblichkeitskoeffi-zient auf
1.0 steigen, weil alle Unterschiede – vonMessfehlern abgesehen –
auf genetische Unterschiedezurnckgefnhrt werden mnssten.
IICD-10. Siehe unter Klassifikationssysteme
psychischerStçrungen.IdentitYt (identity). Psychologisch ist
persçnliche Iden-titot die einzigartige Kombination persçnlicher
Merk-male, derenman sich selbst bewusst ist undmit der mansich
selbst anderen darstellen kann. Dieses Bild von dereigenen
Identitot wird auch davon beeinflusst, wie an-dere einen
wahrnehmen. Selbsterkenntnis und Selbst-gestaltung formen die
Identitot (Wer bin ich? Was willich?).GeschlechtsidentitQt bildet
den Anteil der Identitot,
der die Selbstwahrnehmung und Selbstdefinition
derGeschlechtsrolle und deren Integration in die Gesamt-identitot
umfasst. Die kulturelle Identitot definiert dieZugehçrigkeit zu
undOrientierung an der Kultur, in derman aufwochst (!
Enkulturation), was bei Migrantenund beruflich erforderlichen
Auslandsaufenthalten zuKonflikten zwischen ursprnnglicher und neu
geforder-ter kultureller Identitot fnhrt (!Akkulturation).
SozialeIdentitot ist die Identifikation mit sozialen Gruppen
undsozialen Systemen (Familie, Freundschaften,
Cliquen,Berufsgruppen, Altersgruppen, Volksgruppen,
Religi-onsgemeinschaften, Schichten u. v. a. m.), jeweils in
Ab-hebung zu Außengruppen.Integration (integration).
Entwicklungspsychologischbezieht sich Integration auf Prozesse der
Koordinationund Hierarchisierung bei sich
ausdifferenzierendenLeistungen (Fohigkeiten und Fertigkeiten). Sie
bildetdas Gegenstnck zur ! Differenzierung. Ein Beispielbietet die
Entwicklung des gezielten Greifens im 1.Lebensjahr vom Grapschen
zur integrierten Koordina-tion der Einzelmuskel des Armes und der
Hand beimAnfassen eines Gegenstandes.Intelligenz (intelligence).
Oberbegriff fnr verschieden-artige kognitive Leistungsfohigkeiten,
die mit Testsgemessen werden. Intelligenz ist ein brauchbarer!
Prodiktor fnr viele Leistungen und Lernfortschrittein
neuenProblemsituationen und Stoffgebieten.Mit derZunahme von Wissen
und ! Expertise in spezifischen! Domonen sinkt die Korrelation
zwischen Leistungenund Intelligenz; das Vorwissen ist dann der
bessere
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Prodiktor. Die Positionsstabilitot der Intelligenz(! Stabilitot)
ist schon von der Kindheit an hoch, wennkeine signifikanten
lnderungen im Anregungs- undAnforderungsgehalt der
Entwicklungsumwelt eintreten.Unterschiedliche Intelligenzfaktoren
haben unter-
schiedliche Entwicklungsverloufe. Zweikomponenten-modelle
unterschieden zwischen fluider Intelligenz(oder »Mechanik« der
Intelligenz; z. B. induktives unddeduktives Denken) und
kristalliner Intelligenz (oder»Pragmatik« der Intelligenz; z. B.
sprachliches Wissen).Die fluide Intelligenz nimmt in der Kindheit
frnher zuund im Erwachsenenalter frnher und storker ab als
diekristalline Intelligenz.Interesse (interest). Longerfristiger
oder dauerhafter Be-zug einer Person zu einem Gegenstand oder
Gegen-standsbereich. Die kognitiveKomponente des Interessesbezieht
sich auf Wissensinhalte des Gegenstands-bereichs und deren
Aneignung. Die affektive Kom-ponente beinhaltet die Valenz
(Wertigkeit) des Gegen-standsbereiches. Die Handlungskomponente
kenn-zeichnet den Umgang mit dem Gegenstand, derentweder
eigentliches Ziel des Interesses ist (z. B. einbegehrtes
Sammelobjekt) oder Mittel zum Zweck (z. B.das Sammeln selbst, das
Sammelobjekt wird Neben-sache).Internalisierung (internalization).
Die qbernahme vonWertnberzeugungen, sozialen Normen, Kognitionenund
Verhaltensweisen in der Weise, dass sie zum Be-standteil der
eigenen psychischen Struktur oder des! Selbst werden. Bei Werten
und Normen impliziertdies die eigene Verpflichtung zur
Einhaltung.Intervention (intervention). Eingriff in die
Entwicklung,z. B. in Form einer Trainingsstudie. Interventionen
sindein wichtiges Instrument der entwicklungspsychologi-schen
Grundlagenforschung, weil sie Entwicklungspro-zesse teilweise unter
experimentelle Kontrolle bringenund deswegen eher als rein
beobachtende MethodenRnckschlnsse auf die Ursachen von
Entwicklungsver-onderungen ermçglichen (! Plastizitot). Zugleich
sindInterventionen fnr die angewandte Entwicklungsfor-schung von
zentraler Bedeutung, wenn sie darauf abzie-len, ungnnstige
Entwicklungsverloufe zu vermeidenoder zu korrigieren (!
Provention).Intuitive Theorien (intuitive theories). Schon
kleineKinder haben Theorien nber die Welt. Sie werden alsintuitiv
bezeichnet, weil sie sich ohne formale Bildungoder andere Formen
der Unterrichtung entwickeln.Vielleicht wurzeln sie in biologisch
grundgelegten Mo-
dulen. Intuitive Theorien gibt es beispielsweise fnr diePhysik,
die Biologie und die Psychologie (! Theory ofMind). Außerdem werden
alle wissenschaftlich unbe-legten oder auch widerlegten
»subjektiven« Theorienvielfach als intuitiv bezeichnet.
KKausalitYt (causality). Ursache-Wirkungs-Zusammen-hang. In der
Entwicklungspsychologie sind die Wirk-ursachen von
Entwicklungsphonomenen (Veronderun-gen und Stabilitoten) zu
erforschen. Da die Wirkursa-che ihrer Folge immer vorausgeht, ist
der Nachweiseiner zeitlichen Abfolge zwischen mutmaßlicher Ursa-che
und ihren Entwicklungsfolgen nachzuweisen. Das istin
experimentellen ! Forschungsdesigns durch die Ma-nipulation der
experimentellen Bedingung(en) und in! Longsschnittuntersuchungen
etwa nber die Effektevon Interventionsprogrammen mçglich.
TheoretischeUrsachen-Wirkungs-Hypothesen versucht man
korre-lationsanalytisch aus dem Korrelationsbild
zeitversetzterhobener Variablen zu belegen
(»Cross-lagged-Panel-Analysen«). Fnr einen großen Teil
entwicklungspsy-chologischer Ursachenhypothesen liegen
allerdingsnur Korrelationen zeitgleich erhobener Variablen
vor.Ursachen undWirkungen sind zwar korreliert, aber beiweitem
nicht jede Korrelation bildet einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang
ab.Wird dieWirkung einerVariablen durch eine andere mitbestimmt,
etwa ver-storkt oder vermindert oder in der Richtung
umgekehrt,liegt ein Moderatoreffekt vor (!Moderatorvariable).Die
Entwicklung des Kausalitotsverstondnisses setzt
so frnh ein (im 1. Lebensjahr), dass man ein
biologischvorgeformtesModul dafnr annimmt. Dabei unterschei-den
Kinder auch frnhzeitig zwischen mechanischerKausalitot (anfangs
nur, wenn sich zwei Kçrper beimAuslçsen eines Effekts bernhren) und
durch einen Ak-teur verursachtenWirkungen. Letztere Art der
Kausali-tot scheint so grundlegend fnr menschliche Deutungs-muster
zu sein, dass Naturereignisse in allen Kulturenbis hin zur Neuzeit
als durch Akteure verursacht ange-sehen
wurden.Klassifikationssysteme psychischer Stçrungen
(classifi-cation systems for psychological disorders). In der
kli-nischen Forschung und Praxis werden heute vorwie-gend DSM-IV
und ICD-10 verwendet, um psychischeStçrungen zu klassifizieren.
Beim DSM-IV handelt essich um das Diagnostische und Statistische
Manualpsychischer Stçrungen, vierte Version, das von der
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American Psychiatric Association herausgegeben wird.Die ICD-10,
Internationale Klassifikation der Krank-heiten (International
Classification of Diseases), zehnteRevision, wird von der
Weltgesundheitsorganisationherausgegeben und umfasst neben
anderenKrankheitenauch psychische Stçrungen (in Kapitel V). Das
DSM-IVist feinkçrniger als die fnr den internationalen
Einsatzvorgesehene ICD-10, weshalb es houfiger in der
psycho-logischen und psychiatrischen Forschung
eingesetztwird.Kognition (cognition). Sammelbegriff fnr alle
Prozesseund Ergebnisse des Erkennens und der
Informationsver-arbeitung, wie ! Wahrnehmung, ! Reprosentation,!
Denken, ! Gedochtnis, ! Wissen, Welt- und Selbst-erkenntnis.
Soziale Kognition hat eine spezifische Bedeu-tung: Sie umfasst
sowohl das bleibende Wissen nberpsychische Vorgonge von Menschen
und die Welt sozia-ler Geschehnisse als auch die aktuellen Prozesse
des Ver-stehens von Menschen, sozialen Beziehungen, Gruppenund
Institutionen. In der Entwicklungspsychologie hatdie !
Perspektivennbernahme, das Verstehen der Sich-ten, des Wissens, der
qberzeugungen, der Bednrfnisseanderer Menschen, besondere
Aufmerksamkeit gefun-den.Kohorte (cohort). Stichprobe aus einer
Population, dieeinem bestimmten historischen Zeitabschnitt
angehçrt.! Querschnittuntersuchungen arbeiten mit verschiede-nen
Kohorten, da die jeweils oltere Gruppe in einemanderen historischen
Kontext lebte, als sie das Alter dererfassten jnngeren Gruppe
hatte.KomorbiditYt (comorbidity). Gleichzeitiges Auftretenvon
diagnostisch voneinander abgrenzbaren Erkrankun-gen oder Stçrungen
bei einer Person. Dass bei einerPerson verschiedene Erkrankungen
oder Stçrungen auf-treten, kann Zufall sein; houfig ist
Komorbiditot jedochauf eine gemeinsame Ursache zurnckzufnhren. So
tretenim Kindes- und Jugendalter beispielsweise
Lese-/Recht-schreibstçrungen gehouft zusammen mit Rechenstçrun-gen
auf, die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitots-stçrung (ADHS) mit
anderen psychischen Stçrungen.Am anderen Ende der Lebensspanne
treten Demenz undDepression nberzufollig houfig zusammen
auf.Kompetenzen (competence). Bnndelungen von ! Fo-higkeiten und
Fertigkeiten, die fnr bestimmte Anforde-rungsbereiche der Umwelt
erforderlich sind.Man sprichtvon kognitiven, emotionalen und
sozialenKompetenzen,die sich fnr jeweils korrespondierende
Bewoltigungs- undLeistungsbereiche der Kultur entwickeln und daher
kul-
turspezifisch sind. In den meisten Follen wird wenigzwischen
Fohigkeiten und Kompetenzen getrennt. Fnrden Erwerb komplexer
fachgebundener Kompetenzenist Unterricht an Schulen eine notwendige
Vorausset-zung. Mithilfe von Schulleistungstests lassen sich
schu-lische Kompetenzniveaus erfassen, die zwischen
Schwie-rigkeitsgrad und individueller Fohigkeit
trennen.Konditionierung (conditioning). Erlernen von
Reiz-Reaktions-Mustern. Bei der klassischen Konditionie-rung wird
ein neutraler Stimulus mit einem »unbeding-ten Reiz« verknnpft, der
eine Reaktion (z. B. einenReflex) auslçst. Nach einigen
Wiederholungen kannder neutrale Reiz allein (im Falle des
PawlowschenHundes der Klang einer Glocke) die Reaktion
(denSpeichelfluss) auslçsen. Bei der operanten Konditionie-rung
wird eine Reaktion mit einem positiven odernegativen Verstorker
gekoppelt, sodass dieWahrschein-lichkeit des Auftretens der
Reaktion in gleichen oderohnlichen Situationen steigt bzw.
sinkt.Konstruktivismus (constructivism). Erkenntnistheo-retisch die
Position, dass alle Erkenntnis subjektiveKonstruktionen darstellt,
die keinen Schluss auf dieRealitot und auf ontologische
Sachverhalte zulassen. Inder Entwicklungspsychologie bezieht sich
Kons-truktivismus auf die individuelle Erkenntnis
durchKonstruktionsprozesse, die sich in einer Abfolge vonStadien
vollziehen; maßgeblich hierfnr ist Piagets Theo-rie der geistigen
Entwicklung.Kontrolle (control). Einfluss des Selbst auf seine
Um-welt. PrimQre Kontrolle zielt darauf ab, die Umwelt inRichtung
auf die eigenen Wnnsche zu beeinflussen(»changing the world«),
sekundQre Kontrolle bemnhtsich darum, das Selbst in Einklang mit
der Umwelt zubringen (»changing the self«). Beide Formen
kçnnenwirklichkeitsbezogen oder illusionor sein und kçnnensich als
funktional oder dysfunktional erweisen. Kon-trollnberzeugung
bedeutet die subjektive Einschotzung,in welchem Ausmaß das Selbst
die Ereignisse bewusstbeeinflusst oder ob es ihnen hilflos
ausgeliefert ist. DasKontrollkonzept ist fnr die
Entwicklungspsychologieein fruchtbares und fnr alle Altersstufen
genutztes Kon-zept.Kortex (cortex). Großhirnrinde; die
oberflochlicheSchicht des Gehirns, die besonders reich an
geschichte-ten Nervenzellen (Neuronen) ist und einen wesentli-chen
Anteil der grauen Substanz ausmacht. Die Fort-sotze der kortikalen
Neurone verlaufen in der weißenSubstanz unterhalb des stark
gefoltelten Kortex. Die
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verschiedenen kortikale Areale sind anatomisch undfunktionell
unterscheidbar. Beispiele besonders wichti-ger Regionen sind der
profrontale Kortex, der im Stirn-lappen des Gehirns liegt und fnr
Handlungsplanungund -steuerung maßgeblich ist, und das Sehzentrum
imHinterhauptlappen.KreativitYt (creativity). Prozesse und
Ergebnisse, die alsneu und wertvoll eingeschotzt werden und
vornber-gehend oder dauernd zum Bestandteil der Kultur wer-den. Mit
Kreativitot verbindet man also einen Bewer-tungsmaßstab und
Vergegenstondlichungseffekte in derKultur. Zur Kreativitot gehçren
neben der Leistung desIndividuums die Domone, in der die kreative
Leistungerbracht wurde (z. B. Naturwissenschaft, Kunst, Musik)und
die durch! Expertise gekennzeichnet ist, sowie dasFeld (Personen
und Institutionen, die den Zugang zurDomone nberwachen).
Kreativitot in der Kindheit wirddurch die Bemnhung um das Ausfnllen
von Wissens-lncken evoziert, wohrend Kreativitot im
Erwachsenen-alter gewçhnlich erst durch langjohrigen Erwerb
vonExpertise mçglich wird.Kritische Lebensereignisse (critical life
events). Belas-tende Ereignisse immenschlichen Lebenslauf, die
Bewol-tigungsstrategien erfordern. Man unterscheidet norma-tive
kritische Lebensereignisse, die im Lebenslauf regel-haft eintreten
und zugleich ! Entwicklungsaufgabensind, und nicht-normative
kritische Lebensereignisse,die unerwartet eintreten und daher
besonders belastendsind (z. B. Unfall, Krankheit, Tod eines
Angehçrigen).Bei der! Bewoltigung kritischer Lebensereignisse
lassensich Phasen unterscheiden, die analog zu denen dergenerellen
Stressbewoltigung gesehen werden. KritischeLebensereignisse haben
nicht nur negative Auswirkun-gen, sondern steigern im Falle
erfolgreicher BewoltigungKompetenzen und Selbstwert.Kultur
(culture). Der vom Menschen gemachte Anteildes rkosystems. Kultur
wird zum Bindeglied zwischenMensch und Umwelt, denn diese ist immer
gesellschaft-lich geformte Umwelt, gegliedert in kulturelle
Gegen-stonde, auf die sich Handeln bezieht und die in Formsozialer
Verhaltensregeln und -richtlinien sowie alsideelle Objekte (z. B.
wissenschaftliche Erkenntnisse,Kunst, Literatur und Musik) das
Zusammenleben derIndividuen bestimmen.
LLYngsschnittuntersuchung (longitudinal study). ImGe-gensatz
zu!Querschnittuntersuchungen wird dieselbe
Stichprobe zwei- oder mehrfach im Abstand von Mo-naten bis zu
Jahrzehnten, also in unterschiedlichemAlter, untersucht. Auf diese
Weise lassen sich intraindi-viduelle Entwicklungsveronderungen und
Stabilitotenerfassen. Mit Longsschnittuntersuchungen lassen
sichauch theoretisch interessante Hypothesen nber denZusammenhang
zwischen verschiedenen Variablen inunterschiedlichemAlter prnfen,
z. B. zwischen derQua-litot der Bindung an Betreuungspersonen in
frnherKindheit und der Leistungsfohigkeit im Schulalter
oderzwischenVernachlossigung imKindesalter und spoterenVerhaltens-
und Persçnlichkeitsproblemen.Vor allem zwei methodische Probleme
der Longs-
schnittuntersuchungen sind zu beachten: (1) DurchAusscheiden von
Personen aus der Stichprobe kçnnensog.! Selektionseffekte
(»selektives Drop-out«) auftre-ten. Wenn z. B. in einer
Untersuchung nber die In-telligenz im Alter die
Leistungsschwocheren frnher undvermehrt ausscheiden, geben die
ermittelten Durch-schnittswerte ein falsches Bild vom Verlauf der
In-telligenzentwicklung, weil die Leistungsstorkeren
denDurchschnittswert hoch halten, obwohl auch diese ei-nen
Leistungsabfall aufweisen. (2) Wiederholte Leis-tungsmessungen
kçnnen den Altersverlauf beschçnigtwiedergeben, weil Messungen
einen qbungseffekt ha-ben: Die Art der Aufgaben sowie Lçsungen und
Lç-sungsstrategien sind bei wiederholterMessung bekannt,weshalb die
Aufgaben schneller gelçst werden (Tes-tungseffekte).Lernen
(learning). Allgemein: Verhaltensonderungdurch Erfahrung und qbung.
Wichtige und zugleichvielfach untersuchte Formen des Lernens sind:
klassi-sche und operante ! Konditionierung, motorischesLernen
(Erwerbmotorischer Fertigkeiten durch qbung,z. B. Radfahren,
Klavierspielen, Schreibmaschineschrei-ben), Erwerb von Wçrtern und
Zahlen, Erwerb von!Wissen (v. a. schulischemWissen), Erwerb von
Stra-tegien (prozedurales Wissen), Nachahmungslernenoder
Modelllernen (qbernahme von Verhaltensweisenvon Modellen, wobei die
Reproduktion der beobachte-ten Verhaltensweise zeitverzçgert
auftreten kann).
Entwicklungspsychologisch wird Lernen erst dann in-teressant,
wenn seine Ergebnisse erhalten bleiben (nach-haltiges Lernen). In
vielen Follen, vor allem beim Wis-senserwerb, verwandelt sich das
zunochst als Ober-flochenstruktur Erworbene in eine
Tiefenstruktur(! Struktur). Der gnnstigste Zeitpunkt fnr Lernen
imEntwicklungsverlauf liegt unmittelbar nach der Reifung
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der fnr das Lernen erforderlichen Funktionen. Die frn-here
scharfe Trennung von Lernen und ! Reifung istkaum
aufrechtzuerhalten, da bei allen Lernvorgongengenetische
Voraussetzungen notwendig sind und Rei-fungsvorgonge ohne
Umweltanregung nicht in Gangkommen.Lernstçrungen (learning
disorders). Entwicklungsstç-rungen schulischer Fertigkeiten in
Teilleistungsberei-chen, die vom Altersdurchschnitt abweichen,
nichtdem allgemeinen Intelligenzniveau der Betroffenen ent-sprechen
und mit nblichen Formen schulischer Fçr-derung nicht aufgefangen
werden. Dazu gehçren nachICD-10 v. a. die
Lese-/Rechtschreibstçrung, die Re-chenstçrung und die kombinierte
Stçrung schulischerFertigkeiten.Lerntheorien (theories of
learning). Eine Lerntheorie istein Satz (Set) von deduktiv
abgeleiteten Aussagen nberLernen mit dem Ziel, Lernprozesse zu
erkloren sowieLernverloufe und -ergebnisse vorherzusagen.
Historischwurden als Erstes die behavioristischen Lerntheorien
ent-wickelt, die nur Stimulus und Reaktion (Antwortverhal-ten)
systematisch verbanden, ohne die dazwischen lie-genden Prozesse
(»Blackbox«) erfassen zu wollen. Sozial-kognitive Lerntheorien
konzentrierten sich ebenfalls aufSituation und Antwortverhalten.
Kognitive Lerntheorienbeschoftigen sich demgegennber vor allem mit
den men-talen Prozessen, die zwischen Reiz und Reaktion
vermit-teln, und versuchen sowohl die Leistung dieser Prozessebeim
Lernen zu erkloren als auch die Lernergebnisse inForm von
kognitiven Strukturen zu beschreiben.
MMobbing (mobbing, bullying). Schikanieren und andereFormen von
Aggression (! Aggressivitot). In den! Set-tings Kindergarten,
Schule und Spielplatz wird auch vonBullying gesprochen. Fnr die
Analyse und die Proventionvon Mobbing sind nicht nur Toter und
Opfer relevant,sondern auch die Haltung und das Handeln von
Zu-schauern undMitwissern.Moderatorvariable (moderating variable).
Variable, de-ren unterschiedliche Ausprogungen
unterschiedlicheEffekte auf den Zusammenhang zwischen zwei
anderenVariablen haben. So ist z. B. die Korrelation
zwischenErziehungszielen der Eltern und entsprechendem Ver-halten
der Kinder positiv, wenn der Erziehungsstil derEltern unterstntzend
ist, und negativ, wenn die Elterneinen »machtausnbenden« Stil
praktizieren. Auch derEffekt einer mutmaßlichen Bedingung auf eine
abhon-
gige Variable kann von moderierenden Variablen ab-hongen. So
werden z. B. alle Risikofaktoren fnr Delin-quenzentwicklung durch
die jeweiligen ! protektivenFaktoren in ihrer Wirkung gedompft oder
gar aufgeho-ben. Auch die Wirksamkeit einer Maßnahme kann
vonModeratorvariablen abhongen. So sind z. B. die Erfolgevieler
Fçrdermaßnahmen in der Kindheit davon abhon-gig, ob die Eltern
einbezogen werden.Moral (moral, morality). Eine spezifische
Kategorie nor-mativer qberzeugungen, die das eigene
Erleben,Wertenund Handeln leiten. Rechtsnormen,
Konventionen,Spielregeln sind andere Kategorien, kçnnen aber
auchmoralische Qualitot haben. Moral wird mit Indikatorenerfasst:
Wissen nber geltende Normen, Urteile nbermoralisch gebotenes
Verhalten, normentsprechendesund normabweichendes Verhalten sowie
moralischeGefnhle (Befriedigung nber moralisches Verhalten,Schuld
bei eigenen qbertretungen und Empçrung beiNormverletzungen
anderer). Moral wird durch ! In-ternalisierung kultureller Normen
oder selbst gewon-nene Einsichten aufgebaut. Sie bleibt heteronom,
wenndie Normen nicht persçnlich akzeptiert und Bestandteileines
moralischen ! Selbst werden. Kinder unterschei-den schon frnh
zwischen Konventionen, die man auchondern kann, und moralischen
Normen, die sie alsuniversell gnltig ansehen. Die Zuschreibung von
Ver-antwortlichkeit fnr ! Handlungen ist konstitutiv fnrdas Erleben
moralischer Gefnhle. Sie setzt die Annahmevon Entscheidungsfreiheit
voraus. Ausgiebig untersuchtwurde die Entwicklung des moralischen
Urteilens, dassich von egozentrischen zu universalistischen
Begrnn-dungen normativer Urteile wandelt.Motivation (motivation).
Prozesse und Effekte, aufgrundderen ein Individuum sein Verhalten
um der erwartetenFolgen willen auswohlt und hinsichtlich Richtung
undEnergieaufwand steuert. Motivation resultiert aus derInteraktion
von Person und Situation. Neben den Anre-gungsbedingungen der
Situation, die z. B. in der Wahr-nehmung von Gelegenheiten zur
Erreichung bestimmterZiele bestehen, spielen die damit angeregten !
Motivefnr die Ausbildung der Anreizwerte der vorweggenom-menen
Handlungsfolgen eine Rolle. Generell losst sichMotivation aus der
Verknnpfung von Erwartung malWert (Anreiz) vorhersagen. In der
Entwicklungspsycho-logie ist vor allem die Entwicklung der
Leistungsmotiva-tion ausgiebig untersucht worden.Motive (motives).
Allgemeine Inhaltsklassen von wert-geladenen – im positiven Falle
angestrebten – Folgen
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eigenen Handelns. Zu basalen Motiven zohlen das Leis-tungs-,
Macht- und (soziale) Anschlussmotiv sowie! Aggressivitot. Das
Leistungsmotiv etwa wird mit derInhaltsklasse aller Handlungsziele
umschrieben, fnr de-ren Bewertung dem Handelnden ein Maßstab der
Tnch-tigkeit verbindlich ist. In der Entwicklungspsychologiesind
soziale Motive, Aggressivitot, Leistungsmotiv undNeugier/Interesse
besonders houfig untersucht worden.Motorik (motor system). Alle
Formen der Kçrperbewe-gung.Grobmotorik (auch: Großmotorik)
bezeichnet Be-wegungen des gesamten Kçrpers, vor allem der Armeund
Beine, wie Gehen und Laufen, Skifahren, Radfah-ren, Geroteturnen
und Gymnastik. Feinmotorik beziehtsich auf Leistungen der Honde,
wie Schreiben, Stricken,Zeichnen, ein Musikinstrument spielen.
Sensomotorik(auch: Sensumotorik) kennzeichnet das Zusammen-spiel
von ! Sensorik und Motorik, wobei man eineninneren Regelkreis
(Regulation der Motorik durch kin-osthetische Rnckmeldung) und
einen oußeren Regel-kreis (Regulation der Motorik vorwiegend durch
visu-elle Wahrnehmung) unterscheidet.Myelinisierung
(myelinization). Markscheidenbildung.Ein Vorgang, der im 1.
Lebensjahr einsetzt und dieFunktionstnchtigkeit des Gehirns
entscheidend begnns-tigt. Dieser Prozess beeinflusst erneut auch in
der spotenKindheit und im Jugendalter die Gehirnentwicklung.
NNeugierverhalten (curiosity). Aktuelle Zuwendung zueinem
Gegenstand oder einer Situation mit
Anreizcha-rakter.Neugierverhalten geht ontogenetisch der
Interes-senentwicklung voraus, in frnher Kindheit ist es
ent-scheidend fnr die Exploration der Umwelt.Neurotransmitter
(neurotransmitter). Botenstoffe, diean den Verknnpfungen zwischen
Nervenzellen, denSynapsen, die Signalnbertragung vermitteln.
Dabeiwird der elektrische Impuls in einer Nervenzelle
durchAusschnttung des Neurotransmitters an der prosynap-tischen
Membran in den synaptischen Spalt in ein che-misches Signal
umgewandelt. Auf der Gegenseite wirdder Botenstoff von
hochspezifischen Rezeptoren auf-genommen, die zur Veronderung des
Potenzials derpostsynaptischen Membran fnhren. Die
wesentlichenexzitatorischen (erregenden) Neurotransmitter
sindGlutamat, Acetycholin, Noradrenalin, Dopamin undSerotonin.
Gamma-Aminobuttersoure (GABA) ist derwichtigste inhibitorische
(hemmende) Neurotransmit-ter.
Normierung (standardization, normalization). Wie an-dere
Messinstrumente werden psychologische Testver-fahren normiert.
Dafnr werden Verteilungen und Mit-telwerte in umschriebenen
Populationen ermittelt, diedann als Vergleichswerte fnr die
Beurteilung der Test-ergebnisse von einzelnen Personen oder
spezifischenStichproben herangezogen werden, z. B. durch den
Ab-stand vomMittelwert der Population oder den Prozent-rang.
Entwicklungstests im Kindes- und Jugendalterwerden an
reprosentativen Altersstichproben normiert.
OObjektpermanenz (object permanence). Die Erkenntnisdes
Souglings, dass Objekte weiter existieren, auch wennsie nicht
wahrnehmbar sind. Wohrend Objektper-manenz nach Piaget erst mit ca.
10 Monaten auftrittund dann bestimmte Etappen durchlouft, zeigt
dieneuere Forschung, dass bestimmte ihrer Teilleistungenviel frnher
auftreten.Ontogenese – Phylogenese (ontogeny –
phylogeny).Ontogenese bezeichnet die Entwicklung von Individu-en,
Phylogenese die stammesgeschichtliche Entwick-lung der Tierreihe
bis hin zum Menschen. Die Annah-me, dass die Ontogenese die
Phylogenese wiederholt,stimmt nicht; wohl aber zeigen sich in
dermenschlichenvorgeburtlichen Entwicklung Stadien der frnhen
Onto-genese in der Tierreihe (z. B. ohneln menschliche Em-bryonen
in einer gewissen Phase Fisch-Embryonen).Operation (operation).
Nach Piaget eine internalisierteHandlung, die es ermçglicht,
mentale Reprosentationenzu bearbeiten, neu zu kombinieren und zu
verondern.Beim ! Denken unterscheidet Piaget die konkret-logischen
und die formal-logischen Operationen. qberdie Operationen sind
hierarchisch die! Handlung unddie Totigkeit gelagert.
PPartnerschaft (partnership). Intime Beziehung zwi-schen
verschiedengeschlechtlichen oder gleich-geschlechtlichen Partnern.
Als Phasen der Partner-schaftsentwicklung fandman:Wahrnehmung von
lhn-lichkeiten bzw. wechselseitiger Attraktivitot, die zurSympathie
fnhrt und longerfristig zur gegenseitigen Rol-lenanpassung und
-ergonzung mit wachsendem Enga-gement. Schließlich kann es aufgrund
anhaltenden En-gagements und zunehmender Bindung zur
Kristallisie-rung der Dyade kommen, die mit Erleben
vonPaaridentitot einhergeht. Die Dauer von Partnerschaf-
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ten verknrzt sich im historischen Vergleich. Allerdingslosst
sich die Qualitot frnherer Partnerschaften kaummit heutigen
vergleichen, da Partnerschaften mit nied-riger Beziehungsqualitot
frnher longer als heute auf-rechterhalten wurden.Passung (fit).
Bedeutet zunochst das optimale Zusam-menspiel von Anlage und
Umwelt, aktuellen Persçn-lichkeitsbedingungen und Umweltangebot fnr
Erfah-rung und Lernen. Ausgeweitet umfasst Passung darnberhinaus
Ziele und Potenziale des Individuums (intrain-dividuelle Passung)
sowie die Anforderungen im fami-lioren, schulischen und
subkulturellen Umfeld. Ent-wicklungsprobleme kçnnen in diesem Sinne
durch For-men mangelnder Passung gekennzeichnet werden.
Einausgearbeitetes Modell zur Passung zwischen Entwick-lungsstand
undUmweltanregung ist das Stage-Environ-ment-Fit-Modell von Eccles,
das die unerwnnschtenEntwicklungsverloufe als Folge fehlender
Passung vonindividuellen Bednrfnissen in der Pubertot und
schu-lischen Rahmenbedingungen zu konzipieren versucht.Peergruppe
(peer group). Die Gruppe Gleichaltrigerund Gleichgesinnter (Peers).
Peergruppen sind bereitsin der Kindheit ein wichtiger Faktor, haben
aber vorallem wohrend der Adoleszenz große Bedeutung. AlsFunktionen
schreibt man ihnen zu: Orientierung, Sta-bilisierung,
emotionaleGeborgenheit, sozialer Freiraumfnr Erprobung neuer
Mçglichkeiten, Unterstntzung beider Ablçsung vom Elternhaus und
Beitrag zur Identi-totsbildung. Peergruppen entwickeln im
JugendalterLebensstile und Subkulturen. Verwandte Begriffe
sind»Clique« und! »soziales Netzwerk«.Persçnlichkeit (personality).
Die dynamische Ordnungderjenigen psychophysischen
Eigenschaftsbnndel oderSubsysteme im Individuum, die seine
einzigartige An-passung an seine Umwelt bestimmen.
Persçnlichkeitwird einerseits als Struktur von Eigenschaften
erforscht,andererseits als ! System mit Subsystemen konzipiert.Am
bekanntesten und houfigsten verwendet sind die! Big Five.
Dynamische Systemmodelle beschreibenund erkloren Persçnlichkeit in
Interaktion mit der so-zialen und physikalischen Umwelt sowie
intern alsWechselwirkung zwischen
Subsystemen.Persçnlichkeitsentwicklung (personality
development).Die differenzielle Veronderung von Personen im
intrain-dividuellen und interindividuellen Vergleich. In der
Ent-wicklung tauchen als Erstes ! Temperamentsmerkmaleauf, die hohe
intraindividuelle ! Stabilitot aufweisen.Auch die spoter in
Kindheit und Jugend sich ausdifferen-
zierenden Eigenschaften (erfasst durch Persçnlichkeits-tests)
bleiben relativ und intraindividuell verholtnis-moßig stabil.
Veronderungen ergeben sich jedoch hin-sichtlich der
Selbstbeschreibung (! Selbst) und demVerstondnis der eigenen !
Identitot. Wohrend jnngereKinder kçrperliche und geografische
Merkmale bei derSelbstbeschreibung in den Vordergrund stellen,
findensich bei olteren Kindern soziale Rollen- und Statusbegrif-fe,
aber auch psychische Eigenschaften und im Jugend-alter Aspekte des
Lebensstils, Konzeptionen einer auto-nomen und auf andere bezogenen
Identitot sowie Ent-wnrfe zu Lebensplonen.PerspektivenZbernahme
(perspective-taking). Das Ver-stehen psychischer Zustonde und
Prozesse (des Den-kens, Fnhlens, Wollens) einer anderen Person,
wobeideren Perspektive erkannt wird und
entsprechendeSchlussfolgerungen gezogen werden kçnnen. Emotio-nale
Perspektivennbernahme bezeichnet das Verstehenvon Emotionen
aufgrund der Erkenntnis der emotiona-len Lage des anderen. Diese
Fohigkeiten sind engmit der! Theory of Mind verwandt.Phylogenese.
Siehe Ontogenese – Phylogenese.PlastizitYt (plasticity).
Formbarkeit. Sie ist im Bereichder Entwicklungspsychologie
erkennbar an differenziel-len Entwicklungen, die als Folge
veronderter AktivitotenundAnforderungen erklorbar sind. Plastizitot
wurde fnrviele Leistungen in allen Lebensphasen, auch noch
imhçheren Alter, beobachtet. Dies besagt, dass auf jedemerreichten
Entwicklungsniveau sowohl Gewinne wieVerluste mçglich sind. Es
gilt, Erkenntnisse nber dieFaktoren zu gewinnen, auf die Anstiege
und Verlustezurnckzufnhren sind. Plastizitot manifestiert sich
inVeronderungen des Verhaltens und des Gehirns, derenArt und Ausmaß
von Reifung, Alterung, frnheren Lern-erfahrungen und individuellen
Voraussetzungen ab-hongen und altersvergleichend untersucht
werden.PrYdiktor (predictor). Ein in der Statistik
gebrouchlicherAusdruck fnr die zur Vorhersage einesMerkmals
heran-gezogene unabhongige Variable. In der
Entwicklungs-psychologie wird beispielsweise das chronologische
Al-ter oft als Prodiktor betrachtet, der Unterschiede
inMerkmalsausprogungen erkloren kann. Hinter dem Al-ter verbergen
sich aber oft andere Prodiktoren, sodass esauch selbst zu einer
abhongigen Variable werden kann.PrYvalenz (prevalence). Aus der
Epidemiologie nber-nommener Begriff; er bezeichnet den Anteil an
einerPopulation, der ein spezifisches Merkmal, meist eineStçrung
(z. B.Delinquenz, Schulversagen,Magersucht),
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aufweist. Die Population kann spezifiziert werden, etwanach
Alter, Geschlecht, Bildung, Familienstand
oderethnischemHintergrund; so kann z. B. beznglich Delin-quenz
ausgesagt werden, dass sie im Jugendalter beson-ders hoch,
beimonnlichen Jugendlichen hçher ist als beiweiblichen usw. Wenn
solche Aussagen valide theo-retisch erklorbar sind, sollten aus
denErklorungen spezi-fische proventive Maßnahmen ableitbar
sein.PrYvention (prevention). Maßnahmen zur Vermeidungvon
(weiteren) Fehlentwicklungen. PrimQre Proventionbeinhaltet
Maßnahmen, die Leistungsdefizite, das Auf-treten von psychischen
und Verhaltensstçrungen sowieGesundheitsgefohrdungen verhindern
sollen; sekundQreProvention Maßnahmen, mit denen aufgetretene
Stç-rungen kompensiert oder korrigiert werden sollen, umweitere
Fehlentwicklungen zu verhindern (wird gewçhn-lich als !
Intervention bezeichnet); tertiQre
ProventionRehabilitationsmaßnahmen, mit denen weitere
negativeFolgen begrenzt oder behoben werden sollen.Priming. In der
Entwicklungspsychologie das Phono-men, dassman einenReiz dann
besser erkennen oder beider Darbietung eines Reizteils besser
erschließen kann,wennman auf diesen Reiz zuvor aufmerksam
(gemacht)wurde.ProduktivitYt (productivity). Alle materiellen,
geistigen,emotionalen und motivationalen Wirkungen, die einePerson
durch ihr Handeln, Denken, Fnhlen undWollenbei sich selbst oder in
einem bestimmten gesellschaftli-chen Umfeld absichtlich oder
unabsichtlich hervorruftund die sich als nntzlich erweisen. Das
Konzept derProduktivitot wird in der Entwicklungspsychologie
vor-wiegend fnr Leistungen im Alter verwendet.Prosoziales –
antisoziales Verhalten (prosocial – antiso-cial behavior).
Prosoziales Verhalten bedeutet aufandere gerichtetes Verhalten, das
mit Begriffen wieUnterstntzung, Hilfe, Pflege, Zuwendung und
Wormeumschrieben wird. Antisoziales Verhalten ist dem-gegennber ein
andere Personen schodigendes oder ver-nachlossigendes Verhalten und
umfasst etwa Aggressi-on, Rncksichtslosigkeit, lrgern, Schodigung.
ObwohlAntipoden, sind beide Verhaltensweisen bei ein undderselben
Person vorzufinden.Protektive Faktoren (protective factors).
Schutzfak-toren, die psychische oder kçrperliche
Gefohrdungenverhindern und Belastungen oder Verluste abfedern.Das
sind einmal externale! Ressourcen wie Unterstnt-zung im sozialen
Umfeld, materielle Ressourcen undSicherheiten. Internale Ressourcen
kçnnen Kompeten-
zen, inklusive Bewoltigungskompetenzen, sein, ein po-sitives
Selbstbild (z. B. beznglich Leistungsfohigkeit,Selbstwirksamkeit,
sozialer Akzeptanz und Anerken-nung), ein positives Bild von
anderen, von der Weltund der Zukunft. Vgl. auch Resilienz.PubertYt
(puberty). Zeit der Geschlechtsreife im Ju-gendalter, die
beimweiblichen Geschlecht ca. zwei Jahrefrnher als beimmonnlichen
einsetzt.
QQuasi-experimentelle Designs (quasi-experimental de-signs).
Experimentelle Versuchsplone, die die Vorteiledes Experiments mit
einer hçheren Validitot in dersozialen Realitot verbinden (hohe
externe, aber gerin-gere interne Validitot). Quasi-experimentelle
Designswerden bei einer Vielfalt von Fragestellungen genutzt,etwa
bei der Prnfung von Schulmodellen, Therapie-
undInterventionsverfahren, Erziehungsstilen verschiedenerethnischer
Gruppen und Fçrderprogrammen fnr ent-wicklungsgestçrte
Kinder.Querschnittuntersuchung (cross-sectional study). Er-fasst
Personengruppen verschiedenen Alters zum glei-chen Messzeitpunkt.
Das methodische Problem bestehtdarin, dass in
Querschnittuntersuchungen zweiVariablen konfundiert sind: das
Lebensalter und dieZugehçrigkeit zu einer Geburtskohorte (!
Kohorte).Unterschiedliche Geburtskohorten haben meist
unter-schiedliche Entwicklungs- und Lebensbedingungen,z. B.
hinsichtlich Bildungsmçglichkeiten und -anforde-rungen, geltenden
kulturellen Werten und Rollenbil-dern sowie allgemeinen Wohlstands.
Das kann sich aufverschiedene Entwicklungsvariablen auswirken.
Dahersind ! Longsschnittuntersuchungen unerlosslich. Fnrdie
Einschotzung von Entwicklungsverloufen
sindQuerschnittuntersuchungen nur hilfreich, wenn es umden Nachweis
allgemeingnltiger universeller Entwick-lungsgesetze geht. In diesem
Falle kçnnen Querschnitt-untersuchungen den
Longsschnittuntersuchungennberlegen sein, weil dort Lern- bzw.
Interventionseffekteauftreten kçnnen.
RReifung (maturation). Gengesteuerte Entfaltung biolo-gischer
Strukturen und Funktionen. In der Entwick-lungspsychologie negativ
definiert als Entwicklungspro-zess, der anzunehmen ist, wenn der
beobachtbare Fort-schritt nicht auf Erfahrung und qbung beruht.
Greifenund Gehen beruhen weitgehend auf Reifungsvorgon-
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gen. Das Konzept der Reifung wird heute als problema-tisch
angesehen, da auch die hierunter subsumiertenVorgonge nicht ohne
Umweltanregung auskommen.ReliabilitYt (reliability). Statistische
Zuverlossigkeit ei-nes Messverfahrens. Sie wird durch mehrfache
Wieder-holung einer Messung nachgewiesen, die bei einemstabilen
Merkmal zu einem immer wieder gleichen Er-gebnis fnhren sollte.
Reliabilitot und ! Validitot einerMethode sind entscheidende
statistische Kenngrçßenfnr die Aussagekraft eines
Messverfahrens.ReligiositYt (religiosity). Religion ist ein System
vonOffenbarungen. Religiositot ist auf Religion
gerichteteEinstellung und Praxis und rekurriert auf ein
Letztgnlti-ges, wie immer es beschaffen sein mag. Religiositot
istnicht identisch mit! Spiritualitot.ReprYsentation
(representation). Sammelbegriff fnrLeistungen der Vergegenwortigung
von Erfahrungs-inhalten und Informationseinheiten zum Zweck
derInformationsverarbeitung. Jerome Bruner hat drei Ar-ten der
Reprosentation unterschieden: die symbolischeReprosentation, z. B.
durch Begriffe, andere sprachlicheVergegenwortigung eines
Gegenstandes, Sachverhaltesoder Prozesses, die ikonische
Reprosentation, die inbildlichen Vorstellungen besteht, und die
enaktiveReprosentation, die Bewegungsabloufe in der Vorstel-lung
umfasst. Mit diesen drei Formen ist jedoch dasSpektrum von
Reprosentation nicht erschçpfend be-schrieben. Letztlich geht es um
die Frage, wie oder inwelchen »Codierungen« Erfahrungen,
kommunizierteInformationen, Ergebnisse von Denken
gespeichertwerden, um in allen unterschiedlichen intentionalenund
nicht-intentionalen Verwendungen verfngbarzu sein (! Denken, !
Gedochtnis, ! Operationen,! Aufmerksamkeit). Auch die
Modellbildungen inden Wissenschaften sind Reprosentationen.
Reprosen-tationen entwickeln sich bereits im Laufe der erstenbeiden
Lebensjahre undwerden schon im2. Lebensjahreffizient eingesetzt.
Die gesamte weitere Entwicklungerfordert
Reprosentationen.ReprYsentativitYt (von Stichproben; [sample]
represen-tativity). Eine Stichprobe kann fnr die Population,
nberdie Aussagen getroffen werden sollen, mehr oder weni-ger
reprosentativ sein. Ist die Stichprobe hinsichtlichallerMerkmale
reprosentativ fnr die Population, sprichtman von globaler
Reprosentativitot. Ist die Stichprobehinsichtlich bestimmter
Merkmale reprosentativ fnr diePopulation, spricht man von
spezifischer Reprosentati-vitot.
Resilienz (resilience). Widerstandsfohigkeit gegennberStressoren
und! Risikofaktoren. In der Entwicklungs-psychologie versteht man
darunter die Fohigkeit, inter-nale und externale! Ressourcen
erfolgreich zur Bewol-tigung von Entwicklungsanliegen zu nutzen.
Resilienzbewirkt eine gnnstige bzw. erfolgreiche Entwicklungtrotz
gefohrdender Bedingungen; der Begriff wird auchnur im Zusammenhang
mit der Widerstandsfohigkeitangesichts eines Risikopotenzials
verwendet, das in an-deren Follen zu Entwicklungsstçrungen und
Krankheitfnhrt.Ressourcen (resources).Mçglichkeiten, die fnr die
Bewol-tigung von Entwicklungsproblemen und -gefohrdungengenutzt
werden kçnnen. InternaleRessourcen, auf die dasIndividuum zugreifen
kann, bilden vorausgegangeneErfahrungen, Persçnlichkeitsfaktoren,
erworbene Be-woltigungsstrategien und positive Selbsteinschotzung(!
Selbstwirksamkeit, ! Kontrolle). Externale Ressour-cen sind alle
unterstntzenden Umweltfaktoren, wie Fami-lie, Freunde, gnnstige
Arbeitsbedingungen, Erholungs-mçglichkeiten etc. Ressourcen mnssen
aber vom Indivi-duum erkannt und genutzt werden; daher ist das
Konzeptmit der subjektiven Einschotzung von Zugriffsmçglich-keiten
verbunden.Risikofaktoren (risk factors). Bedingungen, die
einepositive Entwicklung gefohrden kçnnen. Dazu
zohlenRahmenbedingungen wie Armut, Wohnen in sozialenBrennpunkten,
Zugehçrigkeit zu Randgruppen, Ver-nachlossigung, Misshandlung und
Verwahrlosung in derFamilie, Konflikte zwischen den Eltern,
ungnnstige Ei-genschaften, Wertvorstellungen und Aktivitoten von
Be-zugspersonen und -gruppen, ungnnstige Temperaments-und
Persçnlichkeitsmerkmale, Traumatisierungen undwiederholte negative
Erfahrungen, Verlusterfahrungendurch kritische Lebensereignisse wie
Tod geliebter Per-sonen, Scheidungsfolgen, Krankheiten, physische
Gebre-chen und Behinderungen etc. Die abtroglichen Wirkun-gen von
Risikofaktoren kçnnen durch ! protektiveFaktoren und ! Resilienz
vermindert oder vermiedenwerden.
SSchemata (schemas). VerallgemeinerteWissensstruktu-ren, in
denen typische Zusammenhonge reprosentiertsind. Bei Piaget bilden
Schemata die Grundlage fnr! Assimilation und Akkommodation. Im
sensomoto-rischen Stadium beinhalten Schemata das Wiederhol-bare
und Generalisierbare einer Handlung. Handlungs-
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schemata reprosentieren wesentliche und allgemeineMerkmale von
Handlung (wie Akteur, Totigkeit undObjekt der Totigkeit).Selbst –
Selbstkonzept (Selbstbild) (self – self-concept,self-image). Als
Selbst bezeichnetman die kognitiv-affek-tive Struktur des Wissens
um die eigene Person, dieregulierende Instanz fnr die Bewertung von
Situationen,das eigene Verhalten, das Verhalten anderer und
dieMotivierung eigenen Handelns. Das Wissen und Bewer-ten des
Selbst wird als Selbstkonzept (Selbstbild), oder –wenn eine
komplexere hierarchische Struktur vorliegt –als Selbsttheorie
bezeichnet.Im Selbstkonzept sind objektives Wissen nber sich
selbst und die sozialen Beznge (wie Familienzugehçrig-keit) und
subjektive qberzeugungen (z. B. nber Fohig-keiten oder
Eigenschaften) zu unterscheiden. Letzterekçnnen objektiv zutreffen
oder falsch sein. Von Inte-resse sind auch Konsistenzen und
Diskrepanzen zwi-schen demSelbstkonzept und denqberzeugungen,
wieman von wichtigen anderen Personen gesehen wird.Diese
perzipierten Fremdbilder vom Selbst sind ein-flussreich: Sie kçnnen
in das Selbstkonzept nbernom-men werden und kçnnen stabilisierend
oder auchstigmatisierend wirken. Umgekehrt gibt es Versucheder
Selbstdarstellung gegennber anderen, um derenBild von einem
positiv(er) zu gestalten.
Verschiedene Teilsysteme des Selbst sind mehr oderweniger
konsistent. Vor allem im Jugendalter stehen dasaktuelle Selbst (das
Bild, wie man gegenwortig ist), dasIdeal-Selbst (wie man sein oder
werden mçchte) und dasSollen-Selbst (die Verpflichtungen gegennber
anderenund grçßeren Gemeinschaften) in einem Spannungsver-holtnis.
Das Kçrperselbstbild besitzt vor allem auch imJugendalter große
Bedeutung und ist oft negativ einge-forbt, houfiger bei Modchen.
Bezogen auf Leistungenunterscheidet man das Fohigkeitsselbstkonzept
undSelbstkonzepte in einzelnen ! Domonen, wie z. B. Ma-thematik
oder Fremdsprachen. Spoter wird das berufli-che Selbstkonzept
bedeutsam.Selbstwirksamkeit (self-efficacy). Bewusstsein des
Men-schen, selbst Urheber vonWirkungen in der Umwelt zusein. Dieses
Konzept beschreibt also das Zutrauen, dasPersonen haben, etwas
erreichen zu kçnnen. Dies kannverschiedenste Bereiche wie
Schulleistungen oder so-ziale Beziehungen betreffen und hat
vielfoltige Kon-sequenzen fnr den Umgang mit Misserfolgen und
dieErfnllung seines eigenen Potenzials.
Selektionseffekt (selection effect). Verzerrung einerStichprobe.
Wenn bei der Zusammenstellung einerStichprobe schon Merkmale, die
von Interesse sind,sich auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit
auswir-ken, spricht man von einem Selektionseffekt. Bei!
Longsschnittuntersuchungen spielt die Selektivitoteine wesentliche
Rolle, weil man damit rechnen muss,dass die Nichtteilnahme von
Personen an spoterenMesszeitpunkten nicht zufollig ist, sondern
beispiels-weise bei sehr alten Stichproben auf
Morbiditot(Krankheit) und/oder Mortalitot (Sterblichkeit)
zu-rnckzufnhren ist. Gerade diese Eigenschaften sindaber in
gerontologischen Longsschnittstudien von In-teresse.Sensible
Perioden/Phasen (sensitive periods/phases).Entwicklungsabschnitte,
in denen spezifische Erfahrun-gen im Vergleich zu frnheren und
spoteren Periodenmaximale positive oder negative Wirkungen
zeitigen.Beim Spracherwerb sind beispielsweise die ersten
sechsLebensjahre eine solche sensible Phase, weil hier
derangeborene Spracherwerbsmechanismus das Erlernenvon Sprachen
erleichtert.SensitivitYt (sensitivity). Die Fohigkeit, prompt
undangemessen auf das Verhalten anderer zu reagieren.Eine hohe
Sensitivitot der Eltern gegennber ihren Kin-dern (insbesondere
Souglingen und Kleinkindern) wirdals entwicklungsfçrderlich
angesehen.Sensorik (sensory system). Das Gesamtsystem der!
Wahrnehmung. Die Sensorik ist das Eingangssystemfnr
Informationsverarbeitung. Man unterscheidet Nah-sinne (Geruch,
Geschmack, Tastsinn) und Fernsinne(Gesichtssinn,
Gehçr).Sensomotorik. Siehe unter Motorik.Setting (setting).
Lebensroume mit spezifischen rrt-lichkeiten fnr spezifische, oft
rollengebundene Aktivito-ten und Interaktionenmit spezifischen
Bezugspersonen.Entwicklungsrelevante Settings sind neben
Familien-wohnung, Kindergarten, Schulen und Arbeitsplatz z. B.auch
Einrichtungen der Religionsgemeinschaften
oderFreizeiteinrichtungen.Skripts (scripts). Schematisierte
»Drehbncher« fnr wie-derkehrende Handlungs- und
Interaktionsabloufe. Sol-che Skripts sind fnr Kinder z. B. die
Morgentoilette, dasZubettgehen, gemeinsame Mahlzeiten,
Spielabloufe,Feiern (Geburtstage, Weihnachten) und Ausflnge.Durch
die schematische Vorstrukturierung erleichternSkripts
Handlungsabloufe und Interaktionen. Sie sindauch hilfreich in
schwierigen Problemsituationen, etwa
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bei der Mitteilung belastender Informationen oder beider
Bereinigung von Konflikten. Wenn verschiedeneAkteure
unterschiedliche Skripts haben, kann es auchzu Irritationen
kommen.SOK-Modell (SOC model). SOK ist die Abknrzung fnrdas von
Baltes und Baltes vorgeschlageneModell erfolg-reicher Entwicklung
als Zusammenspiel von Selektion,Optimierung und Kompensation. Mit
Selektion ist dieKonzentration der begrenzten Ressourcen auf eine
Aus-wahl von Funktionsbereichen gemeint. Optimierungzielt auf
Entwicklungsgewinne und umfasst den Erwerb,die Verfeinerung und die
Anwendung von Ressourcenzum Erreichen von Entwicklungszielen.
Kompensationdient der Aufrechterhaltung des Funktionsniveaus
beiVerlusten und nutzt Ressourcen, um den
Verlustenentgegenzuwirken. Das SOK-Modell wurde ursprnng-lich
entwickelt, um produktive Lebensgestaltungen inhçherem Alter zu
beschreiben, es ist aber auf die Ent-wicklung wohrend des gesamten
Lebens anwendbar.Soziales Netzwerk (social network). Beschreibung
einersozialen Struktur von verschiedenartigen Beziehungeneines
Menschen. Kenngrçßen sind u. a. die Grçße undAlterszusammensetzung
des sozialen Netzwerks, Merk-malsausprogungen seiner Mitglieder,
Beschreibungender Art und Qualitot der sozialen Beziehungen
sowieder Netzwerkveronderungen nber die Zeit.Sozialisation
(socialization). Der aus der Soziologiestammende Begriff der
Sozialisation bezeichnet die Pro-zesse, aufgrund deren Menschen
Mitglieder der Gesell-schaft werden, in die sie hineingeboren sind.
Verschie-dene Instanzen wie Familie, Schule, Beruf und
Medienvermitteln kulturelle Bedeutungen, Sinnzusammen-honge und
Werthaltungen. Es spielen sich vielfoltigeLernprozesse ab, wobei
auch die Spannung
zwischengesellschaftlichenVorgabenundderHerausbildung
einerpersçnlichen Identitot von grundlegendem Einfluss ist.Spiel
(play). Zweckfreie, meist auf Objekte bezogene,ritualisierte oder
ritualisierendeHandlungen, die in eineimaginierte fiktive Realitot
eingebettet und houfigenWiederholungen unterzogen sind. Formen des
Spielssind in der Entwicklungsreihenfolge: sensomotorischesSpiel,
Als-ob-Spiel, Rollenspiel und Regelspiel. Das ausder ! Exploration
erwachsende Konstruktionsspiel(Bauen, Kneten, Malen, Singen,
Tanzen) setzt frnh einund stellt eine eigene Entwicklungslinie dar.
Der Sinndes Spiels wird in der Einnbung von spoter
nçtigenFunktionen gesehen, generell aber hat Spiel die Funk-tion
der Lebensbewoltigung in Form von imaginativer
Bednrfnisbefriedigung sonst unerreichbarer Ziele (z. B.groß und
stark sein), der Reaktion gegen den starkenSozialisationsdruck, der
reinigenden Wirkung (Kathar-sis) und der Bearbeitung traumatischer
Ereignisse (z. B.Krankheit) sowie der Vorbereitung auf !
Entwick-lungsaufgaben (z. B. Schule spielen). Im Erwachsenen-alter
scheint Spiel neben der Regression in frnhere Ent-wicklungsstadien
der Kompensation sowohl von gesell-schaftlichen Konflikten
(Wettspiele als ritualisierteKriege) als auch von privaten
Problemen (z. B. Miss-erfolg im Beruf oder in der Partnerschaft) zu
dienen.Eine besondere Stellung nehmenGlncksspiele ein, die
inSuchtform eine pathologische Entwicklung nehmen.SpiritualitYt
(spirituality). Verinnerlichung (sich nachinnen wenden) und
Transzendieren (nber sich und dieWelt »hinausblicken«). Empirisch
operationalisiert z. B.als »awareness of sensing«, »mystery
sensing«, »valuesensing«, »community sensing«.Sprache (language).
Die nur beim Menschen anzutref-fende Fohigkeit, mittels
vereinbarter Zeichen Bedeu-tungen auszudrncken, Sachverhalte
darzustellen undmit anderen nber Bedeutungen zu kommunizieren.Neben
dieser Darstellungs- und Mitteilungsfunktionhat die Sprache auch
noch eine handlungsregulierendeFunktion (!Wille). Komponenten der
Sprache sindPhonologie (Organisation von Sprachlauten),
Mor-phologie (Wortbildung), Syntax (Satzbildung), Se-mantik (Wort-
und Satzbedeutung) und Pragmatik(Sprechakte) sowie suprasegmentale
Komponenten(z. B. Intonationskontur). Alle Komponenten
weisentypische Entwicklungsverloufe auf, die imDurchschnittauch
bestimmten Altersabschnitten zuzuweisen sind.
Der Spracherwerb gelingt nur in Interaktion mitkompetenten
Sprachpartnern, wobei der mntterlicheSprechstil sich von der
»Ammensprache« zur stntzen-den Sprache (»Scaffolding«) und
schließlich zur lehren-den Sprache (»Motherese«) wandelt. Fnr den
Sprach-erwerb gibt es eine ! sensible Periode (Zeitfenster),wobei
eine vollstondige Sprachdeprivation wohrendder Kindheit etwa ab der
Pubertot nach heutiger Kennt-nis nicht mehr aufgefangen werden
kann. Fnr dieErklorung des Spracherwerbs gibt es zwei
Theo-rienfamilien: »Outside-in«-Theorien (Annahme ge-nereller
Lernmechanismen, keine angeborenen spezi-fischen Voraussetzungen)
und »Inside-out«-Theorien(Sprachlernen unterscheidet sich von
anderen Lern-prozessen, das Kind ist mit angeborenen
sprachspezi-fischen Fohigkeiten ausgestattet). Im letzteren Fall
losst
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sich zwischen Kompetenz (Potenzial zumErwerb somt-licher
menschlicher Sprachen: prinzipielles Sprachver-mçgen) und
Performanz (Fohigkeit, eine bestimmteSprache zu sprechen: aktuelles
Sprachvermçgen) un-terscheiden.StabilitYt (stability). Neben
Veronderung im Lebenslaufist Nichtveronderung bzw. Stabilitot von
Interesse.Mehrere Konzepte der Stabilitot sind zu
unterscheiden.Absolute Stabilitot auf einer Dimension besteht,
wennkeine Veronderung beobachtbar ist. Relative oder
Posi-tionsstabilitot besagt, dass bestimmte Positionen
desIndividuums in einer Bezugsgruppe erhalten bleiben.Mit
struktureller Stabilitot (bisweilen auch als Profilsta-bilitot
bezeichnet) ist gemeint, dass sich das Muster derFaktoren oder
Dimensionen mit dem Alter nicht ver-ondert. Wohrend der Kindheit
wurde eine Differenzie-rung der! Intelligenz in mehrere Faktoren
festgestellt.Die Persçnlichkeitsentwicklung hat nber longere
Stre-cken des Lebenslaufes eine relativ hohe Stabilitot
derFaktorenstruktur der! Big Five.Standardabweichung (standard
deviation, SD). Statis-tischesMaß fnr die Streuung desWertes einer
Variablenum ihrenMittelwert.Stress (stress). Belastung, die aktuell
oder langfristig dieEntwicklung beeinflussen kann. Eustress oder
positiverStress ist eine positiv erlebte Belastung, z. B. eine
sport-liche Herausforderung, die man meistert, oder ein Fest,das
man ausrichtet. Disstress oder negativer Stress isteine negativ
erlebte Belastung, z. B. durch Streit, schwie-rige Entscheidungen
von großer Tragweite, Arbeits-nberlastung, eine bedrohliche
Erkrankung, Verlusteoder drohende Verluste durch! kritische
Lebensereig-nisse. Der Einfluss auf die Entwicklung kann
variieren.Werden die Belastungen nicht bewoltigt und gemeistert,hat
das negative Wirkungen (z. B. auf das Selbstbild,das Bild von der
Welt, den Blick in die Zukunft),wohrend bewoltigte und gemeisterte
Belastungen posi-tiveWirkungen haben, z. B. einen objektivenGewinn
an! Kompetenz, Storkung des Vertrauens in die eigenen! Fohigkeiten.
Die Stressfaktoren werden kurz als Stres-soren bezeichnet.Struktur
(structure). Die Menge und die Art der Bezie-hungen zwischen
Elementen. In der Psychologie wird derBegriff Struktur verwendet
fnr die Ordnung von Wis-sensinhalten (Wissensstrukturen) bzw. von
Gedochtnis-inhalten (Gedochtnisstrukturen; ! Gedochtnis),
dieHierarchie kognitiver Prozesse (Denkstrukturen, pro-zedurale
Wissensstrukturen), die Ordnung der Kom-
ponenten der ! Persçnlichkeit (Persçnlichkeitsstruk-tur),
Etappen der Gesamtentwicklung (Strukturniveaus,v. a. Piagets
Einteilung der kognitiven Entwicklung) oderderen Teilkomponenten
(z. B. moralische Urteilsstruk-turen, Strukturniveaus der sozialen
Kognition oder desMenschenbildes), die Ordnung sozialer Gruppen (z.
B.Familienstruktur, Klassenstruktur) und soziale Inter-aktionen
(Interaktions-, Kommunikationsstruktur). Inder Sprachforschung und
teilweise auch beim Wissens-erwerb unterscheidet man Oberflochen-
und Tiefen-strukturen (! Sprache,! Lernen). Strukturtheorien
bil-den eine Klasse von Aussagen nber die Entstehung undNutzung von
Strukturen. Am bekanntesten in der Ent-wicklungspsychologie sind
die genetische Strukturtheo-rie von Piaget und die Stufen
desmoralischenUrteils vonKohlberg
geworden.Strukturgleichungsmodelle (structural equation mo-dels).
Wichtiges und vielfoltig einsetzbares statistischesVerfahren zur
qberprnfung von Hypot