Hans-Michael Trautwein Hans-Michael Trautwein Globale Ungleichgewichte im Außenhandel und Kapitalverkehr
Hans-Michael Trautwein
Hans-Michael Trautwein
Globale Ungleichgewichte im Außenhandel und Kapitalverkehr
Leistungsbilanzsalden als Mitverursacher der Finanzkrise ?
Spargeldschwemme in die USA (Bernanke 2006: savings glut)
vom Ausland kreditfinanzierter Konsum (Rajan 2010: Ersatz für Sozialpolitik)
Deutsche Mehrheitspositionen
Exportüberschüsse in D: industrielle Wettbewerbsfähigkeit, finanzielle Solidität
Krisenursache in GIIPS: übermäßiger Konsum, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit
Krisenbekämpfung: Haftung, Subsidiarität und Austerität
Internationale Sicht
Deutsche Exportüberschussorientierung trägt zu Instabilität in €uroland bei:
Booms vor allem dann, wenn Krise bei anderen (€ als Schutzgürtel)
Deutschland könnte mit expansiver Fiskalpolitik eigene Finanzen auf Dauer
besser konsolidieren ( = externe und/oder interne Transfers reduzieren)
Kontroverse Positionen
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1 Makroökonomische Grundlagen
2 Ungleichgewichte - kritisch ?
3 Modell Deutschland - nachhaltig ?
4 Modell D-1: Wirtschaftswunder im Bretton Woods-System
5 Modell D-2: Deutschland AG im Europäischen Währungssystem
6 Modell D-3: Global Player in der Eurozone
7 Wirtschaftspolitische Optionen
Programm
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Saldenmechanik der Zahlungsbilanz
LB – KB = 0 VÜ, RP = 0
Leistungsbilanzüberschüsse
= Nettokapitalexporte
Leistungsbilanzdefizite
= Nettokapitalimporte
Zwillingslücken
(S + T) – (I + G) = Ex - Im
Sparlücke = Handelslücke
Ex – Im = LB – EV - TR
Y = C + I + G + (Ex – Im)
Y = C + S + T
Nettogläubiger = Nettoexporteur
Nettoschuldner = Nettoimporteur
1 Makroökonomische Grundlagen
Salden
EV Primäreinkommen
KB Kapitalbilanz
LB Leistungsbilanz
RP Statistischer Restposten
TR Sekundäreinkommen (lfd. Transfers)
VÜ Vermögensübertragungen
VGR-Aggregate
C Konsum der privaten Haushalte
Ex Exporte
G Staatsausgaben
I Investitionen
Im Importe
S Sparen des privaten Sektors
T Steuereinnahmen
Y Bruttoinlandsprodukt (BIP)
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1 Komplementäre Positionen
Leistungsbilanzsalden (LB) in % des globalen BIP
Quelle: IMF, Aslam et al. 2014 (http://www.voxeu.org/article/narrowing-global-imbalances)
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Problem ?
LB ≠ 0 entstehen naturgemäß durch internationalen Handel & Kapitalverkehr:
Globalisierung = Erweiterung von Spielräumen für Kredit und Absatz
sind „chronische“ LB-Überschüsse/-Defizite ein Problem?
für wen? ab wann? in welcher Höhe?
Konsens:
bei flexiblen Wechselkursen, gleichen Präferenzen und Technologien:
automatische Reduktion von LB ≠ 0 durch Auf- bzw. Abwertungsdruck
bei fixen Wechselkursen: LB-Defizite begrenzt durch Zugang zu
Währungsreserven und Auslandskrediten (Asymmetrie)
ansonsten divergierende Interpretationen:
optimal, weil präferenzgerecht (imbalances, but Walrasian General Equilibrium)
stabil, aber suboptimal (imperfections, but stable deviations from WGE)
systemdestabilisierend (dynamically unstable and destabilizing)
2 Ungleichgewichte - kritisch?
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Variante I – freier Handel, flexible Wechselkurse
intertemporale Konsumoptimierung (z.B. nach Obstfeld & Rogoff 1996):
„junge“ kapitalarme Schwellenländer: Entwicklung durch LB-Defizite
entwickelte Ökonomien: Vorsorge durch durch LB-Überschüsse
alternde Gesellschaften: Versorgung durch LB-Defizite
internationale Investitionsoptimierung (neoklassische Wachstumstheorie):
aufholende Ökonomien haben höhere Wachstumsraten, stärker steigende
Importausgaben und höhere Ertragsraten LB-Defizite | Kapitalimporte
Variante II – kontrollierter Handel, fixe Wechselkurse
Entwicklungsmotor Export (Neomerkantilismus): Beschäftigung und
Liquiditätszugang durch LB-Überschüsse auf der Basis von Unterbewertung
Entwicklungsmotor Import (ISI-Protektionismus): Technologietransfer und
eigenständigere Industrialisierung durch LB-Defizite, reduziert durch Überbewertung
2 Optimale (Un)Gleichgewichte
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Variante III – freier / kontrollierter Handel, fixe / flexible Wechselkurse
effiziente internationale Arbeitsteilung (MIT-View, U.S. Treasury):
komparative Vorteile der Produktion von Vermögenstiteln in den USA ,
von Industriegütern und Rohstoffen im Rest der Welt
Spezialisierung beruht auf Liquiditätsprämie des US-Dollars /
Unvollkommenheiten der Kapitalmärkte im Rest der Welt
solange der US-Dollar Weltwährung ist, können hohe LB-Defizite der USA
und korrespondierende LB-Überschüsse in anderen Ländern optimal sein
2 Optimale (Un)Gleichgewichte
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Variante I – internationale Arbeitsteilung, nicht für alle effizient
Bretton Woods II (Dooley, Folkerts-Landau & Garber 2003, 2009):
Komplementarität des weltwährungsbasierten Konsums der USA (LB-Defizite)
mit exportbasierten Entwicklungsstrategien in Asien (LB-Überschüsse)
Unterbewertung von Währungen in Asien geht auf Kosten der Entwicklung in
Europa und anderen Kontinenten
2 Stabile Ungleichgewichte
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Variante II – transnationale Arbeitsteilung, gemischte Nettoeffekte
Offshoring (z.B. neuere IMF- und ETSG-Studien):
Aufspaltung der Produktion in grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten
Konzentration höherer Wertschöpfung am Anfang und Ende der Ketten
in Ursprungsländern LB
weniger werthaltige Exporte, zufließende Direktinvestitionen in
Zulieferländern LB
Produktivitätssteigerung in Zulieferländern, Exporte in Drittländer LB
tendenzielle Stabilisierung der Ungleichgewichte
… aber auch tendenzieller Verlust an Aussagekraft von nationalen
Zahlungsbilanzen
2 Stabile Ungleichgewichte
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Variante I – internationale Arbeitsteilung, dynamisch instabil
Chimerica (Ferguson & Schularick 2006, 2009):
Symbiose USA – China trug zur globalen Finanzkrise 2007-09 bei:
„Bergauffließen von Kapitalströmen“:
LB-Salden = massive Kapitalexporte vom ärmeren in das reichere Land
kreditfinanzierter Konsum in den USA nicht nachhaltig
2 Destabilisierende Salden
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Variante II – moralische Risiken und verfehlte Austeriätsmoral
Moralische Risiken (Ordoliberale, Nationalökonomen wie Sinn):
Globale Finanzkrise und Euro-Schuldenkrise primär bedingt durch
mangelnde Haftungsregulierung für Risiken im Finanzsektor
übermäßigen Konsum in Defizitländern
Austeritätsmoral (Krugman, Keynes in Bretton Woods, Lagarde, U.S. Treasury):
Nettoexportorientierung eines Kernlandes in einem System fixer Wechselkurse
oder einer Währungsunion destabilisiert das System:
Kostendruck und Sparneigung im Kernland reduziert Gesamtnachfrage
und erschwert realwirtschaftliche Konvergenz
einseitige Verteilung der Anpassungslasten auf Defizitländer
Gefahr der Entwertung von Auslandskapital für Überschussländer
2 Destabilisierende Salden
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3 Modell Deutschland – nachhaltig?
Nettoexportorientierung: optimal, stabil oder destabilisierend?
Hypothese: Deutsche Exportüberschüsse seit 1950er Jahren phasenweise
optimal (Var. IIa, III), phasenweise stabil (erst Var. I, dann II), tragen aber
immer wieder zur Destabilisierung der Währungsregime bei (Var. II)
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3 Modell Deutschland – nachhaltig?
Modellstufen: Erfolge, Destabilisierung, Transformationen
Modell D-1 Wirtschaftswunder, 1951 - 72Goldene Zeit und Niedergang des Bretton Woods Systems
Modell D-2 Bundesbank, 1975 - 95 Erfolg und Niedergang des Europäischen Währungssystems
Modell D-3 € zone, 1999 - ?
Erfolg und Probleme der Europäischen Währungsunion
… problematische Rückkehr zu Elementen von D-1
Nettoexportorientierung: optimal, stabil oder destabilisierend?
ausführlichere „Modelldiskussion“ und Geschichte in:
Trautwein, H.-M. & Körner, F. M.: German economic models,
transnationalization and European imbalances, ZenTra Working Paper 28/2014
URL: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2378178
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Modell D-1, Funktionsbedingungen
(4) 𝑖𝐷 > 𝑖𝑅𝑜𝑊 restriktive Geldpolitik
(5) 𝐺𝐷 ≤ 𝑇𝐷 fiskalpolitische Solidität
(6) 𝑒𝐷𝑀/𝑈$ = 0 fixe Wechselkurse
(7) 𝑝𝐷 < 𝑝𝑅𝑜𝑊 gering(er)e Inflation ( 3-5)
(8) ( 𝑤 𝑎)𝐷 < ( 𝑤 𝑎)𝑅𝑜𝑊 Lohnstückkostenvorteil ( 1, 3, 7)
Wac
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niedrige Nominallöhne
keine Produktivitätslücke
„Produktivitätsillusion“
Zwillingslücke
Akkumulation von Dollarreserven
exportbasiertes Wachstum
4 Modell D-1, NiedergangWirtschaftswunder, 1951-72
dynamische Instabilität des Bretton Woods-Systems
• Gold-Dollarstandard erforderte LB-Defizite der USA:
andere Länder benötigten Dollarreserven zur Wechselkursstabilisierung
• eingebaute Inflationsneigung:
keine Anreize für USA zur Reduzierung der LB-Defizite (Vietnamkrieg…)
• Bundesbank im Kampf gegen importierte Inflation:
sterilisierende Hochzinspolitik Aufwertungsspekulationen
• Devisenschwemme und „Gratisexporte“ trugen zum Zusammenbruch
des Bretton Woods-Systems global fixer Wechselkurse bei
Neomerkantilistische Position D-1 gegenüber Rest-Europa
Konkurrenz um Dollars (Liquidität)
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5 Modell D-2, Funktionsbedingungen
(4) 𝑖𝐷 < 𝑖𝑅𝑜𝑊 restriktive Geldpolitik, mit „Zinsprämie“
(5) 𝐺𝐷 > 𝑇𝐷 expansive Fiskalpolitik, Infrastruktur
(6) 𝑒𝐷𝑀/𝐸𝐶𝑈 = 0 fixe Wechselkurse, mit Realignments
(7) 𝑝𝐷 < 𝑝𝑅𝑜𝐸𝑀𝑆 gering(er)e Inflation ( 2, 4)
(8) ( 𝑤 𝑎)𝐷 < ( 𝑤 𝑎)𝑅𝑜𝐸𝑀𝑆 Lohnstückkostenvorteil ( 2, 4-5, 7)
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relativ hohe Nominallöhne
Produktivitätsvorsprung
produktivitätsorientierte Lohnpolitik
Drillingslücke mit partieller Absorption
Kapitalexporte, v.a. Portfolioinvestitionen
exportbasiertes Wachstum
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5 Modell D-2, NiedergangBundesbank, 1975-95
Dynamische Instabilität des Europäischen Währungssystems
• de facto DM-Standard durch Nettoexporte Nettogläubigerposition
Deutschlands gegenüber anderen EWS-Staaten
• Systemstabilität hätte in 1980er Jahren Bereitschaft Deutschlands zu
LB-Defiziten bedeutet
• EWS-Dilemma: Nettogläubiger kann nicht zur Verwandlung in
Nettoschuldner gezwungen werden
• Asymmetrie der Anpassungslasten: Disinflation durch zinspolitische
Führerschaft destabilisiert andere EWS-Länder, insbesondere nach
Wiedervereinigungsschock, der die Konjunkturen aus dem Takt brachte
• tiefverankerte Aufwertungserwartungen verhinderten Stabilsierung des
EWS trotz ‚Franc fort vers Francfort‘ und deutscher LB-Defizite
Neomerkantilistische Position D-2 gegenüber Rest-EUropa
Gemeinsamer Binnenmarkt (Absatz)
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6 Modell D-3, Funktionsbedingungen€ zone, 1999 - ?
(4) 𝑖𝐷 = 𝑖𝑅𝑜𝐸𝑀𝑈 supranationale Geldpolitik
(5) 𝐺𝐷 ≤ 𝑇𝐷 Haushaltskonsolidierung, Schuldenbremse
(6) 𝑒𝐷𝑀/€ = 0 irreversibel fixer e in EWWU, sonst flexibel
(7) 𝑝𝐷 < 𝑝𝑅𝑜𝐸𝑀𝑈 gering(er)e Inflation ( 1-3, 4)
(8) ( 𝑤 𝑎)𝐷 < ( 𝑤 𝑎)𝑅𝑜𝐸𝑀𝑈 Lohnstückkostenvorteil ( 1-3, 7)
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&
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tsm
ark
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niedrige(re) Nominallohnerhöhungen
Produktivitätsvorsprung
beschäftigungsorientierte Lohnpolitik
Zwillingslücke
Kapitalexporte, v.a. Direktinvestitionen
exportbasiertes Wachstum
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6 Modell D-3, Niedergang?€ zone, 1999 - ?
Dynamische Instabilität der Europäischen Währungsunion
• Lohnzurückhaltung und hohe Realzinsen lassen Binnennachfrage im
Kern der € zone stagnieren, aber LB-Überschüsse steigen
• niedrige Realzinsen und kreditfinanzierter Konsum führen zu einer
Explosion der Binnennachfrage an den Rändern der € zone, und zu
hohen LB-Defiziten in GIPS (mit I für Irland)
• Konjunkturen aus dem Takt: Deutschland boomt, als die Peripherie
in die Krise kommt – zum Teil infolge von Kapitalflucht
Neomerkantilistische Position D-3 gegenüber Rest-€Uropa
Schutzgürtel gegen Aufwertung (globale Wettbewerbsfähigkeit)
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Funktionsbedingungen der Modelle D1- D3tr
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D-1 Wirtschaftswunder D-2 Deutschland AG D-3 Global Player
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7 Wirtschaftspolitische Optionen
Modell D-3: Rückkehr zu D-1 ?
Deutschland benimmt sich wie eine kleine offene Volkswirtschaft im
globalen Wettbewerb:
setzt € durch Kostendruck als Vehikel für Unterbewertung ein
nutzt €-Peripherie als Schutzgürtel gegen Aufwertung
behandelt € als Fremdwährung: Schuldenbremse setzt schon im
Vorgriff kontraproduktive Beschränkungen für Wachstum
7 Wirtschaftspolitische Optionen
Kreditvergabe der letzten Hand
… durch EZB insoweit gelungen als vorläufige Beruhigung auf den €uro-
Finanzmärkten eingetreten ist (Draghis Bazooka, etc.)
… durch die EZB insoweit nicht gelungen als Kredite Unternehmen in
Krisenländern noch nicht erreichen (Deleveraging, Liquiditätshortung)
Kreditnahme der letzten Hand
anlagesuchendes Vermögen: Wahl zwischen hohen Risiken und
niedrigen Zinsen – nicht nur durch Geldpolitik bedingt (technologische
Investitionszyklenverkürzung, demografischer Wandel etc.)
Staatsschulden im Norden von €uroland z.Z. sicherste Sparanlage
und Möglichkeit zum Abbau von LB-Ungleichgewichten
Ex – Im = S – I – G↑Ex – Im↑ = S – I↑– G↑Ex – Im↑ = S↑ – I↑– G↑
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Fach-Bachelor Nachhaltigkeitsökonomik (Neueinrichtung 2015)
Inhalt: In diesem Studiengang geht es um Zukunftsfragen von Wirtschaft,
Umwelt und Energie. Themenbereiche wie z.B. das Wirtschaftswachstum,
die Globalisierung, die Arbeitslosigkeit und die Energieversorgung werden
aus volkswirtschaftlicher Perspektive betrachtet.
Aufbau: grundständiger Bachelor (6 Semester).
Berufs- und Tätigkeitsfelder Großunternehmen, Ministerien, internationale
Organisationen, Forschungseinrichtungen, weiterführende Studiengänge,
Berater- oder Gutachtertätigkeiten.
Einschreibung: erstmalig zum WS 2015/2016 Bewerbungsschluss 15.7.2015!
Weitere Informationen: Flyer wird am Ausgang verteilt!!!