Arbeit mit Textquellen im Geschichtsunterricht Vorzüge der Quellenarbeit: • Quellen ermöglichen einen vergleichsweise unmittelbaren, authentischen Zugang zur Geschichte • Im Umgang mit Quellen kann der Anfänger erfahren, wie historisches Wissen entsteht • Hilfe zur Einsicht darin, dass die Geschichte keine „für sich“ existierende Realität, sondern ein Konstrukt ist, das die jeweils lebenden Generationen schaffen • Quellenarbeit lehrt, dass die alten Texte nicht per se richtiger, „objektiver“ sind als die Ergebnisse der späteren Geschichtsschreibung, sondern ebenso standpunkt- uns irrtumsbehaftet sind und einer kritischen Überprüfung bedürfen • Vermittlung einer Methodenkompetenz (Handhabung des geschichtswissenschaftlichen „Werkzeugs“) • Leichterer Übergang zu produktivem Arbeiten und entdeckendem Lernen (im Vergleich zu Darstellungen) • Schulung der „Kunst des richtigen Fragens“ (unerlässlich für kreatives Denken)
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geschichte/PDFs/semko08.pdf - uni-koblenz.degeschichte/PDFs/semko08.pdf · Geschichte lernen H. 46 (1995), Arbeit mit Textquellen Geschichte lernen, Sammelband Geschichte lehren und
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Arbeit mit Textquellen im Geschichtsunterricht
Vorzüge der Quellenarbeit:
• Quellen ermöglichen einen vergleichsweise unmittelbaren,
authentischen Zugang zur Geschichte
• Im Umgang mit Quellen kann der Anfänger erfahren, wie
historisches Wissen entsteht
• Hilfe zur Einsicht darin, dass die Geschichte keine „für sich“
existierende Realität, sondern ein Konstrukt ist, das die jeweils
lebenden Generationen schaffen
• Quellenarbeit lehrt, dass die alten Texte nicht per se richtiger,
„objektiver“ sind als die Ergebnisse der späteren
Geschichtsschreibung, sondern ebenso standpunkt- uns
irrtumsbehaftet sind und einer kritischen Überprüfung bedürfen
• Vermittlung einer Methodenkompetenz (Handhabung des
geschichtswissenschaftlichen „Werkzeugs“)
• Leichterer Übergang zu produktivem Arbeiten und entdeckendem
Lernen (im Vergleich zu Darstellungen)
• Schulung der „Kunst des richtigen Fragens“ (unerlässlich für
kreatives Denken)
Die „sieben Todsünden“ der Quellenarbeit
• Tilgung der Differenz zwischen Quellen und
Sachtexten
• Streichen von Fremd- und Andersartigem
• Kürzen auf eine Aussage
• Keine Quellengattung nennen
• Keine verschiedenen Interpretationsmöglich-
keiten
• Vermeiden von Methodenlernen
• Keine Heuristik
Die Auswahl der Quellentexte
• Texte müssen eine angemessene Länge und Ausführlichkeit
besitzen
• Die Aussagen sollten nicht offensichtlich sein, sondern eine
Mehrdeutigkeit und Komplexität als intellektuellen Anreiz
beinhalten
• Texte bevorzugen, die Emotionen und Sympathie / Antipathie
hervorrufen und die Phantasie anregen
• Zurückhaltung bei Texten, die „Betroffenheit“ auslösen (Stichwort:
Abwehrreaktionen)
• (für die Sek. I): Vorgänge sind eindrucksvoller als Zustände,
Personen interessanter als Ideen und Programme,
Entscheidungssituationen näher als Verfassungsordnungen oder
Wirtschaftssysteme
• Multiperspektivische, kontrapunktische Anordnung der Quellen
(wenn möglich)
• Mut zur Langsamkeit bei der Interpretation und Auswahl
Sauer, Michael, Bilder im Geschichtsunterricht. Typen – Interpretationsmethoden –
Unterrichtsverfahren, Seelze 2000
Ders., Karten und Kartenarbeit im Geschichtsunterricht, in: GWU 51 (2000), Heft 1,
37 - 46
Wilharm, Irmgard (Hg.), Geschichte in Bildern. Von der Miniatur zum Film als
historische Quelle, Pfaffenweiler 1995
Wunderer, Hartmann, Abbildungen der Welt? Zur Problematik von Fotografien im
Geschichtsunterricht, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 28 (2000), Heft 1 / 2, 47
– 56.
Der Gegenwarts- und Zukunftsbezug im Geschichtsunterricht
„Wir wollen aus der Vergangenheit das Feuer retten, nicht die Asche bewahren“
Ausgangsthese: Gegenwarts- und Zukunftsbezogenheit von Geschichte ist eine
wesentliche Kategorie historischen Denkens. Die Geschichtswissenschaft ist eine
Gegenwartswissenschaft, die auf ihre besondere Weise an den großen
Herausforderungen der Gegenwart und absehbaren Zukunft „herumdenkt“.
Ausgangspunkt: Gegenwärtige Schwierigkeiten, die im GU über historische Fragen
„umgeleitet werden.
„Große Fragen“ (epochale Schlüsselprobleme):
Gerechtigkeit und gutes Leben / Glauben und Hoffnungen / Partizipation und
Mitbestimmung / Gewalt, Krieg und Frieden / Gleichberechtigung der Geschlechter /
Solidarität / Arbeit und Arbeitslosigkeit / Armut und Ausbeutung / „Heimat“, Flucht,
Vertreibung, Migrationen / Umgang mit Minderheiten / Nationalismus, Rassismus und
Fundamentalismus / Gesundheit und Krankheit / Protest und Widerstand / Umwelt /
Freiheit...
Die Anfragen an das Wissenschaftswissen können auf einen
URSACHENZUSAMMENHANG oder auf einen SINNZUSAMMENHANG gerichtet
sein:
Ursachenzusammenhang: Frage richtet sich auf historische Entwicklungen, die als
Ursachen der gegenwärtig und künftig anstehenden Probleme gelten können =
NAHERINNERUNG (Neueste Geschichte / Zeitgeschichte)
Sinnzusammenhang: Frage richtet sich darauf, ob es in der Vergangenheit
Situationen und Entwicklungen gegeben hat, die mit der gegenwärtigen Situation
bedingt vergleichbar ist. Es handelt sich um „FERNERINNERUNG“ (Längsschnitt,
Fallstudie)
Interkulturelles Lernen
Prämisse: Jedes historische Lernen ist interkulturelles Lernen im Sinne
eines Lernens über andere Kulturen (= „Fremdverstehen“).
Schüler tragen alle sehr unterschiedliche Geschichten in sich, die in
hohem Maße kulturabhängig sind!
Interkulturelles Lernen ist ein Unterrichtsprinzip , das alle Schulformen
und Schulfächer umfasst.
Veränderte gesellschaftliche Ausgangssituation in D. im 21. Jh.:
Migration, Zuwanderung
Kulturbegriff: Keine Hochkultur, sondern Kultur als
„ein einer Gesellschaft gemeinsames System von Kenntnissen, Werten
und Haltungen, das die Lebensweise einer Gesellschaft ausmacht“.
Damit meint interkulturelles Lernen vor dem Hintergrund dieses
Kulturbegriffs,
„dass Menschen verschiedener kultureller Zugehörigkeit gleichberechtigt
mit- und voneinander etwas über ihre kulturellen Bezugssysteme und
Bedingtheiten lernen, sei es nun direkt über persönlichen Kontakt, sei es
vermittelt über Medien.“
Konsequenzen für den GU:
1. Geschichtsunterricht als Geschichte der „neuen Heimat“ zur
verbesserten Integration (=Anpassung der Methoden, nicht aber der
Zielsetzungen und Inhalte)
2. Ethnisch-kulturell getrennter GU (s. Religionsunterricht) (=kein
anderes Konzept des GU, sondern nur Erweiterung um zusätzliche
Konzepte, etwa türkischer GU)
3. Konzeptionelle Veränderung des GU zur Förderung der
„interkulturellen historischen Kompetenz“
Ziele:
1. Fremdverstehen
2. Durch Fremdverstehen ein verändertes Selbstverstehen erreichen
(Reflexion der eigenen kulturellen Prägung historischen Denkens) –
Förderung des Identitätsbildungsprozesses
Folgen für GU:
Keine völlige Umgestaltung, sondern andere Akzentuierungen und
Umstellung auf andere geschichtsdidaktische Konzepte
(Multiperspektivität, Exemplarität)
Probleme und Grenzen
Interkulturelles Lernen löst keine gesellschaftlichen oder politischen
Probleme: Wenn in der Gesellschaft / Politik kein Klima der Akzeptanz
herrscht, kann es auch diese Form des GU nicht erreichen
Anteil des Schulsystems an der Diskriminierung von Migrantenkindern
Interkulturelles Lernen ist in der deutschen Gesellschaft nur bedingt
konsensfähig (s. Diskussion über Leitkultur, Ausländersprachtests), auch
unter Schülern können Schwierigkeiten auftreten
(Identitätsfindungsprozess)
Erhöhter Arbeitsaufwand für Lehrende aufgrund mangelnder Materialien
Themen für den Geschichtsunterricht sind besonders geeignet, wenn sie
• Erfahrungen von historischer und / oder kultureller Andersartigkeit und damit Fremdverstehen ermöglichen,
[Lehnswesen, Familie als Längsschnitt, fremde Kulturen] • die Einsicht vermitteln, dass das Denken und Handeln von
Menschen immer zeit-, standort- und interessengebunden sind, [Kreuzzüge, Soziale Frage] • anthropologische Einsichten über mögliche Verhaltensweisen von
Menschen zulassen, [Sklaverei, Holocaust]
• die Fähigkeit schärfen, langfristige Entwicklungstrends
wahrzunehmen, die von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft reichen,
Möglichkeiten des Stundeneinstiegs A. Einstieg zur Festigung des Gelernten (z. B. Frage- / Wissensspiele) B. Einstieg als Reflexion des Unterrichtsgeschehens
• kontroverse Quellen zur Bewertung eines Ereignisses • diachroner Vergleich (Oberhausen 1800 1850 1900 /
Landkartenvergleich (Versailler Vertrag) • Einstieg mit synchronen Vergleichen (Wohnen im Kaiserreich /