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Germanen gegen Germanen – Gewalt, Konflikt und Ritual im Spiegel südskandinavischer Opferplätze mit Heeresausrüstungen Conflict among the Germanic tribes – Violence, Conflict and Ritual mirrored in South Scandinavian Sacrificial Sites with Military Equipment Von Andreas Rau Schlüsselwörter: Südskandinavien; Dänemark; Schleswig-Holstein; Römische Kaiserzeit; Opferplätze; Moor; Heeresausrüstung; Konflikt Keywords: South Scandinavia; Denmark; Schleswig-Holstein; Roman Iron Age; Sacrifical Sites; Moor; Military Equipment; Conflict Zusammenfassung: Während die Historiographie der Antike zwar überzeichnete und in vielen Fällen propagandistische Darstellungen von römisch-germanischen gewaltsamen Konflikten kennt, ist die Darstellung innergermanischer organisierter Auseinandersetzun- gen nahezu ausschließlich auf archäologische Quellen beschränkt. Ganz besonders die Op- ferungen der Ausrüstungen besiegter Feinde in Feuchtbodenmilieus, wie sie vorwiegend im 3.–5. Jahrhundert n. Chr. in Südskandinavien praktiziert wurden, liefern sonst verborgen blei- bende Informationen hierzu. Grundlage sind die modernen Ausgrabungen in diesen Opfer- plätzen mit Heeresausrüstungen, bei denen neben mehreren Tausend Waffen- und Waffen- bestandteilen auch persönliche Ausrüstungen, Werkzeuge und gar Transportmittel gefunden werden konnten. Die teilweise Erhaltung organischer Materialien, etwa von Hölzern, Leder und Textilien hebt den Aussagewert dieser Fundgruppe enorm und ermöglicht den Einsatz naturwissenschaftlicher Datierungs- und Provenienzbestimmungen. Aus dieser Quellengruppe lassen sich Grundzüge der Bewaffnung germanischer Verbände, die Stärken und die Struktur derselben und auch die Ziele organisierter Gewalt ableiten und diskutieren. Die Auswertung persönlicher Ausrüstungen und Trachtbestandteile erlaubt die Erörterung von Herkunftsregionen der Unterlegenen und somit eine nahezu ereignisge- schichtliche Interpretation. Über die rituelle Behandlung des Beuteguts sind zudem menta- litätsgeschichtliche Schlüsse zum Verhältnis Mensch-Waffe sowie zum Selbstverständnis der Krieger möglich. Althergebrachte und immer noch wiedergegebene Vorstellungen von den wilden, ungestümen germanischen Barbaren erfahren durch diese Fundgruppe eine we- sentliche Neubewertung. Abstract: While the historiography of Antiquity shows an overstated and in many cases pro- pagandistic representation of Roman-Germanic violent conflicts, the records of inter Ger- manic disputes are almost exclusively confined to archaeological sources. In particular the Die Kunde N. F. 62, 2011, S. 159–175 159
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Germanen gegen Germanen – Gewalt, Konflikt und Ritual im Spiegel südskandinavischer Opferplätze mit Heeresausrüstungen (Vortragsmanuskript). Die Kunde N.F. 62, 2011 (2013) 159–175.

Jan 22, 2023

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Germanen gegen Germanen – Gewalt, Konflikt und Ritualim Spiegel südskandinavischer Opferplätze

mit Heeresausrüstungen

Conflict among the Germanic tribes – Violence, Conflict and Ritualmirrored in South Scandinavian Sacrificial Sites

with Military Equipment

VonAndreas Rau

Schlüsselwörter: Südskandinavien; Dänemark; Schleswig-Holstein; Römische Kaiserzeit;Opferplätze; Moor; Heeresausrüstung; Konflikt

Keywords: South Scandinavia; Denmark; Schleswig-Holstein; Roman Iron Age; SacrificalSites; Moor; Military Equipment; Conflict

Zusammenfassung: Während die Historiographie der Antike zwar überzeichnete und invielen Fällen propagandistische Darstellungen von römisch-germanischen gewaltsamenKonflikten kennt, ist die Darstellung innergermanischer organisierter Auseinandersetzun-gen nahezu ausschließlich auf archäologische Quellen beschränkt. Ganz besonders die Op-ferungen der Ausrüstungen besiegter Feinde in Feuchtbodenmilieus, wie sie vorwiegend im3.–5. Jahrhundert n. Chr. in Südskandinavien praktiziert wurden, liefern sonst verborgen blei-bende Informationen hierzu. Grundlage sind die modernen Ausgrabungen in diesen Opfer-plätzen mit Heeresausrüstungen, bei denen neben mehreren Tausend Waffen- und Waffen-bestandteilen auch persönliche Ausrüstungen, Werkzeuge und gar Transportmittel gefundenwerden konnten. Die teilweise Erhaltung organischer Materialien, etwa von Hölzern, Lederund Textilien hebt den Aussagewert dieser Fundgruppe enorm und ermöglicht den Einsatznaturwissenschaftlicher Datierungs- und Provenienzbestimmungen.Aus dieser Quellengruppe lassen sich Grundzüge der Bewaffnung germanischer Verbände,die Stärken und die Struktur derselben und auch die Ziele organisierter Gewalt ableiten unddiskutieren. Die Auswertung persönlicher Ausrüstungen und Trachtbestandteile erlaubt dieErörterung von Herkunftsregionen der Unterlegenen und somit eine nahezu ereignisge-schichtliche Interpretation. Über die rituelle Behandlung des Beuteguts sind zudem menta-litätsgeschichtliche Schlüsse zum Verhältnis Mensch-Waffe sowie zum Selbstverständnis derKrieger möglich. Althergebrachte und immer noch wiedergegebene Vorstellungen von denwilden, ungestümen germanischen Barbaren erfahren durch diese Fundgruppe eine we-sentliche Neubewertung.

Abstract:While the historiography of Antiquity shows an overstated and in many cases pro-pagandistic representation of Roman-Germanic violent conflicts, the records of inter Ger-manic disputes are almost exclusively confined to archaeological sources. In particular the

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sacrifice of the equipment of conquered enemies in wetland environments, as was the pre-vailing practice in the 3rd–5th Centuries AD in south Scandinavia, yields otherwise unknowninformation about these disputes. The basis for this are the modern excavations of these siteswhere military equipment was sacrificed, beside several thousand weapons and parts thereof,also personal equipment, tools and even articles associated with transport were found. Thepartial preservation of organic material, such as wood, leather and textiles, raises the valueof the information from these categories of finds enormously, and enables the use of scien-tific methods for dating and determination of provenance.Using this source group it is possible to deduce and discuss the uses of the basic elements ofthe armaments of Germanic groups, their strength and structure and also the objectives oforganised violence. The evaluation of personal equipment and clothing allows the locationof the regional origins of the defeated and with this a near historic interpretation of events.From the ritual handling of the booty it is also possible to reach conclusions about the rela-tionship of men and weapons, and the self-conception of the warriors. The traditional andstill frequently repeated image of the wild, aggressive Germanic Barbarians finds a new eval-uation through these finds.

Ohne die im Titel erwähnte Quelle der Opferplätze mit Heeresausrüstungen wären wir fürdas Studium von organisierter Waffengewalt im germanischen Raum der Kaiser- und Völ-kerwanderungszeit auf drei Quellengattungen angewiesen:

Zum ersten dieWaffengräber, die nicht unproblematisch in ihrer überregionalen und lo-kalen Deutung sind und die uns häufig ein stark verzerrtes Bild von tatsächlicher Bewaff-nung und dem entsprechenden Typenspektrum geben. Schon allein schwierig ist die Beur-teilung der Waffen aus den Brandgräbern, etwa des elbgermanischen Raums oder dersüdpolnischen Przeworsk-Kultur, da oft nurWaffenfragmente denWeg vom Scheiterhaufenin das Grab gefunden haben.

DesWeiteren sindWaffengräber natürlich zunächst an einzelne Individuen gebunden undkönnen uns daher nur wenig zu Größenordnungen und Organisationsformen von bewaffne-ten Konflikten vermitteln.

Die zweite Gattung wären germanische Schlachtfelder, wenn wir denn welche kennenwürden, oder zumindest römisch-germanische Schlachtfelder. Von letzteren befinden sich inNiedersachsen ja glücklicherweise mit Kalkriese und Harzhorn die wichtigsten Beispiele, al-lerdings mit dem kleinen Nachteil, dass hier sichere barbarische Ausrüstung bislang kaumzu identifizieren ist.

Es bleiben die antiken Darstellungen römisch-germanischer Konflikte, angefangen vonden Kimbern-Teutonen-Zügen im späten 2. Jh. v. Chr. bis zur Spätantike.

Die literarischen Zeugnisse beschreiben die BarbarenMittel- und Nordeuropas natürlichäußerst subjektiv aus einer überlegenen, teilweise gar arroganten römischen Perspektive. Siewerden zwar als stark, aber im Kampf ungeordnet und ungestüm, schlecht ausgerüstet undzudem in Taktik und Technik dem natürlich herausragenden römischen Militär weit unter-legen geschildert. Dies gilt auch für Bilddarstellungen entsprechender Auseinandersetzun-gen, etwa die Marcussäule oder den Sarkophag von Portonaccio in Rom vom späten 2. Jh.n. Chr., die Bezug auf die Markomannenkriege im mittleren Donaugebiet nehmen.

Somit sind diese Zeugnisse mit äußerster Vorsicht zu genießen und selbst wenn dieslängst Allgemeingut der Forschung ist und diese topoi bekannt sind, so wird unsere Wahr-nehmung doch immer wieder durch das Bild des ungeordneten, taktisch und technisch imKampf unterbemittelten Barbaren getrübt.

So steht im Film (hier als Beispiel der Monumentalfilm „Gladiator“ aus dem Jahr 2000)der schmucke, gut frisierte auf Hochglanz geputzte römischeAnführer dem zottelig-verfilzten

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Barbarenchef gegenüber, dessen Bart vom Fellumhang kaum zu unterscheiden ist und des-sen Kleidung nichts Herrschaftliches hermacht – nicht einmal ein kleines bisschen Metall-glanz ist zu sehen.

Blicken wir nach diesen einleitendenWorten auf das Gebiet Südskandinaviens, so findet sichdort mit den so genannten Opferungen von Heeresausrüstungen eine Quellengattung, die –so könnte man überspitzt meinen – die Vorstellung von organisierter Gewalt, also von be-waffneten Konflikten und von Zerstörung von Leben und Objekten in den letzten drei Jahr-zehnten wesentlich neu definiert hat.

Insgesamt kennen wir aus dieser Gruppe mehr als 45.000 Einzelobjekte, angefangenvon der kleinen Perle bis zum 23 m langen Mannschaftsboot. Aus den größeren Untersu-chungen aus Illerup sind etwa 15.000 Objekte überliefert, aus Nydam wohl an die 18.000,aus den Funden von Thorsberg, Vimose und Ejsbøl immerhin je zwischen 2.000 und 5.000Gegenstände.

Eine ungeheure Fundmenge also, deren Interpretation – wie ich im Folgenden zeigenwerde – lange Zeit heftig diskutiert wurde und deren vollständige Aufarbeitung noch weitvon einemAbschluss entfernt ist.

Die Fundorte dieser Opferungen verteilen sich zunächst auf die jütische Halbinsel in-klusive dem Landesteil Schleswig sowie auf Fünen. Aber auch in einzelnen Regionen See-lands und Schwedens sind entsprechende Opferplätze zu finden.

Es handelt sich hier in aller Regel um ehemals offene Gewässer, die erst nach oder wäh-rend ihrer Nutzung als Opferstätte vertorften, so dass der oftmals gehörte und geschriebeneBegriff der südskandinavischen Mooropfer eigentlich vielmals falsch ist; es handelt sichalso überwiegend um Seeopferungen.

Nur ein kleiner Teil dieser Plätze ist mit modernen Untersuchungsmethoden erforscht.Dies gilt vor allem für die Fundorte von Illerup Ådal beiAarhus, Ejsbøl bei Hadersleben so-wie Nydam etwas nordöstlich von Flensburg, die auch in der Folge meiner Ausführungenim Vordergrund stehen werden.

Der größere Teil der Fundkomplexe wurde vor dem zweiten Weltkrieg, vor allem aberin den 1850er bis 1870er Jahren ausgegraben und hierbei spielte der dänische, in FlensburgtätigeArchäologe Conrad Engelhardt eine große Rolle. Er grub in den bekannten Plätzen vonNydam, Vimose und Kragehul (beide auf Fünen) sowie auch im Thorsberger Moor bei Sü-derbrarup, dem einzigen größeren Opferplatz mit Heeresausrüstungen auf deutschemGebiet.Engelhardts technische Durchführung der Grabungen im Feuchtbodenmilieu war außeror-dentlich gründlich und gut organisiert, er setzte offenbar als einer der ersten ArchäologenNordeuropas eine mechanischeWasserschnecke zur Entwässerung seiner Grabungsschnitteein. Auch seine Bemühungen zur Holzkonservierung sind beachtlich, wie sich an der Er-haltung des schon 1863 geborgenen Nydambootes erkennen lässt. Andererseits war Engel-hardt aus heutiger Sicht eher nachlässig bei seinen Befunddokumentationen und umso zu-rückhaltender bei seiner Deutung dieser Massenfunde militärischen Charakters. So ist ausden Engelhardtschen Grabungen keine einzige verwertbare Profilzeichnung und kein einzi-ger Befundplan überliefert.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Fachwelt bis in die 1980er Jahre, alsobis zu den Publikationen neuerer Grabungen in Ejsbøl und Illerup, diese Quellengattung zwarmit großem Staunen betrachtete, aber nur schwerlich einen interpretativen Zugang hierzu fand.

Die archäologischen Gelehrten stritten sich bereits in den 1860er bis 1890er Jahren teil-weise sehr intensiv über die Deutung dieser Massenfunde, so dass diese Diskussion sogarder breiten Öffentlichkeit nicht verborgen blieb. So schreibt der große Theodor Fontane inseinem Roman „Unwiederbringlich“ etwas belächelnd:

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„Diese Moorfunde, Kämme und Nadeln oder wohl gar eine verfilzte Masse, worüber Thom-sen undWorsaae sich streiten und nicht feststellen können, ob es ein Wurzelgefaser oder derSchopf eines Seekönigs ist, können mich nicht interessieren.“

Dabei war der im Zitat erwähnte Jens JacobAsmussen Worsaae schon ganz auf dem richti-genWeg, denn er sah in den Funden ausVimose, Nydam undThorsberg einmalige Opfer ausaufgesammelten Resten vom Schlachtfeld und von derAusrüstung der dort gefallenen Krie-ger. Die heute allgemein akzeptierte Deutung als wiederholt aufgesuchte so genannte Kriegs-beuteopferplätze wird aber letztlich oft dem Dänen Johannes Brøndsted in seinem Buch„Danmarks Oldtid“ (deutsch Dänische Vorzeit) von 1940 zugeschrieben und wurde vor al-lem durch die Studien von Jørgen Ilkjær in den 1970er bis 1990er Jahren weiter archäolo-

gisch untermauert.Dabei ist es ganz wesentlich zu

verstehen, dass es in Illerup Platz Aauf einem ausgegrabenen Areal vonimmerhin 360 x 120 m viele ver-schiedene Objektkonzentrationenvon Waffen und persönlichen Aus-rüstungsobjekten gibt, die in Textil-säcken im See versenkt wurden. Siesehen im Foto oben einmal zwei be-nachbarte Konzentrationen rot um-randet (Abb. 1).

Mithilfe minutiöser Anpassungzerbrochener Gegenstände, derenFragmente in zwei oder mehr unter-schiedlichen Säcken zutage kamen,konnte Jørgen Ilkjær nachweisen,dass die Objekte aus diesen Bündelnalle Teil der gleichen Deponierungs-aktion waren.

Wenn Sie so wollen, haben wirmit der Niederlegung von IllerupPlatz A, die dendrochronologischzwischen 205 und 210 n. Chr. datiert

werden kann, den größten geschlossenen Fund der europäischen Frühgeschichte mit etwa15.000 Objekten vor uns.

Wir finden also in diesen Opferungen von Heeresausrüstungen überwiegend Waffen sowiepersönliche Ausrüstungsobjekte von männlichen Personen, d. h. Kleidung, Kleidungsver-schlüsse, Teile von Militärgürteln, Schmuck sowie am Mann getragenes Zubehör wie Feu-erzeuge,Messer, kleineWertobjekte undMünzen. In kleinerer Zahl sind Pferdegeschirre, aberauchWerkzeuge von Schmieden vorhanden. Einige der eisernenWaffen weisen kleine Schar-ten als Spuren von Benutzung im Kampf auf, ebenso sind hölzerne Schildbretter mit Ein-schusslöchern von Pfeilspitzen bekannt. Aber vor allem sind diese Objekte auch rituell be-handelt: sie sind zerdrückt, verbogen, zerhackt und auseinander gebrochen. Diese selektiveFundzusammensetzung der Opferungen spricht deutlich dafür, dass es sich in der Tat umObjekte handelt, die offenbar nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung auf einemSchlachtfeld eingesammelt oder den dort verwundeten oder toten unterlegenen Kriegern ab-genommen wurden.

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Abb. 1Zwei benachbarte Fundkonzentrationen im Opferplatz

von Illerup Ådal, OpferungA.Ca. 210 n. Chr. (nach ILKJÆR 2002).

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Nicht erst Johannes Brøndstedhat darauf verwiesen, dass die ar-chäologische Interpretation sichüberaus gut in Einklang bringenlässt mit der antiken Überlieferungzu barbarischen, in diesen Fällenkeltischen und germanischen Ver-haltensweisen, die eine entspre-chende religiöse Handhabung dererbeuteten Objekte durch den Sie-ger einer Schlacht bezeugen.

In den Ihnen hier gezeigten Tex-ten sind vor allem die Passagen mitfolgenden Inhalten von Bedeutung:die Weihung der Objekte vor demKampf an den Kriegsgott Mars bzw.wohl ein zu erwartendes germani-sches Pendant dieser Gottheit unddie besondere rituelle Behandlungder Beute nach dem Sieg. Dabei istes wichtig, dass in den Opferplätzeneben nicht nur einmal, wieWorsaaeglaubte, sondern in einigen Fällenwiederholt deponiert wurde. Dashier gezeigte, überarbeitungswür-dige Schema (Abb. 2) basiert auf ei-ner Studie von 1990, und soll Ihnenlediglich demonstrieren, dass zwi-schen dem Ende des 2. Jahrhundertsund demEnde des 5. Jahrhunderts n.Chr. in vielen Opferplätzen wieder-holt umfassende Deponierungenstattgefunden haben. Im rein statis-tischen Durchschnitt finden wir so-mit allein in Jütland und auf Fünenalle 15–25 Jahre durch diese Opferungen bewaffnete Konflikte repräsentiert. Es ist natürlichmit kürzeren Abständen aber auch mit größeren zeitlichen Intervallen zu rechnen. Diesekönnen relativ kurz, wie im Opferplatz von Nydam, aufeinander folgen, aber auch andert-halb Jahrhunderte auseinander liegen, wie etwa zwischen der 2. und 3. Deponierung inIllerup Ådal. In jedem Fall fassen wir eine erhebliche Platzkontinuität, die ein lokalesBewusstsein über diese Opferplätze verbunden mit einer Bevölkerungskontinuität voraus-setzt.

Zusammenfassend sind zudem folgende Beobachtungen von Bedeutung: Wir haben es hiermit einer sehr großen Menge an gleichzeitiger, von einer einzelnen sozial miteinander inte-ragierenden Gruppe, genutzter Ausrüstungen zu tun. Das bedeutet, wir können mit einigenquellenkritischen Vorbehalten hier eine einst real existierende Kriegerschar rekonstruieren.Dieser synchrone Querschnitt durch die zu einer bestimmten Zeit verwendeten Ausrüstun-gen erlaubt es uns, Unterschiede im Qualitätsniveau der Ausrüstungen zu erkennen sowiequantitative Analysen zu den einzelnen Waffengattungen anzustellen.

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Abb. 2Schema der Deponierungen in verschiedenenOpferplätzen in Dänemark und Deutschland

(nach ILKJÆR 1990, überarbeitet und ergänzt durch Verf.).

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Ein wesentlicher erkenntnistheoreti-scherNachteil liegt darin, dassmenschlicheÜberreste in diesenDeponierungen nicht zufinden sind. Die Feinde selbst – im physi-schen Sinne – als primäres Ziel der organi-sierten Aggression lassen sich in dieserQuellengattung nicht aufspüren. Das be-deutet, die Objekte können nur in Ausnah-mefällen sicher als zusammen gehörendesEnsemble eines Individuums interpretiertwerden, hierin liegt ein ganz wesentlicherUnterschied zu den erwähnten Waffengrä-bern.

Andererseits kommt es zu Überliefe-rungen vonObjektgruppen, die sonst keineRolle im Grabritus spielen: Das beste Bei-spiel liefern hier prachtvolle Kopf- undSattelgeschirre von Reitpferden, die unssonst fast vollständig verborgen bleibenwürden und deren Identifikation und de-tailgenaue Rekonstruktion der Beschlag-anordnung erst mithilfe der Opferfundeseit den 1990ern möglich geworden ist.

Gleiches gilt für Objekte aus organi-schemMaterial im Feuchtbodenmilieu, diesich in den üblichen Grabbefunden nichterhalten haben: Hier ist zuerst an hölzerneWaffenbestandteile zu denken. Sie sehenim Bild (Abb. 3), das von mir so bezeich-nete „prähistorische Mikado“, eine zuerstchaotisch wirkende Anordnung von Lan-

zen- und Speerschäften, von Schildbrettern und Pfeilschäften in Nydam.Aber auch lederneGurte, etwa aus Thorsberg oder dem Platz von Vimose, sind überliefert. Diese Funde sindenormwichtig für die Rekonstruktion lebender materieller Kultur. Dabei bleiben die hierauszu gewinnenden Aussagen natürlich auf den männlich-militärischen Bereich beschränkt;Frauen, Kinder, Alte und kranke Individuen sind hier gar nicht repräsentiert.

Den wesentlichen Anteil aus einem Kriegsbeuteopfer bildet natürlich die Bewaffnung. Da-bei bezeugen die Zahlenverhältnisse durchgehend, dass alle kämpfenden Personen mit ei-ner Lanze, einem Speer und einem Schild bewaffnet waren – hier wieder im Gegensatz zudenWaffengräbern, in denen oftmals lediglich eineAuswahl von einer Lanze oder die Kom-bination aus Lanze und Schild vorhanden ist.

Zweischneidige Langschwerter sind in unterschiedlichen Zahlen belegt, wurden aberoffenbar nicht von jedemKrieger getragen. Dies ist wohl bedingt der Tatsache, dass sich an-hand von technologischen Untersuchungen, von lateinischen Inschriften und Stempeln min-destens 90% aller Schwertklingen aus denOpferplätzen als Produkte aus provinzialrömischenManufakturen erkennen lassen. Damit bilden Schwertklingen den einzigen importierten,nicht selbst beliebig in der erforderlichen Qualität reproduzierbaren Bewaffnungsanteil.

Waffen sind neben der zur Verfügung stehenden gewaltbereiten Personenanzahl natür-lich ein wesentliches Element zumAufbau und zur Kontrolle eines Gewaltmonopols inner-

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Abb. 3Fundsituation aus Nydam währendder Ausgrabung von 1989–1999

(Foto: Dänisches Nationalmuseum/Nydamprojekt).

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halb einer Gesellschaft. Produktion und Kontrolle von Waffen sind hier ganz wesentlicheFaktoren zur Herausbildung sozialer Hierarchien.

Dabei zeigt uns das Studium dieserWaffenformen aus den Opferplätzen, dass wir mit Se-rienproduktionen von hochqualitativen Lanzen- und Speerspitzen rechnen müssen.So deutet z.B. die Einheitlichkeit der Lanzenspitzen auf zentralisierte Herstellung und einekontrollierte Ausgabe von Waffen hin.

Von den 366 Lanzenspitzen aus der Opferung A von Illerup gehören 316 Stücke, also86%, zu einem einzelnen archäologischen Typ, der in Metrik und Form überaus homogenist. Die Lanzenspitzen gleichen sich oft wie ein Ei dem anderen, selbst die winzigsten Tül-lenfacetten stimmen überein. Letztlich sind sie lediglich in der Gesamtgröße leicht variabel,was wohl auf unterschiedliche Roheisenwerkstücke zurückzuführen ist. Unzweifelhaft ent-stammen die Lanzenspitzen einer regelrechten seriellen Fertigung und die Vermutung wirdzur Gewissheit, denn wir kennen zwei Lanzenspitzen dieses Typs aus Illerup, in die ein undderselbe Männername eingebracht ist sowie eine identische Lanzenspitze aus dem Vimosevon Fünen mit exakt dem gleichen Namen. Es kann sich hier nur um die Inschrift einesWaf-fenschmiedes handeln und in einem Fall hat der Hersteller einen Eisenstempel mit der Ru-neninschrift in das noch verformbare Eisen des Blattes gedrückt. Die Verwendung einesStempels zur Vervielfältigung ist eine Einzigartigkeit unter allen Runeninschriften und die-ses Prozedere weist auf die Herstellung ein und desselben Lanzenspitzentyps in Serie durcheine Werkstatt hin.

Dabei haben technologische Untersuchungen nahegelegt, dass bei diesen Stücken auchder Schmiedeprozess und die gleichartige Verwendung zweier unterschiedlich kohlenstoff-reicher Eisenqualitäten stets in gleicher Ausführung stattgefunden hat um dem Blatt derLanze die nötige Robustheit bei gleichzeitig möglichst hoher Flexibilität zu geben.

Vergleichenwir denWechsel der Bewaffnungstypen in denWaffengräbern Skandinaviensmit den Opferfunden, so müssen wir feststellen, dass Altstücke in den Opferdeponierungenfast gar nicht vorhanden sind. Die noch in älteren Publikationen vertreteneAnsicht, die Ger-manen hätten aufgrund vonMaterialknappheit alles Eisen so lange wiemöglich benutzt, kannalso nicht mehr aufrecht erhalten werden. Jede Generation wurde folglich mit einer neuen –fast wäre zu sagen: fabrikneuen – Bewaffnungsausstattung versehen. Damit eignen sichLanzen- und Speerspitzenformen – entgegen früherer Erwartungen – ganz hervorragend alsfeinchronologische Indikatoren!

Auf spezialisierte Herstellung weisen auch die Schilde hin, die etwa in den Neugrabun-gen der 1990er Jahre in Nydam gefunden wurden. Diese Schilde bezeugen zum einen eineganz bewusste Selektion von Holzqualitäten, in Nydam vorwiegend aus astwuchsfreiem Er-lenholz. Die Rohstücke wurden gleichmäßig auf eine Dicke von 8–10mm in der Schildmitteund 3–5 mm am Schildrand abgehobelt und dann auf einen Zuschnitt gebracht, der stets ei-nen Rundschild von ca. 90–110 cm ergibt. Die Schildbretter wurden schließlich mit einer anden Schildrändern vernähten Haut oder einem Lederüberzug versehen. Anschließend wur-den einige Schilde kunstvoll bemalt, teilweise wie hier gar mit figürlichenMotiven, und danndie Metallelemente aufgesetzt. Auch hier deuten Materialqualität, Gleichartigkeit der Formund der Holzart sowie vor allem die polytechnische Herstellung aus Holz, Haut/Leder, di-versen organischen Farben und Metallen auf zentralisierte Herstellung in regelrechtenWaf-fenmacherwerkstätten hin. Denken wir an die 350 Schildbuckel, die zu der OpferungA ausIllerup Ådal von ca. 205/210 n. Chr. gehören, somüssen hier enorme Rohstoffvorräte an Holzund vor allem an frischen Rohhäuten zugrunde gelegt werden.

Selbst bei den Kontingenten von Bogenschützen war eine Einheitlichkeit wesentlich, dadiese nur effektiv waren, wenn sie gleichzeitig schossen und durch gleiche Bogenstärke, Zug-kraft und vor allem Pfeilgewicht und Pfeilbewehrung eine annähernd gleiche Reichweite be-saßen: Exemplarisch zeige ich Ihnen eine Auswahl der fast 700 Pfeilspitzen aus dem Fund

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von Ejsbøl (Abb. 4). Sie erkennen auch hier die Standardisierung in Tüllendurchmesser, demQuerschnitt und der Spitzenlänge. Entweder ist die Eisenspitze beim Aufprall auf einemharten Widerstand – ein Schildbrett, ein Schildbuckel oder vielleicht einen menschlichenKnochen – abgebrochen oder sie hat sich deutlich verbogen. Noch stehen Analysen an denzahlreichen hölzernen Bögen und Pfeilen aus den neuen Ausgrabungen in Nydam aus, dieimmerhin etwa 2.000 Fundnummern umfassen.

Aber ich kann Ihnen berichten, dass der größere Teil der Pfeile aus langsam wachsen-demKiefernholzmit einer hohenDichte an Jahrringen hergestellt wurde, das sich in der Früh-geschichte nur vereinzelt in Dänemark, wohl aber auf der skandinavischen Halbinsel nörd-lich von Schonen und an der südlichen Ostseeküste in Vorpommern und in Nordpolenantreffen ließ. Offenbar waren die spezialisierten Bogenschützen gar in der Lage ihre Roh-stoffe aus anderen Regionen zu importieren.

Die Gestaltung der Pfeile ist überaus filigran und die Befestigung der Befiederung in al-ler Regel sehr sorgfältig. Sie können an denGroßaufnahmen (Abb. 5) neben den Restender Birkenteerbindung für das Aufklebender Steuerfedern auch die Spuren der Um-wicklung aus gedrehten Bastfasern vonBrennnesselstielen erkennen. Unterschied-liche Ornamentik am Schaftende, dem sogenannten Nock, deuten wir als Eigentums-marken der Schützen, die wohl einWieder-einsammeln der eigenen verschossenenPfeile nach dem Kampf erleichtern sollte.

Eine derartige Gleichartigkeit der Waffenleitet natürlich direkt über zur Frage vonHeeresstrukturen, zunächst einmal zurGröße der Gruppen, die wir anhand der Op-ferplätze fassen können. Dabei muss ein-schränkend erwähnt werden, dass keiner derOpferplätze vollständig untersucht ist, zu-dem –wie gezeigt – ein hoher Teil bereits altgegraben wurde.

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Abb. 5Großaufnahmen von Pfeilschaftenden aus

Nydam. Man beachte die feinen Verzierungensowie Reste von Umwicklungen undBefestigungsmasse für die Federn(Foto: Dänisches Nationalmuseum/

Nydamprojekt).

Abb. 4Auswahl an Pfeilspitzen aus dem Fund von Ejsbøl Mose

(nach ØRSNES 1988).

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Schauenwir uns einmal dieVerhältnisse derAnzahl von Lanzenspitzen, Speerspitzen undSchildbuckeln in den modern dokumentierten Grabungen von Illerup Ådal Platz A sowieEjsbøl C3 an.

Wir finden in Illerup eine Anzahl von 366 Lanzen, 410 Speeren und mindestens 350Schildbuckeln. Gehen wir nun von der erwähnten regelhaften Bewaffnung von Schild, Lanzeund Speer aus, so dürften hier durch dieWaffengattungenAusstattungen von etwa 370–410Kriegern belegt sein.

Eine Berechnung der Ausgräber anhand von Geomagnetikbildern lässt vermuten, dassetwa 40% des Opferplatzes ausgegraben wurden. Dass bedeutet bei einer natürlich mit Vor-behalten behafteten Hochrechnung, es ist mit einer ursprünglichen Deponierung von ca.925–1025 Waffenausstattungen zu rechnen; dies dürfte lediglich die Mindestanzahl derkämpfenden, unterlegenen Partei andeuten. Ungewiss bleibt die Zahl der mit Waffen ge-flüchteten Personen und der eventuell nicht geopferten Stücke.

In einer Opferung in Ejsbøl, etwa in dem Zeitraum zwischen 300 und 320 n. Chr. da-tierbar, finden wir ca. 210 Lanzenspitzen, 220 Speerspitzen und mindestens 160 Schild-buckel. Die geringereMindestanzahl der Schildbuckel ist in beiden Fällen vor allem dem ho-hen Fragmentierungsgrad geschuldet.Wir können aufgrund der Grabungsschnitte annehmen,dass etwa 80–90% des fundführendenAreals in Ejsbøl bekannt ist, so dass mit 235–275Waf-fenausstattungen, also derselbenMindestzahl an kämpfenden Einzelpersonen zu rechnen ist.Ähnliche Größendimensionen von weit über 200 Ausrüstungen lassen sich auch für ein-zelne Deponierungen in Nydam angeben, auch wenn hier die Größe des fundführendenAre-als unbekannt bleibt. Im Laufe der Völkerwanderungszeit, also des 5. Jahrhunderts, scheintsich dieAnzahl derAusstattungseinheiten deutlich zu verkleinern. Im Nydam IV-Fund vomEnde des 5. Jahrhunderts n. Chr. waren hingegen Lanzenspitzen für mindestens etwa 90Personen vorhanden.

Halten wir also fest: Anhand der Heeresausrüstungsopfer können wir im Kampf betei-ligte Kontingente zwischen 80–1000 Personen fassen, dabei dürfte die Tendenz eher beiGrößen zwischen 200 und 1000 Personen liegen. Dies sind zwar imVergleich mit einem re-gulären Heer, etwa der römischen Armee, kleine Zahlen. Sie liegen aber in einem Bereich,der durchaus eine hohe Organisationsform und Logistik voraussetzt.

Damit wäre auch die Frage nach den menschlichenVerlusten innerhalb dieser Schlachten zustellen. Schauen wir uns die wenigen Berichte zu frühmittelalterlichen Schlachten etwa immerowingischen Raum oder der angelsächsischen Heptarchie in Britannien an, so finden wir– grob gesagt – in aller Regel zwei Varianten. Entweder einigten sich die Parteien vor demKampfgeschehen (aber oft erst auf dem Schlachtfeld) auf einen diplomatischenAusgang oderzumindest einen Zweikampf der Anführer, oder aber die Kontingente wurden weitgehendvollständig im Kampf beteiligt, so dass die Schlacht in aller Regel bis zur Handlungsunfä-higkeit des Gegners geführt wurde. Handlungsunfähigkeit bedeutet in diesem Zusammen-hang einen derart hohen Verlust, dass einWeiterführen des Kampfes unsinnig wurde und eszur Aufgabe oder Flucht des Unterlegenen kam.

Jüngst haben der Kollege Rasmus Iversen vom Vejle Museum und ich unabhängig von-einander darauf hingewiesen, dass sich in den gut untersuchten Plätzen von Ejsbøl und Ille-rup statistischeMuster erkennen lassen, die etwas über die tatsächlich gefallenen Krieger aus-sagen können. Es wird nämlich ganz deutlich, dass die amMann getragenen Objekte in denOpferplätzen weit unterhalb derAnzahl derWaffenausstattungen liegen, aber trotzdem einestatistische Regelmäßigkeit erkennen lassen.Wir meinen also in den 130–140 amMann ge-tragenen Einheiten von persönlicher Ausrüstung in Illerup Platz A und den 60–65 entspre-chenden Einheiten in Ejsbøl C3 die ungefähre Zahl der Toten oder Verwundeten erkennenzu können, die nach der Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld liegen blieben und ent-

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waffnet sowie entkleidet wurden. Der Prozentsatz liegt dabei zwischen 27–38% der anhandder Waffenausrüstungen erkennbaren Individuenzahl. Wir betrachten dies kaum als Zufall,denn der schwedischeMilitärhistoriker Johan Engström hat für vormoderne, antike undmit-telalterliche Infanterieschlachten die Faustregel herausgearbeitet, dass in aller Regel derVerlust eines Drittels der Mannstärke als Totalverlust der Truppe und der Kampfeskraft zuwerten ist. Dies entspricht den erwähnten Relationen sehr genau.

Nun hatte ich Ihnen eingangs mitgeteilt, dass sich zwischen den Gattungen vonWaffen undAusrüstungen kaum eine auf ein Individuum zugeschnittene Zusammenstellung vornehmenlässt. Dies ist vielleicht in wenigen Fällen aber doch möglich, denn wir finden in den Op-ferplätzen auch räumlich und zeitlich isolierte Deponierungen, die zunächst nicht unbedingtzur Deutung als Opferung derAusstattung eines besiegten Heeres passen wollen. So fand sichfolgendes Ensemble abseits der großenMassendeponierungen imMoor von Ejsbøl: mehrereFragmente von goldenen Hals- oderArmringen, ein stark zerhackter Prachtgürtel aus Silbermit Goldpressblechen und Glaseinlagen, ein durchbohrter als Münzanhänger in Medaillon-funktion getragener römischer Aureus sowie ein einfacherer Gürtel aus Bronze.

Das Glück will es, dass wir im reichsten jüngerkaiserzeitlichen Grabfund Schleswig-Hol-steins, dem Kammergrab 7 von Neudorf-Bornstein bei Eckernförde, einen Toten vor uns ha-ben, der offenbar dieselben insignienähnlichen Abzeichen im Grab angelegt hatte: Einenmassiven goldenen Halsring, einen einfachen Gürtel und zudem einen entsprechenden Pracht-gürtel. Dabei zeigen die Detailuntersuchungen, dass beide Prunkgürtel aus Ejsbøl und demca. 100 km entfernten Neudorf-Bornstein bei Eckernförde offenbar aus der Hand ein und des-

selben Feinschmiedes stammen dürf-ten. Es wäre zu fragen, ob die isolierteDeponierung der Prachtausrüstung inEjsbøl nicht vielleicht mit dem römi-schen Brauch der spolia opima, derherrlichen Beute, zu vergleichen seinkann. Denn im antiken Rom, zumin-dest in republikanischer Zeit, wurdedie Prachtrüstung eines im Zweikampfgetöteten Feldherren durch den Siegerin einem besonderen Tempel dem Ju-piter geweiht.

Bleiben wir einenAugenblick bei denGürtelteilen aus den Heeresausrüs-tungsopferungen. Am Beispiel einerNiederlegung aus dem 4. Jahrhundertn. Chr. in Nydam lässt sich sehr schönaufzeigen, wie die sichtbar getragenenGürtel in der jüngeren römischen Kai-serzeit als überregional bekanntes undwohl auch anerkanntes Zeichen einerbesonderen Funktion innerhalb desKriegerverbandes gedient haben. Wirhaben in den Neugrabungen in Nydamdas Glück, dass sich zwar Leder nichterhalten hat, aber die Gürtelteile in al-ler Regel so aufgefunden wurden, wie

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Abb. 6Fundsituation eines Prunkgürtels aus Nydam,

ca. 330 n. Chr.(Foto: Dänisches Nationalmuseum/Nydamprojekt).

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sie auf den Grund des Opfersees gesunken sind – wie es auf dem Bild gut zu erkennen ist(Abb. 6). Hier macht sich nun die moderne minutiöse Dokumentation bemerkbar: Es ist alsomöglich, Beschlagabfolgen sowie die zu den Gürteln gehörenden Zubehörbestandteile exaktzu rekonstruieren.

Die bei den Neugrabungen in Nydam gefundenen Militärgürtel lassen sich offenbar in zweiGruppen teilen:

Regelrechte Prachtgürtel, die aus versilberter Bronze, Vergoldung, figürlichen Darstel-lungen und Glaseinlagen bestehen. Diesen Gürteln fehlen gänzlich Aufhängebe- schläge,etwa zum Befestigen von Feuerzeugen oder Gebrauchsmessern. Es handelt sich um reineSymbolzeichen, die – wennman einenmodernenVergleich versuchen will – zumindest michimmer wieder an Triumpfgürtel moderner Schwergewichtsboxer erinnern. Wir kennen Ent-sprechungen zu dem Prachtgurt aus Nydam aus lediglich einer HandvollWaffengräbern, diedie reichsten Bestattungen ihrer Zeitstellung mit diversen Edelmetallobjekten und impor-tierten Gläsern und Bronzen darstellen.

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Abb. 7Verbreitung von sehr ähnlichen Gürtelgarnituren der Zeit ca. 300–360 n. Chr.,

die höherrangigen Kriegern zugewiesen werden. Mutmaßlich auf eine Werkstatt zurückgehendeStücke sind mit Strichen verbunden. Sie demonstrieren die großräumigen Beziehungen der

Kriegereliten innerhalb Skandinaviens (nach RAU 2010, verändert).

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Andererseits lassen sich Gürtelgarnituren identifizieren, die ebenfalls reich beschlagensind, denen aberVergoldungen, Pressblecheinlagen und Glaseinlagen vollständig fehlen unddie als regelrechte Funktionsgurte gedient haben. Hier sind eineVielzahl von BeschlägenmitÖsen und Ringen vorhanden. In diesen waren regelhaft Feuerzeuge aus Feuerstahl und Quar-zitstein, eine Zunderschachtel, ein Messer und manchmal ein Wetzstahl befestigt.

Vergleichen wir diese Gürtelgarnituren miteinander, so fällt eine enorme Uniformität auf,was Gürtelbreiten, Beschlagtypen und deren Gestaltung angeht. Im Vergleich der einzelnenElemente fallen nahezu identische Beschläge an Garnituren aus den unterschiedlichsten Fund-orten in Norwegen, Schweden, Dänemark und Schleswig-Holstein auf, die darauf hinweisen,dass auch diese Garnituren nicht beliebig lokal, sondern offenbar ebenfalls wie auch dieWaf-fen zentral produziert und vergeben wurden. Ich habe einmal versucht, die mutmaßlich werk-stattidentischen Gürtelgarnituren miteinander zu verbinden und Sie sehen, welch überregio-nales Geflecht individueller Verbindungen sich daraus ableiten lässt (Abb. 7).

Betrachten wir die Zahlenrelationen in den Opferplätzen und die Grabfunde mit diesenMilitärgürteln, so zeigt sich, dass sich hierbei regelhaft eine weitere insignienähnlicheAus-rüstung nachweisen lässt, nämlich römische Schwertklingen, die einen germanischen Holz-griff tragen, der mit einem dünnen Silberblech ummantelt wurde. DerMaterialwert des Grif-fes ist hier sehr gering, der Symbolwert und die Einheitlichkeit offenbar aber sehr hoch.

Die Uniformität der Gürtel und der Schwertgriffe und ihre regelhafte Vergesellschaftungmiteinander in den Opferplätzen und denWaffengräbern deutet an, dass wir für die jüngererömische Kaiserzeit schon ein standardisiertes Bezeichnungs- und Auszeichnungssysteminnerhalb eines germanischen Heeres fassen können, das überregional verstanden wurde.

Wie Sie sich vorstellen können, ist es schwierig, die genauen Funktionen dieser einzel-nen durch bestimmte Symbolobjekte gekennzeichneten Personengruppen zu definieren.

Es fehlt nicht an Überlegungen, dass die unterschiedlichen Qualitätsstufen bei der Ver-wendung unterschiedlicher Materialien und Verzierungstechniken und deren quantitativesVerhältnis etwas über die unterschiedlichen sozialen Ränge in einem Heer aussagt. Ich habeentsprechendes ebenfalls versucht und in der Tat gibt es hier numerische Übereinstimmun-gen zwischen den einzelnen Objektgruppen, etwa in Illerup sechs Schildbuckel aus Silbermit vergoldeter Pressblechverzierung, sechs Schwertgriffe aus dem gleichen Material, sie-ben Schwertgurte aus dieser Materialkombination sowie neun entsprechende Pferdege-schirre.

Eine Vierteilung anhand der Materialqualitäten der Ausrüstung lässt sich für Illerup ÅdalPlatz A erkennen. Neben einer einzigen durch massiven Gold-ringschmuck und einem be-sonderen Schild gekennzeichneten Kriegerausstattung, wohl des Heerführers, gibt es zwi-schen 6–9 exklusive und weiter 36 überdurchschnittliche Ausrüstungen. Die Kollegin UllaLund Hansen hat diese Einteilung als eine militärische Rangfolge gedeutet:Auf einen Heer-führer kommen etwa 40 Offiziere, die wiederum 350 einfache Krieger kommandieren, je-der Offizier also etwa neun Krieger. Dies ist schon allein aus taktischen Überlegungen undauch im Hinblick auf die germanische Kampfesweise kaum überzeugend.

Ich möchte die Materialqualitäten auch im Vergleich mit den Waffengräbern zunächstnicht alsAusdruck einer Kommandostruktur deuten, sondern vielmehr als Hinweis auf die so-ziale Umgebung, aus der diese Krieger stammen. Diese Umgebung bestimmt maßgeblich,welchen Zugang ein Individuum zu bestimmtenMaterialien und technischen Qualitäten hatte.

Folglich habe ich vorgeschlagen, dass eine Kommandostruktur aus dem Opferplatzma-terial kaum ablesbar ist, wohl aber die gesellschaftliche Klassifikation einzelner Kriegerty-pen, die ich als Heerführer, Hausgefolge, mittelbares Gefolge und Rekruten bezeichnet habe.

Es sei nur amRande erwähnt, dass die Größe und die Gliederung, wie sie sich in den Hee-resausrüstungen widerspiegelt von Anthropologen sicherlich als typische Beispiele so ge-

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nannter complex warrior chiefdoms gesehen werden würde. Hierbei handelt es sich um so-zial stratifizierte Gemeinwesen, die stark von einer männlichen Militärideologie geprägtsind und in der der soziale Status einzelner Krieger insbesondere durch Kampfesleitung unddie persönliche Nähe zum warrior chief, dem Kriegerhäuptling – oder wie man in moder-nen Verhältnissen sagt: dem war lord – geprägt ist.

Daraus ergibt sich letztlich die Frage, wie diese Heere denn überhaupt kämpften. Ganzdeutlich wird, dass die südskandinavischen Heere dominiert wurden durch Infanteristen.Berittene Krieger im Sinne einer selbständig als Truppenteil agierenden Kavallerie sindkaum erkennbar. Der Gebrauch der Pferde – wir müssen hier eher an ponyähnliche Größendenken – ist durch Prachtgeschirre für besondere Personen, Anführer und persönliches Ge-folge belegt. Unter den ca. 370–410 Kriegerausrüstungen aus Illerup PlatzA finden sich nurHinweise auf maximal 10–11 berittene Personen, wohl eben diejenigen Personen, die icheben als Heerführer und sein persönliches Gefolge oder Leibgarde bezeichnet habe.

Helme oder Rüstungen sind überaus selten; sie sind in den Funden von Vimose undThorsberg in wenigen Stücken belegt und hier offenbar an die oberste Elite gebunden. In Il-lerup, Ejsbøl und Nydam fehlen metallene Teile von Körperrüstungen vollständig.

Damit lassen sich die Grundzüge der Kampfabläufe relativ grob beschreiben: Aus denZahlen von Bögen und Pfeilspitzen lassen sich für das 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. kleineKontingente von spezialisierten Bogenschützen nachweisen, aber wohl kaum mehr als 20–50 Personen. Dabei wurde mit Nachbauten der Bögen aus Nydam durchweg Reichweitenzwischen 100–140 Metern erzielt.

Eiserne Speerspitzen von etwa 100 g Gewicht mit 2,20–2,60 m langen Eschenholz-schäften können treff- und durchschlagssicher in Reichweiten von bis zu 40 Meter gewor-fen werden.

Dann folgte schon der bewaffnete Kampf mit übermannslangen Lanzen in lockerer For-mation, wie sie für den Gebrauch des großen Rundschildes mit Durchmessern zwischen 90und 110 cm vonnöten ist. Beim Auflösen der Formation kämpften die übrigen Krieger mitSchwertern und gegebenenfalls Kampfmessern im Einzelkampf weiter.

Die einzelnen Kampfabläufe, die sich anhand dieser leichten Bewaffnung identifizierenlassen, müssen also etwa im Vergleich mit den schwereren Ausrüstungen römischer Legio-näre überaus schnell erfolgt sein, wobei Pfeilbeschuss, Speerwurf und Lanzenkampf in un-mittelbarer Folge standen. So verwundert es nicht, dass die barbarische Kampfesweise füreinen Römer als ungestüm und wohl auch ungeordnet gewirkt haben mag.

Nichts können wir über die genauen Kampfformationen sagen, etwa ob in einer phalan-xartigen Reihe oder gestaffelt in Keilform gekämpft wurde.

Die Handhabung standardisierter Bewaffnungen wie Lanzen, Speer, Schild und Schwertund vor allem die Verwendung des richtigenWaffenstücks zum richtigen Gefechtszeitpunktinnerhalb einer sehr kurzenAbfolge verlangte aber ein Training der Formationen. Die Qua-lität der Eisenwaffen, aber auch der Bögen und Pfeile, die teilweise aus importierten Ele-menten bestehen, lässt auf Gruppen von Personen schließen, die entweder hauptsächlich oderzumindest in regelmäßigen Abständen Übung mit ihrer Bewaffnung hatten.

Wir müssen uns also verabschieden vom weit verbreiteten Bild des germanischen Bau-ernkriegers, der im Notfall zwangsweise bewaffnet wurde. Das bedeutet, dass wir es hier,wie schon erwähnt, mit professionellen oder zumindest semi-professionellen Kämpfern zutun haben, die offenbar in unterschiedlich sozial gestaffelten Gemeinschaften organisiertwaren.

Ich hatte eingangs erwähnt, dass die Objekte in den Opferplätzen den unterlegenen Fein-den, also nicht der lokal opfernden Bevölkerung gehört hat. Es stellt sich also die inte-res-sante Frage, ob sich durch das Studium der einzelnen Objekte die Herkunft der unterlege-nen Krieger regional bestimmen lässt.

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Einen erstenVersuch hat wiederum Jørgen ILKJÆR 1993 vorgeschlagen, der für das frühe3. Jahrhundert n. Chr. und das frühe 4. Jahrhundert n. Chr. zwei unterschiedlich große Kon-fliktzonen ausmachen wollte, zum einen zwischen dem Gebiet des heutigen Dänemark undNorwegen bzw. Westschweden, zum anderen zwischen dem ostschwedischen Raum undSüddänemark. Diese Vorstellung hat zunächst viel Anklang gefunden, erweist sich aber beieiner genaueren Detailuntersuchung als kaum in dieser Schärfe haltbar und quellenkritischüberaus angreifbar. Die historische Realität dürfte weitaus komplizierter als in diesen fast ge-neralstabsplanmäßigen Angriffsszenarien gewesen sein.

Die Gegenargumente im Detail und für jeden Opferplatz nachzuzeichnen, würde hierden Rahmen sprengen, es lässt sich aber grob gesagt festhalten, dass die Entfernungender beteiligten Parteien in den innergermanischen Auseinandersetzungen in aller Regelnicht so groß wie im Ilkjærschen Modell waren, sondern es sich vielmehr um Konfliktehandelt, die zwischen benachbarten politischen Gemeinwesen ausgetragen wurden. Da-bei erweist sich das Studium der am Mann getragenen Objekte, vor allem der Trachtbe-standteile als viel aussagekräftiger, als das der Waffen. Letztere – und das hatte ich Ih-nen wiederholt gezeigt – sind standardisiert und über einen großen geografischen Raumin dergleichen Ausformung anzutreffen.

Schauen wir uns aber etwa Trachtbestandteile, z.B. Fibeln, an, so lassen sich für einige Op-ferungen vielleicht eine genauere Analyse der Konflikte in einem ereignisgeschichtlichenSinne vornehmen. Ich möchte Ihnen hierzu nachfolgend gerne ein Beispiel aus meinen Un-tersuchungen zum Fund vonNydam zeigen: Innerhalb einer Opferung, die amEnde des 4. Jahr-hunderts n. Chr. stattgefunden hat, waren deren Bestandteile auf einem relativ kleinen Raumvon wenigen Quadratmetern verstreut. Leider ist diesesAreal durch eineAltgrabung von 1863gestört und es lässt sich kaum etwas über die Mindestanzahl der Waffenausstattungen sagen;sie wird aber zwischen 50–100 gelegen haben. Schon dasVorkommen von zahlreichen Kampf-äxten in dieser Opferung erstaunt, da diese in den anderen skandinavischenDeponierungen einestark untergeordnete Rolle spielen. Ebenso finden sich hier Lanzenspitzenformen, die in Skan-

dinavien vollständig fremd wirken. Wirhaben es also auf den ersten Blick offen-bar mit einem eher mitteleuropäischenMaterial zu tun.

Dieses scheint zudem stark durchspätantik-provinzialrömische Ornament-sprache beeinflusst zu sein, wie etwa dieSchnitzverzierungen an den teilweisevorzüglich gearbeiteten und erhaltenenHolzschwertscheiden bezeugt. Hierzupasst, dass sich in dieser Opferung Gür-telteile aus spätantikenWerkstätten oderderen germanische Nachahmungen, da-von so genannte spätrömische Militär-gürtel mit Tierkopfschnallen, fanden.

Dankenswerterweisewurden auch dieMilitärmäntel der Krieger hier deponiertund selbst wenn sich die Textilien bis aufwenigeFasern inNydam fast gänzlich auf-gelöst haben, so sind uns zumindest diegroßen Mantelfibeln überliefert. Hier do-miniert eine sehr charakteristische Fibel-form, die zudem, weil sie 13 x in Nydam

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Abb. 8Anhand von technischen und ornamentalen Detailserschlossene Herkunft der Nydamfibeln aus einerOpferung im Moor von Nydam ca. 380–400 n. Chr.Die Fibeln deuten auf eine Herkunft der geopferten

Ausrüstung aus demAreal des nördlichenSchleswig-Holsteins hin (Abb. Verf.).

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vorkommt, auch als Nydamfibel bezeichnet wird. Ihre Funktion an einem Mantel wird bes-tens durch den Befund des Kammergrabs 3480 von Issendorf, Ldkr. Stade, demonstriert, derfür unser Thema insbesondere schon deshalb interessant ist, weil der imKopf steckende Resteiner Eisenpfeilspitze wohl als Hinweis auf ein gewaltsamesAbleben des Bestatteten zu deu-ten ist.

Diese Nydamfibeln sind also in Südnorwegen, Dänemark, Schleswig-Holstein, Mecklen-burg aber auch dem Elbe-Weser-Raum weit verbreitet. Ich habe einmal die etwa 280 Fibelnaus 75 Fundorten detailliert auf Konstruktionsmerkmale und Verzierungen untersucht und siemit den Fibeln aus Nydam verglichen. Ichmöchte Sie hier nicht mit typologischenDetails lang-weilen, kann ihnen aber zeigen, dass es kleine, aber relevante Herstellungsunterschiede zwi-schen den einzelnen Regionen gibt. Die Fibeln aus Nydam lassen sich hierüber sehr wahr-scheinlich als Produkte von Handwerkern auffassen, deren Absatzgebiete im Bereich desnördlichen Schleswig-Holstein, also demGebiet unmittelbar südlich des Opferplatzes lag odervielleicht gar etwas weiter südlich bis an die Elbe (Abb. 8).

Aggression und Gewalt richteten sich nicht nur gegen die menschlichen Feinde, sondernauch gegen Objekte. In den Opferplätzen ist diese Gewalt gegen die gegnerischen Gegen-stände deutlich erkennbar, dies hatte mein Eingangsbild schon sehr deutlich gemacht.

Entsprechend berichtet Paulus Orosius um 400 n. Chr. über weit zurückliegende Ereig-nisse im Zusammenhang mit den Kimbern und Teutonen im ausgehenden 2. Jh. v. Chr.:

„Die Feinde, die die beiden Lager erstürmt und riesige Beute gemacht hatten, ver-nichteten zufolge einem unbekannten und ungewöhnlichen Schwur alles, was in ihreHand gefallen war: die Gewänder der Gefallenen wurden zerrissen und in den Dreckgetreten, das Gold und Silber in das Gewässer geworfen, die Bewaffnung der Män-ner zerschlagen, die Pferdegeschirre vernichtet, die Pferde selbst in den Strudeln desStromes ertränkt, dieMenschenmit Stricken um denHals an den Bäumen aufgehängt,so dass der Sieger keinerlei Beute behielt, der Besiegte kein Erbarmen erfuhr.“

(PAULUS OROSIUS V 16, 1–7).

Die Forschung hat es lange Zeit dem Orosius gleichgetan und in den Zerstörungen an denAusrüstungen unkontrollierte Aggression undWut der Sieger gesehen, fast eineArt rituelleRaserei.

Schauenwir uns aber die Fundgruppen in den einzelnen Opferplätzen an, so fällt auf, dassdiese Zerstörungen nicht willkürlich aus demAffekt heraus entstanden sind, sondern offen-bar Gesetzmäßigkeiten folgen. Das Zerbrechen der Lanzenschäfte, Zerhacken der Schwert-klingen und Griffe, die Demontage und totale Zerstörung der exklusiven Schildbuckel, dasZertrennen der Pferdegeschirre wirkt in den einzelnen Deponierungen sehr genormt und eslassen sich Muster darin erkennen. Wir stehen noch ganz amAnfang dieser Studien, aber eswird schnell deutlich, dass qualitativ hochwertiges Material aus Gold und Silber – erinnernSie sich auch bitte an den ramponieren Prunkgürtel und die Goldringe aus Ejsbøl – deutlichstärker zerstört wurden als andere Objekte etwa aus Buntmetall oder Eisen.

Mit dem erhöhten Grad der Bedeutung der Einzelpersonen für das gesamte gegneri-sche Heer ist offenbar auch der Grad der Zerstörung von derenAusrüstung gekoppelt. Zu-dem müssen wir in diesen Deponierungen nicht nur vordergründig den religiös motivier-ten Dank an eine Gottheit sehen, sondern gleichzeitig eine Inszenierung der siegreichenEliten alsAusdruck ihrer Machtdemonstration im Sinne eines Gewaltmonopols und damitdie Legitimation ihrer Herrschaft. Dabei zeigt gerade das nicht rück- gängig zu machendeZerstören und Opfern solch großer Mengen vomMaterialwert und in ihrer Symbolik hochanzusetzender Objekte den Versuch der Festigung von Herrschaft mittels religiöser Insze-nierung.

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Ich scheue mich nicht, darauf hinzu-weisen, dass das Zusammentragen undöffentliche Inszenieren von gegnerischenAusstattungen sowie deren Zerstörungkeine germanische Eigenschaft ist, son-dern offenbar eine anthropologischeKonstante.

Dazu gehören das Präsentieren dergegnerischen Bewaffnung im römischenTriumph genausowie das öffentliche Zer-brechen des Säbels und dasAbreißen derAbzeichen, hier am Beispiel des wegenLandesverrats beschuldigten französi-schen Captain Alfred Dreyfus demons-triert (Abb. 9). In einem vergleichbarenKontext darf auch das Auftürmen vonnationalsozialistischen Fahnen undStandarten auf dem Roten Platz im Juni1945 als heimische Demonstration desSieges im Großen vaterländischenKrieg gewertet werden.

Was ich hier vorführen konnte, war – an-gesichts der enormenMaterialmenge undderVielzahl vonEinzelaspekten – nur einegrobe, gar schlaglichtartige Vorstellungder Befundgruppe. Vieles muss ich Ihnenschuldig bleiben, etwa über Funde vonBooten alsTruppentransporter, überWerk-zeuge von mit dem Heer ziehendenSchmieden, über die Lage derOpferplätzein der Siedlungslandschaft oder aber überweitere spannende Runeninschriften aufdenWaffen.

Jüngst neu identifiziert wurden nun auch medizinische Objekte in denAusrüstungen derKrieger, etwa Nadeln zur Wundschließung, Knochensägen und Skalpelle, die offenbar dieErstversorgung verletzter Krieger während oder nach einer Schlacht sicherstellen sollten. Siesehen, dass die Opferplätze mit Heeresausrüstungen auch in Zukunft breiten Raum für For-schungen zur Aggression, Gewaltmonopolisierung, kontrollierter Waffengewalt und ihrenFolgen für Menschen und Objekten erlauben wird.

Vortragsmanuskript vom 13. Januar 2011 im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover.

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Abb. 9Verlust von Waffen und Rangsymbolen alsIdentitätszerstörung in der Moderne:

In der so genannten Dreyfus-Affäre von 1894wurde der elsässisch-jüdische Artellierie-Haupt-mannAlfred Dreyfus wegen Landesverrats

verurteilt. Am 5. Januar wurden Dreyfus im Hofder ècole militaire in Paris im Beisein der Öffent-lichkeit die Epauletten von der Uniform gerissen,sein Säbel zerbrochen und er wurde genötigt ohneseine Abzeichen die Kompanien abzuschreiten

(Titelblatt der französischen Zeitung„Le Petit Journal“ vom 13. Januar 1895).

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Abb i ldungsnachwe i se

Abb. 1–9: s. Abbildungsunterschriften

Anschrift des Verfassers:

Dr. Andreas Rau M.A.Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie(Centre for Baltic and Scandinavian Archaeology)Stiftung Schleswig-Holsteinische LandesmuseenSchloss Gottorf24837 [email protected]

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