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Bettina Matthies M A G I S T E R A R B E I T Gender, Körper und Nation in DEFA-Filmen der 1950er und 60er Jahre Abb. 1 „Die Glatzkopfbande“ (1963) | Abb. 2 „Denk bloß nicht, ich heule“ (1965) | Abb. 3 „Heißer Sommer“ (1968) Humboldt-Universität zu Berlin | Philosophische Fakultät III Kulturwissenschaftliches Seminar u. Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien Erstgutachterin: Prof. Dr. Christina von Braun Zweitgutachterin: Prof. Dr. Bettina Mathes 2006 Note: 1,0
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Gender, Körper und Nation in DEFA Filmen der 1950er und 60er Jahre (2006)

Feb 05, 2023

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Page 1: Gender, Körper und Nation in DEFA Filmen der 1950er und 60er Jahre (2006)

Bettina Matthies

M A G I S T E R A R B E I T

Gender, Körper und Nation in DEFA-Filmen der 1950er

und 60er Jahre

Abb. 1 „Die Glatzkopfbande“ (1963) | Abb. 2 „Denk bloß nicht, ich heule“ (1965) | Abb. 3 „Heißer Sommer“ (1968)

Humboldt-Universität zu Berlin | Philosophische Fakultät III

Kulturwissenschaftliches Seminar u. Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien

Erstgutachterin: Prof. Dr. Christina von Braun

Zweitgutachterin: Prof. Dr. Bettina Mathes

2006

Note: 1,0

Page 2: Gender, Körper und Nation in DEFA Filmen der 1950er und 60er Jahre (2006)

Inhalt Einleitung (1-2)

Kapitel 1 | Körper, Gender und Nation 1.1 Gender im Alteritätsdiskurs der deutschen Teilung (3-4)

1.2 Ideale Weiblichkeit und Natur der Frau (4-6)

1.3 Geschlechterpolitik und Selbstrepräsentation der DDR (6-7)

Kapitel 2 | Forschungsstand, Desiderata, Erkenntnisinteresse 2.2 DEFA-Film-Forschung (7-8)

2.1 Operationalisierung und Erkenntnisinteresse (8-10)

2.3 Desiderata (11)

2.4 Untersuchungsmaterial (12-13)

Kapitel 3 | Methodologische Grundlagen 3.1 Geschlecht, Körper und Sexualität in der Genderforschung (13-17)

3.2 Gender als Performance (17-19)

3.3 Gender und Nation (19-22)

Kapitel 4 | Gender und Nation in der DDR 4.1 Nationale Selbstdarstellung in Herrschaftsdiskursen der DDR

4.1.1 Gründungsmythos Antifaschismus (22-23)

4.1.2 Arbeiter- und Bauernstaat und das DDR-Staatsvolk (23-24)

4.1.3 Die DDR als Kulturnation und Traditionshüterin (24-25)

4.2 Sozialistische Persönlichkeitstheorie u. Geschlechterkonstruktionen

4.2.1 Persönlichkeitstheorie und die Grundsätze der sozialistischen Moral (25-28)

4.2.2 Die Konstruktion der Geschlechterdifferenz: Homo curativus / Homo faber (28-31)

Kapitel 5 | 1950er Jahre: Gender und Körper in Interferenzdiskursen um Vergangenheit,

Wiedergeburt und Zukunft der Nation in der Gründungs- und Aufbauphase der DDR 5.1 Der DEFA-Spielfilm „Frauenschicksale“ (1952) (31-32)

5.1.1 Filmhandlung (32-35)

5.2 Gender im antifaschistischen Gründungsdiskurs der SBZ/DDR

5.2.1 Barbara Berg: Die Frau im Männerberuf und Justitia der neuen Zeit (35-40)

5.2.2 Hertha Scholz: Die antifaschistische Gründungslegende als weiblicher Opfergang (40-44)

5.3 Gender im sozialistischen Aufbaudiskurs der SBZ/DDR (44-45)

5.3.1 Anni Neumann: Die sozialistischen Frauenpersönlichkeit als Arbeiterin und Mutter (45)

5.3.1.1 Frauenerwerbsarbeit und sozialpolitische Maßnahmen für erwerbstätige Mütter

(45-47)

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5.3.1.2 Exkurs: Gleichberechtigung und Arbeitspolitiken mit dem Frauenkörper (47-49)

5.3.1.3 Exkurs: Das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau

(1950) (49-52)

5.3.2 Renate Ludwig: Frauenkörper zwischen Leistungskraft und Schönheitspflege (52-56)

5.3.3 Weiblichkeitsimaginationen und Kleidersymboliken (56-58)

5.4 Der DEFA-Spielfilm „Vergeßt mir meine Traudel nicht“ (1957) (58-60)

5.4.1 Filmhandlung (60-65)

5.4.2 Nationale Wiedergeburt zwischen weiblicher Victimisierung und männlicher Zivilisierung

(65-66)

5.4.3 Antifaschistischer Opferdiskurs und Bruch mit der NS-Vergangenheit (66-68)

4.2.4 Frauenkörper als männliche Projektion: Die Adaption des Pygmalion-Mythos (68-70)

Kapitel 6 | 1960er Jahre: Gender und Körper in Generationenkonflikten der Modernisierungsphase der

DDR 6.1 Rock’n Roll als politisch-ideologische Diversion (70-71)

6.1.1 Jugendkultur und neue Körperbilder im Diskurs des Fremden/Anderen (71-73)

6.1.2 Jugendkörperbilder im Film (73-74)

6.2 „Die Glatzkopfbande“ (1962/63): Motorrad-Rowdies als Feinde des Sozialismus (74-75)

6.2.1 Filmhandlung (76-77)

6.2.2 Arbeitsethik und jugendkulturelles Freizeitprimat als konträre Motivlagen (77)

6.2.3 Gender, Körper, Sexualität (78)

6.2.4 Westliche Jugendmusikkultur als Fremdkörper und Feindbild (78-79)

6.2.5 Exkurs: Sozialistische Jugendkörperbilder (80-83)

6.3 „Denk bloß nicht, ich heule“ (1965): Aufbruch einer neuen DDR-Generation (83)

6.3.1 Filmhandlung (84-85)

6.3.2 Gender, Körper, Sexualität (85-86)

6.3.3 Jugendliebe ‘65 als Medium des politischen Generationenaufbruchs (86-87)

6.4 „Heißer Sommer“ (1968): Die Symmetrie des volkseigenen Jugendkörperkollektivs (87)

6.4.1 Filmhandlung (88-89)

6.4.2 Gender, Körper, Sexualität (89-90)

6.4.3 Die Konstruktion einer sozialistischen Traumjugend (90-92)

6.4.4 Gender- und sexualpolitische Botschaften in Freund- und Feindbildern (92-94)

Kapitel 7 | Zusammenfassung

7.1 Die 1950er: Gender, Körper, Sexualität in Peacebuilding-, Aufbau- und Zukunftsdiskursen der DDR

(94-96)

7.2 Die 1960er: Gender, Körper, Sexualität in Generationenkonflikten der Modernisierungsphase der DDR

(97-99)

Literatur (100-107)

Bildnachweis (107)

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Einleitung

Die künstlerisch produzierten Bilder über den Alltag in der DDR unter den Machtverhältnis-

sen der SED-Diktatur haben die heute gängigen Vorstellungen über sie entscheidend geprägt. Gerade

die unverwechselbaren Ästhetiken von DEFA-Spielfilmen trugen zur Distribution einer phänotypi-

schen Bildwelt dessen bei, was man sich einst als Sozialismus dachte. Die vorliegende Arbeit be-

schäftigt sich mit der Frage, wie das Repräsentationssystem DEFA-Kino als (eine staatlich monopoli-

sierte) Technologie des Geschlechts 1 operiert und in den 1950 und 60er Jahren Körper- und Ge-

schlechterbilder produzierte, die ein, sich von westlichen Entwürfen unterscheidendes, Geschlechter-

bildgedächtnis der deutschen Teilung nach 1945 generieren. Sie interessiert sich darüber hinaus für die

in der deutschen Teilung entwickelte kulturelle Ost/West-Alterität und ihre symbolischen Verge-

schlechtlichungen.2 Die Untersuchung geht davon aus, dass im kulturellen Diskurs verschiedener

Identitätspolitiken die Verhandlung von Körper, Sexualität und Geschlecht eine zentrale Rolle ein-

nimmt. Diese fungieren als Territorien, Markierungen und Reproduzenten der Mythen der Nation und

politischer Utopien: Geschlechterbeziehungen stehen sowohl im Zentrum kultureller Bilder gesell-

schaftlicher Identitäten und Gruppen als auch im Mittelpunkt der meisten kulturellen Konflikte und

Auseinandersetzungen.3 Für die Modellierung von nationaler Identität ist der Komplex Körper-

Geschlecht-Generativität gegenüber anderen Symbolsystemen wegen seiner epistemischen Verwandt-

schaft der beiden zentralen Figuren des Nationalcharakters und des Geschlechtscharakters von heraus-

ragender Bedeutung.4 Vor diesem Hintergrund werden die Fiktionalisierungen von Köper und Ge-

schlecht in DEFA-Spielfilmen als Aktanten nationaler Identitätsstiftung unter den politischen Macht-

verhältnissen in der DDR kenntlich gemacht. Dabei befindet sich die Geschlechterperformance des

Neuen Menschen als liminaler Verhandlungsort von nationalkultureller Kontinuität und politischer

Normierungspraxis im Mittelpunkt der Filmanalysen. Das DEFA-Kino wird als kulturelles Repräsen-

tationssystem verstanden, das sexuelle Differenz und die Heteronormativität der symbolischen Ord-

nung (re)produziert. Auf der Folie der Gleichberechtigungspropaganda der Geschlechter in der

1 Lauretis 1987. 2 Der Begriff der kulturellen Alterität meint die, in modernen Kulturtheorien sedimentierten, kulturell vorgegebenen, tiefenstrukturellen

Wahrnehmungs- und Werteparadigmen, die Differenzen motivieren. Nünning (2005). S.1-2. 3 Yuval-Davis (2001). S.68. 4 Loster-Schneider (2003). S.11.

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SBZ/DDR ergeben sich dabei jedoch Irritationen des traditionell dichotomen Geschlechterverhältnis-

ses, die den prozessualen Inszenierungscharakter von Geschlechtergrenzen deutlich sichtbar werden

lassen und auf die kulturelle Verfasstheit von Geschlechterrollen verweisen. Die sozialistische

Bildsprache setzte auf Geschlechterbilder, die sich von der bürgerlichen Ästhetik und Norm unter-

schieden und in der Frauen nicht mehr unbedingt das andere Geschlecht repräsentierten, sondern dem

männlichen Ideal anverwandelt werden sollten. Gleichzeitig reproduzierte das System eine binäre

Geschlechterordnung und bediente sich traditioneller Ausschlussmechanismen gegenüber Frauen.5 Die

vorliegende Arbeit lehnt an die gendersensible Nationalismusforschung und diskurstheoretische Kon-

zepte von Körper, Sexualität und Geschlecht an.6

5 Scheide/Stegmann (1999). S.11. 6 Der Forschungsdiskurs um die Interferenz (Überschneidung, Überlagerung) von Geschlecht und Nation geht grundlegend davon aus, dass

es sich bei beiden Kategorien um historisch und kulturell variable diskursive Konstruktionen handelt, die aufgrund ihrer gemein-samen identitäs- und alteritätstheoretischen Grundorientierung und Epistemik strukturelle und funktionale Äquivalenzen sowie gegenseitige Instrumentalisierungen aufweisen. Loster-Schneider (2003). S.9-17.

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Kapitel 1 | Gender, Körper und Nation

1.1 Gender im Alteritätsdiskurs der deutschen Teilung

Untersuchungsmaterial für westliche Projektionen einer ostdeutschen Kultur liefert die Bild-

publizistik der deutschen Wiedervereinigung. Dort werden kulturelle Distinktionen und Leitdifferen-

zen zwischen Ost und West ganz selbstverständlich über Körper- und Geschlechterbilder ausgetragen:

within the discourse of unification the German Democratic Republic (GDR) was often caricatured

with female images, characterized by naiveté, dependency, and weakness, whereas the Federal Re-

public of Germany (FRG) was depicted as strong, male, and aggressive.7 In den Bildern eines wilden

und natürlichen Ostens nährte der Westen sein Selbstbild einer überlegenen Zivilisation: In der Zone

hatten sich die Menschen eine unverdorbene Natürlichkeit bewahrt und eine ungebrochene Beziehung

zur Körperlichkeit 8 gepflegt, die angeblich keine sexuellen Tabus gekannt hatte.9 Im Zentrum der

westlichen Phantasien fand sich die Ost-Frau mit einem ihr zugeschriebenen natürlichen und exoti-

schen Sexualcharakter 10: Als die DDR-Frau sich nach 1990 rasch zur Ostfrau wandelte, glich ihr Bild

einer postfeministischen Männerphantasie: In der Freikörperkultur hatte sie den unbefangenen Um-

gang mit dem eigenen Körper und im reizarmen DDR-Alltag die vollen Genüsse des Sex erlernt.11 Die

sexuelle Semantik setzte sich auch in der Bildpublizistik der Wiedervereinigung als Ehelichung eines

heterosexuellen Paares durch, die jene Mischung aus Andersartigkeit und Einigkeit, aus Fremdheit

und Zusammengehörigkeit, aus heftigem Begehren und alltäglicher Gemeinsamkeit, die auch auf den

nationalen Vereinigungsprozess zwischen Euphorie, Ernüchterung und Selbstverständlichkeit zutrafen

12, symbolisierte. Die Paarmetaphorik verweise auf eine Vergeschlechtlichung in den Deutungen der

deutsch-deutschen Einheit, so Ina Dietzsch.13 Im Ehebild bekam die DDR (Osten) stets den weiblichen

Part zugewiesen, die BRD (Westen) den männlichen. Während die Bildpublizistik in der frühen Nach-

kriegsgeschichte beiden Teilstaaten noch als Brüder 14 darstellte, gingen alle Analogien des Vereini-

7 Herminghouse /Mueller (1997). S.2; Merkel (1994). S.359; Wierling (1999). S.165; Dietzsch (2005). S.92; Uerlings (2001). S.19. 8 Köpping (2002). S.145f. 9 Merkel (1995). S.80-82; Köpping (2002). Ebd. 10 Wolff (2004). S.285. 11 Bisky 2005; TV-Sendung „Wahre Liebe“: „Geile Ostfrauen“. VOX. 3.10.2003. 12 Wierling (1999). S.166. 13 Dietzsch (2005). S.92 14 Marienfeld (1990). S.16.

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gungsprozesses (...) von einem Ungleichgewicht zwischen beiden Teilen aus.15 In der symbolischen

Repräsentationsfigur eines weiblichen Ostens bediente man sich tradierter hegemonialkultureller Leit-

differenzen, denn der westeuropäischen Kulturtheorie des Ostens sind hierarchische Muster struktu-

reller Ungleichheit implizit, so der Ethnologe Peter Niedermüller.16 Die kulturelle Ostgrenze verlaufe

dort, wo die Idee des zivilisierten, fortgeschrittenen und hoch entwickelten Westeuropa mit der Kon-

zeption des zurückgebliebenen, unzivilisierten und barbarischen Osteuropa kontrastiere.17 In das

Klassifikationssystem Ost/West sind Hierarchien tief eingeschrieben und die Definitionsmacht über

das, was als östlich gilt, liegt im Westen.18 Die distinktiven Kodes mit denen sich der Westen den Os-

ten bis heute konstruiert stammen dabei aus der Mottenkiste kulturevolutionärer Differenztheorien des

19.Jahrhunderts: Unizivilisierte Wildheit und Natur trifft auf bürgerliche Zivilisation und Kultur. In

diesem Zusammenhang wurde der/die/das fremde ostdeutsche Gegenüber bildsemantisch kollektiv

verweiblicht (effeminiert) und als wilde und natürliche Ost-Frau in einer heterosexuellen Ehe zivili-

siert und versorgt.19 Als weiblich markiert kam für die DDR nur die Verlierer-Rolle im historischen

Prozess in Frage: Mit dem Verlust der staatpolitischen Souveränität verlor die DDR ihre Unabhängig-

keit, ihre Modernität wurde in Frage gestellt, ihre Geschichte gleichsam entwertet.20 Die Geschlech-

termetaphorik der deutschen Vereinigung habe den Umgang mit den Ostdeutschen nach 1990 mit be-

stimmt, so Dietzsch.21

1.2 Ideale Weiblichkeit und Natur der Frau

Im Anschluss stellt sich die Frage, wie der Repräsentationszusammenhang zwischen einer

DDR als Frau und Verliererin zustande kam und welche Deutungsmöglichkeiten sich darüber hinaus

eröffnen? Die Rolle der ostdeutschen Frauen als Verliererinnen der Einheit 22 ist breit erforscht und

einhellig beurteilt worden: Sie waren überproportional häufig von Arbeitslosigkeit, beruflicher Dis-

15 Wierling (1999). S.166. 16 Dietzsch (2005). S.92. 17 Niedermüller, P. (1997). S.5, zit. nach Dietzsch (2005). S.93. 18 Niedermüller (1997). Ebd.; Bude 1996. 19 Uerlings (2001). S.51; Cheauré u.a. (2005). S.18; Wierling (1999). S.165. 20 Dietzsch (2005). S.100. 21 Ebd. S.99. 22 Malarski 1990; Wahle 1990; Jaufmann u.a. 1994; Aleksander 2005.

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qualifizierung, dem Verlust sozialer Sicherheit und Armut betroffen.23 Für sie war die Tatsache, dass

das in der DDR praktizierte Frauenleitbild der vollzeiterwerbstätigen Mutter nicht der Praxis des

westdeutschen Markt- und Gesellschaftsmodells entsprach, ein kultureller Bruch in ihrer Biografie und

Identität.24 Die sich selbst mehrheitlich als Verliererinnen der Wiedervereinigung beschreibenden

ostdeutschen Frauen25 verkörperten in extremer Weise das Schicksal der Ostdeutschen nach 1989. Als

unschuldige Opfer der Staatsauflösung verdeckte ihre Krise zugleich Konsens und Mittäterschaft in

der Diktatur.26 Die Konstruktion des unschuldigen Opfers in einer historischen Umbruchsituation und

seine Allegorisierung durch Frauen spielte bereits 1945 in Deutschland eine Rolle. Damals wurde im

Bild der Trümmerfrau 27 und der trauernden Mutter 28 die Unschuld der nationalen Heimat symboli-

siert. Sie verkörperten die Einheit von historischem Bruch und Traditionen ohne schuldbeladene Ver-

gangenheit und überdeckten die Bilder der vergewaltigten und entehrten Heimat.29 Vor dem Hinter-

grund des historisch und kulturell universellen entanglement von gender, nation, class und ethnicity 30

stellt sich die Frage nach den historischen Wurzeln des Bildes der DDR als Frau noch einmal anders:

Wenn die Inferiorität der DDR im Vereinigungsprozess symbolisch als weibliches Opfer imaginiert

wurde, mit welchen Geschlechtermythen repräsentierte die DDR im Laufe ihrer 40-jährigen Geschich-

te dann ihre angebliche historische Überlegenheit und Stärke? In welchen Geschlechterbildern waren

ihre Vergangenheit und Zukunft aufbewahrt?

Die bildliche Repräsentation der DDR als Frau, die symbolisch das Schicksal der ostdeutschen

Gemeinschaft imaginiert, verweist auf historische Wurzeln und Kontinuitäten. Seit dem 19. Jahrhun-

dert bedienten sich europäische Nationen des Bildes eines idealisierten weiblichen Körpers als Signifi-

kant der Nation 31, der imagined community 32, der gedachten Ordnung 33, wobei Herkunft und Zu-

kunft der Nation traditionell im Bild des Weiblichen aufgehoben sind.34 Die weiblichen Allegorisie-

23 Maier 1991; Nickel 1997; Nickel 1995. 24 Rosenzweig (2002). S.179. 25 Schering-Frauenstudie ’93 (1993). S.24f. 26 Wierling (1999). S.168. 27 Merkel (1990). S.16f. 28 Denman 1997. 29 Sander 1991/92; Eifler 1999; zur Nieden 2002. 30 Herminghouse/Mueller (1997). S.1. 31 Wenk (2005). S.80. 32 Anderson 1988. 33 Lepsius (1982). S.12-27. 34 Wenk (2005). Ebd.

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rungen nationaler Gemeinschaft 35 sind traditionell mit dem Konzept einer zeitlosen Natur der Frau

verbunden, die Frauen aus der politischen Gemeinschaft ausschließt.36 Als Kernstück der interdiskur-

siven Konstruktion von Geschlecht und Nation gilt die naturalisierte Rolle der Frauen, die sie primär

zu biologischen Reproduzentinnen der Nation qualifiziert. Als biologische Produzentinnen seien Frau-

en auch Gebärerinnen der Gemeinschaft 37, so Nira Yuval-Davis. In ihrer naturalisierten Rolle fungier-

ten Frauen darüber hinaus als symbolische Grenzposten der Nation und als Garantinnen für die kultu-

relle Reproduktion: the figure of the mother as bearer and educator of the young and preserver of

culture acquires national stature.38

1.4 Geschlechterpolitik und Selbstrepräsentation der DDR

Ina Merkel beschreibt die DDR–Frau als das Markenzeichen der sozialistischen deutschen

Republik.39 Auch Dorothee Wierling weist darauf hin, dass die DDR sich als jung und weiblich insze-

nierte.40 Junge Frauenfiguren verkörperten die sozialistische Modernisierung, dienten als Spiegelbild

sozialer Prozesse und symbolisierten die DDR als zukunftsträchtiges und modernes Staatsmodell. Mit

dem sozialistischen Leitbild der vollzeiterwerbstätigen Mutter entstand eine der markantesten

Ost/West-Differenzen.41 Die symbolische Vergeschlechtlichung der DDR als einem weiblichen Sys-

tem ist eng mit der Genese ihrer Geschlechterpolitik und politischen Selbstrepräsentation verbunden,

innerhalb derer die Emanzipation der Frauen als Gradmesser der Entwicklung der sozialistischen Ge-

sellschaft galt: Die DDR hatte den Ruf der weiblichsten Gesellschaft Europas.42 Im Gegensatzpaar der

weiblichen Gesellschaft und des männlich apostrophierten Arbeiter- und Bauernstaates wurde Ge-

schlechterdifferenz dennoch strukturell reproduziert.43 Hier öffnet sich der Zugang zu den nationalkul-

turellen Geschlechterkodierungen in der SBZ/DDR, die Rückschlüsse auf die Herstellung des kom-

plementären Geschlechterverhältnisses und heteronormative Legitimationsstrategien im DEFA-Film

35 Wenk 1996; Schade u.a. 1994; Warner 1989. 36 Wenk (2002). S.230f. 37 Yuval-Davis (2001). S.48. 38 Pierson (2000). S.47; Planert (2000). S.27f. 39 Merkel (1994). S.359. 40 Wierling (1999). S.120. 41 Mühlberg (2000). S.24-25. 42 Niethammer (1994). S.100. 43 Hauser 1994; Diemer 1994; Bühler 1997; Schäfgen 2000.

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zulassen. Im Folgenden soll es um Körper- und Geschlechterbilder in ausgewählten DEFA-Filmen

gehen, mit denen die Identität der nationalen Gemeinschaft der DDR entworfen wurde.

Kapitel 2 | Forschungsstand, Desiderata, Erkenntnisinteresse

2.1 DEFA-Film-Forschung

Die DEFA-Filmforschung umfasst bis dato englischsprachige Forschungsarbeiten 44 aus dem

Umfeld der Cultural Studies und einen breitgefächerten deutsch-deutschen Forschungsdiskurs 45, um

dessen Förderung sich insbesondere die DEFA-Stiftung verdient gemacht hat.46 Es dominieren film-

und medienwissenschaftliche Aufsätze, Monographien und Sammelbände, die sich zumeist mit Pro-

duktionskontexten von DEFA-Filmen beschäftigen.47 Beliebte Untersuchungsobjekte sind weiterhin

politische Ikonographien und Mythengestaltung 48, Leit- und Feindbilder 49, Jugendbilder 50 oder die

Thematisierungen von Arbeits- und Alltagswelt 51, Heimat 52 und Zukunft 53 vor dem Hintergrund der

deutschen Teilung. Diese zumeist sozialhistorische Operationalisierung wird durch ideengeschichtlich

motivierte Analysen der Ästhetiken und Inszenierungspraxen der symbolischen Ordnung ergänzt. 54

Die Zensurproblematik findet sich verstärkt im Zusammenhang mit der Rezeption der verbotenen, aus

dem künstlerischen Kanon ausgeschlossenen, DEFA-Spielfilme der 1960er Jahre.55

Die Genderthematik ist nach 1990 vornehmlich als berufliche und sexuelle Emanzipation von

Frauen untersucht worden.56 Dabei ging es häufig um den Wandel von Frauenbildern und gesell-

schaftskritische Aspekte des DEFA-Frauenfilms.57 Sowie um die Darstellung sozial-, frauen- und ge-

schlechterpolitischer Initiativen durch Filme.58 Aufgrund der starken Präsenz von Frauenfiguren kur-

siert in der Filmforschung auch die These einer Entmaskulinisierung des DEFA-Kinos und einer Fe-

44 Byg 1992; Byg/Moore 2002; Feinstein 2002; Naughton 2002. 45 Finke 2001; Zahlmann 1998. 46 http://www.defa-stiftung.de. 47 Schenk 1992; Schittly 2002; Allan/Sandford 1999; Horst 1997; Filmmuseum Potsdam 2005; Mückenberger/Jordan 1994; Filmarchiv

Austria 2001; Moldenhauer/Steinkopf 2001; Blunk 1987; Zimmermann/Moldenhauer 2000. 48 Langenhahn 1998. 49 Waterkamp 1997; Steinle 2003. 50 Waterkamp 1996; Lindenberger 2004. 51 Claus 2000; Feinstein 2002. 52 Finke 1998. 53 Zahlmann 2003. 54 Finke 2002. 55 Schittly (2002). S.127-156; Agde (2002). S.355ff.; Gersch, (2006). S.108-123. 56 Waterkamp 1997; Blazejewski (1990). S.183-195; Wolf (1997). S.92-106; Strauss (1996). S.7-113; Gräf (2001). S.107-117; Dölling

(1997). S.74-110. 57 Waterkamp (1997). Bd.2a. 58 Strauss (1996). S.43-76.

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minisierung der symbolischen Selbstrepräsentation.59 Dennoch gibt es auch kritische Stimmen: Das

einleuchtendste Merkmal der DEFA scheint gewesen zu sein, Frauenfiguren zur Darstellung ihrer

männlichen Gedanken und Gefühlswelt benutzt zu haben.60 Es existieren nur wenige Untersuchungen,

die Geschlechtersemantiken in nationalen Narrativen untersuchen. Oder sich mit Geschlechterdiffe-

renz in der symbolischen Selbstrepräsentation beschäftigen. Oder filmische Körperinszenierungen als

Praxis von Körper- und Geschlechternormen aufarbeiten. Zu erwähnen sind hier insbesondere die

Arbeiten von Irene Dölling 61, Ina Merkel 62 und Kerstin Stüssel 63. Daneben sollen in diesem Zusam-

menhang die geschlechterhistorischen Analysen von Dorothee Wierling 64, Gunilla-Friederike Budde

65 und Ina Dietzsch 66 genannt sein, die zur o.g. Feminisierung der politischen Selbstrepräsentation

der DDR, Bildpolitiken des Geschlechts in DDR-Medien und über die Geschlechterkodierungen der

deutschen Wiedervereinigung publiziert haben. Zudem sind die gedächtnistheoretisch operierenden

Filmanalysen von Stefan Zahlmann zu nennen, der die Körperdarstellungen in DEFA-Spielfilmen als

Medien eines kollektiven (Geschlechter)Gedächtnisses beschreibt und auf die Spuren ihrer Normali-

sierung/subversiven Performanz innerhalb von Konfliktarrangements und Männlichkeitsentwürfen

untersucht.67 Nicht zuletzt haben die Arbeiten des Forschungsseminars Sexualität und Erotik in

DEFA-Filmen am Kulturwissenschaflichen Seminar/Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstu-

dien der Humboldt-Universität zu Berlin und die Film- und Vortragsreihe Frauen machen Staat. Sexu-

alität und Nation im Film aus Ost- und West-Deutschland an der Humboldt-Universität zu Berlin zur

Erweiterung der Genderforschung im DEFA-Film beigetragen.68

2.2 Operationalisierung und Erkenntnisinteresse

Das Filmkunstwerk als Ganzes entwirft ein Menschen’bild‘ im allgemeinen, übertragenden

Sinne. Sein Gehalt basiert auf einer weltanschaulichen Konzeption vom Menschen in unserer Welt.

59 Blazejewski (1990). S.183-195. 60 Waterkamp (1997). Bd.2a. S. 7-8. 61 Dölling (1997). S.3-77; Dies 1991; Dies. (1993). S.23-52; Dies. (1992). S.125-138. 62 Merkel (1995). S.80-108; Dies. (1994). S. 359-382; Dies. 1990. 63 Stüssel 2002; Dies. 2003. 64 Wierling 1999a, 1999b, 1999c. 65 Budde 1997a, 1997b, 1999, 2000. 66 Dietzsch 2005. 67 Zahlmann 1998, 2000, 1998. 68 Forschungsseminar „Sexualität und Erotik in Filmen der DDR“. Kulturwissenschaftliches Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin

(WS 2003/04); Film- und Vortragsreihe „Frauen machen Staat“ (SS 2004) Humboldt-Universität zu Berlin.

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Diese erscheint als mehr oder weniger bewusste und gelungene filmische Realisierung der Erfahrun-

gen und Überzeugungen, die die Filmschaffenden selbst in der Wirklichkeit gewonnen haben. Die

weltanschauliche Einstellung liegt den filmischen ‚Einstellungen’ zugrunde. Das Menschen‚bild’, das

der Film vermittelt, entspricht dem Menschenbild seiner Schöpfer.69

Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass sich der historische Quellenwert von DEFA-

Spielfilmen aus ihrer Funktion als Generatoren und Speichermedien eines kulturellen und kollektiven

Bildgedächtnisses der ostdeutschen Teilgesellschaft nach 1945 ableitet. Dieses Bildgedächtnis ist in

einer dauerhaften Legitimationsarbeit der eigenen Existenz in Abgrenzung zum westlichen Teil

Deutschlands entstanden und blieb in seinen Selbstdarstellungen stets auf den Westen bezogen. Her-

stellungs- und Darstellungsprozesse von Identität 70 sind immer an einen anderen gebunden: Sowohl

der dialogische Charakter als auch der somatische Erfahrungsspielraum individueller wie kollektiver

Selbstdeutung bzw. -darstellung legt nahe, dass immer ein Alter notwendig ist, damit sich ein Ego in

Abgrenzung dazu als ein Gleiches oder Anderes erleben und (...) anerkannt werden kann.71 DEFA-

Spielfilme sind ein mediales Archiv von Narrationen einer politischen und sozialen Utopie, die durch

das kunstpolitische Dogma des sozialistischen Realismus 72 ästhetisiert sind und sich im Spannungs-

feld aus Projektion, Propaganda und nachempfundener Realitätsnähe bewegen.73 Der Quellenwert von

DEFA-Spielfilmen besteht in ihrer besonderen Inszenierungsleistung, das Phantasma der sozialisti-

schen Utopie in der DDR entworfen und Entwicklungswidersprüche zwischen Utopie und Realität

thematisiert zu haben. Die filmischen Bilder der sozialistischen Zielgesellschaft, die das zur Erschei-

nung bringen, was seiner Natur nach nicht gegenständlich zu werden vermag 74 sind dabei staatlich

kanonisierte Bilder. Weshalb sie als Kunstprodukte begriffen werden, die im öffentlichen Diskursraum

zugelassene Ansichten transportierten. Es handelt sich um erwünschte Bilder, die Vor-Bilder für die

69 Meyer (1970). S.11-12. 70 Kimmich (2003). S.VIII. 71 Ebd. S.IX. 72 Der Begriff des sozialistischen Realismus wurde zu Beginn der 1930er Jahre unter Mitwirkung Stalins in der Sowjetunion geprägt: Der

sozialistische Realismus als Grundmethode der sowjetischen schönen Literatur und der Literaturkritik fordert vom Künstler eine wahrheitsgetreue, geschichtlich konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung. Hierbei muss die Wahrheitstreue und die geschichtliche Konkretheit der künstlerischen Darstellung der Wirklichkeit Hand in Hand gehen mit der Zielsetzung einer ideologischen Umformung und Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus. Zit. nach Schittly (2002). S.43. Die stalinistisch ausgerichtete SED-Kunstdoktrin: Unser Ideal sehen wir in einer Kunst, die ihrem Inhalt nach sozialistisch, ihrer Form nach realistisch ist ( zit. nach Judt (1998). S. 316/317) sah Form und Inhalt (...) der Kunst als durch die gesellschaftli-chen Zustände definiert an und oktroyierte der Kunst die Aufgabe (...) diese Bewegung nicht wider zu spiegeln, sondern entwi-ckelnd oder hemmend auf sie einzuwirken. Zit. nach Schittly (2002). S.41.

73 Merkel (1999). S.336. 74 Iser (1991) S.493.

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individuelle Sinngebung, für die Normierung individueller Wünsche 75 bereithalten sollten. Gleichwohl

sind in den Fiktionalisierungen auch gewünschte Bilder des Publikums sedimentiert, die Erwartungen

und Gewohnheiten bestätigen und sich als Versinnbildlichungen individueller Sehnsüchte und Phanta-

sien bewährt haben76. Die auf eine sozialistische Identitätsstiftung abzielende Wirkung der Filme

wurde über die sinnlich-anschauliche Verknüpfung von erwünschten und gewünschten Bildern und

ihrem Spannungsverhältnis prozessiert.77 Der pädagogische Anspruch und die auf Erziehungs- und

Bildungseffekte abzielenden Story-Konstruktionen sind allgegenwärtig. In seiner Funktion als Mas-

senmedium entwarf der DEFA-Film programmatische Selbstbilder der DDR-Gesellschaft und war

exponierter Ort der Fiktionalisierung und Verhandlung von Köper- und Geschlechteridentitäten.78 Als

kulturelles Repräsentationssystem führte er normative und von der Norm abweichende Bilder von

Körper, Sexualität und Geschlechterrolle auf, die in den filmischen Diskurs des Eigenen und des

Fremden eingebettet waren. Ihr performatives Potential entfalten diese Interdiskurse in einer Koprä-

senz traditioneller und moderner Kodes. Eine interessante Zwischenposition entwickelt die zwischen

den Blöcken stehende DDR, die im Zuge einer Abstoßung der nationalsozialistischen Elemente und

einer Orientierung am Ideal des ‚Sowjetmenschen‘ eine neue hybride deutsche Identität zu schaffen

versuchte.79 Die Inszenierungen geben Aufschluss über den Wandel geschlechter-, körper- und sexu-

alpolitischer Diskurse in der DDR. Daneben ist ein Wandel in der Art und Weise der Repräsentation

zu konstatieren: Während die kulturrevolutionäre Phase der 1940er und 50er Jahre auf sowjetische

Vorbilder und Propagandafiguren setzte. Zeichnen die 1960er Jahre synthetische Bilder einer künstli-

chen Hyperidentität in der sozialistischen Moderne. Und tauchen in den 1970er und 80er Jahren zu-

nehmend Problemfiguren auf, die eine krisenhafte, hybride DDR-Identität im Zeichen politischer

Agonie und gesellschaftlicher Krise zur Diskussion stellen.

75 Dölling (1997). S.5. 76 Ebd. 77 Ebd. 78 Merkel (1999). S.336. 79 Cheauré (2005). S.25.

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11

2.3 Desiderata

Die kulturwissenschaftliche Thematisierung von Geschlecht, Körper und Identität in ehemali-

gen Ländern des Ostblocks ist ein ausgesprochenes Desiderat. Komparative Untersuchungen böten

hier mit Abstand die interessantesten Einblicke in die Diskrepanzen zwischen politischer Anthropoli-

tik und der Beharrungskraft kultureller Werte und nationaler sowie religiöser Traditionen in staatsso-

zialistischen Gesellschaften. Insbesondere die Konflikte mit den anderen im Staatssozialismus bilden

die Kontrastfolie, auf der systemstabilisierende Körper- und Geschlechterdiskurse und der Illusions-

und Zwangscharakter des Normativen in der Diktatur offenbar werden. Die vorliegende Arbeit geht

der Frage nach, wie Materialisierungen 80 von Körper und Geschlecht in DEFA-Filmen der 1950er

und 60er Jahre als Projektionsfläche nationaler Identitätsstiftung entworfen sind. Und wie sie das sich

wandelnde Körper- und Geschlechterbildgedächtnis der DDR nach 1945 prozessieren. Die Arbeit

konzentriert sich auf zentrale Aspekte des Interferenzdiskurses um Geschlecht und Nation. Dessen

Kernstück ist einerseits die politische Selbstrepräsentation durch das Weibliche. Und andererseits die

Konstruktion der nationalen Gemeinschaft über die In- und Exklusion von Körpern. Körperdarstellun-

gen im Film werden als Geschlechterrepräsentationen, als sexuelle Differenzkonstruktionen verstan-

den. Wobei in Anlehnung an die feministische Filmforschung 81 zugrunde gelegt wird, dass Filme

kulturelle Repräsentationssysteme sind, die Geschlecht prozessieren. Der fiktive Inszenierungscharak-

ter von Körpern und die semiotische Bezeichnungspraxis ihres weiblichen und männlichen Ge-

schlechts lässt sie als Geschlechterperformance sichtbar werden. Die Technologie des Geschlechts im

DEFA-Film wird als Prozess und Ergebnis seiner Repräsentation verstanden 82, wobei deren Ziel darin

besteht, Geschlechterdifferenz zu reproduzieren. Die Filmlektüren beschränken sich darauf, die Per-

formance des Geschlechts durch und als Produkt von normativen Macht-Wissens-Diskursen und in

ihrer Bedeutung für die symbolische Repräsentation zu beschreiben. Sie verfolgen nicht den Anspruch

einer feministischen Theorieexegese und diesbezüglicher terminologischer Präzisionsarbeit.

80 Butler (1995). S.31. 81 Weingarten,S. 2004; Liebrand (2003). S.7-18. 82 Lauretis (1987). S.5.

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2.4 Untersuchungsmaterial

Für die Filmanalysen wurden die DEFA-Kinofilme Frauenschicksale (1952), Vergeßt mir

meine Traudel nicht (1957), Die Glatzkopfbande (1961), Denk bloß nicht, ich heule (1965) und Heißer

Sommer (1968) ausgewählt.

Die beiden Filme der 1950er Jahre waren mit mehr als 5 Millionen Zuschauern Kinoerfolge

und thematisieren junge Frauenfiguren auf dem Weg zu sozialistischen Frauenpersönlichkeiten. Im

Zentrum der Filmanalyse stehen einerseits Weiblichkeitsentwürfe und ihre Symbolisierungen der Ein-

heit von historischer Kontinuität und historischem Bruch 83 im Antifaschismus- und Friedensdiskurs

der frühen DDR. Andererseits wird die Verhandlung von arbeits- und biopolitischen Normativen des

neuen Frauenleitbildes im Zusammenhang der weiblichen Geschlechterrolle im Aufbaudiskurs der

DDR in den Blick genommen. In beiden Filmen deutet sich an, dass sexuelle Differenz über das klas-

sische Gegensatzpaar Kultur/Natur kodiert ist und der Frauenkörper im Rahmen eines generativen

sozialistischen Humanprojektes 84 naturalisiert wird. Hier wird herausgearbeitet, auf welche Weise der

Frauenkörper als Arbeitskörper in männlichen Berufsfeldern inszeniert ist und wie parallel dazu an der

Re-Naturierung seiner weiblichen Geschlechtsidentität gearbeitet wird. Beide Filme arbeiten mit auf-

fälligen Kleidersymboliken und vollziehen die kulturelle Bezeichnung des Weiblichen durch Beklei-

dung des Frauenkörpers. Die Kleiderordnung stellt eine wichtige Strategie zur Herausbildung (...) von

geschlechtlichem Körperhabitus und körperlicher Disziplinierung 85 dar, so dass sie hier genauer in

den Blick genommen wird.

In den DEFA-Spielfilmen der 1960er Jahre Die Glatzkopfbande (1961), Denk bloß nicht, ich

heule (1965) und Heißer Sommer (1968) wird der Eintritt der DDR in das neue Zeitalter des Sozialis-

mus 86 inszeniert. Im Zentrum der Filme wird Jugend im Sozialismus verhandelt, wobei der kurze

Aufbruch nach dem Mauerbau und die folgende Modernisierungskrise im Motiv des Generationen-

konfliktes angelegt sind. Im Unterschied zu den Publikumserfolgen Die Glatzkopfbande (1961) und

Heißer Sommer (1968) wurde Denk bloß nicht, ich heule (1965) verboten. In diesem Film teilen sich

83 Stüssel 2000. 84 Eifler (2005). S.217. 85 Mentges (2004). S.570. 86 Spittmann (1987). S.30.

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nicht-staatskonforme Positionen mit. In allen drei Filmen ist der Verhandlungsmarathon zwischen

staatlicher Jugendpolitik, Elterngeneration und den eigenen Identitätsentwürfen von Teens auf unter-

schiedliche Weise inszeniert. Dem Wandel der Jugendpolitik in den 1960er Jahren korrespondieren

die Bildsprache erwünschter und unerwünschter Körper- und Geschlechtermodelle und die Normali-

sierung des Subversiven in einer sozialistischen Teenagerkultur. Die Story-Konstruktionen der Jugend

operieren mit Körperbildern, Sexualitäten und Moral, die in Alteritätsdiskurse des Eigenen und Frem-

den eigelassen sind. In den Filmanalysen wird daher die Körperperformance als normalizing power

legitimer und illegitimer Jugendbilder untersucht. Es geht um sexual- und körperpolitische Normative

und dramaturgisch/ästhetische Stereotype, mit denen jugendliche Paarbeziehungen inszeniert sind. Ein

besonderes Augenmerk gilt den, als Element der Geschlechterperformance angelegten, Sexualitäten

und der Sexualmoral, die als In- und Exklusionsmomente sozialer Gemeinschaft fungieren.

Weil die zu untersuchenden Phänomene in den einzelnen Filmen unterschiedlich dicht ver-

handelt werden, verzichtet die Arbeit auf eine einheitliche, modularisierte Vorgehensweise. Aus Platz-

gründen wurde auf die Zitation von Filmszenen verzichtet, die in Sequenzprotokollen erschlossen

sind.

Kapitel 3 | Methodologische Grundlagen

3.1. Geschlecht, Körper und Sexualität in der Genderforschung

Geschlecht wird im Rahmen dieser Arbeit als konzeptuelle Performance und analytischer

Schlüsselbegriff verstanden. Die Untersuchung nimmt Anleihen bei den Theorie- und Begriffsgebäu-

den Michel Foucaults und Judith Butlers; die Filmanalysen sind damit diskurstheoretisch und -

analytisch motiviert. Sie untersuchen kulturelle Kodierungen von Körper und Geschlecht in den nor-

mativen Macht-Wissens-Diskursen der Filme. Kulturelle Konzepte von Weiblichkeit und Männlich-

keit sind in diesen historischen Bedeutungskomplexen verankert. Unter Hinzuziehung von Erkenntnis-

sen der gendersensiblen Nationalismusforschung 87 wird weiterhin davon ausgegangen, dass Ge-

schlechterbilder politische Ordnungen und symbolische Gemeinschaften symbolisieren. Als Orientie-

87 Cheauré u.a. 2005; Zettelbauer 2005; Ebert/Trebisz 2004; Loster-Schneider 2003; Wenk 2002; Schlehe 2001; Uerlings u.a. 2001; Yuval-Davis 2001; Kemlein 2000; Blom u.a. 2000; Planert 2000; Scheide/Stegmann 1999; Yuval-Davis 1997; Herminghouse/Mueller 1997; Wenk 1996.

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rungsanker gelten hier die Interferenz des Weiblichen mit einer Natur der Frau und die In-/ Exklusi-

onsstrategien der nationalen Gemeinschaft durch Körperbilder.

In der Kulturwissenschaft wird der Körper mit unterschiedlichen Theoretisierungsweisen auf-

geschlossen und z.B. als Kollektivkörper 88, als Leerstelle 89, als Text 90, als Erfahrungs- und Wahr-

nehmungsobjekt 91 und Leib 92 relevant. In den Gender Studies 93 ist er zentrales Untersuchungsobjekt

des doing gender 94 und der Technologies of Gender.95 Hinsichtlich des Gemachtseins der Körpernatur

96 spielt der historische Wandel von Körperlichkeit, Körperkonzepten und -bildern eine Rolle.97 Dane-

ben wird Körper als Signum der Geschlechterdifferenz beforscht, als Ort von Männlichkeit und Weib-

lichkeit. Oder als politisch-symbolisches Repräsentationsmedium der sozialen (nationalen) Gemein-

schaft. In den 1990er und 2000er Jahren war der wissenschaftliche Körperdiskurs durch Themen der

Normalisierung/Disziplinierung von Körpern 98 und Materialisierung von Geschlecht 99 geprägt. Die

Einführung des (Geschlechts)Körpers als performativer Akt 100 hat seinerzeit eine neue Dimension in

die Debatte eingeführt. Aktuelle Forschung kreist um Geschlecht als Wissenskategorie.101

Die Herstellung von Gemeinschaft, Identität und Alterität operiert mit einer normalizing

power 102, die Ruth Pierson als comparison, differentiation, hierarchization, homogenization, exclusi-

on 103 beschreibt. The strategies of ‘normalizing power’ that Foucault identified (…) can be seen at

work in the formation and maintenance of nations. The violence inherent in these processes is un-

mistakable.104 Michel Foucault hat im Rahmen seiner Analysen der modernen Macht zum Leben 105 die

zentrale Denkfigur der Episteme, als für das Wissen einer Epoche konstitutives Ordnungsschema,

eingeführt. In Die Ordnung der Dinge (1966) geht er davon aus, dass das Denken in jeder Epoche

88 von Braun (1996). S.8-10; Dies. (1999). S.60-85; Dies. (2000). S.20-57. 89 Baudrillard (1992). S.13f.; Kamper 1976; Horkheimer/Adorno (1969/1996). S.246 ff. 90 Lorey (1993). S.11-23. 91 Duden (1997). S. 260-291; Dies. 1987; Scarry 1992. 92 Plessner 1975; Merleau-Ponty 1966. 93 von Braun/Stephan 2000; Feldmann/Schülting (2001). S.143-145. 94 Butler 1991; Dies. 1995; Dies. 1998; Dies. (2002). S.301-346; Angerer 1995; Frevert 1995; Biddick (1993). S.398f.; Honegger 1991;

Hagemann-White 1984; Dies. (1993). S.68-78. 95 Lauretis 1987. 96 Foucault 1977-1986; Ders. 194; Ders. 1996. 97 Funk/Brück 1999; Flach 2003; Brandstetter/Völckers 2000; Fischer-Lichte/Fleig 2000. 98 Foucault 1994; Ders. 1996; Ders. 1983. 99 Butler (1995). S.31. 100 Butler (2002). S.304; Baxmann (1999). S.109-221. 101 Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität Berlin;

Becker 2005; Orland/Scheich 1995; Schiebinger 1993/1995. 102 Pierson (2000). S.44. 103 Ebd. 104 Ebd. 105 Foucault (1983). S.134.

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einer Strukturierung durch Regeln unterworfen ist, die Ordnungen des Denkens entstehen lassen und

auf historisch und kulturell spezifische Weise Wissensproduktion und -rezeption als Wahrheitsdiskurs

ermöglichen.106 In der Moderne geriere sich eine enge Verbindung zwischen Macht und Wissen, die

als Macht-Wissens-Komplex die Individuen, ihre Vergesellschaftung und das Wissen über sie hervor-

bringe. Das, was als Geschlechtskörper Gestalt annimmt, wahrnehmbar und beschreibbar wird, ist

Produkt historischer Wissensformen. Das Gesetz des Wissens stiftet als souveräne Macht moderner

Gesellschaften zugleich die gesellschaftliche Ordnung. Das Wissenssystem ist ein komplexes Klassi-

fikations- und Ordnungssystem, das durch diskursive Praktiken beständig reproduziert wird, wobei

Körperpraktiken den Körper als symbolischen Bedeutungsträger konstituieren. In diesem Sinne ver-

handeln Körper- und Geschlechterdiskurse in DEFA-Filmen hegemoniale Wahrheiten und entwerfen

ein Tableau normativer Vorstellungen und Regeln: Wahrheit begegnet uns als Produkt von Diskursen:

Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre allgemeine Politik der Wahrheit: d.h.

sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren lässt (...) es gibt Mecha-

nismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermöglichen und

den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden.107 Die politische Durchset-

zung dessen, was als wahr gilt, steht im Zentrum der Herrschaftssicherung und muss durch Verhand-

lungen, Vereinbarungen oder Gewalt realisiert werden. In der Lesart Foucaults kann man sich immer

nur dieser Ökonomie der Wahrheit und den Wahrheitswirkungen, nicht jedoch der Wahrheit selbst

annähern.108

Die Durchdringung von Bevölkerungspolitik und Disziplinartechnologien ist das moderne

Feld, in dem die Produktion des einzelnen Körpers stattfindet. Die Machtprozeduren der Disziplinen

als politische Anatomie des menschlichen Körpers 109 und die Regulierung und Kontrolle der Fort-

pflanzung durch eine Biopolitik der Bevölkerung 110 sind beide Ausdruck der Macht zum Leben. 111

Deren Verknüpfung leistet die Sexualität 112, indem sie in wechselnder Proportion das Ziel der Kör-

106 Foucault (1989). S.11. 107 Foucault (1978). S.51. 108 Ebd. 109 Foucault (1983). S.135. 110 Ebd. 111 Ebd. S.134. 112 Ebd. S.36f.

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perdisziplin mit dem der Bevölkerungsregulierung kombiniert.113 Die Norm des Lebens wird durch die

Biomacht gesetzt: Die Installierung dieser großen doppelgesichtigen anatomischen und biologischen,

individualisierenden und spezifizierenden, auf Körperleistungen und Lebensprozesse bezogenen -

Technologie charakterisiert eine Macht, deren höchste Funktion nicht mehr das Töten sondern die

vollständige Durchsetzung des Lebens ist.114 Die Aufwertung des individuellen Körpers in der Moder-

ne findet in den Optimierungsbemühungen eines gesunden Volkskörpers durch Gesundheits-, Hygie-

ne- und Sexualitätspolitiken in nationalen Bevölkerungstheorien ihren Ausdruck. Die Gebärfähigkeit

und Fruchtbarkeit des Frauenkörpers steht seitdem im Mittelpunkt eines humanwissenschaftlichen,

pronatalistischen Interesses. Er wurde gleichzeitig als Repräsentanz des Gesellschaftskörpers ge-

dacht.115 Die gedachte Simultanität von Frauen- und Kollektivkörper erlaubt seit dem 20.Jahrhundert

die staatliche Regulierung weiblicher Sexualität zur Absicherung der Generativität der Nation: Sexua-

lität, Verhütung, Abtreibung und Mutterschaft unterliegen seitdem einer kontinuierlichen Politisie-

rung.116 Um die Diskurse über Körper, Sexualität und Geschlecht in DEFA-Filmen zeithistorisch zu

verorten, wurde auf fachwissenschaftliche Primärliteratur zur Gesundheits- und Sexualpolitik in der

DDR zurückgegriffen. Diese Quellen verhandeln ethische Kerne 117 nationaler Körperbilder und sind

Foren der Wahrheitsproduktion. Dagmar Herzog 118, Daphne Hahn 119 und Uta Falck 120 haben festge-

stellt, dass Sexualität in Ostdeutschland nach 1945 (anders als in Westdeutschland) nicht zum zentra-

len Schauplatz der Bewältigung der Hinterlassenschaften des NS wurde. Anders als im Westen sei es

in der SBZ/DDR um säkulare Argumente gegen Abtreibungen, Geschlechtskrankheiten und die Stei-

gerung der Reproduktionsrate gegangen. Die konservative Haltung der Sozialisten sei dabei dem

christlichen Sexualkonservatismus sehr ähnlich gewesen.121 Bis Mitte der 1960er Jahre dominierten

gesundheitspolitische, sexualhygienische und -pädagogische Motive die staatliche Sexualpolitik in der

DDR. Danach setzte eine Liberalisierung mit einer neuen sozialistischen Botschaft über Sex 122 ein, die

ihren Höhepunkt in den 1970er Jahren erreichte. Parallel sei versucht worden, die Menschen emotio-

113 Ebd. S.174. 114 Ebd. 115 Usborne 1994. 116 Herzog 2005; Hahn 2000; Bergmann 1992. 117 Loster-Schneider (2003). S.12. 118 Herzog (2005). S.230f. 119 Ebd. 120 Falck 1998. 121 Herzog (2005. S.240-41. 122 Ebd. S.244.

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nal an das sozialistische Projekt zu binden: Romantisches Liebesglück und Bekenntnis zum Sozialis-

mus wurden in der Romanze mit dem Sozialismus 123 propagiert.

3.2 Gender als Performance

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der Begriff der Repräsentation als spezifische Be-

zeichnungspraxis verstanden. DEFA-Filme werden als semiotische Bezeichnungssysteme definiert,

die Körper und Geschlecht inszenatorisch hervorbringen und darstellen. In der Lesart Judith Butlers

sind Körper immer imaginär und können nur innerhalb von Zuschreibungen Gestalt annehmen und

existieren. Butler bezeichnet den subjekthaften Körper als intelligibel 124. Seine Materialisierung 125

wird als Prozeß verstanden, der im Laufe der Zeit stabil wird, so daß sich die Wirkung von Begren-

zung, Festigkeit und Oberfläche herstellt, den wir Materie nennen 126. Deshalb sei Körper außerhalb

des Diskurses nicht zu denken und vordiskursive Körperidentität unmöglich. Wie Butler durch kriti-

sche Relektüren von Freud und Lacan gezeigt hat, ist der Prozess der Materialisierung von Körpern

immer von sexuellen Positionen durchsetzt, die auf der Ebene der symbolischen Ordnung hierarchisch

strukturiert sind.127 Anders gesagt, das ‚biologische Geschlecht’ ist ein ideales Konstrukt, das mit der

Zeit zwangsweise materialisiert wird.128 Erst durch das beständige Zitieren und Wiederholen dieser

Normen entstehe der Körper als performativer Akt.129 Damit werde Körper zum relationalen Konzept,

das auf eine Vielzahl anderer Strukturen und Diskurse bezogen ist und einem historischen Wandel

unterliegt.130 Den Diskurs über Materie versteht Butler als einen Prozess machtvoller Zuweisungen,

über den eindeutige und sexuelle Körper produziert und signifiziert werden.131 Die prominentesten

Ausschlusslinien verlaufen entlang der sexuellen Differenz. Die Konstruktion des Geschlechts arbeitet

mit den Mitteln des Ausschlusses, und zwar so, daß das Menschliche nicht nur in Absetzung gegenüber

dem Unmenschlichen produziert wird, sondern durch eine Reihe von Verwerfungen, radikalen Auslö-

123 Ebd. S.250, 267. 124 Butler (1995). S.31. 125 Ebd. 126 Ebd. 127 Ebd. S.88f., 186f. 128 Ebd. S.21. 129 Butler (2002). S.301-346. 130 Müller (2000). S.77f. 131 Butler (1995). S.78.

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schungen, denen die Möglichkeit kultureller Artikulation regelrecht verwehrt wird.132 Körper ist

soziale Praxis: Gender is the repeated sytylization of the body, a set of repeated acts within a highly

rigid regulatory frame that congeal over time to produce the appearance of a substance, of a natural

sort of being(…) The body is a (…) set of boundaries, individually and social politically signified and

maintained.133 Nach Butler wird die Geschlechterzugehörigkeit durch die Stilisierung des Körpers

instituiert und ist als Modus von Körperarbeit zu verstehen. Diese erzeugten die Illusion eines bestän-

digen, geschlechtlich bestimmten Selbst 134. Die Akte, Gesten und Begehren erzeugen den Effekt eines

inneren Kerns; doch erzeugen sie ihn auf der Oberfläche des Körpers.135 Hier existierten sie als einge-

schriebene Phantasien. Den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liege keine geschlechtlich

bestimmte Identität (gender identity) zugrunde. Vielmehr wird diese Identität gerade performativ

durch diese ‚Äußerungen’ konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind.136 Die Geschlechterzugehörig-

keit sei in ihrer sozialen Zeitlichkeit eine performative Leistung, die im Modus des Glaubens 137 be-

ständig aufrecht erhalten werde. Ähnlich wie andere rituelle gesellschaftliche Inszenierungen erfordert

das Drama der Geschlechtsidentität eine wiederholte Darbietung. Diese Wiederholung ist eine Re-

Inszenierung und ein Wieder-Erleben eines bereits gesellschaftlich etablierten Bedeutungskomple-

xes.138 Dadurch, dass Geschlechteridentität keine scheinbar nahtlose Identität sei, könnten Möglich-

keiten von Geschlechterveränderungen aufgefunden werden. Sie ließen sich in der arbiträren Bezie-

hung zwischen diesen Akten, in der Möglichkeit anderer Arten des Wiederholens, im Durchbrechen

oder in der subversiven Wiederholung dieses Stils verorten.139 Als Konzept der Irritation von Ge-

schlechtergrenzen hat Butler die Geschlechterparodie (gender parody) ins Spiel gebracht. Wenn Ge-

schlecht als performativ inszenierte Bedeutung 140 begriffen werden könne, sei es auch möglich, dass

sie eine parodistische Vervielfältigung und ein subversives Spiel der kulturell erzeugten Bedeutungen

der Geschlechtsidentität (gendered meaning) hervorrufen kann.141 Diese fortwährende Verschiebung,

so Butler weiter, rufe eine fließende Ungewissheit der Identitäten hervor, die ein Gefühl der Offenheit

132 Ebd. S.29 133 Butler (1991). S.33. 134 Butler (2002). S.302. 135 Butler (1991). S.200. 136 Ebd. S.49. 137 Butler (2002). Ebd. 138 Butler (1991). S.206. 139 Butler (2002). Ebd. 140 Ebd. 141 Ebd.

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für deren Re-Signifizierung und Re-Kontextualisierung vermittelt. Die parodistische Vervielfältigung

der Identitäten nimmt der hegemonialen Kultur und ihren Kritiken den Anspruch auf naturalisierte

oder wesenhafte geschlechtlich bestimmte Identitäten.142 Körper sind in dieser Lesart als symbolische

Repräsentationssysteme zu verstehen, in denen Körperkonstitution und Geschlechtsidentität dyna-

misch und untrennbar miteinander verbunden sind. Jeder Körper wird als Geschlechtskörper wahrge-

nommen und in das binäre Ordnungssystem der Heterosexualität eingeordnet. Die Imaginationen des

Männlichen und des komplementär gedachten Weiblichen strukturieren das Feld kultureller Sinnsys-

teme und symbolischer Machtdiskurse und gehen über bloße Frauen- und Männerbilder hinaus. In der

heteronormativen christlich-abendländischen Kultur wird dem biologischen Geschlecht (sex) eine

kulturelle Geschlechtsidentität (gender) zugeordnet, die in der europäischen Moderne durch eine bipo-

lare Geschlechtercharakteristik fixiert ist. Das männliche und das weibliche Prinzip generieren kom-

plementäre Geschlechteridentitäten und konstituieren die heteronormative symbolische Ordnung. Das

Klassifikationssystem strukturiert soziale Phänomene und Handlungen und lässt diese als männlich

oder weiblich erscheinen und eine Ab-/Aufwertung erfahren.

3.3 Gender und Nation

Geschlecht und Nation werden in der vorliegenden Arbeit als kulturelle, historisch variante

Konstrukte verstanden, die an andere Diskursfelder anschließen. Sie gelten in der Forschung als wirk-

same Lieferanten individueller und kollektiver Applikationsvorlagen.143 Beiden Konzepten kommt

eine identitäts- und alteritätstheoretische Grundorientierung zu und aufgrund ihres historischen Entste-

hungszusammenhanges sie sind epistemisch miteinander verwandt.144 Beide Diskurssysteme zeichnen

sich durch gegenseitige Kodifizierungen aus.145 Im Zuge des cultural turn 146 hat die Forschung ein

konstruktivistisches Verständnis von Nationen und nationaler Gemeinschaft etabliert 147, die seitdem

als imagined communities 148 oder gedachte Ordnung149 thematisch werden. Den nationalkulturellen

142 Ebd. S.203. 143 Link (1995). S.65; Loster-Schneider (2003). S.13f. 144 Ebd. 145 Bloom (2000). S.3; Wenk (2000). S.66 sowie Wenk (2005). S.81. 146 Janich/Hartmann 1998. 147 Anderson 1988; Gellner 1990; Hobsbawn 1991; Smith 1991. 148 Anderson 1988.

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Selbstbildern wird eine langlebige Wirkmächtigkeit im Rahmen kollektiver Mentalitäten zuge-

schrieben.150 Sie bauen auf erfundene Traditionen und schöpfen aus einem Reservoir kultureller Prak-

tiken, Symbole und Mythen, die um ethische und emotional besetzte Kerne 151 des nationalen Selbst

kreisen. Die gendersensible Nationalismusforschung unterscheidet in ihren Untersuchungen zwischen

Staat und Nation: Während sich der Staat auf die Sphäre von Regierung und Verwaltung bezieht, be-

schreibt die Nation eine kulturelle, durch das Bewusstsein der Zugehörigkeit konstituierte Einheit, die

sich aus gemeinsamer Abstammung, gemeinsamer Sprache und gemeinsamer Geschichte herleitet,

sich durch Riten, Gebräuche und Traditionen reproduziert und über einen meist mythisch verklärten

Ursprung legitimiert.152 Mit dieser analytischen und empirischen Trennung ist es möglich geworden,

die Verschränkung kultureller und sexueller Differenz, die spätestens seit Beginn der Neuzeit ein für

viele Kulturen ganz zentrales Denkmuster ist 153 als Aspekt der Nationsbildung zu untersuchen. Und

die gemeinsame Epistemik und wechselseitige Beziehung von Geschlecht und Nation sichtbar zu ma-

chen.

Seit dem 19.Jahrhundert entwerfen sich europäische Nationen im Bild eines idealisierten

weiblichen Körpers. Frauen tragen die Last der Darstellung 154, da sie einzeln und als Gruppe zu sym-

bolischen Trägerinnen der Gemeinschaft gemacht werden. Sie verkörpern den authentischen Körper

der nationalen Tradition 155, denn in der weiblichen Allegorie sind Herkunft und Zukunft der Nation

aufgehoben.156 Als Kernstück der interdiskursiven Konstruktion von Geschlecht und Nation gilt die

Naturalisierung der Frau in der Rollenzuschreibung als Gebärerin und um die Zukunft der Familie

besorgten Hausfrau und Mutter. Unterstellt wurde die angebliche Biopolarität des männlichen und

weiblichen Geschlechtscharakters 157, wobei die Biodizee 158 der Frau ihren Ausschluss aus der öffent-

lichen Sphäre und ihren Einschluss ins Private legitimierte.159 Woman, ‘das Ewigweibliche’ (‘The

eternal feminine’), in conformity with racialized aesthetic ideals became the symbol of that which was

immortal and unchanging in the nation.(…) It is precisley women’s exclusion from political life that

149 Lepsius (1982). S.12-27. 150 Loster-Schneider (2003). S.9. 151 Ebd., S.12 152 Blättler (2000). S.112. 153 Uerlings (2001). S.25. 154 Kubena 1990; Koonz (1986). S.196. 155 McClintock (1996). S.261. 156 Wenk (2005). S.80. 157 Frevert 1995. 158 Becker (2005). S.298f. 159 Wenk (2002). S.230.

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rendered their images fit to represent the high cause of the nation for which men were willing to kill

and be killed.160 Frauen sollten Generativität und kulturelle Reproduktion absichern und wurden zu

Grenzposten der Moral und nationalen Ehre: woman acquired a national symbolizing role the guardi-

an of the nation’s morality, of its traditional values, of what was transcendental and immutable in the

nation.161

Neben der Imagination in weiblichen Allegorien prozessieren nationale Gemeinschaften die

Zugehörigkeit ihrer Mitglieder oder den Ausschluss von Fremden über Körperbilder. Dabei geht es um

den physischen, legistischen und mentalen Ein- und Ausschluss. Von allem Anfang an beinhaltet das

Konzept Nation den Aspekt der Ausgrenzung und tendenziellen Entwertung all jener, die nicht als

StaatsbürgerInnen definiert sind.162 Die Identifikation der eigenen Gruppe wird dabei oft über familia-

le Deutungsmuster der patriarchally and hierarchically organized folk family 163 hergestellt. Im Unter-

schied dazu ist der reale oder imaginierte Kontakt mit den Fremden, den anderen vorzugsweise sexu-

ell kodiert. Deren Ausgrenzung operiert traditionell mit den Zuschreibungen von (genitaler) Sexualität

und (analem) Schmutz. Hygiene, Reinlichkeit, körperliche Affekt- und Bedürfniskontrolle gehören zu

den Grundpfeilern der Selbstpräsentation europäischer, bürgerlicher, weißer Klassengesellschaften seit

dem 19.Jahrhundert. Entlang der Linien von Sauberkeit und Sexualität wurden Fremde und Feinde

außerhalb der nationalen Grenzen ebenso charakterisiert wie die Kolonisierten an der Peripherie der

Metropolen und diejenigen, welche die Ordnung der Gesellschaft von innen her zu bedrohen schie-

nen.164 Sexuelle Dämonisierungen existieren nicht nur in Verbindung mit schwarzer Haut, wie die

Postcolonial Studies 165 aufgezeigt haben. Sondern in fast allen rassischen Bildern vom anderen, wie

Christina von Braun166 und Sander L. Gilman167 für das Jüdische und Edward Said168 für den Orienta-

lismus herausgearbeitet haben. In den kulturevolutionären bzw. -rassistischen Vorstellungen des

19.Jahrhunderts ist die Körperlichkeit des anderen auf dessen Sexualität reduziert.

160 Pierson (2000). S.43; Wenk (1996). S.103-127; Hoffmann-Curtius 1991; Landes 1988; Mosse (1978). S.21-32. 161 Mosse 1985. 162 Appelt (1999). S.164 f. 163 Pierson (2000). S.46. 164 Planert (2000). S.23f. 165 Fanon 1985; Bhabha 1990; Ders. 1994. 166 von Braun 1992. 167 Gilman 1991; Ders. 1992. 168 Said 1978/81.

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Zu Beginn des 19.Jahrhunderts setzten sich in Deutschland nationalisierte Geschlechterkon-

struktionen in der Einheit aus komplementärer wehrhafter Männlichkeit und keuscher, sittenreiner

Weiblichkeit durch. In Prussia, as military service was the key to the possibility of full state citizenship

and to the promise of more civil rights, women were excluded from the politcal arena of the state. But

they were not excluded from the national embrance. The emerging nation may have been militarized

and masculinized, but it was also ‘familialized’, construed as ‘partriarchally and hierarchially orga-

nized folk family’. Within that family, women, embodying the canon of female virtues, found their

properly subordinate and dichotomous place as defined by the new bourgeois gender order.169 Durch

die komplementäre Verbindung von Öffentlichkeit (Staat/Nation) und Privatem (Kultur/Nation) unter-

lagen weibliche Tätigkeitsbereiche wie Erziehung, Wohltätigkeit und Fürsorge seit Mitte des 19. Jahr-

hunderts einem kontinuierlichen Politisierungsprozess.170 Die Diskurse um den Geschlechtscharakter

der Frau enthielten Entwürfe weiblicher Lebensführung, Sittlichkeit und Moral, die Verhaltensanfor-

derungen für Frauen weitaus stärker auf ihre Sexualität bezogen. Die moralischen Grenzlinien für das

weibliche Geschlecht markierten die Bedingungen seiner Zugehörigkeit zur Nation. Männlichem

Schutz stand weibliche Ehre gegenüber.171 Ende des 19.Jahrhunderts wurde die Steigerung der Gebur-

tenrate als Faktor im Überlebenskampf der europäischen Nationen entdeckt und Mutterschaft zuneh-

mend politisiert. Die Gebärfähigkeit und Mutterschaftsleistung fortan durch ein aufwändiges bevölke-

rungspolitisches, etatistisches und pronatalistisches Instrumentarium zu regulieren versucht.172

Kapitel 4 | Geschlecht und Nation in der DDR

4.1 Nationale Selbstdarstellung in Herrschaftsdiskursen der DDR

4.1.1 Gründungsmythos Antifaschismus

Mit der deutschen Teilung 1949 begann die Herausbildung zweier deutscher Mentalitäten,

deren Entwicklung an amerikanischen und sowjetischen Vorbildern orientierte und deren Selbstbilder

vor dem Hintergrund des Kalten Krieges als dichotome, aufeinander bezogene, Struktursysteme ange-

169 Pierson (2000). S.46. 170 Planert (2000). S.25f. 171 Ebd. S.26f. 172 Herzog 2005; Hahn 2000; Usborne 1994; Bergmann 1992.

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legt waren. Schuld an der Spaltung der Nation, so hieß es in der SBZ/DDR, trügen die imperialisti-

schen Westmächte und ihre Helfershelfer in Westdeutschland“173. Damit wurde die Gründung der

DDR als die Schaffung einer Bastion des Friedens und des Kampfes für die nationale Wiedergeburt

und als Akt der nationalen Selbsthilfe des deutschen Volkes 174 legitimiert. Für das politische Selbst-

bild war die Herausbildung einer eigenen Erinnerungskultur von besonderer Bedeutung.175 Der Neu-

beginn in der SBZ/DDR wurde vom antifaschistischen Gründungsmythos getragen, der die Kriegsnie-

derlage als Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus durch die Rote Armee unter Mithil-

fe des deutschen kommunistischen Widerstandes deutete. Neben der Errichtung einer antifaschistisch-

demokratischen Ordnung (ADO) spielte die Betonung der antikapitalistischen Grundlagen der staatli-

chen Neugründung für die Identitätsbildung als sozialistischer Staat deutscher Nation 176 eine zentrale

Rolle. In ihrer sozialistisch definierten nationalen Identität knüpfte die DDR an Imaginationen des

Deutschen an: Die offizielle Rhetorik bediente sich einerseits der Kategorie des Volkes und anderer-

seits verstand sich die DDR als Hüterin der deutschen Kultur und verwandte antimodernistische, zivi-

lisations- und kulturkritische Abgrenzungsmotive.177

4.1.2 Arbeiter- und Bauernstaat und das DDR-Staatsvolk

Im Grundsatzdokument zum planmäßigen Aufbau des Sozialismus von 1952 hieß es: Dieser

Staat der Werktätigen hat zwei Klassen zur Grundlage: die Arbeiterklasse und die Klasse der werktä-

tigen Bauernschaft. Außerdem gibt es bei uns die der Arbeiterklasse nahestehende Schicht der Intelli-

genz.178 1956 begann die DDR mit der Wiederbewaffnung. Bereits 1952 war die Schaffung bewaffne-

ter Streitkräfte zur Verteidigung der Heimat gegen die äußeren Feinde 179 angekündigt worden. Die

DDR verstand sich als einziger deutscher Friedensstaat 180, als Bastion des Friedens und des Kampfes

für die nationale Wiedergeburt.181 Im Januar 1967 konkretisierte Walter Ulbricht in einer Rede vor der

173 Zit. nach Kreusel (1971). S.38. 174 Zit. nach Ebd. S.55. 175 Fulbrook 1999; Assmann/Frevert 1999; Herf 2002. 176 Zit. nach Weidinger (2002). S.84. 177 Bialas (2002). S.9f. 178 Zit. nach Judt (1998). S.53. 179 Ebd. 180 Zit. nach Kreusel (1971). S.43. 181 Zit. nach Ebd. S.55.

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Volkskammer den Unterschied: Heute besteht die deutsche Nation im wesentlichen aus den deutschen

Staatsvölkern zweier voneinander unabhängiger deutscher Staaten, der sozialistischen Deutschen

Demokratischen Republik und der imperialistischen und militaristischen westdeutschen Bundesrepub-

lik 182. 1968 gab Artikel 1 der neuen Verfassung bekannt: Die Deutsche Demokratische Republik ist

ein sozialistischer Staat deutscher Nation 183 1970 sprach Ulbricht von einem Prozeß der Herausbil-

dung einer sozialistischen Nation 184 in der DDR und 1974 wurde die Präambel der DDR-Verfassung

den Verhältnissen angepasst: Die Verantwortung für die deutsche Nation wurde nun durch die Ver-

antwortung für die Sozialistische Staatengemeinschaft, treu den Prinzipien des sozialistischen Interna-

tionalismus 185 ersetzt. Seit den 1980er Jahren versuchte die Partei- und Staatsführung mit dem Kon-

zept eines Sozialismus in den Farben der DDR das Deutsche als nationale Habitusform des Sozialis-

mus 186 durch kulturelle Traditionspflege zu integrieren.

4.1.3 Die DDR als Kulturnation und Traditionshüterin

Neben der Sozialismus- und Friedenspropaganda grenzte sich die DDR durch den Gebrauch

zivilisations- und kulturkritischer Motive von der Bundesrepublik ab. Ministerpräsident Otto Grote-

wohl sprach sich 1950 vehement gegen eine kulturelle Westernisierung, gegen den Kulturverrat in

Westdeutschland aus, der das nationale Bewusstsein und die nationale Widerstandkraft gegen eine

Kolonisierung und Überfremdung (...) von innen her zu untergraben drohte und machte deutlich: Des-

halb unsere entschiedene Abwehr gegen den Amerikanismus und seine hervorstechendste Ideologie,

den Kosmopolitismus.187 Anfang der 1960er Jahre vermischte sich das Konzept der Nationalkultur mit

dem Leitbild einer Volkskultur. Im Gefolge der Kulturrevolution wurde deutsch durch sozialistisch

ersetzt. In der DDR bilde sich, so hieß es, auf der Grundlage der geschichtlich überlieferten, eine neue

humanistische, eine sozialistische deutsche Kultur heraus, die sich der Pflege der demokratischen,

humanistischen, friedlichen und sozialistischen Traditionen 188 des deutschen Volkes verschrieben

182 Zit. nach Weidinger (2002). S.84. 183 Zit. nach Motschmann (1979). S.250. 184 Zit. nach Naumann/Trümpler (1991). S.71. 185 Zit. nach Motschmann (1979). S.255. 186 Bialas (2002). S.11. 187 Zit. nach Judt (1998). S.334. 188 Zit. nach Kreusel (1971). S.39.

Page 28: Gender, Körper und Nation in DEFA Filmen der 1950er und 60er Jahre (2006)

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hatte. Diese Kultur wurde als frei von den antihumanistischen Einflüssen des deutschen Militarismus,

des Klerikalismus und der Unkultur des amerikanischen Imperialismus 189 charakterisiert. Mit Hilfe

einer gezielten sozialistischen Traditionspflege sollte die Überwindung bürgerlicher Bewusstseinsgeh-

alte und die Ausprägung eines neuen kulturellen Gedächtnisses vorangetrieben werden: Die sozialisti-

sche Traditionspflege ist Teil des vor sich gehenden erbitterten ideologischen Klassenkampfes und

muß ihrem Wesen nach stets auf die Überwindung der bürgerlichen Ideologie und Moral gerichtet

sein.190 Dieser Prozess der sozialistischen Nationswerdung wurde auch als Nation im sozialen Typen-

wandel 191 bezeichnet. Nach dem Mauerbau 1961 wurden die Gegensätze der Systeme immer stärker

hervorgehoben. Beide deutsche Staaten verkörperten, so hieß es im Nationalen Programm von 1962

ein grundsätzlich anderes Deutschland, grundsätzlich verschiedene deutsche Traditionen.192 1967

verkündete Walter Ulbricht die Existenz von zwei Staatsvölkern, deren Kulturen einander unversöhn-

lich gegenüber stünden. Mit der entwickelten sozialistischen Gesellschaft schaffen wir systematisch

und planmäßig die unserer Ordnung gemäße sozialistische Kultur, die frei sein muß von allen Einflüs-

sen imperialistischer Ideologie und Unkultur. Jene geistlosen und dekadenten Produkte der Unterhal-

tungskunst, wie sie zur Verdummung und Manipulierung der Menschen von den die kulturellen Berei-

che beherrschenden Monopolen in Westdeutschland produziert werden, sind mit der sozialistischen

Kultur ebenso unvereinbar wie die philosophischen oder ästhetischen Auffassungen der spätbürgerli-

chen Kultur.193 1980 sprach Kurt Hager dann von einer eigenständigen sozialistischen Nationalkultur

der DDR, die er als Teil der sich entwickelnden sozialistischen Weltkultur 194 verstanden wissen woll-

te.

4.2 Sozialistische Persönlichkeitstheorie und Geschlechterkonstruktionen

4.2.1 Persönlichkeitstheorie in der DDR und die Grundsätze der sozialistischen Ethik und Moral

189 Zit. nach Ebd. S.43. 190 Zit. nach Ebd. S.117. 191 Zit. nach Ebd. S.97. 192 Zit. nach Ebd. S.39. 193 Zit. nach Judt (1998). S.334-335. 194 Zit. nach Ebd. S.335.

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Der Entwicklung der DDR zu einem sozialistischen Staat korrespondierte die Idee einer kon-

fliktfreien Gesellschaft, die in der Terminologie der politisch-moralischen Einheit des Volkes 195 postu-

liert wurde. Zentrales Anliegen war der Neuentwurf der Vergemeinschaftung: Es galt bewusst jene

Züge der Persönlichkeit zu entwickeln, die durch die sozialistischen Ideale vom Menschen und von

den menschlichen Beziehungen bestimmt werden, und jene zu überwinden, die diesen Idealen wider-

sprechen.196 In der DDR wurde die persönlichkeitstheoretische Konzeption der sogenannten sozialis-

tischen Persönlichkeit 197 als ideologisches Leitbild entworfen. Diese verstand man als koevolutionä-

res Produkt historischer Gesetzmäßigkeiten, das planmäßig mit dem Aufbau des Sozialismus Gestalt

annehmen sollte. Der sozialistische Idealcharakter war insbesondere durch Erziehung hervorzubrin-

gen, wobei das (Arbeits-)Kollektiv, neben Familie, Schule und sozialer Mikrogruppe als die Basis für

diesen Erziehungsprozess angesehen wurde, denn es stellt die Grundlage des gesellschaftlichen Le-

bens, aller gesellschaftlichen Verhältnisse dar, die sich in der Gesellschaft entwickeln.198 Das Kollek-

tiv galt als entscheidendes Verbindungsglied zwischen Individuum und Gesellschaft, (es) ist das wich-

tigste Element bei der Herausbildung der Persönlichkei“.199 Der Neue Mensch im Sozialismus war

als ein ganzheitlicher, allseitig entwickelter, vor allem gebildeter, erzogener und geschulter, partizipa-

tiver Typus konzipiert 200: Die sozialistische Persönlichkeit ist ein gesellschaftlich aktiver Mensch, der

bewusst seine persönliche Beziehungen zur Gruppe, zum Kollektiv und zur Gesellschaft als Ganzes

gestaltet und auf die gesellschaftliche Entwicklung einwirkt.201 Unter sozialistischen Eigentums-,

Macht- und Arbeitsverhältnissen sollte dieser Idealtypus den Beweis für die Entstehung einer völlig

neuartigen Moral und Geschlechterbeziehungen antreten und den Erfolg der marxistischen Soziogene-

se verkörpern. Der theoretischen Grundüberzeugung einer evolutionären Höherentwicklung der gesell-

schaftlichen Verhältnisse, wie sie der historische Materialismus postulierte, korrespondierte die Vor-

stellung der Herausbildung und Entwicklung idealer Eigenschaften einer sozialistischen Persönlich-

keit.202 1958 wurden die normativen Vorstellungen der Erziehung zum Neuen Menschen um die mora-

195 Meuschel (1992). S.164. 196 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie (1969). Zit. nach Müller (1997). S.26. 197 Dengel (2005). S.84f.; Hanke (1976). S.492-515. 198 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie (1969). Zit. nach Müller (1997). Ebd. 199 Ebd. 200 Dengel (2005). S.83. 201 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie (1969). Zit. nach Müller (1997). Ebd. 202 1. Das Streben nach umfassender Allgemeinbildung und ständiger Vervollkommnung des fachlichen Wissens und Könnens 2. die Fähig-

keit zur selbständigen Arbeit und zur praktischen Anwendung neuer Erkenntnisse 3. fester sozialistischer Klassenstandpunkt und aktive Parteinahem für den sozialistischen Staat 4. hohe menschliche Qualitäten und Verhaltensweisen. 5. Typisch für die sozia-

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lisch-imperativen Konnotationen in Form von zehn säkularen Grundsätze(n) der sozialistischen Moral

und Ethik 203 ergänzt, die eine stalinistische Ableitung der leninistischen Moralvorstellungen darstel-

len. Dieser, im Dienste der nationalen Wiedergeburt Deutschlands 204 von Staatschef Walter Ulbricht

vorgetragene profane Katechismus sprach auch die körperliche Affektkontrolle an: Das moralische

Gesicht des neuen Menschen, der sich in diesem edlen Kampf um den Sieg des Sozialismus entwickelt,

wird bestimmt durch die Einhaltung grundlegender Moralgesetze: 7. Du sollst stets nach Verbesse-

rung Deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festigen. 8. Du

sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfes-

ten und körperlich gestählten Menschen erziehen. 9. Du sollst sauber und anständig leben und Deine

Familie achten.205 Ein sittliches Handeln außerhalb der sozialistischen Moralnormen war nicht denk-

bar: Nur der handelt sittlich und wahrhaft menschlich, der sich aktiv für den Sieg des Sozialismus

einsetzt 206, hieß es pathetisch.

Eine neue sozialistische Moral, die nicht nur Askese, sondern Lebensfreude, Lebenskraft auch

durch erfülltes Liebesleben 207 bedeutete, sollte zur Grundlage der Geschlechterbeziehungen, insbe-

sondere in Ehe und Familie, werden. Größere sexuelle Freizügigkeit und die Forderung (der Frau)

nach Freiheit der Liebe 208 standen allerdings nicht auf dem Programm. Stattdessen galt die proletari-

schen Zivilehe mit Liebe 209 als kommunistische Idealvorstellung und bedeutete keineswegs die Auf-

hebung des Ernst in der Liebe, die Befreiung vom Kinderkriegen oder die Freiheit des Ehebruches.210

Die Liste der sozialistischen Tugenden und Wertorientierungen entlehnte nicht nur Rhetorik und Tra-

ditionselemente der kommunistischen Arbeiterbewegung, sondern orientierte auch auf konservative,

traditionelle nationale deutsche Moral- und Wertvorstellungen. Insgesamt präsentierte sich auch das

offizielle Leitbild der DDR durch die Anknüpfung und Verwertung preußisch-lutherischer Traditio-

nen, die herausragende Bedeutung des Faktor Geschichte für die Legitimierung des politischen Sys-

listische Persönlichkeit sind deshalb die Denk- und Verhaltensweisen, mit denen der einzelne seine individuelle Tätigkeit bewusst in den Zusammenhang gesellschaftlicher Erfordernisse des Sozialismus als Gesamtsystem stellt. Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie (1969). Zit. nach Müller (1997). Ebd.

203 Dengel (2005). S.92. 204 Ulbricht 11.07.1958. S.3-11. 205 Zit. nach Dengel (2005). Ebd. 206 Ebd. 207 Zit. nach Schubert (1980). S.25. 208 Zit. nach Ebd. S.29. 209 Zit. nach Ebd. 210 Zit. nach Ebd.

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tems und die konstante Bezugnahme auf die Bundesrepublik als Referenzgesellschaft mit genuin deut-

schen Zügen.211

Der Entwurf einer sozialistischen Moral und Ethik gegen Ende der 1950er Jahre lieferte weite-

re Grundlagen zur Ausgrenzung, sozialen Diskriminierung und politischen Verfolgung anderer. Hier

wird ein Motiv evident, dass bis dato noch wenig systematisch erforscht wurde: Mit der Sozialpäda-

gogik des Neuen Menschen geht sehr häufig ein Anspruch auf dessen körperliche, moralische und

ideologische Reinheit einher.212 Dieser Anspruch wird in den dauerhaft wiederkehrenden rituellen

Säuberungen des sozialistischen Kollektivkörpers durch die Diskriminierung und den Ausschluss von

Andersdenkenden, -lebenden, -glaubenden, -liebenden sowie die kulturkritische und antimodernisti-

sche Propaganda gegen westliche Einflüsse zur Legitimation der monokulturellen Ausrichtung des

Systems sichtbar.

4.2.2 Die Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit in der DDR - Homo curativus und Homo faber

Die persönlichkeits- und kulturtheoretischen Diskurse in der DDR waren nur scheinbar ge-

schlechtsneutral, denn der männliche Proletarier wurde als gesellschaftliche Norm gesetzt. Zum ideo-

logischen Überbau des sozialistischen Gesellschaftssystems gehörte die sozialistische Frauenemanzi-

pationstheorie mit ihrer Forderung der Gleichberechtigung der Geschlechter, die neben der ökonomi-

schen Unabhängigkeit der Frau auch ihre Stellung in Ehe und Familie neu definierte. Trotz 40-jähriger

Proklamation verhinderte der Androzentrismus der marxistisch-leninistischen Kulturkonzeption je-

doch einen tatsächlichen Paradigmenwechsel in der Geschlechterpolitik. In der DDR-Öffentlichkeit

wurde Geschlechtergleichberechtigung primär als ökonomische Gleichstellungspolitik, als das gleiche

Recht auf Arbeit 213 popularisiert und umgesetzt. Dem politisch gesteuerten Integrationsprozess von

Frauen in traditionell männliche Berufssphären in den 1950er und 60er Jahren korrespondierte eine

wettbewerbsorientierte Anpassungsleitung an das männliche, proletarische (Arbeits)Ideal: Frauen

standen ihren Mann im Produktionsprozess.214

211 Dengel (2005). S.84. 212 Zum Motiv der Reinheit in sozialistischen Kulturzusammenhängen Ölke (2005). S.205-221. 213 Hauser (1994). S.18. 214 Merkel (1990). S. 359-382; Budde (2000).S.603-628.

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Zwischen 1950 und 1960 vollzogen Frauen in der DDR den Übergang von der unkontinuierli-

chen Erwerbsarbeit zur lebenslangen, qualifizierten Berufsarbeit.215 Insbesondere diese, moralisch

und materiell vom Staat und von der Gesellschaft unterstütze und akzeptierte, Frauenerwerbstätigkeit

zeitigte nachhaltige Auswirkungen auch auf die Lebensweise und das Selbstverständnis ostdeutscher

Frauen. Im Zuge der formal egalisierenden Geschlechterpolitik des DDR-Sozialismus und ihrer leit-

kulturellen Propagierung der Vereinbarkeit von Frauenerwerbstätigkeit und Mutterschaft wurde lang-

fristig eine gesellschaftliche Norm von Frausein propagiert, die bis in die 1960er Jahre zunächst noch

mit anderen Praxen und Vorstellungen konkurrierte. Neben ihrer Werktätigkeit wurden Frauen dane-

ben in erster Linie als potentielle Mütter, als Gattungsreproduzentinnen betrachtet. Dieser funktionalen

und naturalisierten Betrachtung von Frauen korrespondierte eine, ihre biologischen Nachteile kompen-

sierende, paternalistische Sozialpolitik, die sie formal egalisierte. Die auf diesem Weg hergestellte

Gleichheit, die mit einer temporären geschlechtlichen Entkörperung 216 der Frau im Modus des Iden-

tisch-Machens von Ungleichartigem 217 im öffentlichen Raum verbunden war, galt seit den 1970er

Jahren in der DDR als verwirklicht. Mit der Reduktion der Gleichberechtigungspolitik auf die soziale

Frage wurden kulturell-symbolische Aspekte der Geschlechterasymmetrie in der DDR systematisch

ausgeblendet. Das Leitbild einer maskulinen Leistungsfähigkeit in der Arbeitswelt, intensivierte, so

Cornelia Hauser, traditionelle Weiblichkeitsvorstellungen, die von den Frauen im Privatbereich der

Familie selbsttätig hergestellt wurden: ’Zu Hause’ galt es nicht, ‚keine Frau’ zu sein, sondern immer

bessere Frauen.218 Die Familie blieb das traditionelle Reproduktionsrefugium von hierarchischen Ge-

schlechterdifferenzen und wurde für Frauen zum Ort des Ausgleichs von gesellschaftlicher Ausge-

schlossenheit 219, denn auch in der DDR besetzten nur wenige Frauen Führungspositionen. Die Staats-

und Parteiführung war und blieb ganz traditionell ein Herrenklub.

Mit der Behauptung einer geschlechtsneutralen Kultur und der Neutralität symbolischer Sinn-

systeme sowie der Beschränkung des Kulturbegriffs auf die aktive und produktive Arbeit war Kultur

in der DDR männlich konnotiert. Auch das kommunistische Bewusstsein und die sozialistische Per-

sönlichkeit, vermeintlich neutral konzipiert, wurden mit männlichem Fortschritt und Stärke identifi-

215 Merkel (1994). S.360. 216 Budde (2000). S.619. 217 Dölling (1993). S.34. 218 Hauser (1994). S.17. 219 Ebd.

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ziert. Daneben bewirkte die Trennung der Kulturdimensionen in eine öffentlich-objektive und eine

privat-subjektive, dass weibliche, reproduktive Kulturleistungen lediglich als Ergänzung zur histo-

risch-objektiv gegebenen gedacht wurden.220 Die strukturelle Dichotomie der Geschlechtscharaktere,

von Kultur und Natur bzw. Zivilisation und beherrschbarer Natur, von öffentlich und privat und von

Produktions- und Reproduktionssphären reproduzierte in Verbindung mit dem kulturtheoretischen

Entwicklungs- und Fortschrittsgedanken die Hierarchie des Geschlechterverhältnisses.221 Die Entge-

gensetzung von Natur und Kultur bildete schließlich die Folie, auf der Geschlechterdifferenz als di-

chotomes Charaktersystem interpretiert wurde. Die Konstruktion eines hierarchischen Verhältnisses

von Kultur und Natur ist dabei als Legitimationsprinzip der bürgerlichen Moderne zu lesen, das die

Frau als Natur konstruiert und aus dem männlichen Kulturprinzip ausschließt.

Auch die DDR-sozialistischen Konzeptualisierungen der sexuellen Differenz bescheinigten

der Frau noch im Jahre 1976 eine größere Naturnähe: Die Frau ist introvertierter, lebt mehr in der

Stille, ist ‚pflanzlich’ (dies kommt während der Schwangerschaft am besten zum Ausdruck), aufneh-

mend, bergend, bewahrend, mitfühlend, fürsorgend (Homo curativus), gegenwartsverhaftet, mehr in

der Nahwelt.222 Sehr deutlich schreibt hier die sexualwissenschaftliche Wissensproduktion psychologi-

scher Sexualdifferenzen die Naturalisierung von Frauen aufgrund ihrer Gebärfähigkeit und potentiellen

Mutterschaft fort.223 Auch die tradierte bürgerliche Geschlechtercharakterologie der Frau wird repro-

duziert, wenn es heißt die Frau sei passiver, furchtsamer, zeige den geringeren sozialen Auftrieb, ist

ästhetisch sensitiv, konkret. Ihre Interessen sind mehr auf das Personale ausgerichtet. Sie liebt ihren

Partner mehr ganzheitlich (stärkere Erotik), hat das größere Hingabevermögen. Emotionell ist sie

stärker als der Mann an Erlebnisse gebunden, gemütsmäßig dem Glück der Familie verhaftet.224 Die

Biologisierung des Frauenkörpers gehörte in der Deklaration einer natürlichen Zuständigkeit der Frau-

en für den Frieden und den Erhalt des Lebens in der DDR zur gängigen Rede.225 Eine interessante

Lesart schlägt Christine Eifler vor, die darauf aufmerksam macht, dass die biologische Reproduktion

in der DDR als eine Art eigener Schöpfung angesehen wurde und das generative Projekt als Garantie

220 Sauer (1992). S.127f. 221 Ebd. S.117. 222 Hesse (1976). S.43f. 223 Sauer (1992). S.128. 224 Hesse (1976). Ebd. 225 Kommuniqué „Die Frauen - der Frieden und der Sozialismus“ (1961/62); Kreutzer (1999). S.23-37.

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für die Weitergabe revolutionärer Ideen galt.226 Die funktionalen Weiblichkeitskonstruktionen in der

DDR fänden sich, so Eifler, als komplementäre Entsprechungen des sozialistischen Soldaten.227 Aus

dem männlichen Schutzpotential wurde die normative Regelung der Geschlechterordnung abgeleitet,

die Frauen als Mütter und selbstlose Kameradinnen definierte und primär durch ihre Tätigkeit in der

Familie aufwertete. Diese normativen Vorstellungen bewirkten, so Eifler, dass sämtliche Bedrohun-

gen, ob nun durch unmoralisches oder abweichendes Verhalten oder aggressive Kriegspolitik, eine

elementare Gefährdung von Weiblichkeit und damit der Geschlechterordnung darstellten.228 Die Di-

chotomie von männlicher Unverletzbarkeit und weiblicher Verletzbarkeit 229 konstituierte dabei einen

geschlechterideologischen Rahmen, in dem das Geschlechterverhältnis hierarchisiert wurde.

Kapitel 5 | 1950er Jahre: Gender und Körper in Interferenzdiskursen um Vergangenheit,

Wiedergeburt und Zukunft der Nation in der Gründungs- und Aufbauphase der

DDR

5.1 Der DEFA-Spielfilm Frauenschicksale (1952)

Der DEFA-Spielfilm Frauenschicksale 230 entstand 1952 nach einem Drehbuch und in der

Regie des gebürtigen Bulgaren Slatan Dudow. Von der DEFA wurde Frauenschicksale als der erste

Frauenfilm unserer Zeit, der sich mit der neuen Einstellung unserer Frauen zum gesellschaftlichen

Leben und zum persönlichen Glück grundsätzlich beschäftigt 231 beworben. Aufgrund seiner propa-

gandistischen Anleihen geriet der Film als Aushängeschild eines, kultur- und kunstpolitisch im Fahr-

wasser des Aufbau der Grundlagen des Sozialismus 232 und der sogenannten Formalismusdebatte 233

226 Eifler (2005). S.217. 227 Ebd. S.213f.; Eifler (1999). S.180-188. 228 Ebd. S.218. 229 Ebd. S.220. 230 Frauenschicksale (1952) Regie: Slatan Dudow. Drehbuch: Slatan Dudow, Ursula Rumin, Gerhard Bengsch. Kamera: Robert Baberske.

Musik: Hanns Eisler. Darsteller: Sonja Sutter (Renate Ludwig), Lotte Loebinger (Hertha Scholz), Anneliese Book (Barbara Berg), Susanne Düllmann (Anni Neumann), Ursula Burg (Isa von Trautwald), Gertrud Meyen (Betty Vogt), Hanns Groth (Conny Lohmüller) u.a. 105 min. Premiere 13.06.1952.

231 Vorankündigung zu Frauenschicksale. Strauss (1996). S.44 Anm.4. 232 Werkentin 2002. 233 Die Formalismusdebatte (1948-1953) war zunächst ein kunstpolitischer Diskurs der SED um die formalästhetische und inhaltliche Aus-

richtung und Parteilichkeit der Kunst in der SBZ/DDR. Danach hatte der Inhalt der Kunst parteilich mit festem Klassenstandpunkt und die Form realistisch zu sein. Künstlerische Abstraktion wurde als bürgerlich-dekadent und formalistisch abgetan. Die Debatte knüpfte an den 1947/48 von Andrej Schdanow in der Sowjetunion geführten Kampf gegen den Formalismus. Formalismus und Kosmopolitismus gehörten zu den Feindbildern der frühen DDR. Spätestens seit 1951 wurde dieser Diskurs zu einer vehementen Kritikerbewegung, die alle Abweichungen vom Kanon realistischer Kunst in der DDR verurteilte und 1954 in der Gründung des

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geforderten neuen sozialistischen Realismus 234 und wurde als Exportartikel ins nicht-sozialistische

Ausland gehandelt.235 Die DDR-Presse schätze den Film als Kunstwerk ein, das zu neuen Taten unse-

res friedlichen Aufbaus beflügelt 236 und das seine wichtige Funktion als ein bedeutendes Instrument

der politischen Erziehung 237 erfüllte.

Wirkungsästhetisch scheint der DEFA-Spielfilm Frauenschicksale die Realismusprobe be-

standen zu haben: Er wurde für den Realitätssinn seines Regisseurs gelobt, der in der prägnanten

Schilderung eines Schicksals und in der Treue des Details den Film in seinen besten Teilen zu einem

Zeitdokument qualifiziere.238 Gleichzeitig gab es eine breite öffentliche Kontroverse, denn kein ande-

rer DEFA-Film hatte bis dato die Widersprüche zwischen parteipolitischen Zielvorgaben, kulturpoliti-

schem Auftrag, gelebter Wirklichkeit und künstlerischer Reflexion so offenbart wie dieser.239

5.1.1 Filmhandlung

Die Filmhandlung beginnt mit dem Ende der Affäre zwischen der Jurastudentin Barbara Berg

(Anneliese Book) und Conny Lohmüller (Hanns Groth), einem Frauenhelden, der seine bürgerliche

Lebensfassade mit Schwarzmarktgeschäften aufrecht erhält. Lohmüller, als negativer Held satirisch

überzeichnet, agiert nach dem Motto Man lebt ja nur einmal! und stürzt sich mit oberflächlichem

Charme von einem Abenteuer ins nächste. Im Laufe des Films wird seine zwielichtige Identität als

Schwarzmarkthändler mit einem lockeren Lebenswandel verknüpft und dieser zunehmend als gewis-

senlose Partizipation an den Nachkriegssehnsüchten von Frauen geschildert.

Ministeriums für Kultur gipfelte. Die Formalismusdebatte endete 1956/57 mit Schauprozessen gegen SED-Funktionäre aus Berli-ner Kultureinrichtungen. Judt (1998). S.297f.

234 In der 1950 erlassenen Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes hieß es: Die neue deutsche fortschrittliche deutsche Kultur ist getragen von einem kämpferischen Humanismus. Sie beruht auf einer tiefen Volks-verbundenheit und auf der weitergehenden Förderung der schöpferischen Selbsttätigkeit des Volkes. Die Werke der Wissenschaft-ler, Schriftsteller und Künstler müssen die gesellschaftliche Realität widerspiegeln, sie müssen dem Volke verständlich sein und seine friedliche Aufbaumoral festigen. In ästhetischer Hinsicht galt für die Kunstproduktion: Das Ringen um diese Kultur erfor-dert entschiedene Abwehr all jener kosmopolitischen Tendenzen, mit denen der amerikanische Imperialismus unser nationales Kulturbewusstsein und damit die Widerstandskraft des deutschen Volkes untergraben will (...). Die künstlerischen Methode des sozialistischen Realismus sollte Kunstwerke generieren, die das Wesen der sozialistischen Gesellschaft und den historisch-fortschrittlichen Prozess der Umgestaltung darstellten. Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz. GBl. I, Nr.28, S.185. Zit. nach Schittly (2002). S.42.

235 Werbebroschüre für Frauenschicksale des VEB DEFA Außenhandel. Strauss (1996). S.45 Anm.9. 236 Tribüne vom 14.06.1952. Zit. nach Ebd. Anm.11. 237 Freiheit vom 21.06.1952. Zit. nach Ebd. Anm.12. 238 Herlinghaus (1965). S.36. 239 Wolf (1997). S.97f.

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Abb.3 Conny Lohmüller (Hanns Groth) verkündet Barbara Berg (Anneliese Book) das Ende der Affäre / Abb.4 Tanz-auf- dem-Vulkan-Szene mit Conny Lohmüller im karierten Smoking und Isa von Trautwald (Ursula Burg).

Während sein bürgerlicher Habitus durch Kleidung unterstrichen ist, werden die windigen

Elemente dieser Männlichkeitskonstruktion durch seine Arbeitsmobilität, eine unverbindliche Promis-

kuität, den Hang zum Amüsement und Konsum von Zigaretten und Alkohol bedeutet. Lohmüllers

geschäftliche Mobilität deckt sich mit der Fluktuation seiner Partnerinnen. Die Figur des Conny

Lohmüller ist als moderner Don Juan angelegt und wird als zentrales, die Filmhandlung dominieren-

des und dynamisierendes, Männlichkeitsnarrativ entworfen. Lohmüller verkörpert dabei das Leitmotiv

als indifferente Variante eines heimatlosen, zwischen Ost- und West pendelnden, Opportunisten und

alternden Casanovas. Die destruktiv-morbiden Qualitäten des Männerbildes werden indessen durch

das selbstzerstörerische Verhalten der Frauen (Liebeskummer, Autounfall, Unfalltod des kleinen Bru-

ders) medialisiert: Verführung entfaltet hier wahre Gewalt.240 Die Figur wird im Laufe des Films mit

anderen Männlichkeitsentwürfen, wie dem Juristen Dr. Gebhard (Albert Doerner), dem Lumpenprole-

tarier Karl Neumann (Friedrich Gnaß) und dem Stahlgießer Helmut Kinzel (Paul Pfingst) kontrastiert.

Wobei letzterer das maskulin-heroische Körperideal des Proletariers im Sozialismus verkörpert. Bar-

bara kommt dank der Hilfe ihrer mütterlichen Freundin Hertha Scholz (Lotte Loebinger) schnell über

ihren Kummer hinweg. Als Richterin wird sie jedoch auch später immer wieder mit dem Frauenhelden

Lohmüller und dem Schicksal von Leidensgenossinnen konfrontiert und versucht positiven Einfluss

240 Lessing, J.G.E. (1772): Emilia Galotti. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen (V-7). Zit. nach Bohnen (2000). S.369.

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auf durch ihn zu Fall gekommene Mädchen zu nehmen. Am Ende des Films ist sie mit ihrem Arbeits-

kollegen Dr. Gebhard verheiratet.

Nach der Affäre mit Barbara bändelt Lohmüller kurz mit der West-Berlinerin Betty Voigt

(Gertrud Meyen) an, in deren Modesalon er die blutjunge Schneiderin Anni Neumann (Susanne Düll-

mann) kennenlernt. Dieser Figur wird in der Spielfilmhandlung fortan zentrale Aufmerksamkeit ge-

widmet. Anni verliert, schwanger von Lohmüller, ihre Arbeit im Modeatelier. Und siedelt später mit

ihrem Sohn nach Ost-Berlin über, weil sie dort trotz ihrer ledigen Mutterschaft eine feste Anstellung

findet. Die weitere Handlung schildert Annis beruflichen Aufstieg in einem volkseigenen Textilbetrieb

(VEB) und ihren Reifeprozess vom naiven Mädchen zur verantwortungs- und selbstbewussten Arbei-

terin und glücklichen Mutter. In die Szenen ihres betrieblichen Karriereweges ist auch die Figur der

Hertha Scholz integriert, die als Funktionärin des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB)

über Frauenrechte in der DDR, die Notwendigkeit weiblicher Erwerbsarbeit und sozialpolitische Be-

gleitmaßnahmen für erwerbstätige Mütter aufklärt.

Kurz nachdem Lohmüller Anni wegen ihrer Schwangerschaft sitzen gelassen hat, beginnt er

eine Affäre mit der ebenso jungen, lebenshungrigen Angestelltentochter Renate Ludwig, die er auf

dem Rummelplatz kennenlernt. Doch das Glück ist nur von sehr kurzer Dauer: Als Renate erfährt,

dass Lohmüller mit der todschicken, reichen West-Berlinerin Isa von Trautwald (Ursula Burg) anbän-

delt, will sie ihn mit einem neuen Kleid beeindrucken. Für den Kauf eines besonders eleganten und

teuren Modellkleides im Westen der Stadt stiehlt Renate das mühsam Ersparte ihrer Mutter (Maly

Delschaft) und verursacht unbeabsichtigt den Unfalltod ihren kleinen Bruders. Während Lohmüller

mit Isa von Trautwald in ein dekadentes Partyleben (Nach uns die Sintflut!) abgetaucht ist, wird Rena-

te wegen Totschlags angeklagt und zu zwei Jahren Haft verurteilt. Dank der Fürsprache der Richterin

Barbara Berg darf sie durch produktive Arbeit im Stahl- und Walzwerk ihre Rehabilitierung beschleu-

nigen. Dort qualifiziert sie sich zur Lokführerin und lernt den Stahlgießer Helmut Kinzel (Paul

Pfingst) kennen.

Zum Ende des Films gerät Conny Lohmüller immer mehr in eine soziale Schieflage: Er lässt

sich inzwischen von der Baronin aushalten. Die restaurativen und genussorientierten Lebensentwürfe

der Postkriegsgesellschaft des Westens werden als kulturelle Degenerierung in der propagandistischen

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Bildfindung der Tanz-auf-dem-Vulkan-Szene 241 satirisch überzeichnet. Lohmüller und die Baronin

tanzen hier inmitten einer kostümierten, hysterischen Meute nach amerikanischer Jazzmusik, wobei

die eingeblendeten Bilder von Zigarre rauchenden, Anzüge und Zylinder tragenden Affen den Boogie-

Woogie- Sumpf amerikanischer Affenkultur 242 symbolisieren sollen. Hier vermischen sich antiameri-

kanische Ressentiments dieser Zeit mit Kalter-Kriegs-Propaganda.

Auf die neue Frauengeneration in der DDR, verkörpert durch die junge FDJlerin Ursel Krenz

(Angela Brunner), hat Lohmüller als Männertyp inzwischen jegliche Anziehungskraft verloren. In

seiner letzten Szene zieht er mit einer Prostituierten in West-Berlin von dannen.

Der Film endet mit der Entlassung Renates aus dem Gefängnis: Direkt aus der Zelle wird sie

von ihrem Freund Helmut in die Damenkonfektionsabteilung der staatlichen Handelsorganisation

(HO) geführt, um dort ein schönes Kleid zu kaufen. Das von Renate ausgewählte Modell ist jenem,

wegen dem sie einst zur Diebin und ungewollten Mörderin wurde, zum Verwechseln ähnlich. Es wur-

de von der Leidensgefährtin und jetzigen Aktivistin Anni Neumann im volkseigenen Textilkombinat

gefertigt. Im Gegensatz zu dem einst so teuren Modellkleid aus dem Westen kostet es jedoch nur noch

die Hälfte und ist damit auch für Arbeiterinnen, wie Renate inzwischen eine geworden ist, erschwing-

lich. Mit dem neuen Kleid und Helmut an der Seite reiht sie sich in die Feierlichkeiten der 1. Internati-

onalen Jugendweltfestspiele 1951 in Ost-Berlin ein und staunt ihrer glücklichen Zukunft in der DDR

entgegen.

5.2 Gender im antifaschistischen Gründungsdiskurs der SBZ/DDR

5.2.1 Barbara Berg: Die Frau im Männerberuf und Justitia der neuen Zeit

Am Anfang des Films ist die Jurastudentin Barbara Berg noch dem Herzensbrecher Lohmüller

verfallen und übt sich in Liebeskummer. Sie teilt sich in Ost-Berlin eine Wohnung mit der Sozialfür-

sorgerin Hertha Scholz und deren 6-jähriger Adoptivtochter Christel. Beide Frauen verbindet ihre ge-

meinsame Haftzeit in einem KZ. Aufgrund ihrer politischen Verfolgung im NS engagieren sie sich

aktiv beim Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung in der SBZ/DDR. Hertha Scholz sieht Barbaras

241 Strauss (1996). S.76 f. 242 Ebd. S.77 Anm.140.

Page 39: Gender, Körper und Nation in DEFA Filmen der 1950er und 60er Jahre (2006)

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Zukunft durch den Liebeskummer gefährdet und insistiert: Ich muss dir den Vorwurf machen, dass es

geradezu verantwortungslos ist, wie du dich jetzt gehen lässt. So kenn ich dich überhaupt nicht. Im KZ

hast du dich ganz anders verhalten, da warst du Vorbild für die anderen. Bei einem anderen Mann

könnte man es noch verstehen, aber dieser Conny?! Als kurz darauf die Trennung von ihm erfolgt

wird Barbara in einen Autounfall verwickelt und gerettet. Die Bedrohlichkeit der Liebesaffäre erfährt

hier ihren dramatischen Höhepunkt. Wobei der Verkehrsunfall als Filmmotiv zugleich eine katharti-

sche Funktion hat und den Neuanfang symbolisiert.

Abb. 5 Hertha (Lotte Loebinger) ermahnt Barbara (Anneliese Book) / Abb. 6 Barbara spendet Hertha Trost als diese ihre Adoptivtochter Christel an deren leibliche Mutter zurückgeben muss Parallel zur Lohmüller-Episode wird Barbaras Berufseinstieg als Richterin am Amtsgericht

Berlin-Mitte und die Konfrontation mit ihren männlichen Arbeitskollegen in Szene gesetzt. Diesem

Umfeld entstammt der Jurist Dr. Gebhard (Albert Doerner), der als höflicher Kavalier vorgestellt wird

und sich auch privat für Barbara interessiert: Apartes Mädchen, das muss ich sagen, aber etwas kom-

pliziert, wie alle intelligenten Frauen, noch dazu wenn sie hübsch sind. Mit diesem Satz kolportiert die

Figur traditionelle Vorurteile gegenüber gebildeten/unabhängigen Frauen. Als Barbara im Amtsgericht

Berlin-Mitte eine Stelle als Richterin antritt, wird sie von Gebhard zwar als Frau Kollegin empfangen,

dennoch ist seine Standardfloskel: Ich bin bei Gott der letzte, der den Frauen ihre Rechte abspricht.

Nichts gegen die Frauen, aber... Barbara kontert: Aber sie meinen die Frauen sind noch nicht so weit,

dass man ihnen alle Rechte geben könnte?! Gebhard differenziert: Nein, meine verehrte Kollegin, das

stimmt nicht. Wenn alle Frauen so begabt wären, wie sie zum Beispiel…In dieser Sentenz wird die

Gleichstellung und Inklusion von Frauen anhand hierarchischer Geschlechterkodes diskursiviert: Die

Inbesitznahme aller Staatsbürgerinnenrechte durch Frauen erscheint in den Augen des männlichen

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Systemvertreters nur legitim, wenn Frauen als körperfixierte Natur den Beweis antreten, dass sie das

männliche Kulturprinzip inhibieren können. In der Rede des Dr. Gebhard bedürfen Frauen dazu einer

außergewöhnlichen Begabung, die seiner Ansicht nach aber nur wenigen eignet. Barbaras berufliche

Karriere wird dadurch als solitäre Ausnahmeerscheinung konstruiert, die die Regel bestätigt und

gleichzeitig auch die korrekte Ausübung des hohen Amtes durch Frauen generell anzweifelt. Barbara

beendet den Satz von Gebhard spöttisch: Aber da nicht alle Frauen so begabt sind...!? Dieser fühlt

sich durch die Widerrede nun persönlich angegriffen: Kollegin Berg, ich fürchte, sie entwickeln sich zu

einer ausgesprochenen Männerfeindin?! Die Kritik Barbaras am konservativen Schubladendenken

ihres männlichen Gegenüber wird nun in einen, wenn auch ironisch gemeinten, Angriff gegen ihre

sexuelle Identität gewendet.

Über Barbara wurde aus Dr. Gebhards Rede bereits bekannt, dass sie intelligent, sehr begabt,

dafür aber mit dem Makel des Kompliziert-Seins ausgestattet ist. Mit der Betitelung als Männerfeindin

wird das Kompliziert-Sein hier nun mit einer sexuellen Disposition verknüpft. Der Begriff steht in der

Tradition der abwertenden Klischierung von (zumeist gebildeten) Frauen, die sich für Gleichberechti-

gung einsetzten und im 20.Jahrhundert auch als Blaustrümpfe, Suffragetten, Feministinnen oder

Emanzen diskreditiert wurden. Der pejorative Diskurs verbindet dabei die intellektuelle Tätigkeit von

Frauen kausal mit der Degenerierung ihres biologischen Körpers und dem Verlust der Reproduktions-

fähigkeit und arbeitet mit der Zuschreibung von Homosexualität. Im Film wird die weitere Entwick-

lung Barbaras zu einer männerfeindlichen Emanze praktischerweise durch ihre Heirat mit Dr. Gebhard

verhindert. Damit werden die Reproduktionsoption ihres Frauenkörpers in einer heterosexuellen

Paarbeziehung abgesichert und die Heteronormativität der symbolischen Ordnung stabilisiert.

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38

Abb.7 Dr.Gebhard (Albert Doerner) und Barbara (Anneliese Book) in einer zensierten Pose / Abb.8 Barbara besucht Renate Ludwig (Sonja Sutter) im Gefängnis.

Der verbale Schlagabtausch beider Protagonisten um die Legitimität beruflicher Partizipati-

onschancen von Frauen, der mit der Trotzköpfigkeit Barbaras auch das erotische Modell eines zu do-

mestizierenden weiblichen Eigensinns modelliert, wird schließlich in einer sozialistischen Ehe befrie-

det. Zugleich wird diese wiederum als ein gänzlich von erotischen Gesten befreites, neues sozialisti-

sches Partnerschaftsideal bebildert, das aus einer beruflichen Verbindung eine private wachsen lässt,

deren gemeinsamer Mittelpunkt die Arbeit an der neuen Gesellschaftsordnung ist. Doch bevor die

Heirat thematisch wird, steht zunächst Barbaras berufliche Karriere im Mittelpunkt der Spielfilmhand-

lung.

Mit dem Eintritt in das (traditionell männlich besetzte) staatliche Amt der Richterin verändert

sich auch die Körperästhetik und der Habitus der Filmfrau: Sie ist mit ihrer äußeren Erscheinung und

ihrem Bildungsabschluss (traditionell männliches Fachgebiet) bereits androgyn konnotiert. Dies wird

unterstrichen, indem sie gelegentlich zur Zigarette greift. Dass sie eine Frau ist, hat sie bis dato durch

ihre Liebes- und Leidensfähigkeit in der Lohmüller-Affäre, durch ihre weibliche Seele, betont. Mit

ihrer beruflichen Initiation als Richterin, die gleichermaßen die Eheschließung mit dem Arbeiter- und

Bauernstaat symbolisiert, schreitet ihre Entfeminisierung voran. Barbaras Geschlechterperformance

als Frau im Männerberuf wird dabei über ihre Kleidung in Szene gesetzt: Sie wird fortan in der

Dienstkleidung, einem schwarzen Talar, gezeigt, der ihre Anpassung an die männliche Norm 243 au-

genfällig macht und ihre geschlechtliche Neutralisierung bewirkt. Sie hat ihr dunkles, vormals locki-

ges, halblanges Haar streng aus dem Gesicht gekämmt, wodurch ihre Gesichtszüge maskuliner wirken.

Auch außerhalb des Gerichtes trägt Barbara fortan in beruflicher Mission graue, uniformähnliche,

hochgeschlossene Kostüme, die die Inkorporierung männlich-hybrider Wesenszüge als Staatsdienerin

unterstreichen. Manchmal werden unter der Berufskleidung auch farbige Kleider sichtbar, die ihre

private Identität als Frau aktualisieren.

Dennoch bleibt Barbaras Positionierung im männlichen Berufssystem durch die Vermischung

von Privat- und Berufsleben erschütterbar und ambivalent. Als sie aus Befangenheit den Vorsitz im

243 Diemer (1994). S.52 f.

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Prozess gegen Renate Ludwig ablehnt: Wie soll ich über das Mädchen zu Gericht sitzen, wo ich selbst

beinahe an diesem Mann gescheitert wäre?! werden weibliche Seele und Moral aktualisiert. Zugleich

wird die Rechtssprechung im Arbeiter- und Bauernstaat auf symbolischer Ebene als integer und vom

Makel der Vergangenheit gereinigt dargestellt, wenn Barbara sagt: Ich will dem Mädchen ja helfen,

aber ich darf nichts tun, was ihr Vertrauen zu dem Urteil untergräbt. Die filmische Inszenierung pro-

zessiert hier ein widersprüchliches Frauenbild, das durch die unbewusste Grammatik der Weiblichkeit,

in der Leistungen von Frauen geringer geschätzt werden 244 gebrochen wird. Die bereits verjährte

Lohmüller-Affäre beeinträchtigt Barbaras fachliches Urteilsvermögen. Das emanzipatorische Moment,

das zwangsläufig in jedem Bild steckt, das Frauen bei ihrem Eindringen in Männerbereiche zeigt, so

deutet Ina Merkel, musste in den Darstellungsformen selbst möglichst marginalisiert werden.245 Die

tiefgreifenden Veränderungen im Leben der Frauen in dieser Zeit waren bildpolitisch nur kommuni-

zierbar, wenn ein Mindestmaß an weiblicher Identität gesichert blieb.246 Auch Gunilla-Friederike

Budde hat in ihren Untersuchungen über Bildpolitiken des Geschlechts in der SBZ/DDR festgestellt,

dass immer dann besondere Differenzierungsanstrengungen der Geschlechter zu beobachten sind,

wenn Männerdomänen zur Disposition 247 stehen. Sehr deutlich wird dies in einer Szene, in der Barba-

ra mit einer Alimentenklage gegen Lohmüller konfrontiert wird: Sehen sie sich doch mal diese Akten

an, Kollegin, was würden sie als Frau dazu sagen, wenn sie den Prozess zu führen hätten?! Wer ist

eigentlich der Schuldige? Conny oder das Mädchen? Hier wird eine Erwartungshaltung an Barbaras

Urteil als Frau geäußert, das sich (so wird unterstellt) von dem der Männer unterscheide. Auch in Be-

zug auf die zu klärende Schuldfrage werden differente Moralansichten nahe gelegt.

Die Filmfrau Barbara wird durch ihr besonderes Verantwortungsgefühl und ihr moralisches

Verhalten dennoch als eine positive Identifikationsfigur aufgebaut. Überdeutlich qualifiziert ihr Opfer-

status (KZ-Vergangenheit) sie zu einer Instanz im antifaschistischen Erneuerungsdiskurs. Darüber

hinaus unterstreichen die ihr als Frau zugeschriebenen symbolischen Repräsentationsfunktionen als

Moral-/Kulturträgerin und Erzieherin die Erneuerung des Rechtssystems der antifaschistisch-

demokratischen Ordnung in der SBZ/DDR. Als sie sich für die Resozialisierung von Renate Ludwig

244 Merkel (1990). S.43. 245 Ebd. 246 Ebd. 247 Budde (1999). S.853.

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einsetzt werden neben den typisch weiblich konnotierten sozialpädagogischen und erzieherischen As-

pekten ihres Interesses auch dessen politische Hintergründe transparent: Wir bauen ein neues Leben

auf, in dem alle Menschen glücklich sein sollen und es hängt von ihnen ab, ob sie dazu gehören wer-

den. In diesem Zusammenhang wird für die Figur immer deutlicher, dass ihre Identität als Frau hinter

ihre symbolisch-repräsentative Funktion als Wegbereiterin des Glücks der nationalen Gemeinschaft

zurücktritt. Am Ende des Filmes zitiert sie in einer Nahaufnahme die Utopie der neuen Gesellschafts-

ordnung: Die Werktätigen in den Fabriken, in den Büros, in den Städten, auf dem Land sehnen sich

nach einem besseren Leben. Aber der Weg dorthin kann nicht mehr der alte sein, ein neuer Weg liegt

vor uns, der der gemeinsamen Arbeit und des Glückes für alle. Obwohl sich die Figur der Barbara qua

Beruf als neues sozialistisches Frauenbild qualifiziert wird an ihr ein traditioneller Weiblichkeitsas-

pekt ausgespart: Die Mutterschaft. Im Laufe der DDR-Geschichte wurde das Bild der Akademikerin

und Gelehrten nach dem Vorbild der sowjetischen Wissenschaftlerin allmählich positiv besetzt.248

5.2.2 Hertha Scholz: Die antifaschistische Gründungslegende als weiblicher Opfergang

In Frauenschicksale wird das Bild der berufstätigen weiblichen Führungselite des Sozialismus

durch die Kommunistin, Sozialfürsorgerin und Ersatzmutter Hertha Scholz ergänzt. Hertha verkörpert

einen Frauentypus der Nachkriegszeit, der wie kein anderer die Präsenz von Frauen in der Öffentlich-

keit der 1940er/50er Jahre rechtfertigte und auch später als ideale Verkörperung des Gemeinwesens

der DDR imaginiert wurde.249 Merkmal dieses, meist durch ältere Frauen verkörperten, Typus ist seine

Tüchtigkeit, die sich zwischen staatlicher Propaganda und einer im Alltag verwurzelten Norm 250 zu

einer weiblichen Dauertugend in der DDR verfestigte. Die Figur der Hertha Scholz wird bereits zu

Beginn des Filmes direkt in ihrer Mutterrolle der 6-jährigen Adoptivtochter Christel und als mütterli-

che Ratgeberin der Juristin Barbara dargestellt. Sie umarmt das schlafende Kind beschützend, trägt

eine Schürze über ihrem Kleid, wird in der Küche oder beim Zubereiten von Speisen und Beschaffen

von Nahrungsmitteln gezeigt. Neben der Organisation der Versorgung überwacht sie die Pünktlichkeit

und Lerndisziplin ihrer Schützlinge auf mütterlich-autoritäre Weise und führt ermahnende Gespräche

248 Merkel (1990). S.95; Budde 1997. 249 Wierling (1999). S.831. 250 Ebd. S.836.

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mit Barbara. Durch ihre selbstlose Liebe und freiwillige Übernahme der Mutterrolle konnten drei nicht

blutsverwandte Menschen den Nachkriegsalltag überleben.

Die Mutterschaft der Hertha Scholz wird auf mehreren Ebenen als mythisches, ahistorisches

Agens von Weiblichkeit und Frausein inszeniert. Als nicht-leibliche Mutterschaft wird sie als anthro-

pologisches weibliches Wesensmerkmal der Mütterlichkeit 251 insinuiert. Diese wird als Gegenbild zur

(männlich) destruktiven, morbiden Kraft des Krieges aufgerufen und als, außerhalb von Gesellschaft

und Politik bestehendes, natürliches Gesetz, als weiblicher Reproduktionstrieb 252 verankert. Als

Hertha ihre stellvertretende Mutterschaft für das Mädchen Christel aufgeben muss, weil sich die leibli-

che Mutter meldet, werden die Eigenschaften der Figur auf ihre Tätigkeit als Sozialfürsorgerin trans-

poniert. Damit wird zunächst der Mythos der geistigen Mütterlichkeit 253 aufgerufen und an die Grün-

dungszeit der Sozialen Arbeit als bürgerlichem Frauenberuf im 19.Jahrhundert erinnert. Doch geht es

hier nicht um bürgerliche Wohlfahrt, sondern sozialistische Sozialpolitik: Gewiss hat sich bei uns seit

1945 im Gegensatz zu Westdeutschland Entscheidendes geändert. Wir bauen uns eine neue Gesell-

schaftsordnung. Doch es gibt noch viele wichtige Probleme, die gelöst werden müssen. Es muss ein

Gesetz geschaffen werden, das die Rechte der Frau garantiert. Ein Gesetz zum Schutze der Mütter und

damit ein Gesetz zum Schutze der Kinder. Ihre mütterlich-erzieherischen und beratenden Fähigkeiten

entfaltet die Filmfigur wenn sie etwa Betriebskindergärten inspiziert, Jugendliche aus dem Waisen-

haus betreut, Resozialisierungsmaßnahmen anregt oder als Frauenrechtlerin beim FDGB. Neben ihrer

identitätsstiftenden Funktion als Überlebensorganisatorin, Trümmerfrau und Aufbauhelferin der

Nachkriegszeit wird diese Figur auch im Zusammenhang des antifaschistischen Gründungsmythos

inszeniert.

Über Hertha wird bekannt, dass sie sich bereits vor 1933 als Mitglied der Kommunistischen

Partei für die Rechte der Arbeiterinnen engagiert und aktiv gegen den Nationalsozialismus gekämpft

hat. 1941 wurde sie wegen Beteiligung an einer Antikriegsaktion der KPD von der Gestapo verhaftet

und musste im KZ bis 1945 schwere persönliche Opfer bringen. Sie verlor ihren Mann, der das Straf-

bataillon nicht überlebte. Ihre Herkunft als gebildete Proletarierin und Antifaschistin legitimiert ihren

Einsatz beim Aufbau des sozialistischen Staates auf zweifache Weise: Sie symbolisiert Vergangenheit

251 zur Nieden (1991). S.86 f. 252 Ebd. S.87 253 Sandkühler/Schmidt (1991). S.239 f.

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und Zukunft der DDR. In diesem Zusammenhang ist die Filmszene, in der Textilarbeiterinnen mit

Hertha in den Dialog über die Mitschuld der Frauen am 2.Weltkrieg treten, von Interesse. Ihr kommt

hier als Kommunistin die Rolle der aktiven Kriegsgegnerin und KZ-Insassin zu, die frei von Mitschuld

ist. Während andere Frauen sich fragen lassen müssen: Was hast Du denn im Krieg gemacht?! Grana-

ten gedreht! Und jetzt schreit ihr nach Männern! Oder sich sagen lassen müssen: Geht doch auf die

Schlachtfelder und buddelt euch die Männer aus, die Hitler in den Tod getrieben hat. Da liegen sie zu

Millionen. Die Kriegsniederlage des Deutschen Reiches wurde in der SBZ/DDR als Befreiung des

deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus durch die Rote Armee unter Mithilfe des kommunistischen

Widerstandes gedeutete. Der antifaschistische Gründungsmythos konstruierte dabei im Laufe der Zeit

das deutsche Volk als Opfer des Hitlerfaschismus und diesen als eine von der Monopolbourgeoisie

verschuldete Katastrophe.254 Die DDR wurde als Ort des Neuanfangs markiert, wo das deutsche Volk

nach 1945 unter Führung der Arbeiterklasse in schonungsloser nationaler Selbstkritik die historischen

Lehren aus der Vergangenheit gezogen hatte.255 Ihre Gründung wurde auch als Schaffung einer Basti-

on des Friedens und des Kampfes für die nationale Wiedergeburt interpretiert.256 Die moralische Re-

putation der Kommunistin Hertha macht sie gleichzeitig zum überzeugenden Medium der Friedens-

propaganda der SED, die die DDR als ersten deutschen Friedensstaat 257 aufrief. Im Film fordert

Hertha angesichts der Gefahr des Koreakrieges (1950-53) denn auch: Richtig, liebe Kolleginnen. Und

wenn wir aus dem Elend, in dem die deutsche Frau heute noch steckt wieder herauskommen wollen,

dürfen wir nicht vergessen, wer uns dieses Elend gebracht hat. Wenn wir jetzt nicht darum kämpfen,

dass ein neuer Krieg verhindert wird, dann kommen nicht nur die Männer unter die Erde, sondern ihr

selbst und eure Kinder dazu.

Daneben wird der Habitus der Figur im zweiten Teil des Films zunehmend in Körperästhetik

und -haltung historischen Vorkämpferinnen anverwandelt, z.B. wenn sie auf Versammlungen vor Ar-

beiterinnen spricht und über die neuen Rechte der Frauen aufklärt. In dieser Bildpose wird auf die

Rolle der historischen Frauenbewegung(en) verwiesen, wobei die Geschichte der Emanzipation hier

als Bestandteil des politischen Befreiungskampfes der Arbeiterklasse erzählt wird. Hertha zitiert dabei

254 Zit. nach Diemer (1994). S.47. 255 Zit. nach Kreusel (1971). S.37. 256 Ebd. 257 Eifler (2005). S.205.

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den Sozialdemokraten August Bebel: Wir leben im Zeitalter einer großen sozialen Umwälzung, die mit

jedem Tag weitere Fortschritte macht. August Bebel schreibt in seinem Buch ‚Die Frau und der Sozia-

lismus‘: Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit der Frau. Gemäß

der Parole Die Sklavinnen von gestern, die Kämpferinnen von heute werden die Siegerinnen von mor-

gen sein 258 ist die wichtigste Aufgabe der Filmfrau, die Grundlagen des Marxismus und die Frauen-

erwerbs- und Sozialpolitik der SED eindringlich zu kommunizieren: An den Universitäten und Hoch-

schulen der DDR lernen junge Studentinnen aus allen Schichten der Bevölkerung die Wissenschaft zu

meistern. Unzählige Frauen erfüllen als Lehrer, Ärzte, Wissenschaftler und Künstler ihre Pflicht. In

den VEB helfen die Frauen als Aktivistinnen das Leben unseres Volkes ständig zu verbessern. Wäh-

rend Hertha im ersten Teil des Filmes bei einer Versammlung von Textilarbeiterinnen noch auf die

Notwendigkeit der Durchsetzung von sozialpolitischen Maßnahmen für erwerbstätige Mütter hinweist,

kann sie am Ende des Films bereits erste Ergebnisse der staatlichen Bemühungen um die Frauen ver-

künden: Und auch für die Zukunft eurer Kinder wird gesorgt. Das sind die ersten Früchte des Geset-

zes über die Rechte der Frau und zum Schutze von Mutter und Kind. Hier wird auf das Gesetz über

den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27.09.1950 angespielt, welches die

Durchsetzung des verfassungsrechtlichen Prinzips der vollen Gleichberechtigung von Mann und Frau

vorsah.

Abb.9 Hertha Scholz (Lotte Loebinger) spricht auf einer Versammlung des FDGB / Abb.10 1.Bundeskongress des Demokra- tischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) 1948 in Ost-Berlin.

258 Walter Ulbricht 1954. Zit. nach Merkel (1994). S.380 Anm.9.

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Im Unterschied zu den weiblichen Bildikonen der Nachkriegszeit die ihren Mann stehen wird

Hertha als Frau erkennbar, als geistige Mutter der neuen Nation inszeniert. Während die anderen

Hauptprotagonistinnen des Filmes durch ihre Liebesbeziehungen zu Lohmüller mit einer sexuellen

Identität ausgestattet sind, die wiederum zum Ausgangspunkt einer Krise oder eines Wandlungspro-

zesses wird, erscheint die Figur der Herta Scholz als Fels in der Brandung, als charakterfeste, asexuel-

le Übermutter. Ihr körperlicher Habitus ist durch reiferes Alter, Leibesfülle sowie mittels wadenlanger

Kleider und einer altmodischen Frisur tugendhaft und mütterlich konnotiert. Ihre Weiblichkeit wird

auch durch ihre politische Funktionärinnentätigkeit nicht in Frage gestellt, im Gegenteil, ihr Habitus

verstärkt die Glaubwürdigkeit ihres politischen Anliegens. Dies wird besonders in der Szene deutlich,

in der sie als Multiplikatorin einer urwesentlich mütterlichen Friedensbotschaft vor dem Hintergrund

des Koreakrieges im Radio spricht: Millionen Frauenhände waren es vor allen Dingen, die in den

ersten Jahren nach dem Krieg unsere Stadt Stein für Stein aufgeräumt haben. Noch sind unsere Städte

nicht aufgebaut und schon droht ein neuer Weltkrieg und es sind immer die gleichen, die dieses

furchtbare Völkerunrecht zu ertragen haben. Ich kenne den Krieg. Ich habe, wie viele andere Frauen

auch, meinen Mann verloren. Diese Erfahrungen zwingen uns Frauen mit aller Macht den Frieden zu

verteidigen. Erst 1918 hatte man begriffen, was 1914 geschah. Erst 1945 hatte man begriffen, was

1933 geschah. Muss man denn wieder so lange warten, bis es zu spät ist?! Die Heroisierung der müt-

terlichen Qualitäten der Figur in ihrer Rolle als staatliche Sozialfürsorgerin und Frauenrechtlerin, ihr

Opferstatus als ehemalige KZ-Insassin und ihre Funktion als Mahnerin des Friedens verbinden tu-

gendhafte Weiblichkeit/Mütterlichkeit mit der Zukunft der Nation. Die Biografie der Filmfrau Hertha

Scholz stellt das charakteristische Muster der Vergangenheitsbewältigung in der Form eines allegori-

schen Dreischritts bereit: aus dem dunklen Gestern geht es durch das schwere Heute bis in das lichte

Morgen.259 Mit ihr wird die Stunde Null und der gesellschaftliche Neuanfang in der SBZ/DDR als

Kraftakt einer zupackenden, friedliebenden weiblichen Solidargemeinschaft inszeniert. Sie repräsen-

tiert auf symbolischer Ebene eine, ihre Kinder beschützende und beschützenswerte nationale Heimat

DDR als Ort einer neuen geschlechterpolitischen Zeitrechnung und des Friedens.

5.3 Gender im sozialistischen Aufbaudiskurs der SBZ/DDR

Gleich nach der Affäre mit Barbara hat sich Lohmüller mit Betty Voigt, einer Westberlinerin,

zusammen getan. Diese pflegt einen verschwenderischen Lebensstil und wird nach durchzechter Nacht

telefonierend im Bett oder später bei einer Kleideranprobe gezeigt. Das käufliche Lebensglück des

Westens verkörpert sie mit einem aufgeputzten Äußeren und bürgerlichen Statussymbolen. In einem

weißen, spitzenverzierten Kleid ruft diese Figur weibliche Sehnsüchte nach einem männlichen Partner

259 Merkel (1990). S.44.

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und Ehe als größter Wunschprojektion der Nachkriegszeit auf. Während Lohmüller noch Komplimen-

te macht (Wundervolles Kleid. Ein sehr elegantes Kleid. Darling, du siehst großartig darin aus. So

schön habe ich dich noch nie gesehen.) hat er sich bereits die blutjunge, naive Schneiderin Anni

Neumann als nächstes Opfer auserkoren.

5.3.1 Anni Neumann: Die sozialistischen Frauenpersönlichkeit als Arbeiterin und Mutter

Anni ist ein schüchternes, sittsames, liebes Mädchen, dessen jugendliche Unschuld und Fri-

sche im Kontrast zur verlebten, künstlichen Weiblichkeit der Betty Voigt aufscheinen. Sie trägt kein

feines Kleid, sondern die Dienstkleidung des Modeateliers. Während einer Verabredung macht

Lohmüller auch ihr Komplimente: Reizend sehen sie aus, Fräulein Anni. Ich hätte sie beinahe nicht

wiedererkannt. Und das bezaubernde Hütchen steht ihnen ganz besonders gut. Doch Anni insistiert

wegen Betty Voigt: Und die Dame mit dem schönen Kleid? Doch Lohmüller lenkt ab: Ich bin nicht

verheiratet. Fanden sie das Kleid wirklich so schön? Ihnen würde ein lindgrünes Kleid sehr gut ste-

hen. Während der Szene wechselt die jazzige Musik parallel zur fortschreitenden Verführung in einen

melancholischen ¾ Takt, der die beiden tanzenden Hauptprotagonisten kurzzeitig mit einer romanti-

sierten Aura umgibt. In der nächsten Szene, einer Bootsfahrt in den lauen Sommerabend, unterstreicht

die Musik die Schicksalhaftigkeit der Begegnung für Anni, die sich wehrlos und ängstlich Lohmüllers

Absichten ergibt.

5.3.1.1 Exkurs: Frauenerwerbsarbeit und sozialpolitische Maßnahmen für erwerbstätige Mütter

Die nächste Szene zeigt Anni an ihrem Arbeitsplatz in einem Westberliner Modeatelier, wo

ihre Schwangerschaft durch einen Schwächeanfall publik wird. Anni wird kurz darauf wegen ihres

Zustandes gekündigt. Die, gegen den seit 1927 geltenden Kündigungsschutz für Schwangere versto-

ßende, Entlassung Annis plakatiert hier die Rechtlosigkeit von Arbeitnehmerinnen im Westteil der

Stadt.260 Daneben wird die uneheliche Schwangerschaft als gravierender moralischer Makel herausge-

260 Strauss (1996). S.50.

Page 49: Gender, Körper und Nation in DEFA Filmen der 1950er und 60er Jahre (2006)

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stellt, der als Entlassungsgrund ausreicht. Auch später kann Anni, nun als ledige Mutter, im Westen

keine Arbeit finden, um ihre eigene und die Zukunft des Kindes zu sichern. Auf dem Arbeitsamt wird

ihr wütend empfohlen: Dann gehen sie doch hin nach dem Osten, wenn sie glauben, dass sie dort Ar-

beit finden. Anni überquert, in einer symbolischen Sequenz mit dem Kind auf dem Arm, die Brücke

nach Ost-Berlin: Sie findet dort Arbeit als Näherin in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) und kann

ihren Sohn tagsüber in einem Betriebskindergarten unterbringen. Ihre uneheliche Mutterschaft spielt

für die Anstellung keine Rolle. In ihrer neuen Arbeitsumgebung im VEB, die als kameradschaftliches

Arbeiterinnenkollektiv geschildert wird, erringt Anni ob ihres Fleißes und ihrer herausragenden fachli-

chen Fähigkeiten schnell Anerkennung. Der Makel ihrer unehelichen Mutterschaft, den lediglich eine

Kollegin moniert, wird durch ihre Qualitäten als Facharbeiterin überlagert und durch den sozialpoliti-

schen Vorteil der Kinderbetreuung für ledige Mütter im Osten sogar positiv aufgewertet. In diesen, die

arbeitspolitischen Kontexte in Ost- und Westberlin schwarz-weiß überzeichnenden Szenen, scheinen

die antiwestlichen Ressentiments des Films als Produkt des Kalten Krieges durch.

Abb.11 Anni Neumann (Susanne Düllmann) und Conny Lohmüller (Hanns Groth) / Abb.12 und 13 Filmplakate.

Gleichzeitig wirbt der Film für die umfassende Integration von Frauen in die Arbeitswelt und

klärt über die dazu nötigen sozialpolitischen Maßnahmen auf, deren Umsetzung in der DDR seit 1950

voran schreitet. Im Film wird weibliche Berufstätigkeit im Dienste des Aufbaus der sozialistischen

Gesellschaft denn auch zum Dreh- und Angelpunkt weiblichen Lebensglücks. Der Film greift die

Qualitätsbewegung in der Textilindustrie 261 auf und schildert Annis Aufstieg zur Abteilungsleiterin

einer Fließbandbrigade. Dort überzeugt sie durch politische Statements und innovative Vorschläge:

261 Strauss (1996). S.75 f.

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Ich stehe auf dem Standpunkt, wenn eine das Recht hat, ein schönes Kleid zu tragen, dann ist es die

Arbeiterin. Sie übernimmt mit ihrer Brigade den Probelauf für die neue Kollektion und sichert sich

nicht nur die Anerkennung des Arbeitskollektivs, sondern zum Schluss gar eine überbetriebliche Aus-

zeichnung als Aktivistin durch den FDGB.

5.3.1.2 Exkurs: Gleichberechtigung und Arbeitspolitiken mit dem Frauenkörper

Zum Sozialismus gehörte die Frauenemanzipationstheorie mit ihrer Forderung der Gleichbe-

rechtigung der Geschlechter, die neben der ökonomischen Unabhängigkeit der Frau auch ihre Stellung

in Ehe und Familie neu definierte. Die Gleichstellung der Frau wurde in den Visionen der kommunis-

tischen Theoretiker/innen als Bestandteil des Klassenkampfes verstanden, wobei die Arbeiterklasse als

männliches Subjekt für die Befreiung der Frau verantwortlich zeichnete. Als wichtigstes Element der

Realisierung der sozialistischen Gesellschaftsordnung wurde die Arbeitsproduktivität betrachtet: Die

Arbeitsproduktivität ist das allerwichtigste, das ausschlaggebende für den Sieg der neuen Gesell-

schaftsordnung. Der Kapitalismus wird dadurch endgültig besiegt werden, daß der Sozialismus eine

neue, weit höhere Arbeitsproduktivität schafft.262 Diese Kausalität ließ die Erwerbstätigkeit von Frau-

en neben der tatsächlichen ökonomischen Notwendigkeit zu einem bevorzugten Repräsentationsobjekt

der sozialistischen Modernisierung werden. Die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft war mit

der Entwicklung der sozialistischen Frauenpersönlichkeit durch Berufsarbeit untrennbar verbunden.

Frauen verkörperten aufgrund dieser spezifischen Kausalität die Entwicklungsfähigkeit und damit die

Zukunft des Systems.

Bereits kurz nach Kriegsende waren in den Direktiven der Sowjetischen Militäradministration

(SMAD) die Weichen für eine fast uneingeschränkte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt ge-

stellt worden: Der Befehl Nr.253 der SMAD vom 17.08.1946 verankerte den sozialistischen Grund-

satz: Gleiche Entlohnung für Arbeiter und Angestellte für die gleiche Arbeitsleistung unabhängig von

Geschlecht und Alter.263 Die dergestalt auf das weibliche Arbeitskräftepotential abzielende Gesetzge-

bung verlangte zudem die Schaffung günstigerer Bedingungen für die Arbeit von Frauen und Jugend-

262 Lenin 1919. Zit. nach Schubert (1980). S.157. 263 Befehl Nr. 253 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland über gleiche Entlohnung von Arbeitern und

Angestellten für gleiche Arbeitsleistung, unabhängig von Geschlecht und Alter, 17.August 1946. Zit. nach Ebd. S.167.

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lichen und eine Revision der Berufsnomenklatur mit Ausnahme der Berufe, die für Frauen als gesund-

heitsschädigend galten.264 Auch die SED hatte 1946 auf ihrem Parteitag programmatisch die systema-

tische Ausbildung befähigter Werktätiger als Beamte der Selbstverwaltungsorgane, als Lehrer, Volks-

richter und Betriebsleiter unter besonderer Förderung der Frauen gefordert. Daneben stellte sie die

Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied von Rasse und Geschlecht in Aussicht und

kündigte die Gleichberechtigung der Frau im öffentlichen Leben und im Beruf als wichtiges politi-

sches Ziel an. Umgesetzt und begleitet werden sollten diese Pläne durch den Ausbau des gesetzlichen

Arbeitsschutzes, besonders für Frauen und Jugendliche, den Ausbau einer einheitlichen Sozialversi-

cherung unter Einbeziehung aller Werktätigen, und die Neuordnung der Sozialfürsorge sowie des

Mutter- und Kinder- und Jugendschutzes.265 Neben diesen politischen Zielsetzungen war die Mobili-

sierung der Frauen auch aus wirtschaftlichen Gründen geboten. Ohne ihre Arbeitskraft, die sie schon

in der Kriegswirtschaft des Nationalsozialismus eingesetzt hatten, konnte der Wiederaufbau nicht ge-

lingen. Nachdem 1947 die männlichen Arbeitskraftreserven erschöpft waren, sollten die Frauen nicht

nur vermehrt in den Arbeitsprozess eingebunden, sondern zunehmend in männliche Tätigkeitsfelder

integriert werden. In einer Resolution des II. Parteitages zur Frauenfrage vom 24.09.1947 forderte die

SED alle Frauen und Mädchen auf, an der Gestaltung der deutschen Zukunft entscheidend mitzuwir-

ken, alle Vorurteile, die eine Folge Jahrhunderte langer Zurücksetzung sind, (zu) überwinden und

selber die entschiedensten Kämpferinnen für ihre Gleichberechtigung (zu) werden.266

Anknüpfend an die Vorbildsituation in der Sowjetunion erhielt die Gleichberechtigung der

Frau aber auch der Schutz von Ehe und Familie in der DDR Verfassungsrang. Im Gesetz über die Ver-

fassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 07.10.1949 wurde die Gleichberechtigung der

Geschlechter gesetzlich fixiert. In Artikel 7 Absatz 1 hieß es: Mann und Frau sind gleichberechtigt

und Abs. 2 legte fest: Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegen-

stehen, sind aufgehoben.267 Abs. 5 fixierte: Die Frau genießt besonderen Schutz im Arbeitsverhältnis.

Durch Gesetze der Republik werden Einrichtungen geschaffen, die es gewährleisten, daß die Frau

ihre Aufgabe als Bürgerin und Schaffende mit ihren Pflichten als Frau und Mutter vereinbaren

264 Ebd. S.156. 265 Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1959. Zit. nach Ebd. S.32. 266 Resolution des II. Parteitages der SED zur Frauenfrage. Dokumente der SED. Bd.1. Berlin. S.231. 267 Art. 7 Abs. 1 u. 2 der Verfassung der DDR 1949.

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kann.268 Den Frauen wurde das Recht eingeräumt, jederzeit einen Beruf auszuüben: Durch die Ehe-

schließung darf die Frau nicht gehindert werden, einen Beruf auszuüben oder einer beruflichen Aus-

bildung und ihrer gesellschaftlichen und politischen Fortbildung nachzugehen; auch wenn hierdurch

eine zeitweilige örtliche Trennung der Eheleute bedingt wird.269 Ehe und Familie standen dennoch

unter besonderem Schutz des Staates. Artikel 30 Abs. 1 der Verfassung definierte Ehe und Familie als

Grundlage des Gemeinschaftslebens.270 Abs. 2 erklärte: Gesetze und Bestimmungen, die die Gleichbe-

rechtigung von Mann und Frau in der Familie beeinträchtigen, sind aufgehoben. Der Generativität

widmete Artikel 31 besondere Aufmerksamkeit, Abs. 1 besagte: Die Frau hat während der Mutter-

schaft Anspruch auf besonderen Schutz und Fürsorge des Staates. In Abs. 2 wurde festgelegt: Die

Republik erläßt ein Mutterschaftsgesetz. Einrichtungen zum Schutz für Mutter und Kind sind zu schaf-

fen.271 In Artikel 33 Abs.1 wurde die Diskriminierung unehelicher Mutterschaft und illegitimer Kind-

schaft aufgehoben: Außereheliche Geburt darf weder dem Kinde noch seinen Eltern zum Nachteil

gereichen.272

5.3.1.3 Exkurs: Das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau (1950)

Kurz vor den Wahlen am 15.10.1950 verabschiedete die Volkskammer das Gesetz über den

Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau 273, das wesentliche Regelungen für die Umsetzung

der Gleichstellungspolitik enthielt. In ihm lässt sich die Amalgamierung gesellschaftlicher Vorstellun-

gen über die Rolle der Frau im Sozialismus mit den gesundheits- und biopolitischen Zielsetzungen des

Staates nachvollziehen. Das Gesetz argumentierte die verstärkte Eingliederung von Frauen in die Pro-

duktion und die Förderung weiblicher Erwerbsarbeit in nicht traditionellen Frauenberufen und ver-

knüpfte diese Forderung mit einem Gesundheitsschutzmodell, das insbesondere auf die Sicherung und

Wahrung des biologischen Reproduktionsvermögen insistierte: Die DDR misst dem Gesundheitsschutz

der Kinder und der Mütter außerordentliche Bedeutung bei.274 In § 19 Abs. 2 wurde festgelegt: Die

268 Art. 18 Abs. 4 u. 5. Ebd. 269 Absatz II § 15 Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27.09.1950 (GBl. 1950, Nr. 111, S.1037). 270 Art. 30 Abs. 1 u. 2 der Verfassung der DDR 1949. 271 Art. 31 Abs. 1 u. 2. Ebd. 272 Art. 33 Abs. 1. Ebd. 273 Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27.09.1950 (GBl. 1950, Nr.111, S.1073). 274 Abschnitt I § 9. Ebd.

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Arbeitsbedingungen sind den physischen Besonderheiten der Frau anzupassen. Daneben traf das Ge-

setz wichtige Grundlagenentscheidungen einer zukünftigen Familienpolitik. § 12 legte fest: Eine ge-

sunde Familie ist einer der Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft. Ihre Festigung ist eine der

wichtigsten Aufgaben der Regierung der DDR.275 Es stärkte die familienrechtliche Position von Frau-

en und legitimierte das gemeinsame Entscheidungsrecht beider Ehepartner über die Wahl des Wohn-

sitzes und der Wohnung, über grundsätzliche Fragen der Haushaltsführung und über die Erziehung der

Kinder. Die elterliche Sorge stand beiden Eheleuten gemeinschaftlich zu und unverheiratete Mütter

übten die vollen elterlichen Rechte aus.276

Zu Beginn der Nachkriegperiode wurde eine gesundheits- und bevölkerungspolitische Prob-

lemorientierung zum Anliegen staatlicher Regulierungspolitik in der SBZ/DDR. Neben dem eklatan-

ten Frauenüberschuss in den Generationen der 25-35jährigen wurden eine überdurchschnittlich hohe

Scheidungsrate, ein hoher Anteil unehelich geborener Kinder (19,3 Prozent) 277 und eine hohe (illega-

le) Abtreibungsrate in den Jahren 1946-1950 278 verzeichnet. Daneben gab es massive sexualpädagogi-

sche Aufklärungskampagnen gegen Geschlechtskrankheiten. Gleich nach Kriegsende wurde in der

SBZ eine temporäre Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vorgenommen, die bis 1950 zu

einem rasanten Anstieg nicht nur der legalen, sondern auch der illegalen Aborte führte. Karl-Heinz

Mehlan, Leiter des Institutes für Sozialhygiene der Universität Rostock, prägte den Begriff von einer

sich entwickelnden gefährlichen Abortmentalität 279 der Schwangeren, an anderer Stelle sprach er gar

von Abortsucht.280 Mehlan ging davon aus, dass die kaum durchgeführte strafrechtliche Verfolgung

des kriminellen Abortes die illegale Beseitigung der Leibesfrucht fördere.281 Es entwickelte sich eine

mangelnde Verantwortung vor dem keimenden Leben. Es liegt die Vermutung nahe, daß die meist

ohne Schwierigkeiten erreichten Schwangerschaftsunterbrechungen und die Nachsicht bei der Bestra-

fung des kriminellen Abortes zu einer verminderten Schwangerschaftsverhütung auf der einen Seite

275 Abschnitt II §12. Ebd. 276 Ebd. 277 Mehlan (1957) zit. nach Hahn (2000). S.195. 278 1946 standen einer absoluten Geburtenzahl von 194.000 etwa 100.000 legale (stationäre u. ambulante) und 54.000 geschätzte illegale

Abtreibungen, also insgesamt 154.000, gegenüber. Mehlan (1961). S.59. 279Mehlan (1961). S.63. 280 Die höchsten Genehmigungsquoten erfolgten demnach 1949, wo von 35.000 Anträgen 75 Prozent genehmigt wurden und 1950, als von

32.000 Anträgen 82,4 Prozent positiv beschieden wurden. Der durch diese Maßnahmen erwartete Rückgang risikoreicher, nicht indizierter Abbrüche trat jedoch nicht ein. Im Gegenteil, diese stiegen ebenfalls an. 1949 kamen auf 281.000 Geburten rund 26.250 legale Abtreibungen und ca.76.000 geschätzte illegale Abtreibungen. Mehlan (1961). S.56,59,63.

281 Ebd. S.56.

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und zu einer Erweiterung des Geschlechtsverkehrs auf der anderen Seite führte.282 Um die unbefriedi-

gende Situation zu beenden, wurde die Gesetzgebung 1950 geändert. Mit dem Gesetz über den Mut-

ter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau wurde die biologische Reproduktion wieder unter staat-

liche Kontrolle gestellt. Die Einführung des Gesetzes sollte der stagnierenden Reproduktionsrate zu

neuen Impulsen verhelfen, um die Zukunft der DDR generativ abzusichern.283

Im DEFA-Spielfilm Frauenschicksale wird das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz

und die Rechte der Frau mehrfach durch die FDGB-Funktionärin Hertha Scholz namentlich als erste

große sozialpolitische Errungenschaft der DDR propagiert. Seine positiven Wirkungen werden indes-

sen in der Entwicklung der Frauenfigur Anni inszeniert, als sozialpolitische Aspekte der Gleichstel-

lungspolitik mit biopolitischen Intentionen verbindender Komplex. Die neue gesetzliche Regelung

zum Schwangerschaftsabbruch wird in einer Szene kommuniziert, in der Anni über ihre Schwanger-

schaft unterrichtet. Während Lohmüller abwehrt: Aber doch nicht von mir! Und jetzt sollen wir wohl

heiraten, was? benötigt Anni seine Hilfe: Ein guter Arzt kostet natürlich viel Geld. Doch Lohmüller

reagiert ablehnend: Aber Kind, ich kann dir doch nicht mit Geld helfen. Kennst wohl die Gesetze nicht.

Wenn das rauskommt häng ich drin wegen Beihilfe. Nein, nein, ich gebe mein Hände nicht für eine

Sache her, die gegen das Gesetz verstößt. Diese Filmszene weist auf das geltende Abtreibungsverbot

hin. Auch die darauffolgende positive Entwicklung der Filmfigur Anni transportiert die bevölkerungs-

politische Botschaft des Gesetzes ebenfalls überdeutlich: Die Gesellschaftsordnung der DDR sichert

glückliche Mutterschaft und staatliche Hilfe bei der Erziehung (der) Kinder im Geiste des Friedens,

des Fortschritts und der Demokratie, denn die Kinder sind die Zukunft der Nation (…) deshalb ist die

Sorge um die Kinder, die Festigung der Familie und die Förderung des Kinderreichtums eine der

vornehmsten Aufgaben unseres demokratischen Staates.284 Die erneute Strafbarkeit des Schwanger-

schaftsabbruches wurde bevölkerungspolitisch begründet. Es wurde die Meinung vertreten, dass der

Staat im Interesse des Fortbestandes der Gesellschaft befugt sei, das Recht auf Sicherung ihres Nach-

wuchses durchzusetzen, weil dieses als Recht der Gesellschaft, der Klasse oder Recht des Volkes 285

282 Ebd. 283 Infolge des Gesetzes sank die Zahl der Antragstellungen für einen Schwangerschaftsabbruch zwischen 1950-1955 um 94 Prozent; auch

die Zahl der Genehmigungen verringerte sich. Zwischen 1959 und 1962 wurden nur noch 0,5 Prozent von 10.000 Anträgen bei konstanter Entwicklung der Antragstellungen genehmigt. Mehlan (1961). S.64f.

284 Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau zit. nach Herzog (2005). S.233. 285 Hilde Benjamin 1947. Zit. nach Ebd. S.232.

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gelten könne. Während das christliche Abtreibungsverbot als Eingriff in die persönliche Freiheit 286

abgelehnt wurde, habe das faschistische Abtreibungsverbot dem Kriege und dem Untergang gedient

und im Unterschied zu beiden sei die DDR-Gesetzgebung ausschließlich dem Frieden und dem Wohl-

stand 287 verpflichtet. Es würden Bedingungen geschaffen, die es allen Frauen erlauben, Kinder mit

der festen Zuversicht zu gebären, dass diese eine glückliche Kindheit und eine gesicherte Zukunft ha-

ben werden.288 In Frauenschicksale wird die Mutterschaft der Anni Neumann mit einer heiligen Aura

aufgeladen. Anni wird nicht als Eva, sondern Maria in Szene gesetzt und als zukünftige Mutter des

Neuen Menschen und Garantin der sozialistischen Schöpfung 289 markiert.

5.3.2 Renate Ludwig: Frauenkörper zwischen Leistungskraft und Schönheitspflege

Entsprechend der politischen Forderung, dass die Arbeit der Frauen in der Produktion nicht

auf die traditionellen Frauenberufe 290 beschränkt bleiben sollte, musste die Textilarbeiterin Anni

ergänzt werden. Diese Aufgabe fällt im Film der 16-jährigen Mädchenfigur Renate Ludwig zu, die

durch produktive Arbeit im Stahl- und Walzwerk zur sozialistischen Frauenpersönlichkeit erzogen

wird. Nachdem Lohmüller Anni in eine ungewisse Zukunft als Mutter verabschiedet hat, ist in der

nächsten Szene ein junges Mädchen zu sehen, das sich vor dem Spiegel die Lippen rot anmalt. Der

Szenenwechsel wird durch eine Leierkastenmusik begleitet, wie sie für Jahrmärkte oder Rummelplätze

typisch ist. Das Motiv des Lippenschminkens markiert die Attraktivitätssteigerung des weiblichen

Körpers, während die Leierkastenmusik das Temporäre des Amüsements unterstreicht und dem ge-

samten Arrangement den Charakter einer zeitlosen, schicksalhaften Moritat verleiht. Die Affäre zwi-

schen Lohmüller und Renate beginnt, symbolisch bereits ihren illusionären Charakter und ihre Ver-

gänglichkeit andeutend, auf dem Rummelplatz, als exponiertem Ort der spielerischen Illuminationen

und temporären magischen Verzauberungen.

Später wird Renate in ihrem Betrieb gezeigt, als sie wegen eines Besuches bei Lohmüller kei-

ne Zeit für eine Versammlung hat, auf der Hertha Scholz über das Recht der Frau im neuen Staat

286 Otto Grotewohl 1950. Zit. nach Ebd. 287 Ebd. 288 Ebd. S.218 289 Eifler (20005). S.213. 290 Abschnitt III § 19 Abs. 1 Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27.09.1950 (GBl. 1950, Nr.111,

S.1073).

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spricht. Renates Argumente klingen gänzlich apolitisch: Was gehen mich die anderen Frauen an?

Sollen sie sehen, wie sie mit ihren Sorgen allein fertig werden. Ich muss das ja auch! Bildlich werden

die individuellen Glücksansprüche Renates dadurch inszeniert, dass sie als einzige den Weg zum

Werksausgang nimmt, während die Frauenmasse, das Lied vom Glück 291 singend, in die entgegenge-

setzte Richtung strebt. Renate hat für Lohmüller ein Portraitfoto von sich anfertigen lassen, das sie

ihm in seiner Wohnung überreicht. Dort bemerkt sie die wandfüllende Portraitsammlung unzähliger

Vorgängerinnen. Lohmüller lenkt schnell ab: Reizend siehst Du aus. Was für ein entzückendes Kleid

du an hast. Kenne ich noch gar nicht. Neu? Dir müsste ein hellblaues Kleid ganz besonders gut ste-

hen.

Abb. 14 Renate Ludwig (Sonja Sutter) und Conny Lohmüller (Hanns Groth) / Abb. 15 Begegnung auf dem Rummelplatz

Ebenso wie dieser viel zitierte Satz Lohmüllers, der das äußere Erscheinungsbild der Frauen

fixiert und Verbesserungsvorschläge für eine noch vorteilhaftere Inszenierung ihres Körpers nach sei-

nen Idealvorstellungen bereithält, wird Renates Portrait zum Abbild einer stereotypen, massenhaft für

den wohlwollenden männlichen Blick inszenierten, Weiblichkeitsgeste. Als Renate von ihren Freun-

dinnen erfährt, dass Lohmüller eine andere hat (Du, wir haben deinen Conny gesehen. Der hat ne’

andere. Ne’ todschicke Frau. Und ein Kleid hatte die an, ein Kleid…) kann sie es zuerst nicht glauben.

Doch die Mädchen berichten weiter: Ja, eine ganz elegante, vornehme Frau. Und das Kleid! Prima

hat sie ausgesehen in dem Kleid, das saß wie angegossen. Auf der Straße haben sich alle Leute nach

ihr umgedreht wegen dem Kleid. Also ein Kleid, Renate, da kommst du gar nicht mit! Kurz darauf

macht sich Renate im Westen auf die Suche nach einem vergleichbar nobilitierenden Kleid, um

291 Lied vom Glück. 1950. Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler.

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Lohmüller zurückzugewinnen. Für den Kauf eines besonders eleganten, hellblauen 143.-Mark teuren

Modellkleides im Westen der Stadt stiehlt Renate das mühsam Ersparte ihrer Mutter und verursacht

durch ein Handgemenge unbeabsichtigt den tödlichen Sturz ihres kleinen Bruders. Während Lohmül-

ler keinen Blick an die unglücklich zurückbleibende Renate verschwendet wird diese: Angeklagt, ih-

ren Bruder vorsätzlich getötet zu haben. In der nun folgenden Gerichtsverhandlung wird das

Kernthema des Films, die egalisierende weibliche Glücksideologie des Sozialismus, exemplifiziert.

Der vorsitzende Richter möchte wissen: Haben sie nicht daran gedacht Angeklagte, dass sie ihren

Freund durch ein Kleid allein, und wenn es noch so schön wäre, nicht hätten zurückgewinnen könne?

Das Gericht wollte nämlich wissen, Angeklagte Ludwig, wie es kam, dass sie gerade dieses Kleid be-

sitzen wollten? Renate entgegnet naiv: Aber was soll denn schlecht daran sein, dass ich ein schönes

Kleid haben wollte? Hab ich denn nicht auch das Recht auf ein bisschen Glück? In dieser plakativen

Rhetorik wird die Identitätsformel einer Kleid mit Glück verbindenden bürgerlichen Weiblichkeitsrol-

le kritisiert, die sich programmatisch überholt hat. Deshalb antworten auf den Einwurf Renates ab-

wechselnd verschiedene Personen aus dem Schöffenstand: Niemand bestreitet ihnen das Recht auf ein

schönes Kleid und noch viel weniger das Recht, glücklich zu sein. Aber: Haben denn Millionen andere

Frauen nicht auch das Recht auf ein schönes Kleid und ein bisschen Glück? Freilich hat Renate gar

nichts dagegen, dass andere Frauen auch glücklich sind, doch sie muss sich sagen lassen, während die

Kamera die vielen Frauengesichter im Saal einfängt: Es genügt nicht, dass man nichts dagegen hat,

man muss auch etwas dafür tun, denn diese Millionen sind alle ihres gleichen. In dieser Szene werden

Konsumbedürfnisse ins Verhältnis zum Wachstum der sozialistischen Produktion gesetzt, die nun

auch Aufgabe der Frauen ist. Andererseits wird über das Glücksversprechen des Sozialismus die sym-

bolische Repräsentationsleistung des weiblichen Geschlechts stabilisiert: Das neue (alte) Glück der

Frauen findet in der (re)produktiven Arbeit im Dienste des kollektiven Glücks der Gemeinschaft sei-

nen positivsten Ausdruck. In ihrem abschließenden Plädoyer generalisiert die Staatsanwältin: Es geht

nicht um Renate Ludwig allein. Viele Frauen gehen heute den gleichen falschen Weg, ohne vor dem

Gesetz schuldig zu werden. Geblendet durch den trügerischen Glanz einer zum Untergang verurteilten

Gesellschaftsordnung verschloss Renate Ludwig sich dem neuen Leben. Auch sie verfiel dem verlo-

ckenden Schlagwort: ‚Man lebt ja nur einmal!’ Und das sind nicht die Irrwege eines einzelnen, das

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sind die Irrwege einer ganzen Welt. Im Kontext dieser Kritik am trügerischen Schein der kapitalisti-

schen Warenwelt erscheint auch der Kleiderkauf Renates mitsamt seinen Beweggründen als rudimen-

tärer Akt einer überholten weiblichen Geschlechtermaskerade.

Nachdem Renate zu zwei Jahren Haft verurteilt worden ist, darf sie später durch die Fürspra-

che der Richterin Barbara Berg mit produktiver Arbeit in einem Stahl- und Walzwerk ihre Rehabilitie-

rung beschleunigen. Sie qualifiziert sich zur Lokführerin und lernt den Stahlgießer Helmut kennen.

Während der Szenen im Gefängnis und im Stahl- und Walzwerk trägt Renate abwechselnd graue,

schäbige Kittel oder dunkle, weite Arbeitskleidung. Sie wird bei schmutziger, schwerer Arbeit, wie

dem Beladen von Waggons mit Eisenteilen und Stahlträgern gezeigt und trifft sich, von der Arbeit

verschmiert und verschmutzt, mit ihrem Verehrer Helmut zu Rauchpausen. Zwischendurch werden

dokumentarische Sequenzen des traditionell männlichen, industrieproletarischen Stahlwerkerberufes

eingeblendet, die durch weitere Passagen des Liedes vom Glück zu einer heroisierenden, den Aufbau

des Sozialismus maskulin konnotierenden, Arbeitsästhetik aufgeladen werden. In dieser schönge-

zeichneten schwerindustriellen Arbeitswelt lernt die zarte Renate ihren Mann stehen: Sie gibt später

selbst Befehle und beherrscht die Technik. Dabei kann sich die Filmfigur Anerkennung im Kollektiv

verschaffen und auch männliche Aspekte (Maschinen dirigieren, Rauchen) in ihren Körperhabitus

integrieren, ohne dass ihre weibliche Geschlechtsidentität in Frage gestellt würde. Trotz ihrer berufs-

bedingten androgynen Gesten bleibt sie mit ihren offenen, blonden, lockigen Haaren eindeutig als

Frau erkennbar und besitzt weiterhin Sexappeal. Ihre Weiblichkeit wird für die Dauer ihres Aufenthal-

tes in der Produktion und darüber hinaus entscheidend durch die Andeutung der heterosexuellen

Paarbeziehung mit dem Stahlgießer Helmut stabilisiert, der sie auch bei der Arbeit anleitet. Am Ende

des Filmes wird Renate von ihren Freund Helmut direkt aus der Einzelzelle in die Damenkonfektions-

abteilung der staatlichen Handelsorganisation (HO) geführt, um dort ein schönes Kleid zu kaufen. Die

Spuren, die sich durch die schwere körperliche Arbeit in das schwache Geschlecht eingegraben haben,

können dank der fleißigen Arbeit von Textilfacharbeiterinnen (wie Anni) im privaten Leben durch das

Tragen eines schönen Kleides schnell unsichtbar gemacht und korrigiert werden. Der Frauenkörper

Renates, unter der Gefängnis- und Werkskleidung ganz im Sinne seiner leitbildhaften Proletarisierung

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mit der Inhibierung sozialistischer (männlicher) Normen beschäftigt, strahlt mit neuem Glanz in seiner

weiblichen Geschlechtsidentität auf. Innerlich und äußerlich neu justiert.

5.3.2 Weiblichkeitsimaginationen und Kleidersymboliken

Auch die jungen Filmfrauen überprüfen allesamt mit Spiegelblicken ihren Körper. Mit dieser

Geste wird ein kulturelles Blickregime assoziiert, das den Blick der anderen im visible self 292 spiegelt

und zurückspiegelt und maßgeblich an der Bildung von Genderidentität beteiligt ist. Im Konzept der

Weiblichkeit als Maskerade 293 wird doing Gender sichtbar. Weiblichkeit wird hier als Resultat des

Begehrens sowie als Projektion des Begehrens eines anderen figuriert. Die Frau als Objekt repräsen-

tiert dabei das andere und steht gleichzeitig für das männliche Begehren des anderen.294 Die Maskera-

de zeigt Weiblichkeit als Eintritt in das männliche Wertesystem.295 Der Topos des Spiegelblicks und

sein kulturelles Blickregime wurden bereits in den 1920er Jahren 296 und von der feministischen Film-

297 und Modekritik der 1970er Jahre als Akt der weiblichen Identitätsstiftung durch Unterwerfung

unter den männlichen Blick beschrieben. Die Dauerpräsenz der Kleidersymbolik in Frauenschicksale

macht deutlich, dass Genderidentitätsdiskurse in der frühen DDR über traditionelle Frauenthemen

(Schönheit, Aussehen, Kleidung) kommuniziert wurden. Die Kleiderordnung stellt eine wichtige Stra-

tegie zur Herausbildung von geschlechtlichem Körperhabitus und körperlicher Disziplinierung 298 dar

und übernahm auch im Sozialismus eine zentrale Funktion bei der Konstruktion gültiger Weiblich-

keitsbilder. Mode gilt als wichtige Technologie of gender 299 der Moderne.300 Mode ist das Klassen-

und Geschlechtsunterscheidungsmittel, das die Charakteristika der Abgrenzung und Nachahmung in

sich vereint. Ihr obliegt der Prozess der sozialen Differenzierung: So wurde die Mode distinktiv und

identitätsstiftend zugleich.301 Das Struktur- und Zeichensystems der Mode kann gleichzeitig als höchst

292 Mentges (2004). S.570. 293 Riviere 1929 zit. nach Weissberg (1994). S.34-47. 294 Weissberg (1994). S.7-8. 295 Ebd. S.13. 296 Riviere 1929 zit. nach Weissberg. Ebd. 297 Mulvey (1993). S.48-65. 298 Mentges 2004. 299 de Lauretis 1987. 300 Mentges (2004). S.570. 301 Binder/Benedek (1997). S.8.

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verfeinertes Spiel und als grundlegende Gesellschaftsform verstanden werden 302, denn sie ist der Ort,

an dem die Fundamente dieser Politik ohne begrifflichen Aufwand, ostentativ als Geschlechterpolitik

bloßgelegt und angreifbar werden.303

In Frauenschicksale wird durch die Unterscheidung von bürgerlich-dekadenter und proleta-

risch-funktionaler Kleiderordnung das Weiblichkeitsideal des Sozialismus transportiert. Die bürgerli-

che Kleiderphilosophie wird einerseits durch Lohmüllers körperfixierte Kommentare (lindgrünes,

hellblaues, elegantes, neues Kleid, reizend sehen sie aus, so schön hab ich dich noch nie gesehen,

beinahe hätte ich sie nicht wiedererkannt), die modebewussten Freundinnen der Renate (’ne ‚todschi-

cke’ Frau und ein Kleid hatte die an, da kommst du gar nicht mit), die außergewöhnlich gekleidete

Adlige von Trautwald und durch den fragwürdigen Kleiderkauf Renates ins Szene gesetzt. Auf der

anderen Seite wird die sozialistische Kleiderphilosophie über die Dienstkleidung der Richterin Barba-

ra, die kleiderproduzierende Textilfacharbeiterin Anni (Die Arbeiterin hat als erste das Recht auf ein

schönes Kleid), die unauffällig-funktionale Kleidung der Hertha und die FDJ-Kleidung der Ursel in

Szene gesetzt. Die Verhandlung der Kleiderordnung folgt dabei dem Feind-/Freund-Schema des Kal-

ten Krieges: In einer binären Logik werden Frauen im Westen als Luxusweibchen und konsumorien-

tierte Statusobjekte den fleißigen Arbeiter/innen im Osten gegenübergestellt, die auf ein schönes Kleid

nicht verzichten sollen. Allerdings müssen sie es sich selbst verdienen. Immerhin, so kommentierte der

Filmkritiker Wolfgang Gersch, wollte dieser Film, daß die Frauen schön aussehen.304 Denn auch trotz

des Erwerbstätigkeitsdiskurses hatten Frauen im Sozialismus die Pflicht 305, ihren Körper gesund zu

erhalten und dabei schön auszusehen: Sozialistische Körperkultur sollte der Förderung von Erholung

und Entspannung, Gesundheit und Schaffenskraft, Schönheit und Anmut unsere(r) Frauen dienen. 306

Ziel war, den Körper spannkräftig und leistungsfähig zu erhalten und damit zu gewährleisten, daß die

Frau ihren Pflichten in Familie und Beruf leicht und froh nachkommen kann und beim Aufbau eines

besseren Lebens aktiv mitwirken kann.307 Schönheitspflege wurde auch im Sozialismus propagiert und

durch Berufskleidungskollektionen für Frauen sowie mit der Etablierung von Betriebskosmetiksalons

und in vielgelesenen Frauen- und Modezeitschriften öffentlich diskutiert. Anfang der 1960er Jahre

302 Baudrillard (1982). S.133. 303 Vinken (1983). S.12. 304 Gersch (2006). S.51. 305 Hockerts (1994). S.526. 306 Budde (2000). S.613 Anm. 40. 307 Ebd.

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hatte sich mit der Planungsoffensive Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit ein weiblicher Kör-

perpflegediskurs in der DDR etabliert.308 Auch die zeitgenössische Enzyklopädie Die Frau nahm die

Forderungen weiblicher Körperpflege auf: Die Frau unserer Zeit hat nicht nur das Recht, sondern

auch die Pflicht, gut und gepflegt auszusehen. Sie präsentiert mit ihrer Erscheinung den Staat, dessen

Bürgerin sie ist.309 Es wurde darauf hingewiesen, dass von Frauen verlangt werden könne, daß ihr

Äußeres dieser neuen gesellschaftlichen Stellung in jeder Weise entspricht. Dazu gehörten neben den

richtigen Formen des Auftretens und gutgewählte(r) Kleidung eine gründliche und regelmäßige Kör-

perpflege. Sie ist kein Luxus.310

Das sozialistische Weiblichkeitsideal lehnte nicht nur an proletarische Vorbilder an, sondern

auch an nationale Werte- und Kulturtraditionen. Die Vorstellung vom deutschen Wesen, so Charlotte

Tacke, war fest verknüpft mit dem Bild von der deutschen Frau als Verteidigerin der deutschen Kul-

tur, die mit ihren weiblichen Tugenden einen Schutzwall gegen welschen Flittertand und Fremdlände-

rei 311 bildete. Während die deutschen Mädchen und Frauen Keuschheit, an Prüderie grenzende Sitt-

lichkeit, Sauberkeit, Familie, Traditionen, Ehre und Treue versinnbildlichten, wurden andere Nationen

(andere Frauen) mit konträren undeutschen Eigenschaften bedacht: Sinnlichkeit, Verführungskunst,

Koketterie, Vergnügungssucht und Wechselhaftigkeit waren französische weibliche Untugenden. 312

Auch in Frauenschicksale wird der nationale weibliche Tugendkatalog über Kleiderordnung und Mo-

ral in den Systemvergleich DDR/BRD eingeflochten.

5.4 Der DEFA-Spielfilm Vergeßt mir meine Traudel nicht (1957)

Der DEFA-Spielfilm Vergeßt mir meine Traudel nicht 313 kam 1957 in die DDR-Kinos und

war eine der wenigen erfolgreichen DEFA-Komödien. Seine Entstehung datiert in einer kulturpoliti-

schen Tauwetter-Ära, die nach der Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU im

308 Budde (2000). S.613. 309 Ebd. 310 Ebd. S.614. 311 Tacke (1996). S.42. 312 Ebd. S.43. 313 Vergeßt mir meine Traudel nicht (1957). 35 mm. s/w. 86 min. Regie: Kurt Maetzig. Drehbuch: Kurt Barthel, Kurt Maetzig. Dramaturgie:

Willi Brückner. Kamera: Erwin Anders. Szenenbild: Alfred Hirschmeier. Musik: Hans Hendrik Wehding. Schnitt: Ilse Peters. Produktion: DEFA. Darsteller: Eva Maria Hagen (Gertraud Gerber, Traudel), Horst Kube (Hannes Wunderlich), Günter Haack (Wolfgang Auer), Erna Sellmer (Frau Palotta), Günter Simon (VP-Kommissar), Fred Delmare (Jugendlicher), Manfred Krug (Rock’n Roll-Bandleader) u.a.. Premiere 15.11.1957.

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Februar 1956 von einer beginnenden Entstalinisierung gekennzeichnet war: Das Erstaunliche an die-

sem Film ist ja, dass ein Polizist einem Mädchen, einem asozialen Element, einen Personalausweis

beschaffen konnte. Ein paar Jahre später wäre der Film gar nicht mehr möglich gewesen oder gleich

in der Versenkung verschwunden.314 Da Gegenwartskomödien bei der DEFA misstrauisch behandelt

wurden, schrieben Drehbuchautor Kurt Barthel und Regisseur Kurt Maetzig, beide anerkannte Künst-

ler und überzeugte SED-Genossen, aus der Originalvorlage eine Tragikkomödie: So eine Geschichte

zwischen ein bißchen sentimental und ein bißchen komisch.315 Maetzig betont rückwirkend, dass die

Tabubrüche, wie z.B. die sogenannte Nacktszene und das Marilyn Monroe-Zitat der Hauptdarstellerin

oder der milde bestrafte Amtsmissbrauch des Polizisten, ohne das künstlerische und politische Prestige

beider Autoren nicht durchsetzbar gewesen wären.316 Von der Filmkritik wurde positiv hervorgehoben,

dass sich der Film vom seichten Lustspielschmarren deutscher Provenienz abhebe und an besseren

Traditionen und Vorbildern partizipiere und viele von jenen wertvollen Wesenszügen zeige, die italie-

nischen Lustspielen eigen seine. Hier wie dort ein glücklicher Griff ins Leben, Volkstümlichkeit, Ge-

genwartsnähe, genaue Menschenbeobachtung - hier wie dort Ernstes und Heiteres dicht beieinan-

der.317 Empörung und Kritik dagegen handelte sich der Film für die sogenannte Nacktszene ein, die

auch international skandalisiert wurde: Der russische Filmemacher Michail Romm sah die Grenze zur

Pornographie überschritten und warf Kurt Maetzig vor, den sozialistischen Realismus verraten zu

haben.318 Karl Eduard von Schnitzler erregte sich im Filmspiegel: Warum so viel Schminke, soviel

Bein und Busen bei diesem armen Mädchen? Warum diese Dauerauftritte in ein Badetuch gehüllt?

Das kann man bei Gina Lollobridgida und den Rollen, die sie verkörpert, machen, aber doch nicht bei

dieser Traudel, die im tiefsten Grunde keusch und sauber ist – würde sie sich sonst für den Hannes

entscheiden? Würde man sonst an ihre positive Zukunft glauben? So aber spielt sie mehr Luder als

Herz; bei manchen Situationen entstehen statt Mitleid oder wohlwollendem Entsetzen über das, was

sie nun schon wieder anstellt, Unbehagen und Unwillen darüber, daß sie den guten Hannes derart in

die Nesseln reitet.319 Ina Merkel stellt fest, dass die Kritik nicht unbedingt den Bruch des Nacktheits-

tabus im Blick hatte, stattdessen der Sexappeal der Hauptprotagonistin als anrüchig empfunden wurde.

314 Eva-Maria Hagen zit. nach Poss (1996). S.16. 315 Kurt Maetzig zit. nach Ebd. S.10. 316 Poss/Warnecke (2006). S.124. 317 Junge (1970). S.158. 318 Poss (2006). Ebd. 319 von Schnitzler (1957) zit. nach Merkel (1995). S.84.

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Das Dekorieren des Körpers und weibliche Verführungskünste gehörten nicht zum Weiblichkeitsent-

wurf eines deutschen Proletariermädels und wurden in der Nähe zur Prostitution assoziiert.320

5.4.1 Filmhandlung

Der Film beginnt mit einer nächtlichen Fluchtszene aus einem Erziehungsheim, in deren Ver-

lauf die minderjährige Hauptprotagonistin Gertraud Gerber alias Traudel (Eva-Maria Hagen) in einen

Unfall mit dem Motorradfahrer Wolfgang Auer alias Kiepe (Günther Haack) verwickelt wird. Als

dieser Personalien austauschen will, weicht das Mädchen aus.

Abb. 16, 17, 18 Kiepe (Günther Haack) und Traudel (Eva-Maria Hagen) lernen sich durch einen Unfall auf der Landstraße kennen.

Sie erzählt, dass sie sich auf der Flucht vor ihrem zudringlichen Pflegevater befindet. Kiepe

schlägt vor, das Mädchen mit nach Berlin zu nehmen, weil sie dort angeblich Bekannte hat. Doch dazu

kommt es nicht, denn nachdem Traudel den ahnungslosen Lehrer zu einem Kleiderdiebstahl angestif-

tet hat, lässt dieser sie wütend am Straßenrand zurück. Trotzdem findet sie sich abends bei Kiepes

Berliner Adresse ein. Dort wird sie von dessen Mitbewohner, dem Polizisten Hannes Wunderlich

(Horst Kube), in die Wohnung gelassen. Dieser, im festen Glauben es handele sich bei dem Mädchen

um die neue Freundin von Kiepe, empfängt die Unbekannte sehr zuvorkommend. Er bietet ihr freund-

licherweise ein Bad an und bereitet ein Essen zu. Als Traudel ihre Anstaltswäsche im Badeofen zu

verbrennen versucht, kommt es zu einer heftigen Rauchentwicklung und das Mädchen flüchtet ins

Zimmer zurück. Mit einem Handtuch um ihren Körper drapiert bringt sie Hannes in Verlegenheit. Die

320 Ebd.

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Vermieterin Frau Palotta (Erna Sellmer) geht der Ursache des Qualms nach und zieht die Stofffetzen

aus dem Ofen. Dabei entdeckt sie eine Lederbörse mit einem Brief aus dem KZ Ravensbrück, der mit

den Worten Vergesst mir meine Traudel nicht endet. Daraufhin beginnt sie Nachforschungen über das

fremde Mädchen anzustellen.

Hannes und Kiepe überlegen derweil, wie sie die leichtbekleidete, freche Lügnerin wieder

loswerden können. Da Traudel keine Papiere hat, fühlen sich die Männer für sie verantwortlich und

beschließen ihr zu einer amtlich beglaubigten Identität zu verhelfen. Der Wirtin wird sie offiziell als

Kiepes Cousine vorgestellt, die den beiden Männern zukünftig den Haushalt führen soll. Auf der Poli-

zeiwache stellt Hannes dem Mädchen einen provisorischen Personalausweis mit erfundenen Daten

aus. Später dann fällt ihm der Steckbrief der Gertraud Gerber in die Hände, den er heimlich an sich

nimmt: Wahrscheinlich geboren in Neusalz an der Oder. 1945 auf dem Hauptbahnhof in Dresden

aufgegriffen. Danach Kinderheim, im Anschluss Pflegeeltern. Wegen unsittlichen Verhaltens erneut in

Heimerziehung. Aus drei Erziehungsanstalten ausgebrochen und wieder eingefangen. Zuletzt aus der

festen Erziehungsanstalt Bahnsdorf flüchtig. Während Kiepe in seinem Lehrerkollegium den Fall des

Mädchens als erzieherisches Experiment nach den Maximen der sozialistischen Pädagogik ausbreitet:

Vertrauensbasis herstellen! Makarenko! Ich drück ihr also einen Hundertmarkschein in die Hand und

die Hausschlüssel und sag zu ihr: So, kauf dir ein Kleid! unterrichtet ihn Hannes über die neue Sach-

lage. Beiden Männern ist klar, dass sie Gesetzesgrenzen überschritten und als Staatsbedienstete ihre

berufliche Karriere gefährdet haben. Während Hannes die Sache offiziell anzeigen möchte, will Kiepe

das Problem pädagogisch lösen: Überlass das Mädel mir, als erzieherisches Problem, man muss ihr

auf der Vertrauensbasis, auf der Basis der Liebe begegnen. Zwischenzeitlich warnt Frau Palotta: Herr

Wunderlich, nehmen sie sich bloß vor dieser Cousine in acht. Die kommt ja aus ganz undurchsichtigen

Verhältnissen. Mutter im KZ Ravensbrück. Sagt ihnen das was? Daraufhin beschließt nun auch Han-

nes dem Mädchen zu helfen.

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Abb. 19, 20, 21 Die skandalträchtige sogenannte Nacktszene.

Traudel kauft derweil zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes Kleid: Ein tiefdekolletiertes,

schwarzes Abendkleid aus Perlontüll und hochhackige Schuhe haben es ihr angetan. Während sich die

Verkäuferinnen insgeheim über sie lustig machen, empört sich eine ältere Frau: Mein Gott, sagt denn

keiner dem Mädel, wie sie aussieht?! Derartig ausstaffiert überquert das Mädchen bei rot die Straße

und richtet ein Verkehrschaos an. Autofahrer rufen ihr zu: Tritt dir man nicht auf den Tüll, Kleine!

Und machen anzügliche Bemerkungen: Nachts ist die bestimmt kein Verkehrshindernis. Als ein Poli-

zist sie von der Fahrbahn pfeift, verheddert sie sich mit ihren Stöckelschuhen im Gitter eines U-Bahn

Lüftungsschachtes: Mehrere Männer stützen sie, während ihre Röcke in Anlehnung an die berühmte

Marilyn Monroe-Vorlage fliegen und ihr Schuhabsatz abbricht. Als sie barfuß in die Wohnung zu-

rückkehrt, ist Kiepe fassungslos: Wie du aussiehst! Das ist wirklich das letzte? Er stellt sie zur Rede:

Aus der Erziehungsanstalt bist du ausgebrochen. Du wirst von der Polizei gesucht. Du wirst Hannes

und mich noch um die Arbeit bringen, vielleicht sogar ins Gefängnis! Und warum? Weil Du kein Ge-

wissen hast. Traudel schluchzt und antwortet trotzig: Na und? Was kann ich dafür? Als Hannes die

Szene betritt nehmen beide an, dass er Traudel nun abführen wird, doch er repariert ihren kaputten

Schuh, gibt ihr Geld für Essen und Kino und erklärt Kiepe: Ich habe etwas sehr wichtiges über das

Mädchen erfahren.

Traudel zieht los und lässt sich von der Musik aus dem Tanzcafé Lila verführen. Dort über-

nimmt sie sich finanziell mit exotischen Salaten und Mixgetränken und wird von einem jungen Mann

am Nebentisch eingeladen. Dieser und seine Freunde, äußerlich als Rock’n Roller kenntlich, füllen das

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Mädchen mit Alkohol ab. Während Traudel betrunken ihren Gönner verhöhnt: Du armes Würstchen!

Und so wat will mir vernaschen? wird die Rock’n Roll-Musik immer lauter. Als die Tanzenden richtig

loslegen, kocht die Luft und einer der Jungen nimmt Traudel ihre Geldbörse weg: Das bekommt du

nicht wieder, bevor wir uns nicht ganz genau kennen gelernt haben. Umsonst ist der Tod! In den fol-

genden Szenen wird das barfüßige Mädchen von den Jungen unsanft über den Tanzboden geschubst.

Die zunehmende Brutalität der Szene wird durch, im Rhythmus der Musik klatschende und pfeifende,

Jugendliche begleitet.

Abb.22 Traudel sorgt in der Öffentlichkeit für Aufregung. / Abb.23 Traudel wird im „Tanzcafe Lila“ von Rock’n Roll-Fans zum Alkohol verführt. / Abb. 24 Traudel hat sich das falsche Kleid gekauft. Andere Gäste mischen sich ein: Unerhört! Lasst doch das Mädel in Ruh. Doch die Rock’n

Roll-Fans verstehen die kleine Einlage eher sportlich und die Szene geht in kollektives Tanzen über.

Der Polizist Hannes Wunderlich beendet das Ganze, wird von den Jugendlichen attackiert und in eine

Schlägerei verwickelt. Hannes macht Traudel keine Vorwürfe, sondern versucht ihr Vertrauen zu ge-

winnen und mehr über ihr Leben zu erfahren. Während sie über Heim, Ausbruchsversuche, den zu-

dringlichen Pflegevater und die Etikettierung als sittlich Gefährdete durch die Jugendfürsorge erzählt,

nimmt der gelernte Schneider Hannes ihre Körpermaße. Er fertigt in Kürze ein schönes Sommerkleid

und muntert das elternlose, traurige Mädchen auf. Derweil lästern schon die Hausbewohner: Eine ganz

unverschämte Person, diese Wirtschafterin. Erst dacht ich bloß der Motorradfahrer hätte es mit ihr.

Aber die scheint es ja mit allen beiden zu haben. Wo ist denn das Flittchen abgeblieben nach dem

Radau heute Nacht? Die Vermieterin Frau Palotta gerät in Zugzwang: Weg muss sie, diese verdammte

Göre, die bringt mich ins Gerede, Herr Wunderlich, und sie auch. Die Leute sagen ja schon ich bin

ein Puff. Doch sie hat auch noch Neuigkeiten: Ich weiß jetzt auch was dem Herrn Auer seine Cousine

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ist! Mutter dreimal eingesperrt wegen Umgang mit einem Ausländer. Und diese Cousine ist die Frucht

davon. Im Gefängnis geboren wird auch im Gefängnis enden. Hannes sieht eine Chance, Traudels

Herkunft aufzuklären und bittet die Vermieterin Zeugen beizubringen. Als Hannes das Mädchen dar-

über unterrichten will, findet er es auf dem Rummel, wo es mit naiver Begeisterung ein Karussell aus-

probiert. Während sich Traudel mit kindlicher Freude amüsiert, schenkt ihr der inzwischen verliebte

Hannes einen großen Blumenstrauß. Später bittet er sie, sich an Details aus ihrer Kindheit zu erinnern.

Abb.25 Traudel erzählt aus ihrer Kindheit / Abb.26 Traudel und Hannes werden ein Paar / Abb.27 Traudels Herkunft klärt sich auf

Traudel erzählt, dass sie in einem christlichen Kinderheim von der Inhaftierung ihrer Mutter

erfahren und von einer der Ordensschwestern ganz besonderen Beistand erhalten hat. An ihre frühe

Kindheit hat sie nur sehr vage Erinnerungen, die sie in Traumbildern formuliert: Da ist ein Mann, der

ist sehr gut und sehr schön. Der sitzt ganz oben im Himmel, wie der liebe Gott. Und Autos fliegen

durch die Luft. Und dann macht der liebe Gott den Mund auf und hat keine Zähne. Am Ende der Sze-

ne nimmt Hannes das Mädchen tröstend in den Arm.

In der letzten Szene des Films wird die Herkunft der Traudel Gerber endgültig aufgeklärt: Die

drei auf das Volkspolizei Kommissariat geladenen Zeugen aus Neusalz an der Oder bestätigen, dass

Traudels Mutter Hannah aufgrund einer Liebesbeziehung zu einem osteuropäischen Zwangsarbeiter

im KZ Ravensbrück inhaftiert war: Es durfte eben damals nicht sein mit den Tschechen und Polen.

Und wenn sie es noch heimlich getan hätten, aber nein, davon wollte Hannah nichts wissen. Offen und

vor aller Welt. Auch Traudels frühe Kindheitserinnerungen decken sich mit dem Vaterbild der Zeu-

gen: Wer hätte den blonden Kranführer nicht gekannt? Die haben doch damals wochenlang Wehr-

machtsautos auf der Oder verladen. Er war ein Bild von einem Mann. Das Kind war dem Vater wie

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aus dem Gesicht geschnitten. Auch die Demütigungen und Qualen, die die Eltern erleiden mussten,

sind den Zeugen nicht entgangen: Keinen Zahn mehr hatte der Mann im Mund und die Haare:

schlohweiß. Und Hannah: Sie trug ein Kopftuch, denn sie hatten ihr die Haare geschoren. Alle drei

bestätigen: Es war eine große Liebe. Und an der Gemeinheit der Menschen ist sie zugrunde gegangen.

Über den weiteren Verbleib der Eltern wird nichts bekannt. Nachdem das Geburtsdatum der Traudel

Gerber amtlich beglaubigt ist und diese just genau am gleichen Tag ihren 18.Geburtstag feiern kann,

überreicht ihr der VP-Kommissar einen neuen Personalausweis und gratuliert zur Volljährigkeit: Die

Vormundschaft des Staates über sie ist ab heute erloschen. Während Traudel zur Verkehrserziehung

zitiert wird, muss sich der Polizist Hannes wegen Amtsmissbrauch verantworten. Er wird mit 14 Ta-

gen Haft bestraft, muss den Dienst quittieren und kehrt in seinem alten Beruf als Schneider zurück. Er

verspricht seinem Vorgesetzten aus dem Mädchen etwas Ordentliches zu machen. Traudel teilt er

scherzhaft mit, dass er den Sonderauftrag bekommen hat, sie ein Leben lang streng zu bewachen.

5.4.2 Die nationale Wiedergeburt zwischen weiblicher Victimisierung und männlicher Zivilisierung

In Vergeßt mir meine Traudel nicht wird die Schöpfung der nationalen Gemeinschaft in der

DDR als Sozialdisziplinierungsgeschichte des sexualisierten Körpers der fremden Frau erzählt. Die

moralische Deformation der identitäts- und heimatlosen Waise ist mit ihrem Herkunftsgeheimnis in

der NS-Vergangenheit verwurzelt. Im Laufe der Filmhandlung wird sie als Opfer politischer Verfol-

gung im Nationalsozialismus kenntlich gemacht. In diesem Zusammenhang relativiert sich das ihr

angeheftete Stigma der sittlich Gefährdeten und dreht sich der Plot darum, weibliche Sexualität in die

richtigen Bahnen zu lenken. Am Anfang der Filmhandlung wird das Mädchen auf der Flucht, mittellos

und als Unfallopfer eingeführt. Dadurch gerät sie unter die Verantwortung männlicher Vertreter des

Staates (Lehrer, Polizist). Ihre Markierung als Heimatlose, die aus der ländlichen Peripherie kommend

in der Hauptstadt Ost-Berlin auf zwei urbane Protagonisten trifft, wird durch ihre Identitätslosigkeit

unterstrichen. Das Geheimnis um ihre Herkunft wird zunächst als Diskurs des weiblich konnotierten

schönen Fremden bebildert, der mit Naturhaftigkeit, Sexualität und Animalität für Faszination und

Schrecken gleichermaßen steht. Das Eintreten des fremden Mädchens in den Bannkreis der männli-

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chen Zivilisation ist durch ihre sexuelle Natur dominiert. Die attestierte sittliche Gefährdung wird über

das Motiv der Verführung durch weibliche Reize in Szene gesetzt. So u.a. mit der klassischen Film-

szene des nackten Körpers im Bad oder unter einem knappen Handtuch, dem hochfliegenden Rock

über dem Lüftungsschacht, durch den Kauf des unangemessenen Kleides. Doch nicht nur die Scham-

grenzen verletzende Körperinszenierung des Mädchens und ihre frechen, ordinären Ausdrucksweisen,

sondern auch die Weiblichkeitsmaskerade der schönen Lügnerin konstituieren das Bild ihres Anderss-

eins. Im Verlauf der Handlung erscheint sie jedoch mehr und mehr als schutzbedürftige Infantile, die

die Folgen ihres impulsiven und unkontrollierten Verhaltens nicht einzuschätzen vermag. Die Weib-

lichkeitsmaskerade des gerissenen Luders, die sie in den Status einer persona non grata versetzt, tritt

mit den Attributen des anlehnungs-, liebes- und hilfsbedürftigen Kindes in den Hintergrund. Ihr pro-

vozierender Sexappeal erscheint nunmehr als Geste jugendlicher Unbedachtheit und mangelnder Er-

ziehung, bleibt dabei aber Projektionsfläche männlichen Begehrens. Vor allem die Rock’n Roll-Fans

werden im Film zu Exponenten patriarchaler Objekt- und Sexualphantasien des Mädchenkörpers.

4.2.3 Antifaschistischer Opferdiskurs und Bruch mit der NS-Vergangenheit

Jugendverwahrlosung und Jugendkriminalität waren viel diskutierte Probleme der Nach-

kriegszeit. Ab Mitte der 1950er Jahre wurde Teilen der Jugend in der DDR unterstellt, dass sie durch

rudimentäres, bürgerliches Gedankengut und den kapitalistischen Klassenfeind beeinflussbar und in

ihrer sozialistischen Persönlichkeitsbildung entwicklungsgefährdet seien. Jugendkriminalität wurde

den Einflüssen westlicher Schund- und Schmutzliteratur, der amerikanischen Musikkultur, dem Alko-

holkonsum und Fehlerziehung zugeschrieben. Mit der traditionell zwischen den Geschlechtern diffe-

renzierenden Beurteilung abweichenden Verhaltens kamen Mädchen besonders häufig wegen sittli-

cher Gefährdung unter staatliche Aufsicht. Ein großer Teil der verwahrlosten und gefährdeten Jugend-

lichen der Nachkriegszeit waren Waisen, stammten aus zerrütteten Familien, oft handelte es sich um

Stief- oder Pflegekinder.321 Die besondere Gefährdung der Mädchen leitete sich aus ihrer stärker im

321 Redlich (1965). S.255 f. Zit. nach Strauss (1996). S.96.

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67

familialen Raum verorteten sozialen Entwicklung ab.322 Sexuelle Gefährdung, Hemmungslosigkeit und

Herumtreiberei 323 wurden als häufigste Einweisungsgründe genannt und galten bei Mädchen als die

natürlichsten.324 Die Doppelmoral machte für das Fehlverhalten der Jungen die Mädchen selbst ver-

antwortlich: Es ist eine jahrhundertealte Erfahrung, daß es auf die Frauen und Mädchen ankommt, in

welcher Weise ihnen die Männer begegnen.325 Im rigiden Umgang mit solchermaßen in der stationären

Fürsorge internierten Mädchen und jungen Frauen hat es zwischen BRD und DDR in dieser Zeit kaum

Unterschiede gegeben.326 Die diskriminierende Behandlung von Geschlechtskranken hatte Traditi-

on.327 Auch in der SBZ/DDR wurde hinsichtlich der Verfolgung von sittlicher Gefährdung unhinter-

fragt an Stereotype der späten Weimarer Wohlfahrtspolitik 328 und des NS angeknüpft.329

Im NS war die Verfolgung von Asozialen 330 in der rassenbiologischen Vernichtungspolitik

kulminiert.331 Mit dem Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei vom

14.10.1937 hatte die Nomenklatur festgelegt: Als asozial gilt, wer durch gemeinschaftswidriges, wenn

auch nicht verbrecherisches Verhalten zeigt, dass er sich nicht in die Gemeinschaft einfügen, sich der

in einem nationalsozialistischen Staate selbstverständlichen Ordnung nicht fügen will.332 Der Diskurs

des Gemeinschaftsfremden stempelte Mädchen, die nicht dem Leitbild des deutschen Mädels entspra-

chen oder Ehefrauen, die nicht die deutsche Mutterrolle einnehmen wollten, bereits als gefährdet ab.333

Der Besuch von Tanzveranstaltungen, Alkohol- und Zigarettenkonsum, Schminken und auffälliges

Kleiden, Männerbekanntschaften, Selbstbewusstsein und Ungehorsam fügten sich schnell zum Ge-

samteindruck der sexuellen Haltlosigkeit und (Gelegenheits-)Prostitution.334 Eine außerhalb der Fort-

pflanzungsgemeinschaft Ehe gelebte weibliche Sexualität gefährde, so hieß es, die Volksgesundheit,

die Sexualmoral der Volksgemeinschaft und später dann der Heimatfront. Seit 1937 wurden als asozi-

al, minderwertig, sittlich verwahrlost eingestufte Mädchen und Frauen nicht nur in Anstalten, Lager

für geschlossene Fürsorge und Arbeitserziehungslager eingewiesen und entmündigt. Sondern auch in

322 Friedrich (1953). S.9-10. Zit. nach Ebd. S.99. 323 Kretzschmar (1961). S.50f. Zit. nach Ebd. S.97-98. 324 Friedrich 1953. Zit. nach Ebd. S.97. 325 Neubert (1964). S.130. 326 Lützke (2002). S.172-198. 327 Foitzik (1997). S.122-143. 328 Brunner (2000). S.53f.; Ayaß (1995). S.15f. 329 Limbächer u.a. (2000). S. 1, 3f. 330 Ayaß (1996). S.148f. 331 Freidl/Sauer 2004; Petzoldt 2002; Makowski 1994; Husum 1996. 332 Zit. nach Klarenbach/Höfinghoff (1998). S.12. 333 Limbächer (2007). S.3. 334 Ayaß (1996). S.148f.

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Konzentrationslagern und Jugendschutzlagern interniert. Viele der Betroffenen wurden zwangsterili-

siert oder in KZ’s zwangsprostituiert. Ab 1935 stand auch die sogenannte Rassenschande unter Strafe.

Sexuelle Beziehungen zwischen Deutschblütigen und Zwangsarbeitern galten als Gefahr für das deut-

sche Volkstum und wurden hart bestraft. Die anfängliche Zuchthausstrafe wurde nach Kriegsbeginn

mit der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 05.09.1939 durch die Androhung der Todesstrafe

erheblich verschärft. Frauen, die wegen dieses Delikts interniert waren, wurden als sogenannte Bettpo-

litische bezeichnet und ab 1943 von der SS vielfach in KZ- oder Gefängnisbordelle abkommandiert.335

Der DEFA-Film Vergeßt mir meine Traudel nicht vollzieht den Bruch mit der NS Vergangen-

heit, indem er das Mädchen zum Produkt einer großen Liebe umdeutet. Das aus einem widerständi-

schen Akt gegen das NS Unrechtsregime hervorgegangene Kind, so wird dem Zuschauer erklärt, hat

seine spätere nonkonforme Entwicklung nicht selbst verschuldet. Es ist ebenso Opfer wie seine poli-

tisch verfolgten Eltern, wird damit als antifaschistischer Symbolträger semantisiert und von morali-

scher Zweifelhaftigkeit gereinigt. Die vormals sexuelle Pathologie des Mädchens wird auf äußere Um-

stände zurückgeführt und als Erziehungsproblem sichtbar. Neben der Aufarbeitung der Hinterlassen-

schaften des NS transportiert der Film auch eine sexualpolitische Botschaft für die Zukunft: Im Sozia-

lismus gibt es für Frauen, die sich als Sexualobjekte zur Schau stellen und für Männer, die Frauen als

solche betrachten, gleichermaßen keinen Platz.

4.2.4 Frauenkörper als männliche Projektion: Die Adaption des Pygmalion-Mythos

In seiner mehrfachen Opferrolle wird das wilde Mädchen im Film zum Zivilisierungsprojekt

und Liebesobjekt einer sozialistischen Männlichkeit/Menschlichkeit. Die Resozialisierung der Traudel

durch den männlichen Systemvertreter ist dabei als Kreation einer idealen Weiblichkeit zu lesen. Im

männlichen Schöpfungsakt der idealen Weiblichkeit stehen die Körperästhetik und Geschlechterrolle

im Zentrum: Im Verlauf der Handlung wird Traudel von beiden männlichen Protagonisten angehalten,

sich anständig einzukleiden. Gleich zu Beginn des Films stiehlt Kiepe ein kariertes Kleid, später gibt

er ihr Geld, um ein neues zu kaufen. Beide Versuche Kiepes, die Protagonistin auszustatten und ihr die

335 Amesberger u.a. 2004.

Page 72: Gender, Körper und Nation in DEFA Filmen der 1950er und 60er Jahre (2006)

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Verantwortung für ihre soziale Sichtbarkeit selbst zu überlassen, führen nicht zum gewünschten Er-

gebnis. Das erste Kleid ist geklaut, das zweite ein tiefdekolletiertes schwarzes Abendkleid. Als junger

Partner, der seine Verantwortung über pädagogische Konzepte motiviert, tritt er im Verlauf der Hand-

lung in den Hintergrund. Erst der reifere Hannes ist in der Lage für das Mädchen ein passendes Kleid

zu kreieren. Hannes verkörpert das Ideal einer sozialistischen Männlichkeit, die in beschützenden Ei-

genschaften und Liebesfähigkeit exponiert ist. Als Staatsvertreter agiert er als Gestalter der neuen

Gesellschaft und repräsentiert den Aufbau der Ordnungs-, Rechts- und Moralnormen des Sozialismus.

Seine Tätigkeit besteht aus praktischer disziplinierender Arbeit bei der Erziehung und Formung des

Neuen Menschen. Daneben ist er gelernter Schneider, wobei diese Profession als formende Arbeit am

weiblichen Körper und am Bild des Weiblichen gelesen werden kann. Indem er Traudel durch seine

handwerklichen Fähigkeiten das Weiblichkeitskonzept des Sozialismus passgenau auf den Körper

schneidert, wird er zum Kreateur ihres Körper und gleichsam neuen sozialistischen Genderidentität.

Die sich allerdings vom christlich-konservativen Rollenmodell als Ehefrau und Mutter kaum unter-

scheidet.

Die Formung einer weiblichen Figur durch einen männlichen (Künstler-)Schöpfer kann hier

als Variante des Pygmalion-Mythos gelesen werden. Während Pygmalion sein Bild eines idealen

weiblichen Körpers in Stein meißelt, der zu dem lebendigen Geschöpf Galatea erweckt wird, erfolgt

die Konstruktion der idealen Weiblichkeit im Film über das durch den Mann geschneiderte Kleid.

Dieses verhilft dem Mädchen zu einer konsensfähigen sozialen Sichtbarkeit im Rahmen der weibli-

chen Geschlechterrolle. Mit der illegalen Ausstellung des Personalausweises wird das Mädchen zudem

von Hannes mit einer staatsbürgerlichen Identität ausgestattet. Ihr neues Leben erscheint damit in

zweierlei Hinsicht als männlicher Schöpfungsakt. Da Traudel die neuen gesellschaftlichen Normen

noch nicht inhibiert hat, bleibt ihr der Weg, sich in den Mann zu verlieben, der diese verkörpert. Aus

der Vormundschaft des Staates wechselt sie in die Obhut eines Ehemannes. Wie Pygmalions künstlich

geschaffene Galatea wird sie in der Beziehung mit dem Erbauer des Sozialismus zum Ausgangspunkt

eines neuen Menschengeschlechts. Im Film wird die nationale Geschichte dabei als binäre Geschlech-

terperformance erzählt: Eine weibliche, vergangenheitsverhaftete und indifferente Projektionsfläche

wird durch einen männlichen Zivilisierungsakt geformt. Im Unterschied zu Frauenschicksale zitiert

Page 73: Gender, Körper und Nation in DEFA Filmen der 1950er und 60er Jahre (2006)

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der Film traditionelle Genderkodes sowohl auf diskursiver als auch politsymbolischer Ebene. Die sei-

nerzeit skandalisierte sogenannte Nacktszene verliert hinter dem transportierten infantil-naiven Frau-

enbild und konservativen Rollenverständnis fast an Bedeutung.

Kapitel 6 | 1960er Jahre: Gender und Körper in Generationenkonflikten der Modernisierungs- phase der DDR

6.1 Jugendkultur als politisch-ideologische Diversion

Mitte der 1950er Jahre kam es in Europa zu sogenannten Halbstarkenkrawallen, die die Öf-

fentlichkeit verunsicherten und eine große Medienresonanz erfuhren.336 In der zeitgenössischen Wahr-

nehmung trat die jugendliche Gewalt meist im Zusammenhang mit einer neuen Jugendkultur auf. De-

ren Leitbilder orientierten an amerikanischen Juvenile Delinquency-Filmen337 und Rock’n Roll-Musik.

Trotz aller Unterschiede in den nationalen Erklärungsansätzen des Phänomens ähnelte sich die Verfah-

renspraxis mit ihm: Tendenziell wurde deviantes Verhalten als potentielle Delinquenz klassifiziert und

Ost und West reagierten gleichermaßen rigide auf die jugendliche Selbstdarstellungspraxis. Der Habi-

tus der Rock’n Roll- und Beat-Generation wurde in einer Flut von juridischen, soziologischen, päda-

gogischen und gesundheitspolitischen Debatten skandalisiert. Die sogenannten Eckensteher der 1950er

Jahre, die mit ihrer Freizeit nichts anzufangen wissen, sich langweilen und dadurch unzufrieden mit

sich selbst und der Umwelt werden 338 und den öffentlichen Raum durch eine Verherrlichung der ame-

rikanischen Lebensweise in Form der auffälligen Kleidung und des entsprechenden Benehmens 339

provozierten, wurden als anfällig für Rowdytum 340 eingestuft. Darunter verstand man Jugendgruppen-

kriminalität, die als Zusammenrottung von Jugendlichen in den Abendstunden, undiszipliniertes Be-

nehmen (teilweise unter Alkoholgenuss), Belästigung von Erwachsenen und jungen Mädchen, leichter

oder schwerer Unfug, nächtliche Ruhestörungen (Straße, Kino, Veranstaltungen) usw. beschrieben

und polizeilich geahndet wurde.341 Während die Kommerzialisierung der Jugendkultur im Westen

336 Zur Halbstarken-Jugendkultur vgl. Grotum 1994; Maase 2001. 337 Zur Entwicklung der amerikanischen „teenpic“-Kultur und ihren Einflüssen auf die DEFA-Spielfilmproduktion vgl. Lindenberger (2004).

S.200 f. 338 Maßnahmeplan der Jugendhilfe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität und des Rowdytums ca. 1950. Zimmermann (2004). S.83. 339 FDJ-Bezirksleitung Gera: Sekretariatsvorlage zur Jugendkriminalität vom 07.01.1960. Ebd. S.84. 340 In der DDR gebräuchliche Bezeichnung für Halbstarken – Gruppenkriminalität. Ebd. S.79. 341 Kampf gegen Jugendgefährdung und Jugendkriminalität (Entwurf) ca. 1957. Ebd. S.84.

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nach und nach zu ihrer Normalisierung beitrug, konterkarierte sie im Osten das Kultur- und Erzie-

hungsmonopol der SED. Neben der (auch im Westen präsenten) Blockadehaltung gegen die kulturelle

Amerikanisierung war die Bekämpfung von abweichendem Verhalten in der DDR in die ideologi-

schen Argumentationsmuster des Kalten Krieges eingebettet.342 Teilöffentlichkeiten mussten verhin-

dert werden und Jugendkultur wurde als gezielte politisch-ideologische Diversion 343 abgelehnt und

von der SED gar als Unterwanderungsinstrument 344 des Klassengegners qualifiziert.

6.1.1 Jugendkultur und neue Körperbilder im Diskurs des Fremden/Anderen

In den 1950er Jahren befand sich zunächst die neue Präsentationsweise des Körpers im Zent-

rum der Kritik. Diese wurde in einer neuen Tanzkultur, der Betonung des Körpers durch modisches

Styling und neue Umgangsformen zwischen Mädchen und Jungen präsent. Der Rock’n Roll-Tanzstil

demonstriere die Lockerung der Geschlechterverhältnisse und grenze an sexuelle Perversion monier-

ten Kritiker/innen.345 Die Halbstarken seien keine typischen Jugendlichen, sondern typische Fehlent-

wicklungen, bedingt durch vorzeitige Konzentration des Bewusstseins auf geschlechtliche Dinge. 346

Eine Renaissance des Körperlichen im Partnerwahlverhalten der Jugendlichen wurde konstatiert: In

der Verwilderung der letzten zwanzig Jahre sind die Feinheiten körperlichen Ausdrucks für innere

menschliche Beziehungen vergessen worden.347 Sexualhygieniker bemängelten, daß unter jungen

Menschen heute die körperliche Vereinigung, die letzte Hingabe viel zu leicht genommen, viel zu rasch

und bedenkenlos gewährt wird.348 Die erotischen Elemente des Rock’ n Roll, Twist und Rumba, die

nervenaufpeitschenden Rhythmen und die teils verlogen-romantischen, teils brutalen, fast immer aber

die Triebhaftigkeit aufreizenden Texte349 der neuen Musik wurden von Gesundheitsexperten als ge-

fährlich eingestuft. Die Gefahr der Enthemmung durch den getanzten Jazz 350 deute sich in veitstanz-

ähnlichen Verrenkungen an, in denen sogar medizinische Laien Andeutungen und Übergänge zu

342 Jarausch/Siegrist 1997. 343 Ohse (2003). S.60. 344 Maase (2003). S.12. 345 Ohse (2003). S.59. 346 Neubert 1956. Zit. nach Engler (2000). S.238 f. 347 Ebd. 348 Ebd. S.237. 349 Bartsch (1961). S.5. 350 Ebd. S.4.

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krankhaften Äußerungen 351 erkennen konnten. Von der musikalischen Massensuggestion, die die see-

lisch-körperliche Selbstbeherrschung und -kontrolle von Jugendlichen ausschalte, gehe eine gesell-

schaftlich destruierende Wirkung aus, die sich durch Leistungsschwächen in Schule und Lehre 352 an-

kündige. Insbesondere bei den unter der Einwirkung ‚heißer Musik’ exstatisierten Jugendlichen be-

stünde eine innere Bereitschaft für abnorme Zustände, die sie nicht zu unrecht als Präkriminelle ein-

stufen ließ, denn für sie ist der Weg zum Verbrechen oft nicht mehr weit.353 Die durch ihre abnorme

Hinwendung zur ‚hot music’ in ihrer sozialen Unangepasstheit oft gefährlichen Außenseiter wurden

dem Kreis der bereits geistig Verwahrlosten354 zugerechnet.

Der seit 1958 durch wirtschaftliche Stagnation und Massenflucht ausgelösten Systemkrise der

DDR wurde durch den Mauerbau 1961 ein Ende bereitet. Die Propaganda deutete die Ereignisse als

durch den westlichen Feind initiiertes Zerstörungswerk um, gegen das man sich wehren und schützen

müsste. Für die Krisensymptome in der Gesellschaft wurde seitdem der innere Feind 355 verantwort-

lich gemacht. Auch die Jugendmusikkulturen fielen einer radikalen Politisierung anheim und wurden

zum erklärten Feindbild. Dem in Banden, Meuten oder Cliquen organisierten Rowdytum wurden 1960

inzwischen folgende Taten zugeordnet: Widerstand, Angriffe auf Funktionäre, Notzucht, Einbruch,

Schlägereien, Körperverletzung und Sachbeschädigung.356 Den Gruppen wurde eine unmittelbar

staatsgefährdende Bedeutung beigemessen 357 und die Gefahr einer schweren gegen die Staats- und

Gesellschaftsordnung der DDR gerichteten Kriminalität 358 unterstellt. Die starke negative Beeinflus-

sung durch die imperialistische Ideologie und Unkultur war in den Augen des MfS an eine demonstra-

tive Ablehnung der staatlichen und öffentlichen Ordnung gekoppelt, die eine geistige und moralische

Entwicklung zu einer sozialistischen Persönlichkeit verhindere und zu einer moralischen Versumpfung

und Verrohung 359 führe. Als Protagonisten amerikanischer Unkultur gerieten in den 1960er Jahren

vor allem die Beatmusikfans ins Visier der Behörden. Mit ihren langen, zotteligen, teilweise vor

Schmutz starrenden Haaren gebärdeten sie sich bei ihren ‚Darbietungen’ wie Affen, stießen unartiku-

351 Ebd. S.5. 352 Ebd. 353 Ebd. 354 Ebd. 355 Wierling (1994). S.404f. 356 Zimmermann (2004). S.81. 357 Bernhardt/ Kuhn (1998): S.17. 358 Zimmermann (2004). S.85. 359 Bericht über das Rowdytum als eine Form der Untergrundtätigkeit gegen die DDR und über die Ausnutzung der Rowdygruppen durch die

imperialistischen Geheimdienste zu Verbrechen gegen die DDR vom 16.05.1960. Zit. nach: Ebd. S.84.

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lierte Laute aus, hockten auf dem Boden oder wälzten sich auf ihm herum, verrenkten die Gliedmaßen

auf unsittliche Art.360 In Stellungnahmen wurden sie durch Zuschreibungen, wie Zügellosigkeit, Anar-

chie, Ekstase, Exzesse, ideologische Aufweichung, Beatle-Ideologie, Gammlertum, Arbeitsbummelei,

niedrigste Instinkte, rowdyhaftes Auftreten und Körperverrenkungen 361 charakterisiert. Insbesondere

eine ihnen nachgesagte mangelhafte Arbeitsmoral wurde zum Kennzeichen ihrer Dissozialität. Mit der

Rhetorik der feindlich-dekadenten Lebensweise 362, die sich auf das gesamte Spektrum alternativer

Lebensstile anwenden ließ, wurde eine Bedrohung für die sozialistische Gemeinschaft konstruiert.

Dabei konnte das Inkriminierungsprogramm auf die Unterstützung der konservativen Elterngeneration

bauen: Der repressive Umgang mit den ‚Asozialen’ und ‚Rowdies’ stelle eine der wenigen ‚Brücken’

zwischen SED und Bevölkerung dar, die die Kommunikation gemeinsamer Wertvorstellungen ermög-

lichte, so der Historiker Thomas Lindenberger.363 Die propagandistische Bildsprache in DEFA-Filmen

der 1950er und 60er Jahre bediente sich dabei phänotypischer und sexueller Diskriminierungsmuster

des Fremden/Anderen, die an den traditionellen nationalen Tugendkatalog anlehnten.364

6.1.2 Jugendkörperbilder im Film

Für eine Auseinandersetzung mit Gender, Körper und Sexualität im DEFA-Film sind jugend-

liche Körperbilder vielschichtige Untersuchungsobjekte. Ihre Inszenierungen verhandeln sowohl poli-

tische Konfliktlagen als auch intergenerationelle Konfliktlagen an den Schnittstellen von alten und

neuen Identitätsentwürfen. Der bis zuletzt andauernde Verhandlungsmarathon zwischen staatlichen

Jugendleitbildern und jugendlicher Selbstverwirklichung durchzieht als Diskurs das gesamte Film-

schaffen. Anhand der DEFA-Spielfilme Die Glatzkopfbande (1963)365, Denk bloß nicht, ich heule

(1965)366 und Heißer Sommer (1968)367 soll analysiert werden, welchen Stellenwert Sexualität und

360 Dem Missbrauch der Jugend keinen Raum. Leipziger Volkszeitung vom 20.10.1965. Zit. nach: Wierling (1997). S.228. 361 Wierling (1997). S.227. 362 Lindenberger 2003. 363 Lindenberger (2003). S.443. Zit. nach Maase (2003). S.13. 364 Zu rassistischen Tendenzen und nationalsozialistischen Kontinuitäten in der Konstruktion gesellschaftlicher Feindbilder in offiziellen

Texten der DDR der 1960er Jahre vgl. Wierling (1997). S.228 f. Zu antisemitischen Tendenzen im literarischen Konstruktions-prozess der sozialistischen Gemeinschaft vgl. Ölke (2005). S.205f.

365 Die Glatzkopfbande. 1962/63. Regie: Richard Groschopp. Drehbuch: Lothar Creutz/ Richard Groschopp. Produktion: DEFA. VHS-Edition Icestorm Inc.

366 Denk bloß nicht, ich heule. 1964/65. Regie: Frank Vogel. Drehbuch: Manfred Freitag/Joachim Nestler. Produktion: DEFA. VHS-Edition Icestorm Inc.

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Erotik im filmischen Produktionsprozess legitimer und illegitimer Jugendbilder und bei der Inklusion

und Exklusion sozialer Körper spielen. Es wird untersucht, wie Geschlechterrolle, Sexualität und Mo-

ral im Körperbild von Filmfiguren angelegt sind und wie sie dramaturgisch funktionieren. Darüber

hinaus wird geschaut, wie sexual- und körperpolitische Normative in die Ästhetik und Narration sozia-

listischer Paarbeziehungen eingeflossen sind.

6.2 Die Glatzkopfbande (1962/63): Rock’n Roll-Rowdies als Feinde des Sozialismus 368

Parallel zur Propagandasprache der Texte wurde auch in Bild und Film ein Zusammenhang

zwischen Jugendmusikkultur, Delinquenz und Staatsgefährdung konstruiert. Während 1956/57 im

DEFA-Film Berlin-Ecke Schönhauser 369 noch eine tendenziell um Verständnis bemühte Inszenierung

jugendlicher Alltagswelt 370 zu beobachten ist, kam es Anfang der 1960er Jahre zu einer visuellen

Inkriminierung westlicher Jugendmusikkultur. Als Beispiel für die virtuelle Konstruktion einer ju-

gendlichen Gegenwelt 371 gilt der DEFA-Spielfilm Die Glatzkopfbande (Regie: Richard Groschopp,

1962/63). Er stellt angeblich reale Ereignisse nach, die sich im Sommer 1961 auf einem Zeltplatz der

Insel Usedom zwischen Ückeritz und Bansin zugetragen haben sollen. Heute weiß man, dass es sich

um eine filmische Re-Inszenierung der Ereignisse aus Propagandazwecken im unmittelbaren Kontext

des Mauerbaus gehandelt hat.372 Ursprünglich führte eine Rockn- Roll-Performance von Jugendlichen

zur Personenkontrolle durch die herbeigerufene VP, denn die SED hatte diesen Tanz zur Waffe der

NATO-Politik erklärt.373 Hunderte Schaulustige verfolgten das Spektakel und umzingelten die Polizei-

baracke, wodurch sich die Beamten bedroht fühlen. Der angeforderte Grenzschutz prügelte auf die

Menschen ein, Jugendliche wurden durch Mithilfe der FDJ-Ordnungsgruppen verhaftet. An anderer

Stelle ist überliefert, dass eine spontane Protesthandlung von Urlauber/innen gegen die schlechte Ver-

sorgungslage auf dem Zeltplatz Anlass für das weitere Geschehen gewesen sein soll. Am 11.08.1961,

367 „Heißer Sommer“. 1967/68. Regie: Joachim Hasler. Drehbuch: Maurycy Janowski/Joachim Hasler. Produktion: DEFA. VHS-Edition Icestorm Inc.

368 Zu sozialistischen Feindbildern und Feindbildkonstruktionen vgl. Satjukow (2005). S.13f. 369 „Berlin - Ecke Schönhauser“ 1956/57. Regie: Gerhart Klein. Drehbuch: Gerhart Klein/Wolfgang Kohlhaase. Produktion: DEFA. VHS-

Edition Icestorm Inc. 370 Zur Koinzidenz von Rockmusik und Jugenddelinquenz im DEFA-Spielfilm „Berlin – Ecke Schönhauser“ vgl. Lindenberger (2004). S.

201 ff. 371 Lindenberger 2003. 372 Den Mythos und den realen Hintergrund dieses DEFA-Spielfilms haben Jürgen Ast und Inge Bennewitz in einem Dokumentarfilm aufge-

arbeitet: „Revolte am Ostseestrand. Die wahre Geschichte der „Glatzkopfbande“ (2000). 373 Werkenthin (2001). S.64f.

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zwei Tage vor dem Mauerbau, wurden die ersten Jugendlichen vom Kreisgericht Wolgast zu Haftstra-

fen zwischen 6 und 18 Monaten verurteilt. Gegen vier weitere Jugendliche, denen nach dem Mauerbau

der Prozess gemacht wurde, verhängte das Bezirksgericht Rostock Zuchthausstrafen zwischen 4 und 8

Jahren. Die beiden öffentlichen Schauprozesse wurden von einer Propagandakampagne in den Medien

begleitet, die die Rock’n Roller als von West-Berliner Diversantenzentralen gelenkte Verbrecherbande

dargestellte. Sie seien in US-Killermethoden ausgebildet und hätten mit Totschlägern, Dolchen und

Messern ausgestattet mehrere Tage lang die Urlauber auf den Ostseezeltplätzen terrorisiert, hieß es. 374

Die Filmhandlung re-inszeniert die ursprünglichen Ereignisse als komplexes Bedrohungsszenario der

öffentlichen Sicherheit durch eine motorisierte Jugendclique und verfestigte damit die Legende einer

Ostseebande. Deren Mythos geistert noch heute durch das kollektive Gedächtnis, ist jedoch ein Pro-

dukt des Kalten Krieges, zu dem der Film die Bilder schuf. Alle damals Verurteilten sind nach 1990

gemäß StrRehaG

rehabilitiert worden.

Abb. 28 Cover Video/DVD-Edition / Abb. 29 Die Glatzkopfbande im Bierzelt / Abb. 30 DEFA-Filmplakat.

Im Februar 1963 kam der Spielfilm in die DDR-Kinos. Der ostdeutsche Filmspiegel kündigte

ihn mit dem Foto eines Strafprozesses und der Behauptung an: Am 11. August 1961 vor dem Kreisge-

richt Wolgast: Aburteilung der ‚Bande der Glatzköpfigen’ wegen Landfriedensbruch. Von Westberli-

ner Diversantenzentralen gelenkt, terrorisierte sie Urlauber auf verschiedenen Zeltplätzen Bansins.

Diese authentischen Ereignisse dienten dem DEFA-Film ‚Die Glatzkopfbande’ als Vorlage.375

374 Ebd. 375 Inge Bennewitz im Gespräch: „Die Glatzkopfbande“ – Legitimierung des Mauerbaus durch einen Schauprozess und seine filmische Verarbeitung“. Vortrag 13.09.2000. Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.

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6.1 Filmhandlung

Die Glatzkopfbande ist ein Krimi: Erzählt wird die Geschichte der polizeilichen Aufklärung

des Unfalltodes zweier Menschen auf einer Großbaustelle, der durch eine Jugendbaubrigade, die in

ihrer Freizeit als Motorradbande die öffentliche Sicherheit gefährdet, verschuldet worden ist. Bereits

zu Beginn des Films wird die Rezeptionsperspektive auf eine Opfer-Täter-Ermittler-Narration gelenkt.

In einer parallelen Handlungsdramaturgie werden pflichtbewusste, arbeitsame Repräsentanten der

Staatsmacht und einer Baubrigade mit dem skandalösen Freizeitverhalten einer jugendlichen Motor-

radgang auf einem Zeltplatz kontrastiert. Die Mitglieder der Motorradbande sind mit Yul-Brunner-

Glatzen, Rock’n Roll-Musik und -tanz als westliche Medienkonsumenten markiert. Ihr provozierendes

Benehmen wird zusammen mit ihrer fahrlässigen, schlampigen Arbeitsweise auf der Baustelle zum

Symbol einer ursächlich gefährlichen und kriminellen Gesinnung, deren Sanktionierung zu einem

öffentlichen Anliegen wird. Die Dynamisierung der Motorradclique zur kriminellen Bande steht im

Mittelpunkt der Filmhandlung.

Die Motorradbande taucht bereits in der ersten Szene des Filmes als Bedrohung auf: Sie kon-

stituiert sich durch schnelle, laute Motorräder, Lederjacken, Rockmusik und kahlgeschorene Köpfe.

Ihre interne Rede besteht aus Jargon und Zoten, ihre äußere ist respektlos gegen Erwachsene. Die Ju-

gendlichen tragen Namen wie Stinker, Wildschwein, Warze. Sie lungern vor ihren Zelten um ein Radio

mit lauter Musik herum, trinken Alkohol, pöbeln sich gegenseitig an und belästigen und bedrohen die

harmonische Zeltplatzgemeinschaft.

Abb. 31 Die Clique gruppiert sich um das Radio mit lauter Musik / Abb. 32 Rock’n Roll-Performance auf dem Zeltplatz.

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Ihr ordinäres Verhalten zeigt sich daneben auch durch den erotisch-sportlichen Tanzstil in der

Schlüsselszene im Bierzelt, in deren weiteren Verlauf sie gegen die herbeigerufene Polizisten hand-

greiflich werden und den Zeltplatz fluchtartig verlassen. Neben dem Treiben der Clique werden auch

einzelne Mitglieder näher vorgestellt. Anführer King, der ehemalige Fremdenlegionär, verkörpert ein

autoritäres, brutales, machistisches Männlichkeitskonzept, das Jüngere aus der Gruppe bewundern.

Die spätere Mittäterschaft dieser Jugendlichen wird auf deren Sozialisationserfahrungen (autoritäres

Elternhaus, Waise) zurückgeführt und im weiteren Verlauf der Handlung als jugendliche Verblendung

interpretiert. Im Gegensatz dazu treten als positive Antipoden die Mitglieder das sozialistischen Ur-

laubs- und Campingkollektivs auf, das durch einzelne Figuren wie den Schriftsteller und die Journalis-

tin sowie die Mädchengruppe am Strand und die Jungen der FDJ-Ordnungsgruppe verkörpert wird.

4.2 Sozialistische Arbeitsethik und jugendkulturelles Freizeitprimat als konträre Motivlagen

Im Hinblick auf die Metanarration des Films wird insbesondere die Arbeitsethik zu einem

besonderen politischen Medium. Während die Arbeiter der sozialistischen Baubrigade in ihrer Ar-

beitsumgebung gezeigt werden, sind die Jugendlichen primär als Freizeitkollektiv dargestellt. Diese

Kontrastierung wird durch das Verhaltens der positiven Protagonisten im Freizeitraum noch verstärkt:

Während die Jungen der FDJ-Ordnungsgruppe und die redeführenden Figuren des Camperkollektivs

(Schriftsteller, Journalistin) ihren Ferienaufenthalt mit einem beruflichen bzw. ehrenamtlichen Interes-

se verknüpfen (Buch, Bäderreprotage, Ordnungsdienst), vertreibt sich die Glatzkopfbande ihre Zeit mit

Musik, Alkohol, Provokationen. Die Systemkrise der DDR Anfang der 1960er Jahre und der Einfluss

westlicher Jugendmusikkultur werden in evidenten Erklärungsmustern zusammengebunden: Der ein-

stürzende Rohbau (!) auf der sozialistischen Großbaustelle steht symbolisch für die Folgen der Sabo-

tagemanier des inneren Feindes, der als Agent des westlichen Imperialismus in der gesellschaftlichen

Mitte unerkannt am Werk ist.

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78

6.2.3 Gender, Körper, Sexualität

Die heterosexuelle Kommunikation im Film wird dramaturgisch dazu eingesetzt, die sozial-

moralischen Handlungshorizonte der westlich korrumpierten Bandenmitglieder und der sie umgeben-

den sozialistischen Gemeinschaft zu kontrastieren. Die wichtigste weibliche Protagonistin, die im

Kreis der Motorradclique Aufmerksamkeit erregt und Konkurrenzverhalten auslöst, ist das blonde

Playmate Jacki. Nachdem sie mit einem Mitglied der Gruppe angebändelt hat, wird sie diesem von

Anführer King ausgespannt: Guck mal ‚Opa’, ‚King’ schraubt dir deinen ‚Zahn’ ab. Man, den ‚Pullo-

ver’ hast du dir doch organisiert. Von mir aus soll sie doch umsteigen, die Schramme. In der Schlüs-

selszene im Bierzelt legt sie zusammen mit einem männlichen Partner eine gewagte Tanzfigur hin,

worauf der Protest am Nebentisch lauter wird: Noch ordinärer geht’s wohl nicht mehr?! Als die Mo-

torradclique von der Fahndung wegen des Bauunglücks erfährt und fluchtartig den Zeltplatz verlässt,

wird Jacki von King grob abserviert: Hau ab Schwester, penn alleine. Verduften sollst Du, Du Lusche.

Parallel zu dieser rohen Form der Geschlechterkommunikation wird die ideale Paardramaturgie durch

die Figuren des ermittelnden Leutnant Czernik und des Mädchens Marianne transportiert. Die Figur

Marianne verkörpert das unschuldige, saubere Mädchen, das nicht außerhalb des Privatraums, sondern

nur durch das geöffnete Fenster oder per Telefon kommuniziert. In der Position des, an das Haus ge-

bundenen, wartenden Mädchens repräsentiert sie den bürgerlichen Typus der virginen zukünftigen

Ehefrau und Mutter. Die keusche Beziehung wird dabei durch Czernik angebahnt. Erst nach seiner

Aufforderung tritt Marianne in der Schlussszene vor die Tür und damit in eine direkte Interaktion mit

dem männlichen Gegenüber.

6.2.4 Westliche Jugendmusikkultur als Fremdkörper und Feindbild

Der Film Die Glatzkopfbande kann als Beispiel für die Konstruktion von Feindbildern in den

Massenmedien der DDR im Kalten Krieg betrachtet werden. Neben der sinnentstellenden Interpretati-

on der realen Vorkommnisse und ihrer Re-Formulierung als kriminelle Handlung zielt der Film darauf

ab, westliche Jugendmusikkultur zu diskriminieren und die sozialistische Gemeinschaft gegen innere

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Feinde zu sensibilisieren. Der Film legt nahe, dass der provokante männliche Imponierhabitus der

Jugendclique mit einem aggressiven, rücksichtslosen Sozialverhalten korrespondiert, das sich im Lau-

fe des Filmes zu einem kriminellen Verhalten steigert. Die jugendlichen Mitglieder der Bande werden

zum Teil als verblendete Mittäter gezeichnet, die die kriminellen Grenzüberschreitungen ihres Anfüh-

rers nicht als solche zu interpretieren in der Lage sind. Der Handlungsstrang der polizeilichen Ermitt-

lungsarbeit auf der Baustelle ist als Appell an alle Mitglieder der sozialistischen Gemeinschaft zu wer-

ten, durch erhöhte Wachsamkeit und Kontrolle das sozialistische Aufbauwerk vor Sabotageakten zu

schützen.

Für die kriminelle Dynamisierung der Motorradclique ist die Figur des ehemaligen Fremden-

legionärs King ausschlaggebend. Seine politische und nationale Identität wird durch eine Inschrift in

seinem Spind plakatiert: legio patria nostra. Er verkörpert die Bandbreite inhumaner Werte und die

Kontinuität eines Militarismus, der im Kalten Krieg der westlichen Aggressorpolitik zugeschrieben

wurde. In der diskursiven Filmsprache der Glatzkopfbande entsteht damit kriminelle Energie nicht

ursächlich im Zentrum der Gesellschaft, sondern wird durch äußere Einflüsse in sie hineingetragen.

Diese Erklärungsweise rekurriert auf die Kriminalitätstheorie der DDR, die bis Mitte der 1960er Jahre

jedes Verbrechen als Erscheinung des Klassenkampfes qualifizierte.376

Die kinematographische Inszenierung westlicher Jugendmusikkultur als potentiell delinquente

Vergemeinschaftungsform hat jedoch auch unbeabsichtigt zu ihrer Aufwertung beigetragen. Einerseits

verlangte die pädagogisierende Wirkungsabsicht des Filmes eine möglichst originalgetreue Abbildung

des jugendkulturellen Milieus, um die kriminelle Eigendynamik als Gruppenstilelement glaubwürdig

zu implementieren. Andererseits wurde dadurch zum ersten Mal subkulturelle Peerkultur als relativ

autonomes Subsystem vorgeführt. Trotz seines großen Erfolges bei jugendlichem Publikum wurde der

Film bald wieder abgesetzt: Es wird vermutet, dass sich die jugendlichen Kinobesucher zu sehr an der

Coolness der Motorradbande begeisterten und die Wirkungsabsicht der Macher auf der Strecke blieb.

376 Lekschas (1952). S.13. Zit. nach: Rode (1996). S.30.

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Abb. Abb. 33 und Abb. 34 Die Glatzköpfe und ihre Mädels.

6.2.5 Sozialistische Jugendkörperbilder: kollektiv sozialisiert, diszipliniert, gesund

Bis zum Mauerbau konnte die Jugend in der DDR, allerdings unter dem omnipräsenten Ein-

fluss staatlicher Propaganda über die feindliche Wirkung der westlichen Kulturindustrie, noch direkt

an deren Leitbildern partizipieren. Nach dem 13.August 1961 sagte die SED der geistigen Republik-

flucht 377 von Jugendlichen den Kampf an. Parallel dazu entwickelte die FDJ eigene jugendkulturpoli-

tische Initiativen, um ihre Akzeptanzkrise zu überwinden.378 Im Zusammenhang mit dem seit Anfang

1963 veränderten Wirtschaftskurs des Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung

(NÖSPL) bewegte sich der Staat mit Jugendkommuniqué (1963)379, Jugendgesetz (1964) 380 und Ju-

gendradio DT 64 auf die Jugend zu. Im Jugendkommuniqué hieß es: Die Jugend hat ein Recht auf

geselliges Beisammensein, auf Tanz und Musik, auf Film und Theater, auf sportliche Betätigung, auf

Wandern und Touristik. Natürlich hat sich in unserer Zeit ein anderer Geschmack gebildet, andere

Tänze, andere Formen der Freizeitbeschäftigung, als das bei früheren Generationen der Fall war,

sind entstanden.381 Dennoch blieb der Aktionsrahmen der Jugendkultur streng reglementiert: Wir

grenzen uns entschieden von der sogenannten westlichen Lebensweise ab, die die Jugendlichen mora-

lisch verseucht und das Ziel verfolgt, die menschlichen Gefühle in ihnen abzutöten und willfährige

Werkzeuge der Kriegspolitiker aus ihnen zu machen. Schundliteratur, Horrorfilme, Verstümmelung

377 Wierling (2002). S.215. 378 Dahlke (2004). S.331. 379 Jugend von heute, Hausherren von morgen – Der Jugend Vertrauen und Verantwortung. Kommuniqué des Politbüros des ZK der SED zu

Problemen der Jugend in der DDR. 1963. 380 Zu Inhalten und Zielen des Jugendgesetzes vgl. Borowsky 2002. 381 Jugend von heute, Hausherren von morgen 1963.

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von Sprache, Musik und Tanz, Rücksichtslosigkeit gegenüber Erwachsenen sowie Rohheit in den Be-

ziehungen zwischen den Geschlechtern zeichnen diese ‚abendländische Kultur’ aus. Unsere Jugend

wächst nicht im Treibhaus und auch nicht im Kloster auf.382 1962 wurde auf der ersten sexualpädago-

gischen Konferenz der DDR hervorgehoben, dass Jugend keine Gefährdungsphase an sich sei. Als

Risikofaktoren für nonkonformes Verhalten wurden die häusliche Erziehung, ungünstige Familienver-

hältnisse, fehlende oder falsche Sexualerziehung, doppelte Moral oder der western way of life, der aus

der kapitalistischen Konsumterror-Gesellschaft in die DDR herüberschwappe 383, ausfindig gemacht.

Im Jugendbild des 1.Jugendgesetzes der DDR (1964) waren auch körpertheoretische Normati-

ve formuliert, die die Grenzen des offiziellen Jugend(körper)bildes festschrieben.384 Dort wird Jugend

als wichtige Phase der gesellschaftlichen, moralischen, psychischen und physischen Entwicklung, d.h.

der Persönlichkeitsentwicklung jedes Menschen beschrieben. Ihr Inhalt, so heißt es weiter, sei jedoch

im wesentlichen von den gesellschaftlichen Verhältnissen 385 abhängig. Dem marxistischen Jugendbe-

griff lag die Auffassung zugrunde, dass nicht das biologische Alter Aufschluss über den körperlichen,

geistigen und gesellschaftlichen Entwicklungsstand der Angehörigen einer bestimmten Altersgruppe

gibt, sondern die Analyse der spezifischen gesellschaftlichen Anforderungen an die junge Generation

im Zusammenhang mit subjektiven Voraussetzungen und Fähigkeiten, die notwendig sind, um diese

Anforderungen zu erfüllen und Neues, Eigenes hinzuzufügen.386 Der psychosexuellen Entwicklung in

der Pubertät wurde kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Man grenzte sich damit von bürgerlichen Auf-

fassungen der Jugend ab, die sich durch das Überschätzen der physischen und psychischen Erschei-

nungen im Jugendalter auszeichneten. Sie leiteten aus diesen Veränderungen sogenannte jugendtypi-

sche Einstellungs- und Verhaltensweisen (starke Stimmungsschwankungen, Kritikempfindlichkeit,

Distanz zur Erwachsenenwelt u.a.) ab.387 Im Sozialismus sollten diese Phänomene fortan nur noch

eine untergeordnete Rolle spielen. Damit wurde der Problemhorizont Pubertätskrise als Konfliktfeld

ausgeblendet. Jugend habe einen sozialen Körper hervorzubringen, so hieß es, der als Resultat des

einheitlichen Erziehungs- und Bildungsprozesses den kollektiv sozialisierten Typus des Neuen Men-

schen repräsentiere. Im 1. Jugendgesetz der DDR wurden Konturen eines funktionalen sozialistischen

382 Ebd. 383 Ergebnisse der Rostocker Tagung zu Fragen der Geschlechtserziehung 1962. Zit. nach Stumpe/ Weller (1995). S.30. 384 Jugend und Gesundheit. Informations- und Argumentationsmaterial zur Gesundheitserziehung. 1977. S.3f. 385 Ebd. S.5. 386 Ebd. 387 Ebd. S.7.

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Körperkonzeptes entwickelt, das die Koinzidenz von Gesellschafts- und Persönlichkeitsentwicklung

als normativ setzte. Im Rahmen des sexualpolitischen Diskurses wurden körpersinnliche Erfahrungen

unter der Kategorie psycho-physische Gesundheit geführt.388 An anderer Stelle ein glückliches Ehe-

und Familienleben als für die Jugend der DDR sehr erstrebenswertes Lebensziel betont.389 Auch im

Jugendkommuniqué hatte es bereits geheißen: Echte Liebe gehört zur Jugend, wie die Jugend zum

Sozialismus gehört. Jede echte Liebe zweier junger Menschen verdient ehrliche Anerkennung. Wir

wollen echte, tiefe, saubere, menschliche Beziehungen und keine klösterliche Moral.390 Sozialistische

Sexualerziehung besaß für die Formung der sozialistischen Persönlichkeit einen wichtigen Stellen-

wert. Sexualerziehung im Sozialismus wurde als Vorbereitung der heranwachsenden Generation auf

Liebe, Ehe und Familie unter den Bedingungen der Gleichberechtigung der Geschlechter verstanden.

Sie ist stets auf den Aufbau eines moralischen Wertsystems orientiert, das das Sexualverhalten ein-

schließlich der Stellung zu Ehe und Familie im Sinne der sozialistischen Moral und Ethik bestimmt.391

Die sozialistische Sexualpädagogik sollte zu Verhaltens- und Erlebnisweisen einer neuen sozialisti-

schen Geschlechtermoral befähigen. Es ging um ein Bewusstsein, das Verhalten zur eigenen Ge-

schlechtlichkeit und zum anderen Geschlecht zu steuern zu vermögen und erotische und intimsexuelle

Begegnungen im sinnvollen und sittlichen Verhältnis gestalten zu können.392 Sexualität sollte mit fes-

tem Verantwortungsbewusstsein gegenüber sich selbst, dem Partner, dem zukünftigen Leben und der

Gesellschaft sowie der Würde des Menschen praktiziert werden.393 Die richtige Sexualerziehung sollte

helfen, sich aktiv mit überlebten spätbürgerlichen Moralauffassungen, schädlichen Umwelteinflüssen,

unmoralischen Gewohnheiten und Verhaltensweisen auseinander zu setzen und sich offen zu den Auf-

fassungen und Einstellungen in den Geschlechtsbeziehungen, entsprechend der sozialistischen Moral,

zu bekennen.394 Hauptanliegen war die Vorbereitung und Befähigung zur Ehe, zur Gründung und Füh-

rung einer sozialistischen Familie, in der vernünftige Familienplanung realisiert wird.395 Betont wur-

de zudem, dass aufgrund der sozialen Bedingtheit und der gesellschaftlichen Bedeutsamkeit der Ge-

schlechtsbeziehungen die sexuellen Beziehungen zwischen Frau und Mann nicht außerhalb der Ver-

388 Ebd. S.105. 389 Ebd. S.107. 390 Jugendkommunique 1963. 391 Laabs (1987). S.346. 392 Borrmann (1975). S.5. 393 Ebd. S.3. 394 Ebd. 395 Ebd.

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antwortlichkeit vor der Gesellschaft und der moralischen Bewertung durch die Gesellschaft stün-

den.396 Deshalb bildeten auch die Normen des moralischen Verhaltens im Hinblick auf die Beziehun-

gen zwischen den Geschlechtern keinen separaten Moralkodex neben den für die Gesellschaft über-

haupt geltenden Moralnormen.397

6.3 Denk bloß nicht, ich heule (1965): Aufbruch einer neuen DDR-Generation

Im Kontext neuer jugendpolitischer Leitlinien nach dem Mauerbau bot auch die DEFA-

Filmpolitik dieser Jahre inhaltliche und ästhetische Freiräume für eine Auseinandersetzung mit Gene-

rationenkonflikten. Die Aufbruchstimmung der jüngeren DDR-Generation wurden durch die Figuren

des/der unangepassten, eigenen Lebenssinn suchenden jugendlichen Filmhelden/in mediatisiert. Die

Autorenperspektive jugendlicher Protagonisten in Filmen, wie Denk bloß nicht, ich heule (Regie:

Frank Vogel, 1965), Das Kaninchen bin ich (Regie: Kurt Maetzig, 1965) und Karla (Regie: Hermann

Zschoche; 1965/66) brachte das Lebensgefühl der jungen Generation auf die Leinwand.398 Doch die

progressiven Sichtweisen der Filmproduktionen des Jahres 1965 wurden von der staatlichen Zensur

nicht geduldet. Die Zeichnung eines feindseligen Kontrastes des Individuums zu Leitern, Funktionä-

ren, Eltern, Lehrern, kurz allen ‚Machern’ von einem kleinbürgerlichen nonkonformistischen Stand-

punkt 399 aus wurde auf ein unzureichend gefestigtes marxistisch-leninistisches Weltbild einiger Kul-

turschaffender zurückgeführt.400 Diese wurden beschuldigt künstlich geschaffene Märtyrer, Kafka-

Typen und Sartre-Existentialisten (...) in das Leben der DDR ein(zu)schmuggeln.401 Neben einem ten-

denziell spießbürgerlichen Skeptizismus 402, einer Heroisierung des Abseitigen 403, ihrer bürgerlichen

Formensprache 404 und wegen Unmoral 405 und einer Überbetonung des Sexuellen 406 wurde die

Spielfilmproduktion des Jahres 1965 auf dem berüchtigten 11.Plenum des ZK der SED verboten.

396 Bittighöfer (1974). S.3. 397 Ebd. 398 Zit. nach Schittly (2002). S.136. 399 Ebd. S.142. 400 Erich Honecker. Zit. nach ebd. S.132. 401 Ebd. S.139. 402 Erich Honecker. Zit. nach ebd. S.132. 403 Ebd. S.145. 404 Ebd. S.142. 405 Erich Honecker. Zit. nach ebd. S.132. 406 Alexander Abusch zit. nach Schubbe (1972). S.1073.

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6.3.1 Filmhandlung

Der Film Denk bloß nicht, ich heule wurde bereits nach einigen Voraufführungen mit dem

Prädikat besonders schädlich versehen und verboten. Das Drehbuch von Joachim Nestler und Manfred

Freitag erzählt die Geschichte des Abiturienten Peter Naumann, der wegen eines systemkritischen

Deutschaufsatzes, in dem er offen verkündet, dass er die Republik nicht braucht, von der Schule rele-

giert worden ist und sich den Bewährungsauflagen verweigert. Sein trotziger Anspruch ich will selber

denken erschwert ihm das Leben im Alltag der DDR der 60er Jahre und seine Renitenz scheint ihm die

Zukunft zu verbauen. Die Erwachsenenwelt steht seinen Eskapaden verständnislos gegenüber. Einzig

das Mädchen Anne, zu dem er eine heimliche Liebesbeziehung anknüpft, bringt für Peter Verständnis

auf. Sie versucht ihm durch Nachhilfe zur Teilnahme an der Abiturprüfung zu verhelfen. Das ehrgei-

zige Projekt Annes droht an den konträren Lebenseinstellungen und Liebesbegriffen beider Protago-

nisten zu scheitern.

Abb.35 Anne gibt Peter Nachhilfe Abb.36 Peter gibt Annes Vater freche Antworten.

Während Peter bereits in der ersten Szene des Filmes als Einzelgänger exponiert ist, wird An-

ne als Mitglied des Kollektivs (Mädchengruppe/Schulklasse) eingeführt. Die Figur des Peter verkör-

pert auf politsymbolischer Ebene die unangepasste Stimme der Jugend. Von Beruf bin ich Halbstarker,

etikettiert er sich ironisch selbst. Sein Gegenüber bilden die Repräsentanten der Gründergeneration in

Gestalt des Lehrer Röhle und des LPG-Vorsitzenden (Annes Vater). Peters Verweigerungshaltung

wird in der Rede der Erwachsenen als Disziplinlosigkeit kritisiert. Seine Renitenz durch das Attribut

halbstark infantilisiert. Im Unterschied dazu ist die Figur der Anne als ideale Verkörperung einer ge-

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lungenen sozialistischen Bewusstseins- und Persönlichkeitsbildung entworfen. Gleichzeitig trägt sie

typische Züge des bürgerlichen Weiblichkeitsideals: Sie wird als sanftes, hilfsbereites, gläubiges und

außengeleitetes Mädchen vorgestellt. Das Mädchen Anne repräsentiert auf politsymbolischer Ebene

die Deutsche Demokratische Republik.

6.3.2 Gender, Körper, Sexualität

Die Beziehung zwischen Anne und Peter beginnt mit ihrer ersten Begegnung im Schulflur:

Anne verheddert sich mit einem Perlonnetz an Peters Jackenknopf. Die Geschlechterrollen werden

sowohl durch das Netze auslegen als auch die Hilflosigkeit Annes bebildert. Während Peters Verhalten

aktive, dominante Züge trägt. Er ist es, der den Vorfall zum Vehikel des Begehrens werden lässt. Das

erste Rendezvous im Goethehaus mit Pralinen-Liebes-Uhr und keuschen Küssen wird verbal von den

Goetheschen Liebesgedichten des West-östlichen Diwan gerahmt. Peter macht den Verzehr der Prali-

nen und einen versprochenem Kuss zum zeitlichen Garanten seiner Besitznahme Annes. Das Mädchen

durchbricht die männliche Zeitachse indem sie selbst aktiv den Zeitpunkt des ersten Kusses bestimmt.

In ihren Augen hat sexueller Kontakt jedoch durch den kulturellen Kode der Liebe legitimiert zu sein.

Anne stellt Bedingungen für ihre Eroberung und greift die romantische Metaphorik der Liebesgedichte

in Bezug auf die Küsse Peters auf: Und welcher Kuss ist Liebe? Peter hält nicht viel von einer institu-

tionell oder religiös motivierten Sexualmoral. Fauler Zauber! Mit ihrer höheren Liebe wollen sie Dich

kirre kriegen, die Alten, aber sonst? Da Anne für Peter begehrenswert ist, setzt er alles daran sein Bild

der Anne als erotisch anziehendem Wesen zu verstärken und schenkt ihr ein teures Kleid. Dieses idea-

lisierte und auf den körperlichen Begehrenswert fixierte Bild blendet die soziale Identität Annes aus,

die das Kleid denn auch prompt ablehnt. Zudem besitzt Peter als Außenseiter für sie keine adäquate

soziale Identität, um ihn als offiziellen Partner anzuerkennen. Die Spaziergänge in der KZ Gedenkstät-

te Buchenwald heben die Kommunikation der Protagonisten auf die Ebene der gesellschaftlichen Er-

möglichung ihrer Liebe: Die Toten schenkten uns ein Vaterland, das Platz für Liebe hat, für Traurig-

keit. Hier wird auf den antifaschistischen Gründungsmythos der DDR und den Generationenauftrag

der Reproduktion dieser Ordnung Bezug genommen. Das Nacktbad im Steinbruchteich ist ein klassi-

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sches Sujet der erotischen Filmnarration. Die gemeinsam entworfene Flaschenpost fungiert als heimli-

cher Liebesbeweis.

Nachdem die Integration Peters gescheitert ist, beginnt auch Anne an den gesellschaftlichen

Zwängen zu zweifeln. Um Peter ihre Zuneigung zu demonstrieren, maskiert sie sich mit dem Kleid.

Ihr unsicherer Versuch, ihren Begehrenswert zu steigern und Peter zurückzugewinnen, wird durch

ihren Vater vereitelt, der sie mit einer Ohrfeige bestraft. Auf symbolischer Ebene bedeutet die Maskie-

rung Annes einen Ausstieg aus der Kontinuität ihres sozialen Körperkonzeptes als Arbeiter/innen-

Tochter und der weiblichen Geschlechterrolle als sittsames und tugendhaftes Mädchen. Ihr Verhalten

wird erst am Ende des Films durch die Instanz des Vaters (Aufbau-, Gründergeneration) rehabilitiert,

der eine Bürgschaft für Peter übernimmt und dem verlorenen Sohn zu einem Neuanfang in der sozia-

len Gemeinschaft verhilft.

Abb.37 und Abb.38 Anne und Peter sind sich uneinig über die Art ihrer Beziehung

6.3.3 Jugendliebe 1965 als Medium des politischen Generationenaufbruchs

In Denk bloß nicht, ich heule werden Körper- und Geschlechterbilder einer Generation aufge-

führt, die ihre eigene Sprache, Vorstellungen vom Leben und politischer Mitbestimmung entwickelt

hat. Die Figur der Anne fungiert als Objekt des Begehrens und im Kampf um die Ideale der sozialisti-

schen Republik, der zwischen der Väter- und der Jugendgeneration ausgetragen wird. Der Vater will

die Unschuld und Ehre seiner Tochter schützen, der potentielle Liebhaber die Auserkorene zu seinen

Bedingungen besitzen. Anne muss sich entscheiden. Sie hegt große Gefühle für den Außenseiter und

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ist bereit, die Handlungsgebote der sozialen Ordnung und moralische Konventionen als nachrangig zu

betrachten. Mit ihren Zugeständnissen brüskiert sie den Vater. Auf politsymbolischen Ebene zeigt sich

die Nation/Republik hier kompromissbereit und stellt das System der Alten (Wer nicht für uns ist, ist

gegen uns) in Frage. Diese Grenzüberschreitung gefährdet die Hierarchie der Generationen und damit

auch die politische Ordnung. Erst die finale Anerkennung der Liebesbeziehung durch die Instanz des

Vaters befriedet die Situation. Sie ist jedoch an Bedingungen geknüpft und beinhaltet die gelingende

Integration des Außenseiters. Der trotzige Auftritt des Protagonisten, seine Autonomie und die Kon-

spiration der Liebesbeziehung, die sich fast bis zum Schluss außerhalb jeder kontrollierten Öffentlich-

keit abspielt sowie die Loslösung des Begehrens aus traditionellen Zwängen desavouierten in Denk

bloß nicht, ich heule die Herrschaftsansprüche und Moral der politischen Gründergeneration.

6.4 Heißer Sommer (1968): Die Symmetrie des volkseigenen Jugendkörperkollektivs

Nach dem kulturpolitischen Bruch von 1965 wurde verstärkt an parteikonformen Jugendbil-

dern und einer volkseigenen DDR-Jugendkulturästhetik gearbeitet. Die neuen Jugendleitbilder identi-

fizierten sich mit Land und Sozialismus, spiegelten die Synchronisierung von individuellen Wünschen

und staatlichen Anforderungen als positive Entwicklungsprozesse und wurden zu Trägern eines durch

die FDJ gestalteten kulturellen Jugendlebens. Vor diesem Hintergrund kann der Musikfilm Heißer

Sommer, der mit mehr als 6 Millionen Besuchern einer der größten Kinoerfolge der DDR war, als

exemplarische Projektionsfläche einer sozialistischen Teenager-Kultur betrachtet werden. Neben der

populären Besetzung mit Frank Schöbel und Chris Doerk haben vermutlich die Zitation typischer

Genremerkmale des westlichen Jugendfilms und die besondere Unterhaltungsqualität des Musicals zu

seiner enormen Attraktivität beigetragen. Die an der Oberfläche exterritorialisierte Handlung in ein

Ferien-Strand-Paradies blendet zwar auf den ersten Blick die disziplinierenden Absichten aus, doch in

der Ästhetik des Körperkollektivs, der tänzerischen Gruppenchoreographien und der Dramaturgie der

Liebesgeschichte wird die mythische Konstruktion einer ideal geformten sozialistischen Traumjugend

407 evident.

407 Seeßlen (1996). S.156.

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Abb.39 Was erleben will die neue Frauengeneration der DDR / Abb.40 Am Strand machen sie den Jungen das Revier streitig 6.4.1 Filmhandlung

Im ersten Teil des Filmes ist der Kampf der Geschlechter als zentraler Konflikt angelegt: 11

Mädchen aus Leipzig und zehn Jungen aus Karl-Marx-Stadt befinden sich im sommerlichen Urlaubs-

und Reisefieber. Der Einzug der Mädchen in den Urlaubsort wird von den Jungen ironisch als Vertrei-

bung aus dem Paradies metaphorisiert. Nachdem die Mädchen beim Anreisewettstreit vorgeführt ha-

ben, dass sie nicht auf die Jungen angewiesen sind, versuchen diese sie an die traditionelle Geschlech-

terordnung als natürlichem Gesetz zu erinnern. Das neue Frauenbild wird, wenngleich in ein ironi-

sches Liedchen verpackt, als Irritation dieser Naturgesetze und als Gefahr für die traditionellen Ge-

schlechterverhältnisse gedeutet: Drum merkt euch: Wenn ihr küssen wollt, wer küsst euch ? Wenn ihr

mal nicht da seid wer vermisst euch? Attraktivität und Akzeptanz kann das moderne Frauenbild nur

gewinnen, wenn es die Geschlechterrollen nicht grundsätzlich in Frage stellt. Diese spezielle Botschaft

des Filmes wird über die Entwicklung der Frauenfiguren kommuniziert. Bereits im Vorspann wird das

Selbstbewusstsein der jungen, modernen DDR-Frauengeneration mit dem Lied Was erleben kolpor-

tiert. Gleichzeitig wird eine Konkurrenz zwischen dem durch das Mädchen Stupsi verkörperten kurz-

haarigen, schlagfertigen, patenten Mädeltyp und der mit Sexappeal ausgestatteten Britt inszeniert. Die

Konkurrenz der Weiblichkeitsbilder wird als Wettbewerb ihres erotischen Begehrenswerts ausgetra-

gen. Neben ihrer Attraktivität zeichnet sich Britt durch ihre exaltierte Rede Was ich will, das tu ich

und was ich tu, das will ich aus. Als Objekt männlichen Begehrens lässt sie nichts anbrennen und flir-

tet mit mehreren Protagonisten. Dadurch provoziert sie Streit zwischen den Jungen und zwingt die

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Mädchengruppe zu unfreiwilliger Mitwisserschaft ihrer verbotenen nächtlichen Ausflüge. Schließlich

torpediert sie die Gruppendynamik und gefährdet den Urlaub der Truppe.

6.4.2 Gender, Körper, Sexualität

Sozialistische Moral wird auch in Heißer Sommer über die Paardramaturgie transportiert. In

der Dreiecksbeziehung Kai-Britt-Wolf wird das erwünschte Verhältnis von privater Moral und gesell-

schaftlichem Bewusstsein und darüber das Ideal sozialistischer Paarbeziehungen transportiert. In der

Verbindung Wolf-Britt treffen zwei attraktive Egoisten aufeinander, die sich in Bezug auf die Quanti-

tät ihrer Affären in nichts nachstehen. Zudem potenziert sich in dieser Konstellation die individualisti-

sche Einstellung Was ich will, das tu ich und was ich tu, das will ich. Dieser Beziehung fehlen sozia-

listischer Klassenstandpunkt und sozialistische Moral. Eine tragfähige Idee von Liebe und der Entwurf

einer gemeinsamen Zukunftsperspektive sind hier nicht vorhanden. Im Gegensatz zum Abenteurer

Wolf ist dessen Rivale Kai bereits von Anfang an als moralisch einwandfreier Charakter gekennzeich-

net, auch weil er in Bezug auf Mädchen kein Kurzstreckenläufer ist. Er hegt romantische Gefühle für

Britt, die er in Liebesliedern kundtut. Spätestens nach dem ersten tet a tet am Strand ist sich Kai seiner

Liebe absolut sicher. In einer Traumsequenz wird die Gesangs- und Tanzeinlage am Strand simultan

vor einem Springbrunnen in der Ost-Berliner Karl-Marx-Allee wiederholt. Für Kai ist diese Liebe

nicht nur ein kurzweiliger Ferienspaß, wird den Zuschauer/innen durch die Übertragung des Paarbil-

des in den urbanen Alltag erklärt. Das junge Paar erscheint als Zukunftsmetapher einer sozialistischen

Moderne.

Abb. 41 Kai hat was dagegen, dass sich Wolf und Britt zu nahe kommen / Abb. 42 Stupsi und Kai sind gute Kumpel.

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In der Figur Kai finden sich Anklänge eines neuen Männerbildes, das die Grundsätze der sozi-

alistischen Sexualmoral verinnerlicht hat und Liebe und gemeinsame Zukunftsplanung als Vorausset-

zung für voreheliche Sexualkontakte definiert. Charakteristisch für den Aufbau der Beziehung Kai-

Britt sind die Dauer und Form der Werberituale, der respektvolle und vorurteilslose Umgang der Ge-

schlechter, die Verbalisierung der ernsten Absichten Kais, die emotionale Prüfung und Risikobereit-

schaft Kais. Durch diese Attribute wird der ideelle Überbau der Paarbindung Kai-Britt betont und der

Protagonist zur positiven Identifikationsfigur. Durch seine Bewusstseinsstärke und das Setzen neuer

Beziehungsmaßstäbe löst er die Wandlung des egozentrischen, moralisch indifferenten Mädchens Britt

hin zur kollektiven Norm aus: Sie möchte plötzlich auch so sein wie alle anderen.

6.4.3 Die Konstruktion einer sozialistischen Traumjugend

Die Ästhetik des Jugendkollektivs vor einer repräsentativen Stadtkulisse visualisiert bereits in

den ersten Szenen des Films die Verbundenheit der Jugend mit der Heimat DDR und weist auf die

Dimension des Neuen hin. Gleichzeitig kündigt sich damit ein Paradigmenwechsel in der politischen

Selbstrepräsentation der DDR an: Weg von den starken Frauenfiguren der 1950er Jahre hin zum sym-

bolträchtigen Zukunftsbild der Jugend. Die ästhetische Imagination des Jugendkollektivs wird wäh-

rend des Filmes insbesondere durch die Gruppenchoreographie immer wieder aktualisiert. Es werden

Bilder von jungen, vitalen und geordneten Körpern gezeigt. Die Jugendlichen im Ornament einer tur-

nenden, tänzerischen Masse dargestellt. Diese Aufführungspraxis fixiert einerseits die Kraft und

Schönheit des individuellen jungen Körpers. Und zeigt andererseits die ästhetische Symmetrie des

sozialistischen Jugendkörperkollektivs, hier symbolisch auch als Ergebnis einer einheitlichen Erzie-

hung lesbar.

Der Erfolg des Filmes beruhte wesentlich darauf, dass Jugend nicht primär in politischen Zu-

sammenhängen inszeniert wurde. Gleichwohl werden politische und kulturelle Normative transpor-

tiert. So ist die Truppe durch einen unerschütterlichen Teamgeist charakterisiert. Das Kollektiv ver-

steht sich dabei als moralisches Gesamtsubjekt und Korrektiv, das das Verhalten des Einzelnen zu

kontrollieren, und wenn nötig zu sanktionieren und zu disziplinieren, befugt ist. Niemand wird aufge-

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geben nur weil er in persönliche Entwicklungswidersprüche in Bezug auf das sozialistische Klassen-

ziel verwickelt ist, wie in der Schlussszene durch das Verhindern der Abreise von Wolf und Brit do-

kumentiert wird.

Das Neue an dem im DEFA-Film Heißer Sommer produzierten Jugendbild ist, dass es augen-

zwinkernd die jugendlichen Emanzipationswünsche integriert und normalisiert. Es wird darauf hinge-

wiesen, dass man den Schwung der Jugend und den Einfallsreichtum hinnehmen, ihn aber in vernünf-

tige Bahnen lenken müsse. Insbesondere in der Auseinandersetzung über eine Strafanzeige wegen

Bootsdiebstahl und unerlaubten Bootführens zwischen dem Polizisten und dem Hafenmeister wird die

Frage: Warum sind sie so? Haben sie nicht alles, was wir ihnen geben können? schulmeisterlich ge-

klärt. Der jugendliche Gesetzesübertritt wird als einmaliger, harmloser Vorgang gewertet. Gleichfalls

wird jedoch betont, dass diese mildernden Umstände nicht für die, die ihre Schule nicht beendet ha-

ben, bei denen es im Elternhaus nicht stimmt gelten, sondern ausschließlich für die überwiegende

Mehrheit die ganz normalen Achtzehnjährigen.

Seinen Erfolg verdankt das Filmmusical Heißer Sommer auch der Zitation typischer Genre-

merkmale des westlichen Jugendfilms, wie z.B. der oberflächlich entpolitisierten Handlung und der

romantischen Urlaubs- und Ferienkulisse. Typische stilistische Elemente des Filmgenres der Teenage-

Beach-Sex-Komödie 408 werden formal aufgegriffen. Dem zyklischen Wunsch nach dem vollständigen

Verschwinden der Eltern und die Sehnsucht nach ihrer (vielleicht: modifizierten) versöhnenden Rück-

kehr 409 wird durch eine Verlagerung der Handlung aus dem Alltag in eine Urlaubssituation Rechnung

getragen. Was für die amerikanischen Zuschauer der Strand von Malibu, das war für die bundesdeut-

schen die Strände von Italien und für das DDR-Publikum die Ostsee, wie in Joachim Haslers HEIS-

SER SOMMER (1968).410 Dieses Strandsujet gestattet zwar auch in der DEFA-Produktion romantische

Inszenierungen, wird allerdings im Vergleich mit der westlichen Genretradition nicht zu einem Utopia

der freien Blicke 411 und entwirft schon gar keine erotisierte Welt virtueller Jugendlichkeit.412 Die

choreographische und gesangskünstlerische Inszenierung des in Pseudokonflikte und Gewissenskrisen

408 Ebd. S.155 f. 409 Ebd. S.156. 410 Ebd. S.158. 411 Ebd. 412 Ebd. S.156.

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verwickelten DDR-Jugendkollektivs kann zwar als mythische Konstruktion einer Traumjugend 413

beschrieben werden, verzichtet dabei jedoch auf den voyeuristischen Blick auf nackte Körper.

Abb.43 Tanzendes Jugendkollektiv / Abb.44 Stupsi und Britt bleiben gute Kameradinnen, denn es zählt das Kollektiv.

6.4.4 Gender- und sexualpolitische Botschaften in Freund- und Feindbildern

Ina Merkel stellt in ihrem Aufsatz Die Nackten und die Roten fest, dass eine positive Rezepti-

on erotischer Darstellungen im DEFA-Film der 1950er und -60er Jahre durch die staatliche Zensur

direkt vom Grad der Abgrenzung gegen westliche Filmkunst und Lebensweise abhängig war.414 Eroti-

sche Darstellungen waren maximal im Kontext der sozialistischen Moralproduktion akzeptabel. Die

pragmatische, keusche Liebesästhetik der DEFA-Filme dieser Zeit funktionierte ganz wesentlich als

moralpolitisches Argument gegen die Dekadenzerscheinungen des westlichen Wertekosmos. Unkon-

trollierte Triebhaftigkeit und Sinnlichkeit waren ein Stigma, das als Makel des Feindes inszeniert wur-

de.415 Die dargestellten Geschlechterbeziehungen und der moralische Handlungshorizont ihrer Heldin-

nen wurden so zu einem schlagkräftigen Argument im Systemwettbewerb.

Die Analyse der Jugendkörperbilder in den drei DEFA-Spielfilmen hat gezeigt, dass die In-

szenierungen von politischen Normativen durchdrungen sind. Die Figuren bewegen sich im Rahmen

eines künstlerischen Kanons, dessen grundsätzlicher Auftrag in der affirmativen Bildproduktion der

sozialistischen Utopie bestand. Die im Kunstwerk gestalteten Erkenntnisse und Gefühle dienen der

moralischen Veränderung der Menschen im Geiste des Sozialismus. Sie regen zu großen Taten für den

413 Ebd. 414 Merkel (1995). S.80f. 415 Kuhlbrodt (1991). S.135.

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Sozialismus an, erwecken in ihnen die Liebe zur Arbeit, bereichern das geistige Leben des Volkes,

bilden die rationalen und emotionalen Fähigkeiten des Menschen der sozialistischen Gemeinschaft

und erziehen ihn zu echter Lebensfreude.416

An den drei DEFA-Spielfilmen zeigt sich, dass der Inszenierungskomplex Jugendkultur eine

zentrale Rolle innerhalb der Aushandlung politisch legitimer Jugendbilder und der politischen Selbst-

repräsentation einnimmt. Gender, Körper und Sexualität sind an Verhaltensstereotype gekoppelt, die

von den Filmfiguren als soziale Körperidentitäten agiert werden. Sexualmoralische (Dis)Positionen

werden im Rahmen negativ/positiv besetzter sozialer Handlungsweisen zu Medien eines nicht sozialis-

tischen/sozialistischen Bewusstseins der Figuren. Die Dramaturgie dient der Konstruktion von sozia-

len und moralischen Grenzen und Differenzen nach innen und außen. Insofern nehmen gender- und

sexualpolitische Diskurse in den besprochenen DEFA-Filmen einen zentralen Stellenwert in der Pro-

duktion von Selbst- und Fremdbildern ein. Es wurde deutlich, dass die inszenierten Körperbilder

Rückschlüsse auf ein sich zwischen 1962 bis 1968 wandelndes Jugendbild zulassen. Dieses polarisiert

zwischen krimineller Rockerbande und gutgelauntem Teenager-Kollektiv und verweist auch auf die

Pluralität von jugendlichen Selbstentwürfen in der DDR. Die Spielfilme intendieren unterschiedliche

Positionen und Wertungen und offerieren durchaus kontingente Rezeptionsperspektiven. Schließlich

besteht ihr Auftrag jedoch darin, Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder der sozialistischen Moderne

zu synthetisieren.

In Bezug auf die Geschlechtersymboliken ist deutlich geworden, dass weibliche Sexualmoral

entscheidend mit der Handlungsdynamik verbunden wird. Der erotische Diskurs in die Die Glatzkopf-

bande ist Teil des inszenierten Feinbildes. In Denk bloß nicht, ich heule geht es um die Thematisie-

rung von jugendlichen Selbstbestimmungswünschen, die sich auch auf Sexualität erstrecken und ge-

genüber der autoritären Elterngeneration verteidigt werden müssen. 1968 haben die jungen Filmfrauen

in Heißer Sommer das Postulat der Gleichberechtigung in ein gesundes (auch sexuelles) Selbstbe-

wusstsein übersetzt, so dass sie von den Jungen an den Unterschied der Geschlechterrollen erinnert

werden. Der Film verhandelt das Thema Akzeleration anhand der emotionalen und moralischen Fehl-

leistungen des Teenagers Britt. Das Mädchen gerät durch ihre Flirterei in einen moralischen Grenz-

416 Bestimmung der Funktion der Kunst im Programm des VI. Parteitages der SED 1963. Zit. nach: Die Spielfilmproduktion in der Sowjet-zone. 1963. S.3.

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wertbereich aus dem sie nur das aufrichtige Liebesbekenntnis des männlichen Helden zu retten ver-

mag. Unter dem Druck des Jugendkollektivs und zugunsten einer ernsthaften Liebesbeziehung ver-

spricht die Protagonistin am Ende Besserung. Schließlich kann sie sich sogar mit einer zukünftigen

Rolle als Kommilitonin Ehefrau und Kommilitonin Mutter arrangieren.

Zusammenfassung

7.1 Die 1950er: Körper und Gender in Peacebuilding-, Aufbau- und Zukunftsdiskursen der DDR

In den Filmanalysen wurde gezeigt, dass Frauenfiguren im antifaschistischen Erneuerungsdis-

kurs der SBZ/DDR als exklusive Objekte für einen erzieherischen Zugriff auf den Menschen fungie-

ren 417 und als Hauptverantwortliche für die nationale Wiedergeburt und Rekultivierung der Gesell-

schaft thematisiert werden. Frauen verkörpern die Hoffnung und das Versprechen auf ein Anderswer-

den.418 Es wurde herausgearbeitet, dass zwischen der Performance des Weiblichen und der symboli-

schen Repräsentation der Nation ein konstitutiver Zusammenhang besteht: Frauen verkörpern das na-

tionale Schicksal als Mischung aus unschuldigem Opfer, biologischer und kultureller Reproduktion

und Aufbau. Mit den ihnen zugeschriebenen mythischen Opfer- und Erlöserqualitäten419 galten sie in

der Nachkriegskultur als Verkörperungen von Hoffnung und Zukunft. Sie schienen zudem weniger in

die Schuld des Nationalsozialismus verstrickt als Männer.420

Im antifaschistischen Erneuerungsdiskurs des DEFA-Films Frauenschicksale verkörpert die

Figur der Barbara Berg qua Geschlecht die neue Rechtsmoral der Nation. Während in der Bundesre-

publik das traditionelle Geschlechterverhältnis wiederhergestellt wurde, galt Erwerbsarbeit in der

SBZ/DDR als fester Bestandteil des neuen Frauenleitbildes. Sie war kausal mit der exklusiven Rolle

der Frauen beim Aufbau und der Wiederherstellung von gesellschaftlicher Normalität verknüpft. Das

Bild des zupackenden Proletariers war dabei an beide Geschlechter adressiert.421 In der Figur der Anni

Neumann entwirft Frauenschicksale den Frauenkörper als Austragungsort staatlicher Arbeits- und

417 Heukenkamp (1991). S.9 f. 418 Merkel (1990). S.34. 419 von Braun (1992). S.17f. 420 Diemer (1994). S.49. 421 Wierling (1999). S.168.

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reproduktiver Regulierungspolitiken. Als unverheiratete Arbeitermutter-Ikone verkörpert die Figur

den Beginn einer sozialistischen Genealogie: Die Nation als Gemeinschaft zukünftiger Neuer Men-

schen wird durch ihr Kind symbolisiert. Der arbeitspolitische Diskurs des Films erweitert die weibli-

che Performance um den Aktionsradius männlicher Körpergesten, das Besetzen öffentlicher Ämter

und Räume sowie den Eintritt in schwerindustrielle Arbeitswelten: Frauen stehen ihren Mann.422 Am

Beispiel der Richterin Barbara und der Lokführerin Renate konnte nachvollzogen werden, dass das

neue Frauenleitbild durch Bekleidung im Modus des Identischmachens von Ungleichartigem 423 einer

männlichen Norm angepasst wird. Die emanzipatorischen Momente des Eintritts von Frauen in männ-

liche Berufsfelder werden dabei in den Inszenierungsweisen durch eine unbewusste Grammatik der

Weiblichkeit 424 marginalisiert. Einer Irritation von traditionellen Geschlechtergrenzen wird durch

besondere Differenzierungsanstrengungen der Geschlechter 425 vorgebeugt. Diese verlaufen über

Kleiderästhetiken und die Absicherung der biologischen Reproduktionsfähigkeit des Frauenkörpers in

der heterosexuellen Paarbeziehung. Beide stabilisieren die Heteronormativität der symbolischen Ord-

nung. Die Ablehnung bürgerlicher Weiblichkeitslogiken wird in der Kriminalisierung der Figur Rena-

te Ludwig transportiert. Die in ihrem Dekorationsbedürfnis und ihrer privaten Glücksuche als Opfer

althergebrachter Rollenmuster inszeniert ist und durch produktive Arbeit erzogen wird. Im Rahmen

einer vordergründigen Gleichstellungspropaganda wird in Frauenschicksale die Entscheidung zwi-

schen privatem und kollektivem Glück zur nationalen Schicksalsfrage und den Frauen übertragen.

Neben ihrer Erwerbstätigkeit hatten Frauen in der Nachkriegszeit als potentielle Mütter zusätz-

lich die Restauration der familialen Ordnung zu leisten. Die Frauen- und Mütterrhetorik diente der

Kommunikation des Zusammenhanges von Frieden und Familienpolitik und propagierte die Wieder-

gesundung der Kleinfamilie als Zentrum der Harmonie, Ort der Geborgenheit und Zuflucht in Zeiten

der Umgestaltung.426 Frauen und Mütter wurden als Verkörperungen und Garantinnen sozialer Heils-

und gesellschaftlicher Erneuerungswünsche sowie als Friedens- und Heimatmetaphern aufgerufen.

Und für das Gedeihen und Glück der nationalen Gemeinschaft verantwortlich gemacht. In Frauen-

schicksale wird diese Kausalität durch die Figur der Herta Scholz verkörpert, deren Weiblichkeit als

422 Budde (2000). S.608 f.; Budde (1999). S.850 f.; Wierling (1999). S.836; Diemer (1994). S.52f.; Dölling (1992). S.126 f.; Merkel (1990). S. 76f.

423 Dölling (1993). S.34. 424 Merkel (1990). S.43. 425 Budde (1999). S.853. 426 Diemer (1994). S.55.

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omnipräsente geistige Mütterlichkeit konstruiert ist, die als stilbildend für eine ganze Frauengeneration

der Nachkriegsgeschichte gelten kann. Sie wird zusammen mit der Richterin Barbara zur Protagonistin

des antifaschistischen Opferdiskurses im Film.

Abschließend lässt sich zusammenfassen: Im Plot des DEFA-Films Frauenschicksale werden

die einzelnen Frauenfiguren im Handlungsverlauf als solidarisches Kollektiv des sozialistischen Auf-

bauwerkes in der SBZ/DDR thematisiert und symbolisieren die frühe DDR als Projekt in weiblicher

Gestalt.427 Die Entwicklung des individuellen Schicksals wird dabei im Zusammenhang mit dem kol-

lektiven Schicksal der Nation entworfen. Zugleich repräsentiert der Film die Wiedergeburt der Nation

als antifaschistischen Gründungsakt und inszeniert Mütterrhetorik im Zusammenhang mit einer post-

faschistischen Friedensbotschaft.

Fünf Jahre später ist in Vergeßt mir meine Traudel nicht eine gänzlich andere Geschlechter-

performance entwickelt worden: Hier wird die Bildung einer neuen nationalen Identität als Sozialdis-

ziplinierung des sexualisierten Körpers der fremden Frau erzählt. Devianz und seelische Deformation

sind hier Hinterlassenschaften des NS und der Kriegs- und Nachkriegszeit. Als Kind politisch verfolg-

ter Eltern wird die Hauptfigur Traudel im Laufe der Filmhandlung als antifaschistischer Symbolträger

semantisiert. Die Victimisierung der heimat- und identitätslosen Waise geht einher mit ihrer Rehabili-

tierung als sittlich Gefährdete. In der Programmierung seiner mehrfachen Opferrolle wird das unge-

zähmte Mädchen schließlich zum Liebesobjekt und Zivilisierungsprojekt einer sozialistischen Männ-

lichkeit/Menschlichkeit. Die körperliche und soziale Identitätsstiftung des Mädchens erfolgt hier durch

eine männliche Figur, die qua Funktion auch den Staat repräsentiert. Auf der Ebene der symbolischen

Repräsentation kann gelesen werden, dass eine weibliche, vergangenheitsverhaftete Projektionsfläche

(Nation) durch einen männlichen Kreateur und sein Konzept idealer Weiblichkeit zu neuem Leben

erweckt wird. Hinsichtlich der Geschlechtersymbolik sind zwischen Frauenschicksale (1952) und

Vergeßt mir meine Traudel nicht (1957) Unterschiede zu konstatieren: Während die Aufräumarbeiten

des Krieges, die Überlebensorganisation der Nachkriegszeit und das Aufbauwerk der Anfangsjahre

den Frauen überlassen war, ist die federführende Gestaltung der sozialistischen Nation Ende der

1950er Jahre wieder traditionell ein Projekt von Männern.

427 Wierling (1999). S.168.

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97

7.2 1960er Jahre: Körper und Gender in Generationenkonflikten der Modernisierungsphase der DDR

In den 1960er Jahren zeichnet sich ein Wandel in der politischen Selbstrepräsentation der

DDR ab: Im Zentrum befinden sich nun nicht mehr die Mütter der Generation des Neuen Menschen,

sondern diese Generation selbst. Mit ihr verband der Staat seine größten Hoffnungen: Die Sechziger

Jahre sind in der DDR nicht nur eine Phase partieller Liberalisierung, sondern auch die Hoch-Zeit

eines pädagogischen Optimismus, der sich auf die Nachkriegsgeborenen richtete und in der Mitte des

Jahrzehnts umschlug in Enttäuschung und Aggression gegenüber denjenigen, die sich diesem Erzie-

hungsanspruch als widerstrebend und unzugänglich erwiesen.428 Die DEFA-Spielfilme Die Glatz-

kopfbande (1961), Denk bloß nicht, ich heule (1965) und Heißer Sommer (1968) stehen im Zeichen

des Eintritts der DDR in das neue Zeitalter des Sozialismus.429 Der Transformationsprozess wird als

ambivalentes Gebilde aus innenpolitischer Modernisierung und kultureller Modernisierungskrise im

Motiv des Generationenkonfliktes thematisch: Gründer- und Aufbaugeneration stoßen auf den Wider-

stand der Nachkriegsgeneration, die ihr Leben selbst bestimmen und Jugend nach ihren Vorstellungen

ausleben will.

Die Filmanalysen haben gezeigt, dass der Wandel von Jugend(leit)bildern in der DDR zwi-

schen 1962 bis 1968 insbesondere auch an den Inszenierungen jugendlicher Körperidentitäten und

Geschlechterbeziehungen abzulesen ist. Der Verhandlungsmarathon zwischen Staat, Elterngeneration

und Jugend spannt sich in der Gemengelage von normativen Leitbildern und subkulturellen/ individu-

ellen Identitätsentwürfen ab. Die entworfenen Freund-/Feindbilder sind von sexuellen und Genderse-

mantiken durchsetzt, wobei das nationale Selbstbild über sozialistische Moralnarrative kommuniziert

wird. Die Subversivität der Jugendmusikkulturen wird in den 1960er Jahren in einer volkseigenen

Jugendkulturästhetik normalisiert. Auch in der DDR ist dann eine eigene Teenagerkultur erlaubt, die

sich allerdings deutlich von amerikanischen und britischen Vorlagen unterscheidet. Der Rowdytum-

Diskurs knüpfte ungebrochen an antimoderne, zivilisationskritische und antiwestliche Motive an und

habe in seiner Rede von Dekadenz und sexuellen Ausschweifungen dem Entartungsdiskurs der natio-

nalen Rechten erstaunlich nahe gestanden, so Thomas Lindenberger: Mit seinen aggressiven Attribu-

428 Wierling (2002). S.189. 429 Zit. nach Spittmann (1987). S.30.

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ten (‚parasitär’, ‚niveaulos’, ‚primitiv’) und seiner Fixierung auf die Reproduktion von Rowdytum und

Asozialität durch ein eingrenzbares ‚negatives’ Milieu kann dieser Diskurs durchaus als DDR-

Variante sozialrassistischer Ideologeme angesehen werden, die zum festen Arsenal nazistischer wie

stalinistischer Politiken gegen ‚Gemeinschaftsfremde’ gehörten und in beiden Diktaturen Hunderttau-

sende das Leben gekostet hatte.430 Dieser Diskurs wird im DEFA-Film die Die Glatzkopfbande in

Szene gesetzt, der heute als einer der ersten Beiträge zur Skinhead- und Hooliganszene in der DDR

gilt. Chauvinismus, Sexismus und Zerstörungstrieb der männlichen Mitglieder der Rockerbande und

der attraktive, begehrenswerte und sexuell aktive Frauenkörper sind Attribute der Feindbildprodukti-

on.

Die Filmanalysen haben gezeigt, dass Jugend(leit)bilder in DEFA-Filmen einerseits in Diskur-

sen um Arbeit versus Freizeitkultur verhandelt werden. Auf der anderen Seite steht Sexualmoral als

Medium des sozialistischen Bewusstseins der Figuren zur Diskussion. Über dieses einprägsame, simp-

le Rollenmuster wird kulturelle Differenz zwischen Eigenem und Fremden inszeniert und kulturel-

le/nationale Identität über Gender, Körper und Sexualität prozessiert. Die Inszenierung sexualmorali-

scher (Dis-)Positionen von Mädchen und Frauen ist wiederum in allen drei Filmen entscheidend mit

der Handlungsdynamik verbunden. Der Kampf der Generationen um kulturelle Normen, Mitbestim-

mung und Modernisierung in der DDR wird als Diskurs um die Moral der Frauen (Nation) ausgetra-

gen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den Filmdiskursen traditionelle biopolitische

Stereotype des Frauenkörpers zitiert werden. Diese zielen auf die Einbindung der weiblichen Sexuali-

tät in eine triebkontrollierte und auf Ehe und Familie ausgerichtete Liebesbeziehung ab. Junge Frauen

symbolisieren auch in den Filmen der 1960er Jahre Fortbestand und Zukunft der Gemeinschaft und

repräsentieren die Nation, während Männern die Rolle von Gestaltern, Erziehern und Beschützern

zukommt. Negativ überzeichnete bürgerliche Männer- und Frauenbilder und Geschlechterklischees

konkurrieren mit neuen, modifizierten sozialistischen Varianten. Mit der beruflichen Gleichstellung

der Frauen, der Etablierung einer modernen Sexualpädagogik und einer neuen sexuellen Verhand-

lungsmoral rückte die Propagierung des sozialistischen Liebesideals dann Ende der 1960er Jahre ver-

430 Lindenberger (2003). S.447.

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stärkt ins Zentrum der Moralkommunikation beider Geschlechter. Das heterosexuelle Paarglück war

dann gleichzeitig auch eine Botschaft über die Romanze der Jugend mit dem Sozialismus und die Zu-

kunft der DDR.

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