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>Ich bin noch nicht in Percys Stimmung, dem Heisporn des
Nordens, der euch sechs bis sieben DutzendSchotten zum Frhstck
umbringt, sich die Hnde wscht
und zu seiner Frau sagt: Pfui ber dies stille Leben!Ich mu zu
tun haben. O mein Herzens-Heinrich,sagt sie, wie viele hast du
heute umgebracht? H
Gebt meinem Schecken zu saufen, und eine Stundedrauf antwortet
er: Ein Stcker vierzehn; Bagatell!Bagatell !
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112
Ich frage nicht nach dir. Ist dies ne WeltZum Puppenspielen, und
mit Lippen Fechten?Nein, jetzo mu es blutge Nasen geben,Zerbrochne
Kronen, die wir doch im Handel
Fr voll anbringen. Alle Welt, mein Pferd!Was sagst du, Kthchen?
Wolltest du mir was?
Lady Percy.
Ihr liebt mich nicht? Ihr liebt mich wirklich nicht?Gut, lat es
nur; denn, weil Ihr mich nicht liebt,
Lieb ich mich selbst nicht mehr., Ihr liebt mich nicht?Nein,
sagt mir, ob das Scherz ist oder Ernst?
Percy.
Komm, willst mich reiten sehn?Wenn ich zu Pferde bin, so ,will
ich schwren,
Ich liebe dich unendlich. Doch hre, Kthchen:Du mut mich ferner
nicht mit Fragen qulen,Wohin ich geh, noch raten, was es soll.
Wohin ich mu, mu ich; und kurz zu sein,Heut abend mu ich von
dir, liebes Kthchen.
Ich kenne dich als weise, doch nicht weiser,Als Heinrich Percys
Frau: standhaft bist du,Jedoch ein Weib, und an
Verschwiegenheit
Ist keiner besser: denn ich glaube sicher,Du wirst nicht sagen,
was du selbst nicht weit,Und so weit, liebes Kthchen, trau ich
dir.
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Prinzessin Catharina(Heinrich V.)
Hat Shakespeare wirklich die Szene geschrieben,wo die Prinzessin
Catharina Unterricht in der eng
lischen Sprache nimmt, und sind berhaupt von ihm
alle jene franzsischen Redensarten, womit sie JohnBull ergtzt?
Ich zweifle. Unser Dichter htte dieselben komischen Effekte
mittelst eines englischen
Jargons hervorbringen knnen, um so mehr da die
englische Sprach-e die Eigenschaft besitzt, da sie,
ohne von den Regeln der Grammatik abzuweichen,
durch bloe Anwendung romanischer Worte und Kon
struktionen, eine gewisse franzsische
Geistesrichtunghervortreten lassen kann. In hnlicher Weise
knnte
ein englischer Schauspieldichter eine gewisse germa
nische Sinnesart andeuten, wenn er sich nur altsch
sischer Ausdrcke und Wendungen bedienen wollt-e.
Denn die englische Sprache besteht aus zwei heteroge
nen Elementen, dem romanischen und dem germani
schen Element, die, nur zusammengedrckt, nicht zu
einem organischen Ganzen vermischt sind; und siefallen leicht
auseinander, und alsdann wei man doch
nicht genau zu bestimmen, auf welcher Seite sich das
legitime Englisch befindet. Man vergleiche nur die
Sprache des Doktor Johnson oder Addisons mit der
Sprache Byrons oder Cobbetts. Shakespeare htte
wahrlich nicht ntig gehabt, die Prinzessin Catharina
Franzsisch sprechen zu lassen.
Dieses fhrt mich zu ein-er Bemerkung, die- ich schon
an einem andern Orte aussprach. Es ist nmlich einMangel in den
geschichtlichen Dramen von ShakeDr.
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speare, da er den normannisch-franzsischen Geist
des hohen Adels nicht mit dem schsisch-britischen
Geist des Volks, durch eigentmlichere Sprachformen
kontrastieren lt. Walter Scott tat dieses in seinen
Romanen, und erreichte dadurch seine farbigsten Ef
fekte.
Der Knstler der uns zu dieser Galerie das Konter
fei der franzsischen Prinzessin geliefert, hat ihr,
wahrscheinlich aus englischer Malice, weniger schne
als drollige Zge geliehen. Sie hat hier ein wahres
Vogelgesicht, und die Augen sehen aus wie geborgt.
Sind es etwa Papagei-enfedern, die sie auf dem Haupte
trgt, und soll damit ihre nachplappernde Gelehrigkeit angedeutet
werden? Sie hat kleine, weie, neu
gierige Hnde. Eitel Putzliebe und Gefallsucht ist ihrganzes
Wesen, und sie wei mit dem Fcher allerliebstzu spielen. Ich wette
ihre Fchen koketti-eren mit
dem Boden worauf sie wandeln.
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Johanna dArc(Heinrich VI., erster Teil)
Heil dir groer deutscher Schiller, der du das hoheStandbild
wieder glorreich gesubert hast von dem
schmutzigen Witze Voltaires, und den schwarz'en
Flecken, die ihm sogar Shakespeare angedicht-etJa, war es
britischer Nationalha oder mittelalterlicher
Aberglaube, was seinen Geist umnebelte, unser Dich
ter hat das heldenmtige Mdchen als eine Hexe dar
gestellt, die mit den dunkeln Mchten der Hlle ver
. bndet ist. Er lt die Dmonen der Unterwelt von
ihr beschwren, und gerechtfertigt wird durch solche
Annahme ihre grausame Hinrichtung. Ein tieferUnmut erfat mich
jedesmal, wenn ich zu Rouen ber
den kleinen Marktplatz wandle, wo man die Jungfrau
verbrannte und eine schlechte Statue diese schlechte
Tat verewigt. Qualvoll tten! das war also schon da
mals eure Handlungsweise gegen berwundene Fein
de! Nchst dem Felsen von St. H-elena, gibt der er
whnte Marktplatz von Rouen, das emprendste Zeug
nis von der Gromut der Englnder.
Ja, auch Shakespeare hat sich an der Pucelle versn
digt, und wo nicht mit entschiedener Feindschaft, be
handelte er sie doch unfreundlich und lieblos, die edleJungfrau,
die ihr Vaterland befreite! Und htte sie
es auch mit der Hlfe der Hlle getan, sie verdiente
dennoch Ehrfurcht und Bewunderung!
Oder haben die Kritiker recht, welche dem Stcke,
worin die Pucelle auftritt, wie auch dem zweiten unddritten
Teile Heinrichs VI., die Autorschaft des gro
en Dichters absprechen? Sie behaupten, diese Tri
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logie gehre zu den ltern Dramen, die er nur bearbeitet habe. Ich
mchte gern, der Jungfrau von Or
leans wegen, einer solchen Annahme beipflichten.Aber die
vorgebrachten Argumente sind nicht haltbar.
Diese bestrittenen Dramen tragen in manchen Stellenallzusehr das
Vollgeprge des Shakespeareschen Gei
stes.
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Margaretha(Heinrich VI. erster Teil)
Hier sehen wir die schne Tochter des Grafen
Reignier noch als Mdchen. Suffolk tritt auf und fhrt
sie vor als Gefangene, doch ehe er sich dessen ver
sieht, hat sie ihn selber gefesselt. Er mahnt uns ganz
an den Rekruten, der, von einem Wachtposten aus,
seinem Hauptmann entgegenschrie: Ich habe einen
Gefangenen gemacht. So bringt ihn zu-mir her,
antwortete der Hauptmann. Ich kann nicht, erwi
derte der arme Rekrut, denn mein Gefangener lt
mich nicht mehr los.
Suffolk spricht:
Sei nicht beleidigt, Wunder der Natur!Von mir gefangen werden
ist dein Los.
So schtzt der Schwan die flaurnbedeckten SchwnleinMit seinen
Flgeln sie gefangen haltend:
Allein, sobald dich krnkt die Sklaverei,So geh, und sei als
Suffolks Freundin frei.
(Sie wendet sich weg, als wollte sie gehn)
O bleib! Mir fehlt die Kraft sie zu entlassen,Befrein will sie
die Hand, das Herz sagt nein.Wie auf kristallnem Strom die Sonne
spielt,
Und blinkt mit zweitem nachgeahmten Strahl,So scheint die lichte
Schnheit meinen Augen;
Ich wrbe gern, doch wag ich nicht zu reden;Ich fodre Tint und
Feder, ihr zu schreiben.
Pfui, De la Poole! entherze dich nicht selbst.Hast keine Zung ?
ist sie nicht dort?Verzagst du vor dem Anblick eines Weibs?
Ach ja! der Schnheit hohe MajesttVerwirrt die Zung, und macht
die Sinne wst.
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Margaretha.
Sag, Graf von Suffolk (wenn du so dich nennst),Was gilts zur
Lsung, eh du mich entlssest?
Denn wie ich seh, bin ich bei dir Gefangne.
Suffolk (beiseit).
Wie weit du, ob sie deine Bitte weigert,Eh du um ihre Liebe dich
versucht?
Margaretha.
Du sprichst nicht: was fr Lsung mu ich zahlen?
Suffolk (beiSeit).
Ja, sie ist schn, drum mu man um sie werben;Sie ist ein Weib,
drum kann man sie gewinnen.
Er findet endlich das beste Mittel die Gefangene zubehalten,
indem er sie seinem Knig-e anvermhlt, und
zugleich ihr ffentlicher Untertan und ihr heimlicherLiebhaber
wird.
Ist dieses Verhltnis zwischen Margarethen undSuffolk in der
Geschichte begrndet? Ich wei nicht.Aber Shakespeares
divinatorisches Auge sieht oft
Dinge, wovon die Chronik nichts meldet, und die den
noch wahr sind. Er kennt sogar jene flchtigen Tru
me der Vergangenheit, die Klio aufzuzeichnen verga.
Bleiben vielleicht auf dem Schauplatz der Begebenheiten allerlei
bunte Abbilder derselben zurck, dienicht wie gewhnliche Schatten
mit den wirklichen
Erscheinungen verschwinden, sondern gespenstischhaften bleiben
am Boden, unbemerkt von den gewhn
lichen Werkeltagsmenschen, die ahnungslos darber
hin ihre Geschfte treiben, aber manchmal ganz far
ben- und formenbestimmt sichtbar werdend, fr das
sehende Auge jener Sonntagskirider, die wir Dichternennen?
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Knigin Margaretha(Heinrich VI. zweiter und dritter Teil)
In diesem Bildnis sehen wir dieselbe Margaretha
als Knigin, als Gemahlin des sechsten Heinrichs. Die
Knospe hat sich entfaltet, sie ist jetzt eine vollblhende
Rose; aber ein widerlicher Wurm liegt darin verbor
gen. Sie ist ein hartes, frevelhaftes Weib geworden.
Beispiellos grausam in der wirklichen wie in der ge
dichteten Welt ist die Szene, wo sie dem weinenden
York das grliche, in dem Blut-e seines Sohnes getauchte Tuch
berreicht, und ihn verhhnt, da erseine Trnen damit trocknen mge.
Entsetzlich sind
ihre Worte:
Sieh, York! dies Tuch befleckt ich mit dem Blut,Das mit
geschrftem Stahl der tapfre CliffordHervor lie strmen aus des
Knaben Busen;
Und kann dein Aug um seinen Tod sich feuchten,So geb ich dirs,
die Wangen abzutrocknen.Ach, armer York! hat ich nicht tdlich
dich,So wrd ich deinen Jammerstand beklagen.So grm dich doch, mich
zu belustgen, York!Wie? drrte so das feurge Herz dein Innres,
Da keine Trne fllt um Rutlands Tod?Warum geduldig, Mann? Du
solltest rasen;Ich hhne dich, um rasend dich zu machen.Stampf, tob
und knirsch, damit ich sing und tanze!
Htte der Knstler, welcher die schne Margarethafr diese Galerie
zeichnete, ihr Bildnis mit noch weiter
geffneten Lippen dargestellt, so wrden wir bemerken, da sie
spitzige Zhne hat, wie ein Raubtier.
In einem folgenden Drama, in Richard III., erscheint sie auch
physisch scheulich, denn die Zeit hat
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ihr alsdann die spitzigen Zhne ausgebrochen, siekann nicht mehr
beien, sondern nur noch fluchen,
und als ein gespenstisch altes Weib wandelt sie durchdie
Knigsgemcher, und das zahnlose bse Maul
murmelt UnheiIr-eden und Verwnschungen.Durch ihre Liebe fr
Suffolk, den wilden Suffolk,
wei uns Shakespeare sogar fr dieses Unweibein-ige
Rhrung abzugewinnen. Wie verbrecherisch auchdiese Liebe ist, so
drfen wir derselben dennoch we
der Wahrheit noch Innigkeit absprechen. Wie entzk'kend schn ist
das Abschiedsgesprch der beiden-Lie-
benden! Welche Zrtlichkeit in den Worten Margarethens:
Ach! rede nicht mit mir! gleich eile fort! O, geh noch nicht! So
herzen sich und kssenVerdammte Freund, und scheiden tausendmal,
Vor Trennung hundertmal so bang als Tod.Doch nun fahr wohl! fahr
wohl mit dir mein Leben!
Hierauf antwortet Suffolk:
Mich kmmert nicht das Land, wrst du von hinnen;Volkreich genug
ist eine Wstenei,Hat Suffolk dein-e himmlische Gesellschaft:
Denn wo du bist, da ist die Welt ja selbst,Mit all und jeden
Freuden in der Welt;
Und wo du nicht bist, de nur und Trauer.
Wenn spterhin Margaretha, das blutige Haupt desGeliebten in der
Hand tragend, ihre wildeste Verzweiflung ausjammert, mahnt sie uns
an die furcht
bare Kriemhilde des Nibelungenlieds. Welche gepan-'
zerte Schmerzen, woran alle Trostworte ohnmchtig
abgleiten!Ich habe bereits im Eingange angedeutet, da ichin
Beziehung auf Shakespeares Dramen aus der eng
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I2!
lischen Geschichte mich aller historischen und philo
sophischen Betrachtungen enthalten werde. Das The
ma jener Dramen ist noch immer nicht ganz abgehan
delt, so lange der Kampf der modernen Industriebe
drfnisse mit den Resten des mittelalterlichen Feudal
wesens unter allerlei Transformationen fortdauert.
Hier ist es nicht so leicht, wie bei den rmischen
Dramen, ein entschiedenes Urteil auszusprechen, und
jede starke Freimtigkeit knnte einer milichen Auf
nahme begegnen. Nur eine Bemerkung kann ich hier
nicht zurckweisen.Es ist mir nmlich unbegreiflich, wie einige
deutsche
Kommentatoren ganz bestimmt fr die EnglnderPartei nehmen, wenn
sie von jenen franzsischen Kriegen reden, die in den historischen
Dramen des Shake
speares dargestellt werden. Wahrlich, in jenen Krie
gen war weder das Recht, noch die Poesie auf Seiten
der Englnder, die einesteils unter nichtigen Succes
sionsvorwnden die roheste Plnderungslust verbar
gen, anderenteils nur im Solde gemeiner Krmerinter
essen sich herumschlugen ganz wie zu unserereignen Zeit, nur da
es sich im neunzehnten Jahrhun
dert mehr um Kaffee und Zucker, hingegen im vier
zehnten und fnfzehnten Jahrhundert mehr um Schafs
wolle handelte.Michelet, in seiner franzsischen Geschichte,
dem
genialen Buche, bemerkt ganz richtig:
Das Geheimnis der Schlachten von Crecy, von
Poitiers usw. befindet sich im Comptoir der Kaufleutevon London,
von Bordeaux, von Bruges. w
Wolle und Fleisch begrndeten das ursprnglicheEngland und die
englische Rasse. Bevor England fr
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die ganze Welt eine groe Baumwollspinnerei und
Eisenmanufaktur wurde, war es eine Fleischfabrik.
Von jeher trieb dieses Volk vorzugsweise Viehzucht
und nhrte sich von Fleischspeisen. Daher diese Fri
sche des Teints, diese Kraft, diese (kurznasige
undhinterkopflose) Schnheit. Man erlaube mir bei die
ser Gelegenheit eines persnlichen Eindrucks zu er
whnen:
Ich hatte London und einen groen Teil Englands
und Schottlands gesehen; ich hatte mehr angestauntals begriffen.
Erst auf meiner Rckreise, als ich von
York nach Manchester ging, die Insel in ihrer Breite
durchschneidend, empfing ich eine wahrhafte Anschauung Englands.
Es war eines Morgens, bei feuchtemNebel; das Land erschien mir
nicht blo umgeben,
sondern berschwemmt vom Ozean. Eine bleiche
Sonne frbte kaum die Hlfte der Landschaft. Die
neuen ziegelroten Huser htten allzu schroff gegen
die saftig grnen Rasen abgestochen, wren diese
schreienden Farben nicht von den flatternden See
nebeln gedmpft worden. Fette Weidenpltze, be
deckt mit Schafen, und berragt von den flammenden
Schornsteinen der Fabrikfen. Viehzucht, Ackerbau,
Industrie, alles war in diesem kleinen Raume zusam
mengedrngt, eins ber das andre, eins das andre er
nhrend; das Gras lebte vom Nebel, das Schaf vom
Grase, der Mensch von Blut.Der Mensch, in diesem verzehrenden
Klima, wo er
immer von Hunger geplagt ist, kann nur durch Arbeit
sein Leben fristen. Die Natur zwingt ihn dazu. Aberer wei sich
an ihr zu rchen; er lt sie selber arbei-
ten; ernterjocht sie durch Eisen und Feuer. Ganz
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England keucht von diesem Kampfe. Der Mensch istdort wie erzrnt,
wie auer sich. Seht dieses rote Ge
sicht, dieses irrglnz-ende Auge Man knnte leicht
glauben, er sei trunken. Aber sein Kopf und seineHand sind fest
und sicher. Er ist nur trunken von Blut
und Kraft. Er behandelt sich selbst wie eine Dampf
maschine, welch-e er bis zum berma mit Nahrung
vollstopft, um so viel Ttigkeit und Schnelligkeit als
nur irgend mglich daraus zu gewinnen.
Im Mittelalter war der Englnder ungefhr was er
jetzt ist: zu stark genhrt, angetrieben zum Handeln
und kriegerisch in Ermangelung einer industriellen
Beschftigung.
England, obgleich Ackerbau und Viehzucht trei
bend, fabrizierte noch nicht. Die Englnder lieferten
den rohen Stoff; andere wuten ihn zu bearbeiten. Die
Wolle war auf der einen Seite des Kanals, der Arbei
ter war auf der andern Seite. Whrend die Frsten
stritten und haderten, lebten doch die englischen Vieh
hndler und die flmischen Tuchfabrikanten in bester
Einigkeit, im unzerstrbarsten Bndnis. Die Franzosen, welche
dieses Bndnis brechen wollten, muten
dieses Beginnen mit einem hundertjhrigen Kriege
ben. Die englischen Knige wollten zwar die Eroberung
Frankreichs, aber das Volk verlangte nur
Freiheit des Handels, freie Einfuhrpltze, freien Markt
fr die englische Wolle. Versammelt um einen groen
Wollsack, hielten die Kommunen Rat ber die Forderungen des
Knigs, und bewilligten ihm gern hinlng
liche Hlfsgeld-er und Armeen.
Eine solche Mischung von Industrie und Chevalerie
verleiht dieser ganzen Geschichte ein wunderliches
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Ansehen. Jener Eduard, welcher auf der Tafelrundeeinen stolzen
Eid geschworen hat, Frankreich zu erobern, jene gravittisch
nrrischen Ritter, welche in
folge ihres Gelbdes ein Auge mit rotem Tuch bedeckt tragen, sie
sind doch keine so groen Narren,als da sie auf eigne Kosten ins
Feld zgen. Die
fromme Einfalt der Kreuzfahrten ist nicht mehr an
der Zeit. Diese Ritter sind im Grunde doch nichtsanders als
kufliche Sldner, als bezahlte Handels
agenten, als bewaffnete Commis-Voyageurs der Londoner und Ganter
Kaufleute. Eduard selbst mu sich
sehr verbrgern, mu allen Stolz ablegen, mu den
Beifall der Tuchhndler- und Webergilde erschr_neicheln, mu
seinem Gevatter, dem Bierbrauer Arte
velde, die Hand reichen, mu auf den Schreibtisch
eines Viehhndlers steigen, um das Volk anzureden.Die englischen
Tragdien des vierzehnten Jahrhun
derts haben sehr komische Partien. In den nobelsten
Rittern steckte immer etwas Falstaff. In Frankreich,
in Italien, in Spanien, in den schnen Lndern des S
dens, zeigen sich die Englnder eben so gefrig wietapfer. Das ist
Herkules der Ochsenverschlinger. Siekommen, im wahren Sinne des
Wortes, um das Land
aufzufressen. Aber das Land bt Wiedervergeltung,und besiegt sie
durch seine Frchte und Weine. Ihre
Frsten und Armeen bernehmen sich in Speis undTrank, und sterben
an Indigestionen und Dysentrie.
Mit diesen gedungenen Frahelden vergleiche man
die Franzosen, das migste Volk, das weniger durch
seine Weine berauscht wird, als vielmehr durch seinen angebornen
Enthusiasmus. Letzterer war immerdie Ursache ihrer Migeschicke, und
so sehen wir
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125
schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, wie
sie im Kampfe mit den Englndern eben durch ihrberma von
Ritterlichkeit unterliegen muten. Daswar bei Crecy, wo die
Franzosen schner erscheinendurch ihre Niederlage, als die Englnder
durch ihren
Sieg, den sie in unritterlicher Weise, durch Fuvolk
erfochten Bisher war der Krieg nur ein groes
Turnier von ebenbrtigen Reutern; aber bei Crecy
wird diese romantische Kavallerie, diese Poesie,
schmhlich ni-edergeschossen von der modernen Infanterie, von der
Prosa in strengstilisierter Schlacht
ordnung, ja, hier kommen sogar die Kanonen zum
Vorschein . . . Der greise Bhmenknig, welch-er, blind
und alt, als ein Vasall Frankreichs dieser Schlacht bei
wohnte, merkte wohl, da knftig der Mann zu Ro
von dem Mann zu Fu berwltigt werde, und er
sprach zu seinen Rittern: Ich bitte euch angelegent
lichst, fhrt mich so weit ins Treffen hinein, da ich
noch einmal mit einem guten Schwertstreich drein
schlagen kann! Sie gehorchten ihm, banden ihrePferde an das
seinige, jagten mit ihm in das wildeste
Getmmel, und des andern Morgens fand man sie alle
tot auf den Rcken ihrer toten Pferde, welche noch
immer zusammengebunden waren. Wie dieser Bh
menknig und sein-e Ritter, so fielen die Franzosen
bei Crecy, bei Poitiers; sie starben, aber zu Pferde.Fr England
war der Sieg, fr Frankreich war der
Ruhm. Ja, sogar durch ihre Niederlagen wissen dieFranzosen ihre
Gegner in den Schatten zu stellen. Die
Triumphe der Englnder sind immer eine Schande derMenschheit,
seit den Tagen von Crecy und Poitiersbis auf Waterloo. Klio ist
immer ein Weib, trotz ihrer
-
126
parteilosen Klte, ist sie empfindlich fr Ritterlichkeitund
Heldensinn; und ich bin berzeugt, nur mit knir
schendem Herzen verzeichnet sie in ihre Denktafeln
die Sieg-e der Englnder.
-
Lady Gray(Heinrich VI.)
Sie war eine arme Witwe, welche zitternd vor K
nig Eduard trat und ihn anflehte, ihren Kindern das
Gtchen zurckzugeben, das nach dem Tode ihres Ge
mahls den Feinden anheimgefallen war. Der woll
stige Knig, welch-er ihre Keuschheit nicht zu kirren
vermag, wird so sehr von ihren schnen Trnen be
zaubert, da er ihr die Krone aufs Haupt setzt. Wie
viel Kmmernisse fr beide dadurch entstanden, mel
det die Weltgeschichte.
Hat Shakespeare wirklich den Charakter des erwhnten Knigs ganz
treu nach der Historie geschil
dert? Ich mu wieder auf die Bemerkung zurck
kommen, da er verstand, die Lakunen der Historie
zu fllen. Seine Knigscharaktere sind immer so wahr
gezeichnet, da man, wie ein englischer Schriftsteller
bemerkt, manchmal meinen sollte, er sei whrend sei
nes ganzen Lebens der Kanzler des Knigs gewesen,den er in irgend
einem Drama agieren lt. Fr die
Wahrheit seiner Schilderungen brgt, nach meinem
Bednken, auch die frappante hnlichkeit, welche sichzwischen
seinen alten Knigen und jenen Knigen der
Jetztzeit kundgibt, die wir als Zeitgenossen am besten
zu beurteilen vermgen.Was Friedrich Schlegel von dem
Geschichtschreiber
sagt, gilt ganz eigentlich von unserem Dichter: er ist
ein in die Vergangenheit schauender Prophet. Wre
es mir erlaubt einem der berhmtesten unserer gekrnten
Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten, so
wrde jeder einsehen, da ihm Shakespeare schon vor6 Heine. Sh. M.
u. F.
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128
zwei Jahrhunderten seinen Steckbrief ausgefertigt hat.
In der Tat, beim Anblick dieses groen, vortrefflichen
und gewi auch glorreichen Monarchen berschleichtuns ein gewisses
Schauergefhl, das wir zuweilen emp
finden, wenn wir im wachen Tageslichte einer Gestalt
begegnen, die wir schon in nchtlichen Trumen erblickt haben. Als
wir ihn vor acht Jahren durch dieStraen der Hauptstadt reiten
sahen, barhuptig und
demtig nach allen Seiten grend, dachten wir im
mer an die Worte, womit York des Bolingbrokes Einzug in London
schildert. Sein Vetter, der neuere Ri
chard II., kannte ihn sehr gut, durchschaute ihn immer
und uerte einst ganz richtig:
Wir selbst und Bushy, Bagot hier und Green,Sahn sein Bewerben
beim geringen Volk,Wie er sich wollt in ihre Herzen tauchenMit
traulicher, demtger Hflichkeit;Was fr Verehrung er an Knechte
wegwarf,
Handwerker mit des Lchelns Kunst gewinnend,Und ruhige-m Ertragen
seines Loses,Als wollt er ihre Neigung mit verbannen.
Vor einem Austerweib zieht er die Mtze,Ein Paar Karrnzi-eher
grten: Gott geleit euch!
Und ihnen ward des schmeidgen Knies Tribut,Nebst: Dank,
Landsleute! meine gtgen Freunde!
Ja, die hnlichkeit ist erschreckend. Ganz wie der
ltere, entfaltete sich vor unsern Augen der heutigeBolingbroke,
der, nach dem Sturze seines kniglichen
Vetters, den Thron bestieg, sich allmhlich darauf be
festigte: ein schlauer Held, ein kriechender Riese, ein
Titan der Verstellung, entsetzlich, ja emprend ruhig,
die Tatze in einem samtnen Handschuh, und damit
die ffentliche Meinung streichelnd, den Raub schon
-
129
in weiter Ferne ersphend, und nie darauf Iossprin
gend, bis er in sicherster Nhe Mge er immerseine schnaubenden
Feinde besiegen, und dem Reiche
den Frieden erhalten, bis zu seiner Todesstunde, woer zu seinem
Sohn jene Worte sprechen wird, die
Shakespeare schon lngst fr ihn aufgeschrieben:
Komm her, mein Sohn, und setz dich an mein Bett,Und hr den
letzten Ratschlag, wie ich glaube,
Den ich je atmen mag. Gott wei, mein Sohn,Durch welche
Nebenschlich und krumme Wege
Ich diese Kron erlangt; ich selbst wei wohl,Wie lstig sie auf
meinem Haupte sa.
Dir fllt sie heim nunmehr mit bessrer Ruh,Mit bessrer Meinung,
besserer Besttgung;
Denn jeder Flecken der Erlangung gehtMit mir ins Grab. An mir
erschien sie nur
Wie eine Ehr, erhascht mit heftger Hand;Und viele lebten noch,
mir vorzurcken,
Da ich durch ihren Beistand sie gewonnen,Was tglich Zwist und
Blutvergieen schuf,
Dem vorgegebnen Frieden Wunden schlagend.Alle diese dreisten
Schrecken, wie du siehst,
Hab ich bestanden mit Gefahr des Lebens;Denn all mein Regiment
war nur ein Auftritt,
Der diesem Inhalt spielte; nun verndertMein Tod die Weise; denn
was ich erjagt,
Das fllt dir nun mit schnerm Anspruch heim,Da du durch
Erblichkeit die Krone trgst.Und, stehst du sichrer schon als ich es
konnte,
Du bist nicht fest genug, solang die KlagenSo frisch noch sind;
und allen meinen Freunden,
Die du zu deinen Freunden machen mut,Sind Zhn und Stachel
krzlich nur entnommen,
Die durch gewaltsam Tun mich erst befrdert,Und deren Macht wohl
Furcht erregen konnteVor neuer Absetzung; was zu vermeidenIch sie
verdarb, und nun des Sinnes war,6.
-
ISO
Zum heilgen Lande viele fortzufhren,Da Ruh und Stilleliegen
nicht zu nahMein Reich sie prfen lie. Damm, mein Sohn,
Beschftge stets die schwindlichten GemterMit fremdem Zwist, da
Wirken in der Fern
Das Aqgedenken vorger Tage banne.Mehr wollt ich, doch die Lung
ist so erschpft,
Da krftge Rede gnzlich mir versagt ist.Wie ich zur Krone kam, 0
Gott vergebe!
Da sie bei dir in wahrem Frieden lebe!
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Lady Anna(Knig Richard III.)
Die Gunst der Frauen, wie das Glck berhaupt, ist
ein freies Geschenk, man empfngt es, ohne zu wis
sen wie, ohne zu wissen warum. Aber es gibt Men
schen, die es mit eisernem Willen vom Schicksal zu er
trotzen verstehen, und diese gelangen zum Ziele, ent
weder durch Schmeichelei, oder indem sie den Wei
bern Schrecken einflen, oder indem sie ihr Mitlei
den anregen, oder indem sie ihnen Gelegenheit geben
sich aufzuopfern .. . Letzteres, nmlich das Geopfert
sein, ist die Li-eblingsrolle der Weiber, und kleidet sieso schn
vor den Leuten, und gewhrt ihnen auch in
der Einsamkeit so viel trnenreich-e Wehmutsgensse.
Lady Anna wird durch alles dieses zu gleicher Zeit
bezwungen. Wie Honigseim gleiten die Schmeichel
worte von den furchtbaren Lippen . .. Richard schmei
chelt ihr, derselbe Richard, welcher ihr alle Schrecken
der Hlle einflt, welcher ihren geliebten Gemahl
und den vterlichen Freund gettet, den sie eben zu
Grabe bestattet Er befiehlt den Leichentrgernmit herrischer
Stimme, den Sarg niederzusetzen, und
in diesem Momente richtet er seine Li-ebeswerbung
an die schne Leidtragende . . . Das Lamm sieht schon
mit Entsetzen das Zhnefletschen des Wolfes, aber
dieser spitzt pltzlich die Schnauze zu den sestenSchmeicheltnen
. .. Die Schmeichelei des Wolfes
wirkt so erschtternd, so berauschend auf das arme
Lammgemt, da alle Gefhle darin eine pltzlicheUmwandlung erleiden
Und Knig Richard sprichtvon seinem Kummer, von seinem Gram, so da
Anna
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ihm ihr Mitleid nicht versagen kann, um so mehr, dadieser wilde
Mensch nicht sehr klageschtig von Na
tur ist Und dieser unglckliche Mrder hat Gewissensbisse, spricht
von Reue, und eine gute Frau
knnte ihn vielleicht auf den besseren Weg leiten,wenn sie sich
fr ihn aufopfern wollte . .. Und Annaentschliet sich Knigin von
England zu werden.
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Knigin Catharina(Heinrich VIII.)
Ich hege ein unberwindliches Vorurteil gegen diese
Frstin, welcher ich dennoch die hchsten Tugenden
zugestehen mu. Als Ehefrau war sie ein Muster
huslicher Treue. Als Knigin betrug sie sich mithchster Wrde und
Majestt. Als Christin war sie
die Frmmigkeit selbst. Aber den Doktor Samuel
Johnson hat sie zum berschwenglichsten Lobe begeistert, sie ist
unter allen Shakespeareschen Frauen
sein auserlesener Liebling, er spricht von ihr mit Zrt
lichkeit und Rhrung Das ist nicht zu ertragen.
Shakespeare hat alle Macht seines Genius aufgeboten,die gute
Frau zu verherrlichen, doch diese Bemhung
wird vereitelt, wenn man sieht, da Dr. Johnson, der
groe Porterkrug, bei ihrem Anblick in ses Ent
zcken gert und von Lobeserhebungen berschumt.
Wr sie meine Frau, ich knnte mich von ihr scheiden
lassen ob solcher Lobeserhebungen. Vielleicht war es
nicht der Liebreiz von Anna Boleyn, was den armenKnig Heinrich
von ihr losri, sondern der Enthusias
mus, womit sich irgend ein damaliger Dr. Johnson ber
die treu-e, wrdevolle und fromme Catharina aussprach. Hat
vielleicht Thomas Morus, der bei all sei
ner Vortrefflichkeit etwas pedantisch und ledern und
unv-erdaulich wie Dr. Johnson war, zu sehr die K
nigin in den Himmel erhoben? Dem wackern Kanzlerfreilich kam
sein Enthusiasmus etwas teuer zu stehen;
der Knig erhob ihn deshalb selbst in den Himmel.
Ich wei nicht was ich am meisten bewundern soll:
da Catharina ihren Gemahl ganze fnfzehn Jahre
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lang ertrug, oder da Heinrich seine Gattin whrendso langer Zeit
ertragen hat? Der Knig war nichtblo sehr launenhaft, jhzornig und
in bestndigemWiderspruch mit allen Neigungen seiner Frau das
findet sich in vielen Ehen, die sich trotzdem, bis der
Tod allem Zank ein Ende macht, aufs beste erhalten
aber der Knig war auch Musiker und Theolog,und beides in
vollendeter Miserabilitt. Ich habe un
lngst als ergtzliche Kuriositt einen Choral vonihm gehrt, der
eben so schlecht war wie sein Traktat
de septem sacramentis. Er hat gewi mit seinen mu-.
sikalischen Kompositionen und seiner theologischen
Schriftstellerei die arme Frau sehr belstigt. Das Bestean
Heinrich war sein Sinn fr plastische Kunst, undaus Vorliebe fr das
Schne, entstanden vielleicht
seine schlimmsten Sympathien und Antipathien. Catharina von
Aragonien war nmlich noch hbsch in
ihrem vierundzwanzigsten Jahre, als Heinrich achtzehn Jahre alt
war und sie heiratete, obgleich sie dieWitwe seines Bruders
gewesen. Aber ihre Schnheit
hat wahrscheinlich mit den Jahren nicht zugenommen,
um so mehr da sie, aus Frmmigkeit, mit Geielung,
Fasten, Nachtwachen und Betrbungen ihr Fleisch bestndig
kasteite. ber diese ascetischen bungen be
klagte sich ihr Gemahl oft genug, und auch uns wren dergleichen
an einer Frau sehr fatal gewesen.
Aber es gibt noch einen andern Umstand, der mich
in meinem Vorurteil gegen diese Knigin bestrkt: Sie
war die Tochter der Isabella von Kastilien und dieMutter der
blutigen Maria. Was soll ich von dem
Baume denken, der solcher bsen Saat entsprossen,und solche bse
Frucht gebar?
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Wenn sich auch in der Geschichte keine Spurenihrer Grausamkeit
vorfinden, so tritt dennoch der
wilde Stolz ihrer Rasse bei jeder Gelegenheit hervor,
wo sie ihren Rang vertreten oder geltend machen will.
\ Trotz ihrer wohleingebten christlichen Demut, geriet
sie doch jedesmal in einen fast heidnischen Zorn, wenn
man einen Versto gegen die herkmmliche Etikette
machte oder gar ihr den kniglichen Titel verweigerte.
Bis in den Tod bewahrte sie diesen unauslschbaren
Hochmut, und auch bei Shakespeare sind ihre letzten
Worte :
Ihr sollt mich balsamieren, dann zur Schau 'Ausstellen, zwar
entknigt, doch begrabt michAls Knigin und eines Knigs Tochter.
Ich kann nicht mehr.
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An n a B 0 l ey n(Heinrich VIII.)
Die gewhnliche Meinung geht dahin, da KnigHeinrichs
Gewissensbisse ob seiner Ehe mit Catha
rinen durch die Reize der schnen Anna entstandenseien. Sogar
Shakespeare verrt diese Meinung, und
wenn in dem Krnungszug die neue Knigin auftritt,legt er einem
jungen Edelmann folgende Worte in denMund: 4
........._Gottseimitdir!Solch s Gesicht, als deins, erblickt ich
nie!Bei meinem Leben, Herr, sie ist ein Engel,
Der Knig hlt ganz Indien in den Armen,Und viel, viel mehr, wenn
er dies Weib umfngt:Ich tadle sein Gewissen nicht.
Von der Schnheit der Anna Boleyn gibt uns derDichter auch in der
folgenden Szene einen Begriff, wo
er den Enthusiasmus schildert, den ihr Anblick bei der
Krnung hervorbrachte.Wie sehr Shakespeare seine Gebieterin, die
hohe
Elisabeth, liebte, zeigt sich vielleicht am schnsten in
der Umstndlichkeit, womit er die Krnungsfeier ihrerMutter
darstellt. Alle diese Details sanktionieren das
Thronrecht der Tochter, und ein Dichter wute diebestrittene
Legitimitt seiner Knigin dem ganzen
Publikum zu veranschaulichen. Aber diese Kniginverdiente solchen
Liebeseifer! Sie glaubte ihrer K
nigswrde nichts zu vergeben, wenn sie dem Dichtergestattete,
alle ihre Vorfahren, und sogar ihren eige
nen Vater, mit entsetzlicher Unparteilichkeit auf derBhne
darzustellen! Und nicht blo als Knigin, son
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dem auch als Weib wollte sie nie die Rechte der Poesie
beeintrchtigen; wie sie unserem Dichter in poli
tischer Hinsicht die hchste Redefreiheit gewhrte, so
erlaubte sie ihm auch die kecksten Worte in ge
schlechtlicher Beziehung, sie nahm keinen Ansto an
den ausgelassensten Witzen einer gesunden Sinnlich
keit, und sie, the maiden queen, die knigliche Jung
frau, verlangte sogar, da Sir John Falstaff sich ein
mal als Liebhaber zeige. Ihrem lchelnden Wink ver
danken wir Die lustigen Weiber von Windsor.
Shakespeare konnte seine englischen Geschichtsdra men nicht
besser schlieen, als indem er am Ende von
Heinrich VIII. die neugeborne Elisabeth, gleichsam
die bessere Zukunft in Windeln, ber die Bhne tra
gen lt.
Hat aber Shakespeare wirklich den Charakter Hein
richs VIII., des Vaters seiner Knigin, ganz geschichts
treu geschildert? Ja, obgleich er die Wahrheit nicht
in so grellen Lauten wie in seinen brigen Dramen
verkndete, so hat er sie doch jedenfalls ausgespro
chen, und der leisere Ton macht jeden Vorwurf desto
eindringlich-er. Dieser Heinrich VIII. war der schlimm
ste all-er Knige, denn whrend alle andere bse Fr
sten nur gegen ihre Feinde wteten, raste jener gegen
seine Freunde, und seine Liebe war immer weit gefhrlicher als
sein Ha. Die Ehestandsgeschichten die
ses kniglichen Blaubarts sind entsetzlich. In alle
Schrecknisse derselben mischte er obendrein eine gewisse
bldsinnig grauenhafte Galanterie. Als er Anna
Boleyn hinzurichten befahl, lie er ihr vorher sagen,da er fr sie
den geschicktesten Scharfrichter von
ganz England bestellt habe. Die Knigin dankte ihm
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gehorsamst fr solche zarte Aufmerksamkeit, und in
ihrer leichtsinnig heitern Weise, umspannte sie mitbeiden weien
Hnden ihren Hals und rief: Ich bin
sehr leicht zu kpfen, ich hab nur ein kleines schmales
Hlschen.
Auch ist das Beil, womit man ihr das Haupt ab
schlug, nicht sehr gro. -Man zeigte es mir in derRstkammer des
Towers zu London, und whrend ich
es in den Hnden hielt, beschlichen mich sehr sonder
bare Gedanken.
Wenn ich Knigin von England wre, ich liee je
nes Beil in die Tiefe des Ozeans versenken.
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Lady Macbeth(Macbeth)
Von den eigentlich historischen Dramen wende ich
. mich zu jenen Tragdien, deren Fabel entweder rein
ersonnen, oder aus alten Sagen und Novellen ge
schpft ist. Macbeth bildet einen bergang zu die
sen Dichtungen, worin der Genius des groen Shake
speare am freiesten und kecksten seine Flgel entfaltet. Der
Stoff ist einer alten Legende entlehnt, er
gehrt nicht zur Historie, und dennoch macht dieses
Stck einige Ansprche an geschichtlichen Glauben,
da der Ahnherr des kniglichen Hauses von England
darin eine Rolle spielte. Macbeth ward nmlich lin
ter Jakob I. aufgefhrt, welcher bekanntlich von dem
schottischen Banko abstammen sollte. In dieser Be
ziehung hat der Dichter auch einige Prophezeiungen
zur Ehre der regierenden Dynastie seinem Drama ein
gewebt.
Macbeth ist ein Liebling der Kritiker, die hier
Gelegenheit finden, ihre Ansichten ber die
antikeSchicksalstragdie, in Vergleichung mit der Auffas
sung des Fatums bei modernen Tragikern, des brei
testen auseinanderzusetzen. Ich erlaube mir ber die
sen Gegenstand nur eine flchtige Bemerkung.Die Schicksalsidee
des Shakespeare ist von der Ideedes Schicksals bei den Alten in
gleicher Weise ver
schieden, wie die wahrsagenden Frauen, die kronen
verheiend in der alten nordischen Legende dem Mac
beth begegnen, von jener Hexenschwesterschaft verschieden sind,
die man in der Shakespeareschen Tra
gdie auftreten sieht. Jene wundersamen Frauen inder alten
nordischen Legende sind offenbar Walkren,
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schauerliche Luftgttinnen, die ber den Schlachtfeldern
einherschwebend, Sieg oder Niederlage entschei- _den, und als die
eigentlichen Lenkerinnen des Menschenschicksals zu betrachten sind,
da letzteres im
kriegerischen Norden zunchst vom Ausgang der
Schwertkmpfe abhngig war. Shakespeare verwan
delte sie in unheilstiftende Hexen, entkleidete sie aller_
furchtbaren Grazie des nordischen Zaubertums, er
machte sie zu zwitterhaften Miweibern, die unge- heuerlichen
Spuk zu treiben wissen, und Verderben
brauen, aus hmischer Schadenfreude oder auf Ge
hei der Hlle; sie sind die Dienerinnen des Bsen,
und wer sich von ihren Sprchen betren lt, geht
mit Leib und Seele zu Grunde. Shakespeare hat alsodie
altheidnischen Schicksalsgttinnen und ihren ehr
wrdigen Zaubersegen ins Christliche bersetzt, und
der Untergang seines Helden ist daher nicht etwas
voraus bestimmt Notwendiges, etwas starr Unabwendbares wie das
alte Fatum, sondern er ist nur die Folge
jener Lockungen der Hlle, die das Menschenherz mit
den feinsten Netzen zu umschlingen wei: Macbethunterliegt der
Macht Satans, dem Urbsen.
Interessant ist es, wenn man die Shakespeareschen
Hexen mit den Hexen anderer englischen Dichter vergleicht. Man
bemerkt, da Shakespeare sich dennochvon der altheidnischen
Anschauungsweise nicht ganzlosreien konnte, und seine
Zauberschwestern sind da
her auffallend grandioser und respektabler als dieHexen von
Middleton, die weit mehr eine bse Vettel
natur bekunden, auch weit kleinlichere Tcken aus
ben, nur den Leib beschdigen, ber den Geist wenig
vermgen, und hchstens mit Eifersucht, Migunst,
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Lsternheit und hnlichem Gefhlsaussatz unsere Her
zen zu berkrusten wissen.Das Renommee der Lady Macbeth, die man
wh
rend zwei Jahrhunderten fr eine sehr bse Person
hielt, hat sich vor etwa zwlf Jahren in Deutschlandsehr zu ihrem
Vorteil verbessert. Der fromme Franz
Horn machte nmlich im Brockhausischen Konversa
tionsblatt die Bemerkung, da diearme Lady bisher
ganz verkannt werden, da sie ihren Mann sehr liebte,
und berhaupt ein liebevolles Gemt b-ese. Diese
Meinung suchte bald darauf Herr Ludwig Tieck mitall seiner
Wissenschaft, Gelahrtheit und philosophi
schen Tiefe zu untersttzen, und es dauerte nicht lan
ge, so sahen wir Madame Stich auf der kniglichenHofbhne in der
Rolle der Lady Macbeth so gefhlvollgirren und turteltubeln, da kein
Herz in Berlin vor
solchen Zrtlichkeitstn-en ungerhrt blieb, und man
ches schne Auge von Trnen berflo beim Anblick
der juten Macbeth. Das geschah, wie gesagt, voretwa zwlf Jahren,
in jener sanften Restaurationszeit,
wo wir so viel Liebe im Leibe hatten. Seitdem ist ein
groer Bankrott ausgebrochen, und wenn wir jetzt
mancher gekrnten Person nicht die berschwengliche
Liebe widmen, die sie verdient, so sind Leute daran schuld,
die, wie die Knigin von Schottland, whrend der
Restaurationsperiode unsre Herzen ganz ausgebeutelt haben.
Ob man in Deutschland die Liebenswrdigkeit derbesagten Lady noch
immer verficht, wei ich nicht.Seit der Juliusrevolution haben sich
jedoch die An
sichten in vielen Dingen gendert, und man hat vielleicht sogar
in Berlin einsehen lernen, da die jute
Macbeth eine sehr bese Bestie :sint. '
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Oph el i a(Hamlet)
Das ist die arme Ophelia, die Hamlet der Dne geliebt hat. Es war
ein blondes schnes Mdchen, und
besonders in ihrer Sprache lag ein Zauber, der mirschon damals
das Herz rhrte, als ich nach Wittenberg
reisen wollte und zu ihrem Vater ging, um ihm Lebewohl zu sagen.
Der alte Herr war so gtig mir alle
jene guten Lehren, wovon er selber so wenig Gebrauch machte, auf
den Weg mitzugeben, und zuletzt
rief er Oph-elien, da sie uns Wein bringe zum Abschiedstrunk.
Als das liebe Kind, sittsam und anmutig,
mit dem Kredenzteller zu mir herantrat und das strahlend groe
Auge gegen mich aufhob, griff ich in der
Zerstreuung zu einem leeren, statt einem geflltenBecher. Sie
lchelte ber meinen Migriff. Ihr Lcheln war schon damals so
wundersam glnzend, es
zog sich ber ihre Lippen schon jener berauschendeSchmelz, der
wahrscheinlich von den Ku-Elfen her
rhrte, die in den Mundwinkeln lauschten.Als ich von Wittenberg
heimkehrte und das L
cheln Ophelias mir wieder entgegenleuchtete, verga
ich darber alle Spitzfndigkeiten der Scholastik, undmein
Nachgrbeln betraf nur die holden Fragen: Was
bedeutet jenes Lcheln? Was bedeutet jene Stimme,jener
geheimnisvoll schmachtende Fltenton? Woher
empfangen jene Augen ihre seligen Strahlen? Ist es
ein Abglanz des Himmels, oder erglnzt der Himmelnur von dem
Widerschein dieser Augen? Steht jenes
Lcheln im Zusammenhang mit der stummen Musikdes Sphrentanzes,
oder ist es nur die irdische Signa
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tur der bersinnlichsten Harmonien? Eines Tages, alswir im
Schlogarten zu Helsingr uns ergingen, zrt
lich scherzen-d und kosend die Herzen in voller Sehn
suchtsblte . . . es bleibt mir unvergelich, wie bettel
haft der Gesang der Nachtigallen abstach gegen
diehimmelhauchende Stimme Ophelias, und wie armseligblde die Blumen
aussahen mit ihren bunten Gesich
tern ohne Lcheln, wenn ich sie zufllig verglich mit
dem holdseligen Munde Ophelias! Die schlanke Gestalt, wie
wandlende Lieblichkeit schwebte sie neben
mir einher. '
Ach! das ist der Fluch schwacher Menschen, da sie
jedesmal, wenn ihnen eine groe Unbill widerfhrt,
zunchst an dem Besten und Liebsten was sie be
sitzen, ihren Unmut auslassen. Und der arme Hamlet
zerstrte zunchst seine Vernunft, das herrliche Klein
od, strzte sich durch verstellte Geistesverwirrung in
den entsetzlichen Abgrund der wirklichen Tollheit,
und qulte sein armes Mdchen mit hhnischen Stachelreden Das arme
Ding! das fehlte noch, da
der Geliebte ihren Vater fr eine Ratte hielt und ihntotstach . .
. Da mute sie ebenfalls von Sinnen kom
men! Aber ihr Wahnsinn ist nicht so schwarz und br
tend dster wie der Hamletische, sondern er gaukelt,
gleichsam besnftigend, mit sen Liedern, um ihrkrankes Haupt Ihre
sanfte Stimme schmilzt ganz
in Gesang, und Blumen und wieder Blumen windensich durch all ihr
Denken. Sie singt und flechtet Krn-
ze und schmckt damit ihre Stirn, und lchelt mitihrem strahlenden
Lcheln, armes Kind!
Es neigt ein Weidenbaum sich bern Bach,Und zeigt im klaren Strom
sein grnes Laub,7 Heine. Sh. M. u. F.
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Mit welchem sie phantastisch Krnze wandVon Hahnfu, Nesseln,
Malieb, Kuckucksblumen.
Dort, als sie aufklomm, um ihr LaubgewindeAn den gesenkten sten
aufzuhngen,Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophen und sie selbstIns weinende Gewsser. Ihre
KleiderVerbreiteten sich weit, und trugen sie
Sirenengleich ein Weilchen noch empor,Indes sie Stellen alter
Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,Wie ein Geschpf, geboren
und begabt
Fr dieses Element. Doch lange whrt es nicht,Bis ihre Kleider,
die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren MelodienHinunterzogen in den schlammgen
Tod.
Doch was erzhl ich euch diese kummervolle Ge
schichte. Ihr kennt sie alle von frhester Jugend, undihr habt
oft genug geweint ber die alte Tragdie von
Hamlet dem Dnen, welcher die arme Ophelia liebte,
weit mehr liebte als tausend Brder mit ihrer Ge
samtliebe sie zu lieben vermochten, und welcher ver
rckt wurde, weil ihm der Geist seines Vaters erschien,
und weil die Welt aus ihren Angeln gerissen war under sich zu
schwach fhlte, um sie wieder einzufgen,
und weil er im deutschen Wittenberg vor lauter Denken das
Handeln verlernt hatte, und weil ihm die Wahl
stand, entweder wahnsinnig zu werden oder eine rasche Tat zu
begehn, und weil er als Mensch berhaupt
groe Anlagen zur Tollheit in sich trug.Wir kennen diesen Hamlet
wie wir unser eignesGesicht kennen, das wir so oft im Spiegel
erblicken,
und das uns dennoch weniger bekannt ist, als manglauben sollte;
denn begegnete uns jemand auf der
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Strae, der ganz so ausshe wie wir selber, so wrden
wir das befremdlich wohlbekannte Antlitz nur instinkt
mig und mit geheimen Schreck anglotzen, ohne jedoch zu merken,
da es unsere eignen Gesichtszgesind, die wir eben erblickten.
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Cordelia(Knig Lear)
In diesem Stcke liegen Fuangeln und Selbstschsse fr den Leser,
sagt ein englischer Schriftstel
ler. Ein anderer bemerkt, diese Tragdie sei ein Labyrinth, worin
sich der Kommentator verirren, und am
Ende Gefahr laufen knne, von dem Minotaur, der
dort haust, erwrgt zu werden; er mge hier das kri
tische Messer nur zur Selbstverteidigung gebrauchen.Und in der
Tat, ist es jedenfalls eine miliche Sache,
den Shakespeare zu kritisieren, ihn, aus dessen Wortenuns
bestndig die schrfste Kritik unserer eignen Ge
danken und Handlungen entgegenlacht: so ist es fastunmglich, ihn
in dieser Tragdiezu beurteilen, wosein Genius bis zur
schwindlichsten Hhe sich empor
schwang.Ich wage mich nur bis an die Pforte dieses Wunder
baus, nur bis zur Exposition, die schon gleich unser
Erstaunen erregt. Die Expositionen sind berhauptin Shakespeares
Tragdien bewunderungswrdig.
Durch diese ersten Eingangsszenen werden wir schon
gleich aus unseren Werkeltagsgefhlen und Zunftgedanken
herausgerissen, und in die Mitte jener ungeheuern Begebenheiten
versetzt, womit der Dichter un
sere Seelen erschttern und reinigen will. So erffnetsich die
Tragdie des Macbeth mit der Begegnung
der Hexen, und der weissagende Spruch derselben unterjocht nicht
blo das Herz des schottischen Feldherrn, den wir siegestrunken
auftreten sehen, sondern
auch unser eignes Zuschauerherz, das jetzt nicht mehrlos kann,
bis alles erfllt und beendigt ist. Wie in
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Macbeth das wste, sinnebetubende Grauen der
blutigen Zauberwelt schon im Beginn-uns erfat, so
berfrstelt uns der Schauer des bleichen Geister
reichs bereits in den ersten Szenen des Hamlet, und
wir knnen uns hier nicht loswinden von den gespen
stischen Nachtgefhlen, von dem Alpdrcken der un
h-eimlichsten ngste, bis alles vollbracht, bis Dne
marks Luft, die von Menschenfulnis geschwngert
war, wieder ganz gereinigt ist.
In den ersten Szenen des ,Lear Werden wir auf
gleiche Weise unmittelbar hineingezogen in die fremden
Schicksale, die sich vor unseren Augen ankndi
gen, entfalten und abschlieen. Der Dichter gewhrtuns hier ein
Schauspiel, das noch entsetzlicher ist als
alle Schrecknisse der Zauberwelt und des Geister
reichs: er zeigt uns nmlich die menschliche Leiden
schaft, die alle Vernunftdmme durchbricht, und in.
der furchtbaren Majestt eines kniglichen Wahnsinnshinaustobt,
wetteifernd mit der_ emprten Natur in
ihrem wildesten Aufruhr. Aber ich glaube, hier endetdie
auerordentliche Obmacht, die spielende :Willkr,womit Shakespeare
seinen Stoff immer bewltigen
konnte; hier beherrscht ihn sein Genius weit mehr alsin den
erwhnten Tragdien, in Macbeth undHam
let, wo er, mit knstlerischer Gelassenheit, neben den
dunkelsten Schatten der Gemtsnacht, die rosigstenLichter des
Witzes, neben den wildesten Handlungen,
das heiterste_ Stilleben, hinmalen konnte. Ja, in der
Tragdie Macbeth lchelt uns eine:sanfte befriedete
Natur entgegen: an den Fensterfliesen des Schlosses,
wo die blutigste Untat verbt wird, kleben stilleSchwalbennester;
ein freundlicher schottischer Som
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mer, nicht zu warm, nicht zu khl, weht durch das
ganze Stck; berall schne Bume und grnes Laub
werk, und am Ende gar kommt ein ganzer Wald einhermarschiert,
Birnam-Wald kommt nach Dunsinane.Auch in Hamlet kontrastiert die
liebliche Natur mit
der Schwle der Handlung; bleibt es auch Nacht in derBrust des
Helden, so geht doch die Sonne darum nicht
minder morgenrtlich auf, und Polonius ist ein amsanter Narr, und
es wird ruhig Komdie gespielt, undunter grnen Bumen sitzt die arme
Ophelia, und mitbunten, blhenden Blumen windetsie ihre Krnze.
Aber in Lear herrschen keine solche Kontraste zwi
schen der Handlung und der Natur, und die entzgel
ten Elemente heulen und strmemum die Wette mitdem wahnsinnigen
Knig. Wirkt ein sittliches Er
eignis ganz auerordentlicher Art auch auf die soge
nannte leblose Natur? Befindet sich zwischen dieser
und dem Menschengemt ein uerlich sichtbares
Wahlverhltnis? Hat unser Dichter dergleichen erkannt und
darstellen wollen?
Mit der ersten Szene dieser Tragdie werden wir,wie gesagt, schon
in die Mitte der Ereignisse ge
fhrt, und wie klar auch der Himmel ist, ein scharfes
Auge kann das knftige Gewitter schon voraussehen.Da ist ein
Wlkchen im Verstande Lears, welches sich
spter zur schwrzesten Geistesnacht verdichten wird.Wer in dieser
Weise alles verschenkt, der ist schon
verrckt. Wie das Gemt des Helden, so lernen wir
auch den Charakter der Tchter schon in der Expo
sitionsszene kennen, und namentlich rhrtuns schongleich die
schweigsame Zrtlichkeit Cordelias, der
modernen Antigone, die an Innigkeit die antike Schwe
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ster noch bertrifft. Ja, sie ist ein reiner Geist, wie es
der Knig erst im Wahnsinn -.einsieht. Ganz rein? Ich
glaube, sie ist ein bichen eigensinnig, und diesesFleckchen ist
ein Vatermal. Aber wahre Liebe ist sehr
verschmt und hat allen Wortkram; sie kann nurweinen und
verbluten. Die wehmtige Bitterkeit, wo
mit Cordelia auf die Heuchelei der Schwestern anspielt, ist von
der zartesten Art, und trgt ganz den
Charakter jener Ironie, deren sich der Meister aller
Liebe, der Held des Evangeliums, zuweilen bediente.
Ihre Seele entladet sich des gerechtesten Unwill-ensund
offenbart zugleich ihren ganzen-Adel in den Wor
ten:
Frwahr, nie heurat ich, wie meine Schwestern, umblo meinen Vater
zu lieben.
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Julie- (Romeo und Julie)
In der Tat, jedes Shakespearesche Stck hat sein besonderes
Klima, Seine bestimmte Jahreszeit und seine
lokalen Eigentmlichkeiten. Wie die Personen in jedem dieser
Dramen, so hat auch der Boden und der
Himmel, der darin sichtbar wird, eine besondere Physiognomie.
Hier, in Romeo und Julie, sind wir ber
die Alpen gestiegen und befinden uns pltzlich in demschnen
Garten, welcher Italien heit
Kennst du das Land, wo die Zitronen blhn,Im dunkeln Laub die
Goldorangen glhn? .
Es ist das sonnige Verona, welches Shakespearezum Schauplatz
gewhlt hat fr die Grotaten der
Liebe, die er in Romeo .und Julie verherrlichen
wollte. Ja, nicht das benannte Menschenpaar, sonderndie Liebe
selbst ist der Held in diesem Drama. Wir
sehen hier die Liebe jugendlich bermtig auftreten,allen
feindlichen Verhltnissen Trotz bietend, und alles
besiegend Denn sie frchtet-sich nicht, in demgroen Kampfe zu dem
schrecklichsten, aber sichersten Bundesgenossen, dem Tode, ihre
Zuflucht zu neh
men. Liebe im Bndnisse mit dem Tode ist unberwindlich. Liebe!
Sie ist die hchste und siegreichstealler Leidenschaften. Ihre
weltbezwingende Strke besteht aber in ihrer schrankenlosen Gromut,
in ihrer
fast bersinnlichen Uneigenntzigkeit, in ihrer
aufopferungsschtigen Lebensverachtung. Fr sie gibt
es kein Gestern, und sie denkt an kein Morgen . . . Siebegehrt
nur des heutigen Tages, aber diesen verlangt
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sie ganz, unverkrzt, unverkmmert .. . Sie will nichtsdavon
aufsparen fr die Zukunft und verschmht die
aufgewrmten Reste der Vergangenheit .. . Vor mir
Nacht, hinter mir Nacht Sie ist eine wandelnde
Flamme zwischen zwei Finsternissen .. . 'Woher ent
steht sie? Aus unbegreiflich winzigen Fnkchen!... Wie endet sie?
. . . Sie erlscht spurlos, eben so un
begreiflich Je wilder sie brennt, desto frher erlscht sie Aber
das hindert sie nicht, sich ihren
lodernden Trieben ganz hinzugeben, als dauerte ewig
dieses Feuer
Ach, wenn man zum zweitenmal im Leben von der
groen Glut erfat wird, so fehlt leider dieser Glaube
an ihrer Unsterblichkeit, und die schmerzlichste Erinnerung sagt
uns, da sie sich am Ende selber aufzehrt . . . Daher die
Verschiedenheit der Melancholie
bei der ersten Liebe und bei der zweiten .. . Bei der
ersten denken wir, da unsere Leidenschaft nur mit
tragischem Tode endigen msse, und in der Tat, wennnicht anders
die entgegendrohenden Schwierigkeiten
zu berwinden sind, entschlieen wiruns leicht, mit
der Geliebten ins Grab zu steigen Hingegen beider zweiten Liebe
liegt uns der Gedanke im Sinne,
da unsere wildesten und herrlichsten Gefhle sich
mit der Zeit in eine zahme Lauheit verwandeln, da
wir die Augen, die Lippen, die Hften, die uns jetzt so
schauerlich begeistern, einst mit Gleichgltigkeit betrachten
werden Ach! dieser Gedanke ist melan
cholischer als jede Todesahnung! . .. Das ist ein trostloses
Gefhl, wenn wir im heiesten Rausche an knf
tige Nchternheit und Khle denken, und aus Erfah
rung wissen, da die hochpoetischen heroischen Lei
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denschaften ein so klglich prosaisches Ende nehmen!
Diese hochpoetischen heroischen Leidenschaften!Wie die
Theaterprinzessinnen gebrden sie sich, undsind hochrot geschminkt,
prachtvoll kostmiert, mitfunkelndem Geschmeide beladen, und
wandelnstolz
einher und deklamieren in gemessenen Jamben .Wenn aber der
Vorhang fllt, zieht die arme Prinzessin ihre Werkeltagskleider
wieder an, wischt sich die
Schminke von den Wangen, sie mu den Schmuck demGarderobemeister
berliefern, und schlotternd hngt
sie sich an den Arm des ersten besten Stadtgerichtsreferendarii,
spricht schlechtes Berliner Deutsch, steigt
mit ihm in eine Mansarde, und ghnt und legt sichschnarchend aufs
Ohr, und hrt nicht mehr die sen
Beteurungen: Sie spielten jettlich, auf Ehre . ..
Ich wage es nicht Shakespeare im mindesten zu tadeln, und nur
meine Verwunderung mchte ich dar
ber aussprechen, da er den Romeo erst eine Leiden
schaft fr Rosalinde empfinden lt, ehe er ihn Julienzufhrt.
Trotzdem, da er sich der zweiten Liebe ganzhingibt, nistet doch in
seiner Seele eine gewisse Skep
sis, die sich in ironischen Redensarten kundgibt, und
nicht selten an Hamlet erinnert. Oder ist die zweiteLiebe bei
dem Manne die strkere, eben weil sie als
dann mit klarem Selbstbewutsein gepaart ist? Beidem Weihe gibt
es keine zweite Liebe, seine Natur ist
zu zart, als da sie zweimal das furchtbarste Erdbeben
des Gemtes berstehen knnte. Betrachte-t 'Julie.Wre sie im Stande
zum zweiten Male die ber
schwenglichen Seligkeiten und Schrecknisse zu ertra
gen, zum zweiten Male, aller Angst Trotz bietend, den
-
153
schauderhaften Kelch zu' leeren? Ich glaube, sie hatgenug am
ersten Male, diese arme Glckliche, dieses
reine Opfer der groen Passion.Julie liebt zum ersten Male, und
liebt mit voller Ge
sundheit des Leibes und der Seele. Sie ist vierzehn
Jahre alt, was in Italien so viel gilt, wie siebzehn Jahre
nordischer Whrung. Sie ist eine Rosenknospe, dieeben, vor
unseren Augen, von Romeos Lippen auf
gekt ward, und sich in jugendlicher Pracht entfaltet. Sie hat
weder aus weltlichen noch aus geistlichen
Bchern gelernt was Liebe ist; die Sonne hat es ihr
gesagt und der Mond hat es ihr wiederholt, und wie
ein Echo hat es ihr Herz nachgesprochen, als sie sich
nchtlich unbelauscht glaubte. Aber Romeo stand un
ter dem Balkone und hat ihre Reden gehrt, undnimmt sie beim
Wort. Der Charakter ihrer Liebe ist
Wahrheit und Gesundheit. Das Mdchen atmet Ge
sundheit und Wahrheit, und es ist rhrend anzuhren,
wenn sie sagt:
Du weit, die Nacht verschleiert mein Gesicht,Sonst frbte
Mdchenrte meine Wangen
Um das, was du vorhin mich sagen hrtest.Gern hielt ich streng
auf Sitte, mchte gern
Verleugnen, was ich sprach: doch weg mit Frmlichkeit!Sag, liebst
du mich? Ich wei, du wirsts b-ejahn,
Und will dem Worte traun; doch wenn du schwrst,So kannst du
treulos werden; wie sie sagen,
Lacht Jupiter des Meineids der Verliebten.0 holder Romeo! Wenn
du mich liebst,
Sags ohne Falsch! Doch dchtest du, ich seiZu schnell besiegt, so
will ich finster blicken,Will widerspenstig sein, und nein dir
sagen,
So du dann werben willst: sonst nicht um alles.Gewi, mein
Montague, ich bin zu herzlich;
-
154
Du knntest denken, ich sei leichten Sinns.Doch glaube, Mann, ich
werde treuer sein
Als sie, die fremd zu tun geschickter sind.Auch ich, bekenn ich,
htte fremd getan,Wr ich von dir, eh ichs gewahrte, nichtBelauscht
in Liebesklagen. Drum vergib!Schilt diese Hingebung nicht
Flatterliebe,
Die so die stille Nacht verraten hat.
-
Desdemona
(Othelio)
Ich habe oben beilufig angedeutet, da der Charakter des Romeo
etwas Hamletisches enthalte. In
der Tat, ein nordischer Ernst wirft seine Streif
schatten ber dieses glhende Gemt. Vergleicht man
Julie mit Desdemona, so wird ebenfalls in jener ein
nordisches Element bemerkbar; bei aller Gewalt ihrer
Leidenschaft bleibt sie doch immer ihrer selbst be
wut und im klarsten Selbstbewutsein Herrin ihrerTat. Julie liebt
und denkt und handelt. Desdemonaliebt und fhlt und gehorcht, nicht
dem eignen Willen, sondern dem strkern Antrieb. Ihre
Vortrefflich
keit besteht darin, da das Schlechte auf ihre edle Na
tur keine solche Zwangsmacht ausben kann wie das
Gute. Sie wre gewi immer im Palazzo ihres Vaters
geblieben, ein schchternes Kind, den huslichen Ge
schften obliegend; aber die Stimme des Mohren
drang in ihr Ohr, und obgleich sie die Augen nieder
schlug, sah sie doch sein Antlitz in seinen Worten, in
seinen Erzhlungen, oder wie sie sagt: in seiner Seele .. . und
dieses leidende, gromtige, schne, weie
Seelenantlitz bte auf ihr Herz den unwiderstehlichhinreienden
Zauber. Ja er hat recht, ihr Vater, Seine
Wohlweisheit der Herr Senator Brabantio, eine mch
tige Magie war schuld daran, da sich das bange zarte
Kind zu dem Mohren hingezogen.fhlte und jene h
lich schwarze Larve nicht frchtete, welche der groe
Haufe fr das wirkliche Gesicht Othellos hielt...Julias Liebe ist
ttig, Desdemonas Liebe ist leidend.
Sie ist die Sonnenblume, die selber nicht wei, da sie
-
156
immer dem hohen Tagesgestirn ihr Haupt zuwendet.Sie ist die
wahre Tochter des Sdens, zart, empfindsam, geduldig, wie jene
schlanken, grougigen Frau
enlichter, die aus sanskritischen Dichtungen so lieb
lich, so sanft, so trumerisch hervorstrahlen. Sie mahnt
mich immer an die Sakontala des Kalidasa, des indi
schen Shakespeares.
Der englisch-e Kupferstecher, dem wir das vorstehende Bildnis
der Desdemona verdanken, hat ihren
groen Augen vielleicht einen zu starken Ausdruckvon Leidenschaft
verliehen. Aber, ich glaube bereitsangedeutet zu haben, da
der.Kontrast des Gesichtes
und des Charakters immer einen interessanten Reizausbt.
Jedenfalls aber ist dieses Gesicht sehr schn,
und namentlich dem Schreiber dieser Bltter mu es
sehr gefallen, da es ihn an jene hohe Schne erinnert,
die gottlob an seinem eignen Antlitz nie sonderlichgemkelt hat
und dasselbe bis jetzt nur in seiner Seele
sah . . .
Ihr Vater liebte mich, lud oft mich ein.Er fragte die Geschichte
meines LebensVon Jahr zu Jahr; Belagerungen, Schlachten
Und jedes Schicksal, das ich berstand.Ich lief sie durch, von
meinem Knabenalter
Bis zu dem Augenblick, wo er gebot,Sie zu erzhlen. Sprechen mut
ich da
Von hchst unglcklichen Ereignissen,Von rhrendem Geschick zu See
und Land,
Wie in der Bresche ich gewissem TodKaum um die Breite eines
Haars entwischte;
Wie mich ein trotzger Feind gefangen nahm,Der Sklaverei
verkaufte; wie ich mich
Daraus gelst, und die Geschichte dessen,Wie ich auf meinen
Reisen mich benahm.
-
157
Von den Hhlen, unfruchtbaren Wsten,Von rauben Gruben, Felsen,
Hgeln, die
Mit ihren Huptern an den Himmel rhren,Hatt ich sodann zu
sprechen Anla, auchVon Kannibalen, die einander fressen,
Anthropophagen, und dem Volke, demDie Kpfe wachsen unter ihren
Schultern.Von solchen Dingen zu vernehmen, zeigte
Bei Desdemona sich sehr groe Neigung;Doch riefen Hausgeschfte
stets sie ab,
Die sie beseitigte mit schnellster Hast;Kam sie zurck, mit
giergem Ohr verschlang sie,Was ich erzhlte. Dies bemerkend, nahm
Ich eine weiche Stunde wahr, und fand
Gelegne Mittel, ihr aus ernster BrustDie Bitte zu entwinden: da
ausfhrlichIch schildre ihr die ganze Pilgerschaft,
Von der sie stckweis etwas wohl gehrt,Doch nicht zusammenhngend.
Ich gewhrt es,Und oft hab ich um Trnen sie gebracht,Wenn ich von
harten, traurgen Schlgen sprach,- Die meine Jugend trafen!
Auserzhlt,
Lohnt eine Welt voll Seufzer meine Mh.Sie schwor: In Wahrheit!
seltsam, mehr als seltsam!
Und klglich sei es, klglich wundersam!Sie wnschte, da sie nichts
davon gehrt,
Und wnschte doch, da sie der Himmel auchZu solchem Mann gemacht.
Sie dankte mir,
Und bat, wofem ein Freund von mir sie liebe,Ihn nur zu lehren,
wie er die GeschichteVon meinem Leben mss erzhlen.Dann werb er sie.
Ich sprach auf diesen Wink:Sie liebe mich, weil ich Gefahr
bestand,
Und weil sie mich bedaure, lieb ich sie.
Dieses Trauerspiel soll eine der letzten ArbeitenShakespeares
gewesen sein, wie Titus Andronicus
fr sein Erstlingswerk erklrt wird. Dort wie hier ist
-
158
die Leidenschaft einer schnen Frau zu einem h
lichen Mohren mit Vorliebe behandelt. Der reife Mann
kehrte wieder zurck zu einem Problem, das einst
seine Jugend beschftigte. Hat er jetzt wirklich dieLsung
gefunden? Ist diese Lsung eben so wahr alsschn? Eine dstre Trauer
erfat mich manchmal,
wenn ich dem Gedanken Raum gebe, da vielleichtder ehrliche Jago,
mit seinen bsen Glossen ber die
Liebe Desdemonas zu dem Mohren, nicht ganz unrecht haben mag. Am
allerwiderwrtigsten aber berhren mich Othellos Bemerkungen berdie
feuchtenHnde seiner Gattin.
Ein eben so abenteuerliches und bedeutsames Bei
spiel der Liebe zu einem Mohren, wie wir in Titus
Andronicus und Othello sehen, findet man in
Tausend und eine Nacht, wo eine schne Frstin,
die zugleich eine Zauberin istihren Gemahl in einer
statuenhnlichen Starrheit gefesselt hlt, und ihn tg
lich mit Ruten schlgt, weil er ihren Geliebten, einen
hlichen Neger, gettet hat. Herzzerreiend sind dieKlagetne der
Frstin am Lager der schwarzen Leiche, die sie durch
ihre.Zauberkunst in einer Art von
Scheinleben zu erhalten wei, und mit verzweiflungs
vollen Kssen bedeckt, und durch einen noch grernZauber, durch
die Liebe, ausdem dmmernd-en Halb
tode zu voller Lebenswahrheit erwecken mchte.
Schon als Knabe frappierte mich in den arabischen
Mrchen dieses Bild leidenschaftlicher und unbegreiflicher
Liebe.
-
jessika(Kaufmann von Venedig)
Als ich dieses Stck in ,Drurylane auffhren sah,
stand hinter mir, in der Loge, eine schne blasse Bri
tin, welche am Ende des vierten Aktes heftig weinte
und mehrmals ausrief: The poor man is wronged!
(dem armen Mann geschieht unrecht l). Es war ein Ge
sicht vom edelsten griechischen Schnitt, und die Au
gen waren gro und schwarz. Ich habe sie nie ver
gessen knnen, diese groen und schwarzen Augen,
welche um Shylock geweint haben!Wenn ich aber an jene Trnen
denke, so mu ich
den Kaufmann von Venedig zu den Tragdien rech
nen, obgleich der Rahmen des Stckes von den heitersten Masken,
Satyrbildern und Amoretten verziert
ist, und auch der Dichter eigentlich ein Lustspiel ge
ben wollte. Shakespeare hegte vielleicht_die Absicht,
zur Ergtzung des groen Haufens einen gedrilltenWerwolf
darzustellen, ein verhates Fabelgeschpf,
das nach Blut lechzt, und dabei seine Tochter undseine Dukaten
einbt und obendrein verspottet wird.
Aber der Genius des Dichters, der Weltgeist, der in
ihm waltet, steht immer hher als sein Privatwille,
und so geschah es, da er in Shylock, trotz der grel
len Fratzenhaftigkeit, die Justifikation einer unglcklichen
Sekte aussprach, welche von der Vorsehung,
aus geheimnisvollen Grnden, mit dem Ha des niedern und vornehmen
Pbels belastet worden, und die
sen Ha nicht immer mit Liebe vergelten wollte.Aber was sag ich?
der Genius des Shakespeare er
hebt sich noch ber den Kleinhader zweier Glaubens
8 Heine, Sh. M. u. F.
-
160
parteien, und sein Drama zeigt uns eigentlich wederJuden noch
Christen, sondern Unterdrcker und Un
terdrckte, und das wahnsinnig schmerzliche Aufjauchzen dieser
letztem, wenn sie ihren bermtigen
Qulern die zugefgten Krnkungen mit Zinsen zurckzahlen knnen. Von
Religionsverschiedenheit istin diesem Stcke nicht die geringste
Spur, und Shake
speare zeigt in Shylock nur einen Menschen, dem die
Natur gebietet seinen Feind zu hassen, wie er in An
tonio und dessen Freunden keineswegs die Jnger jener gttlichen
Lehre schildert, die uns befiehlt unsere Feinde zu lieben. Wenn
Shylock dem Manne, dervon ihm Geld borgen will, folgende Worte
sagt:
Signor Antonio, viel und oftennalsHabt Ihr auf dem Rialto mich
geschmhtUm meine Gelder, und um meine Zinsen;Stets trug ichs mit
geduldgem Achselzucken,
Denn dulden ist das Erbteil unsers Stamms.Ihr scheltet mich
abtrnnig, einen Bluthund
Und speit auf meinen jdischen Rocklor,Und alles, weil ich nutz,
was mir gehrt.Gut denn, nun zeigt sichs, Ihr braucht meine
Hlfe:
Ei freilich ja, Ihr kommt zu mir, Ihr sprecht:Shylock, wir
wnschten Gelder. So sprecht Ihr,
Der mir den Auswurf auf den Bart geleert,Und mich getreten, wie
Ihr von der Schwelle
Den fremden Hund stot; Geld ist Eur Begehren.Wie sollt ich
sprechen nun ? Sollt ich nicht sprechen:Hat ein Hund Geld? Ists
mglich, da ein Spitz
Dreitausend Dukaten leihn kann? Oder soll ichMich bcken, und in
eines Schuldners Ton,
Demtig wispernd, mit verhaltnem Odem,So sprechen: Schner Herr,
am letzten Mittwoch
Spiet Ihr mich an; Ihr tratet mich den Tag;Ein andermal hiet Ihr
mich einen Hund:
-
161
Fr diese Hflichkeiten will ich EuchDie und die Gelder leihn.
Da antwortet Antonio:
Ich knnte leichtlich wieder dich so nennen,Dich wieder anspein,
ja mit Fen treten.
Wo steckt da die christliche Liebe! Wahrlich, Sha
kespeare wrde eine Satire auf das Christentum ge
macht haben, wenn er es von jenen Personen reprsentieren liee,
die dem Shylock feindlich gegenber
stehen, aber dennoch kaum wert sind, demselben die
_Schuhriemen zu lsen. Der bankrotte Antonio ist ein
weichliches Gemt ohne Energie, ohne Strke des
Hasses und also auch ohne Strke der Liebe, ein trbes Wurmherz,
dessen Fleisch wirklich zu nichts Bes
serm taugt, als Fische damit zu angeln. Die abge
borgten dreitausend Dukaten stattet er brigens dem
geprellten Juden keineswegs zurck. Auch Bassaniogibt ihm das
Geld nicht wieder, und dieser ist ein
echter fortune-hunter, nach dem Ausdruck eines eng
lischen Kritikers; er borgt Geld, um sich etwas prchtig
herauszustaffieren und eine reiche Heirat, einen
fetten Brautschatz, zu erbeuten; denn, sagt er zu sei
nem Freunde:
Euch ist nicht unbekannt, Antonio,Wie sehr ich meinen Glcksstand
hab erschpft,
Indem ich glnzender mich eingerichtet,Als meine schwachen Mittel
tragen konnten.Auch jammr ich jetzt nicht, da die groe ArtMir
untersagt ist; meine Sorg ist blo,Mit Ehren von den Schulden
loszukommen,Worin mein Leben, etwas zu verschwendrisch,Mich hat
verstrickt. 8e
-
162
.Was gar den Lorenzo betrifft, so ist er der Mitschuldige eines
der infamsten Hausdiebstahle, und
nach dem preuischen Landrecht wrde er zu fnfzehn jahren
Zuchthaus verurteilt und gebrandmarkt
und an den Pranger gestellt werden; obgleich er nicht
blo fr gestohlene Dukaten und Juwelen, sondernauch fr
Naturschnheiten, Landschaften im Mond
licht und fr Musik, sehr empfnglich ist. Was dieandern edlen
Venezianer betrifft, die wir als Gefhr
ten des Antonio auftreten sehen, so scheinen sie eben
falls das Geld nicht sehr zu hassen, und fr ihren ar
men Freund, wenn er ins Unglck geraten, haben sie
nichts als Worte, gemnzte Luft. Unser guter PietistFranz Horn
macht hierber folgende sehr wssrige,aber ganz richtige Bemerkung:
Hier ist nun billig
die Frage aufzuwerfen: wie war es mglich, da esmit Antonios
Unglck so weit kam? Ganz Venedigkannte und schtzte ihn, seine guten
Bekannten wuten genau um die furchtbare Verschreibung, und dader
Jude auch nicht einen Punkt derselben wrde aus
lschen lassen. Dennoch lassen sie einen Tag nach
dem andern verstreichen, bis endlich die drei Monate
vorber sind, und mit denselben jede Hoffnung auf
Rettung. Es wrde jenen guten Freunden, deren der
knigliche Kaufmann ja ganz-e Scharen um sich zu
haben scheint, doch wohl ziemlich leicht gewordensein, die Summe
von dreitausend Dukaten zusammen
zubringen, um ein Menschenleben und welch eines! zu retten; aber
dergleichen ist denn doch immer
ein wenig unbequem, und so tun die lieben guten
Freunde, eben weil es nur sogenannte Freunde oder,wenn man will,
halbe oder dreiviertel Freunde sind,
-
163
nichts und wieder nichts und gar nichts. Sie bedauern
den vortrefflichen Kaufmann, der ihnen frher so
schne Feste veranstaltet hat, ungemein, aber mit ge
hriger Bequemlichkeit, schelten, was nur das Herzund die Zunge
vermag, auf Shylock, was gleichfallsohne alle Gefahr geschehen
kann, und meinen dann
vermutlich alle, ihre Freundschaftspflicht erfllt zu ha
ben. So sehr wir Shylock hassen mssen, so wrden
wir doch selbst ihm nicht verdenken knnen, wenn er
diese Leute ein wenig verachtete, was er denn auch
wohl tun mag. Ja er scheint zuletzt auch den Graziano,
den Abwesenheit entschuldiget, mit jenen zu verwech
seln und in Eine Klasse zu werfen, wenn er die frhere
Tatlosigkeit und jetzige Wortflle mit der schneidenden Antwort
abfertigt:
Bis du von meinem Schein das Siegel wegschiltst,Tust du mit
Schrein nur deiner Lunge weh.Stell deinen Witz her, guter junger
Mensch,Sonst fllt er rettungslos in Trmmern dir.Ich stehe hier um
Recht.
Oder sollte etwa gar Lanzelot Gobbo als Reprsentant des
Christentums gelten? Sonderbar genug, hat
sich Shakespeare ber letzteres nirgends so bestimmt
geuert wie in einem Gesprche, das dieser Schalkmit seiner
Gebieterin fhrt. Auf Jessikas uerung:
Ich werde durch meinen Mann selig werden, er hatmich zu einer
Christin gemacht
antwortet Lanzelot Gobbo:
Wahrhaftig, da ist er sehr zu tadeln. Es gab unservorher schon
Christen genug, grade so viele als nebeneinander gut bestehen
konnten. Dies Christenmachenwird den Preis der Schweine steigern;
wenn wir alle
-
164
-Schweinefleischesser werden, so ist in kurzem keinSchnittchen
Speck in der Pfanne fr Geld mehr zuhaben.
Wahrlich, mit Ausnahme Portias, ist Shylock dierespektabelste
Person im ganzen Stck. Er liebt dasGeld, er verschweigt nicht diese
Liebe, er schreit sie
aus, auf ffentlichem Markte . .. Aber es gibt etwas,was er
dennoch hher schtzt als Geld, nmlich die
Genugtuung fr sein beleidigtes Herz, die
gerechteWiedervergeltung unsglicher Schmhungen; und ob
gleich man ihm die erborgte Summe zehnfach anbietet, er schlgt
sie aus, und die dreitausend, die zehn
mal dreitausend Dukaten, gereuen ihn nicht, wenn erein Pfund
Herzfleisch seines Feindes damit erkaufen
kann. Was willst du mit diesem Fleische, fragt ihn
Salario. Und er antwortet:
Fisch mit zu angeln. Sttigt es sonst niemanden, sosttigt es doch
meine Rache. Er hat mich beschimpft,mir eine halbe Million
gehindert, meinen Verlust belacht,
meinen Gewinn bespottet, mein Volk geschmht, meinenHandel
gekreuzt, meine Freunde verleitet, _meine Feindegehetzt. Und was
hat er fr Grund? Ich bin ein Jude.
Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hnde,Gliedmaen,
Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leiden
schaften? Mit derselben Speise genhrt, mit denselbenWaffen
verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mitdenselben Mitteln
geheilt, gewrmt und gekltet voneben dem Winter und Sommer, als ein
Christ? Wenn
ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt,lachen
wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wirnicht? Und wenn ihr
uns beleidigt, sollen wir uns nichtrchen ? Sind wir euch in allen
Dingen hnlich, so wollen
wirs euch auch darin gleich tun. Wenn ein Jude einenChristen
beleidigt, was ist seine Demut? Rache. Wennein Christ einen Juden
beleidigt, was mu seine Geduld
-
165
sein nach christlichem Vorbild? Nu, Rache. Die Bosheit, die ihr
mich lehrt, die will ich ausben, und es mu
schlimm hergehn, oder ich will es meinen Meistern zuvortun.
-
Nein, Shylock liebt zwar das Geld, aber es gibt
Dinge, die er noch weit mehr liebt, unter andern auchseine
Tochter, Jessika, mein Kind. Obgleich er in
der hchsten Leidenschaft des Zorns sie verwnscht
und tot zu seinen Fen liegen sehen mchte, mit den
JuWelen in den Ohren, mit den Dukaten im Sarg: so
liebt er sie doch mehr als alle Dukaten und Juwelen.
Aus dem ffentlichen Leben, aus der christlichen So
ziett, zurckgedrngt in die enge Umfriedung huslichen Glckes,
blieben ja dem armen Juden nur die
Familiengefhle, und diese treten bei ihm hervor mit
der rhrendsten Innigkeit. Den Trkis, den Ring, den
ihm einst seine Gattin, seine Lea, geschenkt, er htte
ihn nicht fr einen Wald von Affen hingegeben.Wenn in der
Gerichtsszene Bassanio folgende Worte
zum Antonio spricht:
Ich hab ein Weib zur Ehe, und sie istSo lieb mir als mein Leben
selbst, doch giltSie hher als dein Leben nicht bei mir.ich gbe
alles hin, ja opfert alles,Das Leben selbst, mein Weib und alle
Welt,Dem Teufelda, um dich nur zu befrein.
Wenn Graziano ebenfalls hinzusetzt:
Ich hab ein Weib, die ich, auf Ehre, liebe;Doch wnscht ich sie
im Himmel, knnt sie MchteDort flehn, den hndschen Juden zu
erweichen.
Dann regt sich in Shylock die Angst ob dem Schicksalseiner
Tochter, die unter Menschen, welche ihre Wei
-
166
ber aufopfern knnten fr ihre Freunde, sich verheu
ratet hat, und nicht laut, sondern bei Seite sagt er
zu sich selber:
So sind die Christenmnner: Ich hab ne Tochter,Wr irgend wer vom
Stamm des Barnabas
Ihr Mann geworden, lieber als ein Christ!
Diese Stelle, dieses leise Wort, begrndet das Verdammungsurteil,
welches wir ber die schne Jessikaaussprechen mssen. Es war kein
liebloser Vater, den
sie verlie, den sie beraubte, den, siejverriet . . . Schnd
licher Verrat! Sie macht sogar gemeinschaftlicheSache mit den
Feinden Shylocks, und wenn diese zu
Belmont allerlei Mireden ber ihn fhren, schlgtJessika nicht die
Augen nieder, erbleichen nicht die
Lippen Jessikas, sondern Jessika spricht von ihrem
Vater das Schlimmste .. . Entsetzlicher Frevel! Sie hatkein
Gemt, sondern abenteuerlichen Sinn. Sie lang
weilte sich in dem streng verschlossenen, ehrbaren
Hause des bittermtigen Juden, das ihr endlich eine
Hlle dnkte. Das leichtfertige Herz ward allzusehrangezogen von
den heiteren Tnen der Trommel und
der quergehalsten Pfeife. Hat Shakespeare hier eineJdin
schildern wollen? Wahrlich nein; er schildert
nur eine Tochter Evas, einen jener schnen Vgel, die,wenn sie
flgge geworden, aus dem vterlichen Neste
fortflattern zu den geliebten Mnnchen. So folgteDesdemona dem
Mohren, so Imogen dem Posthumus.
Das ist weibliche Sitte. Bei Jessika ist besonders be
merkbar eine gewisse zagende Scham, die sie nicht
berwinden kann, wenn sie Knabentracht anlegen soll.
Vielleicht in diesem Zuge mchte man jene sonderbareKeuschheit
erkennen, die ihrem Stamme eigen ist, und
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167
den Tchtern desselben einen so wunderbaren Lieb
reiz verleiht. Die Keuschheit der Juden ist vielleicht
die Folge einer Opposition, die sie von jeher gegen
jenen orientalischen Sinnen- und Sinnlichkeitsdienst
bildeten, der einst bei ihren Nachbaren, den gyptern,
Phniziern, Assyrern und Babyloniern, in ppigster
Blte stand, und sich, in bestndiger Transformation,
bis auf heutigen Tag erhalten hat. Die Juden sind ein
keusches, enthaltsames, ich mchte fast sagen, ab
straktes Volk, und in der Sittenreinheit stehen sie am
nchsten den germanischen Stmmen. Die Zchtigkeit
der Frauen bei Juden und Germanen ist vielleicht von
keinem absoluten Werte, aber in ihr-er Erscheinung
macht sie den lieblichsten, anmutigsten und rhrend
sten Eindruck. Rhrend bis zum Weinen ist es, wenn
z. B. nach der Niederlage der Cimbernund Teutonen,
die Frauen derselben den Marius anflehen, sie nichtseinen
Soldaten, sondern den Priesterinnen der Vesta
als Sklavinnen zu bergeben.
Es ist in der Tat auffallend, welcheinnige Wahlver
wandtschaft zwischen den beiden Vlkern der Sittlichkeit, den
Juden und Germanen, herrscht. Diese
Wahlverwandtschaft entstand nicht auf historischem
Wege, weil etwa die groe Familienchronik der Ju
den, die Bibel, der ganzen germanischen Welt als Er
ziehungsbuch diente, auch nicht weil Juden und Germanen von frh
an die unerbittlichsten Feinde der
Rmer, und also natrliche Bundesgenossen waren:sie hat einen
tiefem Grund, und beide Vlker sind sich
ursprnglich so hnlich, da man das ehemalige Palstina fr ein
orientalisches Deutschland ansehen
knnte, wie man das heutige Deutschland fr die Hei
-
168
mat des heiligen Wortes, fr den Mutterboden desProphetentums, fr
die Burg der reinen Geistheit
halten sollte.Aber nicht blo Deutschland trgt die Physiogno
mie Palstinas, sondern auch das brige Europa erhebt sich zu den
Juden. Ich sage erhebt sich, denn die
Juden trugen schon im Beginne das moderne Prinzipin sich,
welches sich heute erst bei den europischen
Vlkern sichtbar entfaltet.Griechen und Rmer hingen begeistert an
dem Boden, an dem Vaterlande. Die sptem nordischen Ein
wanderer in die Rmer- und Griechenwelt hingen ander Person ihrer
Huptlinge, und an die Stelle desantiken Patriotismus trat im
Mittelalter die Vasallen
treue, die Anhnglichkeit an die Frsten. Die Judenaber, von
jeher, hingen nur an dem Gesetz, an dem
abstrakten Gedanken, wie unsere neueren kosmopolitischen
Republikaner, die weder das Geburtsland nochdie Person des Frsten,
sondern die Gesetze als das
Hchste achten. Ja, der Kosmopolitismus ist ganz eigentlich dem
Boden Judas entsprossen, und Christus,der, trotz dem Mimute des
frher erwhnten Ham
burger Spezereihndlers, ein wirklicher Jude war, hat
ganz eigentlich eine Propaganda des Weltbrgertumsgestiftet. Was
den Republikanismus der Juden be
trifft, so erinnere ich mich im Josephus gelesen zuhaben, da es
zu Jerusalem Republikaner gab, die sich
den kniglich gesinnten Herodianern entgegensetzten,
am mutigsten fechten, niemanden den Namen Herr
gaben, und den rmischen Absolutismus aufs ingrimmigste haten;
Freiheit und Gleichheit war ihre Re
ligion. Welcher Wahn!
-
169
Was ist aber der letzte Grund jenes Hasses, denwir in Europa
zwischen den Anhngern der mosaischen Gesetze und der Lehre Christi
bis auf heutigen
Tag gewahren, und wovon uns der Dichter, indem er '
das Allgemeine im Besondern veranschaulichte, imKaufmann von
Venedig ein schauerliches Bild geliefert hat? Ist es der
ursprngliche Bruderha, denwir schon gleich nach Erschaffung der
Welt, ob der
Verschiedenheit des Gottesdienstes, zwischen Kain
und Abel entlodern sehen? Oder ist die Religion berhaupt nur
Vorwand, und die Menschen hassen sich,
um sich zu hassen, wie sie sich lieben, um sich zu
lieben? Auf welcher Seite ist die Schuld bei diesem
Groll? Ich kann nicht umhin zur Beantwortung die
ser Frage eine Stelle aus einem Privatbriefe mitzu
teilen, die auch die Gegner Shylocks justifiz-iert:
Ich verdamme nicht den Ha, womit das gemeine
Volk die Juden verfolgt; ich verdamme nur die un
glckseligen Irrtmer, die jenen Ha erzeugten. Das
Volk hat immer recht in der Sache, seinem Hasse wie
seiner Liebe liegt immer ein ganz richtiger Instinktzu Grund-e,
nur wei es nicht, sein-e Empfindungen
richtig zu formulieren, und statt der Sache, trifft sein
Groll gewhnlich die Person, den unschuldigen Sndenbock
zeitlich-er oder rtlich-er Miverhltnisse. Das
Volk leidet Mangel, es fehlen ihm die Mittel zum Le
bensgenu, und obgleich ihm die Priester der Staatsreligion
versichern, da man auf Erden sei, um zu
entbehren und trotz Hunger und Durst der Obrigkeit
zu gehorchen so hat doch das Volk eine geheimeSehnsucht nach den
Mitteln des Genusses, und es hat
diejenigen, in deren Kisten und Kasten dergleichen
-
170
aufgespeichert liegt; es hat die Reichen und ist frohwenn ihm
die Religion erlaubt, sich diesem Hasse mitvollem Gemte hinzugeben.
Das gemeine Volk hate
in den Juden immer nur die Geldbesitzer, es war immer das
aufgehufte Metall, welches die Blitze seines
Zornes auf die Juden herabzog. Der jedesweilige Zeitgeist lieh
nun immer jenem Hasse_seine- Parole. ImMittelalter trug diese
Parole die dstre Farbe der ka
tholischen Kirche, und man schlug die Juden tot undplnderte ihre
Huser: weil sie Christus gekreuzigt ganz mit derselben Logik, wie
auf St. Domingo einige schwarze Christen, zur Zeit der Massacre,
mit
einem Bilde des gekreuzigten Heilands herumliefenund fanatisch
schrieen: Les blancs lont tue, tuons
tous les blancs.
Mein Freund, Sie lachen ber die armen Neger;
ich versichere Sie, die westindischen Pflanzer lachten
damals nicht, und wurden ni-edergemetzelt, zur Shne
Christi, wie einige Jahrhunderte frher die europischen Juden.
Aber die schwarzen Christen auf St.
Domingo hatten in der Sache ebenfalls recht! die Wei
en lebten mig in der Flle aller Gensse, whrend
der Neger im Schweie seines schwarzen Angesichtsfr sie arbeiten
mute, und zum Lohne nur ein bichen
Reismehl und sehr viele Peitschenhiebe erhielt; die
Schwarzen waren das gemeine Volk. Wir leben nicht mehr im
Mittelalter, auch das ge
meine Volk wird aufgeklrter, schlgt die Juden nichtmehr auf
einmal tot, und beschnigt seinen Ha nichtmehr mit der Religion;
unsere Zeit ist nicht mehr so
naiv glaubensh-ei, der traditionelle Groll kleidet sichin
modernen Redensarten, und der Pbel in den Bier
-
171
stuben wie in den Deputiertenkammern deklamiert
wider die Juden mit merkantilischen, industriellen, wis
senschaftlichen oder gar philosophischen Argumen