60 Mittwoch, 21. Juni 1978 Nr. 141 FORSCHUNG UND TECHNIK illcitc ^ürcijcr <;3cituiiß vorerst die Permeabilität der Zellwände, so dass der Stoffwechsel gestört wird; dann bauen weitere En- zyme die Zellwände und das Pektin ab. Viele nck- trotrophc Pilze sind gewohnlich Bodenbewohner; sie begnügen sich mit abgestorbenem pflanzlichem Ge- webe, brauchen also keine eigentlichen Wirtspflan- zen. Sie haben aber durchaus die Fälligkeit, leben- des Gewebe abzutöten, und sind kaum selektiv. Von dem Pilz Sclerotiwu rolfsii ist bekannt, dass er jede Blütenpflanze angreift und rasch verrotten lässt. Die bloirophen Pilze hingegen können ihre Nährstoffe nur von lebenden Zellen beziehen. Die von ihnen bewirkten Pflanzenkrankheiten führten im Laufe der Evolu'.ion zu einem gewissen Gleich- gewicht zwischen Parasit und Wirtspflanze. Darum sind biotrophc Pilze in der Regel auf ganz spezifi- sche Pflanzen spezialisiert; sie sind die Erreger der gefürchteten Rost-, Mehltau- und Brandkrankheiten des Getreides. Von solchen Pilzen befallene Pflan- zen weisen die Symptome chronischer Unterernäh- rung aut, da Atmung, photosynthetische Vorgänge und der Hormonhaushalt gestört werden. Pathogene Pilze können sich innert weniger Jahre welt- weit verbreiten, da die in ungeheuren Mengen produzierten Sporen vom Wind verfrachtet wer- den. Die letzte grosse Pandemie dieser Art war das Southern Com Lctif Might in den USA ; sie zerstör- te zwischen 1970 und 1971 mehr als die Hälfte der Maisernte. Symbiose Pilze führen nicht nur zur Erkrankung und zum Tod von Pflanzen: in vielen Füllen haben sie sich ihnen vollständig angepasst und können mit ihnen in harmonischer, für Pilz und Pflanze vorteilhafter Partnerschaft leben. In dieser symbiotischen Verge- sellschaftung erhält der Pilz den für ihn unentbehr- lichen, organisch gebundenen Kohlenstoff, während die Pflanze vorn Pilz Wasser, anorganische Nähr- stoffe, Wuchsstoffe sowie mechanischen Schutz er- hält. Eine klassische Symbiose dieser Art sind die Flechten; es handelt sich gewissermassen um Dop- pclorganismcn, die aus Pilzen und Algen bestehen. Der Körper der Flechte, der sogenannte Thulins, besteht normalerweise nur je aus einer Pilz- und Al- genart, wobei der Pilz den grössten Teil der Masse liefert. Der Pilz bestimmt auch Form, Grösse, Wachstumsorl und Wachstumsrate der Kolonie. Die Algen beherbergt er sozusagen als photochemische Fabriken; er ist in der Lage, deren Synthese von unlöslichen Kohlenhydraten zu unterbinden. Die Algen liefern also vor allem wasserlösliche Zucker, die in das Pilzgewebe eindiffundieren. Flechten wachsen äusserst langsam (etwa 1 Mil- limeter pro Jahr), da sie oft den nackten Fels kolo- nisieren. Sie können jahrelang ohne Wasser überle- ben; der Temperaturbereich, in dem sie lebensfähig bleiben, reicht von bis +70°C. Flechten wer- den ausserordentlich alt; es sind 4500 Jahre alte Exemplare bekannt. In der arktischen Tundra sind Flechten die dominierende Vegetationsform und bil- den die wichtigste Nahrungsquelle für Rentiere und Karibus. Nur der Wirkung des Menschen sind Flechten nicht gewachsen: sie sind auf Schwefel- dioxid, das bei der Verbrennung von Kohle und Ocl entsteht, äusserst empfindlich Schon 0,000015 Pro- zent virken tödlich; aus diesem Grund ist das Zen- trum von Grossstädten von Flechten völlig frei. Manche Pilze umspinnen die Wurzeln von Bäu- men, Sträuchern und Kulturpflanzen (Getreide, Hül- senfrüchte). Sie dringen dabei in die äusseren Zcll- schichtcn ein und versorgen die Pflanze mit Wasser, aus dem umgebenden Erdreich herausgelösten Stick- stoffverbindungen und Mineralsalzen. Solche Mykorrhizen beziehen von der Wurzel organische Verbindungen für den eigenen Stoffwechsel; sie sind für viele Waldbäume lebensnotwendig. Das Pilzge- I landbuch menschlichen Verhallens Abb. 2. Pilzsteine aus Guatemala. webe gehört zu den gewöhnlichen Basidiomyzeten (also Ständerpilze wie Knollenblätterpilz und Stein- pilz). Fruchtkörper wachsen dann aus dem Myze- lium heraus, das mit Baumwurzeln direkt verbunden ist. Daher die Assoziation bestimmter Pilzarten mit Nadel- beziehungsweise Laubbäumen. Alle mit Mykorrhizen versehenen Pflanzen können auch ohne diese leben, doch beschleunigt das Mykorrhiza das Wachstum um das Zwei- bis Fünffache. Pilzkrankheiten bei Mensch und Tier Der menschliche und der tierische Körpe r bieten Pilzen verschiedenster Art geradezu ideale Entwick- lungsbedingungen. Es gibt drei Typen von Infektio- nen durch exogene, also nicht auf Parasitismus spe - Düf persönliche Umraum umgibt jeden Menschen wie eine unsichtbare «Revierblase». Dies wird an den Zwischenräumen dout- I ich, die die in der Schlange Stehenden zwischen sich lassen. In dieses mobile persönliche Territorium einzudringen bedeutet für dessen Inhaber eine Bedrohung, die sofort Spannungen verursacht. Ift. Warum rucken viele Menschen in der Oef- fcntlichkeit Uhr, Handtasche oder Manschetten- knöpfe zurecht, obwohl sich diese Gegenstände ge- nau am richtigen Ort befinden? Warum glätten sie nichtzerzaustes Haar, klimpern mit Münzen oder putzen die Brille, bevor sie eine Frage beantworten? Warum wendet sich eine Frau beim Vorbeigehen im Gedränge ab, während der Mann sich der entgegen- kommenden Person zuwendet? Dies alles sind Signale, die ganz spezifische Aussagen machen. Wer diese meist völlig unbewusst «gesprochene» Körper- sprache kennt, die Bedeutung der Gesten, Haltun- gen und Signale versteht, sicht seine Mitmenschen (und natürlich auch sich selbst) in einem ganz neuen Licht, versteht sie plötzlich viel besser. Denn trotz seiner gewaltigen zerebralen Entwicklung und seinem zivilisatorischen Fortschritt ist der Mensch ein körperlich hochaktives Wesen, das genau wie die Tiere sein Territorium markiert und gegen Ein- dringlinge verteidigt, seinen Rang demonstriert, Ge- fühle übertreibt oder verbirgt, Sympathie und Anti- pathie signalisiert, sexuelle Bereitschaft anzeigt: all dies erfolgt nach uralten, unmissverständlichen Mu- . . . . . /; stern, die zum Teil genetisch programmiert, zum Teil aber auch kulturell bedingt sind. Ueber diesen Problemkreis hat Desmond Morris, der Autor des kontroversen Bestsellers «Der nackte Affe», ein hochinteressantes, mit Hunderten von Farbbildern, Strichzeichnungen und Diagrammen il- lustriertes Buch geschrieben.' Es ist das Resultat eine s Jahrzehnts von Beobachtungen und Forschun- gen in aller Welt, ein echtes Handbuc h menschli- chen Verhaltens. Es ist nicht nur vergnüglich zu lesen und durchzublättern, sondern auf Grund sei- ner Aufteilung in eine Vielzahl kurzer Kapitel auch als Nachschlagewerk nützlich von den angebore- nen Handlungen bis zu den widersprüchlichen Si- gnalen. Die Berufspsychologen werden in dem Buch zweifellos einige Fehlinterpretationen und Ueber- vcreinfachungen finden; dem Nichtfachmann ver- mittelt es aber einen umfassenden, lebendig illu- strierten Ueberblick über die faszinierende Vielfalt des menschlichen Verhaltens. Der Mensch, mit dem wir leben. Von Desmond Morris. 320 Seiten. 6S0 Abbildungen. Droemer knaur. München/Zürich (1978). zialisierte Pilze. Der Pilz kann eine rein oberfläch- liche Wirkung haben und die Haut, das Haar oder gewisse Gewebe des Auges kolonisieren. Es können sich aber auch sogenannte Myzetome bilden, das heisst unter der Haut liegende, eiternde Schwellun- gen. Schliesslich können Pilze auch die tiefliegenden Gewebe innerer Organe befallen. Die bekannteste Pilzkrankheit der Lunge ist die im Südwesten der USA und in Zentralamerika weit verbreitete Kokzi- diomykosc. Die Sporen des im trockenen Boden le- benden Coccidioides 'munitis werden durch den Wind verfrachtet; werden sie eingeatmet, so bilden sie in den Lungenalveolen grössere Kugeln, die Spo- ren in den Blutkreislauf abgeben. Die Symptome sind hohes Fieber, schmerzhaftes Atmen, Kopf- schmerzen, Hirnhautentzündung und Schmerzen in den Gelenken. Eine weitere in den USA und in den temperier- ten Zonen weltweit auftretende Pilzkrankheit ist die ebenfalls durch Sporen in der Luft verbreitete Hi- stoplasinose; sie befällt meist die Lungen, seltener die Leber, die Milz, die Nieren und das Knochen- mark. Es gibt zur Behandlung solcher Pilzkrankhei- ten relativ wenige wirksame und nichttoxische Fun- gizide. Gut bewährt haben sich Kaliumjodid und das Antibiotikum Ainphotcricin B . Die meisten Pilzkrankheiten des Menschen wer- den jedoch durch endogene, als Parasiten speziali- sierte Pilze verursacht. Weit verbreitet sind die Der- matophyteri, welche keratinreichcs Gewebe wie Haut, Haar und Nägel befallen. Den Fusspilz kennt praktisch jedermann; dessen Erreger, Trichophyton mentagrophytes, bevorzugt den warmen und feuch- ten Raum zwischen den Zehen. Die Infektion er- folgt durch abgestossene Myzeliumfragmentc an al- len Orten, wo barfuss gegangen wird, also vorwie- gend in Schwimmbädern und Turnhallen. Die zwei- te wichtige Gruppe der endogenen Pilze bilden die hefenartigen Pilze, welche zur normalen Flora der Schleimhäute gehören; man findet sie insbesondere im Mund, im Verdauungstrakt und in der Vagina. Am meisten verbreitet ist Candida albicans, die in den meisten Fällen völlig harmlos ist; tiefer Befall kann aber tödlich verlaufen. Auch bei Haustieren und wilden Tieren kommen Pilzkrankheiten aller Art sehr häufig vor. Interes- sant ist die in Europa weit verbreitete Seuche der Süsswasserkrebse. Wirtschaftlich besonders folgen- schwer ist die alle 14 bis 2 5 Jahre auftretende Pilz- seuchc der Heringe; sie führt zu Ertragsausfällen von gegen 50 Prozent. Weitere Pilzkrankheiten dezi- mieren gelegentlich auch Edelfische wie Forellen und Lachse. Anderseits sind gewisse Pilzkrankheiten für den Menschen von grossem Nutzen. Sie dienen als biolo- gische Schädlingsbekämpfungsmittel. So können die Sporen entomogener Pilze den Chitinpanzer von In- sekten mittel« Enzymen durchbohren. Innerhalb des Insektenkörpers vermehrt sich der Pilz rasch, wobei die Hyphen schliesslich lebenswichtige Organe an- greifen. Pilzkrankheiten von Insekten tragen ohne jeglichen Eingriff des Menschen dazu bei, gewisse Insektenpopulationen zu dezimieren. Zurzeit werden mehrere Sorten von Pilzsporen (sog. Pilzinsektizide) in gross angelegten Feldversuchen getestet. Nachtei- lig ist stets, dass das Abtöten der Insekten relativ langsam vor sich geht; in der Zwischenzeit können sie bereits ausgedehnte Schäden verursachen. Selbst Pilze werden von Pilzen befallen; bemerkenswerte Erfolge wurden bei der Kontrolle der Wurzel- und Knospenfaulkrankheiten von Nadelholzbäumen durch die Sporen des nur mild pathogenen Ständer- pilzes Peniophora gigantea erzielt. Pilzkulturen von Insekten Blattschneiderameisen sind dadurch berüchtigt, dass sie überall Blattfragmentc abschneiden, um sie in ihrem unterirdischen Bau als Nährboden für ihre Pilzkulturen zu verwenden. Diese Pilze entwickeln zwar keine Fruchtkörper, aber zytoplasmareiche Kugeln mit einem Durchmesser von 50/<;m, welche von den Ameisen gefressen werden. Die Pilze wer- den dauernd geprüft, beleckt und mit Analsekret benetzt; neues Pflanzenmaterial wird mit Myzelium- fragmenten geimpft. Erstaunlicherweise bringen es die Ameisen fertig, Kulturen von nur einer einzigen, hochspezialisierten Pilzart über längere Zeit beizu- behalten. Diese Pilze findet man in der freien Natur nicht. Sie sind auf die Hege durch die Ameisen un- bedingt angewiesen, während diese nur Pilze fressen können. Eine Hautfalte im Kopf der schwärmenden Ameisenkönigin enthält eine Pastille des Myze- liums; die befruchtete Königin beginnt ihre neue Kolonie stets mit dem Pflanzen des Pilzes. Auch andere Insekten, insbesondere Holzkäfer und Holz- wespen, zuchten Pilze; sie besitzen spezialisierte Organe (sogenannte Myzetangien) zum Transport von Sporen oder Myzelium. Diese werden in Höh- len gepflanzt und laufend abgegrast. Die bizarrste Inscktcnpilzsymbiosc ist wohl bei gewissen Schuppeninsekten und Basidiomyzeten der Gattung Scptobasidium zu finden, wobei noch eine höhere Pflanze beteiligt ist, meist ein Baum oder ein Strauch. Das Myzelium wächst dabei auf den Acsten, ohne in das Gewebe einzudringen. Inner- halb des Myzeliums findet man ein Labyrinth von Höhlen und Gängen. In den Höhlen leben völlig immobilisierte, über eine lange Röhre mit dem saft- reichen Gewebe des Baumes verbundene Insekten, die vollständig von Hyphen umgeben sind. Sie durchdringen den Chitinpanzer des Tnsekts, aus des- sen Blut der Pilz Nährstoffe bezieht. Das Insekt sei- nerseits saugt laufend Pflanzensaft und wirkt sozu- sagen als Nährstofftransformator für den Pilz. Pilzgifte Seit Urzeiten weiss der Mensch, dass die Frucht- körper gewisser Pilze essbar sind, andere aber nicht, da sie unangenehm schmecken oder sogar giftig sind. In Amerika kommen Pilzvergiftungen kaum vor, da wilde Pilze dort nicht gesammelt werden; in Europa und in Japan hingegen, wo dies der Fall ist, sind sie recht häufig. Berüchtigt sind die Pilze der Gattung Amaniia, insbesondere der hübsche Fliegenpilz and der Knollenblätterpilz. Bei deren Giften handelt es sich um ringförmige Peptide wie Phalloidin und Amanitin; sie wirken auf die Permeabilität c!cr Zell- membran. Von erheblicher wirtschaftlicher Bedeu- tung sind die Toxine des mikroskopischen Pilzes Clavlceps purpurea, des sogenannten Mutterkorn.',, das die Blüten von Getreide, insbesondere Koggen, befällt. Es bilden sich darin die dunkclpurpur ge- färbten, länglichen Muttcrkörner; sie fallen Im Herbst zu Boden, wo sie im Frühjahr auskeimen und pollcnhaltigc Fruchtkörper von etwa l nun Durchmesser bilden. Die Mutterkörner werden beim Grasen vom Vieh gefressen und geraten beim Ern- ten leicht in das Korn. Sie enthalten Alkaloide, die zu charakteristischen Degenerationserscheinungen der Blutgefässe führen. Durch diesen sogenannten kalten Brand können Arme und Beine zum Abster- ben gebracht werden. Andere Symptome sind Schlaflosigkeit, Halluzinationen und ununterbroche- nes Reden; darum wurde der Ergotismus auch Ignis sacer genannt, und man deutete ihn als göttlichen Ursprungs. Die Mutterkornalkaloid« Ergomelrin und Ergotamin spielen in der modernen Mcdi/iti eine wichtige Rolle, da sie auf die glatte Muskulatur wirken und Blutungen stillen. Weitere Alkaloide dieser Reihe werden zur Behandlung von Migräne eingesetzt. Weitverbreitete Schimmelpilze, insbesondere As- pergillus flaviis, welche das Verderben von Nah- rungsmitteln bewirken, bilden ausserordentlich gifti- ge und krebserregende Toxine, die sogenannten -4//«- toxine. Für den Menschen besonders gefährlich sind die auf Erdnüssen, Mondein und Paranüssen auftre- tenden Aflatoxine; sie können auch über Viehfutter, Fleisch. Milch und Milchprodukte kontaminieren. Aflatoxine sind insbesondere für den Leberkrebs verantwortlich, der südlich der Sahara epidemisch auftritt, weil dort viel verdorbene Nüsse konsumieit werden. Pil/r und menschliche Ernährung Pilzfruchtkärper spielen in unserer Ernährung eine wichtige Rolle; bei Pilzkulturen können un- glaublich hohe Ertriigc (Tausende von Tonnen pro Hektare) erhalten werden. Hefepilze anderseits sind seit Urzeiten unentbehrlich zur Zubereitung von Brot, Wein. Bier und gewissen Käsen. Im Orient spielt die Garung von Sojabohnen zur Gewinnung einer leicht verdaulichen, schmackhaften Paste eine wichtige Rolle. Weniger bekannt ist die Rolle von Pilzenzymen zur Klärung von Fruchtsäften. Eine noch grundlegendere Rolle konnte n Hefepilze in der Zukunft direkt zur Ernährung des Menschen und seiner Nutztiere spielen. Schon heute werden jährlich weltweit 250 000 Tonnen von sogenanntem Single Cell Protein (SCP) produziert, das aus Hefe- zellen besteht. Diese vermehren sich ausserordent- lich rasch in billigen oder wertlosen Kulturmedien wie Holzschliff, Sulfitablaugc, Melasse, Molken oder sogar Rohöl, unter Zusatz von Harnstoff. Pilze und Religion Den Fruchtkörpern von Pilzen wurden vom Menschen schon sehr früh eine Reihe von magi- schen und mystischen Eigenschaften zugeschrieben. Die unter Umständen tödliche oder halluzinogene Wirkung von Pilzgiften wurde bereits erwähnt; dazu kommen noch merkwürdige Erscheinungen wie die Lumineszenz gewisser Pilze und deren Wachstum in der Form sogenannter magischer Rin- ge. Es ist also nicht weiter erstaunlich, dass Pilze in vielen Religionen eine zentrale Rolle spielten und zum Teil heute noch spielen. In Europa weit ver- breitet war früher der Genuss des Fliegenpilzes Amanita muscaria; nach einer Inkubationszeit von etwa einer Stunde bewirkt er einen euphorischen Zustand, der von Visionen, Halluzinationen und ge- legentlich heftiger körperlicher Aktivität begleitet sein kann. Der Wirkstoff von Amanita muscaria wird unverändert ausgeschieden; durch Trinken des eigenen Urins kann der Rauschzustand also beliebig verlängert werden. Aus der alten vedischen Religion sind über 1000 Lobeshymnen auf eine Sonia ge- nannte, magische Substanz überliefert. Sie sind in dem *Rig-Veda* genannten Werk zu finden und ge- ben zum Teil sehr genaue Beschreibungen des Flie- genpilzes und seiner Wirkungen. Es gibt auch Theo- rien, wonach das Christentum auf einem alten Flie- genpilzkult basiert ist. Die narkotischen und halluzi- nogenen Wirkungen des Fliegenpilzes sind auf Mus- zinol, ein einfaches heterozyklisches Amin, zurück- zuführen; dessen Wirkung wird offenbar durch das Muskazon und die Ibotensaure verstärkt. Ein weiteres Zentrum des Pilzkultes ist Zentral- amerika; aus dem Hochland Guatemalas stammen ja die berühmten Pilzsteine, rund 30 cm hohe, men- schenähnliche Pilzfiguren. In den Kodizes der Mayas findet man auffallende Darstellungen von fliegenpilzähnlichen Basidiomyzeten. Der wichtigste halluzinogene Pilz aus Mexiko ist Psilocyle Mexica- na: Er wurde offenbar bereits von den Azteken ver- wendet. Praktisch alle Pilze der Gattung Psilocyle enthalten Psilocibin und Psilocin, die mit der Ly- sergsäure chemisch verwandt sind. Nach der Lektüre von Cookes sehr straffer, aber äusserst informativer Einführung in die Mykologie wird man die Pilze mit ganz anderen Augen be- trachten und deren so vielfältige Wirkungen überall entdecken. Pilze liefern heute wichtige Enzyme und Vitamine, lebensrettende Antibiotika, psychoaktive Arzneimittel und helfen uns, mit Müll und Abwas- ser fertig zu werden. Sie konnten schon mittelfristig erheblich zur Ernährung des Menschen beitragen. Sie spielen auch in der biologischen Grundlagenfor- schung eine ausserordentlich wichtige Rolle. Ihre Dienste lassen sich die Pilze allerdings dadurch be- zahlen, dass sie uns selbst sowie alle Tiere und Nutzpflanzen parasitieren und mit ihren Toxinen gefährden. Verantwortlich für <;Forschting und Technik*: Luden Trueb, Herbert Cerutti .:.,( Neue Zürcher Zeitung vom 07.06.1975