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Fokus Menschenrechte
Nr. 17 / Juli 2015
Zunehmend brutalisiert Immer hilfloserDie Todesstrafe in
Pakistan soll es richten
Amal El-Abd
Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit | Fokus
Menschenrechte
Pakistan wurde 1947 ins Leben gerufen. Von Anbeginn war die
Todesstrafe gesetzlich verankert. Auffllig ist, dass in den
Anfangsjahren der Is- lamischen Republik Pakistan kaum Menschen der
Todesstrafe zum Opfer fielen im Gegensatz zum Jahr 2015: Seit dem
Peschawar-Schulmassaker am 16.12.2014 ist Pakistan nicht nur einer
der un-rhmlichen Spitzenreiter in der Verhngung der Todesstrafe,
sondern auch in deren Vollstreckung Nahezu tglich werden Menschen
in Pakistan gehngt; dennoch gedeiht der Terrorismus weiter. Demnach
scheint die Todesstrafe
die in Pakistan postulierte Wir-kung zu verfehlen. Dennoch
be-
frwortet eine groe Mehrheit der Pakistaner die Todesstrafe.
Pakistan droht mit dem StrickGenerell ist es stark umstritten,
Verbrechen mit dem Tode zu bestrafen. Die Todesstrafe
gilt als unvereinbar mit den Menschenrechten. Seit 2007 fordert
die Generalversammlung der Verein-ten Nationen, Hinrichtungen
weltweit auszusetzen, gefllte Urteile also mit einem Moratorium zu
bele-gen. Die Todesstrafe ist nicht nur irreversibel, sondern sie
ist insbesondere auch hchst bedenklich, wenn die hohe Anzahl von
Fehlurteilen bercksichtigt wird. Abgesehen davon gibt es
alternative Strafformen. Im traditionellen Strafrecht wird die
Todesstrafe bei Mord verhngt. Doch werden mitunter auch Strafta-ten
wie Bankraub, Vergewaltigung und Drogenhandel
ZusammenfassungDie Todesstrafe ist seit Staatsgrndung 1947 Teil
des pakistanischen Rechts. Ihre jahrelan-ge Aussetzung wurde nach
dem Schulmassaker in Peschawar am 16.12 2014 aufgehoben. Seitdem
werden jedoch kaum Terroristen, sondern vor allem Kriminelle
gehngt. Die Verurteilung fut jedoch auf fragwrdigen Verfahren und
zum Teil Folter. Ein Teil der Verurteilten ist zudem zum Zeitpunkt
der angelasteten Tat minderjhrig. Trotz dieser Um-stnde befrworten
mehr als 90% der Pakistani die Todesstrafe ein Zeichen der
zunehmenden Radi-kalisierung der Religion durch den Wahhabismus und
der voranschreitenden Brutalisierung einer verunsicherten
Gesellschaft im Umbruch. In die-sem Lichte ist die Aufhebung des
Moratoriums eine hilflose Reaktion der Machtelite, um Symptome mit
falschen Mitteln zu bekmpfen denn Kriminalitt und Terrorismus gehen
unbeeindruckt weiter.
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Todesstrafe in Pakistan | Nr. 17 - Juli 2015 | 2
mit dem Tode bestraft. Je nach Land wird Landesverrat,
Hoch-verrat, Spionage, Sabotage und Desertion nach Kriegsrecht als
Kapitalverbrechen geahndet. Das pakistanische Strafgesetz-buch
sieht die Todesstrafe fr Mord, Kriegsfhrung, Anstif-tung zum
Kriegsfhren gegen den Staat und Anstiftung zur Meuterei vor. Darber
hin-aus wird sie verhngt fr die Entfhrung eines Kindes unter zehn
Jahren, sofern die Ab-sicht besteht, dieses zu ermor-den oder ihm
schwere Verlet-zungen zuzufgen, sowie fr Raub mit Todesfolge. Neben
dem legalen Tten kommt es allerdings auch zu extralegalen Ttungen
Morde, die von der Regierung stillschweigend hingenommen werden
oder aber gar von dieser in Auftrag gegeben werden. Nur
Einzelrichter und ein Obergericht knnen
die Todesstrafe verhngen. Bei einem Urteil durch ei-nen
Einzelrichter muss dieses von einem Obergericht besttigt werden.
Eine Berufung kann beim Obersten Gerichtshof eingelegt werden. Die
Provinzregierung und der Prsident haben die Macht, Todesurteilen
umzuwandeln. Hinrichtungen werden immer durch Erhngen
vollzogen.
Islamisierung des Rechts und RadikalisierungDas Militr kam im
Juli 1977 durch einen Putsch an die Macht. Ministerprsident Bhutto
wurde entmach-tet, und neue Kriegsrechtsverordnungen wurden
er-lassen. In der Folgezeit kam es zu einer staatlich ge-lenkten
Islamisierung. Am 10. Februar 1979 wurde die Einfhrung des
islamischen Systems bzw. die Hu-dud-Gesetzgebung bekanntgegeben.
Das bedeutete, dass die in der Scharia vorgesehen, aber in der
tradi-tionellen, islamischen Rechtsauslegung meist vermie-denen
Strafen fr Alkoholgenuss, Diebstahl, Ehebruch und Verleumdung wegen
Ehebruchs sofort Geltung hatten. Auerdem wurden die Bereiche
Bildung, Wirt-schaft, Recht und Politik einer Islamisierung
unterzo-gen. Unter General Zia ul-Haq, der von 1978 bis 1988
Prsident Pakistans war, reichten rund 350 Offiziere
Rcktrittsgesuche ein. Bei den Nachrckenden wur-de dann eine
islamistische Orientierung gegenber militrischer Befhigung
bevorzugt. Die Verfassung wurde immer mehr mit islamischen Klauseln
verse-hen. Neue Straftatbestnde fr die Todesstrafe wur-den
hinzugefgt, die nicht islamisch legitimiert sind: Raub, Angriff,
Verletzung und Widerstand gegen die
Ein FallbeispielAm 10. Juni 2015 wurde Aftab Bahadour nach mehr
als zwanzig Jahren in der Todeszelle in der pakistanischen Stadt
Lahore hingerichtet. Als Af-tab Bahadour verurteilt wurde, war er
erst fnfzehn Jahre alt. Ihm wurde vorgeworfen, drei Menschen im
Jahr 1992 ermordet zu haben. Das Gestndnis, so die Organisation
REPRIEVE, die Bahadour kostenlos juristisch untersttzt hatte, sei
durch Folter seitens der Polizei zustande gekommen. Im Jahr 2000
wur-de das Gesetz gendert, und nun durften von Min-derjhrigen
begangene Straftaten nicht mehr mit dem Tode geahndet werden. Bis
zur letzten Minute hatte Bahadour noch seine Unschuld beteuert. Die
letzten zwanzig Jahre war er durch die Hlle ge-gangen. Immer wieder
gab es Hinrichtungsbefehle, die dann kurzfristig wieder ausgesetzt
wurden. So war es ein stndiges Dasein zwischen Leben und Tod. Bei
seiner Festnahme verlangte die Polizei von ihm 50.000 Rupies (rund
430 Euro) als Beste-chungsgeld, damit man ihn freilasse, doch besa
er das Geld nicht. Derzeit befinden sich etwa 8.500 Menschen in
pakistanischen Gefngnissen, die auf ihre Exekution warten. Pakistan
gehrt seit diesem Jahr wieder zu den Lndern mit den meisten
Hin-richtungen weltweit.
Seit Aufhebung des Moratoriums werden mehr Menschen in sechs
Monaten hingerichtet als als zuvor in einem Jahr. Quelle: Human
Rights Commission of Pakistan,
http://hrcp-web.org/hrcpweb/who-has-been-executed/, 23. Juni
2015.
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Exekutionen in Pakistan
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Angehrigen der zivilen oder militrischen Streitkrf-te, das
Beschdigen von Regierungseigentum. Weiter-hin kann die Todesstrafe
fr den Versuch, Mitglieder der Streitkrfte von der Erfllung ihrer
Pflichten oder der Treue gegenber der Regierung oder dem Obersten
Kriegsrechtsverwalter abzubringen, verhngt werden. 1950 wurden
lediglich zwei Straftaten, Mord und Re-volte gegen den Staat, mit
der Todesstrafe geahndet. Heute ist es ein Katalog, der 27
Straftaten umfasst.
Blasphemiegesetz: Freibrief fr ExekutionenIm Jahre 1986 wurde
ein Gesetz aus britischer Ko-lonialzeit erweitert, das nun im
Zusammenhang mit der Todesstrafe zu nennen ist, da es alles bisher
Dage-wesene bertrifft: das sogenannte Blasphemiegesetz. Artikel
285-C des Strafgesetzbuches sieht vor, dass jeder bei
Gotteslsterung oder einer geringschtzigen Bemerkung ber den
Propheten mit dem Tod, mit Haft oder mit einer Geldstrafe bestraft
werden muss. Bis-lang ist zwar noch niemand auf der Grundlage
dieses Gesetzes hingerichtet worden, doch wurden mehrmals
Angeklagte oder Verurteilte von Islamisten hingerich-tet
(Lynchmord). Im Oktober 1990 wurde das Gesetz konkretisiert.
Seitdem ist ausschlielich die Todesstra-fe als adquate Strafe
festgeschrieben. 1998 ging ein Richter so weit und forderte, dass
bei Blasphemie so-fort gettet werden drfe. Dieser Entwurf wurde
zwar zurckgezogen, doch ffnete er Tr und Tor fr Lynch-morde denn
Verdchtige, die diese Taten begingen, wurden nie verurteilt.
Bestrebungen zur Aufhebung der TodesstrafeUnter Premierminister
Yousaf Raza Gilani (2008 bis 2012) und unter Prsident Asif Ali
Zardari (2008 bis 2013) sowie auf Druck der Zivilgesellschaft wurde
2008 die Todesstrafe, die im pakistanischen Gesetz
verankert ist, zwar nicht aufgehoben, aber immerhin wurde ein
Moratorium gegen die Vollstreckung der To-desstrafe verhngt.
Zardari versuchte, alle Todesurtei-
le in lebenslange Haftstrafen umzuwan-deln, doch das scheiterte
am Einspruch des Obersten Gerichtshofs. Die Pakistan MusliMliga von
Nawaz Sharif (PML-N)ge-wann 2013 die Parlamentswahlen. Die neue
Regierung machte immer wieder Andeutungen, die Todesstrafe wieder
einfhren zu wollen. Das geschah dann auch. Nach dem grausamen
Anschlag auf eine Schule in Peschwar, bei dem 148 Menschen,
darunter 130 Kinder ihr Leben verloren, wurde das Moraturium nach
sieben Jahren wieder aufgehoben. Bis Ende des Jahres 2014 wurden
sieben Verurteilte gehngt. Das fhrte zu star-ken internationalen
Protesten. Der Vor-sitzende einer pakistanischen
Partneror-ganisation der Friedrich-nauMann-stiFtung Fr die Freiheit
(FNF) der Menschenrechts-
Der Fall Shafqat HusseinDer bekannteste Fall derzeit in Pakistan
ist der von Shafqat Hussein . Shafqat wurde 2004 festgenom-men und
zum Tode verurteilt. Er soll angeblich einen siebenjhrigen Jungen
fahrlssig gettet haben. Zu diesem Zeitpunkt war Shafqat jedoch
minderjhrig. Ein Todesurteil gegen einen zur Tatzeit Minderjh-rigen
ist juristisch nicht zulssig. Doch sein Alter ist umstritten, da es
keine Geburtsurkunde gibt und damit ist er in Pakistan mitnichten
ein Ein-zelfall. Eine berprfung des Falls hat es bis heute nicht
gegeben und die Vollstreckung wurde bereits zum vierten Mal
verschoben. Darber hinaus wer-den weiterhin Minderjhrige zum Tode
verurteilt. Ihr Alter wird bei der Festnahme nicht festgestellt und
wird meistens auch von der Verteidigung nicht angesprochen, solange
die Todesstrafe nicht voll-streckt ist. Meistens gehen Nachfragen
vom Richter aus, so diesem ins Auge fllt, dass der Angeklagte
vergleichsweise jung aussieht.
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organisation huMan rights coMMission oF Pakistan (HRCP), I. A.
Rehman, kommentierte die Aufhebung des Mora-toriums wie folgt: Der
Anschlag von Peschawar war fr die Regierung nur ein Vorwand, um die
Todesstrafe wieder einfhren zu knnen. UN-Generalsekretr Ban Ki-Moon
und die euroPische union forderten Pakistan auf, das Moratorium fr
die Todesstrafe wieder herzu-stellen, denn die Todesstrafe sei kein
geeignetes Inst-rument fr den Kampf gegen Terrorismus.
Zunahme von HinrichtungenIm Mrz 2015 beschloss die Regierung,
die Todes-strafe auszuweiten. War sie in den Monaten zuvor
ausschlielich auf wegen Terrorismus Verurteilte an-gewandt worden,
wurde die Todesstrafe nun wieder allgemein verhngt im Einklang mit
dem Strafgesetz-buch. Das lie die Anzahl der Hinrichtungen stark
an-steigen. Premierminister Nawaz Sharif gab zustzlich die
Wiedereinfhrung von Militrgerichten bekannt. Das kann als Indikator
dafr gesehen werden, wie sehr das Militr wieder in der Innenpolitik
mitwirkt. Von Januar 2015 bis Juni 2015 wurden knapp 176
Ver-urteilte gehngt. Die meisten dieser Menschen waren durch Folter
zu ihren Gestndnissen ge-bracht worden. 8.500 Inhaftierte warten
derzeit in den Todeszellen auf ihre Exekution. 2013 wurde eine
Studie von rePrieve und Justice ProJect Pakistan durchgefhrt, die
beleuchtet, dass zehn Prozent der zum Tode Verurteilten
Minderjhrige sind. Das heit, dass mindestens 800 der 8.500
Verurteilten zum Zeit-punkt der Verurteilung Kinder waren.
Gesellschaft zunehmend brutalisiertDoch warum griff die
Regierung wieder zur Todes-strafe? War das Peschawar-Schulmassaker
tatsch-lich der Grund? Unmittelbar nach dem Massaker galt es, den
Volkszorn zu besnftigen. Doch auch die eigene Hilflosigkeit musste
versteckt werden. So standen die zivilen Po-litiker unter Druck,
etwas Spektakulres zu zeigen, um ihre Entschlossenheit im Kampf
gegen den Ter-ror sowie ihre Fhigkeit als Kriegsfhrer zu
demonst-rieren. Doch verfolgten sie dabei auch ihre eigene
politische Agenda. Das Militr wollte die feind-lich gesonnenen
Extre-misten abschrecken und
ausschalten und die Regierungskritiker und Oppositi-on
einschchtern. Die Rckkehr zur Todesstrafe de-monstriert aber auch,
dass Pakistan das Terrorproblem nicht unter Kontrolle hat. Auffllig
ist, dass ber 90 % der Pakistaner die Todesstrafe befrworten. Das
hilft der Regierung beim Rechtfertigen der Todesstrafe: die
ffentlichkeit fordere die Todesstrafe fr bestimmte Verbrechen. Denn
sie habe Angst vor Chaos und sei zunehmend brutalisiert.
Doch die Befrwortung der Todesstrafe kann hierauf keine Antwort
sein. Stattdessen sollte das Rechtssys-tem entsprechend gestrkt
werden, um der Bevlke-rung die Angst zu nehmen. Das Rechtssystem
muss grundlegend reformiert werden. Eine Schlsselrolle dabei kommt
dem Schuldbeweis zu, der ber jeden vernnftigen Zweifel erhaben sein
muss. Denn in der Praxis kommt es bei jedem Gerichtsverfahren zu
vie-len folgeschweren Fehlern und Irrtmern. Denn Pa-kistan ist ein
Land, indem es leicht routinemig zu einer Reihe von rechtlichen
Fehlern kommt. Die Poli-zei hat keine Ausbildung fr das Sammeln von
Bewei-sen oder fr die Durchfhrung einer Untersuchung bei
Die Beschwerdeakten gegen Menschenrechtsverletzungen hufen sich
beim FNF-Partner Human Rights Commission of Pakistan in Lahore.
Peschawar war fr die Regierung nur ein Vorwand fr die
Todes-strafe I.A. Rehman
Human Rights Commission of Pakistan
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terroristischen Straftaten. Weiterhin hat sie erheb-liche Mngel
bei ihrer Ausrstung und Technologie, bei dem Personal und dessen
Ausbildung. So ist seit langem bekannt, dass Pakistans Justiz und
Polizei zu guten Teilen dysfunktional sind. Die Gerichte gelten als
korrupt, auch arbeiten sie sehr langsam. Die Poli-zei gilt als die
korrupteste ffentliche Institution in Pakistan. Dies wurde auch dem
Autor in einem Inter-view mit HRCP besttigt: Wer Geld hat, kauft
sich die Beweismittel wie er sie braucht, wer kein Geld hat, der
wird verurteilt unabhngig von Schuld oder Unschuld. Zu Recht heit
es in einem Bericht der international crisis grouP (ICG): Nach
Jahrzenten von Missbrauch und Vernachlssigung ist Pakistans Polizei
nicht in der Lage, Verbrechen zu bekmpfen oder die Brger und den
Staat gegen militante Gewalt zu schtzen. Doch das ist nur die eine
Seite. Die andere ist, dass der po-litische Wille gnzlich dafr
fehlt, um Vernderungen herbeizufhren. Es gibt im pakistanischen
Justizsys-tem ernsthafte Mngel auf allen Ebenen. Folter wird hufig
angewendet, um Gestndnisse zu erlangen, und Angeklagte haben oft
keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. sagte David Griffiths, der
Direktor
von aMnesty international fr die Region Asien-Pazifik. Dem
gegenber steht die (nicht auf Pakistan bezoge-ne) Aussage von
Professor Ernst Benda, dem ehema-ligen Prsidenten des
Bundesverfassungsgerichtes: Strafe fr begangenes Unrecht soll nicht
der Befrie-digung von Rache dienen, sondern bedeutet die
Auf-forderung, eigene Schuld einzusehen und sich mit ihr
auseinanderzusetzen. Um das hinzubekommen, muss noch viel
Aufklrungsarbeit geleistet werden.
Wahhabisierung radikalisiert Es ist unstrittig, dass die
Todesstrafe im Islamischen Recht und damit im Islam verankert ist.
Doch ms-sen in der klassischen Rechtsauslegung der Scharia viele
Hrden berwunden werden, um die Todes-strafe berhaupt am Ende
tatschlich vollstrecken zu knnen. Seit Aufkommen des Islamismus und
der wrtlichen Auslegung des Koran durch Laien haben die sogenannten
hadd bzw. im Plural hudud-Strafen (Krperstrafen wie Auspeitschen,
Abhacken der Hand und auch die Todesstrafe) zugenommen, da sie
sowohl von Islamisten als auch deren Gegner als etwas spezi-fisch
islamisch angesehen werden. Somit wurden sie oft zum symbolischen
ueren einer Islamisierung des Rechts. Die saudi-arabische Spielart
des Islamismus, der Wahhabismus, weist wiederum besonders strenge
und puritanische Zge auf. Die Wahhabisierung, die durch
Saudi-Arabien tatkrftig finanziert wird, kann in Pakistan durchaus
beobachtet werden zum einen
durch direkte Finanzie-rung von Projekten und Schulen im Land
selbst und zum anderen durch pakistanische Gastarbei-ter in der
Golfregion nach deren Rckkehr.
In der Unsicherheit einer pakistanischen Identitt haben sich
nach Staats-grndung der Islamischen Republik Pakistan die dort
lebenden Britisch-Inder fr den sunnitischen Islam als
Staatsideologie ent-schieden. Dessen Ausle-gung wird somit auch
eine Frage der Staatstreue ein Problem nicht nur fr
Minderheiten, sondern auch innerhalb der pakistani-schen Sunna.
Denn damit gilt unausgesprochen indi-rekt je sunnitischer und seit
dem jihad gegen die Sowjetunion je wahhabitischer desto
pakistanischer. Die traditionellen Lesarten des Islam auf dem
Subkon-tinent, wozu u.a. auch ein reiches, mystisches und im
Regelfall tolerantes Religionsverstndnis gehrt, geraten damit ins
Hintertreffen. Die Durchsetzung
Bislang hat die religis motivierte Gewalt in Pakistan
zugenommen. Quelle: satp.org Grafik: FNF
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dieses sunnitisch-wahhabitischen Religions- und
Staatsverstndnisses wird gerade in Zeiten der Verun-sicherung, der
Schwche staatlicher Institutionen und des Umbruchs zum Credo fr den
Staatserhalt.
Ein guter Teil der Gesellschaft selbst jahrzehntelan-ger
wahhabitischer Propaganda ausgesetzt befr-wortet demnach die
weitere Islamisierung. Bei einer weitgehend muslimischen Bevlkerung
geht es dann im Regelfall darum von Staatsseite weitere
islamisti-sche Symbole wie eben die Todesstrafe zu setzen und gegen
vermeintlich Unislamisches vorzugehen. Und wenn der Staat es nicht
tut, macht man es halt selbst: gewaltttige Proteste gegen
Prophetenkarri-katuren, Lynchmorde bei Blasphemieangeklagten und
Morde an Minderheiten. Kurzum: Die Gesellschaft ist radikaler
geworden. Konnte sich Pakistan vor wenigen Jahrzehnten noch rhmen,
vergleichsweise liberal zu sein, gilt das heute so nicht mehr. Die
Menschen wer-den immer engstirniger und klammern sich vermehrt an
islamistische Heilsversprechen in Form weiterer Wahhabisierung.
FazitIst es nicht sinnvoller, Ursachenbekmpfung vorzu-nehmen
denn die Schadensbegrenzung hinterher? Das ist leichter gesagt als
getan. An eine Diskussi-on der Staatsideologie und der Auslegung
des Islam wagt sich niemand. Dies htte geradezu blasphemi-schen
Charakter mit entsprechenden Folgen (siehe oben). Zu
Rechtsstaatlichkeit arbeiten in Pakistan seit
Jahrzehnten internationale Organisationen wie auch die
Friedrich-nauMann-stiFtung Fr die Freiheit mit loka-len Partnern
zusammen. In einem Land, in dem mehr als die Hlfte der Bevlkerung
Analphabeten sind, in
dem zum Teil noch feudalistische Ver-hltnisse herrschen und in
dem die Herrschaftselite gar keine nderun-gen herbeifhren mchte,
weil das nur Nachteile fr eben diese Herrschafts-elite mit sich
brchte, zhlt der Wille mehr als die Summe aller Projekte zu einem
bestimmten Thema. Die Bevl-kerung wei genau, dass sie sich nicht
auf ihren Staat verlassen kann. Der Staat wei genau, dass die
Bevlkerung wenig von ihm hlt. Die Todesstrafe abzuschaffen wrde von
beiden Seiten als ein Signal der Schwche aufgefasst werden. Dennoch
brachte es der kaum gebildete Reinigungsmann Ghafoor, nach seiner
Meinung gefragt, mit den schlichten Worten auf den Punkt: Die
Todesstrafe ist schlecht. Denn er wei,
wie schlecht es um das Rechtssystem Pakistans be-stellt ist, und
dass man einmal zu Unrecht in den Fngen der Justiz diesen nur
selten zu entkommen vermag. Und er wei auch, dass es nicht nur den
ver-meintlichen Tter betrifft, sondern seine gesamte Fa-milie und
die sind in Pakistan gro mitleidet.
67% Ja
13% Nein
20% keine
Antwort
Sollte Ihrer Meinung nach die Regierung Schritte zur
Islamisierung der Gesellschaft unternehmen?
Amal El-Abd Pakistan ist Arabistin und absolviert ein Praktikum
im Projektbro Pakistan.
Islamisch soll noch islamischer werden, so die Umfrage von
Gallup-Gillani Pa-kistan.
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