Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur · about genocide, about human nature. Erzählerin: Kwiatkowskis Musik und seine Verse handeln von der finsteren Seite der Geschichte, von
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Erzählerin: (Übersetzt Filmtext) Eine vorläufige Analyse hat erwiesen, dass die Schuhe, deren Überreste im Oktober in der Nähe des ehemaligen KZs Stutthof gefunden wurden, wahrscheinlich nicht den Gefangenen gehörten. Direktor Tarnowski führte Journalisten in den Raum, wo die aufgefundenen Gegenstände zwischengelagert wurden. Es waren vor allem Überreste von Schuhen, aber auch Geschirr oder Flaschen, einschließlich Bierflaschen. Da es kaum vorstellbar ist, dass die Gefangenen Bier tranken, schloss Tarnowski, dass diese Schuhe nicht Stutthof-Häftlingen gehörten.
Grzegorz Kwiatkowski
… and a debate about these shoes started in Poland and mainly in Gdansk. Some of
the authorities said: it’s just trash. Just trash, so we shouldn’t do anything.
Erzähler: Der Presseauflauf veranlasst das Museum, sich zu rühren. In Polen beginnt
eine Debatte über die Schuhe. Dennoch halten es die örtlichen Gemeindeoberen der
Mühe nicht wert, die Funde im Wald zu sichern. Wozu Geld ausgeben für etwas, was
in ihren Augen ja doch bloß Müll ist?
Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Die Schuhe wurden auseinandergeschnitten und fürs Militär
benutzt, erklärt der Direktor, zum Beispiel, um Pistolenhalfter herzustellen. Was
erklären würde, warum man heute vor allem Sohlen im Wald findet. Das Oberleder
wurde eben wiederverwendet. Und die übrig gebliebenen kompletten Schuhe wurden
gestohlen.
Erzählerin
Was ja wohl die Schlussfolgerung zulässt, dass alles, was zurückgeblieben ist,
„Abfall“ ist.
Weggeworfen. Wertlos. „Müll“.
Musik 2: Trupa Trupa „Unbelievable“ instrumental
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Grzegorz Kwiatkowski
Local prisoners came here, and they were collecting these shoes as a way of
voluntary work. I’m sure it was nice, but the archaeologists should do it. It’s not kind of
trash. A day of ecology and clean forests.
Erzähler: Nachdem sich die Medien eingemischt haben, gibt es eine Aktion mit
Häftlingen aus der Umgebung. Sie werden auf das Gelände gebracht, um einige der
Schuh-Fragmente zu sammeln – eine Art „freiwilliger ökologischer Tag“. Das, meint
Grzegorz, wäre aber der Job von Archäologen gewesen.
Musik 2: Trupa Trupa „Unbelievable“
Direktor. Polnisch.
Darüber Erzählerin: Der Museums-Direktor ist dankbar, sagt er uns: Durch die
Entdeckung der Schuh-Fragmente hat man jetzt die Möglichkeit, das ganze 100
Hektar große Gelände zu erforschen.
Grzegorz Kwiatkowski
So a few months later, I went once again, the shoes were (still) here. I wrote to the
Museum: “Allright, the shoes are here. What are you doing?“ They didn’t answer.
They said, if you want an answer please use public ordinance. It was kind of a rude
answer … you know, we don’t talk with you anymore. The case is over.“
Erzähler: Aber als Grzegorz sich nach Monaten beim Museum beschwert, weil sonst
nichts weiter passiert ist, wird ihm gesagt, er solle sich an die Gemeindechefs
wenden. Punkt.
Musik 2: Trupa Trupa „Unbelievable“
Direktor. Polnisch.
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Darüber Erzähler: Tarnowski zeigt sich uns gegenüber stolz: Die „Artefakte des
Leidens“, wie er die Funde im Wald nennt, würden nicht in falsche Hände geraten.
Wenn er eher davon erfahren hätte, hätte er sie niemals ignoriert.
Musik 2: Trupa Trupa „Unbelievable“.
Danuta Drywa Polnisch
Darüber Erzählerin: Danuta Drywa. Sie wacht seit Jahrzehnten über die Dokumente
im Archiv des Museums und erinnert sich sehr gut an den Besuch von Professor
Kulka. Sie zeigt uns ihre fragilen historischen Papiere und erlaubt uns sogar, sie
anzufassen und zu fotografieren.
Erzähler: Hier, z. B.: Versand-Nummer 109, eingetroffen 14.09.1944 - von der
Verwaltung „K.L. Auschwitz“ nach Stutthof, Betreff: Häftlingskleidung. 3800 Stück
Sommermäntel, 3000 Stück Schürzen, 5000 Stück Unterhosen, usw. Aber … keine
Schuhe.
Danuta Drywa. Polnisch.
Darüber Erzählerin: Ein Wehrmachts-Frachtbrief (Waffen-SS) von Auschwitz nach
Stutthof (Bahnhof Tiegenhof), der nur eine Lieferung von „gebrauchten Effekten“
erwähnt.
Danuta Drywa. Polnisch.
Daüber Erzähler: 5.10.44. Vom Reichsbahn-Ausbesserungswerk Eberswalde nach
Stutthof. „Betrifft: Fußbekleidung für KZ-Häftlinge.“ 100 Paar Holzgaloschen. Sie
„wurden zum Teil bereits an die Häftlinge ausgegeben, insbesondere an diejenigen,
die mit Erdarbeiten beschäftigt sind...“, schreibt die Lagerverwaltung.
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Erzählerin: Die Nazis verpassten Häftlingen Holzpantinen und schickten deren
Lederschuhe den Deutschen ins Reich oder in Danzig und Umgebung.
Danuta Drywa. Polnisch.
Erzähler: Versandliste der berühmten tschechischen Schuhfirma Bata. 25 000 Paar
Holzschuhe. Abgeschickt am 10.11. 44. Auftraggeber: Beschaffungsstelle der Waffen-
SS Dachau.
Erzählerin: Die Archivarin findet keine Dokumente über eine Schuhlieferung aus
Auschwitz.
Waldemar Szymanski. Polnisch.
Darüber: Gehen im Korridor.
Erzählerin: Im Untergeschoss des Museums stehen wir mit Waldemar Szymanski,
dem Pressesprecher, vor dem riesigen Glaskasten, der Tausende vor Jahrzehnten
geborgener Schuh-Überreste enthält. Es ist derselbe Kasten, vor dem Professor
Kulka im Jahr 1992 stand. Szymanski bestätigt, dass diese Schuhe überwiegend von
„außerhalb“ hergebracht worden sind.
Erzähler: Von „außerhalb“ heißt eben nicht nur vom „zivilen deutschen Markt“,
sondern auch aus anderen KZs. Holzsohlen und Oberleder kamen aus Italien und
der Tschechoslowakei.Manche der Schuhe in der Vitrine sind die, die die Russen
1945 gefunden haben.
Autorin.Polnisch. Darüber Erzählerin: Aber sie unterscheiden sich nicht von den Lederresten, die wir
heute Morgen auf dem Gelände gesehen haben.
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Waldemar Szymanski. Polnisch.
Darüber Erzählerin: Der einzige Unterschied besteht darin, dass einige Schuhe
gereinigt und unter Glas geschützt wurden, während andere seit über 70 Jahren der
Verwesung ausgesetzt waren. Ursprünglich war dieser Schaukasten offen.
Schließlich wurde er verglast, weil Leute über die Absperrung kletterten und Schuhe
als Souvenirs mitnahmen.
Musik 1: Trupa Trupa “Wasteland”:
Wasteland, wasteland in my mouth
Wasteland, wasteland in my eyes
Wasteland, wasteland all I see
Wasteland, wasteland all I see
Wald.
Grzegorz Kwiatkowski.
And anyway, this territory is not secured, you can see that these shoes are
everywhere. It really looks like a trash to be truthful. So I think it’s not the best way of
remembering people killed in the Second World War in the Holocaust.
Erzähler: Grzegorz geht heute, an diesem kalten Frühlingstag 2018, zwischen den
Erdhügeln hin und her, macht Fotos, steckt seine Hand in einen Erdhaufen und
schüttelt frustriert den Kopf. Er bittet seit drei Jahren das Museum, das Gelände
wenigstens einzuzäunen, um die historischen Gegenstände, die dort liegen, zu
schützen.
Direktor. Polnisch.
Darüber Erzählerin: Direktor Tarnowski argumentiert, dass ein Zaun die Leute erst
recht anlocken würde.
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Direktor. Polnisch.
Darüber Erzählerin: Solange die Leute nicht wissen, dass die Schuhe im Wald sind,
nehmen sie nichts mit. Wenn das Museum das Gelände einzäunt, denken die Leute,
dass da was Wertvolles ist, springen über den Zaun und fangen an zu graben. Der
Direktor will nun mal nicht, dass Amateur-Archäologen herkommen und buddeln.
Denn...
Direktor. Polnisch.
Erzählerin: ...viele Sachen werden geklaut und im Internet als „originale Artefakte
aus Stutthof“ angeboten. SS-Dienstmarken zum Beispiel. Darum mag Tarnowski nicht
mit Journalisten über das alles reden. Sie schreiben was, und am nächsten Tag wird
das Waldstück von Schatzjägern überrannt.
Musik 1: Trupa Trupa “Wasteland”.
Erzähler: Angerannt ist bisher vor allem Grzegorz - gegen die Bequemlichkeits-
Schweige-Mauer der örtlichen Bürokraten.
Erzählerin: Warum hat es bis zum Beginn der Grabungen drei Jahre gedauert?
Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Das ist alles nicht so schwarz-weiß...
Erzähler: ...das Waldstück gehört nun mal der staatlichen Forstbehörde und wird von
der Gemeinde Sztutowo verwaltet.
Erzählerin: Und wer entscheidet, was mit dem Gelände geschieht?
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Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Die Konservatorin der Wojewodschaft. Agnieszka Kowalska.
Agnieszka Kowalska. Polnisch.
Darüber Erzähler: Aber deren Aufgabe besteht eigentlich nur darin, die Erlaubnis für
Ausgrabungen zu erteilen.
Erzählerin: Und wer sollte sich ihrer Meinung nach um das Gelände kümmern?
Agnieszka Kowalska. Polnisch.
Darüber Erzähler: Die Konservatorin kann die Gemeinde nicht zwingen,
Ausgrabungen zu veranlassen.
Erzählerin: Auch nicht bei eindeutig historischen Spuren? Und die Gemeinde?
Agnieszka Kowalska. Polnisch.
Darüber Erzähler: … Ist an dieser Geschichte sowieso nicht sehr interessiert. Man
wollte sogar einen katholischen Friedhof auf dem Gelände anlegen.
Erzählerin: Und wer ist nun tatsächlich für die Ausgrabungen auf dem Gelände
verantwortlich?
Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Die archäologische Gesellschaft Signum.
Signum-Direktor. Polnisch.
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Darüber Erzählerin: Alexander Kwapinski von Signum bearbeitete das Gelände bis
Dezember 2017.
Signum-Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Wir kamen mit Metalldetektoren.
Erzählerin: Metalldetektoren für Schuhe?
Signum-Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Wir haben das Gelände abgesperrt, weil wir Minen aus dem
2.Weltkrieg gefunden haben, und wir mussten das Bombenräumkommando rufen.
Erzählerin: Ich war neulich an einer Stelle, wo noch immer Schuhreste im Wald
herumliegen.
Signum-Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Wir haben eingesammelt was wir konnten. Zunächst muss man
das Gras drumherum entfernen.
Erzählerin: Die Stelle, die ich gesehen habe, ist noch immer ungeschützt.
Signum-Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Wenn es stimmt, was Sie sagen, werde ich hingehen und
nachschauen. Um sicher zu stellen, dass niemand darüber stolpert. Sie müssen
bedenken, dass sie nach dem Krieg einfach in den Wald gebracht und an der
Oberfläche verstreut wurden, nicht einmal eingegraben. Und dann wurden Bäume
darüber gepflanzt.
Erzählerin: Wie kann es sein, dass sie sieben Jahrzehnte lang niemand gesehen
hat?
Signum-Direktor. Polnisch.
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Darüber Erzähler: Ich weiß es nicht. Vielleicht muss man tiefer in den Wald gehen.
Erzählerin: Und was sollte Ihrer Ansicht getan werden?
Signum-Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Sowas wie eine Bestattung. Die Überreste der Schuhe haben
emotionalen Wert, nicht nur historischen. Sie sollten definitiv nicht im Wald gelassen
werden.
Musik 1: Trupa Trupa “Wasteland”.
Erzählerin: „Sowas wie eine Bestattung“ ist es am Ende auch, was das Stutthof-
Museum plant.
O-Ton 42: 180329_003 Piotr Chruscielski. Deutsch.
Also, die Arbeiten, die Arbeiten, die archäologischen Arbeiten, sind noch nicht
abgeschlossen, und alle Schuhe, die gefunden werden, werden Schritt für Schritt
saniert, und sie werden bald in das Mahnmal verlegt.
Direktor. Polnisch.
Darüber Erzähler: Sie müssen in der Sonne getrocknet und vollständig von
organischen Resten gereinigt werden, sagt Direktor Tarnowski. Am Ende werden sie
in einem bestehenden Monument auf dem Museumsgelände „bestattet“. In einem
gewaltigen Bauwerk von 1968, dem „Denkmal des Kampfes und Martyriums “, unter
dessen Obelisk die Asche von Stutthof-Häftlingen begraben ist. Dieses Monument
der Sowjet-Ära wird jetzt, wie Tarnowski es nennt, etwas „Seele“ bekommen.
Erzählerin: Und zu diesem Zweck hat der Museumsdirektor „verschiedene
Glaubensrichtungen“ konsultiert, die ihm versichern „es wäre nicht falsch, die Schuhe
dort zu begraben“.
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Grzegorz Kwiatkowski
The idea of making something with that is great, but I think it should be visible not
invisible. … It’s almost the same that they will be in the forest in the ground.
Erzähler: Grzegorz ist froh, dass endlich beschlossen wurde, etwas zu tun, aber
diese Lösung hält er für völlig falsch. Die Fragmente müssen sichtbar bleiben. Die
Schuhfragmente unter dem Monument verschwinden zu lassen, wäre dasselbe, wie
sie dort zu vergraben, wo sie für jeden sichtbar über 70 Jahre lang gelegen haben.
Grzegorz Kwiatkowski
So its total lack of respect to the prisoners of Stutthof, to my grandfather as a prisoner
of Stutthof, to me as a person who tried to do something.
Erzähler: Das, sagt Grzegorz, lässt jeglichen Respekt vor den Gefangenen von
Stutthof vermissen, vor Menschen wie seinem Großvater, vor ihm, der sich bemüht,
etwas zu tun.
Musik
Erzählerin: „Sichtbar“ ist wirklich das Schlüsselwort der ganzen Geschichte. So oder
so haben seltsamerweise sowohl der Direktor, dessen Museum 100 m entfernt von
der Stelle steht...
Direktor. Polnisch.
Erzählerin: ... als auch der Leiter des archäologischen Teams...
Signum-Direktor.
Erzählerin: ... die übriggebliebenen Schuhfragmente weder gesehen noch je davon
gehört, bis die Medien sich dafür interessierten. Und was Piotr Chruscielski aus der
wissenschaftlichen Abteilung des Museums betrifft – der in Sztutowo aufgewachsen
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ist, hat er die Schuhe nicht gesehen, als er in den Wäldern spielte?
Piotr Chruscielski
Nein, also die Schuhe oder die anderen Artefakte wie sie zum Beispiel im Wald zu
sehen waren, das habe ich nicht gesehen. Ich hab zwar die Schuhe gesehen, die
bereits hier in der Baracke zur Schau gestellt sind, aber andere Sachen habe ich im
Wald nicht gesehen, aber das war auch eigentlich kein Thema im Dorf, ja.
Erzählerin: Sogar Danuta Drywa, die Archivarin, erklärte dem Londoner Daily
Telegraph: „Ich arbeite seit 30 Jahren hier, und keiner der Angestellten hat je von den
Gegenständen gehört, die dort in dem Wald in der Nähe des Museums liegen.“
Musik 3: Trupa Trupa „Never Forget“.
Grzegorz Kwiatkowski
They are lying because they knew about the shoes and everyone knew about the
shoes from Stutthof city and everyone knew that in this forest there are many many
shoes because they were lying not only there but in many many places because
animals were digging in the ground. So it was one big trash in this forest.
Erzähler: Jeder in Stutthof wusste von den Schuhen, erwidert Grzegorz scharf. Tiere
hatten sie zu Tage gefördert, Schatzjäger gruben sie auf der Suche nach KZ-
Devotionalien aus. Der ganze Wald sah aus wie „ein riesiger Müllhaufen“, den jeder
sehen konnte.
Grzegorz Kwiatkowski
And when we went to the Museum, they had a lot of this stuff from this trash because
they had German voluntaries from Germany, young people …with a bucket and they
were going back to the Museum with shoes, with some old stuff from the forest. So
they all knew there are a lot of these kind of things.
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Erzähler: Sogar eine Gruppe von Freiwilligen aus Deutschland kommt von Zeit zu
Zeit, um die Gegenstände des Waldes in Eimern zu sammeln und sie ins zu Museum
bringen. Jedermann weiß es.
Musik 3: Trupa Trupa „Never Forget“.
Erzähler: Aber wie lässt sich diese seltsame „Blindheit“ erklären?
Erzählerin: Vielleicht wurde das Lager vergrößert oder verkleinert – je nach Bedarf.
Der Wald war vielleicht Teil des KZ-Betriebes. Oder: Die Schuhe könnten einst auf
der Müllkippe des KZs gelegen haben. Das vermutete jedenfalls die Archivarin
Danuta Drywa in einem Interview mit der britischen Presse.
Erzähler: Aber: könnte die Frage der „Sichtbarkeit“ des Holocaust auch etwas mit der
gegenwärtigen Situation in Polen zu tun haben? Also mit dem Geschichtsverständnis
der neuen Regierung? Dass die Polen auf keinen Fall Mittäter waren? Dass sie sich
auch nicht mehr als Opfer der Geschichte begreifen sollen? Sondern vor allem als
HELDEN? Kurz: Dass sie sich um die Reste eines deutschen KZs nicht kümmern
müssen?
Erzählerin: Also: die Polen haben weder das KZ Stutthof gebaut, noch sind sie für
das Schicksal der Schuhe und deren Besitzer verantwortlich.
Erzähler: Trotzdem: Ist die Tatsache, dass die Schuhe so lange – unbeachtet – im
Wald herumlagen, nicht doch ein Zeugnis für die Leugnung historischer Fakten?
Erzählerin: Wahrscheinlicher ist, dass die Bürokraten ihre Augen nicht offen halten
und nur sehen, was sie unbedingt sehen müssen. Sie haben offenbar kein Gefühl für
Geschichte. Keine Empathie.
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Erzähler: Deshalb brauchte es einen Künstler, um die Schuhe als das zu sehen, was
sie sind: historische Artefakte. So sahen sie Historiker und Experten und
Museumsleute eben nicht.
Wald.
Erzählerin: Und Grzegorz? Ist er von seinen Schuhen besessen? Warum reibt er
sich so auf?
Grzegorz Polnisch
Darüber Erzähler: Besessen? Nein. Doch dann sagt er : Der Zweite Weltkrieg und
der Holocaust sind obsessive Themen für ihn. Als Kind hat ihn sein Großvater nach
Stutthof mitgenommen und ihm Geschichten vom Leben im KZ erzählt. Da wurde er
zum ersten Mal mit ethischen Fragen konfrontiert, auf die er bis heute keine
Antworten finden kann. Warum tun Menschen einander das an? Ist Geschichte
wiederholbar? Ist das wirkich die menschliche Natur? Fragen, denen er als Dichter,
als Musiker, nachgeht.
Musik TRUPA, TRUPA/ Wald.
Erzähler: Es ist nicht die Art von Obsession, die einem den Schlaf raubt. Er denkt
nicht nur an die Schuhe. Aber Genozid – früher wie heute – beschäftigt ihn sehr. Er
ist froh, dass wir jetzt darüber sprechen, und er hofft, dass diese Schuhe, Dank seiner
Bemühungen, die Behandlung erfahren, die ihnen gebührt. Menschenrechte waren
immer schon wichtig für ihn. Er gehört zu der Nachkriegsgeneration, die das alles
nicht vergessen, aber ohne Sentimentalität betrachten will.
Grzegorz Kwiatkowski liest das Gedicht “Dekret” auf Polnisch. Erzähler liest es
auf Deutsch.
DEKRET
auf zurede tausender bürger
erliess der präsident des staates S.
ein dekret
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das den tod für nichtig erklärte
von einem tag auf den anderen wurden friedhöfe
zu grünenden parks
und hospize und krankenhäuser
zu kindergärten
auf dem marktplatz
einer stadt des staates S.
betrachten wir
die gesichter der einwohner:
man erkennt weder angst
noch die spuren schlafloser nächte
auf eine mauer in der nähe
hat jemand geschrieben:
sonnenuntergänge sind keine gefahr
Lesung Brief: O.D. Kulka.
„Sehr geehrter Herr Mairowitz,
ich danke Ihnen für die Einladung, an einem Gespräch für das
Dokumentarprogramm des Deutschlandfunks teilzunehmen. Zu meinem Bedauern
muss ich aus Gesundheitsgründen ablehnen.“
Erzähler: Wir hatten gehofft, mit Professor Kulka aus Tel Aviv über die Stutthof-
Schuhe sprechen zu können, darüber, was er 1992 sah. In seinem Brief schreibt er
uns, was wir seiner Meinung nach nicht genug gewürdigt haben:
Lesung Brief: O.D. Kulka.
„Nämlich, dass die Schuhe, die von Auschwitz nach Stutthof geschickt wurden, den
Tausenden von Juden gehörten, die in der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“
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der Nazis in den Gaskammern ermordet wurden.“
Erzähler: Die ganze Stutthof-Geschichte ist voller Grauzonen. Es ist schwer
irgendwen zu finden, der mit irgendjemandem übereinstimmt.
Doch etwas anderes ist historisch verbürgt …
Lesung Brief: O.D. Kulka.
„Das Lager der jüdischen Frauen befand sich dort, wo sich heute nur noch ein
verwilderter Wald mit Sümpfen und umgestürzten Bäumen befindet, und keinerlei
Gedenkstätte. Die Haufen toter Jüdinnen wurden an Ort und Stelle in großen Gruben
verbrannt, die heute ebenfalls vom verwilderten Wald überwuchert sind.“
Musik 3: Trupa Trupa „Never Forget“.
Lesung Brief: O.D. Kulka.
„Dies muss meiner Ansicht nach in dem deutschen Radio deutlich gesagt werden.“
Hochachtungsvoll, Otto Dov Kulka“
Musik 3: Trupa Trupa „Never Forget“.
Grzegorz Kwiatkowski
Yeah, for me it’s kind of a … it sounds silly … but it’s: never forget. We shouldn’t
forget about this stuff, you can’t forget about it for the future generations. We should
say about it as much as we can, that it was a fact and it happened. Many people want
to change history. And I think these kind of shoes, this kind of artifacts, this is the old
truth. So we have to secure these artifacts from the Holocaust because it will not be
so easy to say it didn’t happen. It’s kind of an anti-war statement, pacifist statement,
but also a “never forget” statement.
Erzähler: Für Grzegorz Kwiatkowski kann es nicht um „historischen Abfall“ gehen.
Während rechtsextreme Gruppen in Deutschland wie in Polen versuchen, die
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Geschichte umzudeuten oder zu leugnen, stehen diese Schuhe für die „alte
Wahrheit“. Sie sind Beweis gegen jene, die sagen: einen Holocaust hat es nicht
gegeben.
Musik 3: Trupa Trupa „Never Forget“.
Lesung: Aus dem Buch Landschaften der Metropole des Todes. Auschwitz und
die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft.
„Aus der Industrie, die später die Schuhe in alle Teile des Reiches versandte, blieben
diese Lederstreifen zurück, übersäten das ganze riesige Gelände des Lagers, das,
sich so beeindruckend gepflegt darbot in Form eines weitläufigen Rasens und den
rechteckigen Erinnerungsmalen aus weißem Stein. Hier nun, war eine weitere
überraschende Verbindung zwischen der Metropole Auschwitz und ihrer
Satellitenstadt Stutthof: Nicht nur Menschen wurden von dem unabänderlichen
Gesetz eingeholt, obwohl sie den Ort bereits verlassen hatten, sondern auch die
Schuhe der Ermordeten, derer, die vernichtet worden waren, begleiteten sie hierher.“
Absage
Die unbegrabenen Schuhe von Stutthof
Sie hörten ein Feature von Malgorzata Zerwe und David Zane Mairowitz
Es sprachen: Monika Oschek, Stefan Kaminski und Felix von Manteuffel
Ton: Michael Kube
Musik: Trupa, Trupa
Die Nachdichtung der Texte von Gerzegorz Kwiarkowski besorgte Bernhard