Fachbereich 01 Rechtswissenschaften Seminar WS 2012/2013 Fußball und Recht: Oder das Runde muss ins Eckige Zuschauerverhalten und Verbandsautonomie Probeseminararbeit bei Prof. Dr. Monika Böhm, RA Prof. Dr. Ulrich Ellinghaus, RA Christian Frodl Stud. Iur. Svenja Steinitz Sölzerhöfe 3c 36251 Bad Hersfeld [email protected]Matrikel-Nr.: 2238381
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Fachbereich 01 Rechtswissenschaften Seminar WS …sportrecht.org/cms/upload/11sonderprobleme/05/...Dissertation Berlin 2012 Kugelmann, Dieter Polizei- und Ordnungsrecht, 1. Auflage
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Fachbereich 01 Rechtswissenschaften
Seminar WS 2012/2013
Fußball und Recht: Oder das Runde muss ins Eckige
Zuschauerverhalten und Verbandsautonomie
Probeseminararbeit bei Prof. Dr. Monika Böhm,
RA Prof. Dr. Ulrich Ellinghaus, RA Christian Frodl
standards-fuer-die-sicherheit-11906109.html (abgerufen am 24.10.2012).
2 Aufgrund der aktuellen Stadionsituation sieht sich mittlerweile auch der
Staat gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen. So verhängte etwa die
Polizei nach wiederholten heftigen Auseinandersetzungen zwischen
Vereinsanhängern und Polizei während der FC St. Pauli-Spiele ein
Verbot gegen das von der DFL vorgesehene Kartenkontingent für den
Gastverein5 (hier Hansa Rostock). Das OVG Hamburg gibt der Polizei
Recht und hält das polizeiliche Verbot für zulässig und begründet.6 Liga-
Präsident Reinhard Rauball kritisierte: "Das Urteil stellt einen massiven
Eingriff in die Selbstverwaltung des Ligaverbandes dar."7
Welche Maßnahmen anhand der Autonomie der Verbände überhaupt bei
Zuschauerausschreitungen möglich sind soll vorliegend geklärt werden.
Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob der Verband dem Verein
Regelungen bzw. Sanktionen wegen Zuschauerverhaltens auferlegen
kann sowie die Möglichkeit einer verschuldensunabhängigen Haftung der
Vereine für ihre Zuschauer („strict liability“). Abschließend sollen in
Hinsicht auf das polizeilich verhängte Kartenvergabeverbot die
Möglichkeit öffentlich-rechtlicher Maßnahmen bei
Zuschauerausschreitungen erläutert und daran auch die Grenzen der
Verbandsautonomie aufgezeigt werden.
B) Hauptteil
I. Verantwortlichkeit des Vereins für das Verhalten der
Zuschauer
Konkret Beteiligte im Fall von Zuschauerausschreitungen sind die
Zuschauer selbst, indem sie entweder Gegenstände auf das Spielfeld
werfen, bengalische Feuer zünden oder Gewalt inner- oder außerhalb des
Stadions ausüben. Somit kommen in erster Linie die Zuschauer als
Adressaten von Maßnahmen gegen gewalttätige Ausschreitungen in
Betracht. Darüber hinaus besteht jedoch die Möglichkeit der
Inanspruchnahme des Vereins, der das Spiel ausgetragen hat. Es ist
nachfolgend zu klären, wer als Adressat verbandsrechtlicher
Maßnahmen in Frage kommt, für wen also ein verbandsrechtliches
Regelwerk verbindlich sein kann.
5 Abschnitt III, § 3 Nr. 4 Spielordnung DFL. 6 OVG Hamburg, NJW 2012, 1975. 7 Beschwerde angekündigt: FC St. Pauli will gegen Ticketverbot für Hansa Rostock
vorgehen. In: Legal Tribune ONLINE, 04.04.2012, http://www.lto.de/persistant/a_id/5943/ (abgerufen am 18.10.2012).
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1. Verbandsrechtliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern
a) Maßnahme gegen Zuschauer aufgrund unmittelbarer
Satzungswirkung
Der Zuständigkeitsbereich der Verbandsgerichtsbarkeit ergibt sich
unmittelbar aus dessen Satzung.8 Aus diesem Grund kommt in erster
Linie eine Bindungswirkung des Zuschauers an die Verbandsmaßnahme
anhand Verbindlichkeit der Verbandssatzung in Betracht.
Eine unmittelbare Wirkung der Verbandssatzung entfaltet sich
grundsätzlich nur gegenüber (unmittelbaren) Mitgliedern.9 Der
Zuschauer fungiert jedoch bei einer Sportveranstaltung eher als
Außenstehender. Eine Mitgliedschaft beim Verband kann sich daraus
noch nicht herleiten lassen und somit auch keine direkte
Bindungswirkung des Verbandregelwerks10.
b) Haftung des Zuschauers durch Vertrag
Neben einer mitgliedschaftlichen Unterwerfung an ein
Verbandsregelwerk kommt eine vertragliche Bindungswirkung in
Betracht. Der Zuschauer schließt beim Lösen seiner Eintrittskarte
tatsächlich regelmäßig einen Stadionbesuchsvertrag (oder
Zuschauervertrag) mit dem Veranstalter, der dem Zuschauer unter
anderem das Recht zur Nutzung der Sportanlage gibt und Schutzpflichten
des Veranstalters gegenüber dem Zuschauer begründet. Dieser Vertrag
stellt jedoch keine vertragliche Beziehung zwischen Verband und
Zuschauer her, bei der der Zuschauer etwa das Verbandsregelwerk
anerkennt.11 Tatsächlich kommt es bei Verletzung des Zuschauervertrags
sogar zu Schadensersatzansprüchen des Zuschauers gegen den
Veranstalter.12
Darüber hinaus würde eine solche Unterwerfung insbesondere dem Sinn
und Zweck einer Verbandsmaßnahme widersprechen, nämlich der
Schaffung gleicher Wettkampfbedingungen für den Sportler. Bei der
8 Stöber/Otto, Vereinsrecht, Rn 37. 9 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 153. 10 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 24. 11
Dippel, Haftung für Rassismus, S.160; Fritzweiler, PHB, 3. Teil Rn 158; Weller, Die Haftung von Fußballvereinen für Randale und Rassismus, NJW 2007, 960 ff.
12 Weller, NJW 2007, 960, 964.
4 Verbandsmaßnahme geht es um die Ahndung und Sanktionierung
verbandsrechtlicher Verhaltenspflichten. Bei einem Zuschauer ergibt sich
ein Bedürfnis zur verbandsrechtlichen Sanktionsgewalt nach diesem Sinn
und Zweck nicht, da er nicht am Wettkampf teilnimmt und sich keiner
verbandsrechtlichen Verhaltenspflicht zu unterstellen braucht.
2. Bindung des Vereins an das Verbandsregelwerk
Auch gegenüber Vereinen kommt eine verbandsrechtliche Maßnahme in
erster Linie durch Mitgliedschaft in Betracht. Ob der Bundesligaverein
Mitglied des übergeordneten Verbandes ist (hier DFB), lässt sich anhand
der besonderen Organisationsstruktur des Sportrechts untersuchen.
a) Organisationsstruktur im Sportrecht
Um das Organisationsgefüge und die Mitgliedsverhältnisse zu klären,
gilt im Sport eine relativ strikte Normpyramide, die von der Vereinsbasis
bis zum internationalen Spitzenverband reicht. Der Sportler selbst steht
dabei auf unterster Stufe und ist meist unmittelbares Mitglied im
Sportverein. Der Sportverein wiederum gehört einem Regionalverband
an, der Regionalverband einem nationalen Fachverband (z.B. dem DFB),
dieser schließlich einem internationalen Fachverband, wie beispielsweise
der FIFA.13 Dabei gilt das sogenannte „Ein-Platz-Prinzip“, welches die
jeweilige Monopolstellung der Verbände sicherstellt. Genauer handelt es
sich dabei um die Regelung, dass es pro Region, vom Bezirk über den
nationalen bis zum internationalen Fachverband, nur einen autorisierten
Verband geben kann.14
b) Mitgliedschaftsverhältnis
Aus der aufgezeigten Organisationsstruktur ergibt sich, dass der Verein,
den die Verbandsmaßnahme treffen soll, kein unmittelbares Mitglied des
erlassenden Verbands (z.B. des DFB), sondern lediglich des jeweiligen
regionalen Sportverbands ist. Dies machen auch die Satzungsregelungen
des DFB deutlich: Gemäß § 7 Nr. 2 DFB-Satzung sind dessen 21 Landes-
und fünf Regionalverbände sowie der Ligaverband unmittelbare
13 Haas, SportR, B 1. Kapitel Rn 49; Rössner/Adolphsen, Sportrecht in der Praxis, Rn 9. 14 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 108.
5 Mitglieder des DFB. Die Vereine der 1. und 2. Bundesliga hingegen sind
Mitglieder des Ligaverbandes (Deutsche Fußball Liga), § 7 Satzung
DFL. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass zwischen Bundesligaverein
und Verband lediglich eine mittelbare Mitgliedschaft besteht. Die
(inter-)nationalen Verbandsregeln üben daher zunächst keine
unmittelbare Wirkung auf die Bundesligavereine aus.
c) Geltung des Verbandsrechts gegenüber mittelbaren Mitgliedern
aa) Korporationsrechtliche Lösung
Die Satzungsbestimmungen des DFB bzw. des übergeordneten Verbands
können trotz fehlender unmittelbarer Mitgliedschaft für die
Bundesligavereine (als mittelbare Mitglieder) Geltung erlangen, wenn
der Verein vom Erlass einer eigenen Ordnung absieht und stattdessen die
Verbandsregelungen lückenlos in der Vereinssatzung verankert.15 Dies
geschieht, indem der Verein in der eigenen Satzung die Regeln und
Bestimmungen des übergeordneten Verbandes für unmittelbar
verbindlich erklärt (statische Verweisung).16 Dabei spricht es gegen die
freie Willensbildung im Rahmen der Vereinsautonomie, die jeweils
gültige Satzung des Verbands einschließlich sämtlicher Änderungen
automatisch und „in der jeweils gültigen Fassung“ zu übernehmen
(dynamische Verweisung).17
bb) Individualrechtliche Lösung
Eine weitere Möglichkeit der Geltendmachung des Verbandsrechts
gegenüber mittelbaren Mitgliedern besteht durch vertragliche
Unterwerfung. Es handelt sich dabei um einen Regelanerkennungs- oder
Unterwerfungsvertrag, durch den Dritte die Regelwerke des Verbandes
für sich akzeptieren.18
Im professionellen Fußball wird diese Art der Bindungswirkung häufig
neben der korporationsrechtlichen Lösung mithilfe von Zulassungs- oder
Lizenzverträgen wahrgenommen, bei denen sich der Verein nur für die
Teilnahme an einem bestimmten Wettbewerb oder in einer bestimmten
Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 15. 37 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 8; Stöber/Otto, Vereinsrecht, Rn 979. 38 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 166. 39 Gewalt in Fußball-Stadien: Fan-Anwälte bezeichnen Sicherheitspapier als
rechtswidrig. In: Spiegel Online vom 23.10.2012, http://www.spiegel.de/sport/fussball/sicherheitspapier-fuer-fan-anwaelte-
rechtswidrig-dfl-widerspricht-a-863000.html (abgerufen am 24.10.2012). 40 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 173,174; Haas/Martens,
Sportrecht, S. 77ff.
11 Weiterhin unterliegt der Sportverband den Schranken des § 242 BGB,
wonach eine vom Verband gesetzte Norm keine unangemessene
Beeinträchtigung der Interessen seiner Mitglieder darstellen darf. Zur
Überprüfung der Einhaltung der Mitgliederinteressen in der
verbandsrechtlichen Regel bedarf es schließlich der gerichtlichen
Inhaltskontrolle.41
b) Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze
Die Festlegung des verbandsautonomen Regelwerks obliegt darüber
hinaus der Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze.42 Dabei stellt sich
insbesondere die Frage, wie diese Grundsätze ihren Weg in das private
Verbandsrecht finden.
aa) Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes
Der aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleitete Bestimmtheitsgrundsatz ist auch
für die Normgebung der Verbände verbindlich, weshalb die
Verbandsregelung und insbesondere Sanktionstatbestände hinreichend
bestimmt sein müssen. Es muss für jedes Mitglied klar erkennbar sein, ob
ein bestimmtes Verhalten sanktioniert wird und welche Sanktion (etwa
eine bloße Verwarnung, Geldstrafe, Platzverbot oder gar ein Ausschluss)
für das Fehlverhalten verhängt werden kann.43
bb) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Das von DFL und DFB entwickelte Sicherheitskonzept wird nicht von
jedem Verein gut aufgenommen. Einige Vereine erheben gegen die im
Sicherheitskonzept enthaltenen Maßnahmen den Einwand der
Unverhältnismäßigkeit.
Eine vorbehaltlose Übernahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in
das Privatrecht ist jedoch aufgrund der Geltung der Privatautonomie
nicht angebracht. Dennoch hat das Prinzip der verhältnismäßigen
Handlungsweise auch im Privatrecht eine korrigierende Funktion
eingenommen. Dies wird insbesondere in § 138 BGB oder § 353
Abs. 1 BGB, dem Schutz vor dem Missbrauch einer Machtposition,
deutlich. Diese Schutzfunktion soll vor allem dann gelten, wenn ein 41 Haas, SportR, B., 2. Kapitel, Rn 41; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn
3055ff. 42 Adolphsen/Hoefer/Nolte, Sportrecht in der Praxis, Rn 166; Thumm, in:
Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 15. 43 Summerer, PHB, 2. Teil Rn 253.
12 privates Rechtssubjekt zur Reaktion auf Fehlverhalten z.B. durch
Sanktionierung berechtigt ist.44 Zwar ist die Verbandssanktion nicht als
Vertragsstrafe im Sinne des § 343 BGB anzusehen (s.o.), doch besteht
auch bei den Verbänden durch die Rechtsetzungsbefugnis und das Ein-
Platz-Prinzip (es besteht pro Sportart nur ein Spitzenverband) eine
Monopolstellung der Verbände. Hierdurch wird eine deutliche
Machtposition der Verbände gegenüber den Mitgliedern begründet.45
Die Situation im Verbandsrecht ist somit mit der im öffentlichen Recht
vergleichbar und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im
Sportverbandsrecht anwendbar.46
c) Grundrechte der Normgebundenen
Maßstab für eine Interessenabwägung der Belange von Verband und
Mitglied sollen vor allem das Grundgesetz und die darin enthaltenen
18 regelmäßig nur die Berufsausübungsfreiheit der Vereine berühren.72 Ein
Eingriff in die Berufsausübung unterliegt dabei geringeren Schranken als
ein Eingriff in die Berufswahl und ist dann zulässig, wenn „vernünftige
Erwägungen des Gemeinwohls (hier: des Verbandswohls) es
zweckmäßig erscheinen lassen“.73
Eine Bekämpfung von Zuschauerausschreitungen entspricht dabei dem
Verbandswohl und lässt einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der
Vereine als zweckmäßig erscheinen. In der Satzungspräambel nennt der
DFB als eines seiner primären Ziele: „Der DFB handelt in sozialer und
gesellschaftspolitischer Verantwortung und fühlt sich in hohem Maße
dem Gedanken des Fair Play verbunden“. Primäre Satzungszwecke, also
das Fair Play und die Bekämpfung von Gewalt, sehen sich dabei durch
Zuschauerausschreitungen zunehmend in Bedrängnis. Ein geregelter
Spielablauf ist häufig nicht mehr möglich, wenn entweder Gegenstände
auf das Spielfeld geschleudert werden oder gar Zuschauer das Feld
stürmen. Weiterhin nimmt die Gewalt im Stadion und mittlerweile auch
außerhalb des Veranstaltungsorts immer weiter zu. Zum Schutz des
fairen Wettkampfes und des Sports im Allgemeinen ist es sinnvoll, dem
Verband die Möglichkeit zuzuschreiben, Regelungen für die
verschuldensunabhängige Verantwortlichkeit der Vereine für ihre
Anhänger zu begründen. Sanktionen der Verbände wie Geldstrafe,
Ausschluss der Öffentlichkeit oder die Aberkennung von Punkten zur
Verfolgung der satzungsmäßigen Ziele betreffen lediglich das „Wie“ der
beruflichen Tätigkeit der Vereine und sind grundsätzlich von geringerer
Intensität.74 In wirtschaftlicher Hinsicht hat der Verein dann sogar noch
die Möglichkeit, zivilrechtliche Regressforderungen gegenüber den
konkreten Tätern geltend zu machen.75 Zusammenfassend lässt sich
damit sagen, dass das Prinzip der „strict-liability“ in § 9 a DFB-RVO
einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält,76 solange es bei einer
Zurechnung des Fehlverhaltens seiner Zuschauer bleibt und kein
Unwerturteil ausgesprochen werden soll.
72 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 169 ff. 73 BVerfGE 7, 377, 378. 74 Vgl. Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 167 ff. 75 OLG Rostock, NJW 2006, 1819, 1820. 76 Ausführlich dazu siehe: Haslinger, Zuschauerausschreitungen S. 155-176.
19 dd) Keine Unbilligkeit der strict-liability am Maßstab nationaler
Haftungsgrundsätze
Das DFB- Sportgericht hält aufgrund der grundgesetzlich
zugeschriebenen Verbandsautonomie eine vergleichbare Parallelnorm zur
verschuldensunabhängigen Haftung auf nationaler Ebene für unnötig.77
Dennoch wäre auf nationaler Ebene eine verschuldensunabhängige
(Kausal-) Haftung der Vereine leichter zu begründen, wenn allgemeine
nationale Vorschriften bei ähnlicher Interessenlage vergleichbare
Haftungsmaßstäbe vorsehen würden. Es sind daher die unterschiedlichen
Haftungsmaßstäbe in den einzelnen Rechtsgebieten zu beleuchten.
(1) Anlehnung an die Unschuldsvermutung
Vorherrschender Grundsatz im Strafverfahren ist die
Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung besagt, dass der einer
Straftat Beschuldigte solange als unschuldig gilt, bis ein gegenteiliger
Beweis erbracht wird. Im Strafrecht hat also der Staat die Pflicht, dem
Beschuldigten seine Schuld nachzuweisen.78 Durch die
Haftungsvermutung der strict liability wird jedoch eine
Beweislastumkehr etabliert, die sich von der Unschuldsvermutung
anhand einer Pflicht zum Nachweis eines schuldhaften Verhaltens
loslöst.
Im verbandsrechtlichen Verfahren muss der Verein also bei einer strict-
liability-Regelung darlegen, dass ihn die vermutete Schuld nicht trifft
und diese Vermutung durch Mitwirkung im Verfahren beseitigen.79
Im Ergebnis ist die Unschuldsvermutung des Strafrechts auf ein
Verfahren gegen den Verein wegen Zuschauerausschreitungen nicht
anwendbar. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die
Sportgerichtsbarkeit als Ausfluss der Privatautonomie ihren Ursprung
sowie ihre Legitimation im Zivilrecht hat und dem staatlichen
Strafverfahren nicht gleich steht.80 Damit findet auch das Verbot einer
Mitwirkungspflicht aus dem Strafrecht hier keine Anwendung.
77 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 203. 78 HK-Strafrecht/ Dölling, II vor § 1 Rn 19. 79 Kolbe, Strafprozessuale Aspekte der strafrechtlichen Dopingverfolgung, S. 111. 80 Eufe, Unschuldsvermutung im Dopingverfahren, S. 12; Mertens, SpuRt 2006, 177, 179.
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(2) Anlehnung an zivilrechtliche Haftungsgrundsätze
Vielmehr heranzuziehen sind die Grundsätze des Zivilrechts. Hier
herrscht im deutschen Recht für eine Schadensersatzpflicht des
Schuldners das Verschuldensprinzip, welches insbesondere in
§ 276 Abs. 1 BGB verankert wurde. Danach haftet der Schuldner nur für
eigenes Verschulden in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit.81
Die verschuldensunabhängige Haftung im Sportrecht könnte durch die
Übertragung der Grundsätze der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung
begründet werden. Die zivilrechtliche Gefährdungshaftung beruht auf
dem Gedanken, dass derjenige, der eine abstrakte Gefahr eröffnet, auch
ohne Verschuldensnachweis für daraus resultierende Schäden haften soll
(etwa der Betrieb eines Kfz in §§ 7 ff. StVG). Es bedarf hierbei jedoch
immer einer gesetzlichen Grundlage (Enumerationsprinzip), es existiert
also keine allgemeine Gefährdungshaftung. Die Haftungsvermutung ist
im deutschen Zivilrecht demnach nur einzelnen Ausnahmetatbeständen
zu entnehmen.82
Auch bei der Ausrichtung von Sportveranstaltungen insbesondere im
Fußball wird mittlerweile eine erhöhte Gefahrensituation für Zuschauer,
Sportler und Ordner geschaffen (s.o.). Indem bei Sportveranstaltungen
durch die Eröffnung eines Stadions für große Zuschauerzahlen eine
abstrakte Gefahrenquelle geschaffen wird, könnte diese Situation mit der
Ausgangsüberlegung der Gefährdungshaftung vergleichbar sein und die
Eröffnung einer Gefahrenquelle dem Verein zugerechnet werden. Auf
Grundlage der Verbandsautonomie wäre es den Verbänden dann in den
oben genannten Grenzen möglich, eine eigene Gefährdungshaftung zu
präventiven Zwecken in ihren Verbandsregelwerken zu statuieren.83
Gegen diese Rechtfertigung der verbandsrechtlichen Kausalhaftung
spricht jedoch der beschriebene sehr eng gesteckte Anwendungsbereich
der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung.84
Weiterhin ist nach dem Sinn und Zweck des Prinzips der
Gefährdungshaftung für Sportveranstaltungen deren Veranstalter als
Verantwortlicher heranzuziehen, indem dieser erst die Gefahrenquelle
81 Palandt/ Grüneberg, BGB, § 276 Rn 3. 82 Palandt/ Sprau, BGB, vor § 823 Rn 6. 83 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 186 ff. 84 Hilpert, Fußballstrafrecht, § 9 a RuVO Rn 84; ders., Sportrecht und Sportrechtsprechung S. 103.
21 eröffnet. Dies ist aber in der Regel nicht der Verein, sondern vielmehr
der Verband. Die Verbände sehen sich zumindest als Mitveranstalter und
geben den Rahmen und die Voraussetzungen für den Spielbetrieb vor.
Eine Eröffnung der Gefahrenquelle wäre also nicht dem Verein, sondern
dem Verband zuzurechnen. Es wäre dann wenig vertretbar, das Risiko
der Sportveranstaltung den nicht unmittelbar verantwortlichen Vereinen
zuzurechnen.85 Damit kann im Ergebnis eine strict-liability-Regelung
nicht an die zivilrechtliche Gefährdungshaftung angelehnt werden.
Herangezogen werden könnte jedoch der Haftungsmaßstab des
Beseitigungsanspruches aus § 1004 Abs. 1 BGB. Im Rahmen dieses
zivilrechtlichen Beseitigungsanspruches ist ein Störer für die Beseitigung
einer Störung des Eigentums eines anderen verpflichtet, ohne ein
Verschuldenserfordernis.
Parallelen zwischen den Haftungsgrundsätzen sind zunächst darin zu
sehen, dass in beiden Konstellationen eine erhebliche Störung durch
einen Dritten auf eine vorhandene Rechtsposition ausgeübt wird. Zwar ist
der Fußballverband nicht unmittelbarer Anspruchsinhaber, denn dies ist
im Falle des § 1004 Abs. 1 BGB grundsätzlich der Eigentümer des
beeinträchtigten Grundstücks, in diesem Falle also des betroffenen
Stadions. Doch muss es aufgrund der Vergleichbarkeit der
verbandsrechtlichen Kausalhaftung mit dem zivilrechtlichen
Beseitigungsanspruches auch möglich sein, dass sich der Fußballverband
auf eine ähnliche absolute Rechtsposition wie das Eigentum berufen
kann. Diese Rechtsposition liegt für Sportverbände als
Wettbewerbsveranstalter in deren Veranstalterrecht, welches gleichzeitig
wirtschaftliche Grundlage sowie Gründungszweck des Verbandes
darstellt und dem Wesen des zivilrechtlichen Eigentums (§ 903 BGB)
sehr ähnelt.86
Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass es sich bei der Haftung für
Zuschauerausschreitungen ohne Verschuldenszurechnung lediglich um
Maßnahmen zu präventiven Zwecken ohne Unwerturteil handelt, die
lediglich das Ziel der Wettbewerbsgerechtigkeit verfolgen. Nicht
ausgedrückt werden darf jedoch irgendeine Form der Missbilligung.87
85 Thumm, in: Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 23. 86 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 191 ff. 87 Thumm, in: Verantwortlichkeit und Haftung im Sport, S. 23.
22 Zweck der Sanktion bei Zuschauerausschreitungen ist immer auch die
Beseitigung der Störung der sozialen Ordnung, selbst wenn dabei
gleichzeitig eine Sühnefunktion erfüllt werden soll.88 Letztlich ist auf die
konkrete Verbandsmaßnahme abzustellen, wobei jedoch bereits
festgestellt wurde,89 dass eine Haftung der Vereine für ein
Zuschauerverhalten eben keine Strafe für ein Fehlverhalten der
Zuschauer sein soll, sondern Verantwortung.
Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass auch auf nationaler
Ebene vergleichbare Haftungsgrundsätze zu einer
verschuldensunabhängigen Kausalhaftung in § 1004 Abs. 1 BGB zu
finden sind, die eine Gültigkeit der strict liability zusätzlich
unterstreichen. Auch das DFB-Sportgericht bestätigt, dass sich
§ 9 a DFB-RVO an Gesichtspunkten und Tatbeständen des Zivilrechts
wie Gefahrveranlassung oder Gefahrbeherrschung orientiert.90
Ergebnis: Unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze sowie
der Grundrechte geben Art. 9 Abs. 1 GG, § 25 BGB und auch
Art. 11 EMRK einem Verband das Recht, sich infolge seiner
Selbstorganisation eine eigene innere Ordnung zu geben und damit
einhergehend verbindliche Regelungen aufzustellen. Aus dieser
Verbandsautonomie leitet sich auch das Recht zur Sanktionierung sowie
einer eigenen Verbandsgerichtsbarkeit ab, das dem Verband erlaubt,
einen Verein wegen Fehlverhaltens seiner Anhänger
verschuldensunabhängig zur Verantwortung zu ziehen.
III. Spannungsverhältnis zwischen Verband und Staat bei
Zuschauerausschreitungen
In seinem Beschluss vom 13.04.2012 hält das OVG Hamburg die
Verhängung eines Kartenabgabeverbots durch die Polizei für zulässig.
Die Verbände sehen darin einen massiven Eingriff in ihr Recht auf
Selbstverwaltung, indem die Polizei hier in die verbandsrechtlich
vorgesehene Abgabe von Eintrittskarten an den Gastverein (vgl.
§ 3 Abs. 4 Spielordnung DFL) eingreift.
88 Haslinger, Zuschauerausschreitungen, S. 196. 89 Siehe II. 5. b) aa). 90 DFB-Sportgericht, SpuRt 2013, 200, 203.
23 Anhand der Entscheidung des OVG soll aufgezeigt werden, welche
öffentlich-rechtliche Maßnahme bei Zuschauerausschreitungen möglich
sein kann. Weiterhin ist zu erläutern, ob darin möglicherweise ein
Einschnitt in die verbandsrechtliche Selbstverwaltung vorliegt oder ein
derartiger staatlicher Eingriff unter bestimmten Umständen vom Verband
hinzunehmen ist.
1. Polizeiliche Maßnahmen bei Zuschauerausschreitungen
Die Durchführung eines Fußballspiels ist immer zugleich Magnet großer
Menschenmassen. Die Gewaltbereitschaft vieler Zuschauer kann dabei
auch Maßnahmen der Ordnungsbehörden, insbesondere der Polizei, zur
Gefahrenabwehr erforderlich werden lassen. Ziel und Kern des Polizei-
und Ordnungsrecht ist die Gefahrenabwehr, also Gefahren für
Rechtsgüter abzuwehren und Störungen zu beseitigen, um den Eintritt
von weiteren oder neuen Schäden zu verhindern.91 Gesetzlich
aufgenommen wurde diese Befugnis in § 11 HSOG,92 wonach die
Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden die erforderlichen Maßnahmen
treffen können, um eine bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung abzuwehren.
a) Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei
Zuschauerausschreitungen
Gemäß § 11 HSOG ist damit zunächst festzustellen, ob im Hinblick auf
Zuschauerausschreitungen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung besteht bzw. bestehen kann.
Grundsätzlich liegt eine Gefahr vor, wenn eine Sachlage oder ein
Verhalten bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut
schädigen wird.93
Eine Gefahr im Falle von Zuschauerausschreitungen kann jedenfalls
dann angenommen werden, wenn es sich um ein sogenanntes
„Hochrisikospiel“ handelt, also eine Begegnung von Vereinen, bei der
91 Kugelmann, POR, 2. Kapitel Rn 11. 92 Weil das Polizei- und Ordnungsrecht gemäß Art. 70 GG Ländersache ist, beziehe
ich mich in dieser Arbeit auf das Hessische Polizeirecht, HSOG. 93 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 4 Rn 2.
24 schon in den vergangenen Jahren wiederholt gewaltsame
Auseinandersetzungen stattfanden.94
b) Verein als verhaltensverantwortlicher Adressat der polizeilichen
Maßnahme
Das VG Hamburg zog bereits in Erwägung, dass der Verein bei
Zuschauerausschreitungen als Verhaltensverantwortlicher gemäß
§ 6 Abs. 1 HSOG (§ 8 Abs. 1 HbgSOG) als Adressat
gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen in Betracht kommt.
Verhaltensverantwortlicher ist, wer durch sein hinzukommendes
Verhalten die entscheidende Grenze überschreitet und so die Gefahr
unmittelbar begründet.95
Das VG Hamburg führte hierzu aus, dass bereits bei der Ausrichtung
einer kommerziellen Großveranstaltung eine
Verfahrensverantwortlichkeit der Vereine begründet werden kann, indem
sie durch Abgabe von Karten für das Fußballspiel an ihre Anhänger ein
vorhersehbares Sonderrisiko schaffen, ohne sicherstellen zu können,
dieses zu beherrschen. Das OVG lässt diese Frage offen, äußert jedoch
bereits Bedenken gegen diese Annahme. Eine Verhaltensstörerhaftung
könnte zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der
verschiedenen polizeirechtlichen Störerbegriffe führen. Bei einer
Großveranstaltung ist es kaum möglich auseinanderzuhalten, welche
Personen für eine Störung verantwortlich sind, das heißt, ob sie sich
mittels Abgabe von Eintrittskarten, freiem Eintritt oder wegen bloßer
Attraktivität der Veranstaltung in der Nähe der Veranstaltung befinden.96
c) Verein als Nichtstörer-Adressat der polizeilichen Maßnahme
Ausnahmsweise kann die Polizei auch gegen Personen vorgehen, denen
eine Gefahr nicht zurechenbar ist, wie etwa den Verein für das
Fehlverhalten seiner Anhänger. Es kommt dann in Betracht, den Verein
als Nichtstörer im Sinne von § 9 Abs. 1 HSOG polizeirechtlich in