SWR2 ESSAY EWIG LEBEN – WIE, WER UND WOZU? ÜBERMENSCHLICHES UND ALLZUMENSCHLICHES IM AKTUELLEN TRANSHUMANISMUS VON JOHANNES ULLMAIER SENDUNG /// 30.12.2013 /// 22.03 UHR Redaktion Künstlerisches Wort /// Literatur /// Stephan Krass Übernahme BR vom 15.08.2013 Regie: Barbara Schäfer __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________
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EWIG LEBEN WIE, WER UND WOZU? ÜBERMENSCHLICHES …659852/1vq4vc8/swr2-essay-20131230.pdf · SWR2 ESSAY EWIG LEBEN ... Drittens schließlich: die flächendeckende Durchsetzung der
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SWR2 ESSAY EWIG LEBEN – WIE, WER UND WOZU?
ÜBERMENSCHLICHES UND ALLZUMENSCHLICHES IM AKTUELLEN TRANSHUMANISMUS
VON JOHANNES ULLMAIER SENDUNG /// 30.12.2013 /// 22.03 UHR Redaktion Künstlerisches Wort /// Literatur /// Stephan Krass Übernahme BR vom 15.08.2013 Regie: Barbara Schäfer __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung
und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Und Systeme, die auch komplexere Organe ersetzen können, wie etwa das Herz,
werden gerade eingeführt. In dem Maße, wie wir die Funktionsweise des
menschlichen Körpers und des Gehirns verstehen, werden wir bald in der Lage sein,
15
unvergleichlich überlegene Systeme zu entwerfen, Systeme, die länger und besser
funktionieren werden, ohne Ausfalls- oder Krankheitsrisiko, und ohne Altern.13
U: Funktioniert das? Sicher, zunehmend. Bis hin zum Paradox des Sports, wo die
Paralympiker die Olympiker in immer mehr Disziplinen hinter sich lassen, so dass
man sich zunehmend entscheiden müssen wird, was einen eigentlich interessiert: die
objektiv besten Leistungen? Oder die Paralympics der besten menschlichen
Athleten?
Das ist aber vergleichsweise Folklore: Das eigentliche Problem ist die moralische
Dimension, die hier sichtbar wird: Immer ist derselbe Prozess: Jemand hat einen
Defekt (in den USA oft Soldaten, die aus dem Krieg kommen). Man will ihnen helfen,
und sie wollen auch selbst Hilfe. Dabei entwickelt man Prothesen, diese werden aber
bald besser als die natürlichen Körperteile und entwickeln dann indirekt Druck auf
alle. Diese „Ausweitung der Moralitätszone“ wird aber von den Technikern, denen es,
wenn sie ehrlich sind, oft mehr um ihre Ingenieurs-Ehrgeiz geht als um den einzelnen
Leidenden, ausgeklammert. Hart gesagt: Die Kranken werden moralisch in Geiselhaft
genommen, um auf Dauer einen neuen, stressigeren Standard für alle zu etablieren.
Und nicht nur im Körperlichen:
K: Wir werden in dem Maß unvergleichlich klüger, in dem wir mit unserer
Technologie verschmelzen.14
U: Bei Kurzweil kippt „klüger“ aber fast immer ganz auf die eine Seite von smart, also
nicht weise oder reif, sondern schlau, fit. Gemeint: bessere Umweltanpassung mit
allen Formen von Enhancement, psychischer Leistungsverbesserung, sei es
klassisch früher durch Drogen, Kaffee oder heute Ritalin, vor allem aber durch die
Verbindung mit schwacher KI, also konkret etwa: das Smartphone, Google-Brille,
Wikipedia, das ganze Weltwissen, kurzum: die erweiterte Augmented Reality immer
vor sich haben.
Auch das kann wieder Mängel ausgleichen: Wer dauernd bei allem auf dem
Schlauch steht, kann immer nachschauen. Wer die Daten über sein Gegenüber
sofort vor sich hat, hat bessere Handlungsoptionen. Aber auch hier: blitzschnell: ein
neuer Standard, ein neues Anforderungsniveau für alle, wo zwar sicher mehr
16
Information umgesetzt wird, nicht aber unbedingt mehr Erfahrung generiert wird,
mehr Glück oder gar neue Ideen generiert.
Was dagegen auf jeden Fall generiert wird, ist ein nie dagewesenes Maß an
Überwachung und Mißbrauchsmöglichkeiten:
K: Wenn wir die 2020er Jahre erreichen und in unseren Körpern und Gehirnen
Software implementiert sein wird, werden die staatlichen Autoritäten einen legitimen
Anspruch darauf haben, diese Datenströme nach Gelegenheit zu überwachen.15
U: Kurzweil verweist dann zwar schon auf die Verluste an Freiheit und Privatheit, die
das mit sich bringen kann, aber anders als etwa bei der Energieversorgung, wo er,
um die Verwundbarkeit des Staates zu minimieren, auf Dezentralisierung setzt,
kommt er hier nicht etwa auf die Idee, dass man darauf achten müsste, zuerst
gewisse Daten-Dezentralisierungs- oder gar ethische Standards zu sichern, bevor
man sich sein erstes Google-Hirn-Implantat einbauen lässt, oder 2014 seine Google-
Brille aufzieht. Das ist ihm nicht so wichtig – da sieht man, in welche Richtung sich
das bewegt.
Auf neue Ideen kommt man durch schwache KI kaum. Dazu bräuchte man starke
Formen von Künstlicher Intelligenz, also solche, die selbständig komplexe Probleme
lösen und wirklich „menschlich“ agieren können; aber auch die stehen, nach so
vielen Enttäuschungen – laut Kurzweil – jetzt endgültig vor der Tür.
Musik Tortoise, Djed
You Tube: Ray Kurzweil Human Enhancement and Singularity
“We’re already there…includes our whole moral system.”
K: Sobald wir einmal vollständige Modelle der menschlichen Intelligenz entwickelt
haben, werden Maschinen in der Lage sein, die flexiblen und feinen Ebenen
menschlicher Mustererkennung mit den Vorteilen von Maschinen-Intelligenz zu
kombinieren.16
U: Ob das funktionieren kann, wird sich zeigen. Die Chancen werden immer besser.
Allerdings erweitert sich auch hier die ethische Kampfzone. Denn was heißt
17
Verbesserung der menschlichen Intelligenz? KI für mehr Weisheit? Mehr Demut? Für
die Einhaltung der Goldenen Regel? Die Nächstenliebe? Die Einhaltung der
Menschenrechte? Gegen Profitsucht? Die könnten viele derzeitige Machthaber gut
brauchen, davon hört man aber, außer in legitimatorischen Nebensätzen, von
Kurzweil nie was. Immer geht es um Mustererkennen, Rechnen, Problemlösen – also
nackte Intelligenzsteigerung unter bewusstem, eklatantem Ausschluss jeglicher
Vernunftbindung. So steht leider zu erwarten, dass Kurzweils Superintelligenzen
zwar in vielem bessere Testergebnisse liefern werden, aber im Vergleich zu einem
nicht völlig verkommenen Normalmenschen – in Punkto Verantwortung, Weisheit und
Würde – trotzdem einen evolutionären Abstieg, nach seiner Terminologie eigentlich
einen Irrweg bedeuten.
Denn entweder die Superintelligenzen verhalten sich so wie wir zu den früheren
Evolutionsstufen: Dann sollten wir lieber schauen, dass wir pittoresk aussehen oder
gut schmecken, damit wir wenigstens im History-Zoo oder als Nutzmenschen
überleben dürfen. Oder die Superintelligenzen werden irgendwann so klug, dass sie
merken, dass sie nur ins Monströse vergrößerte Nerds sind – und eliminieren sich
dann aus besserer Einsicht selber. Wenn man dagegen andere Superintelligenzen
wollte, müsste man die Sache wohl völlig anders angehen.
Tut man aber nicht. Eher betreibt man parallel die biotechnologische Revolution:
Musik Tortoise, Djed
K: Einer der energischsten und kundigsten Kämpfer gegen den Alterungsprozess ist
Aubrey de Grey, Wissenschaftler am Gentechnik-Institut in Cambridge. [...] De Grey
ist sich sicher, dass wir in zehn Jahren „robust verjüngte“ Mäuse vorführen können
werden, also solche, die jünger wirken als vor ihrer Gen-Behandlung. Sobald wir aber
zeigen können, dass wir den Alterungsprozess bei einem Tier, das mit uns 99%
seiner Gene teilt, umkehren können, wird das die allgemeine Auffassung von der
Unvermeidlichkeit des Todes massiv herausfordern. Dadurch wird einer enormer
Konkurrenzdruck entstehen, diese Ergebnisse in menschliche Anwendungen zu
überführen.17
U: Ob es funktionieren wird? Man wird sehen. Entscheidend ist, sich klarzumachen,
dass der Tod hier insgesamt pathologisiert, zur Krankheit erklärt wird. Damit werden
18
die Sterblichen nun insgesamt als Geisel genommen. Für einen Zustand, den man
einerseits als extremen Freiheitsgewinn verbuchen kann: So wie bisher nur der
Selbstmörder verfügt nun auch der Lebende über sein Leben. Auf der anderen Seite
bedeutet das: Wer künftig sterben will, muss sich dafür selber umbringen, muss dafür
an sich selbst zum Mörder werden. Und sich damit nicht nur ein paar Jahre, sondern
seine eigene Ewigkeit rauben.
[Was nach dem Wie zur nächsten Frage führt: Wer soll ewig leben?]
K: Wissen ist kostbar in all seinen Formen: als Musik, Kunst, Wissenschaft und
Technologie genauso wie das in unseren Körpern und Gehirnen eingelagerte
Wissen. Jeder Verlust einen solchen Wissens wäre tragisch.18
U: Das klingt gut, also eigentlich alle. Worüber man bei Kurzweil kaum etwas findet,
sind die Fragen, die das aufwirft. Denn das Geniale an der paulinischen
Jenseitserfindung war ja, dass es da keine realen Probleme gibt, im Himmel haben
alle Platz, alles ist auf unbestimmte Weise super, es ist auch alles statisch, gibt keine
weitere Evolution mehr.
Bei einem Realübergang zum unbegrenzten Leben wäre das nicht so. Ewige würden
neben Sterblichen leben, was die Populärkultur in Serien wie „True Blood“ mit
Vampiren schon durchbuchstabiert; aber man wüsste doch darüber hinaus gerne,
wie das werden soll: Wo sollen, wenn alle überleben sollen, dann alle hin? In die
Cloud? Dann also offenbar doch auf Dauer keine Wahlfreiheit zwischen virtual und
real, sondern eine Festplatten- Bio-Adapter-Existenz.
Und wie soll es gesellschaftlich gehen? Gibt es noch Familien? 200 Generationen
unter einem Dach? Werden noch weiterhin Kinder geboren? Wie teilt man seine
Lebensspanne ein? 18 Jahre Kindheit und Jugend und dann 3000 Jahre fitte
Berufstätigkeit?
De facto muss man sich, wenn Kurzweils Visionen wahr werden, um all des keine
Sorgen machen:
K: Information ist kein Wissen. Die Welt quillt über vor Informationen. Es ist aber
gerade die Aufgabe der Intelligenz, die herausragenden Informationen zu finden.
Jede Sekunde fließen hunderte von Megabits durch unsere Sinne, aber der Großteil
19
davon wird intelligenterweise ausgefiltert. Wir reagieren nur auf die Schlüsselreize.
So zerstört Intelligenz per Selektion Information, um Wissen zu kreieren.19
U: Klingt auch erstmal toll. Sobald die Superintelligenzen dies auf die Menschheit
anwenden, werden sie feststellen, dass auch sehr viele Menschen eigentlich nur
Information sind, und keine Wissen. Wozu so viele Shopping-Center, Konsumenten,
laute Leute, die dasselbe kaufen, denken und fühlen? Das ist doch redundant. Also
weg mit allem, bis auf je ein zwei Zoo-Exemplare für die Forschung. Fürs Museum.
Je genauer man die Menschheit ansieht, desto mehr Schwächen entdeckt man. Weg
damit, als Hyperintelligenz.
Trotzdem soll nach Kurzweil alles irgendwie human bleiben:
Musik Tortoise, Djed
K: Manche Beobachter bezeichnen die Periode nach Eintreffen der Singularität als
„post“-human. Für mich bedeutet „human“ sein aber gerade, Teil einer Zivilisation zu
sein, die ihre Grenzen überschreiten will. [...] Wenn wir den technologisch
veränderten Menschen nicht mehr als „menschlich“ begreifen, wo ziehen wir dann
die Grenzlinie?20
U: Eine herausfordernde Frage, die aber darauf deutet, dass man diese Grenze
vielleicht nicht anhand der Anzahl von Prothesen und Nanobots, die jemand im
Körper hat, diskutieren sollte, wie Kurzweil, sondern sich prinzipiell fragen muss: Was
gehört eigentlich zum Menschsein?
Bislang war das vor allem der Tod.
K: Die Hauptrolle der traditionellen Religionen bestand darin, den Tod zu einer guten
Sache zu rationalisieren. Malcom Muggeridge bringt diese allgemeine Ansicht auf
den Punkt, wenn er sagt: „Ohne Tod wäre das Leben unerträglich.“ Aber die
Explosion der Kunst, Wissenschaft und der anderen Formen des Wissens, die die
Singularität mit sich bringen wird, macht das Leben durchaus erträglicher; es macht
das Leben erst wirklich sinnvoll!21
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U: Endlichkeit Segen oder Fluch - das ist wirklich eine philosophische, tiefe, für
Menschen kaum lösbare Frage. Es gibt Menschen, die sich den Tod
herbeiwünschen, andere, die vielleicht ewig leben wollen. Was fatal wäre, wäre, sich
als Mensch angesichts dieser Herausforderung auf seine Mangelhaftigkeit
zurückzuziehen. Bzw. sich den Fortschrittsbegriff zum reinen Für oder Wider den Tod
verengen zu lassen. Es kann auch andere Lebenssinne geben als den, unsterblich
zu werden. Das ist bei dem Druck, der durch den Transhumanismus entstehen wird,
eine schwerwiegende Gefahr.
Auch für Kurzweil selbst ist das Wozu des ewigen Lebens, auf wenn er viele seiner
Anhänger damit ködern dürfte, nicht dieses ewige Leben selbst, ist dieses ewige
Leben eigentlich nicht der Sinn:
K: Aus meiner Sicht besteht der Sinn des Lebens –unseres Lebens – darin, immer-
größeres Wissen zu kreieren und zu genießen. sich einer höheren „Ordnung“
entgegenzubewegen.22
U: Darum geht es ihm, wenn man Kurzweil ontologisch fassen will, müsste man
sagen, er ist eine Art Pattern-Platoniker, bei allem Technizismus und Realismus, den
er auf der einen Seite ausstrahlt, steckt dahinter eine radikale Geistutopie, letztlich
ein ganz klassischer jüdisch, christlich-platonischer , plutinischer- metaphysischer
Tradition, da gibt es einen Geist der über den Dingen schwebt, der die Dinge
bestimmen, überwinden will und kann. Das ist im Prinzip der Plan, Kurzweils
Elysium, seine große Vision, dass wofür er letztlich wahrscheinlich lebt, ist ein
bisschen wie ein Mad Scientist bei James Bond, dass er Zeuge werden will, sehen
will, wie diese Intelligenz das Universum nach und nach erfüllt, also quasi diesen
gigantischen Orgasmus seines Geistes über die Materie bis in die letzten Ränder des
Universums mitverfolgen kann.
Musik Tortoise, Djed
K: So zeigt sich, dass wir als Menschen nach allen Kränkungen durch die
Wissenschaft im Universum doch zentral sind. Unsere Fähigkeit, Modelle zu kreieren
[...], war ausreichend, um uns in eine andere Form der Evolution zu überführen:
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Technologie. [...] Und diese Entwicklung wird weitergehen, bis wir das gesamte
Universum zu unserer Verfügung haben.23
U: Und hier sind wir am Schluss dann doch beim allzumenschlichen Kern des
kalifornischen Transhumanismus angelangt: beim kleinen Nerd-Jungen, der davon
träumt, der Master of the Universe zu sein. Wenn man so begabt und mächtig ist wie
Ray Kurzweil, kann man auf dem gloriosen Weg zum eigenen Scheitern sehr viel
Gutes und sehr viel Böses anrichten. Aber der Transhumanismus wird dabei viel
Hilfe brauchen. Hilfe von ganz normalen, leidenden, liebenden, lachenden
Menschen. Denn genauso, wie die Maschinen den Menschen helfen sollen, müssen
die Menschen den Maschinen auch helfen, menschlich zu bleiben, solange ihnen
hoffentlich nicht alles egal ist.
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1 Singularity, 9 (+ Titel).
2 Hülswitt, 28.
3 Arte-Doku Mensch 2.0. – amerikanischer O-Ton.
4 Singularity, 9.
5 Homo Sapiens, unpag., 8.
6 Singulartiy, 226.
7 Singularity: Zusammenfassung von 14-21
8 We often use the metaphor of three bridges to talk about the three steps toward radical life
extension. Bridge One is about what you can do right now to slow down and in many cases to
stop the processes that lead to disease and aging. [...] Bridge One will take you over a moving
frontier because our knowledge about biology and how to transcend its limitations is
expanding – at an exponential pace.
Bridge One will take us to Bridge Two, which is the full flowering of the biotechnology
revolution. In less than two decades, we will have the means to perfect our own biology by
fully reprogramming its information processes. We will be able to actually change our genes
in order to live – well – for decades longer than what we now consider a long life. This, in
turn, will take us to Bridge Three – the full flowering of the nanotechnology revolution –
where we can go beyond the limitations of biology and live indefinetely. [Transcend, XX] 9 I regard someone who understands the Singularity and who has reflected on its implications
for his or her own life as a “singularitarian”. [Singularity, 7] 10