Entgrenzte Arbeit - psychische Belastungen Herausforderung für betriebliche und persönliche Organisation Arbeitsrechtliche Aspekte bei psychischen Belastungen und Erkrankungen Referent: Rechtsanwalt Sascha Meloh
Entgrenzte Arbeit - psychische Belastungen Herausforderung für betriebliche und persönliche Organisation
Arbeitsrechtliche Aspekte bei psychischen Belastungen und Erkrankungen
Referent: Rechtsanwalt Sascha Meloh
Arbeitsrechtliche Aspekte bei psychischen Belastungen und Erkrankungen
Entgrenzte Arbeit - psychische Belastungen Herausforderung für betriebliche und persönliche Organisation
© Rechtsanwalt Sascha Meloh
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I. Vorwort
Spätestens seit das Thema Burnout-Syndrom seinen Weg auf die Titelblätter des
Spiegels (DER SPIEGEL, Heft 4/2011, Ausgebrannt: DAS ÜBERFORDERTE ICH;
DER SPIEGEL, Heft 30/2011, NEUSTART: Wege aus der Burnout-Falle) geschafft
hat, wird es nicht mehr nur in Fachkreisen, sondern mittlerweile auch in der breiten
Öffentlichkeit als potentielles Problem für jeden Arbeitgeber und Arbeitnehmer
erkannt und thematisiert. Zunehmend leider auch mit den Ihnen sicherlich bekannten
Auswüchsen bis hin zu „Jeder hat es, jeder will es!“. Unter der damit fast
zwangsweise einhergehenden Oberflächlichkeit leiden vor allem diejenigen, welche
tatsächlich an einem Burnout-Syndrom leiden und deren Hauptproblem ohnehin die
Unkenntnis vieler Beteiligten bezüglich der damit in Zusammenhang stehenden
Problematiken gleich welcher Natur ist. Der Bereich des Rechts bildet hierzu leider
keine löbliche Ausnahme. So lassen sich bislang nur wenige wissenschaftliche
Abhandlungen zu diesem Thema finden und auch die Arbeitsgerichte greifen das
Thema erst nach und nach auf. In Anlehnung an die zu anderen Thematiken
entwickelten Grundsätze soll deshalb heute der Versuch unternommen werden, vor
allem die arbeitsrechtlichen Aspekte rund um das Thema Burnout-Syndrom etwas
näher zu beleuchten.
II. Ausgangslage
Gesichert scheint wohl die Annahme, dass viele Arbeitnehmer in ihrer täglichen
Arbeit mehr und mehr gefordert werden. Dies ist nachvollziehbar angesichts der
Veränderungen am Arbeitsplatz durch Technisierung und Geschwindigkeitszunahme
von Kommunikation, flexibles und mobiles Arbeiten, weniger Vorhersehbarkeit, mehr
Arbeitsverdichtung, immer stärker schwankenden Auftragslagen, höher werdenden
Konkurrenzdruck und Rationalisierungsmaßnahmen. Sowohl Führungskräfte, als
auch Angestellte und Arbeiter leiden unter den gestiegenen Anforderungen.
Arbeitgeber fürchten Produktionsausfälle durch die erhebliche Steigerung von
Fehlzeiten am Arbeitsplatz, dadurch bedingte Mehrkosten und langfristige
Wettbewerbsnachteile. Dazu kommt der Führungs- und Fachkräftemangel. Von A bis
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Z reicht die Bandbreite der betroffenen Unternehmenszweige. Speziell im
Gesundheitswesen führen ständige Einsparprogramme dazu, dass das Personal
immer mehr Patienten zu betreuen hat. Aus diesem Unternehmenszweig stammt
auch unser heutiges Fallbeispiel:
Sachverhalt
Frau (…) wurde am (…) in (…) geboren. Nach der erfolgreichen Beendigung ihrer
schulischen Laufbahn -Realschulabschluss mit der Note sehr gut (ein höherer
Schulabschluss war aufgrund der politischen Verhältnisse nicht möglich)- begann sie
eine Ausbildung zur Krankenschwester in einer renommierten psychiatrischen Klinik,
welche sie ebenfalls mit der Note sehr gut erfolgreich beenden konnte. Im Anschluss
daran wurde sie in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Fortan war sie
als Krankenschwester in einer der Psychiatrischen Abteilungen im 3-Schichtbetrieb
eingesetzt. Im Jahr (…) brachte Frau (…) ihren Sohn (…) zur Welt. Bereits wenige
Monate nach der Geburt scheiterte jedoch die Beziehung mit dem Vater des Kindes,
so dass sich Frau (…) -unterstützt durch ihre Familie- in der Folgezeit allein um die
Erziehung ihres Sohnes kümmern musste. Um die wirtschaftliche Existenz der
eigenen Familie zu gewährleisten, kehrte Frau (…) deshalb auch entsprechend
frühzeitig an ihren Arbeitsplatz zurück. Dies wiederum im 3-Schichtbetrieb. In der
Hauptsache um sich weiter zu qualifizieren, letztlich aber auch, um dem 3-
Schichtbetrieb zu entgehen und damit eine bessere Verträglichkeit zwischen Beruf
und Familie ohne finanzielle Einbußen zu gewährleisten, absolvierte Frau (…) eine 2-
jährige Weiterbildung „Mittleres Management für Führungskräfte“, welche sie
wiederum mit sehr guten Ergebnis abschließen konnte. Sodann wurde sie als
Stationsleitung mit überwiegend verwaltenden Tätigkeiten betraut. In den
kommenden Jahren fusionierte die psychiatrische Klinik mit anderen Kliniken und
wurde zuletzt einem der führenden Klinikverbünde in Deutschland einverleibt.
Aufgrund stetiger Rationalisierungsmaßnahmen war Frau (…) während dieser Zeit
dazu gezwungen, (…) Stellen pro Jahr auf ihrer Station einzusparen. Hinzu kamen
dauerhafte Ausfälle des Stationspersonals aufgrund von Suchterkrankungen und
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sonstigen Erkrankungen. Die Pflegedienstleitung in regelmäßigen Abständen auf den
akuten Personalmangel angesprochen, wurde Frau (…) angewiesen, nach
Möglichkeit stationseigenes Personal aus etwaigen Urlauben, Freizeiten, etc.
zurückzuholen, stationsfremdes Personal als Vertretungskräfte heranzuziehen und
nur im äußersten Notfall auf externes Leasingpersonal zurückzugreifen. Letzteres
aufgrund der damit einhergehenden Kosten auch nur in der Frühschicht. Im Ergebnis
war Frau (…) deshalb regelmäßig dazu gezwungen, neben ihrer verwaltenden
Tätigkeit wieder im 3-Schichtbetrieb pflegerisch tätig zu werden. Als Resultat dieses
Dauerzustandes stellten sich bei Frau (…) mittelfristig Symptome im Zusammenhang
mit ihrem Magen und sonstigen Verdauungstrakt ein, deren Ursache trotz vielfacher
Untersuchungen bis hin zu Operationen nicht endgültig geklärt werden konnte. Hinzu
traten Symptome wie hoher Gewichtsverlust, starker Leistungsabfall, dauerhafte
Müdigkeit, etc. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde Frau (…) dann schließlich auf
etwaige psychische Erkrankungen hin untersucht und bei ihr ein Burnout-Syndrom
(schwere Depressionen) diagnostiziert. Ab diesem Zeitpunkt war Frau (…)
arbeitsunfähig. Sie erhielt nach Ablauf der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch
ihren Arbeitgeber Krankengeld durch ihre Krankenkasse bis sie letztlich auch aus
diesem nach Ablauf der Höchstbezugsdauer ausgesteuert wurde. Aus dem sich
daraufhin entwickelnden Zuständigkeitsgerangel zwischen der Bundesagentur für
Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung ging hervor, dass Frau (…) zunächst
an einer Reha-Maßnahme zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit teilnehmen solle.
Selbige wurde ihr für den Beruf der Krankenschwester beziehungsweise allen
anderen pflegerischen Berufen dauerhaft abgesprochen. Für alle anderen Berufe
bestünde jedoch eine 100-prozentige Arbeitsfähigkeit. Angedacht wurde deshalb
nach der Absolvierung einer Eignungsfeststellungsmaßnahme eine Umschulung zur
Gesundheitskauffrau. Für selbige hat sich Frau (…) von ihrem Arbeitgeber
beurlauben lassen. Der Abschluss dieser Umschulung steht (Juni 2012) unmittelbar
bevor. Eine bereits angefragte Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei ihrem jetzigen
Arbeitgeber als Gesundheitskauffrau besteht nicht. Welche arbeitsrechtlichen
Aspekte waren und sind im vorliegenden Fall zu beachten? Welche Möglichkeiten
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bestehen zum jetzigen Zeitpunkt für Frau (…) beziehungsweise ihren Arbeitgeber?
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III. Themenfelder
1. Zielvereinbarungen
Die grundsätzliche Einordnung des Arbeitsvertrages als Dienstvertrag, der in der
Hauptsache „zeitbetont“ ist, passt nicht mehr zu den üblicherweise geschlossenen
Zielvereinbarungen im Rahmen heutiger Arbeitsverhältnisse. Zumindest in der
Theorie ist es dem Arbeitgeber gleichgültig, in welcher Zeit seine Ziele erreicht
werden, die Hauptsache ist, sie werden erreicht. Diese „Zielorientierung“ kennen wir
vor allem von Werkverträgen, die die Abnahme einer bestimmten Leistung vorsehen.
Zunehmend wird inzwischen aber auch die Arbeitsleistung in Arbeitsverhältnissen im
Rahmen von Zielvereinbarungen wie in einem Werkvertrag abgenommen. Der
Arbeitgeber überprüft quartalsweise, halbjährlich oder jährlich zusammen mit dem
Arbeitnehmer in Zielvereinbarungsgesprächen die erbrachte Arbeitsleistung und legt
für den neuen Beurteilungszeitraum wiederum neue Ziele fest. Oft erfolgt damit
verbunden eine Leistungsbeurteilung für den vergangenen Beurteilungszeitraum,
welche wiederum die Grundlage für die Entlohnung des Arbeitnehmers bildet. Viele
Arbeitnehmer können mit diesem unternehmerischen Aspekt der Zielorientierung gut
umgehen. Sie wachsen mit den Aufgaben und sind in der Lage, auch Misserfolge,
insbesondere das Verfehlen eines Ziels zu verkraften. Für uns heute nur relevant ist
die Frage der rechtlichen Ausgestaltung von Zielen für Arbeitnehmer und weiterhin,
ob diese Ziele überhaupt erreichbar und messbar sind?
Übung
Wir erinnern uns daran, dass in unserem Fallbeispiel Frau (…) aufgrund stetiger
Rationalisierungsmaßnahmen dazu gezwungen war, (…) Stellen pro Jahr auf ihrer
Station einzusparen. Hinzu kamen dauerhafte Ausfälle des Stationspersonals auf-
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grund von Suchterkrankungen und sonstigen Erkrankungen. Insbesondere der
letztgenannte Aspekt erschwert die Ausgestaltung von Zielvereinbarungen für Frau
(…) enorm, da das Erreichen der Ziele nicht alleine von den Möglichkeiten von Frau
(…) abhängt, sondern die Ziele im Stationsteam erreicht werden müssen. Der krank-
heitsbedingte Ausfall auch nur eines Teammitglieds kann die Zielerreichung des
gesamten Stationsteams gefährden. Das führt zu Druck auf beiden Seiten. Das
kranke Teammitglied kommt trotz Krankheit zur Arbeit, da es seine übrigen
Teammitglieder nicht im Stich lassen will. Wenn es so nicht mehr geht, fangen die
übrigen Teammitglieder die krankheitsbedingten Fehlzeiten des abwesenden
Teammitglieds bestmöglich auf, um die Ziele trotzdem noch zu schaffen. Hier
hauptsächlich Frau (…).
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Um möglichst ausgewogene Zielvereinbarungsprozesse implementieren zu können,
werden, soweit vorhanden, Betriebs- oder Personalräte mit in die Ausgestaltung
einbezogen.
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2. Whistleblowing
In unserem Fallbeispiel hat Frau (…) die Pflegedienstleitung in regelmäßigen
Abständen auf den akuten Personalmangel angesprochen. Daraufhin wurde Frau
(…) angewiesen, nach Möglichkeit stationseigenes Personal aus etwaigen Urlauben,
Freizeiten, etc. zurückzuholen, stationsfremdes Personal als Vertretungskräfte
heranzuziehen und nur im äußersten Notfall auf externes Leasingpersonal
zurückzugreifen. Letzteres aufgrund der damit einhergehenden Kosten auch nur in
der Frühschicht. Wie die weitere Entwicklung von Frau (…) zeigt, waren diese
Maßnahmen offensichtlich nicht ausreichend. Einmal unterstellt, dass es aufgrund
des akuten Personalmangels beispielsweise zu einer strafrechtlich relevanten Unter-
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versorgung der Patienten gekommen ist, wäre Frau (…) in dieser Situation dazu
berechtigt gewesen, eine Strafanzeige bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder
dem Gericht zu stellen?
Als „Whistleblower“ werden Arbeitnehmer bezeichnet, die Missstände bei ihrem
Arbeitgeber entdecken und an die Öffentlichkeit bringen. Die Zurückhaltung vieler
Arbeitnehmer, dies zu tun, beruht zumeist auf ihrer Angst um den eigenen
Arbeitsplatz. Insbesondere Strafanzeigen von Arbeitnehmern gegen den Arbeitgeber
und deren Konsequenzen haben die Rechtsprechung wiederholt beschäftigt.
Besonders problematisch für den „Whistleblower“ ist, dass er unter Umständen
arbeitsvertragliche Pflichten verletzt. Nach seinem Arbeitsvertrag obliegt ihm eine
Treue- und Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Er hat auf dessen
berechtigte Interessen Rücksicht zu nehmen. Diese Pflichten kann der Arbeitnehmer
verletzen, wenn er die ihm bekannt gewordenen Missstände einer externen Stelle
mitteilt, ohne sie zuvor unternehmensintern zur Sprache zu bringen. Der Arbeitgeber
ist deshalb möglicherweise berechtigt, Personalmaßnahmen zu ergreifen,
insbesondere ihn abzumahnen oder gar zu kündigen. An diesen Grundsätzen hat
sich bis heute nichts geändert. Allerdings wurden die Hürden in den letzten Jahren
durchaus hoch gesteckt.
Das „Whistleblower“ geschützt werden müssen, ist seit längerem anerkannt. Sowohl
auf europäischer Ebene, als auch auf nationaler Ebene wurden in letzter Zeit
entsprechende Initiativen auf den Weg gebracht.
Auch das Bundesverfassungsgericht und das Bundesarbeitsgericht haben bereits
Lösungsansätze beigesteuert. In seiner Entscheidung vom 02.07.2001 (1 BvR
2049/00) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Wahrnehmung
staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren (…) - soweit nicht wissentlich unwahre
oder leichtfertig unzutreffende Aussagen gemacht werden - im Regelfall nicht dazu
führen können, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung eines Arbeitsver-
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hältnisses abzuleiten.
Dieser Linie folgte auch das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 03.07.2003 (2
AZR 235/02). Gleichzeitig wies es darauf hin, dass es für die Prüfung, ob eine
fristlose Kündigung gerechtfertigt sei, auf die Motive des Arbeitnehmers zur
Erstattung der Strafanzeige ankomme und darüber hinaus der (zunächst)
innerbetrieblichen Klärung keineswegs immer der Vorrang gebühre. Hat der
Arbeitnehmer den Arbeitgeber nämlich auf die Missstände im Unternehmen
hingewiesen, sorgt dieser jedoch nicht für Abhilfe, besteht für den Arbeitnehmer auch
keine weitere Rücksichtnahmepflicht mehr.
Auf sehr unterschiedliche Resonanz ist in diesem Zusammenhang das Urteil des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21.07.2011 (28274/08)
(Whistleblower-Urteil) gestoßen, welchem der Fall einer Altenpflegerin zugrundelag,
die sich über die zu hohe Arbeitsbelastung in einem Pflegeheim beschwert hatte und
letztlich auch wegen einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber die fristlose
Kündigung erhielt.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte die von den deutschen Gerichten bereits eingeschlagene
Rechtsprechung zugunsten der Arbeitnehmer allerdings nur konsequent fortsetzt. Die
Entscheidung selbst ist daher auch wenig überraschend. Überraschender ist eher,
dass sich die Vorinstanzen (mit Ausnahme des erstinstanzlichen Gerichts) nicht an
diesen bereits eingeschlagenen Weg gehalten haben bzw. die Güterabwägung und
die damit verbundene Beweislast im konkreten Fall sehr einseitig zu Lasten der
betroffenen Arbeitnehmerin getroffen haben.
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Generell gilt, dass sich der Arbeitnehmer nicht unmittelbar an die Presse zu wenden
hat. Er ist verpflichtet, unnötigen Schaden vom Unternehmen fernzuhalten. Deshalb
verbietet es sich regelmäßig, die Presse einzuschalten.
3. Arbeitsunfähigkeit
Zwischenzeitlich ist bei Frau (…) Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit eingetreten.
Arbeitsunfähig infolge Krankheit ist der Arbeitnehmer dann, wenn ein Krankheits-
geschehen ihn außer Stand setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit
zu verrichten, oder wenn ihm die Arbeit unzumutbar ist, weil er die Arbeit nur unter
der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbar naher Zeit seinen Zustand zu
verschlimmern. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung kann demzufolge auch nur dann
entstehen, wenn der Arbeitnehmer krank ist und infolge dieser Krankheit
arbeitsunfähig wird. Krankheit allein löst noch keinen Entgeltfortzahlungsanspruch
aus, vielmehr muss die weitere Voraussetzung erfüllt sein, dass die Krankheit zur
Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Ob ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der
Arbeitsleistung verhindert ist, ist nach objektiven medizinischen Kriterien zu
beurteilen. Die subjektive Beurteilung der Arbeitsvertragsparteien ist dafür nicht
maßgeblich. Es kommt für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit auch nicht auf die
Kenntnis der Arbeitsvertragsparteien an.
Gerade im Zusammenhang mit psychischen Belastungen und Erkrankungen, stellt
sich häufig die Frage, was der Arbeitnehmer alles unternehmen kann, vielleicht auch
muss, um wieder gesund zu werden. Letztlich kommt es auf die Art der Erkrankung
an. Was gerade noch zulässig ist, ab wann der Arbeitnehmer seine Pflichten verletzt,
entscheiden in Streitfällen die Arbeitsgerichte. Erfahrungsgemäß können bei der
Beurteilung durch die Arbeitsrichter dann auch die Ursachen für die Erkrankung eine
nicht unerhebliche Rolle spielen.
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Exemplarisch sei an dieser Stelle auf einen bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf
(11 Sa 807/11) bis vor wenigen Tagen anhängigen Rechtsstreit verwiesen, in
welchem sich ein Wuppertaler Handelsunternehmen mit der Betriebsratsvorsitzenden
unter anderem bezüglich der Zulässigkeit eines Segeltörns im Mittelmeer während
der Burnout-Syndrom bedingten Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin
auseinandersetzte. Seit dem Jahr 2000 war die kaufmännische Angestellte bei dem
Unternehmen beschäftigt. Im August 2008 wurde sie Betriebsratsvorsitzende und
darum von ihrer Arbeitstätigkeit freigestellt; im Herbst 2009 wurde sie wegen „psych-
ischer Erschöpfung“ arbeitsunfähig geschrieben. In den zweieinhalb Monaten ihrer
Arbeitsunfähigkeit nahm sie an einem Segeltörn im Mittelmeer sowie einer
Kinderfreizeit am Tegernsee teil. Beide Reisen wurden von einem Verein
veranstaltet, dessen Vorsitzende sie war. Der Arbeitgeber wertete das als Beleg,
dass ihre Arbeitsunfähigkeit nur simuliert war, und schickte (allerdings erst ein Jahr
später) die erste Kündigung. Es folgten noch viele weitere Kündigungen mit
unterschiedlichen Begründungen, welche jedoch vor dem Arbeitsgericht keinen
Bestand hatten. In diesem Zusammenhang wurde auch festgestellt, dass das
Burnout-Syndrom mit den Reisen vereinbar gewesen ist. Ihre behandelnde Ärztin
hatte sie dazu sogar ausdrücklich ermuntert, da sie die Reisen für medizinisch
zuträglich hielt. Dem folgten auch die Arbeitsrichter und konnten nicht erkennen,
warum der Segeltörn im Mittelmeer und die Kinderfreizeit am Tegernsee im
Widerspruch zur Arbeitsunfähigkeit stehen sollten - oder der Genesung schaden
würden. Leider hat das Landesarbeitsgericht das Verfahren durch Vergleich beendet,
so dass zu diesem Thema keine gerichtliche Entscheidung vorliegt
(Pressemitteilungen vom 24.01.2012, 26.01.2012, 12.03.2012 und 03.05.2012).
4. Urlaub
Die Arbeitsunfähigkeit von Frau (…) dauert mittlerweile mehr als 4 Jahre an. Bislang
hat der jetzige Arbeitgeber allerdings keinerlei Bestrebungen erkennen lassen, dass
Arbeitsverhältnis mit Frau (…) zu beenden. Dies trotz der neuen Rechtsprechung
zum Urlaubsrecht.
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Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bis zum Jahre 2004
war § 7 Abs. 3 und 4 BurlG dahingehend auszulegen, dass der Urlaubsanspruch
ersatzlos entfiel, wenn der Arbeitnehmer bis zum 31.03. des dem Kalenderjahr
folgenden Jahres arbeitsunfähig erkrankt war. Der Europäische Gerichtshof hat
bekanntermaßen diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 7 Abs. 3
BUrlG mit seiner Entscheidung vom 20.01.2009 (C-350/06 und C-520/06) für
europarechtswidrig erklärt. Der Europäische Gerichtshof vertritt im Wesentlichen die
Auffassung, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gegen Art. 7 Abs. 1
und 2 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG verstößt. In der Bundesrepublik
Deutschland, speziell im Lager der Arbeitgeber, hat diese Entscheidung
verständlicherweise zu erheblicher Unruhe geführt, da sich auch das
Bundesarbeitsgericht (BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07) nur wenige Wochen nach
der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes dessen Rechtsprechung
angeschlossen hat. Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht inzwischen
konsequent fortgesetzt (BAG 23.03.2010 - 9 AZR 128/09).
Seither sind die deutschen Arbeitsgerichte darum bemüht, die neuen Vorgaben in
das deutsche Recht umzusetzen. Dies erweist sich offenbar als schwierig und
langwierig.
Vertrauensschutz
Zunächst stellt sich die weitergehende Frage, inwieweit die neue Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts in die Vergangenheit zurückwirkt und ob sich die betroffenen
Arbeitgeber gegebenenfalls auf einen Vertrauensschutz berufen können. Immerhin
hatte das Bundesarbeitsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung ja angenommen,
dass der Urlaubsanspruch und der Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat jedenfalls
mit Ablauf des 31.03. des Folgejahres verfallen, auch wenn die Inanspruchnahme wegen
fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nicht erfolgen konnte. Auf eine derartige
Rechtsprechung hatten sich die Arbeitgeber in der Vergangenheit regelmäßig
verlassen. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 24.03.2009
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(a.a.0.) zunächst anerkannt, dass angesichts der bislang vorliegenden Rechtsprechung
ein Vertrauensschutz einzuräumen sei, diesen Vertrauensschutz jedoch für die Zeit
nach Bekanntgabe des Vorlagebeschlusses des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf
abgelehnt. Die Arbeitgeber hätten seit dem 02.08.2006 damit rechnen müssen, dass der
Europäische Gerichtshof die in dem Vorabentscheidungsersuchen gestellten
Rechtsfragen abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundes-
arbeitsgerichts beantworten könnte. Mittlerweile hat das Bundesarbeitsgericht auch
eine weiter zurückliegende Rückwirkung bejaht. Das Bundesarbeitsgericht hat in
seiner Entscheidung vom 23.03.2010 (a.a.O.) erneut unterstrichen, dass die
langjährige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar geeignet war,
Vertrauen der Arbeitgeberseite auf die Fortdauer dieser Rechtsprechung zu
begründen. Die Vertrauensgrundlage sei aber mit Ablauf der Umsetzungsfrist für die
erste Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23.11.1996 entfallen. Seit dem
24.11.1996 war damit das Vertrauen von Arbeitgebern auf den Fortbestand der
bisherigen Rechtsprechung nicht länger schutzwürdig.
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Verfall und Verjährung des Urlaubsanspruchs Folie
Für die Frage der Anwendbarkeit von tarifvertraglichen Ausschlussfristen oder
gesetzlichen Verjährungsvorschriften ist zunächst darauf hinzuweisen, dass während
der Dauer einer Erkrankung Ausschluss- und Verjährungsfirsten einer Übertragung
der Urlaubsansprüche nicht entgegengehalten werden können. In diesem
Zusammenhang ist nochmals zu unterstreichen, dass nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der insofern erfolgten Bestätigung
durch den Europäischen Gerichtshof Urlaubsansprüche im vollen Umfang auch
dann entstehen, wenn und soweit Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vorliegt. Die
Geltendmachung derartiger Urlaubsansprüche setzt aber voraus, dass der
Urlaubsanspruch überhaupt fällig ist. Fälligkeit liegt aber nur dann vor, wenn der
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Arbeitnehmer die Gewährung von Urlaub verlangen und der Arbeitgeber diesen auch
erfüllen kann. Hiervon ist bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aber gerade
nicht auszugehen.
Zur Frage, ob Urlaubsansprüche nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist des
§ 195 BGB oder nach Ablauf einer tarifvertraglich vorgesehenen Verfallsfrist nicht
mehr geltend gemacht werden können, bestand bisher noch keine einheitliche
Meinung.
Zum einen wurde die Auffassung vertreten, dass der Urlaubsanspruch nach
vollendeter Wartezeit jeweils mit Beginn des Urlaubsjahres, unabhängig davon, ob
der Arbeitnehmer zu Beginn des Jahres arbeitsfähig ist oder nicht, entsteht.
Während der Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitnehmer die Erfüllung des
Urlaubsanspruchs nicht verlangen und der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch nicht
erfüllen. Damit fehlt es an der Fälligkeit, die das Entstehen eines Anspruchs im
Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB regelmäßig voraussetzt (LAG Hessen 07.12.2010
-19 Sa 939/10).
Nach anderer Auffassung sollte jedenfalls die dreijährige gesetzliche
Verjährungsfrist anzuwenden sein, weil nach den Zeitabläufen der §§ 195 ff. BGB
Rechtssicherheit und Rechtsfrieden geschaffen und dem Bedürfnis des Schuldners
Rechnung getragen werden soll, aus lange zurückliegenden Sachverhalten nicht
mehr in Anspruch genommen zu werden. Bei dieser Ausgangslange fehlt dann jeder
Grund, den arbeitsunfähig Erkrankten verjährungsrechtlich gnädiger zu behandeln
als den arbeitsfähigen Arbeitnehmer. Der Umstand, dass die Arbeitsunfähigkeit des
Arbeitnehmers den Arbeitgeber daran hindert, Urlaub zu erteilen, soll nach §
199 Abs. 1 Nr. 1 BGB für den Verjährungsbeginn unmaßgeblich sein, weil die
fortdauernde Arbeitsunfähigkeit nicht die Entstehung des Urlaubsanspruchs,
sondern dessen Erfüllung verhindert und als in der Person des Arbeitnehmers
liegendes und vom Arbeitgeber nicht zu vertretendes Leistungshindernis lediglich
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den Einwand des § 286 Abs. 4 BGB begründen soll (LAG Düsseldorf 04.05.2011 –
12 Sa 1832/10).
Nach weiterer Auffassung ist es Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen - unabhängig
von gesetzlichen Verjährungsfristen - sowieso nur gestattet, für die letzten 18 Monate
vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Urlaubs- bzw. Urlaubs-
abgeltungsansprüche geltend zu machen, weil darüber hinausgehende
Ansprüche nach Art. 9 Abs. 1 des IAO - Übereinkommens Nr. 132 vom
24.06.1970 verfallen sind (Vorabentscheidungsersuchen des LAG Hamm vom
15.04.2010 - 16 Sa 1176/09).
Zur Lösung der aufgeworfenen Rechtsfrage wurde häufig auf die Generalanwältin
beim Europäischen Gerichtshof verwiesen. Sie hat in ihren Schlussanträgen
vom 07.07.2011 in der Rechtssache C-214/10 (Schulte) im Rahmen des Vorab-
entscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Hamm zu der hier streitigen
Rechtsfrage Stellung genommen. Die Generalanwältin schlägt danach dem
Europäischen Gerichtshof vor, die vom Landesarbeitsgericht Hamm gestellten
Vorlagefragen dahingehend zu beantworten, dass Art. 7 Abs. 1 und 2 der
Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen sei, dass er einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten, nach denen der Urlaubs- bzw.
Urlaubsabgeltungsanspruch bei Ablauf des Bezugszeitraums sowie eines
Übertragungszeitraums erlischt, auch dann, wenn der Arbeitnehmer längerfristig
arbeitsunfähig ist, nicht entgegensteht, sofern der Übertragungszeitraum so
bemessen ist, dass der Zweck des primären Anspruchs auf Erholung gewahrt
wird. Eine Übertragungsmöglichkeit für einen Zeitraum von mindestens 18
Monaten nach Ablauf des Bezugsjahres soll dieser Anforderung genügen, wobei
er allerdings unionsrechtlich nicht zwingend geboten sei. Vielmehr stehe es
den Mitgliedsstaaten frei, unter Beachtung der Grenzen der Richtlinie auch
andere Regelungen zu erlassen (EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin vom
07.07.2011 - C214/10).
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Mittlerweile hat der Europäische Gerichtshof in der soeben geschilderten
Rechtssache entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 04. November 2003 über bestimmte
Aspekte der Arbeitszeitgestaltung dahingehend auszulegen ist, dass er
einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen
nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer
Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten
Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen
Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch
auf bezahlten Jahresurlaub erlischt (EuGH 22.11.2011 - C214/10).
Hieran werden sich wohl die meisten deutschen Arbeitsgerichte orientieren. Nicht
ganz auszuschließen ist allerdings, dass entsprechend dem IAO - Übereinkommen
auch von 18 Monaten ausgegangen wird.
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Urlaubsanspruch nach Wiedergenesung
Nach der wohl inzwischen herrschenden Meinung kommt darüber hinaus eine
Anwendung von gesetzlichen Verjährungsfristen und tariflichen Verfallsfristen auf
den übertragenen Urlaubsanspruch nur dann in Betracht, wenn dieser nicht einer
eigenständigen, spezielleren gesetzlichen Verfallfrist, also der Vorschrift des § 7 Abs.
3 BUrIG unterliegt. Dies folgt letztlich aus Wortlaut, Systematik, etc. der hierzu in §§
1, 3 Abs. 1, 7 Abs. 1 bis 3 BUrIG getroffenen Regelungen. Zu berücksichtigen ist
jedenfalls, dass der aus krankheitsbedingten Gründen übertragene Urlaub nach der
neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gesetzlicher Mindesturlaub im
Sinne von § 3 Abs. 1 BUrIG ist. Dies spricht dafür, ihn ebenso wie den gesetzlichen
Mindesturlaub zu behandeln, der erst im laufenden Kalenderjahr entstanden ist.
Zumindest erscheint eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 3 BUrIG geboten, wenn
der „alte Urlaub" nicht innerhalb der im Bundesurlaubsgesetz vorgesehenen Frist
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genommen werden konnte. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der nicht verfallene
Mindesturlaubsanspruch in dem Kalenderjahr zu nehmen ist, indem der Ar-
beitnehmer wieder arbeitsfähig wird (LAG Köln 05.11.2010 - 4 Sa 744/10).
Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht nunmehr angeschlossen. Mangels
abweichender tarif- oder einzelvertraglicher Regelungen verfällt der am Ende des
Urlaubsjahres nicht genommene Urlaub, sofern kein Übertragungsgrund nach § 7
Abs. 3 BUrIG vorliegt. Dies ist jedenfalls in den Fällen anzunehmen, in denen der
Arbeitnehmer nicht aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen, etwa aufgrund von
Arbeitsunfähigkeit, an der Urlaubsnahme gehindert ist. Übertragene Urlaubsan-
sprüche sind in gleicher Weise befristet. Wird also ein zunächst arbeitsunfähig
erkrankter Arbeitnehmer im Kalenderjahr einschließlich des Übertragungszeitraums
so rechtzeitig gesund, dass er in der verbleibenden Zeit seinen Urlaub nehmen
kann, erlischt der aus früheren Zeiträumen stammende Urlaubsanspruch genauso
wie der Anspruch, der zu Beginn des Urlaubsjahres neu entstanden ist (BAG
09.08.2011 - 9 AZR 435/10).
Zu der Frage, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Zeit bis zum Ende des
Kalenderjahres bzw. bis zum 31.03. des Folgejahres nicht ausreicht, um die
angesammelten Urlaubsansprüche zu realisieren, hat das Bundesarbeitsgericht in
der zuvor genannten Entscheidung nicht abschließend Stellung genommen.
Verfall und Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruchs
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wandelte sich ein
noch bestehender gesetzlicher Urlaubsanspruch bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ersatzweise in einen Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4
BUrIG um. Mit Ausnahme der Beendigung des Arbeitsverhältnisses war dieser
Anspruch an dieselben Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch
selbst. Die Anwendung dieser Surrogatstheorie führte dann unter anderem
dazu, dass bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers über den
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31.03. des folgenden Kalenderjahres hinaus der gedachte Urlaubsanspruch nicht
erfüllbar und damit nicht durchsetzbar gewesen wäre. Hieraus wiederum folgte,
dass auch der Urlaubsabgeltungsanspruch spätestens mit Ablauf der
Übertragungsfrist am 31.03. des Folgejahres untergegangen war (BAG 21.06.2011 -
9 AZR 200/04).
Diese Surrogatstheorie hat das Bundesarbeitsgerichts im Zuge der
Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung aufgegeben. § 7 Abs. 3 und 4
BUrIG ist danach so zu verstehen, dass gesetzliche Urlaubsabgeltungs-
ansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres
und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig sind.
Auch dies entspricht Wortlaut, Systematik, etc. der innerstaatlichen Regelungen,
wenn die Ziele des Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG und der regelmäßig
anzunehmende Wille des nationalen Gesetzgebers zur ordnungsgemäßen
Umsetzung vor Richtlinien berücksichtigt werden. Dann aber entsteht der
Anspruch auf Urlaubsabgeltung mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als reiner
Geldanspruch. Diese auf eine finanzielle Vergütung gerichtete Forderung bleibt in
ihrem Bestand auch unberührt, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis
zum Ende des Übertragungszeitraums am 31.03. des dem Urlaubsjahr folgenden
Jahres fortdauert (BAG 04.05.2010 - 9 AZR 183/09).
Die Fälligkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs tritt danach sofort mit Be-
endigung des Arbeitsverhältnisses ein. Dies bedeutet, dass der ausgeschiedene
Arbeitnehmer seinen Abgeltungsanspruch sofort nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses geltend machen kann und nicht etwa den Ablauf des
Übertragungszeitraums abwarten muss. Der Ablauf des Bezugs- bzw.
Übertragungszeitraums hat somit keine Auswirkungen auf den Anspruch selbst.
Dann aber besteht keine Veranlassung, auf den reinen finanziellen Geldanspruch
gesetzliche Verjährungs- und tarifliche Verfallsfristen nicht anzuwenden. Auf diese
muss sich der Arbeitgeber gegenüber ausgeschiedenen Arbeitnehmern berufen
können (LAG Düsseldorf 23.04.2010 - 10 Sa 203/10).
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Auch dem hat sich das Bundesarbeitsgericht inzwischen in vollem Umfang
angeschlossen und nochmals betont, dass der Anspruch auf Abgeltung des
bestehenden Urlaubs auch bei über das Arbeitsverhältnis hinaus andauernder
Arbeitsunfähigkeit gemäß § 7 Abs. 4 BUrIG mit Beendigung des Arbeitsverhält-
nisses entsteht und sofort fällig wird. Er ist danach nicht Surrogat des
Urlaubsanspruchs, sondern eine reine Geldforderung und unterliegt damit wie
andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis einzel- und tarifvertraglichen
Ausschlussfristen. Dies gilt auch für die Abgeltung des nach § 13 Abs. 1 Satz 1 i.
V. m. § 3 Abs. 1 BUrIG unabdingbaren gesetzlichen Mindesturlaubs (BAG
09.08.2011 - 9 AZR 352/10).
Gesetzliche Mindesturlaub und Mehrurlaube nach TV/BV/AV Folien
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20.01.2009 betrifft zunächst
den nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG geltenden Mindesturlaubsanspruch
von vier Wochen. Allerdings können die Vertragsparteien Urlaubs- und
Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 gewährleisteten und von
§§ 1, 3 Abs. 1 BUrIG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von 4 Wochen
übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche
Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und
4 BUrIG beschränkt. Einem tariflich angeordneten Verfall des übergesetzlichen
Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht kein Unionsrecht entgegen.
Entscheidend ist dann aber, ob die Tarif- oder Arbeitsvertragsparteien den
vertraglichen Mehrurlaub abweichend vom gesetzlichen Mindesturlaub geregelt
haben, was aufgrund einer umfassenden Auslegung der streitigen Normen zu
ermitteln ist. Regel ist dabei der „Gleichlauf" der Ansprüche, Ausnahme ist ihr
unterschiedliches rechtliches Schicksal (BAG 04.05.2010 - a.a.O.)
Für einen Regelungswillen, der zwischen Ansprüchen auf Abgeltung von Mindest-
und Mehrurlaub unterscheidet, müssen auch bei Tarifverträgen deutliche
Anhaltspunkte bestehen. Diese deutlichen Anhaltspunkte müssen sich aus Tarifwort-
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laut, -zusammenhang und -zweck sowie gegebenenfalls aus der Tarifgeschichte
ergeben. Deutliche Anhaltspunkte für einen Regelungswillen der Vertrags- oder
Tarifvertragsparteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen
Urlaubsansprüchen unterscheidet, sind jedenfalls schon dann anzunehmen,
wenn sich die Arbeitsvertragsparteien oder Tarifvertragsparteien in weiten Teilen
vom gesetzlichen Urlaubsregime lösen und stattdessen eigene Regeln, ein
eigenes Urlaubsregime, aufstellen. Im Falle einer solchen eigenständigen,
zusammenhängenden und in sich konsistenten Regelung ist ohne
entgegenstehende Anhaltspunkte in der Regel davon auszugehen, dass die
Tarifvertragsparteien oder Arbeitsvertragsparteien Ansprüche nur begründen und
fortbestehen lassen wollten, soweit eine gesetzliche Verpflichtung bestehe (BAG
23.03.2010 - a.a.O.).
Haben die Arbeitsvertrags- oder Tarifvertragsparteien den Mehrurlaub
eigenständig geregelt und besteht demnach ein selbstständiges so genanntes
Urlaubsregime, treten bei der tatsächlichen Inanspruchnahme des vereinbarten
Urlaubs Probleme unter anderem dann auf, wenn im abgelaufenen Kalenderjahr
ein Teilurlaub gewährt wurde und der Rest wegen danach eingetretener
Arbeitsunfähigkeit nicht realisiert werden konnte.
Nach Meinung des Landesarbeitsgerichts Hessen bilden der gesetzliche und der
tarifliche Urlaubsanspruch gemeinsam einen einheitlichen Anspruch auf
Erholungsurlaub. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber - unabhängig von
einer etwaigen Tilgungsbestimmung im Sinne von § 366 Abs. 2 BGB - zunächst
auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch und erst danach auf den darüber
hinausgehenden tariflichen Urlaubsanspruch leistet. Dies wiederum hat zur
Folge, dass mangels anderweitiger Regelung für den betroffenen Arbeitnehmer die
Gefahr besteht, dass der tarifliche oder vertragliche Urlaubsanspruch unsicherer ist
und damit in den dargestellten Fallkonstellationen der Verfall droht (LAG Hessen
26.04.2010 - 17 Sa 1772/09).
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Mit Rücksicht auf den zuletzt dargestellten Aspekt hat das Landesarbeitsgericht
Düsseldorf (30.09.2010 – 5 Sa 353/10) entschieden, dass dann, wenn der
Arbeitgeber ohne einseitige Leistungsbestimmung Urlaub gewährt, eine
entsprechende Anwendung des § 366 Abs. 2 BGB geboten erscheint. Mit
Rücksicht auf die vielfach dargestellte neue Urlaubsrechtsprechung ist dann aber
festzuhalten, dass bei einem vertraglich oder tarifvertraglich vereinbarten Verfall von
Mehrurlaubsansprüchen die zuletzt Genannten die Unsicheren im Sinne des § 366
Abs. 2 BGB sind. Hieraus wiederum folgt, dass der Arbeitgeber dann (im Zweifel)
zunächst die vertraglichen oder tarifvertraglichen Urlaubsansprüche erfüllt und die
gesetzlichen (nicht verfallbaren) Urlaubsansprüche erst danach realisiert werden.
5. Krankheitsbedingte Kündigung und BEM Folien
Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von
Krankheiten ausgesprochen werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundes-
arbeitsgerichts in drei Stufen vorzunehmen. Die Kündigung ist im Falle
langanhaltender Krankheit sozial gerechtfertigt, wenn
eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der
Arbeitsunfähigkeit vorliegt -erste Stufe-,
eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
festzustellen ist -zweite Stufe-
und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen
Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden
Belastung des Arbeitgebers führen -dritte Stufe-.
Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne
weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
auszugehen. Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer
krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den
nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann
(BAG 30.09.2010 - 2 AZR 88/09).
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Eine Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam,
wenn sie durch andere Mittel vermieden werden kann, d. h. wenn sie zur
Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen
Vertragsstörung nicht erforderlich ist. Dabei kommt bei einer krankheitsbedingten
Kündigung nicht nur eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz
in Betracht. Der Arbeitgeber hat vielmehr alle gleichwertigen, leidensgerechten
Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrung des
Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und gegebenenfalls
„freizumachen" (BAG 30.09.2010 - a.a.O.).
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in den letzten Jahren wiederholt mit der Frage zu
befassen gehabt, inwieweit die Durchführung oder Nichtdurchführung eines
betrieblichen Eingliederungsmanagements im Sinne von § 84 Abs. 2 SGB IX die
Rechtswirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung beeinflussen kann.
Zusammengefasst stellt sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
inzwischen wie folgt dar:
Das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs.
2 SGB IX besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für behinderte Menschen.
Darüber hinaus genügt es gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, dass der betroffene
Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank gewesen ist.
Nicht erforderlich ist dagegen, dass es eine einzelne Krankheitsperiode von durch-
gängig mehr als sechs Wochen gab.
Die Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungs-
managements (BEM) stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes dar. Das BEM ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer
Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, z.B. die
Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten
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Arbeitsbedingungen auf einem anderen -gegebenenfalls durch Umsetzungen-
freizumachenden Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden.
Wurde entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX ein BEM nicht durchgeführt, darf sich der
Arbeitgeber nicht darauf beschränken, im Kündigungsschutzprozess pauschal
vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten
Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die dieser trotz
seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom
Arbeitnehmer bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen
darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeits-
platzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die
Beschäftigung auf einem anderen -leidensgerechten- Arbeitsplatz ausscheiden.
Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf
substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte
Beschäftigung vorstellt. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber zur Erfüllung
seiner Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX ein Verfahren durchgeführt hat, das
nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an ein BEM genügt (BAG 24.03.2011 -
2 AZR 170/10).
Hat der Arbeitgeber ein BEM deshalb nicht durchgeführt, weil der Arbeitnehmer
nicht eingewilligt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber den Betroffenen
zuvor auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen
und verwendeten Daten hingewiesen hatte. Die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz
3 SGB IX gehört zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um
Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines BEM. Sie soll dem
Arbeitnehmer die Entscheidung ermöglichen, ob er ihm zustimmt oder nicht. Die
Initiativlast für die Durchführung eines BEM trägt dabei der Arbeitgeber (BAG
24.03.2011 - a.a.O.).
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Stimmt der Arbeitnehmer trotz ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zu, ist das
Unterlassen eines BEM „kündigungsneutral". Zwingende Voraussetzung für die
Durchführung eines BEM ist das Einverständnis des Betroffenen. Ohne die
ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen darf keine Stelle unterrichtet oder
eingeschaltet werden.
Schließlich ist möglich, dass ein -unterstelltes- BEM kein positives Ergebnis hätte
erbringen können. Auch sofern dies der Fall ist, kann dem Arbeitgeber aus dem
Unterlassen eines BEM kein Nachteil entstehen.
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein BEM deshalb entbehrlich war, weil
es wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Arbeitnehmers unter keinen
Umständen ein positives Ergebnis hätte bringen können, trägt der Arbeitgeber. Dazu
muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des
Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte
Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem
anderen Arbeitsplatz bei geänderten Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum
also ein BEM auf keinen Fall dazu hätte beitragen können, erneuten Krankheitszeiten
des Arbeitnehmers vorzubeugen und ihm den Arbeitsplatz zu erhalten (BAG
24.03.2011 - a.a.O.).
6. Krankheitsbedingte Kündigung und AGG Folie
Im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Kündigungen ist in letzter Zeit vermehrt
das Problem aufgetaucht, inwieweit ein Arbeitgeber durch den Ausspruch einer
krankheitsbedingter Kündigung -unabhängig von der kündigungsrechtlichen
Unwirksamkeit gemäß § 1 Abs. 2 KSchG -Entschädigungsansprüchen nach dem
AGG ausgesetzt sein könnte. Hierzu gilt:
Hat der Arbeitgeber eine krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen (und später
zurückgenommen), so ist zu Gunsten des betroffenen Arbeitnehmers grundsätzlich
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ein Entschädigungsanspruch gemäß § 15 AGG in Erwägung zu ziehen. Nach § 15
Abs. 2 Satz 1 AGG kann der Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht
Vermögensschaden ist, eine angemessen Entschädigung in Geld verlangen. Der
Entschädigungsanspruch setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot
gemäß § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG voraus. Dies ergibt sich aus einem
Gesamtzusammenhang der Regelungen in § 15 AGG (BAG 22.01.2009 - 8 AZR
/906/07).
Da für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die Benachteiligung
wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erforderlich ist, muss ein
Kausalzusammenhang vorliegen Dieser ist dann gegeben, wenn die
Benachteiligung an einen oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründen anknüpft
oder dadurch motiviert ist. Ausreichend ist dann, dass ein in § 1 AGG genannter
Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst
hat. Nach den gesetzlichen Beweisregelungen in § 22 AGG genügt es, dass der
Anspruchsteiler im Streitfall Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines
in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Sodann trägt die andere Partei
die Beweislast dafür dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor
Benachteiligung vorgelegen hat.
Hieraus folgt, dass die Kündigungserklärung als gestaltende Willenserklärung als
solche nicht an ein Diskriminierungsmerkmal anknüpft. Insoweit können aber etwa
die Kündigungsmotivation bzw. die der Kündigungsentscheidung zugrunde
liegenden Überlegungen durchaus Anhaltspunkte für einen Zusammenhang
zwischen der Erklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Auf einen solchen
kann aus der Kündigungsbegründung oder aus anderen äußeren Umständen
geschlossen werden. Soweit diese nicht vorliegen und nur aus
„krankheitsbedingten Gründen" gekündigt wird, ist die Krankheit als solche kein
Grund, dessentwegen die Benachteiligung von Personen verboten ist. Anders
ausgedrückt: Allein das Vorliegen eines Diskriminierungsmerkmals im Sinne des § 1
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AGG in der Person des Benachteiligten (hier: Behinderung) reicht für die Annahme
eines Kausalzusammenhangs grundsätzlich nicht aus (BAG 28.04.2011 – 8 AZR
515/10).
Indizien im Sinne des § 22 AGG ergeben sich auch nicht dadurch, dass der
Arbeitgeber ein vorgeschriebenes BEM nicht durchgeführt hat. Das Unterlassen
eines vorgeschriebenen BEM führt nicht zur Unwirksamkeit einer aufgrund der
Krankheitszeiten ausgesprochener Kündigung. Auch sonstige Rechtsfolgen für einen
Verstoß gegen § 84 Abs. 2 SGB IX sieht das Gesetz nicht vor. Ein Verstoß hat
allenfalls Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im
Kündigungsschutzprozess. Ein Verstoß gegen § 84 Abs. 2 SGB IX stellt dann aber
auch kein Indiz im Sinne des § 22 AGG für eine unzulässige Benachteiligung des
Arbeitnehmers wegen einer etwaigen Behinderung dar. § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine
besondere Schutzvorschrift zu Gunsten Behinderter, weil sie für alle Arbeitnehmer
gilt. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung, ein ordnungsgemäßes
BEM nach § 84 Abs. 2 SGB lX durchzuführen, könnte mithin allenfalls ein Indiz für
die Vermutung darstellen, dass sie sich nicht an ihre gesetzlichen Verpflichtungen
gegenüber Arbeitnehmern mit längeren Krankheitszeiten hält, aber nicht dafür, dass
sie behinderte Arbeitnehmer unzulässig benachteiligt. Damit ist dann aber ein
Verstoß gegen § 84 Abs. 2 SGB IX nicht vergleichbar mit Verstößen gegen
ausschließlich zu Gunsten behinderter Arbeitnehmer bestehende Verpflichtungen,
welche ein Indiz im Sinne des § 22 AGG für eine unzulässige Benachteiligung
Behinderter darstellten könnten (BAG 28.04.2011 - a.a.O.)
IV. Schlussfolgerung
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten frühzeitig miteinander sprechen, um
gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Auf diese Art und Weise ließe sich ein
Burnout-Syndrom in den meisten Fällen sogar vermeiden.