1 Entdeckung der Radioaktivitt, natrliche Radioaktivitt
Inhalt: Entdeckung der Radioaktivitt, primordiale und
nachgebildete Radionuklide, kosmi- sche Strahlung, radioaktiver
Zerfall, natrliche Zerfallsreihen, Strahlenarten, Radiokarbon-
Datierung, Entdeckung der Hhenstrahlung, Rutherfordstreuung und
Atommodell, Wirkungs- querschnitt, Massenbelegung.
1.1 EntdeckungDie Entdeckung der natrlichen Radioaktivitt
erfolgte 1896 durch Henri Becquerel, als er im Anschluss an die von
Rntgen entdeckten Strahlung, bei der von Poincar als Ausgangs-
punkt der Strahlung flschlicherweise der grne Phosphoreszenzfleck
der Geislerrhre vermu- tet wurde, Untersuchungen an
phosphoreszierenden Stoffen durchfhrte. Als glcklicher Um- stand
erwies sich, dass er im Besitz von (phosphoreszierenden) Uransalzen
war und sehr bald feststellen konnte, dass diese Substanzen durch
Papier und Aluminium hindurch fotografische Platten schwrzen
konnten. Die ersten Ergebnisse wurden am 24. Februar 1896
verffentlicht (Sitzung der franz. Akademie d. Wissenschaften), aber
schon am 5. Mrz 1896 erkannte er, dass keine Vorbelichtung der
verwendeten Uransalze notwendig war, um die fotografische Wirkung
zu erzielen. Auerdem konnte er zeigen, dass andere
phosphoreszierende Substan- zen diese Wirkung nicht besaen.
Schlielich folgerte er, dass die Strahlung eine Eigenschaft des
Uranatoms war und in keinem Zusammenhang mit der Phosphoreszenz der
ursprnglich untersuchten Substanzen stand. Die ausgesandten
Strahlen hatten groe hnlichkeit mit Rntgenstrahlen und wurden spter
als Becquerelstrahlen bezeichnet.Wir wissen heute, dass neben Uran
noch viele andere Elemente radioaktive Strahlung emittieren, ohne
dass dem eine durch den Menschen verursachte Aktivierung
(Kernumwand- lung) vorangeht. Man bezeichnet solche ohne
menschliches Zutun bestehende Radioaktivitt als natrliche
Radioaktivitt. Durch Messung, z. B. mittels Geigerzhlers, kann man
sich leicht berzeugen, dass dies kein selten auftretendes Phnomen
ist, sondern vielmehr als all- gegenwrtig angesehen werden kann. So
ist Uran in Spurenelemente nahezu berall in der anorganischen Natur
vorhanden, und auch in der Biosphre werden verschiedene radioaktive
Substanzen in alle Krper eingebaut, so dass es keine Lebewesen
gibt, die nicht auch von sich aus radioaktiv sind.Schon sehr frh
erkannte man, dass mit der Radioaktivitt eine Elementumwandlung
ver- bunden ist, wobei sich die Menge des Ausgangselements (und
auch die Strahlenintensitt) exponentiell verringert. Es waren der
neuseelndische Physiker Ernest Rutherford (Nobelpreis fr Chemie
1908) und der englische Chemiker Frederick Soddy, die an der McGill
Universitt in Montreal die Theorie der Elementumwandlung
entwickelten.1 Der Nachweis erfolgte durch chemisches Abtrennen der
Elemente. Fr die Intensitt I der Strahlung oder die Anzahl N der
Atome eines Elementes ergab sich als Funktion der Zeit t folgendes
Verhalten:I = Ioe-tbzw.N = Noe-t(1.1)mit Io der Intensitt, No der
Atomzahl zum Zeitpunkt t=0 und einer fr das untersuchte Ele- ment
charakteristischen Konstante. Man bezeichnet als Zerfallskonstante
und wie man
1 E. Rutherford, F. Soddy: The radioactivity of thorium
compounds. I. An investigation on the radioactive ema- nation. J.
Chem. Soc. 81, p. 321350; The radioactivity of thorium compounds.
I. The cause and nature of ra- dioactivity. J. Chem. Soc. 81, p.
837, 1902; The cause and nature of radioactivity. Part I. Phil.
Mag. Series 6, 4 (21), p. 370396, 1902 ; The cause and nature of
radioactivity. Part II. Phil. Mag. ,Series 6, 4 (23), p. 569-585,
1902; The radioactivity of uranium. Phil. Mag. Series 6, 5 (28), p.
441445; Radioactive Change. Phil.Mag. Series 6, 5 (29), p. 576591,
1903.
-7-
leicht einsieht T1/2=ln(2)/als Halbwertszeit und =1/als mittlere
Lebensdauer. Aufgrund von Ablenkungsversuchen im Magnetfeld konnten
verschiedene Strahlenarten und Energien nachgewiesen werden, die
schlielich durch Ernest Rutherford2,3 in drei Arten von Strahlung
eingeteilt wurden, und zwar die -Strahlung, die, wie man heute wei,
aus Heliumkernen be- steht, die -Strahlung, die aus Elektronen
besteht, und die -Strahlung, die hochenergetische,
elektromagnetische Strahlung ist.
1.2 Natrliche RadioaktivittAus der Tatsache, dass die
Radioaktivitt exponentiell abnimmt, sollte man schlieen knnen, dass
nach gengend langer Zeit keine Radioaktivitt mehr vorhanden sein
drfte. Es stellt sich also die Frage, wieso eine natrliche
Radioaktivitt berhaupt nachweisbar ist bzw. wie sie entstanden ist.
Zwei Mechanismen der Entstehung radioaktiver Substanzen sind denk-
bar und beide tragen zur natrlichen Radioaktivitt bei.Die erste
Mglichkeit der Entstehung natrlicher Radionuklide ist deren
Erzeugung bei der Bildung der chemischen Elemente im Zug der
Sternentwicklung. Damit sie auch heute noch vorhanden sind, muss
ihre Halbwertszeit in der Grenordnung von mindestens 108 Jah- ren
liegen. Man nennt diese Radionuklide primordial. Man kann zu dieser
Gruppe auch jene zhlen, die durch den Zerfall primordialer
Radionuklide entstehen und selbst radioaktiv sind(natrliche
Zerfallsreihen). Letztere werden auch als radiogene Radionuklide
bezeichnet. Ty- pische Beispiele fr primordiale Nuklide sind 235U
(T1/2 = 7108y), 238U (T1/2 = 4,5109y), 232Th (T1/2 = 14109y), 40K
(T1/2 = 1,3109y) usw.Da eine Reihe von natrlich vorkommenden
Radionukliden Halbwertszeiten aufweisen, die zu gering sind, als
dass diese Nuklide bei der Sternentwicklung entstanden sein knnen,
muss geschlossen werden, dass auch andere Mechanismen die
Entstehung von Radionukliden ermglichen. Diese Mechanismen mssen zu
einer dauernden Bildung von Radionukliden fhren, wie etwa die
Existenz einer natrlichen Tritiumkonzentration (berschwerer
Wasser-stoff: 3H) mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren oder die
in allen Lebewesen sowie in der Atmosphre vorhandene Konzentration
an Radiokohlenstoff (14C, T1/2 = 5730y) zeigt.1.3 Die kosmische
StrahlungAls Ursache fr diese dauernde Nachbildung ist die
kosmische Strahlung anzusehen, de- ren Entdeckung u. a. auf Viktor
Hess zurckgeht (siehe spter). Es treffen etwa 1000 Kerne pro
Quadratmeter und Sekunde auf die Erdatmosphre, wobei Protonen mit
etwa 90%, - Teilchen mit 9% und schwerere Kerne sowie Elektronen
mit etwa je 1% zur kosmischen Strahlung beitragen. Ein Teil dieser
Teilchen weist sehr hohe Energien auf, manchmal bis zu1020 eV
(ultrarelativistisch), was 11 Grenordnungen ber der Ruhemasse der
Protonen liegt. Aufgrund des Magnetfeldes der Erde kommt es zu
einer Abhngigkeit der Intensitt der kos-mischen Strahlung von der
geographischen Breite. Zumeist werden in der Literatur Werte fr
mittlere Breiten angegeben. Kommt es zur Bildung von Radionukliden
in der Atmosphre, so ist die Breitenabhngigkeit von nicht allzu
groer Bedeutung, da in der Atmosphre stets eine relativ rasche
Durchmischung stattfindet. Im Fall von Radionukliden, die an der
Erdoberfl- che gebildet werden, ist jedoch die Abhngigkeit von der
geographischen Breite der kosmi- schen Strahlung sehr wohl zu
bercksichtigen. Natrlich werden durch die kosmische Strah- lung
auch in der interstellaren Materie Radionuklide gebildet, jedoch
ist dieser Beitrag fr die auf der Erde relevanten natrlichen
Radionuklide als vernachlssigbar anzusehen.
2 E. Rutherford: Comparison of the radiations from radioactive
substances. Phil Mag. Series 6, 4 (19), p. 123, 1902.3 E.
Rutherford, S. J. Allen: Erregte Radioaktivitt und in der Atmosphre
hervorgerufene Ionisation. Phys. Z. 3, p. 235-236, 1902.
Man unterscheidet in der kosmischen Strahlung aufgrund ihrer
Herkunft eine solare Kom- ponente, eine galaktische Komponente
(Entstehung auerhalb unseres Sonnensystems, aber innerhalb unserer
Galaxie) und eine auergalaktische (extragalaktische) Komponente.Als
Ursache der beobachteten hohen Energien in der so genannten primren
Komponente der kosmischen Strahlung knnen Supernova-Explosionen
angenommen werden (Superno- vadruckwelle), wobei die bertragung von
kinetischer Energie eines Plasmas auf individuel- le Teilchen zu
einer nichtthermischen Energieverteilung mit einer berhhung der
Intensitt im hochenergetischen Bereich fhrt. Der Mechanismus beruht
einerseits auf der wiederholten Wechselwirkung geladener Teilchen
mit dem Magnetfeld von Schockwellen (Fermi- Mechanismus 1.
Ordnung), andererseits auf der Diffusion geladener Teilchen in
bewegten, inhomogenen Magnetfeldern (Irregularitten in einer
Magnetfeldwolke), die sich mit dem Plasma mitbewegen
(Fermi-Mechanismus 2. Ordnung). Der ursprnglich von Fermi ange-
nommene Effekt skaliert mit 2 (=v/c mit v Geschwindigkeit des
bewegten Magnetfeldes) daher auch Fermi-Mechanismus 2. Ordnung. Der
spter gefundene Fermi-Mechanismus 1. Ordnung hingegen skaliert mit
und kann zu noch hheren Energien fhren kann. Beide Me- chanismen
beruhen auf dem Effekt, dass geladenen Teilchen beim Durchlaufen
von beweg- ten, magnetischen Gradientenfeldern eine Energienderung
erfahren.Untersuchungen (AGASA Experiment)4,5 haben gezeigt, dass
jenseits jener Energien, die durch den Fermi-Mechanismus 1. Ordnung
erreichbar sind (Abschtzung beruht auf mgli- chen Magnetfeldstrken
und deren maximalen Ausdehnungen), immer noch Teilchen nach-
weisbar sind. Bis vor Kurzem konnte man sich keine Quelle fr diese
extrem hochenergeti- schen Teilchen vorstellen6, wobei noch
zustzlich das Problem der Greisen-Zatsepin-Kuzmin-Schwelle
(GZK-cutoff) besteht. Man kann nmlich zeigen, dass bei sehr hohen
Protonenenergien die kosmische Hintergrundstrahlung eine
signifikante Absorption verursacht. Der Effekt beruht auf der
Pionenproduktion (p+p+o und p+n++), die bei einer Schwellenenergie
von etwa 61019 eV ein- setzt (Photonendichte der kosmischen
Hintergrund- strahlung ca. 412 Quanten/cm3) und zu einer mittle-
ren freien Weglnge von etwa 6 MPc (1 Parsec = 1Pc 3,26 Lichtjahre
3,11016 m, entspricht jener Entfernung, aus der der Erdbahnradius
unter einer Bogensekunde gesehen wird) fhrt. Das bedeutet, dass die
Quelle der beobachteten extrem hochener- getischen Strahlung nher
als etwa 50 MPc liegen sollte. Es gibt derzeit die starke
Vermutung, dass die Quelle suppermassive schwarze Lcher in den
Zent- ren der Galaxien sind.7 (Zum Vergleich: Durchmes- ser der
Milchstrae ca. 30 kPc, Abstand zum nchs-
Abbildung 1: Viktor Hess bei einem seiner Ballonaufstiege.
ten Galaxienhaufen (Virgo) ca. 20 MPc, Abstand zur entferntesten
beobachteten Galaxie ca. 1 GPc.)Die kosmische Strahlung wurde von
Viktor
4 N. Hayashida et al.: Observation of a Very Energetic Cosmic
Ray Beyond the Predicted 2.7K Cutoff in the Primary Energy
Spectrum. Phys. Rev. Letters 73 (26), p. 3491-3494, 1994.5 M.
Takeda et al.: Extension of the Cosmic Ray Energy Spectrum Beyond
the Predicted Greisen-Zatsepin- Kuzmin Cutoff. Phys. Rev. Letters
81 (6), p. 1163-1166, 1998.6 M. Nagano, A. A. Watson: Observation
and implications of the ultra high energy cosmic rays. Rev. of
Modern Phys. 72 (3), p. 689732, 2000.7 The Pierre Auge
Collaboration: Correlation of the Highest-Energy Cosmic Rays with
Nearby Extragalactic Objects. Science 318 (5852), p. 938-943,
2007.
Franz Hess8 (27.6.1883 17.12.1964) bei seinen Arbeiten ber
radioaktive Stoffe in der At- mosphre entdeckt. Viktor Hess war
damals Erster Assistent unter Stefan Meyer am neu gegrndeten
Institut fr Radiumforschung. Da damals bereits die Verteilung
natrlicher ra- dioaktiver Substanzen in der Erde und Atmosphre im
Groen und Ganzen bekannt war, konnte erwartet werden, dass mit
zunehmendem Abstand von der Erdoberflche die durch- dringende
Strahlung abnahm. In den Jahren 1909 und 1910 untersuchten auch
andere For- scher (Wulf, Bergwitz, Gockel) die Radioaktivitt in
greren Hhen und unternahmen sogar Ballonfahrten, jedoch konnten
keine eindeutigen Ergebnisse erzielt werden. In den Jahren 1911 und
1912 unternahm Hess mehrere Ballonfahrten und konnte dabei
eindeutig eine Zu- nahme der Strahlenintensitt mit der Hhe
feststellen.9Es wurden 1913-14 auch von Kolhrster Ballonaufstiege
bis 9 km Hhe unternommen, jedoch wurden die Experimente durch den
1. Weltkrieg unterbrochen. Hess errichtete noch 1913 eine Station
zur Dauerbeobachtung auf dem Hochobir. In den Dreissigerjahren
erfolgte schlielich die endgltige Identifikation der Hhenstrahlung
als kosmische Strahlung mit Hilfe von Arbeiten von Piccard, Cosyns,
Regener, Pfotzer, Bothe und Kolhrster. Schlielich erhielt Vikor
Hess 1936 den Nobelpreis fr Physik fr die Entdeckung der kosmischen
Strah-lung.LeichterKernHochenergetischesProtonNeutronLeichterKernNeutronp,
, strange particles
Treffen die hochenergetischen Protonen der kosmischen Strahlung
auf die Atomkerne der Elemente in der Atmosphre, so kommt es einer-
seits zu einer Zertrmmerung der Tar- getkerne, andererseits vor
allem zur Erzeugung von Pionen (+, -, o), Protonen, Antiprotonen
und sogenann- ten strange particles. Es werden dabei zumeist
mehrere hochenergeti- sche Teilchen pro Sto erzeugt, die aufgrund
der hohen Energie des ein- fallenden Teilchens parallel zur Ein-
fallsrichtung gebndelt emittiert wer- den. Diese knnen mit anderen
Ker-
-10-
Abbildung 2: Symbolische Darstellung der Wech- selwirkung
hochenergetischer Protonen aus der kos- mischen Strahlung mit
Nukliden der Atmosphre.
nen neuerlich eine Kernreaktion ein- gehen und es entsteht ein
Schauer von sekundren Teilchen, die teilweise die Erdoberflche
erreichen knnen. Mit-
tels Koinzidenzmessungen an der Erdoberflche kann auf die
ursprngliche Quelle eines Schauers zurckgeschlossen werden. Die
verwendeten Detektoren knnen dabei Flchen von mehreren hundert
Quadratmetern belegen. Getroffene Kerne verbleiben meist in hoch
ange- regten Zustnden, wobei die Anregungsenergie durch Abdampfen
von Kernfragmenten, insbesondere Neutronen, abgegeben wird. Diese
Abdampfung ist isotrop (kein Winkel be- vorzugt). Fr die Produktion
von radioaktiven Nukliden ist das Entstehen von Neutronen von
entscheidender Bedeutung. Da Neutronen keine elektrische Ladung
besitzen, knnen sie leicht in den Kern eindringen und
Kernreaktionen auslsen. Daneben kann ein Teil der Anre-
gungsenergie natrlich auch ber -Emission abgegeben werden. Diese
Art von nuklearer
8 G. Federmann: Viktor Hess und die Entdeckung der kosmischen
Strahlung. Diplomarbeit Univ. Wien, (2003);
http://www.mpi-hd.mpg.de/hfm/HESS/public/vfHess.pdf9 V. F. Hess:
Messung der durchdringenden Strahlung bei zwei Freiballonfahrten.
Sitzungsberichte der kaiserli- chen Akademie der Wissenschaften in
Wien, mathem.-naturw. Klasse, 120, Abt. IIa, Nov. 1911 und Beobach-
tung der durchdringenden Strahlung bei sieben Freiballonfahrten.
121, Abt. IIa, Nov. 1912.
Wechselwirkung hochenergetischer Projektile mit Atomkernen wird
als Spallationsreaktion bezeichnet (siehe Abbildung 2).
1.4 Strahlenarten und natrliche ZerfallsreihenNach der
Entdeckung der Becquerelstrahlen 1898 untersuchten unabhngig
voneinander G. C. Schmidt und Marya Curie (geb. Sklodowska) ob noch
andere Elemente die Eigenschaft der Becquerelstrahlung aufweisen.
(Pierre Curie hatte mit seinem Bruder Jacques die piezoelekt-
rischen Eigenschaften von Quarz entdeckt und damit
Luftionisationsmessungen durchgefhrt. Er schlug infolgedessen
seiner Frau Marie, unmittelbar nach der Geburt ihrer Tochter Irne,
die genaue Messung der Uranstrahlen als Dissertationsthema vor.)
Sie fanden, dass auch Tho- rium eine solche Strahlung emittiert. Es
fiel sofort auf, dass diese beiden Elemente unter den damals
bekannten Elemente jene mit den grten Atomgewichten (238 und 232)
waren und dass diese relativ weit von den nchsten bekannten
schweren Elementen Wismut (AG=208) und Blei (AG=207) entfernt
lagen. M. Curie untersuchte systematisch alle ihr zugnglichen
Mineralien, fand jedoch, dass nur jene strahlten, die uran- oder
thoriumhltig waren. Die Messmethoden wurden nach der Erkenntnis ber
die ionisierende Wirkung der Strahlen bald verbessert und M. Curie
bediente sich bei ihren grundlegenden Versuchen bereits
elektrischer Messmethoden (Elektroskope). Dank der damit erzielten
Messgenauigkeit konnte sie feststel- len, dass einige Mineralien
eine hhere Aktivitt aufwiesen, als es dem Urangehalt entsprach. Es
war bereits damals einigermaen gesichert, dass die Strahlung eine
Atomeigenschaft ist und nicht von der chemischen Bindung abhngt. M.
Curie zog daher den Schluss, dass ein noch strker strahlendes
Element dem Uran in ganz geringer Konzentration beigemengt sein
msste. Zusammen mit ihrem Mann Pierre Curie versuchte sie nun die
Uranmineralien che- misch aufzuarbeiten und zu trennen, wobei die
Radioaktivitt als Indikator verwendet wurde. In ihren Trenngngen
fand sie in der Fraktion, in der sich Wismut abschied, einen Stoff,
der etwa 400 Mal so stark strahlte wie Uran. Zu Ehren ihrer Heimat
nannte sie dieses neue Ele- ment Polonium. Schon am 26. Dezember
1898 konnte das Ehepaar Curie gemeinsam mit dem Chemiker Gustave
Bmont berichten, dass in der Bariumfraktion ein weiteres
radioaktives Element gefunden wurde, das sie Radium nannten. Diese
Elemente wurden aus der Uran- pechblende gewonnen, nachdem das Uran
bereits abgeschieden worden war. Sie nahmen da- her an, dass die
gefundenen radioaktiven Substanzen in den Rckstnden der
Uranverarbei- tung angereichert sein mssten. Da um die
Jahrhundertwende das bedeutendste Uranbergwerk in sterreich-Ungarn
lag, wandten sie sich an den damaligen Prsidenten der Wiener Akade-
mie der Wissenschaften, Eduard Sue, mit der Bitte um berlassung von
Rckstnden aus der Uranaufbereitung von St. Joachimsthal. (Uran
wurde damals vorwiegend zur Herstellung von Farben und
Emailglasuren verwendet.) Dem Bergwerk St. Joachimsthal ging es
damals wirt- schaftlich nicht besonders gut, denn der Uranabbau war
nicht allzu ertragreich und das frher vorhandene Silber- und
Bleierz bereits abgebaut. Der zustndige Bergrat berlegte, ob aus
den Rckstnden der Uranverarbeitung nicht spter nochmals Silber
extrahiert werden knnte und lie einen groen Teil davon lagern, so
dass zur Zeit der Anfrage aus Frankreich eine groe Menge dieser
Rckstnde vorhanden war. Das sterreichische Ackerbauministerium
stellte den Curies unentgeltlich bzw. zum Selbstkostenpreis zwei
Waggonladungen davon zur Verfgung, aus denen dann grere Mengen der
strahlenden Substanzen gewonnen werden konnten (aus 11 t Material
wurden ca. 85 mg Radium gewonnen) und die schlielich zur Auf-
klrung der Zusammenhnge dienten. (Das war brigens der erste und
wahrscheinlich wich- tigste Transport radioaktiver Abflle.)Es war
sehr bald klar geworden, dass verschiedene Arten von Strahlung zu
unterscheiden waren, denn Absorptionsversuche zeigten, dass es eine
Art der Strahlung gab, die sehr leicht zu absorbieren war, eine
andere, die schon dickere Schichten durchdrang, und schlielich eine
weitere Art der Strahlung, die nur durch massive
Abschirmmaterialien zu schwchen war. 1899/1900 zeigten unabhngig
voneinander F. Giesel, St. Meyer u. E. v. Schweidler sowie H.
-16-
Becquerel, dass sich Radiumstrahlen im Magnetfeld ablenken
lassen. Nicht ablenken lieen sich aber Poloniumstrahlen. Man fand
eine Flle von Kombinationen von weichen, harten, ablenkbaren und
nichtablenkbaren Strahlen. Schlielich war es E. Rutherford2, dem
schlie- lich die richtige Deutung all dieser
Strahlungserscheinungen gelang. Man unterscheidet zwi- schen:
-Strahlen, das sind 4He-Kerne (Nachweis aufgrund der Messung des
Funkenspekt- rums des gebildeten Gases durch Rutherford10), die im
Magnetfeld aufgrund ihrer po- sitiven Ladung abgelenkt werden.
-Strahlen, das sind Elektronen, die aufgrund ihrer negativen Ladung
im Magnetfeld in die andere Richtung abgelenkt werden und, da ihre
Masse viel geringer ist als die der He-Kerne, auch eine viel
strkere Ablenkung erfahren. (Da die ablenkende Kraft proportional
vB ist und da v=(2E/m)1/2, wird bei gleicher Energie der Teilchen
ein Magnetfeld als Massenseparator wirken.) Anders als - und
-Strahlen werden - Strahlen mit keiner festen Energie emittiert
sondern zeigen eine kontinuierliche Ener- gieverteilung. -Strahlen,
das sind elektromagnetische Strahlen, die im Magnetfeld keine
Ablenkung erfahren. Historisch war man sich ber diese Art der
Strahlung lange Zeit nicht sicher, so wurde auch vermutet, dass es
sich um neutrale Teilchen handeln knnte.Die meisten Forscher
vermuteten bereits damals, dass alle diese unterschiedlichen
Effekte auf sukzessiven Zerfllen radioaktiver Substanzen beruhen.
Es waren wieder E. Rutherford und F. Soddy, die diese
Zerfallshypothese im Einzelnen systematisch untersucht haben.Heute
wei man, dass im Prinzip maximal vier natrliche Zerfallsreihen
existieren kn- nen, da bei -Zerfall die Massenzahl nicht gendert
wird und bei -Zerfall sich die Massen- zahl stets um 4 ndert.
Tatschlich existieren nur drei natrliche Zerfallsreihen, ausgehend
von den langlebigen Nukliden 232Th, 238U und 235U mit den
historischen Bezeichnungen Tho- rium-Reihe, Uran-Radium-Reihe und
Actinium-Reihe. Die vierte mgliche Zerfallsreihe (4n+1 Reihe)
sollte von 237Np ausgehen, welches aber mit einer Halbwertszeit von
nur 2,14 Millionen Jahren viel zu kurzlebig ist, als dass noch
ausreichend Material vorhanden wre, diese Zerfallsreihe zu speisen.
In Abbildung 3 sind die natrlichen Zerfallsketten (wie heute
bekannt) schematisch dargestellt (auf die historischen Namen wurde
verzichtet).Man sieht, dass innerhalb dieser Zerfallsreihen die
Halbwertszeiten sehr unterschiedlich sind. Einerseits gibt es sehr
lange Halbwertszeiten (z. B.234U: T1/2 = 2,5105y), andererseits
auch extrem kurze (z. B. 212Po: T1/2 = 0,3 s). Auerdem kommt es
innerhalb der Zerfallsrei- hen zu Verzweigungen, d. h. einige
Nuklide zerfallen auf mehr als eine Art, nmlich sowohl ber
-Emission als auch ber -Radioaktivitt. Schlielich muss noch erklrt
werden, wieso es auerdem noch zur Emission von -Strahlung kommt.
Der Zerfall eines Mutternuklids in ein Tochternuklid muss nicht in
den energetisch tiefsten Zustand des Tochternuklids fh- ren. Dieses
Folgeprodukt kann also in einem angeregten Zustand gebildet werden.
Der bergang in den energetisch tiefsten Zustand kann somit durch
Emission eines -Quants er- folgen. In Abbildung 4 ist ein
Ausschnitt aus der 238U-Reihe dargestellt, der dieses Verhalten in
einem Energiediagramm zeigt.Die radioaktiven Substanzen knnen also
aus sich selbst heraus Energie freisetzen, was zu einer Krise der
klassischen Physik gefhrt hat, die ja eine Erhaltung der Energie
verlangt. Die Lsung dieses Problems ergab sich erst durch Einsteins
spezielle Relativittstheorie.
10 E. Rutherford, t. Royds: The nature of the particles from
radioactive substances. Phil Mag. Series 6, 17 (98), p. 281,
1909.
238U Zerfallskette (A = 4n + 2)234Th24.1d 100%238U4.5E9y
234Pa1.2m+
214Pb26.8m99.98%218Po3.05m100%222Rn3.825d100%226Ra1600y100%230Th7.5E4y100%234U2.5E5y
210TI1.30m0.4%214Bi19.9m100%218At2s
206Hg8.15m75E-6%210Pb22.3y100%214Po0.16ms
206TI4.2m 5E-5%210Bi5.0d
206PbstabIe100%210Po138.4d
232Th Zerfallskette (A = 4n)228Ra5.75y 100%232Th14E9y
228Ac6.13h
212Pb100%216Po100%220Rn100%224Ra100%228Th
10.6h 0.15s55.6s3.66d1.91y
208TI36.2%212Bi
3.1m 60.6m
208Pb100%212Po
stabIe0.3E-6s
235U Zerfallskette (A = 4n + 3)231Th25.5h 100%235U7E8y
215Bi97%219At4E-3%223Fr1.2%227Ac100%231Pa
7.4m 0.9m 21.8m21.8y 3.3E4y
211Pb>99.9%215Po100%219Rn100%223Ra100%227Th
36.1m1.8ms 3.96s11.4d18.7d
207TI99.68%211Bi100%215At
4.8m 2.13m0.1ms
207Pb100%211Po
stabIe0.52s
Z=80818283848586878889909192
Abbildung 3: Die natrlichen Zerfallsreihen: Pfeile nach links
bedeuten -Zerflle mit in Prozent angegebenen Hufigkeiten, Pfeile
nach rechts unten stellen -Zerflle dar. Die Halb- wertszeiten der
Nuklide sind unter ihren Symbolen notiert. Dicke Pfeile
symbolisieren die bevorzugten Zerfallsverlufe.
Aber schon damals hat sich etwa Soddy die Frage gestellt, ob
diese Energie in Zukunft zu Gutem oder zu Bsem genutzt werden
knnte. Die unbegrenzte und billige Energie der Kerne knnte zu einem
Paradies auf Erden oder aber zu gewaltigen Zerstrungen bis zur
Ausl- schung der menschlichen Zivilisation durch radioaktive Bomben
fhren. Auch H. G.
Wells11 wurde durch solche Szenarien zu einer 1913 geschriebenen
Science-Fiction-Novelle inspiriert. Wells spricht darin erstmalig
von einer atomic bomb, die in einem europischen Konflikt (The Last
War) 1956 eingesetzt und spter dieser Krieg durch eine
Friedenskonfe- renz am Lago Maggiore beendet wird. Diese Konferenz
sichert der Welt den immerwhren- den Frieden und durch die
Atomenergie kann eine glckliche Zukunft garantiert werden. Am
Beginn dieses Buches erklrt ein Universittsprofessor seinen Schlern
folgendes:Zitat: This little box contains about a pint of
uranium-oxide; that is to say about fourteen ounces of elementary
uranium. It is worth a pound. And in this bottle, ladies and
gentlemen, in the atoms in this bottle there slumbers at least as
much energy as we could get by burning a hundred and sixty tons of
coal. If at a word, in one instant, I could suddenly release that
energy here and now, it would blow us and everything about us to
fragments; if I could turn it into a machinery that lights this
city, it would keep Edinburgh brightly lit for a week. But at
present no man has an inkling of how this little lump of stuff can
be made to hasten the re- lease of its store!
226Ra222RnEnergie100% E=5,49MeV5,5% : E=4,60MeV94,5% :
E=4,78MeV218Po
Abbildung 4: Der Zerfall von 226Ra in 222Rn erfolgt zu 94,5%
durch -Emission mit einer Energie von 4,78 MeV in den Grundzustand
von 222Rn und zu 5,5% mit einer Energie von 4,60 MeV in den
angeregten Zustand von 222Rn (Anregungsenergie 0,18 MeV). Der
bergang in den Grundzustand erfolgt ber Emission eines (z. T.
konvertierten*) -Quants der Energie 0,18 MeV (Rcksto
vernachlssigt).
Die Einschtzung vieler Wissenschafter war damals wesentlich
skeptischer. Als Beispiel sei hier ein Zitat aus dem Buch
Radioaktivitt von St. Meyer und E. v. Schweidler12 ange- fhrt: Die
grotechnische Anwendung der in den radioaktiven Substanzen
aufgespeicherten Energien in der Form irgendwelcher
Atom-Explosions-Motoren gehrt jedoch in das Reich der Fabel, da
hierzu die vorhandenen auf kleinem Raum konzentrierbaren Mengen
nicht hin- reichen knnen.
1.5 Zerfallsgesetze, radioaktives GleichgewichtDer zeitliche
Verlauf der Bildung und Zerfall von Aktivitten soll nun genauer
untersucht werden. Die Aktivitt A ist die Anzahl der pro
Zeiteinheit zerfallenden Atome einer Substanz (entspricht der
zeitlichen Abnahme der Atomzahl). Die Einheit der Aktivitt ist 1 Bq
(1 Bec- querel), was einen Zerfall pro Sekunde bedeutet. Da der
radioaktive Zerfall ein stochastischer
11 H. G. Wells: The World Set Free, MacMillan & Co., 1914.*
Die -bergangsenergie wird auf ein Hllenelektron bertragen und
dieses wird aus dem Atom emittiert. Da- mit ergibt sich die Energie
der Konversionselektronen als Differenz von -Energie und atomarer
Bindungsener- gie des Elektrons.12 St. Meyer und E. R. v.
Schweidler: Radioaktivitt. Verlag B.G. Teubner, Leipzig, Berlin
(1916).
Prozess ist, ist die Anzahl der Zerflle pro Zeiteinheit, also
die Aktivitt, zur Gesamtzahl N der vorhandenen Atome
proportional:
A dNdt
N .(1.2)
Diese Differentialgleichung lsst sich mit dem AnsatzN (t) N
eto
(1.3)
lsen mit der Konstanten No der Atomzahl zum Zeitpunkt t=0.
Entsprechend ergibt sich fr die Aktivitt
A(t) Noe
t
Aoe
t
(1.4)
Die Konstante ist die Zerfallskonstante und hngt mit der
Halbwertszeit folgendermaen zusammen:ln 2 .(1.5)T1/ 2Betrachten wir
nun den Fall, dass ein Nuklid einerseits von einer Muttersubstanz
gebildet wird, andererseits selbst mit einer gewissen Halbwertszeit
zerfllt. Die zugehrige Differenti- algleichung muss also
folgendermaen lauten (12):
dN2dt
2 N2
dN1 dt
2 N2 1Noe
1t
(1.6)
Der erste Term auf der rechten Seite der Gleichung bedeutet den
Zerfall des Tochterprodukts, der proportional der Atomzahl des
Tochterprodukts (N2) ist, und der zweite Teil bedeutet die
Nachbildung des Tochterprodukts aus dem Zerfall der Muttersubstanz
(dN1/dt). Das negative Vorzeichen stammt daher, dass N1 mit der
Zeit weniger wird, also (dN1/dt) negativ ist, jedoch jeder
zerfallende Kern der Muttersubstanz einen zustzlichen Tochterkern
erzeugt, also einen positiven Beitrag zu (dN2/dt) liefern muss. Fr
diesen Beitrag kann bereits der vorher berech- nete exponentielle
Abfall eingesetzt werden. Obige Differentialgleichung ist eine
gewhnli- che, inhomogene Differentialgleichung 1. Ordnung. Die
allgemeine Lsung ergibt sich als Summe aus den Lsungen der
homogenen Differentialgleichung und einer speziellen Lsung der
inhomogenen Differentialgleichung, die man aus der allgemeinen
Lsung der homogenen Differentialgleichung durch Variation der
Konstanten erhlt. Fr die spezielle Anfangsbedin- gung N1=No und
N2=0 fr t=0 ergibt sich fr die Anzahl der Tochterkerne zur Zeit
t
N 2
12 1
No (e
1t
e2t )
.(1.7)
Abbildung 5 zeigt die Teilchenzahlen als Funktion der Zeit von
Mutter- und von Toch- ternuklid in den Fllen, dass das
Tochternuklid grere bzw. kleinere Halbwertszeit als die Mutter
aufweist. Man erkennt aus dieser Abbildung, dass bei Zeiten viel
grer als die Halb- wertszeit der Mutter das Folgeprodukt mit
lngerer Halbwertszeit zuerst gebildet wird (An- stieg) und auch
nach nahezu vollstndigem Zerfall der Muttersubstanz noch immer
vorhanden ist und danach mit der eigenen Halbwertszeit abnimmt. Bei
einem Folgeprodukt, das eine krzere Halbwertszeit als die Mutter
hat, steigt am Anfang natrlich auch die Teilchenzahl, jedoch wird
sie nie die der Mutter bersteigen. Vielmehr stellt sich
asymptotisch das so ge- nannte radioaktives Gleichgewicht ein, d.
h. es werden gerade so viele Tochterkerne pro Zeiteinheit zerfallen
wie durch den Zerfall der Muttersubstanz nachbildet werden. In
diesem
Fall ist die Aktivitt der Mutter gleich jener der Tochter, d. h.
die Aktivitt der Tochtersub- stanz fllt mit der Halbwertszeit der
Muttersubstanz ab (laufendes radioaktives Gleichge- wicht). Ist die
Muttersubstanz sehr langlebig (Aktivitt nahezu konstant), nhert
sich die Ak- tivitt der Tochtersubstanz dieser konstanten Aktivitt
stetig an, was auch als skulres radio- aktives Gleichgewicht
(Dauergleichgewicht) bezeichnet wird.
-22-
dN1 dN2 A A
radioaktives Gleichgewicht(1.8)
dtdt12Rechnerisch ergibt sich fr t >> T1/2(2) und
T1/2(1)>T1/2(2) (1> T1/2(2) (1