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Empirische Interventionsforschung – eine Problemannäherung am Beispiel Afghanistans Jan Koehler Einleitung Sicherheit und Entwicklung sind zentrale Begriffe für die militärischen und zi- vilen Interventionen der westlichen Staatenwelt in Afghanistan. Beide Begriffe werden als einander bedingende, sich gegenseitig verstärkende Funktionen der Intervention erklärt: Development without security is unachievable, and securi- ty without development is meaningless erklärt die afghanische Regierung in ih- ren Millenium Development Goals (Government of Afghanistan 2005: 9) und die Strategiepapiere der Bundesregierung zu Afghanistan stehen seit 2007 unter dem Motto Keine Sicherheit ohne Entwicklung und keine Entwicklung ohne Sicherheit (Bundesregierung 2007: 4, 11). Dabei steht der Aufbau von Staatlichkeit als berechenbare institutionalisierte Herrschaft in Räumen, in denen der Leviathan abhanden gekommen ist (oder wo er nie wirklich Fuß gefasst hat) im Vordergrund. 1 Was dabei Sicherheit ausmacht und wer Sicherheit produziert bzw. konsumiert ist im Rahmen von solchen Inter- ventionen nicht eindeutig festgelegt (vgl. Münch 2009). Der Begriff „Sicherheit“ kann die Selbstsicherung der Interventen, z. B. die Schaffung eines sicheren Um- feldes für Entwicklungs- und Wiederaufbaumaßnahmen, meinen, er kann auf die Stabilisierung von staatlicher Herrschaft abzielen, oder er kann nachfrageorientiert den Schutz der von kollektiver Gewalt bedrohten Bevölkerung relevant setzen. 2 Diese Konnotationen des Begriffs sind unter Interventionsbedingungen in Kriegsgebieten nur schwer zur Deckung zu bringen. Der Selbstschutz der Inter- venten kann die Autorität nationaler Herrschaft untergraben und im Falle von 1 Vgl. Wimmer April 2002. Dieser Prioritätensetzung entspricht auch der Bonn-Prozess, der auf dem sogenannten Petersberger Abkommen aufbaut und einen Fahrplan für diese Schaffung grundlegender staatlicher Institutionen in Afghanistan vorsah (siehe UN 05.12.2001). 2 Zu Sicherheitsbegriffen, die es im afghanischen Interventionskontext zu differenzieren gilt, vgl. Dax- ner, Free, Schüßler, Thiele 2008: 35–36; zu Sicherheit als sicheres Umfeld für Interventen und entste- hende staatliche Herrschaftsorganisationen vgl. ISAF PRT Ofce 2006: 10 (PRT Terms of Reference); zu Sicherheit als Schutzverantwortung (der Intervenierenden sowie des intervenierten Territorialstaa- tes) vgl. Schorlemer 2007; für den afghanischen Kontext auch Oxfam January 2008: 16–18.
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Mar 28, 2023

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Empirische Interventionsforschung – eine Problemannäherung am Beispiel Afghanistans

Jan Koehler

Einleitung

Sicherheit und Entwicklung sind zentrale Begriffe für die militärischen und zi-vilen Interventionen der westlichen Staatenwelt in Afghanistan. Beide Begriffe werden als einander bedingende, sich gegenseitig verstärkende Funktionen der Intervention erklärt: Development without security is unachievable, and securi-ty without development is meaningless erklärt die afghanische Regierung in ih-ren Millenium Development Goals (Government of Afghanistan 2005: 9) und die Strategiepapiere der Bundesregierung zu Afghanistan stehen seit 2007 unter dem Motto Keine Sicherheit ohne Entwicklung und keine Entwicklung ohne Sicherheit (Bundesregierung 2007: 4, 11).

Dabei steht der Aufbau von Staatlichkeit als berechenbare institutionalisierte Herrschaft in Räumen, in denen der Leviathan abhanden gekommen ist (oder wo er nie wirklich Fuß gefasst hat) im Vordergrund.1 Was dab ei Sicherheit ausmacht und wer Sicherheit produziert bzw. konsumiert ist im Rahmen von solchen Inter-ventionen nicht eindeutig festgelegt (vgl. Münch 2009). Der Begriff „Sicherheit“ kann die Selbstsicherung der Interventen, z. B. die Schaffung eines sicheren Um-feldes für Entwicklungs- und Wiederaufbaumaßnahmen, meinen, er kann auf die Stabilisierung von staatlicher Herrschaft abzielen, oder er kann nachfrageorientiert den Schutz der von kollektiver Gewalt bedrohten Bevölkerung relevant setzen.2

Diese Konnotationen des Begriffs sind unter Interventionsbedingungen in Kriegsgebieten nur schwer zur Deckung zu bringen. Der Selbstschutz der Inter-venten kann die Autorität nationaler Herrschaft untergraben und im Falle von

1 Vgl. Wimmer April 2002. Dieser Prioritätensetzung entspricht auch der Bonn-Prozess, der auf dem sogenannten Petersberger Abkommen aufbaut und einen Fahrplan für diese Schaffung grundlegender staatlicher Institutionen in Afghanistan vorsah (siehe UN 05.12.2001).2 Zu Sicherheitsbegriffen, die es im afghanischen Interventionskontext zu differenzieren gilt, vgl. Dax-ner, Free, Schüßler, Thiele 2008: 35–36; zu Sicherheit als sicheres Umfeld für Interventen und entste-hende staatliche Herrschaftsorganisationen vgl. ISAF PRT Offi ce 2006: 10 (PRT Terms of Reference); zu Sicherheit als Schutzverantwortung (der Intervenierenden sowie des intervenierten Territorialstaa-tes) vgl. Schorlemer 2007; für den afghanischen Kontext auch Oxfam January 2008: 16–18.

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militärischem Selbstschutz zum Sicherheitsproblem für die lokale Bevölkerung werden; Stabilisierung von staatlicher Herrschaft kann im Falle korrupter oder repressiver Regierungsführung zum Sicherheitsproblem sowohl der Interventen, als auch der eigenen Bevölkerung werden; und separat hergestellte Sicherheit von Lokalgesellschaft kann, sofern sie aus eigener Kraft oder durch staatsferne lokale Akteure erwirkt wird, Feindseligkeit gegenüber der Einmischung des Staates oder der Interventen in lokale Angelegenheiten nach sich ziehen.

Ebenso wie der Begriff der Sicherheit ist der Begriff der Entwicklung, der mit Sicherheit kausal verknüpft sein soll, diffus. Im weitesten Sinne sind alle plan-induzierten gesellschaftlichen Prozesse Entwicklungen. Klar ist, dass nicht jede gesellschaftliche Entwicklung gemeint ist und von den Interventen gefördert wird. Gemeint sind im Interventionsrahmen nur intendierte und geplante Verände-rungen, die eine mit der etablierten Staatenwelt kompatible gesellschaftliche und politische Ordnung schaffen. Dieser normative Kern von Entwicklungsinterven-tionen, nämlich die auf Modernisierung abzielende Absicht, wird dabei heute in aller Regel nicht mehr explizit kenntlich gemacht und modernisierungstheoretisch begründet. Sie wird stattdessen durch oft inhaltslosen Fassadenwörtern der inter-nationalen Entwicklungssprache, wie local ownership, participatory approaches oder community driven development, verbrämt.

Im Falle von Afghanistan treffen die westeuropäischen und nordamerika-nischen Interventionsmächte in dem Versuch, den Staat als oberstes politisches Ordnungsprinzip wieder herzustellen und seine Geltungsmacht durchzusetzen, auf kulturell fremde und staatlichen wie internationalen Interventionen gegenüber misstrauisch, mitunter feindselig eingestellte Lokalgesellschaften. Gleichzeitig bieten die gestürzten Taliban mittelfristig eine islamistische Alternative zum ent-stehenden Nationalstaat an. Kurzfristig stellen sie in den von ihnen dominierten Landesteilen essenzielle Äquivalente staatlicher Kernfunktionen in den Bereichen Sicherheit (Gewaltkontrolle), Recht (Verhandlung von Konfl ikten und Durchset-zung von Entscheidungen) und materieller Reproduktion (Schutz und logistische Unterstützung des lokal dominanten Opiumanbaus, Heroinherstellung und Dro-genfernhandels) her.3

Da der Kampf um politische Gestaltungsmacht in Afghanistan sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene asymmetrisch geführt wird, spielen techni-sche und militärische Überlegenheit und in bezifferbaren Leistungen gemessene

3 Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Neuaufl age des Verhaltenskodex (layeha) der Mujaheddin durch den Führungsrat der Taliban in 2006, der Rechte und Pfl ichten der Taliban gegenüber der Lokal-bevölkerung festlegt (siehe dazu Gehringer 2006). Das Regelbuch wurde angeblich 2009 aktualisiert und hebt demnach noch stärker als zuvor die Schutzverpfl ichtung der Mujaheddin gegenüber der Zivil-bevölkerung hervor (laut englischsprachigen Nachrichten auf Al Jazeera, 28.07.2009; der vollständige Text liegt dem Autor nicht vor).

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Entwicklungserfolge für den Erfolg der Konfl iktparteien – die Interventen und der durch sie gestützte Staat auf der einen und die verschiedenen aufständischen Gruppen auf der anderen Seite – eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist die Fä-higkeit, die eigene Interpretation von Zuständen und Prozessen glaubwürdig zu kommunizieren.4 Damit stehen die Interventionsmächte, zusammen mit der von ihnen gestützten afghanischen Regierung, in direkter Konkurrenz mit den mili-tanten staatsfeindlichen Kräften um Herzen, Köpfe und Bäuche der afghanischen Bevölkerung.5

Die Frage, wie die Bevölkerung die Entwicklung der Sicherheitssituation wahrnimmt und ob sie wahrgenommene Entwicklungen in einen kausalen Zu-sammenhang mit der zivil-militärischen Intervention bringt, ist aus diesem Grund von zentraler Bedeutung. Der Erhalt bzw. die Gewinnung von Akzeptanz der mi-litärischen wie zivilen internationalen Präsenz unter relevanten – also meinungs-bildenden oder anderwärtig einfl ussreichen – Zielgruppen in der Bevölkerung hat strategische Bedeutung.6 In Afghanistan soll Akzeptanz in der Breite vor allem über verbesserte Sichtbarkeit der nationalen wie internationalen Anstrengungen und eine für die Bevölkerung klar sichtbare Friedensdividende erreicht werden.7

4 Für eine Diskussion der Rolle, die latente Formen von Macht in asymmetrischen Konfl ikten spielen, siehe Lukes 2005.5 Die Devise „winning the hearts and minds“ tauchte wohl das erste Mal im Rahmen des Guerilla Krieges der Malayan National Liberation Armee gegen britisch geführte Commonwealth Streitkräfte (1948–60) auf und wurde hier auch ein zentraler Bestandteil einer entstehenden Counter Insurgency Doktrin, die letztlich zur erfolgreichen Befriedung Malaysias führte; die Devise wurde auch im Viet-namkrieg (1950–1975) gebraucht. Sie wurde hier allerdings weit weniger erfolgreich in militärisches Vorgehen umgesetzt. Für einen Vergleich beider Fälle siehe Nagl 2006; der Titel des Buches, Learning to Eat Soup with a Knife, weist auf einen für Counter Insuregency Strategien einfl ussreichen Autoren hin, der im Auftrag der britischen Regierung auf der Seite der Aufständischen stand: T. E. Lawrence schreibt: „The Turks were stupid; the Germans behind them dogmatical. They would believe that re-bellion was absolute like war […]. [W]ar upon rebellion was messy and slow, like eating soup with a knife“ Lawrence 2000: 198; als Berater und Lenker des arabischen Aufstands gegen das Osmanische Reich erkennt er die Schwächen konventioneller Militärdoktrin in der Aufstandsbekämpfung.. Mitt-lerweile ist die zentrale Bedeutung der Haltung der intervenierten Bevölkerung im Rahmen von kom-plexen Interventionen sowie Aufstandsbekämpfung allgemein von vielen Interventen erkannt worden und im US-amerikanischen Fall auch in öffentlich zugängliche Counter Insurgency Field Manuals eingegangen (siehe Nagl, Petraeus, Amos 2007). Solche Doktrinen kommen allerdings in der Praxis nicht immer zur Anwendung.6 Siehe hierzu die die neue taktische Direktive für ISAF vom 06.07.2009, in der General Stanley Mc-Chrystal, der neue NATO Kommandeur in Afghanistan, diese strategische Bedeutung explizit unter-streicht und eine Änderung der militärischen Kultur von Befehlshabern bis hinunter zu den Mann-schaftsdienstgraden fordert. Um die Ernsthaftigkeit seines Anliegens zu unterstreichen hat er die Di-rektive in allen nicht-operativen Teilen öffentlich zirkulieren lassen.7 Vgl. NATO 05.07.2007; Bundesregierung 2007. Daxner, Free, Schüßler, Thiele 2008: 27 beobachten hierzu: „Es ist die Crux von humanitären Interventionen nach dem Ende der Blockkonfrontation, dass humanitäre und militärische Komponenten immer enger verknüpft werden und auch verknüpft sein

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Konkret wird dieses Ziel mit zivilen Instrumenten der zivil-militärischen Zusam-menarbeit (Civil-Military Cooperation, CIMIC), der Nothilfe und der langfristige-ren Entwicklungszusammenarbeit verfolgt.

Entwicklung schafft unter Bedingungen komplexer Interventionen aber nicht zwingend mehr Akzeptanz in der Empfängergesellschaft und ist nicht automa-tisch förderlich für nachhaltige Sicherheit.8 Entwicklungsinterventionen zielen auf wesentliche Veränderungen in der Politik (vor allem good governance, Sicher-heitssektorreform, Rechtsstaatlichkeit), Wirtschaft (z. B. nachhaltige Wirtschafts-förderung, Wasserbau und erneuerbare Energien) und im sozialen Bereich (z. B. Bildung, Frauenförderung, Krisenprävention und Konfl iktbearbeitung) der Inter-ventionsgesellschaft ab. Diese Veränderungen sollen durch einen konditionalen9 Transfer von Ressourcen, Techniken und Normen erzielt werden.

Die durch Entwicklungszusammenarbeit angestrebten Veränderungen sind nicht nur umfassend;10 sie setzen auch einen Grad gesellschaftlicher Differenziert-heit in funktional getrennte Teilsysteme (Gesellschaft, Staat, Wirtschaft, Politik) voraus, der in von Konfl ikten zerrissenen Ländern wie Afghanistan oft nicht ge-geben ist.11 Deshalb wurde nach der militärisch erfolgreichen Intervention von

müssen, um nachhaltig positive Ergebnisse erzielen zu können. […] [Es] haben sich die Konfl ikte gewandelt, die mit Interventionen bearbeitet werden sollen und [sie] sind mit dem klassischen Peace-keeping-Modell nicht mehr zu regeln“.8 Aufschlussreich hierzu ist die neuere Diskussion um eine Soziologie von Interventionsgesellschaften, die in Anlehnung an Pierre Bourdieus ethnografi sche Methode des Erfassens von Kontinuität und Wan-del in extern induzierten gesellschaftlichen Umbrüchen (Modernisierung, Kolonialisierung) gegen-wärtige Interventionen als umfassende Gesellschaftstransformationsprojekte begreift und analysiert (siehe Free 2008).9 Konditionalität ist für einige Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) explizit gefordert – wie z. B. für Strukturanpassungsprogramme (SAP) und Armutsbekämpfungsstrategien (PRSP) von Weltbank (WB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Doch auch dort, wo Konditionalität ver-neint wird, sind erbrachte Leistungen immer an einzuhaltende Standards und Rahmenbedingungen gekoppelt, die von der Geberseite gesetzt werden.10 Die Interim Afghan National Development Strategy (I-ANDS) arbeitet den anvisierten gesellschaft-lichen Transformationsprozess für die funktionalen Sphären „Sicherheit“, „Governance, Rule of Law and Human Rights“ und „Economic and Social Development“ aus.11 Zu den wiederholt gescheiterten Versuchen von König Ahmanullah (1919–29) über Daud Khan (zu-nächst als Premierminister unter König Zahir Shah, 1973–78 nach seinem Putsch als Präsident) bis hin zur kommunistischen Herrschaft nach 1978, Modernisierung im Sinne funktionaler Differenzierung durch staatlich betriebene gesellschaftliche Reformen voranzutreiben, siehe Rubin 2002: 5–15, 53 ff. Auch Cramer, Goodhand 2002 analysieren Afghanistans spezielles historisches Verhältnis zu Staat-lichkeit, das sich seit den Anfängen als Stammeskonföderation unter Ahmed Shah Durrani (1747–72) zwar nie zum modernen (hier: autonomen, nach innen und außen wirklich souveränen) Territorialstaat einwickelt hat, aber doch über längere Phasen stabile politische Ordnungsmuster hervorgebracht hat, welche auf modernen staatlichen und traditionell-gesellschaftlichen herrschaftsrelevanten Institutio-nen fußten.

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2001 als oberste Priorität die funktionale Trennung dieser Bereiche über den insti-tutionellen Aufbau von moderner Staatlichkeit betrieben (der Bonner Prozess auf Grundlage des Petersberger Abkommens, s. FN 1). Die Neuverfassung fragmen-tierter Gesellschaften über moderne Institutionen staatlicher Herrschaft ist nach theoretischer Erkenntnis und empirischer Erfahrung ein radikaler und konfl iktvol-ler Prozess, der gegen bestehende lokale Ordnungselemente antritt und für eine Vielzahl der betroffenen gesellschaftlichen Akteure zumindest kurzfristig mehr Unsicherheit als Sicherheit bedeuten kann.12

Es ist damit eine empirisch zu klärende Frage, ob komplexe Interventionen über ihre militärische Sicherheits- und zivile Entwicklungskomponente zu einer Verstetigung von Sicherheit als zentraler Governance-Leistung beitragen.

Theoretische Grundlagen komplexer Interventionen

Die angenommene gegenseitige Abhängigkeit von Sicherheit und Entwicklung scheint plausibel zu sein. Sie ist aber empirisch nicht nachgewiesen. Gerade des-halb kann die enge Verzahnung der zwei Konzepte – Sicherheit und Entwicklung – nicht unhinterfragt als gegeben angenommen werden. Und genau das – also den unterstellten Nexus hinterfragen – möchte ich auf den folgenden Seiten tun. Denn die Annahme einer gegenseitigen Abhängigkeit ist voraussetzungsreich und wirft eine Reihe grundsätzlicher Fragen auf, die geklärt werden müssen, bevor die Kausalitätsvermutung in einem überprüfbaren Modell gefasst werden kann. Dafür ist zunächst eine begriffl iche Einkreisung von Sicherheit und Entwicklung als ein Bestandteil gesellschaftlicher Ordnung vonnöten.

Im weitesten Sinne geht es bei externen Interventionen in fremde, von Zu-sammenbruch staatlicher wie gesellschaftlicher Institutionen geprägter Länder wie Afghanistan darum, das Problem gesellschaftlicher Ordnung in den Griff zu bekommen. Nach Norbert Elias muss jede Gesellschaft drei Grundfunktionen für die vergesellschafteten Individuen bereitstellen (Elias 1983): die Sicherung der materiellen Reproduktionsfähigkeit, die Gewaltkontrolle sowie eine über Ideen und Weltbilder vermittelte symbolische Ordnung. Erst durch das Ineinan-dergreifen dieser spezifi sch ausgeprägten Funktionen entstehen unterschiedliche

12 Der Klassiker zur Interdependenz zwischen organisierter Gewalt, Schutz und der Herausbildung von Institutionen staatlicher Herrschaft ist Tilly 1985. Untersuchungen zur jüngeren Dynamik von Gewalt und Staatlichkeit vgl. Koehler, Zürcher 2003; Zürcher 2007: Kapitel 8, 209 ff.. Für Afghanistan sprechen Daxner, Free, Schüßler, Thiele 2008: 29 fast polemisch von einem notwendigen „Krieg um die Herstellung eines Gewaltmonopols, das heißt einen inner-afghanischen Krieg gegen Kriegsherren, Milizen, Behördenwillkür, gegen die alten stammesrechtlichen Regionalismen, gegen abgestandene Männerherrschaft […]“.

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soziale Ordnungen, die als Gesellschaften defi niert werden können. Kern dieser funktionalen Konzeption gesellschaftlicher Ordnung ist die Sicherung des Fort-bestehens von den im Einzelfall sehr unterschiedlichen zwischenmenschlichen Zusammenhängen, die eine Gesellschaft ausmachen. Ohne materielle Reproduk-tionsmöglichkeiten sterben die vergesellschafteten Subjekte. Ohne eine verlässli-che Einschränkung der Gewaltoption in der gesellschaftlichen Interaktion brechen komplexe Beziehungen ganz zusammen (durch Rückzug oder Vernichtung).13 Die symbolische Ordnung ist wesentliche Voraussetzung für den Fortbestand von ge-sellschaftlichen Zusammenhängen weil sie eine sinnvolle Interpretation der Welt schafft, der über den physischen Niedergang der einzelnen Gesellschaftsbausteine (individuelle Menschen, Familien, Gemeinden u.ä.) hinausweist.

Jede Gesellschaft, die über einen längeren Zeitraum fortbesteht, ist, nach Elias, ein spezifi scher Lösungsentwurf dieser drei universellen Probleme – materi-elle Reproduktion, Einhegung der Gewaltoption und Vorgabe einer symbolischen Ordnung. Dies gilt nicht nur für die (westlich intervenierten) Gesellschaften, über die in diesem Artikel Aussagen gemacht werden, sondern auch für die (westliche, intervenierende) Gesellschaft, die Aussagen über die intervenierte Gesellschaft macht.

Durch Intervention beförderte soziale Ordnung, die die eliaschen Grundfunk-tionen in den Griff bekommen soll, greift dabei zurück auf in Europa gewachse-ne und weltweit mit unterschiedlichem Erfolg erprobte fundamentale Konzepte von (Rechts-)Staatlichkeit und (Zivil-)Gesellschaft, welche Menschen als Staats-bürger mit Anspruch auf dem Individuum zugeschriebene Rechte neu verfasst. Auf diesem modernisierungstheoretischen Fundament gründen alle offi ziellen Programme,14 die in Afghanistan für Sicherheit und Entwicklung sorgen sollen.

Mit dem Grundproblem gesellschaftlicher Ordnung sind externe Interven-tionen in zerfallene Staaten in jedem Fall konfrontiert. Wenn die Interventen aus-

13 Ein vollständiger Zusammenbruch von Gesellschaft durch entfesselte Gewalt ist nur für die Extrem-fälle der physischen Vernichtung (Genozid) und des vollständigen Rückzugs bzw. der Vertreibung von Gesellschaftssegmenten festzustellen. Meist reduziert entfesselte Gewalt lediglich die Reichweite und Mannigfaltigkeit gesellschaftlicher Interaktion – eine Dynamik, die als „Verkriegung von Gesell-schaft“ (Waldmann 1995) bezeichnet wurde. Gesellschaftlich eingehegte und kulturell eingebettete Formen von Gewalt sind hingegen selbst wesentlicher Bestandteil gesellschaftlichen Zusammenhangs. Nicht jede Manifestation von Gewalt ist also ein Zeichen von gesellschaftlichen Aufl ösungserschei-nungen. Elias geht es um die Lösung des Gewaltproblems im Sinne der Einhegung von willkürlicher Gewaltanwendung, die Individuen und Gruppen per se als Alltagsressource im Umgang miteinander zur Verfügung steht. Dies ist die eigentliche Leistung von Zivilisationsprozessen.14 Vom europäischen Paradigma des demokratisch legitimierten Rechtstaates und einer auf Wachs-tum ausgerichteten und am Leitfossil des Bruttosozialproduktes gemessenen freien Marktwirtschaft weichen lediglich informelle Interventen mit explizit anti-westlicher ideologischer Agenda ab – die Taliban und die sie stützende Kräfte – oder taktierende Pragmatiker auf der Suche nach kleinräumigen Lösungen – Geheimdienste, Diplomaten und Militärs in Verhandlungen mit lokalen Machthabern.

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ziehen, um state building zu betreiben, sind sie mit diesem Problem nicht nur konfrontiert sondern machen sich explizit die Lösung des Problems zur Aufgabe. State-building bezeichnet einen extern eingeleiteten und unterstützten Prozess, der den Territorialstaat als zentrale Institution in der Bewältigung der Universalpro-bleme gesellschaftlicher Ordnung einführen bzw. wieder herstellen soll. In diesem Prozess soll der Staat auf dem von ihm beanspruchten Territorium als regelnde Ordnungsmacht gegen vorhandene, lokale Ordnungsmächte antreten (also effekti-ve Gebietsherrschaft ausüben). Diese lokalen Akteure und Institutionen, die auch staatsähnliche Funktionen ausüben (lokal Reproduktionschancen und Gewaltkon-trolle sichern und eine symbolische Ordnung defi nieren), können je nach Region Ältestenräte, organisierte Stammesverbände, Milizen, Gewaltunternehmer mit Gefolgschaft, institutionalisierte religiöse Autoritäten, Patronagenetzwerke regio-naler Machthaber oder auch, wie im Falle der in Afghanistan operierenden Ta-liban, komplexe Herrschaftsapparate mit Anspruch auf alternative Staatsbildung sein. Die Reichweite der Geltung von Regeln und die soziale wie geografi sche Reichweite der Durchsetzungsmacht von Akteuren, in deren Zusammenspiel ge-sellschaftliche Ordnungsmuster entstehen, ist dabei sehr unterschiedlich.

Für den Erfolg oder das Scheitern von Interventionsstrategien sind diese lo-kalen institutionellen Zusammenhänge einerseits und die Durchsetzungsmacht der lokalen Akteure andererseits die entscheidenden Einfl ussfaktoren.15Der Staat muss sich als von den Interventen unterstütztes Ordnungsprinzip gegen lokale Ak-teure und die institutionellen Regeln, nach denen sie agieren, durchsetzen können. Dies tut er im Zweifelsfall mit Gewalt. Damit staatliche Gewalt nicht zu Bürger-krieg und gesellschaftlicher Aufl ösung führt, beansprucht der Staat das legitime Gewaltmonopol und Rechtshoheit gegenüber seiner lokalen Konkurrenz. Damit sind Interventionen, die wie in Afghanistan Sicherheit und Entwicklung im Rah-

15 Anhand von so genannten schwachen Staaten in Südostasien analysieren Clementset al. 2007 das Dilemma, das sich ergibt, wenn weberianische Vorstellungen autonomer (also von gesellschaftlichen Institutionen abgekoppelter) Staatlichkeit im Rahmen von externem state-building auf real existie-rende hybride politische Ordnungen aus etwas Staat, etwas traditioneller Ordnung und etwas neuer Nicht-Regierungs-Ordnung (hier einschließlich privater Gewalt- und Rechtsorganisationen) trifft. Die Autoren leiten aus ihrer Analyse die Forderung ab, hybride politische Ordnungen nicht als einen Über-gangszustand vor oder nach dem Staatszerfall zu sehen, sondern als ein Phänomen gesellschaftlicher Ordnung, das zum weberianischen Territorialstaat funktionsäquivalente Governanceformen hervor-bringen kann und potenziell zu neuen Formen von Staatlichkeit führen wird (ähnlich argumentiert von Trotha, wenn er Parastaatlichkeit und konzentrische Ordnung im afrikanischen Kontext erläutert, allerdings ist er pessimistischer, was Funktionsäquivalente für Rechtstaatlichkeit und Gewaltmonopol angeht; siehe Trotha 2000). Während diese Analyse überzeugt, ist doch die abgeleitete Handlungsemp-fehlung an externe Staatskonstrukteure, ihre Interventionen schon in der Planung auf die Erschaffung dieses neuen hybriden Staatswesens umzustellen, etwas abenteuerlich. Interventen können ja nur Ord-nungsprinzipien, Technologien und Institutionen anbieten, die sie erstens selbst verstanden haben und zweitens normativ vertreten können.

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men von state-building bereitstellen wollen, in ihrem Kern der extern unterstützte Kampf für ein legitimes Gewalmonopol und die Rechtshoheit des Staates als die basalen Prinzipien moderner staatlicher Ordnung (vgl. Daxner, Free, Schüßler, Thiele 2008: 29).

Eine Diskussion der Konzepte von Sicherheit, Entwicklung sowie transnatio-naler Governance (die Sicherheit und Entwicklung bereitstellen will), die hinter komplexen Interventionen wie in Afghanistan stehen, ist Gegenstand des folgen-den Abschnittes.

Sicherheit

Der Begriff Sicherheit hat im Interventionskontext eine Vielzahl von teilweise widersprüchlichen Bedeutungen. Der Gebrauch des Begriffes ist grundsätzlich nach Produzenten und Konsumenten16 – also denen, die Sicherheit (vermeintlich oder tatsächlich) herstellen und den Nutznießern von Sicherheit – und nach der begriffl ichen Reichweite einzuteilen. Im Fall Afghanistans, wie für die meisten zivil-militärischen Interventionen in Kriegsgebieten, die moderne Staatlichkeit herstellen wollen, ist Sicherheit nach folgenden Produzenten und Konsumenten zu unterscheiden:

▪ Die Sicherheit der Interventen, hergestellt durch die Interventen (sowohl im Interventionsgebiet als auch in den Herkunftsstaaten, z. B. vor Anschlägen international operierender Terroristen mit Rückhalt im Interventionsgebiet; kurzfristiges Ziel der Intervention)

▪ Die Sicherheit der Interventen, hergestellt durch stabile Staatlichkeit im In-terventionsgebiet (Langzeitziel der Intervention)

▪ Die Sicherheit des durch die Intervention geschaffenen oder gestützten Staa-tes, hergestellt durch den militärischen Teil der Intervention (mittelfristiges Ziel der Intervention)

16 Chojnacki und Branović (2007) stellen dem radikal gewaltoffenen Raum des Gewaltmarktes (Elwert 1997) drei qualitativ nach Anbietern und Nachfragenden differenzierte Sicherheitsvarianten gegen-über: Sicherheit als öffentliches Gut, Sicherheit als Pool-Gut, und Sicherheit als privates Gut. Bei humanitären (Kosovo) bzw. staatsgründenden (Afghanistan) Interventionen in gewaltoffenen Räumen geht es im Kern darum, Sicherheit zu verallgemeinern, also aus einem privaten bzw. Pool-Gut ein öffentliches Gut zu machen – dem Prozess entsprechend, der von Chojnacki und Branović etwas um-ständlich als „Ver-Governance-ung“ bezeichnet wird (Chojnacki, Branovic 2007: 195). Im Kern geht es in einem eliasschen Sinne um die Ausbreitung gewaltfreier Räume sowie die verbindliche Verrege-lung von Konfl iktaustragung.

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▪ Die Sicherheit des durch die Intervention geschaffenen oder gestützten Staate durch die Sicherheitskräfte dieses Staates (innere und äußere Souveränität des Staates, Autonomie und Selbstschutz)

▪ Die Sicherheit der Bevölkerung, hergestellt durch die Interventen (Schutz vor Gewaltwillkür von Staat, Kriegsherren, Aufständischen und der eigenen Gewalt, z. B. in Form sogenannter Kollateralschäden)

▪ Die Sicherheit der Bevölkerung, hergestellt durch den eigenen Staat (als eine zentrale Funktion der durch die Intervention angestrebten modernen Recht-staatlichkeit)

▪ Die Sicherheit der Bevölkerung, hergestellt durch nicht-staatliche Dienstlei-ster und lokale Institutionen (lokale, mehr oder weniger sozial eingebettete Gruppen, die in der Lage sind, Gewalt nach anerkannten Regeln zu kontrol-lieren und zu beschränken)

Im Falle der begriffl ichen Reichweite von Sicherheit sind im Wesentlichen zwei Sicherheitsbegriffe zu unterscheiden: ein enges Verständnis von physischer Si-cherheit, der sich aus dem oben geschilderten eliaschen Gewaltproblem ableiten lässt und den Schutz vor (willkürlicher) physischer Gewalt relevant setzt (vgl. Wilke 2009); und ein wenig scharf defi nierter Begriff der human security, der sich auf Schutz vor allen möglichen Bedrohungen lebenswichtiger Belange von Menschen bezieht.17

Sowohl physische Sicherheit als auch human security defi nieren sich durch ihre verhindernde und ermöglichende Kernfunktion: Gesellschaftsmitglieder wer-den vor bestimmten existenziellen Bedrohungen geschützt (Schutzkomponente von Sicherheit) und gesellschaftsnotwendige Erwartungssicherheit wird geschaf-fen (ermöglichende Komponente von Sicherheit).

Unter Kontextbedingungen, in denen sich gesellschaftliche Zusammenhänge nach gewaltsamen Krisen neu ordnen, erscheint es vertretbar zu sein, den Sicher-heitsbegriff auf das physische Gewaltproblem – also auf Schutz vor willkürlicher Gewalt sowie der gesellschaftlichen Einhegung der Gewaltoption im Konfl iktfall durch Normen und Institutionen – zu beschränken. Wenn Gewalt als dominante Machtressource in Konfl ikten (Bürgerkrieg) die von den Interventionskräften vor-

17 So defi nieren die Vereinten Nationen, die diesen Begriff prägten, human security fogendermaßen: „The Commission on Human Security (CHS) defi nes human security as the protection of „the vital core of all human lives in ways that enhance human freedoms and fulfi llment. Human security means protecting fundamental freedoms. It means protecting people from critical and pervasive threats and situations. It means using processes that build on people’s strengths and aspirations. It means creating political, social, environmental, economic, military and cultural systems that, when combined, give people the building blocks for survival, livelihood and dignity“, siehe United Nations Trust Fund for Human Security 2009.

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gefundene Situation bestimmt, dann ist ein (empirisch im Einzelfall näher zu be-stimmendes) Mindestmaß an physischer Sicherheit Voraussetzung für wirtschaft-liche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die als human security gefasst werden können. Insofern kann physische Sicherheit nach der oben gegebenen Defi nition als grundlegend, anderen weiter gefassten Formen von Sicherheit vor-geordnet, gesehen werden.

Physische Sicherheit muss also im Kontext von Interventionen operationa-lisiert werden, die bestimmte Formen sozialer Ordnung herstellen wollen. Dafür müssen empirisch drei Aspekte der Sicherheit näher betrachtet werden.

Erstens muss auf der Outputseite geklärt werden, wer Sicherheit auf welche Weise herstellt. Es muss also geklärt werden, welche Akteure in welchen institutio-nellen Rahmenbedingungen an der Herstellung von Sicherheit bzw. Unsicherheit beteiligt sind. Die relevanten lokalen, nationalen und externen Akteure, die einen intentionalen Einfl uss auf die physische Sicherheit von Gesellschaftselementen haben, müssen dafür erfasst werden, ihre Strategien und Wirkungsmacht muss analysiert werden und die institutionellen Einschränkungen, in denen sie agieren, müssen verstanden und auf ihren tatsächlichen Geltungsbereich hin untersucht werden. Diese Aufgabe kann als Kartografi e der sicherheitsrelevanten Akteure in der sie betreffenden institutionellen Landschaft gefasst werden.

Zweitens, auf der Inputseite ist festzustellen, bei wem Sicherheit ankommt und über welche Mechanismen diese Sicherheit geleistet wird. Da Sicherheit als kollektives Gut, neben beobachtbaren und ggf. messbaren Größen immer auch eine starke subjektive Note im Sinne der wahrgenommenen Sicherheit hat, spielen die Meinungen und Einschätzungen der Empfänger der Sicherheitsleistungen hier eine entscheidende Rolle.

Letztlich muss in diesem Zusammenhang an der hermeneutischen Front ge-klärt werden, wo die Defi nitionsmacht über relevante Sicherheit liegt und ob das Angebot an Sicherheit qualitativ überhaupt der Nachfrage aufseiten von Zielgrup-pen entspricht. Physische Sicherheit ist zwar im Sinne der verlässlichen Einhe-gung von Gewaltoptionen in der gesellschaftlichen Interaktion eine universelle Voraussetzung gesellschaftlicher Ordnung und kann insofern als anthropologische Konstante des sozialisierten Individuums gesehen werden. Gleichwohl wird Si-cherheit und Unsicherheit nicht unabhängig vom spezifi schen kulturellen Kon-text hergestellt. Dieser kulturelle Kontext legt interpretierend fest, welche Güter besonders schützenswert sind, welche Gruppen besonders relevant sind und wer unter welchen Umständen ausgeschlossen bleibt, ohne dass dadurch der gesell-schaftliche Zusammenhalt in Mitleidenschaft gezogen wird.

Der kulturell überformte Aspekt von Sicherheit kommt besonders dann zum Tragen, wenn im Rahmen von externen Interventionen Konzepte, die sich in den Weltregionen der intervenierenden Kräfte als selbstverständlich durchgesetzt ha-

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ben, auf Lokalgesellschaften übertragen werden, welche ggf. mit grundsätzlich anderen Selbstverständlichkeiten leben.18 Die Sozialanthropologie spricht hier von gesellschaftsspezifi schen Relevanz- und Plausibilitätsstrukturen, die kulturell codiert vorbewusste Orientierung des Einzelnen in der Gesellschaft möglich ma-chen.19 So kann beispielsweise nicht a priori davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der Herstellung von Sicherheit in jeder Gesellschaft die körperliche Unversehrtheit des Individuums das wichtigste Maß ist; abhängig vom kulturellen Kontext kann die maßgebliche Einheit der Haushalt oder die als Ehrgemeinschaft konstituierte, patrilinear erweiterte Familie (Clan oder Sippe) sein, deren Unver-sehrtheit es vor allem und unter Umständen auch unter Einsatz von Leib und Le-ben einzelner Mitglieder zu schützen gilt. In einem solchen Fall kann dann die ex-terne, staatliche und anderwärtige Durchsetzung von Schutzgarantien für Einzelne als empfi ndliche Bedrohung für das entsprechende Kollektiv angesehen werden.20

Entwicklung

Die zweite Komponente, auf die komplexe internationale Interventionen in Kri-sengebieten wie Afghanistan abzielen, ist Entwicklung. Die erwartete Wirkung ist doppelköpfi g: Zum einen sollen kurzfristig von der Lokalgesellschaft nach-gefragte, gut sichtbare Entwicklungserfolge mit unmittelbarem Einfl uss auf die Lebensqualität der Zielgruppen Vertrauen in die neue, extern gestützte politische Ordnung herstellen; ebenso soll durch die Entwicklungsmaßnahmen die Akzep-tanz des internationalen militärischen wie zivilen Engagements erhöht werden.

Vor dem Hintergrund asymmetrischer militärischer Bedrohungen wird der erwarteten akzeptanzsteigernden Wirkung von Entwicklung somit ein mittelbarer Einfl uss auf die Eigensicherheit der intervenierenden externen Kräfte sowie der durch die Intervention unterstützten Träger gesellschaftlicher Ordnung (vor allem geförderte staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen) zugeschrieben. Sichtbare Entwicklungserfolge sollen die Legitimation der neuen Ordnung in den

18 Zu diesem Problem im Hinblick auf die Governanceforschung siehe Risse 2007: 13 ff; zum erkennt-nistheoretischen Grundproblem des „blinden Flecks“ in der empirischen Sozialforschung, der durch das Unvermögen des Beobachters entsteht, sich außerhalb der beobachteten gesellschaftlichen Realität zu positionieren, siehe z. B. Rottenburg 2002: 12 f.19 Vgl. Relevanz- und Plausibilitätsstrukturen als kulturspezifi sche vorbewußte Orientierungsmuster neben der semantischen Struktur bei Elwert: 1996, S. 56 f.20 Dieses Dilemma gilt beispielsweise für Gesellschaften, die die kollektive Ehre der Familie relevant setzen und mit institutionalisierten Blutracheverpfl ichtungen absichern. Der staatliche Schutz von Leib und Leben des Einzelnen kann hier leicht zu einer Beschädigung der innerhalb der Lokalgesellschaft reproduktionsnotwendigen Ressource „Ansehen“ führen (vgl. Koehler 2000: 38 ff.).

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Augen einer skeptischen, von Gegnern dieser Ordnung umworbenen Bevölkerung steigern.

Zum anderen bedeutet Entwicklung im Kontext internationaler state buil-ding-Interventionen langfristig politisch gesteuerten gesellschaftlichen Wandel. Extern unterstützte bzw. forcierte Entwicklung fi ndet im Rahmen der Entwick-lungszusammenarbeit traditionell über den Transfer von Know-How und Tech-nologien (Technische Zusammenarbeit oder TZ) sowie über den Transfer von Fi-nanzmitteln in Form von besonders günstigen Krediten oder Infrastrukturhilfen (Finanzielle Zusammenarbeit oder FZ) statt. In beiden Fällen ist der Transfer von bi- bzw. multilateralen Gebern zu Empfängern an Konditionen geknüpft, die auf organisatorische oder strukturelle Veränderungen der vorhandenen gesellschaftli-chen Ordnung21 abzielen (z. B. die Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und IWF oder die durch diese Institutionen geforderten Poverty Reduction Strat-egy Papers/PRSPs).

Die Ziele der Programme sind dabei vielfältig und zielgruppenabhängig. Ganz allgemein geht es aber immer darum, die Qualität in den gesellschaftlichen Subsystemen Wirtschaft, Politik und Soziales, gemessen an westlichen Standards funktionsfähiger demokratischer Rechtstaaten und kapitalistischer Marktwirt-schaften, zu verbessern. Neben der modernisierungstheoretischen Hoffnung auf eine durch steuerbare gesellschaftliche Entwicklung erreichbare Verbesserung des menschlichen Daseins steht hinter diesem Vorgehen auch die Vorstellung, dass systemkompatible demokratische Rechtstaaten intern weniger krisenanfällig sind und im internationalen Rahmen anderen demokratischen Rechtsstaaten gegenüber weniger aggressiv auftreten – also im Sinne von unilateralen wie multilateralen Interessen der Stabilität durch Entwicklung gedient wird.

Auch in diesem langfristigen Sinne wird somit ein Zusammenhang zwischen extern beeinfl usster Entwicklung bestimmter gesellschaftlicher Ordnungsmuster und der Sicherheit sowohl der lokal betroffenen als auch der externen Akteure unterstellt.

Externe Entwicklungsinterventionen im Sinne der TZ und FZ, die nicht im Kontext von Krisen und Staatszerfall stattfi nden, setzen handlungsfähige staatli-che Partnerinstitutionen in den Empfängerländern voraus. Entwicklungsprogram-me werden in Kooperation mit diesen Partnern umgesetzt, wobei die Leitdifferenz zwischen Geber und Nehmer erhalten bleibt aber die nationale Verantwortung souveräner Staaten für die Eingriffe in gesellschaftliche Organisation formal ge-wahrt wird. Dabei kann Entwicklungspolitik wie im US-amerikanischen Fall, untergeordneter Teil der Außenpolitik eines Landes sein, sie kann, wie im bun-

21 Der Staat als Hebel für gesellschaftliche Veränderungen wird hier in einem soziologischen Sinne als eine weitverbreitete und besonders wirkungsvolle Ordnungsinstanz und damit als ein möglicher, aber nicht zwingend vorhandener, Bestandteil gesellschaftlicher Organisation begriffen.

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Empirische Interventionsforschung 231

desdeutschen Fall, eigenständiger Bestandteil der Außenbeziehungen eines „Ge-berlandes“ sein oder, wie im Falle multilateraler Entwicklungsorganisationen wie Weltbank, IWF oder UNDP von nationalen Interessen einzelner Staaten losgelö-ster Organisationssinn sein.

In jedem Fall wird als Ansprechpartner für Entwicklung der Staat als lokal politikfähiger Akteur vorausgesetzt (mit Ausnahme von humanitären Einsätzen und, eingeschränkt, im Bereich der Nothilfe). Das systemische Vertrauen in funk-tionsfähige und nach transparenten Regeln operierende staatliche Partnerinstitu-tionen ist ein grundsätzliches Problem der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Es setzt voraus, dass zumindest zwei zentrale Aspekte gesellschaftlicher Ordnung nicht nur pro forma gegeben sind, sondern semantisch nachvollziehbar und mit den Erwartungshaltungen der Geberorganisationen in Einklang zu bringen sind: der rationale Anstaltsstaat, der mit einem bürokratischen Apparat ein erhebliches Maß an Autonomie von gesellschaftlichen Kräften behauptet hat und eine Zivil-gesellschaft, die legal organisiert mit diesem Staat in einem vertragsähnlichen und arbeitsteiligen Verhältnis steht.

Dies ist zwar in Verfassungen und Gesetzestexten formal vielerorts der Fall, hat aber oft wenig praktische Relevanz. NGOs können dabei faktisch die informell gesteuerten Machterweiterungen von Regierungen sein und die staatliche Büro-kratie kann von Partikularinteressen mächtiger Patronagenetzwerke unterlaufen oder gar gekapert sein (siehe hierzu Koehler, Zürcher 2004).

Anders verhält es sich im Falle komplexer Interventionen in Ländern wie Af-ghanistan, deren politische Ordnung in Jahren der Verkriegung von Gesellschaft weitgehend zerbrochen ist. Hier ist von vornherein klar, dass moderne staatliche und zivilgesellschaftliche Synapsen, die kompatibel für Entwicklungszusammen-arbeit sind, erst geschaffen werden müssen.

Entwicklungspolitik und latente modernisierungstheoretische Annahmen

Für die Analyse modernisierender Entwicklung bzw. Entwicklungszusammenar-beit ist das hermeneutische Problem kulturell überformter Deutungen von analy-tisch zu fassenden Phänomenen und Prozessen weitaus komplexer als im über-schaubaren Fall der physischen Sicherheit.22

22 Im Falle der physischen Sicherheit lassen sich vermutlich mehr gesellschafts- und kulturunabhän-gige anthropologische Konstanten formulieren und empirisch nachweisen. Physische Unsicherheit wirkt radikalselektiv; die mit physischer Unsicherheit verbundene Einsamkeit von Schmerz, Angst und Todeserfahrung konfrontiert kulturell codierte Kollektivwirklichkeiten mit universellen Fragen des Menschseins.

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Hinter komplexen, staatsaufbauenden Interventionen steht die auf Sicher-heit als Resultat ausgeweitete optimistische modernisierungstheoretische Hoff-nung, dass Gesellschaft, richtig angepackt, entwickelt – also modernisiert – wer-den kann. Gesellschaftlicher Wandel hin zu einem positiv gesetzten, modernen Gesellschaftsmodell ist mit den richtigen Techniken und den richtigen Anreizen machbar, das war die liberale Antwort auf die klassischen und neueren Depen-denztheorien, die Klassenkampf bzw. die Befreiung von Abhängigkeiten in einem ungerechten Weltsystem als endogene Triebkraft gesellschaftlichen Fortschritts begriffen hatten.23 Das moderne Gesellschaftsmodell, im Kern basierend auf Rechtstaatlichkeit, Zivilgesellschaft und Marktwirtschaft, ist für die Vertreter von Modernisierungstheorien dabei in der Regel kein eurozentrischer Selbstzweck. Es dient viel mehr der Annäherung an die in der in den UN-Millienium Development Goals manifestierten Utopie einer Welt ohne Krieg und ohne Armut.24

Erweitert wurde die modernisierungstheoretische Hoffnung dabei zunächst um die grundlegende Annahme, dass (richtige) Entwicklung notwendige Voraus-setzung für nachhaltige Sicherheit ist. Insbesondere im Rahmen der Do-No-Harm Debatten in den 90er Jahren wurde aber evident, dass Westliche Entwicklungs-hilfe auch Unsicherheit, Konfl ikt und schlechte Regierungsformen unterstützen oder sogar hervorbringen konnte. In der Folge dieser Debatten setzte sich als Fortführung der Modernisierungsdebatte dann die Einsicht durch, dass Moderni-sierung als Grundlage für nachhaltige Sicherheit bestimmte Governanceformen voraussetzt – und deshalb für Good Governance gesorgt werden muss. So wurde Regierungsführung von einer Kontextbedingung der Entwicklung im Sinne guter (transparenter, inklusive, demokratischer und rechtstaatlicher) Regierungsführung (Good Governance) zu einem zentralen Ziel von Entwicklung. Good Governance als Voraussetzung für nachhaltige und erfolgreiche Entwicklungsmaßnahmen soll also gleichzeitig Ziel von Entwicklungszusammenarbeit sein (siehe Abschnitt „In-terventions-Governance“ unten).

Die Modernisierung, auf die in solch komplexen Governanceinterventionen abgezielt wird und die durch das Zusammenwirken transnationaler Akteure er-reicht werden soll, wird über drei Rechtfertigungsstrategien in der eigenen wie auch der Zielgesellschaft vermittelt:25

23 Für den historischen Überblick über die Debatte, auf den ich mich hier beziehe, siehe Rottenburg 2002: 1 ff.; auch Hoebink 1997.24 Für Afghanistan siehe Government of Afghanistan 2005; für eine fundamentale Kritik der Utopie und ihrer Umsetzung durch Entwicklungsplaner aus der Insiderperspektive siehe Easterly 2006.25 Für eine fundierte Diskussion der kulturverankerten Metacodes des etablierten Entwicklungsdis-kurses siehe Rottenburg 2002; speziell zum Technologiecode der Entwicklungszusammenarbeit auch Hubig, Rottenburg 2007: 221–224.

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Empirische Interventionsforschung 233

1. Wissenschaftlich begründeter Technologietransfer (Metacode Objektivis-mus): die Modernisierung, die die Interventen anbieten, ist wertfrei, unpo-litisch und wissenschaftlich erwiesen zielführend. Sauberes Trinkwasser ist sauberes Trinkwasser ist sauberes Trinkwasser.

2. Partizipation, Ownership, Partnerschaft (Metacode Kulturautonomie und Souveränität): Die intervenierten Gesellschaften (Empfänger, Nutznießer in der Sprache der Entwicklungszusammenarbeit) wollen die Modernisierung, die die Interventen (die Geber in der Sprache der Entwicklungszusammenar-beit) meinen, und nehmen die dafür notwendigen Ressourcen und Technolo-gien teilnehmend nach und nach in Besitz.

3. Globale Menschenrechte (Metacode Universalismus): Grundlegende Stan-dards und Normen im Bereich der Menschenrechte sind universell gültig und sind im Regelwerk der Vereinten Nationen verankert. Entwicklungspolitik, die auf die Stärkung dieser Standards und Normen im Bereich Menschen-rechte, Good Governance oder Armutsbekämpfung abzielt, kann sich auf diese universellen Prinzipien berufen.

Jeder der drei Argumentationsstränge kann dabei sowohl auf theoretische als auch auf empirische Gründe verweisen, die für das Argument sprechen. Sauberes Trinkwasser und funktionierende Infrastruktur werden, nicht zuletzt durch Infor-mationsfl üsse, die Vergleiche mit anderen Ländern, Regionen oder Gesellschafts-schichten erleichtern, von vielen Menschen als Wert an sich angesehen. Partizi-pative, kultursensible und auf lokale Aneignung Wert legendes Vorgehen wird auch von den Empfängern von Entwicklungshilfe oft konditionalen und politisch forcierten Ansätzen vorgezogen. Und universale Menschenrechte werden selten von denen in Zweifel gezogen, denen diese Rechte verwehrt werden, sondern ten-denziell eher von denen, die diese Rechte beschneiden.

Ein prinzipielles Problem ist damit aber nicht zu lösen – dass nämlich diese Rechtfertigungsstrategien für Modernisierungsanstrengungen einige zentrale Ent-wicklungsziele schon als gegeben voraussetzen. Es wird vorausgesetzt, dass die Metacodes, die als codierte und damit vorgeordnete Form des Wissens immer in einen kulturellen Kontext eingebunden sind, bei den Empfängern auch gelten oder geltend gemacht werden können; und es wird vorausgesetzt, dass Partnerstruktu-ren existieren, die willens und fähig sind, die Ressourcen und Technologien der angebotenen Entwicklung partizipativ bzw. selbstständig zu übernehmen und als etwas Eigenes zu defi nieren.

Diese Probleme sind zumindest dem Anschein nach zu lösen, wo internatio-nal anerkannte Regierungen ihre Entwicklungsländer vertreten und die einschlä-gigen internationalen Verträge unterschrieben haben. Doch selbst in diesen Fäl-len kann nicht vorausgesetzt werden, dass formale Erklärungen tatsächlich Wille

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und Fähigkeiten von Regierungen oder der gesellschaftlichen Realität im Lande entsprechen.

Im Falle von Interventionen in Ländern, deren staatliche Institutionen neu aufgebaut werden, sind diese Voraussetzungen nicht einmal der Form nach ge-geben. Der Bruch zwischen empirisch erfassbarer gesellschaftlicher Realität und dem normativen Anspruch der Entwicklungszusammenarbeit auf politisch neutra-len Technologietransfer, auf von souveränen und legitimen Partnern nachgefragte Modernisierungsleistungen und auf die universelle Anwendbarkeit von handlungs-leitenden Prinzipien gerechter gesellschaftlicher Organisation, ist augenfällig.

Diese Situation muss in der Untersuchung transnationaler Bemühungen, Si-cherheit und Entwicklung als sich gegenseitig bedingende Interventionsleistungen lokal umzusetzen, methodologisch berücksichtigt werden. Es wäre falsch, den An-nahmen der externen Akteure zu folgen, ohne zu untersuchen, ob diesen Annah-men einer soziale Wirklichkeit vor Ort entspricht.

Sicherheit und Entwicklung durch Interventions-Governance

Wenn es keinen Staat gibt und damit auch zivilgesellschaftliche Institutionen in ei-nem normativ-westlichen Sinne fehlen,26 können die Governanceleistungen physi-sche Sicherheit und modernisierende Entwicklung im Rahmen von Interventionen nur transnational, also im Zusammenwirken von externen Interventen, entstehen-den staatlichen Strukturen und lokalen Leistungsträgern erbracht werden.

Mit dem Begriff Governance werden intentionale Reglungsprozesse bezeich-net, die soziale Ordnung von Kollektiven herstellen.27 Dabei ist der Begriff für fragmentierte und von individueller Durchsetzungsmacht gekennzeichnete Ge-sellschaften wie Afghanistan nur dann zu gebrauchen, wenn intentionales Handeln auch die nicht-intendierten, erratischen, aber dennoch ordnenden Folgen des Han-delns von Governance-Akteuren einschließt. Weiter muss der Governance-Begriff Akteure berücksichtigen, die jenseits des Nationalstaates Defi nitionsmacht dar-über haben, was öffentliche Belange sind, die kollektiver Regelung bedürfen. Dies

26 Also gesellschaftliche Organisationen, die kollektive Interessen gegenüber Staat und Wirtschaft un-abhängig vertreten und damit ein Teil des liberalen Staatsbürgerverständnis geworden sind (zu den verschiedenen Ansätzen, Zivilgesellschaft zu fassen siehe Manor, Robinson, White 26.08.1999). Von Sozialanthropologie und Ethnologie wird seit einiger Zeit thematisiert, dass Zivilgesellschaft einen starken westlichen, der liberalen Gesellschaftstheorie entsprungenen, Bias hat und funktionale Äqui-valente von eigenständig organisierter Gesellschaft in solchen Räumen außer Acht lässt, die nicht oder anders staatlich verfasst und marktwirtschaftlich organisiert sind (siehe Hann, Dunn 1996).27 Governance wird hier verstanden als „institutionalisierte Modi der sozialen Handlungskoordination, die auf die Herstellung und Implementierung verbindlicher Regelungen bzw. auf die Bereitstellung kollektiver Güter abzielen“ (siehe Teilprojekt A1 2009: 4).

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Empirische Interventionsforschung 235

können machtautonome Akteure innerhalb des territorial defi nierten Nationalstaa-tes sein, wie lokale Kriegsherren, korporativ handlungsfähige Stammesverbände oder auf der Mikroebene unabhängige Dorfräte; es können aber auch machtauto-nome Akteure jenseits des Nationalstaates sein, hier im Falle von Interventionen, die auf Sicherheit und Entwicklung abzielen, vor allem bilaterale und multilaterale militärische sowie Entwicklungsorganisationen.

Governance-Akteure in Afghanistan sind damit neben den entstehenden staatlichen Akteuren und den klassischen bi- und multilateralen Entwicklungsak-teuren auch externe international sowie national geführte Militärorganisationen, private Sicherheitsfi rmen und lokale formelle wie informelle Machthaber, die un-mittelbaren Einfl uss auf Entwicklungs- und Sicherheitsleistungen nehmen. Die Spielregeln, die sich zwischen diesen Akteuren herausbilden und zur Regelung kollektiver Belange der intervenierten Gesellschaft beitragen, und die ordnungs-fördernden Leistungen, die über diesen Wirkungszusammenhang erbracht wer-den, können als transnationale Interventions-Governance bezeichnet werden.

Der Aufbau von entsprechenden gesellschaftsordnenden Institutionen fi ndet aber eben nicht auf grüner Wiese statt. Man fi ndet auch in fragmentierten, von Bürgerkriegen gezeichneten Gesellschaften wie Afghanistan funktionale Äquiva-lente des Staates, die zumindest kleinräumig neben Sicherheit auch Governan-celeistungen in den Bereichen physische Reproduktionsfähigkeit und sinnschaf-fende symbolische Ordnungsmuster erbringen.

Die Qualität der Strukturen, die als funktionale Äquivalenten der Staatlich-keit fungieren, ist dabei eine entscheidende Variable mit Einfl uss darauf, ob die Intervention in ihrem Angebot an Governanceleistungen als willkommene Erlö-sung von unzumutbaren Bedingungen oder aber als illegitime Einmischung in lokale Angelegenheiten aufgenommen wird. Wenn Interventen, wie die Taliban auf ihrem Siegeszug gegen die Kriegsherren 1994–96, im Wesentlichen gegen Gewaltwillkür und Anarchie anzutreten haben, ist als Legitimation der gewaltsam ergriffenen Macht die Durchsetzung der hobbesianischen Basalfunktion des Le-viathan ausreichend: Schutz vor der willkürlichen Gewalt der Kommandone und zuverlässige Regelung solcher Konfl ikte, die mit lokalen Institutionen nicht in den Griff bekommen werden konnten. Dies reichte für die Taliban aus, um zumindest vorläufi g von weiten Teilen der Bevölkerung als wünschenswertere Ordnungsal-ternative zum Gewaltmarkt der Kommandeure akzeptiert zu werden.

Die Situation von Interventen ist hingegen ungleich schwieriger, wenn diese gegen eine handlungsfähige politische Ordnung antreten, wie die von den USA geführte Invasion in 2001 in Afghanistan. Diese Intervention löste das Regime der Taliban mit militärischen Mitteln ab und etablierte eine neue Ordnung, in der der militärisch unterworfenen Talibanelite kein Platz eingeräumt wurde. Aus dieser Ausgangssituation folgt, dass die von den USA geführte Intervention deutlich grö-

Jan Koehler
Inserted Text
Ein Friedensprozess wurde nicht begonnen.
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ßere Anstrengungen unternehmen muss, um breite Akzeptanz für die neue, extern gestützte Ordnung zu erlangen.

Die Legitimation von fremdherrschaftsgestützter gesellschaftlicher Ordnung soll in komplexen Interventionen durch Leistungen erreicht werden, die über transnationale Interventions-Governance erbracht werden.

Sicherheit und Entwicklung sind die zentralen beabsichtigten Leistungen von Interventions-Governance. Das Verhältnis zwischen Interventions-Governance und den Leistungen Sicherheit und Entwicklung funktioniert dabei nur in einem doppelten und teilparadoxen Sinne: Einerseits fi ndet Governance als Wirkungszu-sammenhang zwischen lokalen, nationalen und bi- wie multilateralen Akteuren im Rahmen der Intervention statt und soll Leistungen erbringen, die die Legitimation der neuen Ordnung befördern; andererseits ist eine bestimmte, normativ aufgela-dene Lesart von Governance, nämlich good governance, ein durch die zivil-mi-litärische Intervention zu erreichendes Resultat, welches das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Staat (dann als Zivilgesellschaft und Rechtstaat) prägen soll. Go-vernance ist somit gleichzeitig Input- und Outputfunktion im Verhältnis der Geber und Empfänger von Interventionsleistungen. Sicherheit (wie auch Unsicherheit) und Entwicklung (wie auch Stagnation oder Zusammenbruch) sind das Ergebnis eines zumindest in Teilen koordinierten und intentionalen Zusammenwirkens ei-nes transnationalen Akteursgefl echtes.

Theorie des extern gesteuerten Wandels

Versuchen wir nun, die bisher diskutierten theoretischen Annahmen über einen kausalen Zusammenhang zwischen Sicherheit und Entwicklung im Rahmen kom-plexer Interventionen auf ein Modell zu reduzieren, ergibt sich folgendes Bild doppelter rückgekoppelter Verstärkung:

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Der innere Ring stellt die angenommene direkte Wechselwirkung zwischen mi-litärisch durch externe und im Aufbau befi ndliche nationale Kräfte erzwungener Sicherheit da, durch die Maßnahmen der Nothilfe, Aufbauhilfe und längerfristigen Entwicklungszusammenarbeit möglich werden. Die so bewirkte Entwicklung hat nach diesem Modell eine Steigerung von Akzeptanz der staatsbildenden Interven-tionsbemühungen zur Folge. Dies wirkt sich unter Bedingungen asymmetrischer Kriegsführung positiv auf die Sicherheit der externen wie nationalen Akteure aus. Die Legitimation der staatlichen Institutionen wächst, sofern die angeschobene Entwicklung als sichtbare Friedensdividende von der Bevölkerung wahrgenom-men wird und mit der neuen, fremd gestützten staatlichen Ordnung in Verbindung gebracht wird.

Der äußere Ring zeigt dabei den längerfristigen Prozess des Aufbaus von Staatlichkeit und Normalisierung von Entwicklungszusammenarbeit, der im Bonn-Prozess (Peterberger Abkommen) den Anfang nahm und den Aufbau zen-tralstaatlicher Institutionen priorisierte. Dabei setzt die militärische Präsenz, aus-gehend vom Zentrum politischer Macht, Inseln physischer Sicherheit gegen die Herausforderung staatsfeindlicher Kräfte durch, in denen staatliche Institutionen und die sie unterstützenden bilateralen und multilateralen Organisationen Fuß fassen können.28 So entstandene staatliche Handlungsfähigkeit ermöglicht dann,

28 Dieser Ansatz kann auch als Tintenkleckstheorem bezeichnet werden – die Sicherheitsinseln sollen sich demnach um die Distriktzentren herum vergrößern und letztlich zusammenfl ießen, wie Tinten-

Sicherheit

Herrschaft

Entwicklung

GoodGovernance

Militärisch erzwungenephysische Sicherheitermöglicht die Erbringungvon grundsätzlichenFunktionen vonStaatlichkeit

StaatlicheHandlungsfähigkeitermöglichenEntwicklungs-zusammenarbeit

Entwicklungs-zusammenarbeit stärktGood Governance ander Schnittstellezwischen Staat undGesellschaft

Good Governancemacht Sicherheitnachhaltig

Schutz

Akzeptanz

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strategische, langfristig ausgelegte Entwicklungszusammenarbeit über Partner-strukturen. Diese Entwicklungszusammenarbeit befördert wiederum effektive, legitime und transparente Regierungsführung, was durch Stabilisierung einer symbiotischen Beziehung zwischen sich entwickelndem Rechtsstaat und sich ent-wickelnder Zivilgesellschaft zu nachhaltiger Sicherheit führt.

Beiden Wirkungsringen zugrunde liegt die Annahme, dass Entwicklung durch Armutsbekämpfung, Steigerung der Leistungsfähigkeit und Diversifi zie-rung der Wirtschaft und Verbesserung der Regierungsführung nachhaltig struk-turelle Konfl iktursachen (sogen. root causes), die Unsicherheit nach sich ziehen, transformieren kann.29 Dabei wird als gegeben angenommen, dass es einen kausa-len Zusammenhang zwischen Armut (gemessen am Einkommen), wirtschaftlicher Unter- oder Fehlentwicklung (gemessen anhand des BSP) und schlechter Regie-rungsführung (gemessen an Demokratie- und Rechtstaatlichkeitsindizes) gibt. Die empirisch begründete Literatur, welche sich dem Thema widmet, erkennt zwar ei-nen starken Zusammenhang zwischen Bürgerkrieg und ökonomischen Niedergang (Collier October 2004), kommt zu keinen eindeutigen universell anwendbaren Er-gebnissen hinsichtlich wirtschaftlicher „Unterentwicklung“ und der Gewaltanfäl-ligkeit einer Gesellschaft (vgl. Easterly 2006). Dies legt, wie hier vorgeschlagen, eine Einzelfallprüfung dieser Kausalitätsannahmen nahe.

Damit ist das Model von Veränderung beschrieben, das zentraler Bestand-teil der theoretischen Begründung komplexer Interventionen ist. Die Aussagekraft dieses Modells, das Sicherheit und Entwicklung über tranznational erwirkte Go-vernanceleistungen interdependent verbindet, wird nun anhand von Ergebnissen einer Wirkungsbeobachtung zur internationalen Intervention in Nordost-Afghani-stan einer kurzen exemplarischen Prüfung unterzogen werden.

Sicherheit und Entwicklung in Nordostafghanistan, eine Zwischenbilanz

Die Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan im äußersten Nordosten Afghani-stans fallen in das seit 2004 von Deutschland geführte Regionalkommando Nord. Seit dieser Zeit sind die drei ethnisch heterogenen Provinzen auch der wesentli-che Schwerpunkt von bundesdeutschen Entwicklungsinterventionen, zunächst der Not- und Übergangshilfe, später auch der Technischen und Finanziellen Zusam-

kleckse auf Löschpapier; siehe Leithead 14.07.2006. 29 Diese Annahme liegt dabei sowohl der normativ handlungsleitenden Friedensforschung als auch diversen Ansätzen von konfl ikttransformativen bzw. friedensfördernden Entwicklungsansätzen zu-grunde; siehe exemplarisch Anderson, Spelten 2000, December; IA 2001; Ropers 2000; Goodhand, Atkinson 2001; Oxfam January 2008.

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menarbeit im Rahmen langfristigerer Projektvorhaben. Obwohl es andere Groß-projekte im Nordosten gibt, wie z. B. technische wie institutionelle Neugestaltung der Wassernutzung in den Flussoasen von Kunduz und Takhar durch die Europä-ische Union, kommt der Bundesrepublik hier eine besondere Rolle in der Her-stellung von Sicherheit und Entwicklung im Sinne des oben herausgearbeiteten interdependenten Entwicklungsmodells zu.30

Ich möchte das oben herausgearbeitete Modell einer Kausalbeziehung zwi-schen Entwicklung und Sicherheit im Rahmen transnationaler Gouvernancelei-stungen auf einige Ergebnisse der empirischen Arbeit vor Ort beziehen. Ich be-schränke mich hier exemplarisch auf solche Ergebnisse, die zur Verifi zierung der theoretischen Annahmen geeignet erscheinen; mein Anliegen ist es nicht, die ge-sellschaftliche Dynamik in den drei Provinzen seit dem Beginn der internationalen Intervention 2001/02 darzustellen.

Die Forschungsergebnisse, die der folgenden Darstellung zugrunde liegen, sind in Koehler, Zürcher 2007 und Koehler 2008 publiziert.

Direkte Rückkoppelung

Nach dem bisher verfügbaren Datenmaterial hat sich Sicherheit aus afghanischer Sicht in den Zielprovinzen zwar verbessert und diese Verbesserung wird als ein Resultat der transnationalen Governanceleistungen wahrgenommen; Sicherheit ist dabei aber sowohl in der afghanischen Wahrnehmung als auch nach den ethnogra-phischen Beobachtungen und Fallstudien losgelöst von erbrachten Entwicklungs-inputs. Mehr Entwicklungsinputs führen nicht unmittelbar zu mehr Sicherheit.

Aus Sicht der Afghanen sind die beobachteten Verbesserungen ihrer Sicher-heit vor allem auf Einschränkung machtwillkürlicher Handlungsoptionen von lokalen Gewaltunternehmern (komandans) durch militärische Präsenz und die Entstehung von staatlichen Institutionen als politischer Handlungsrahmen für Res-sourcen- und Machtkonkurrenz.

Die Hoffnung auf eine unmittelbare Verbesserung von Sicherheit durch Ent-wicklungserfolge bezieht sich im oben herausgearbeiteten Modell allerdings nicht in erster Linie auf die Sicherheit der lokalen Bevölkerung, sondern auf die Sicher-heit von Interventen und den durch die Intervention geschaffenen bzw. unterstütz-ten Staat. Im Modell leitet sich der erhöhte Sicherheits-Output aus der erhöhten Akzeptanz der Intervention in der Bevölkerung durch Entwicklungsleistungen ab.

30 Die Entwicklung in drei Provinzen wird vom Autor seit 2003 regelmäßig vor Ort verfolgt, wobei in Kunduz und Takhar seit 2006 eine systematische Wirkungsbeobachtung in Zusammenarbeit zwischen BMZ und SFB 700 (Teilprojekt C1) etabliert wurde.

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Entwicklung kommt bei relevanten Teilen der afghanischen Bevölkerung tat-sächlich an und wird auch wertgeschätzt. Dabei handelt es sich aber vor allem um kleinteilige, wenig auf Nachhaltigkeit und Synergie ausgerichtete Infrastruk-turprojekte, die über neu geschaffene zivilgesellschaftliche Organisationen (sog. Community Development Councils) und mehr oder weniger inklusive und trans-parente Vergabeverfahren (z. B. den Provincial Development Funds) in die Fläche gebracht wurden.

Eine Sicherheitswirkung für die Interventen erscheint zwar plausibel, ist aber allenfalls indirekt und kann nur im Einzelfall nachgewiesen werden (Quick Impact Projekte/QIP, vertrauensschaffende Maßnahmen, entry points, ggf. Informationen aus der Bevölkerung über geplante Anschläge auf Entwicklungsinfrastruktur, Ver-änderung der Anreizstruktur von Gemeindevertretern).

Es fällt auf, dass trotz der breiten Umsetzung des National Solidarity Pro-grammes (NSP), Quick Impact Projekten und von Maßnahmen der entwick-lungsorientierten Nothilfe und ähnlicher, bei ländlicher Infrastruktur ansetzender Programme die Sicherheitslage seit 2006 in der Schlüsselprovinz Kunduz konti-nuierlich schlechter geworden ist. Demgegenüber ist die Sicherheitslage in Takhar und Badakhshan relativ stabil geblieben. Brenzlige Gegenden, die von den Taliban oder von anderen bewaffneten Gruppen als Rückzugsraum bzw. Brückenkopf in der Region genutzt wurden, konnten durch Anreize der Entwicklungszusammen-arbeit alleine in den beobachteten Fällen nicht sicherer gemacht werden (siehe auch Fallbeispiel unten).31 Die Behauptung, dass ohne diese Maßnahmen die Si-tuation sich schneller und extremer verschlechtert hätte, kann dabei weder ausge-schlossen noch bestätigt werden. Sie ist lediglich eine Spekulation.

Wenn der unmittelbare Einfl uss von Entwicklungs-Inputs auf Sicherheit spe-kulativ oder situativ bleibt, so hat umgekehrt Unsicherheit von Intervenierten wie Interventen einen erheblichen Einfl uss auf die Nutzung von Entwicklungschancen. Landfrieden erscheint dabei aus afghanischer Perspektive als Grundvoraussetzung für die Nutzung solcher Chancen. Wenn Leib, Leben und die Integrität des Haus-haltes als elementarer kollektiver Akteur durch tatsächliche oder glaubwürdig an-gedrohte physische Gewalt bedroht sind, sind die Anreize der Entwicklungspro-gramme bestenfalls nachgeordnet. Wenn die Beteiligung an solchen Programmen (z. B. in Form von Grundbildungsprogrammen für Mädchen) von lokalen oder

31 Versuche, die lokale Bevölkerung und ihre Repräsentanten durch Entwicklungsanreize stärker an der offi ziellen Ordnung als Alternative zu den Offerten der Aufständischen zu interessieren, gab es 2007 beispielsweise in den paschtunischen Siedlungsgebieten um Lala Maidan in der Provinz Kunduz und in Chin Zai in Takhar. Seit Anfang 2009 ist zu diesem Zweck für den Problemdistrikt Chardara in Kunduz ein eigener Distrikt Development Fund aufgelegt worden. Bisher waren allerdings vor allem die Negativanreize oder Druckmittel der Aufständischen stärker, als dass die Aussicht auf Entwick-lungsinputs das Verhalten der Bevölkerung signifi kant verändert hätte.

Jan Koehler
Cross-Out
Jan Koehler
Replacement Text
Stabilisation
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externen Gewaltunternehmern als unislamische Kollaboration diffamiert wird, kann Kooperation mit den Interventen selbst zum Sicherheitsrisiko werden (wie in jüngster Zeit in den Distrikten Aliabad, Chardara, Khanabad und in Imam Sahib).

Die unproportionale Interdependenz zwischen Entwicklungsaktivitäten, Si-cherheit für Entwicklungsakteure in den Gemeinden, Sicherheit der Gemeinden und die lokale Leistungsschwäche des afghanischen Staates lässt sich fokussiert an dem Fallbeispiel Lala Maidan in Aliabad veranschaulichen.

Lala Maidan ist ein mantaqa (Dorfcluster oder Siedlungsgebiet), das im schma-len bewässerten Streifen westlich des Kunduz Flusses liegt. Es ist nur über eine handgezogene Fähre mit der weitaus besser erschlossenen Infrastruktur entlang der Haupttrasse Kunduz-Baghlan verbunden. Die Dörfer sind hauptsächlich von paschtunischen Stämmen32 sowie einigen Belutschen bewohnt. Einige Dörfer praktizieren Transhumanz wobei das Vieh im Sommer in das Shiva Hochland nach Badakhshan gebracht wird. Lala Maidan war während der Talibanzeit unter der direkten Kontrolle von lokalen Talibankommandeuren. Als einfl ussreichster unter ihnen gilt Kommandeur Haikal aus Lala Maidan 3.33 Dieser war zeitweise der Sicherheitschef (andere Quellen bezeichnen ihn als Geheimdienstchef) der Ta-liban in Kunduz. In den 80er Jahren war er ein lokaler Kommandeur des Jihads ge-gen die Sowjetunion. Haikal und andere Kommandeure fl ohen nach dem Fall der Taliban nach Pakistan. Im Rahmen des staatlichen Amnestie- und Reintegrations-programms für Taliban, Takim-e solh, kam er mit seiner Gefolgschaft 2006 zurück nach Aliabad. Es gab wiederholt Spannungen mit der bis März 2007 von einem tadschikischen Ex-Mujaheddin der Nordallianz geführten Distriktverwaltung, die auch gegenüber dem PRT (Provincial Reconstruction Team als Teil der ISAF) Anschläge auf der Haupttrasse Kunduz-Baghlan mit den Ex-Taliban Lala Maidans in Verbindung brachte. Ende 2006 sprach Haikal persönlich beim PRT vor, lud Vertreter ein, das mantaqa zu besuchen und bot seine offene Unterstützung an. Er erklärte, es leid zu sein, von Entwicklungschancen durch die Negativpropaganda der Distriktverwaltung und afghanischer Sicherheitskräfte abgeschnitten zu wer-den. Dieses Treffen war der Ausgangpunkt für eine Reihe von informellen Zu-sammenkünften zwischen ehemaligen Talibankommandeuren und hochrangigen Vertretern des PRT (zunächst im Rahmen von Takim-e solh, dann auf Wunsch ei-niger Ex-Taliban ohne die offi ziellen afghanischen Vertreter). In Lala Maidan war es erklärtes Interesse des PRT, das Dorf des einfl ussreichen Ex-Kommandeurs, der Kooperationsbereitschaft signalisiert hatte, stärker in einen Entwicklungsprozess einzubinden.

32 Vor allem Kakar und Asakzai.33 Die Dörfer sind auf Karten durch Nummern unterschieden, die sich allerdings von den lokalen Top-onymen unterscheiden; auf den AIMS-Karten wird es unter der Nummer 1 geführt.

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Nachdem am 29.04.2007 ein afghanischer Mitarbeiter der DWHH in unmit-telbarer Nähe des Dorfes Haikals gezielt ermordet worden war, wurde die Zusam-menarbeit mit Lala Maidan sowie die informellen Konsultationen zwischen PRT und Ex-Kommandeuren zunächst auf Eis gelegt. Ziel war es, die Würdenträger der Gemeinde zu einer deutlichen und öffentlichen Positionierung gegen ideologische Gewalttäter zu bewegen. Der Erfolg dieses Vorgehens ist schwer zu erfassen; in dem Dorf wurden seit März 2007 eine Reihe Interviews geführt, es war auch eine Zielgemeinde für das Fokusgruppeninterview sowie für die Umfragen im März und Juli. Das Ergebnis ist dabei nicht eindeutig. Klar ist, dass die Bewohner selbst unter Druck stehen und – für den ländlichen Raum untypisch – keine weit reichen-den Sicherheitsgarantien für das unmittelbare Umfeld der Siedlung geben können. Selbst das hart gesottene paschtunische Surveyteam fühlte sich nach Einbruch der Dämmerung nicht sicher und wurde von einem Vertrauten des Ex-Kommandeurs einige Kilometer zur Fähre begleitet. Klar ist auch, dass die Bevölkerung sowohl unter dem Misstrauen der afghanischen Sicherheitskräfte als auch unter der Ge-fährdungslage leidet. In Einzel- und Gruppeninterviews wurden willkürliche Ver-haftungen mit erpressten Freikäufen ganzer Personengruppen durch Polizei und Geheimdienst beklagt.34 Unwahrscheinlich ist allerdings, dass die Teilhabe an Ent-wicklungschancen als Anreiz ausreicht, um mit bewaffneten Gruppen zu Brechen, deren Einfl uss in das Dorf hineinreicht und die in der weiteren Umgebung (vor allem in dem Waldgebiet westlich des mantaqas) Fuß gefasst haben. Vermutlich haben die Afghanen recht, wenn sie die Bedeutung von (eigener) Sicherheit für (eigene) Entwicklungschancen hervorheben; daraus folgte aber gerade nicht, dass Entwicklung gegen Sicherheit – hier die Übernahme des langfristigen Risikos, sich für Entwicklungsinputs jetzt gegen die Neo-Taliban zu positionieren – aufge-wogen werden kann.

Der Fall Lala Maidan ist bezeichnend für das Dilemma der ungleichen Interdepen-denz zwischen Sicherheit auf der einen und Entwicklung auf der anderen Seite. Er bestätigt, dass Sicherheit zentral für Entwicklung ist und dass verbesserte ökono-mische Bedingungen mit der besseren Sicherheitslage und mit Entwicklungsmaß-nahmen in Verbindung gebracht werden.

Kann man aber mit Entwicklungsanreizen und Entwicklungserfolgen die Si-cherheit der Bevölkerung, der lokalen staatlichen Organisationen und der inter-nationalen Akteure verbessern? Die Entwicklungen in Lala Maidan zeigen, dass

34 Der Distriktgouverneur hatte sich in einem Interview am 04.03.2007 mit dem Autor damit gebrüstet, dass Ende 2006 eine Anschlagsserie dadurch unterbunden werden konnte, dass er den Bewohnern seines Distrikts klar gemacht hätte, ihre Nachbarschaft würde kollektiv bestraft werden, wenn in deren Nähe Anschläge verübt würden. Er führte allerdings nicht aus, dass diese Strafmaßnahmen Verhaftun-gen mit erpressten Freikäufen sein könnten.

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Empirische Interventionsforschung 243

Anreize aus der Werkzeugkiste der Entwicklungszusammenarbeit sehr wohl neue Optionen in der Zusammenarbeit auch mit skeptischen oder potenziell feindseli-gen Kräften eröffnen können. Man kann solche Kräfte dadurch alleine aber nicht für die neue staatliche Ordnung einnehmen, insbesondere dann nicht, wenn diese Gruppen – im vorliegenden Fall ganze Gemeinden – sich sowohl von Seiten des organisierten bewaffneten Widerstandes als auch von Seiten einer feindselig und unberechenbar auftretenden Staatsmacht unter Druck gesetzt fühlen. Man muss anerkennen, dass die Gemeinden zwischen den Stühlen sitzen und die Gegner der derzeitigen staatlichen Ordnung ein glaubwürdiges und langfristiges Bedrohungs-potenzial haben. Man kann den Einfl ussgrößen in solchen Gemeinden, die ja poli-tische Gemeinwesen und keine uniformen und gleichgeschalteten Körperschaften sind, lediglich zusätzliche Anreize für ihre eigenen Macht- und Sicherheitskalküle geben. Diese können allenfalls die riskante Option, sich gegen den gewalttätigen Widerstand im Rahmen der eigenen Einfl usssphäre zu positionieren, akzeptabler machen. In den Jahren des Krieges war es die erprobte und vorgezogene Über-lebensstrategie afghanischer Haushalte und Gemeinden, es sich mit keiner über-mächtigen gewaltfähigen Gruppe zu verderben und in möglichst viele Richtungen reziproke Verbindungen aufzubauen. Unter Bedingungen, in denen lokal domi-nante Gewaltakteure häufi g wechseln und man wenig Zutrauen in den Bestand der Herrschaftsordnung der Stunde haben kann, ist diese Strategie plausibel, trägt aber nicht zur Verstetigung einer legitimen Herrschaftsordnung bei.

Ein eindeutiger direkter Wirkungszusammenhang (positive Rückkoppelung) zwischen Entwicklungsbemühungen und der Sicherheit der afghanischen Bevöl-kerung, des afghanischen Staates sowie der externen Interventen kann also im Un-tersuchungsgebiet nicht festgestellt werden. Der Wirkungszusammenhang scheint nur in eine Richtung zu wirken: Ohne Sicherheit kann Entwicklung nur sehr be-grenzt stattfi nden.

Offen bleibt an dieser Stelle die Frage, ob Sicherheit durch Entwicklungslei-stungen gestärkt und dauerhaft in staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen verankert werden kann, wenn basale physische Sicherheit nicht durch Aufstän-dische, lokale Gewaltunternehmer oder willkürliche Staatsgewalt bedroht wird. Es ist ja durchaus möglich, dass es sich in der angenommenen direkten positiven Rückkoppelung zwischen Sicherheit und Entwicklung nicht um eine sofortige, kontextunabhängige, sondern um eine zeitlich verschobene Interdependenz han-delt, die bestimmter Grundvoraussetzungen in Sachen Sicherheit bedarf. In den Distrikten, in denen die unmittelbare Gewalt von Aufständischen bzw. lokalen

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Gewaltakteuren über lange Zeit zurückgedrängt war (wie beispielsweise in der Provinz Badakhshan oder in weiten Teilen Takhars) gibt es dafür Anzeichen.35

Der Governance-Umweg zur intendierten Wirkung

Auch das bisherige Ergebnis der erwarteten sich gegenseitig verstärkenden Inter-dependenz zwischen Sicherheit und Entwicklung über den Umweg von Gover-nance ist gemischt.

Gemessen an der kolossalen Aufgabe wurde formal beachtliches erreicht. In den ersten vier Jahren wurde der im Rahmen der Petersberger Afghanistankonfe-renz der UNO beschlossene Prozess abgeschlossen, über den die grundlegenden Institutionen von Staatlichkeit geschaffen und legitimiert werden sollten: Die Ver-fassung wurde geschrieben und verabschiedet und die Übergangsregierung wurde durch Präsidents-, Parlaments- und Provinzratswahlen zu einer souveränen, natio-nal wie international weitgehend anerkannten Regierung, welche zumindest „auf dem Papier“ strategische Entwicklungsentscheidungen für das Land trifft.36

Der Staat in den Regionen

Im Nordosten ist in den meisten Distrikten ein klarer Rückgang des unmittelbaren Machteinfl usses von lokalen Gewaltunternehmern festzustellen, sofern sie nicht willens oder in der Lage waren, ihre Macht in das entstehende staatliche Rahmen-werk zu übersetzen.37 Es ist ein klarer Wandel von roher Durchsetzungsgewalt hin zu zumindest pro forma an den Staat angegliederte Positionen und Ämter zu verzeichnen.38 Waren Polizeiuniformen 2003 auch in den Provinzzentren noch

35 Dieser Frage wird in Zukunft systematisch nachgegangen werden, eine Auswertung differenziert nach Distrikten steht alleine deshalb noch aus, weil sich die Aktivitäten der Aufständischen im Beob-achtungszeitraum 2007 bis 2009 erheblich verschoben und auf Kunduz Provinz konzentriert haben.36 Wie im Falle der Afghan National Development Strategy (ANDS) oder der Millenium Develop-ment Goals (MDG), siehe Government of Afghanistan 2005; Government of the Islamic Republic of Afghanistan 2008.37 Ein bekanntes Beispiel für Kriegsherren, die sich in den neuen Staat hinein und damit weg von ihrer regionalen Machtbasis kooptieren lassen haben, ist Ismail Khan aus Herat, der in der Regierung Karzai Energieminister wurde. Ein Gegenbeispiel ist General Dostum, der es abgelehnt hat, seine regionale Machbasis im Norden des Landes für eine Position in Kabul aufzugeben.38 Dieser Trend wird sowohl von Umfragen, die nach der Relevanz und Dominanz von lokalen infor-mellen Kommandeuren fragen als auch von Beobachtungen und Interviews seit 2003 für den Nord-osten bestätigt. Die durchgängig häufi gste Erklärung von Afghanen, die angaben, dass sich ihre Si-cherheit in den vergangenen Jahren verbessert hat, war ein Verweis auf den Rückgang der lokalen

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Empirische Interventionsforschung 245

skurrile Einzelerscheinungen, die eher an die Handlungsunfähigkeit oder Abwe-senheit staatlicher Sicherheitsorgane erinnerte, so entwickelten viele informelle Lokalkommandeure relativ schnell ein Interesse daran, ihre Milizen in offi zielle Positionen einzugliedern. Selbst wenn die reale Durchsetzungschancen der Ent-waffnungs- und Demobilisierungsprogramme (DDR, DIAG)39 wenig bedrohlich erschienen, wollte man am Prestige des neuen „Staatsspieles“ partizipieren.40 Der Preis dafür ist, dass Milizführer und ihre Anhängerschaft mit ihren Partikularinter-essen und ihrer Gewaltkultur zumindest temporär in die staatlichen und staatlich anerkannten privaten Sicherheitsdienste absorbiert wurden (vgl. Wilder 2007; The Human Rights Research and Advocacy Consortium 2004).41

Der Staat ist seit Abschluss des Petersberger Prozesses in allen Provinzen etabliert und mit Distriktverwaltungen sowie einigen Fachministerien auch in den meisten42 Distrikten präsent. Dies heißt allerdings nicht, dass der Staat auch immer jenseits der Provinz- und Distrikthauptstädte handlungsfähig oder handlungswil-lig ist. Selbst wenn, wie in vielen Distrikten des Nordostens, die Sicherheitslage kein Problem darstellt, fehlt es regelmäßig an administrativen Kernkompetenzen und governance-relevanten Basisdaten wie Informationen über Demografi e, Wirt-schaft und die soziale Situation in den Distrikten. Diese Informationen liegen, so-fern sie überhaupt glaubwürdig und aktuell erhoben wurden, gestückelt bei unter-schiedlichen externen Entwicklungsorganisationen vor, die getrennt voneinander ihre eigenen programmbezogenen Daten sammeln und diese in aller Regel nicht mit den zuständigen Regierungsstellen teilen selbst wenn diese Interesse anmel-den (vgl. Koehler 2008).

Häufi g ist das Interesse der Distrikt- und Provinzadministration an Vorgän-gen im Hinterland, die nicht unmittelbar ihren Einfl uss und ggf. ihre informel-len Einnahmen betreffen, gering. Die Leistungsfähigkeit ist dabei stark von den eingesetzten Personen und den jeweiligen Kontextbedingungen in den Distrikten

Gewaltwillkür durch bewaffnete Gruppen. Siehe Koehler, Zürcher 2007 zur Statistik und Koehler 2008 zu den qualitativen Daten.39 Demobilisation, Disarmament and Rehabilitation; Disbandment of Illegal Armed Groups.40 Beispiele hierfür sind Kommandon Khudbuddin in Khostaq; Qariwardooj in Baharak, die 2003 noch als Renegaten gegen die entstehenden staatlichen Einmischungen in ihren lokalen Herrschaftsbereich auftragen und sich dann aber zumindest formal der neuen Ordnung gefügt haben (siehe Koehler April 2004; Gosztonyi, Fararoon April 2004).41 Dieses Problem von zu erwartender „very bad governance“ in den lokalen Sicherheitsdiensten wird durch das neue, von der US-amerikanischen Militärführung eingeführte und durch das afghanische Innenministerium unterstützte Programm der selektiven Wiederbewaffnung von ehedem marginali-sierten Milizen zur lokalen Bekämpfung der Taliban mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eskalieren (vgl. Ayub, Kouvo, Wareham 2009: 12f.).42 Der Staat ist mitunter gezwungen, sich aus einigen Distrikten temporär zurückzuziehen, wenn der militäri-sche Druck der Aufständischen zu hoch wird. Bisher ist es bei kurzzeitigen taktischen Rückzügen geblieben.

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abhängig. Eine direkte Wirkung von sogenannten Capacity Building Programmen auf die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Distriktadministrationen ist dabei bisher nicht festzustellen. Selbst die staatlichen Qualitätssicherungspro-gramme von IDLG und IARCSC43 haben die selbst gesteckten Ziele bisher nicht erreicht und sind in einigen Distrikten eher zum Teil einer nicht leistungsbezoge-nen Ämtervergabe geworden.44

Trotz der eklatanten Leistungsschwächen ist die Distriktverwaltung das re-levante Gesicht des Staates für den überwiegenden Anteil der afghanischen Be-völkerung, der überhaupt mit dem Staat in Berührung kommt. Die Nachfrage nach staatlichen Leistungen kann man in jedem Distriktzentrum am Vormittag der Werktage anhand des Besucherandrangs sehen (Nachmittags kümmern sich die Angestellten und Funktionäre in der Distriktadministration um die wirtschaftli-chen Belange ihrer Haushalte – meist handelt es sich dabei um landwirtschaftliche Arbeit). Der Staat wird dabei einerseits als Amt für den Erhalt von Dokumenten, Zertifi katen und Urkunden aufgesucht; andererseits wird die Distriktadminstration auch als Anlaufstelle von Konfl iktparteien aufgesucht, für die die lokalen, meist informellen Streitschlichtungsformen versagen (siehe Koehler 2008; vgl. für an-dere Teile Afghanistans Koehler June 2005).

Bewertung der Sicherheitsleistung der internationalen Truppen und der Provinzregierung

Im Nordosten ist das Image des Staates im Kernbereich Sicherheit besser als seine tatsächlich festzustellende Leistungsfähigkeit (mehr Inputlegitimation als Out-putlegitimation). In Umfragen 2007 und 2009 wird der Staat hier als wichtigster Faktor für eine überwiegend positiv eingeschätzte Sicherheitslage genannt. Die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg oder der Rückkehr der Taliban überwiegt hier; man sieht den neuen Staat (noch) als wichtigste Alternative zu einer Rückkehr der Gewaltwillkür. Nicht zuletzt aufgrund seiner tatsächlichen Machtdefi zite als Exekutive wird der Staat dabei zumindest im Nordosten nicht als Teil des Sicher-heitsproblems wahrgenommen.

Dies galt bis Mitte 2008 auch für die den Staat absichernden internationalen Truppen der ISAF. Diese wurden in den Umfragen von 2007 auch ganz überwie-

43 Independent Directorate for Local Governance; Independent Administrative Reform and Civil Ser-vice Commission.44 Zu diesem Schluss kommen zumindest zwei bisher unveröffentlichte Governance Kontextanalysen, die im Auftrag der GTZ 2007 und 2008 in Kunduz, Takhar und Badakhshan durchgeführt wurden. Die Kritik ist exemplarisch und bezieht sich dabei vor allem auf die Ämtervergabe in den Distrikten Warsaj in Takhar und Jerm in Badakhshan.

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gend als Sicherheitsbedingung und nicht als Unsicherheitsfaktor wahrgenommen. Dies bezog sich auf drei unterschiedliche lokale Bedrohungsphänomenen, die von den lokalen Gesprächspartnern relevant gesetzt wurden: der Schutz vor willkür-licher, sozial nicht eingebetteter Machtausübung der Kommandeure; der Schutz diffamierter Minderheiten, die mit der gestürzten Talibanregierung in Verbindung gebracht werden, vor gewaltsamer Vertreibung oder Vergeltungsmaßnahmen; und die Selbstbeschränkung eigener Gewalt, also der Schutz vor unverhältnismäßigen oder als willkürlich angesehenen Zwangsmaßnahmen durch die externen Truppen.

Diese überwiegend positive Beurteilung hat sich allerdings durch die Eskala-tion von aufständischen Anschlägen und Gegenmaßnahmen der Sicherheitskräfte in der Provinz Kunduz und Takhar abgekühlt (Im Jahr 2007 sahen nur 5 Prozent der Befragten die ISAF als Sicherheitsbedrohung an, wohingegen dieser Anteil im Frühjahr 2009 auf 30 gestiegen war.). Auch die Diskussion um eine Wiederbe-waffnung von Milizen als lokales Bollwerk gegen Talibaninfi ltration trägt selbst in entlegenen Gebieten wie Warsaj, die von Sowjets, Bürgerkrieg und Taliban weit-gehend verschont geblieben waren, zu einer verschlechterten Sicherheitswahrneh-mung bei. Zentral ist dabei die Angst vor bewaffneten Gruppen jenseits der Kon-trolle des Staates und jenseits der sozialen Kontrolle der Dörfer.

Lokale Institutionen und Sicherheit

Dies führt zu der Frage, in wie weit lokale Institutionen Sicherheit auf sich alleine gestellt herstellen können. Lokale Institutionen, die Probleme in einer zuverläs-sigen Weise lösen und so zu dem defi zitären Gut Sicherheit beitragen, stehen be-sonders dann hoch im Kurs, wenn äußere Rahmenbedingungen von willkürlicher Gewalt und Machtmissbrauch bestimmt sind und eher für Unsicherheit in der Be-wältigung des Alltages von Haushalten und dörfl ichen Gemeinschaften stehen.45

Die wichtigste gesellschaftliche Einheit, die lokal Sicherheit konsumiert – deren physischer Bestand also vor allem zu schützen ist – ist der Haushalt. Das Ansehen des Haushalts in der dörfl ichen Gemeinschaft und der physische Schutz des Haushalts, der in aller Regel durch einen Haushaltsvorstand repräsentiert wird, sind dabei entscheidende Größen.

45 Die Rolle des Lokalen als Ort des Widerstandes gegen nationale und internationale institutionelle Penetrationsversuche ist eingehend und grundsätzlich von James Scott behandelt worden (Scott 1990, Scott 1998). Der Aufstieg des Lokalen als Antwort auf dysfunktionale staatliche Ordnung ist ein Dau-erbrenner der politischen Anthropologie (vgl. Trotha, Klute 2001; Trotha 2005). Schetter interpretierte jüngst den Kampf gegen Aufständische in Afghanistan als einen Kampf gegen lokale Ordnungsformen, die sich nicht in nationalstaatliche Herrschaftsmuster pressen lassen (Schetter 2007: 251 f.).

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Die nächstgrößere Einheit ist die Nachbarschaft. Sie kann ein ganzes Dorf umfassen oder lediglich einen Siedlungsteil. Nachbarschaften können durch eige-ne Moscheen, also institutionalisierte öffentliche Treffpunkte der nachbarschaftli-chen Gemeinde, markiert sein; Sie können einen eigenen Sprecher oder Ältesten haben (wie z. B. im Falle des rais mahallah in einigen usbekischen Siedlungen) oder nur informell, im Rahmen von Gemeinschaftsarbeiten (hashar) wie bei der saisonalen Säuberung von Bewässerungskanälen, miteinander verbunden sein. Ganze Dörfer haben in Kunduz und Takhar oft, aber bei weitem nicht immer, einen mehr oder weniger repräsentativen Dorfrat (shura). Dieser kann gewählt, aus anerkannten Ältesten (z. B. der Nachbarschaften) „natürlich“ gewachsen, oder auch von einem lokalen Kommandeur oder anderem Machthaber autorisiert wor-den sein kann.46

Die Dorfräte – ob als regelmäßig tagende Institution mit fester Mitgliedschaft oder als problembezogenes offenes Treffen unter betroffenen Dorfbewohnern – sind ein zentrales Instrument, mit dem die Gemeinden kollektive Probleme, ein-schließlich lokaler Konfl ikte, zu lösen versuchen. Seitdem Dorfräte im Rahmen des National Solidarity Programme (NSP) als Community Development Councils (CDCs) vielerorts über ein von der Weltbank entwickeltes Wahlverfahren forma-lisiert wurden, sind sie die wichtigste Anlaufstelle für NGOs und EZ Organisatio-nen geworden, die im ländlichen Raum Projektarbeiten durchführen.

Dorfgrenzen überschreitende Institutionen, über die kollektive Probleme ge-löst werden, sind, abhängig von den lokalen sozialen und wirtschaftlichen Bege-benheiten, die für Bewässerungssysteme zuständigen Wasserwarte oder merobs, die im Rahmen der bewässerten Landwirtschaft entlang der Flussoasen in Kunduz und Takhar eine zentrale Rolle spielen. Ihr Einfl uss beschränkt sich allerdings auf ihre Funktion als Wart und Verhandlungsführer in der Bewässerungszuteilung und haben keine sonstige politische oder sicherheitsrelevante Rolle.

Außerdem existieren in Gruppen, für die Stammeszugehörigkeit als Instituti-on erhalten geblieben ist, so genannte tribale jirgas, über die Streitfälle geschlich-tet und Probleme über Siedlungsgrenzen hinweg gelöst werden können.

Den gesellschaftlich eingebetteten lokalen Governance-Institutionen ge-meinsam ist, dass sie zwar viele Probleme auf Gemeindeebene durch Konsens-entscheidungen, durch Mediation und durch Aushandlungsprozesse lösen können; sie sind aber in ihrer Reichweite auf die Gemeinde beschränkt und versagen dann, wenn Konfl iktparteien oder deren externe Patrone mehr Macht ins Spiel bringen als die lokalen Verfahren aushalten.

46 Einen aktuellen Fall hierfür habe ich unter den Zieldörfern nicht identifi ziert; eigenen Beobachtun-gen zu von Machthabern vereinnahmten shuras entstammen Felderhebungen, die der Autor 2003 in Badakhshan durchgeführt hat; angeblich gibt es aber solche Fälle auch in den beiden Zielprovinzen.

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Im Kontext einer komplexen Intervention, die funktionstüchtige Staatlichkeit neu erschaffen und landesweit durchsetzen möchte, interessiert aus der Warte der Bevölkerung besehen vor allem, inwieweit die entstehenden lokalen Institutionen des Staates Probleme lösen oder aber Probleme schaffen, und ob sie als Problem-löser mehr taugen als die oben aufgeführten lokal verfügbaren gesellschaftlichen Funktionsäquivalente für Problemlösungen.

Entwicklungsleistungen und der Staat

Im Bereich von Entwicklungsdefi ziten wird der afghanische Staat von der Bevöl-kerung kaum als Problemlöser gesehen, sieht man einmal von der nicht unwichti-gen Tatsache ab, dass viele der befragten Afghanen die verbesserte Sicherheitslage als wichtigste Ursache für eine positive Entwicklung der lokalen Wirtschaft ansa-hen. Diese wird zum Teil zumindest als Output der Regierung bewertet.

Wahrgenommene Verbesserungen durch lokale Hilfs-, Infrastruktur- und Trainingsmaßnahmen werden, selbst wenn sie im Rahmen von pro forma natio-nalen Programmen wie dem National Solidarity Programme (NSP) umgesetzt werden, kaum als Leistung des eigenen Staates anerkannt. Hier überwiegt ganz realistisch eine Zuschreibung dieser Inputs an die Adresse derer, die Geld, In-halte und oft auch Umsetzung zur Verfügung gestellt haben – die Geber und ihre Umsetzungsorganisationen.

Der afghanische Staat gewinnt zwar Legitimation über formelle Verfahren (Wahlen auf verschiedenen Ebenen, eine verfassungsgebende Versammlung) und über eine allgemeine Anerkennung der Rolle des Staates im Erhalt von dem Mehr an Landfrieden, den es in Teilen des Landes im Vergleich zu den vergangenen, von Besatzung, Widerstand und Bürgerkrieg gebrandmarkten Jahrzehnten gibt. Gleichzeitig wird der Staat aber nicht mit Wiederaufbau und Entwicklung des Landes in Verbindung gebracht; dadurch geht ein wesentlicher Bestandteil des Interventionsmodells als Friedensdividende dem Staat verloren: Der Staat wird nicht im Sinne von Good Governance als Leistungserbringer und Problemlöser gesehen.

Einerseits hat der afghanische Staat durch die sich herausbildende Art der Re-gierungsführung systemimmanente Legitimitätsprobleme – vor allem endemische und in Teilen dysfunktionale Formen der Korruption sowie das die Altlast an Ge-waltunternehmern in allen lukrativen oder machtrelevanten Bereichen des Staates. Andererseits ist ein allgemeines Problem zentral, das jenseits der Einfl usschancen des afghanischen Staates auf lange Sicht dominant sein wird: der Staat, so wie er jetzt verfasst ist, wird auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, Sicherheit und Entwicklung auf der Grundlage nationaler Ressourcen zu fi nanzieren. Alleine die

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Fußnote: dies gilt nicht mehr für das Wahldesaster 2009, das als Lehrbuchbeispiel für die Deligitimierung von Institutionen gelten kann.
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Cross-Out
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angestrebte Sollstärke der Sicherheitsdienste würden nur durch ihre Gehälter die gesamten derzeitigen legalen Staatseinnahmen verschlingen.47 In anderen Worten: Der afghanische Staat wird so, wie er sich 2002 als Zentralstaat verfasst hat, nicht in der Lage sein, sich selbst zu erhalten.

Governance-Szenarien der Zukunft

Aus dieser Einschätzung folgen drei mögliche Entwicklungsszenarien, die alle von dem Governancemodell der Intervention abweichen.

Erstens ist ein Zusammenbruch des durch die Intervention entstandenen Staates möglich. Dies könnte zu einer erneuten Verkriegung von Gesellschaft führen, die einer Herrschaftsübernahme durch die Taliban oder einer ähnlichen, sich religiös legitimierenden Bewegung gegen Anarchie, Machtmissbrauch und Korruption den Weg ebenen würde. Oder es könnte auf den Trümmern des ge-scheiterten Staates einen neuen, bescheideneren Versuch der Machteliten geben, einen weniger anspruchsvollen Staat als politisches Rahmenwerk zu entwickeln.

Zweitens könnten die Interventen versuchen, die Finanzierung und den mili-tärischen Schutz des afghanischen Staates auf Dauer zu gewährleisten. Dies würde zu einer extremen Form des Client State führen, der mit einiger Sicherheit auch die Legitimationskrise auf Dauer stellen würde.

Die dritte Option ist es, einen Neuanfang zu wagen und es den Afghanen zu überlassen, ihren Staat auf ein realistisches Leistungsniveau zu beschränken und ihn als islamisch legitimierte, national codierte Herrschaftsreferenz in einem fak-tisch föderalen und von lokalen Machtautonomien gekennzeichneten Herrschafts-verband zu begreifen.

Keines der drei Szenarien wird dabei jemals Eingang in die Strategiepapiere der Interventen fi nden; man wird versuchen, die Fassade eines handlungsfähigen modernen legitimen Staates solange es geht aufrecht zu erhalten, und sich pragma-tisch damit abfi nden, dass der Regierungsalltag im Land anders aussieht.

Fazit

Grundsätzlich geht es bei externen Interventionen in fremde, vom Zusammen-bruch funktionsfähiger staatlicher Institutionen heimgesuchter Länder wie Afgha-nistan darum, das Problem gesellschaftlicher Ordnung in den Griff zu bekommen.

47 Zugrunde gelegt ist eine Sollstärke der Sicherheitsdienste von 250.000 Mitarbeitern bei einem durchschnittlichen Sold von 200 USD pro Monat, was mit 600.000 USD etwas unter den Staatseinnah-men von 890 Millionen USD im ertragsreichen Jahr 2007 liegt.

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Die oben zusammengefassten Ergebnisse aus quantitativen Umfrageauswer-tungen und qualitativ erworbener Erkenntnisse zur Organisation der intervenier-ten Gesellschaft lassen eine Reihe von Rückschlüssen auf Chancen und Grenzen transnational erwirkter Sicherheit und Entwicklung im Rahmen komplexer Inter-ventionen zu, die über das konkrete Fallbeispiel in Nordost-Afghanistan hinaus-weisen. Diese will ich abschließend zusammenfassen.

Die bisher für Nordost-Afghanistan festgestellte Dynamik gesellschaftlicher Ordnungsprozesse unter dem Eindruck von Perioden hoher Gewaltwillkür bestä-tigen eine seit Max Weber und Norbert Elias etablierte Annahme der Soziologie, nämlich dass Schutz vor willkürlicher Gewalt48 elementarer ist für Etablierung von sozialer Ordnung als die Verbesserung materieller Reproduktionschancen.

In dem Bemühen, durch eine komplexe Intervention eine staatlich verfasste Neuordnung von Lokalgesellschaften in Afghanistan zu erreichen, kommt verbes-serter Sicherheit als transnational erwirkte Governance-Leistung damit eindeu-tig eine höhere Priorität zu als Entwicklungsleistungen. Das Beispiel zeigt, dass Schutz vor willkürlicher Gewalt in den Augen vieler Betroffenen nicht nur ein Wert an sich, sondern auch maßgebliche Voraussetzung für positive wirtschaftli-che Entwicklungen ist. Die Schutzkomponente der Governance-Leistung Sicher-heit verbessert Planungssicherheit der Wirtschaftsakteure und ist Voraussetzung für erhöhte Rechtsicherheit bei marktwirtschaftlichen Transaktionen.

Problematisch dabei ist, dass die Sicherheit der Bevölkerung – anders als Wiederaufbau und Entwicklung zum Wohle der Bevölkerung – nicht expliziter Auftrag und auch nicht Teil des Sicherheitsbegriffs der in Afghanistan interve-nierenden externen Kräfte ist. Das ISAF-Mandat bezieht sich lediglich auf die Schaffung einer sicheren Umgebung, die Wiederaufbau, Entwicklung und die Ver-festigung staatlicher Institutionen ermöglicht. 49

Im Fall der ISAF (und damit auch der PRTs in den Provinzen) ist die Sicher-heit der Bevölkerung also allenfalls eine indirekte Funktion der eigenen Präsenz – die (innere) Sicherheit verbessert sich theoretisch dadurch, dass der staatliche Sicherheitssektor aufgebaut wird und Wiederaufbau sowie Entwicklung greifen.

48 Also die Lösung des Gewaltproblems durch die Etablierung gewaltfreier Räume mit erheblich ver-besserter Planungssicherheit der Akteure und die Rolle, die letztlich die Behauptung des legitimen Gewaltmonopols des Staates in der Ausweitung und institutionellen Verstetigung dieser gewaltfreien Räume (eigentlich: gesellschaftliche Räume reduzierter Gewaltwahrscheinlichkeit) dabei spielt.49 Die Rhetorik hat sich dabei nach dem Machtwechsel im Weißen Haus und den personellen Ände-rungen in für Afghanistan zuständigen diplomatischen sowie militärischen Spitzenpositionen radikal geändert: General McChrystal stellt seit seinem Amtsantritt konsequent die Sicherheit der Afghanen in den Fordergrund des Auftrages. Er sieht die Notwendigkeit eines Strategiewechsels und erklärt, dass die Sicherheit und der Schutz der Bevölkerung sowohl vor den Aufständischen als auch vor der sie bekämpfenden Militärmaschinerie kriegsentscheidend sei (siehe BBC NEWS 2009a; BBC NEWS 2009b).

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Dabei bleibt bisher allerdings völlig unklar, wie mehr Militär unter den diffusen Sicherheitsbedingungen in Afghanistan in mehr Sicherheit für die Lokalbevölkerung übersetzt werden soll.
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Die OEF operiert ohnehin auf der Grundlage eines Sicherheitsbegriffs der Entsen-derstaaten (coalition of the willing), der jenseits der afghanischen Bevölkerung im Rahmen eines Krieges der USA gegen in Afghanistan operierenden Terroristen defi niert ist.

Obwohl bisher weder Mandat noch strategische Ausrichtung des internatio-nalen militärischen Engagement die physische Sicherheit der Bevölkerung in den Vordergrund stellte, zeigt die Fallstudie, dass die internationale militärische Prä-senz in Nordost-Afghanistan durchaus mit drei entscheidenden Sicherheitsgütern in Verbindung gebracht wird: mit dem Rückgang der komandan-Wirtschaft, mit dem Schutz von mit den Taliban assoziierten Minderheiten vor der (von lokalen Machthabern der Nordallianz dominierten) staatlichen Gewalt und letztlich mit dem verantwortungsvollen Umgang mit eigenen Gewaltmitteln – also der Selbst-beschränkung des eigenen Gewaltvorteils.

Dieses Ergebnis zeigt, dass von großen Teilen der Bevölkerung als signifi -kant wahrgenommene Verbesserungen der Sicherheit nach langen Perioden hoher Gewaltwillkür mit relativ begrenzten Mitteln und indirekten Wirkungen erreicht werden kann. Entscheidend ist dabei, dass ein positiver Prozesses wahrgenommen wird, in dem willkürliche Gewaltausübung rückläufi g ist. Weiter spielt eine Rolle, dass die externe Militärmacht als neutral und berechenbar eingeschätzt wird, zu-gänglich ist und mit konkreten Leistungen in Verbindung gebracht wird, die von der Bevölkerung auch nachgefragt werden.

Die erreichten Verbesserungen der Sicherheit sind allerdings volatil und um-kehrbar, wie zurzeit die Gewalteskalation im Raum Kunduz seit Mitte 2008 zeigt. Der Trend kann sich nicht nur für die Sicherheit der externen Akteure, sondern auch für die wahrgenommene Sicherheit der Bevölkerung ändern. An diesem Pro-blem setzt in dem Interventionsmodell die transnationale Governance-Leistung Entwicklung an. Ziel ist es, eine sichtbare Friedensdividende allgemein verfügbar zu machen und durch die Stärkung von rechtstaatlichen wie zivilgesellschaftli-chen Institutionen Frieden und Stabilität langfristig abzusichern.

Das Fallbeispiel Nordost-Afghanistan hat gezeigt, dass infrastrukturelle Kleinmaßnahmen, die über partizipative Verfahren in die Fläche gebracht werden, sehr wohl als Friedensdividende und als greifbar nützliche Konsequenz der inter-nationalen Präsenz angesehen werden. In einigen der betrachteten Fälle schaffte diese im wesentlichen auf Infrastrukturmaßnahmen begrenzte Entwicklungsdy-namik sogar auf Seiten besonders skeptischer Personengruppen (Ex-Taliban) und den von ihnen dominierten Gemeinden Anreize, sich aktiv zu beteiligen und an der neuen Ordnung (probeweise) mitzumachen.

Die Opportunitätskosten für passives oder feindseliges Verhalten konnten in diesen Fällen spürbar angehoben werden. Ungeachtet dessen wurde auch deutlich, dass Entwicklungsanreize alleine nicht mit konkreten oder latenten langfristigen

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Bedrohungen konkurrieren können – im Angesicht von physischer Unsicherheit sind Entwicklungschancen, sofern ihre Betätigung den physischen Druck erhöhen könnte, als handlungsleitender Anreiz dem Sicherheitsbedürfnis nachgeordnet. Dieses Misstrauen in die Langfristigkeit der neuen, militärisch abgesicherten und durch Entwicklungsmaßnahmen unterstützten Ordnung wird dadurch noch ver-stärkt, dass die zuständigen Institutionen des afghanischen Staates auf Distrikt-, Provinz- und zentralstaatlicher Ebene nicht mit der Friedensdividende in Form von Entwicklungsleistungen in Verbindung gebracht werden – der Input ist zwar willkommen, wird aber fremden und damit fl üchtigen, und eben nicht eigenen beständigen Akteuren zugeschrieben.

Sowohl für die langfristige Entwicklungskomponente als auch für die mit militärischen Mitteln unterstützte Sicherheitskomponente der Intervention ist die institutionelle Schwäche des afghanischen Staates das zentrale Problem. Dabei ist der entstehende afghanische Staat zugleich Partner, Patient und Hindernis.

Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und der Second Row Approach des Militärs setzten staatliche Akteure voraus, die fähig und willens sind, zu ko-operieren. Beides kann zumindest auf Distrikt- und Provinzebene nicht vorausge-setzt werden. Entweder fehlen grundsätzliche Steuerungsfähigkeiten in Konkur-renz zu den informellen Formen von Machtausübung; oder die Verstrickung der Vertreter staatlicher Institutionen in informellen Formen der Machtausübung und Ressourcenausbeutung verschieben handlungsleitende Anreize der Akteure so-weit, dass staatliche Einrichtungen wie die Distriktpolizei, der Geheimdienst oder die Administration des Gouverneurs selbst zu staatsfernen oder staatsfeindlichen Unternehmungen werden.

Wenn der Wille da ist, aber die Fähigkeiten fehlen, wird der Partner zum Pa-tienten, der durch „train and equip“ Maßnahmen befähigt werden soll, seine Auf-gaben als Dienstleister in der Herstellung öffentlicher Güter wahrzunehmen. Gilt der Partner hingegen als unzuverlässig – und das ist in der Untersuchungsregion der weitaus häufi ger anzutreffende Fall – kann weder klassische Entwicklungszu-sammenarbeit noch der Second Row Approach in der Herstellung von Sicherheit zum Erfolg führen.

In diesem Fall wird der dysfunktionale Partner umschifft. Bei schwachen staatlichen Akteuren – wie im Falle vieler Distriktadministrationen – führt das allerdings zur Perpetuierung des Problems: der Staat bleibt auf dieser Ebene dys-funktional. Starke, aber unkooperative staatliche Akteure können mitunter nur umgangen werden, wenn ihre Eigenbeteiligung an Ressourcenfl üssen (meist zu Lasten der Empfänger) geduldet wird. Dies wiederum führt dazu, dass Gover-nance-Formen gestärkt werden, die gemessen an Kriterien effektiver Rechtsstaat-lichkeit als subversiv anzusehen sind, nicht jedoch jene Gute Regierungsführung, die Teilziel der komplexen Intervention ist (siehe Barnett, Zürcher 2006).

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Die in der Untersuchungsregion evidenten Formen transnationalen Zusam-menwirkens lösen dieses Problem für nachhaltige Entwicklung und zuverlässige Sicherheit durch afghanische staatliche Institutionen nicht.

Komplexe Interventionen und die transnationale Interventions-Governance, die sie nach sich ziehen, sind nach den bisherigen Erkenntnissen nicht in der Lage, langfristig die Grundprobleme gesellschaftlicher Ordnung über den Aufbau von funktionsfähigen legitimen staatlichen Institutionen zu lösen. In einem institutio-nellen Sinne schwächt Interventions-Governance die Struktur, die eigentlich an ihre Stelle treten soll: Souveräne Staatlichkeit.

Zu klären bleibt zuletzt die Frage, ob Interventions-Governance denn die lo-kalen gesellschaftlichen Institutionen stärkt, die vor Ort der Anarchie von Macht-missbrauch und Gewaltwillkür Einhalt gebieten.Zunächst ist festzustellen, dass die Lokalgesellschaft dynamisch und adaptiv or-ganisiert ist und dabei eine Reihe von gesellschaftlichen Institutionen hervorge-bracht hat, die zur Lösung der meisten Alltagsprobleme herangezogen werden und diese in vielen Fällen auch lösen.

Die lokale institutionelle Landschaft weist dabei aber drei grundsätzliche Probleme auf. Das erste Problem ist die institutionelle Vielfalt. Local Governance ist sehr heterogen organisiert; was in einem Dorf funktioniert und zuverlässig ist, kann im Nachbardorf ganz anders organisiert sein. Weiter ist die Reichweite und Inklusivität von lokalen Institutionen stark eingeschränkt. Lokale Probleme der Gruppe, die die Institution anerkennt, werden zuverlässig gelöst, Probleme mit anderen Gemeinden oder einer anderen Gruppe innerhalb der Gemeinde, die nicht partizipiert, bleiben ungelöst.

Und letztlich basieren lokale Institutionen fast immer auf der Annahme, dass sich die Teilnehmer aus Eigeninteresse, sozialer Kontrolle oder Brauchtum an die Spielregeln halten; Wird aber von Gewaltunternehmern mehr Macht ins Spiel ge-bracht, als die Institution aushält, droht sie zu „vermachten“ und ihr Regelungspo-tenzial einzubüßen (Koehler 2004b).

Deshalb ist die Frage nach externer Durchsetzungsmacht durch den Staat bzw. durch Staatsfunktionen substituierende internationale Kräfte, die lokale Pro-blemlösungen vor roher Durchsetzungsgewalt schützen, auch entscheidend für die Wirksamkeit dieser gesellschaftlichen Institutionen. Im Vergleich zur Machtwill-kür von Bürgerkrieg und Kommandeursgewalt war hier im Untersuchungsgebiet eine Verbesserung des Handlungsspielraumes von lokalen Gemeindeinstitutionen zu verzeichnen.

Das Problem der Reichweite und des Schutzes vor Vermachtung stellt sich grundsätzlich auch für die extern initiierten und unterstützten Gemeindeorganisa-tionen (die CDCs). Hier ist festzustellen, dass diese extern erschaffnen Institutio-nen bisher selten ein politisches Eigenleben entwickelt haben. Sie bleiben, sofern

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sie überhaupt für die Lösung von Alltagsproblemen relevant sind, ein Transmissi-onsriemen zwischen traditionellen Autoritäten und externen Gebern.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Die Annahme, dass Sicherheit und Entwicklung sich entsprechend des oben vor-gestellten Interventionsmodells gegenseitig bedingen und verstärken, kann anhand der Fallstudie Nordost-Afghanistan qualifi ziert werden: Der Pfeil der Kausalität, der von Sicherheit auf Entwicklung zeigt, ist eindeutig stärker, als der Pfeil, der in umgekehrte Richtung zeigt. Sicherheit ist eine Voraussetzung für Entwicklung, Entwicklung ist nicht notweniger Weise eine Voraussetzung für Sicherheit. Dies gilt für Interventionen in Kriegs- und Nachkriegsgebiete, die von kollektiver Ge-walt, Machtwillkür und gesellschaftlicher Fragmentierung heimgesucht sind. Das Ergebnis kann für befriedete Gebiete anders aussehen.

Grundsätzlich zeigt der Fall Nordost-Afghanistan auch, dass Sicherheit und Entwicklung als transnationale Governance-Leistungen mit schwachen oder dys-funktionalen staatlichen Institutionen auf Seiten der intervenierten Gesellschaft erbracht werden können. Beide Leistungen können von Zielgruppen temporär sogar als relativ erfolgreich wertgeschätzt werden. Sie sind aber vollkommen ab-hängig von Ressourcen, Willen und Organisationsvermögen externer Kräfte (im Zusammenspiel mit lokalen, nicht-staatlichen Akteuren, Organisationen und Insti-tutionen, wobei diese, wie die CDC, teilweise erst durch die externen Interventen geschaffen wurden). Governance-Leistungen brauchen in diesem eingeschränkten Sinne keinen funk-tionierenden staatlichen Partner – sie brauchen aber als Funktionsäquivalent ei-gene Sanktionskapazitäten in Form von Anreizen (Entwicklung) und zugetrauter Durchsetzungsgewalt. Das zentrale Risiko dieser exterritorialen Governance-In-seln ist, dass sie das institutionelle Gefüge, das den Interventen einen Rückzug in absehbarer Zeit ermöglichen sollte, schwächen. Transnationale Interventions-Governance simuliert dabei Staatlichkeit fürs Volk und der Staat, der eigentlich für die Gesellschaft ein Regieren ermöglichen sollte, kapselt sich ab und dient den Partikularinteressen lokaler Machthaber. Damit ist ein institutionelles Scheitern des Staates vorprogrammiert.

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