Page 1
Hochschule Lausitz
Fachbereich Sozialwesen
Studiengang Soziale Arbeit/ Sozialpädagogik
Bachelorarbeit
Elternarbeit in türkischen Migrantenfamilien
im Interventionsprozess gegen Zwangsverheiratung
Erstgutachter: Prof. phil. habil. Hans Norbert Pütter
Zweitgutachterin: Dr. phil. Petra Schmidt- Wiborg
vorgelegt von:
Linda Kaiser
Matrikel-Nr.: 282333
Cottbus, 18. Mai 2011
Page 2
Abstract
Diese Bachelorarbeit befasst sich mit Sozialarbeit mit türkischen Eltern im
Zusammenhang mit Zwangsverheiratung. Im Hauptteil werden folgende Fragen
beantwortet: Ist Elternarbeit in dieser Situation überhaupt möglich? Wie kann so eine
Zusammenarbeit in verschiedensten Einrichtungen (Mädchentreff, Beratungsstelle,
Wohnprojekt) aussehen? Dabei stehen Beratungsansätze und die Meinungen der
Professionellen im Vordergrund. Was kann man mit Elterngesprächen erreichen? Kann
man die Betroffenen vor einer Zwangsehe schützen? Was muss man dabei beachten?
Um diese Frage zu beantworten, sind zuerst die Hintergründe von Zwangsverheiratung
und türkischen Familienstrukturen in Deutschland dargestellt. Als Quellen dienten
Bücher, Internet und Broschüren. Aber auch Experteninterviews lieferten
Informationen. Zwangsverheiratung widerfährt jungen Frauen und Männern in
Deutschland. Aus unterschiedlichsten Gründen geben die Eltern dazu den Anstoß. Den
Betroffenen, in dieser Arbeit vorrangig Mädchen und Frauen, ist der Kontakt zu ihrer
Familie sehr wichtig und die Sozialarbeit nimmt diesen Bedarf zunehmend in ihre
Leistungen auf, hat aber dazu noch nichts explizit veröffentlicht. Ergebnisse dieser
Arbeit sind, dass es sehr darauf ankommt, in welcher Einrichtung man mit welchem
Auftrag arbeitet. Fest steht jedoch, dass Mädchen durch Elternarbeit vor einer
Zwangsverheiratung bewahrt werden können und es verschiedene Arten von
Elternarbeit gibt. Des Weiteren ist von zentraler Bedeutung, dass man seine Ansprüche
an die Verhaltensänderung der Eltern hinuntersetzt.
Page 3
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Einleitung........................................................................................................3
Aynur................................................................................................................7
1 Heirat mit Zwang
1.1 Was ist Zwangsverheiratung? ......................................................10
1.2 Zwangsverheiratung in Deutschland.............................................11
1.3 Ursachen........................................................................................13
1.4 Motive der Eltern............................................................................15
1.5 Formen
1.5.1 Heiratsverschleppung...........................................................17
1.5.2 Heiratsimport........................................................................17
1.5.3 Einwanderungsticket............................................................17
1.5.4 Communityerweiterung........................................................18
1.6 Rechtliche Situation in Deutschland..............................................18
1.7 Psychischer Kontext......................................................................20
1.8 Zusammenfassung........................................................................21
2 Die türkische Migrantenfamilie
2.1 Familienstrukturen.........................................................................23
2.1.1 Religiös- traditionell orientierte Familie................................24
2.1.2 Familie zwischen Moderne und Tradition.............................25
2.1.3 Moderne Familie...................................................................26
2.2 Erziehungsziele..............................................................................27
2.3 Erziehungsmethoden.....................................................................30
2.4 Zusammenfassung........................................................................32
Page 4
Inhaltsverzeichnis
3 Elternarbeit
3.1 Warum Elternarbeit?......................................................................35
3.2 Voraussetzungen für den Beratungsprozess................................39
3.3 Hinweise aus der Literatur.............................................................41
3.4 Beratungsansätze an Praxisbeispielen
3.4.1 MaDonna Mädchenkult.Ur e.V. -
Mädchentreff in Berlin Neukölln....................................................50
3.4.2 Elisi evi e.V. - Interkulturelle Beratungs- und Bildungs-
angebote für Frauen und Mädchen in Berlin Kreuzberg...............53
3.4.3 ROSA - Wohnen für junge Frauen
nicht- deutscher Herkunft in Stuttgart............................................56
3.5 Möglichkeiten bei Zwangsverheiratung.........................................60
3.6 Grenzen.........................................................................................63
3.7 Zusammenfassung........................................................................65
Wie geht es weiter mit Aynur? ...................................................................66
4 Resümee.............................................................................................68
Literaturverzeichnis.....................................................................................70
Abbildungsverzeichnis................................................................................76
Danksagung
Ehrenwörtliche Versicherung
CD - Interviewleitfaden 1- Zwangsverheiratung
- Interviewleitfaden 2- Elternarbeit
- Audiodateien der Interviews
- Flyer
Page 5
Einleitung
Einleitung
„Eine Ehe darf nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten
geschlossen werden.“ (Graue Literatur 1) Das steht in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte von 1948, Artikel 16 Absatz 2. In der überarbeiteten Fassung der
Arabischen Charta der Menschenrechte von 2004 findet sich dieses Recht ebenso in
Artikel 33, Absatz 1 „(...) No marriage shall be entered without the full consent of the
intending spouses.(...)“ (Internet 2). Trotz dessen sind Mädchen und Frauen sowie
Jungen und Männer in Deutschland von Zwangsverheiratung bedroht oder werden
gegen ihren Willen mit jemandem verheiratet, wie Fallzahlen aus unterschiedlichen
Beratungsstellen zeigen. In den letzten Jahren geriet dieses Thema immer mehr in den
Fokus der Öffentlichkeit. Dadurch wurden auch viele Arbeitskreise in den
unterschiedlichen Bundesländern gebildet, die sich mit den Anforderungen u.a. auch
an die Soziale Arbeit in diesem Zusammenhang beschäftigten. Es ging vielerorts um
Handlungsleitfäden, die speziell für die jeweiligen Städte entwickelt wurden, um im
gegeben Fall schnell und kompetent eine Hilfesuchende oder einen Hilfesuchenden
beraten und schützen zu können. Der Ehrenmord an Hatun Sürücü, einer Berlinerin mit
kurdischem Familienhintergrund, die sich 2005 aus einer erzwungenen Ehe befreit
hatte und dann von ihrem Bruder ermordet wurde, erregte die Öffentlichkeit (vgl. Graue
Literatur 3). Ebenso steuerten Autobiografien von Selbst- Betroffenen wie Fatma Bläser
oder Necla Kelek zur Diskussion bei. Schon seit 2005 debattiert der Bundestag zu
einem Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Zwangsheirat. Am 17. März 2011 wurde
das Gesetz zur „Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer
von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher
Vorschriften“ beschlossen, in dem unter anderem Zwangsverheiratung als eigener
Straftatbestand festgelegt wurde (vgl. Internet 1).
(Abbildung 1)
3
Page 6
Einleitung
Die vorangegangene Statistik bezieht sich auf die Kriseneinrichtung für von
Zwangsheirat bedrohten Mädchen Papatya in Berlin und zeigt den hohen Anteil an
türkischen Ratsuchenden. Weil die Mehrheit der Betroffenen einen türkischen
Familienhintergrund hat, wie aus verschiedenen Einrichtungszahlen hervorgeht, werde
ich mich in meiner Arbeit auf türkische Familien als Zielgruppe spezialisieren. Diese
Spezialisierung soll jedoch keinesfalls bedeuten, dass Zwangsverheiratung ein
ausschließlich türkisches Problem ist.
Die hohen Fallzahlen aus der türkischen Gemeinschaft rühren natürlich auch von dem
allgemein hohen Anteil türkischer Migranten an der Bevölkerung Berlins sowie
überhaupt Deutschlands her:
(Abbildung 2)
Da Männer, die zu einer Heirat gezwungen wurden, trotzdem mehr Freiräume und
betroffene Frauen mehr Einschränkungen und negative Folgen davon zu tragen haben,
werde ich mich in meiner Arbeit auf Mädchen und Frauen beziehen (vgl. Graue
Literatur 3). Außerdem habe ich meine Interviews in mädchenorientierten Projekten
durchgeführt, sodass dies geeigneter ist. Somit werde ich im Folgenden auch immer
die weibliche Form verwenden, wenn es um die Betroffenen geht.
Meine Motivation dieses Thema zu bearbeiten, hängt mit meinem großen Interesse für
interkulturelle Fragestellungen zusammen. Durch die Gesetzesdebatte Ende 2010
wurde ich auf das Problem Zwangsverheiratung aufmerksam. Da ich selbst keinerlei
Berührung mit dieser Thematik hatte, recherchierte ich nach Materialien und wurde
fündig. Vor allem fand ich Leitfäden für den optimalen Opferschutz z.B. in
Kriseneinrichtungen, in die die meist jungen Frauen fliehen.
3
Page 7
Einleitung
Dabei fragte ich mich, was mit der Arbeit mit den betroffenen Familien ist; welche Rolle
Kommunikation, Vermittlung und Konfliktlösung bei diesem Problem spielen. Da ich nur
sehr wenig in der Literatur dazu fand, überlegte ich, ob das überhaupt möglich bzw.
nötig ist. Und konnte mir aber aus meiner modernen Sicht heraus nicht vorstellen, dass
eine Einsicht der Eltern, dass Zwangsverheiratung unrecht ist, nicht möglich ist. Somit
war das Thema, welches mich am meisten an der Sache interessierte, die Elternarbeit
in diesem Zusammenhang. Auch als ich in Handlungsleitfäden als auszubauende
Anforderungen an die Sozialarbeit immer häufiger Elternarbeit las, wurde ich in
meinem Vorhaben bestärkt, dass dies ein wichtiges Thema in der Auseinandersetzung
mit Zwangsverheiratung darstellt. Anne Thiemann z.B. vom Institut für Menschenrechte
ist der Meinung, dass Elternarbeit eine erforderliche Maßnahme ist (vgl. Graue
Literatur 3). So entstanden dann auch meine Fragestellungen:
Inwiefern kann man mit den Eltern zusammenarbeiten?
Gibt es Beratungsansätze oder Problemlösungsstrategien?
Was muss man beachten?
Stellt Elternarbeit eine erfolgversprechende Möglichkeit dar, um Mädchen vor
einer drohenden Zwangsverheiratung zu bewahren?
Welche Lösungsmöglichkeiten bietet Elternarbeit den Betroffenen im
Interventionsprozess gegen Zwangsverheiratung?
Das Ziel meiner Arbeit ist, aufzuzeigen, wo Elternarbeit eine erfolgreiche Methode zur
Bekämpfung von Zwangsverheiratung darstellt und wie man vorgehen könnte. Das
sind jedoch alles Vorschläge, die natürlich immer wieder am jeweiligen Einzelfall
geprüft werden müssen, denn jedes Mädchen ist anders und hat andere Wünsche und
Vorstellungen, was die Kommunikation mit ihrer Familie betrifft.
Um diese Ziele zu erreichen, beinhalten meine Methoden vor allem Literaturrecherche
sowie Auszüge aus Experteninterviews, die ich sowohl persönlich als auch telefonisch
geführt habe. Die Interviewleitfäden und Audiodateien dazu befinden sich auf der
beiliegenden CD. und die. Bei einigen Interviews habe ich Notizen gemacht. Weil es
sehr schwierig war, gerade für die Elternarbeit in diesem konkreten Feld Literatur zu
finden, schienen mir die Interviews die einzige mögliche Quelle für Informationen zu
diesem Teil. Im späteren Verlauf meiner Arbeit entdeckte ich dann doch noch
Literaturhinweise zu dem Thema, wodurch sich meine Ausführungen ausbauen ließen.
Aktuelle Daten habe ich besonders aus Internetartikeln erhalten.
3
Page 8
EinleitungAm Anschluss an die Einleitung werde ich zum besseren Einfühlen in die Sachlage ein
Fallbeispiel darstellen. Dieses Fallbeispiel habe ich der Broschüre „Mädchen in
Konfliktsituationen. Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund- ein
interkultureller Ratgeber für Fachkräfte der sozialen Arbeit“ vom Ministerium für Arbeit,
Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz von 2010 entnommen. Es
stellt nur einen Fall dar und darf nicht verallgemeinernd verstanden werden.
Aus dem Beispiel werden sich Fragen zu den Hintergründen ergeben.
Diese Fragen zu Zwangsverheiratung und türkischen Familienstrukturen werde ich im
Folgenden beantworten. Was verbirgt sich hinter Zwangsverheiratung, welchen
Ausmaß hat diese Erscheinung in Deutschland, welche Formen gibt es, welche
Ursachen und Motive der Eltern, wie ist die rechtliche Situation derzeit in Deutschland
dazu und wie der psychische Kontext? Dennoch werden sich meine Ausführungen
hauptsächlich auf eine drohende Zwangsverheiratung und deren Verhinderung
beziehen.
Im Rahmen der türkischen Familienstrukturen wird es u.a. um Erziehungsziele und
Erziehungsmethoden gehen.
Im zweiten Teil gehe ich auf die Elternarbeit in türkischen Migrantenfamilien im
Interventionsprozess gegen Zwangsverheiratung ein. Ich werde erklären, was
Elternarbeit hier bedeutet, warum sie wichtig ist, welche Formen es gibt, welche
Voraussetzungen gegeben sein sollten, welche Beratungsansätze aus Sicht
verschiedener Einrichtungen von Nutzen sind und was sich damit erreichen lässt.
Im Schlussteil stelle ich in einer Gesamtzusammenfassung meine gewonnenen
Erkenntnisse dar.
3
Page 9
Aynur
Aynur
„Aynur ist 16 Jahre und in Deutschland geboren. Ihre Eltern sind vor ihrer Geburt mit
ihren älteren Geschwistern, einer Schwester im Alter von 21 und einem Bruder im Alter
von 19 Jahren, nach Deutschland gekommen. Aynur hat noch drei jüngere
Geschwister, zwei Brüder und die jüngste Schwester, die erst 11 Jahre ist. Ihre ältere
Schwester wohnt inzwischen in einer eigenen Wohnung mit ihrem Mann und hat ein
Kind. Ihr älterer Bruder ist unregelmäßig zuhause. Der Vater und die Mutter haben in
ihrem Herkunftsland in einem kleinen Dorf gelebt und nur eine Art Grundschule
besucht. Aynurs Mutter ist zu hause, sie ist oft krank und fordert viel Hilfe von Aynur im
Haushalt. Auch Arztbesuche der Mutter muss sie häufig begleiten. Der Vater ist
selbständig und sehr unregelmäßig zuhause. Aynur besucht die 8. Klasse zum zweiten
Mal. Ihre Leistungen sind knapp durchschnittlich, ihre Lehrkräfte vermitteln ihr, sie
könne bessere Leistungen bringen, wenn sie sich mehr für die Schule interessieren
würde. Aynur hat das Gefühl, dass es in ihrer Familie niemanden wirklich interessiert,
ob sie gut in der Schule ist. Zwar sagen die Eltern immer wieder zu ihr, sie solle lernen,
aber sie fragen nie nach ihren Noten oder ihren Hausaufgaben. Helfen kann ihr dabei
auch niemand; ihre Eltern können zu wenig deutsch und ihr Bruder ist fast nie da.
Außerdem kämpft Aynur mit ganz anderen Problemen: Macht sie etwas im Haushalt
nicht so, wie ihre Mutter es von ihr verlangt, wird sie von ihr beschimpft und
geschlagen. Sie hört dann, dass sie zu nichts tauge und keine gute Ehefrau werde.
Aynur ärgert sich darüber, dass sie ihre Brüder und ihren Vater bedienen muss, wenn
diese zuhause sind. Ihre Mutter verlangt dies von ihr und tut es selbst. Aynur findet es
ungerecht, dass die jüngeren Brüder fast gar keine Pflichten im Haushalt haben und ihr
Befehle geben. Ihre kleine Schwester ist noch zu klein für diese Aufgaben. Ihre Mutter
schimpft immer wieder, sie würde der Familie keine Ehre machen, sie spreche immer
wieder mit Jungen und treibe sich auf der Straße herum. Auch ihre Brüder und ihr Vater
berichten immer wieder davon, dass Aynur sich schlecht benehme und die Freunde der
Brüder schlecht über sie sprechen würden. Häufig wird sie auch vom älteren Bruder
oder vom Vater geschlagen, als „Schlampe“ beschimpft und erhält Hausarrest.
Von ihrer Mutter wird sie zur Strafe häufig an den Haaren gezogen oder mit dem
dünnen Nudelholz oder der Hand geschlagen, die Brüder und der Vater schlagen sie
meist mit den Händen, schubsen sie oder treten ihr ans Bein. Manchmal hat Aynur
blaue Flecken, mehr als die Schläge schmerzen sie aber die Beleidigungen durch ihre
Familie. Da Aynur ständig Hausarrest hat und ihr Verhalten innerhalb der Familie stark
kritisiert wird, spricht sie kaum über die Dinge, die sie außerhalb der Familie tut.
7
Page 10
Aynur
Sie erfindet auch kleine Geschichten, um sich Freiheiten zu erkämpfen oder geht
manchmal nicht in die Schule. Sie versucht, ihr Leben in zwei verschiedenen Welten -
der draußen und der innerhalb der Familie zu leben. Ihre ältere Schwester ist ihr keine
Hilfe. Sie hat einen Cousin aus einem Nachbardorf des Herkunftsortes der Eltern
geheiratet; dieser kam nach Deutschland und ist oft mit ihrem älteren Bruder und ihrem
Vater unterwegs. Ihre Schwester hat die Schule abgeschlossen und ist jetzt zu Hause
bei ihrem Kind. Sie sagt ihr immer wieder, sie müsse sich anständig benehmen und
ihrer Mutter zur Hand gehen. Aynurs Klagen, dass sie geschlagen wird, kommentiert
die Schwester mit der Aussage, dass Aynur daran selbst schuld sei und sich eben
besser benehmen müsse. Sie habe sich an die Regeln zu halten, die für ihre Kultur
und Religion gelten.
Aynur fühlt sich allein gelassen und ungeliebt, manchmal wünscht sie sich, sie wäre bei
ihrer Tante, der Schwester ihres Vaters. Dort war sie schon zu Besuch. Ihre Cousine
muss sich zwar auch an strengere Regeln halten als ihre Schulkameradinnen, aber
ansonsten geht es ihr nach Aynurs Meinung besser, da sie kaum geschlagen wird.
Irgendwann bekommt Aynur Diskussionen ihrer Eltern und ihres älteren Bruders mit, in
denen es darum geht, sie zu verheiraten. Dies sei das Beste für sie, schließlich müsse
sie über kurz oder lang die Rolle einer Ehefrau einnehmen und da sie so wenig
gehorche und schlecht benähme, wäre es wohl sinnvoll, ihr einen Mann zu suchen, der
sich dann darum kümmert, dass sie die Pflichten einer Ehefrau und Mutter erlerne.
Aynur kann sich das nicht vorstellen; ihrer Schwester wurde der Mann zwar auch
ausgesucht, aber sie hat sich noch nicht damit beschäftigt, dass dies auch für sie
geplant sein könnte. Aynur schiebt die Gedanken beiseite.
Eines Tages erwartet die Familie Besuch einer anderen Familie, Aynur erhält die
Anweisung, Tee zuzubereiten und sich angemessen höflich und zurückhaltend zu
benehmen und die Gäste zu bewirten. Sie bekommt mit, dass es darum geht, dass sie
in den nächsten oder übernächsten Ferien verheiratet werden soll. Aynur erschreckt
sich fürchterlich und glaubt nun, dass die Pläne ihrer Eltern tatsächlich eintreffen
sollen. Sie ist während des Besuches weiterhin höflich und freundlich. Nach dem
Besuch sucht sie vorsichtig das Gespräch mit ihrer Schwester. Diese erklärt ihr, dass
es ganz üblich sei, dass die Familie den zukünftigen Ehemann aussuchen würde und
dass es bei ihr selbst ja auch funktioniert habe. Sie solle sich nicht anstellen, die Liebe
würde mit der Zeit schon kommen. Aynur fühlt sich immer verzweifelter, als sie das
Gespräch mit ihrer Mutter sucht, um anzudeuten, dass sie eigentlich gerne ihre Schule
zu Ende machen möchte und eine Ausbildung beginnen möchte, lacht die Mutter sie
aus und sagt ihr, es würde Zeit, dass sie eine anständige Frau werde.
8
Page 11
Aynur
Als Aynur ihr erzählt, sie habe von den Hochzeitsplänen gehört, beginnt ihre Mutter zu
schimpfen, bezeichnet sie als undankbar und schlägt sie. Das Thema ist beendet.
Aynur sieht keinen Ausweg und überlegt, ob eine Hochzeit für sie vielleicht die bessere
Lösung ist und der Mann, der für sie ausgesucht wird, ja vielleicht nett ist. Später
bekommt sie mit, dass der Mann, der für sie ausgesucht worden ist, 19 Jahre alt ist
und nach der Hochzeit nach Deutschland kommen soll. Aynur schöpft Hoffnung auf
eine bessere Zukunft. Schließlich ist der Mann ja auch noch nicht so alt und vielleicht
ist er ja hübsch und nett zu ihr.
Als die Sommerferien näher rücken und die Reise zu den Verwandten im
Herkunftsland der Eltern geplant wird, wird Aynur die Vorstellung einer Hochzeit
zunehmend unangenehmer. Manche ihrer Freundinnen finden die geplante Hochzeit
aufregend und toll, andere finden die Vorstellung ganz schrecklich und fantasieren über
einen schrecklichen, hässlichen Mann und sagen, ihre Eltern hätten für sie keine
Hochzeit geplant. Mit deutschen Mädchen kann Aynur darüber nicht reden.
Kurz vor der Abreise in die Sommerferien ist Aynur so durcheinander, dass sie sich an
eine Beratungsstelle wendet, in der Mädchen und Frauen von Frauen beraten werden.
Sie denkt sich, sie ruft dort an. Die Frau am Telefon ist nett und erklärt ihr, dass man
sie in Deutschland nicht zwingen könne, zu heiraten und dass sie zu ihrem Schutz
auch aus ihrer Familie flüchten könne. Sie gibt ihr eine Telefonnummer, an die sie sich
wenden kann, wenn sie dies tun wolle. Aynur weiß nicht mehr weiter.
Am folgenden Wochenende wird sie wieder geschlagen und beschimpft, sie sei nichts
wert, als sie sich nicht ordentlich um den Haushalt gekümmert habe und sich
außerdem „herumgetrieben“ habe. Aynur hält es nun nicht mehr aus und flüchtet nur
mit ihrem Handy und ihrem Geldbeutel. Sie ruft bei der Telefonnummer an, die ihr die
Frau der telefonischen Beratung gegeben hat und bittet um Aufnahme in der
Einrichtung der Zuflucht.
Dort angekommen, fühlt sie sich alleine, sie vermisst ihre jüngere Schwester und weiß
nicht, was nun passieren soll. Sie denkt, die Familie wird sie verstoßen, sie kann
vielleicht nie mehr zurück oder ihre Familie wird sie suchen und sie gegen ihren Willen
in deren Herkunftsland bringen.“ (Graue Literatur 10)
Im weiteren Verlauf meiner Arbeit werden immer wieder Parallelen zwischen den
theoretischen Ausführungen und Aynurs Fall auftreten, die sich dann gegenseitig
belegen bzw. veranschaulichen.
9
Page 12
Zwangsverheiratung in Deutschland
1 Zwangsverheiratung
1.1 Was ist Zwangsverheiratung?
Zwangsverheiratung ist eine Menschenrechtsverletzung, eine Form häuslicher Gewalt,
eine „sklavereiähnliche Praxis“ (Necla Kelek). Zwangsverheiratung hat viele
Definitionen, was sie aber bedeutet ist, dass ein Mensch, sei er männlich oder weiblich,
von seinen Eltern oder Verwandten psychisch oder physisch genötigt wird, jemanden
zu heiraten, den er nicht liebt und in vielen Fällen nicht einmal kennt. Zwang ist dabei
immer vom subjektiven Empfinden der Betroffenen abhängig (vgl. Graue Literatur 9).
Die Gefahr ist nicht einfach abzuwenden, indem man die Bedrohte oder den Bedrohten
vom Täter fernhält. Zwangsverheiratung ist eine Gewaltform, bei der mehrere
Menschen aus dem sozialen Nahraum zum Täter werden können. Das ist der
Unterschied zur häuslichen Gewalt. Das islamische Recht schreibt eine Einwilligung
des Mädchens zur Heirat vor. Allerdings ist nicht geklärt, wie diese aussieht. Eine klare
verbale Erklärung wird nicht verlangt. Betretenes Schweigen oder leises Weinen gilt als
Zustimmung. Nur wenn ein Mädchen laut schreit, bedeutet das „Nein“. Aber das
werden die wenigsten Mädchen aus Respekt machen (vgl. Breuer, 1998, S. 21f). Der
Betroffenen wird jegliche Selbstbestimmung dahingehend abgesprochen, würde ich als
Deutsche sagen. Aber was ist Selbstbestimmung? Kennen das die Mädchen denn
überhaupt? Ist ihnen bewusst, was ihnen da widerfährt? Für die Erläuterung dieser
Fragen ist es, denke ich, wichtig, die familiären Strukturen in einer traditionell
türkischen Familie in Deutschland zu kennen. Deswegen werde ich das im folgenden
Kapitel ausführen.
Strategien um Zwangsheirat durchzusetzen sind psychische Gewalt (27,9%)
moralische Erpressung (20,6%), körperliche Gewalt (15,2%) und Überredung (7,8%)
(vgl. Graue Literatur 6). Der Höhepunkt der Gewalt, die Entjungferung in der
Hochzeitsnacht, lässt sich am besten an einem Zitat von der selbst einmal von
Zwangsheirat Bedrohten Ayaan Hirsi Ali zeigen: „Tatsächlich handelt es sich hier um
eine mit Zustimmung der gesamten Familie arrangierte Vergewaltigung.“ (Ali, 2005,
S.142)
Der Begriff der Arrangierten Ehe wird im Zusammenhang mit Zwangsehe ebenfalls
diskutiert. Arrangierte Ehen kennen wir zum Beispiel auch aus dem Märchen, da wird
der Prinzessin ein Prinz aus einem benachbarten Königreich vom Vater vorgeschlagen
und sie kann sagen, ob sie möchte oder nicht. Sie hat das Recht „Nein.“ zu sagen.
Wenn dieses Recht besteht, spricht man von einer Arrangierten Ehe, wenn diejenige
dann einmal ja sagt.
10
Page 13
Zwangsverheiratung in Deutschland
Diese Zusammenführung hatte eben auch früher in Europa Tradition zur Vergrößerung
des Königreiches, zum Erhalt der sozialen Stellung, was ja mit der
Communityvergrößerung zu vergleichen wäre, auf die ich später als Heiratsform
eingehen werde. Die Liebesheirat kam hier auch erst im 19.Jh. auf. „Von vornherein
inakzeptabel sind in jedem Fall arrangierte Ehen mit Minderjährigen, die auch ohne die
Androhung oder Ausübung von direktem Zwang als Verletzung des
Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen gewertet werden müssen.“ (Bielefeldt;
Follmar- Otto, 2007, S. 16)
Die arrangierte Heirat ist dennoch umstritten, denn es fällt den Mädchen oft sehr
schwer gegenüber Respektspersonen aus ihrer Familie „Nein.“ zu sagen. Ein weiterer
Punkt ist, den Gabriele Heinemann vom MaDonna Mädchentreff treffend formulierte,
dass es bei einer Heirat ja nicht darum ginge, aus drei Cousins auszuwählen. Wo ist
das kein Zwang? Schließlich könnte Aynur, um beim Fallbeispiel zu bleiben, ja auch
Finn aus Schweden, David aus Südafrika oder Dan aus China heiraten. Genauso wie
sie Lukas, der mit ihr in eine Klasse geht, heiraten könnte. Theoretisch.
1.2 Zwangsverheiratung in Deutschland
Jeder Bericht über Zwangsverheiratung beginnt mit dem Satz, dass es keine
eindeutigen Zahlen zum Ausmaß von Zwangsverheiratung in Deutschland gibt. Die
türkischstämmige Rechtsanwältin Filiz Sütcü sagt, dass es doch keinen interessiert
hat, wie Gastarbeiter der ersten Generation verheiratet sind (vgl. Internet 8).
Eine nicht-repräsentativen Zusatzbefragung im Rahmen der Studie zur Gewalt gegen
Frauen in Deutschland vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend aus dem Jahre 2004 erbrachte, dass bei etwa der Hälfte von 150 Frauen der
Partner von Verwandten ausgewählt wurde; 23 % hätten den Partner lieber selbst
ausgewählt und 17 % hatten zum Zeitpunkt der Eheschließung das Gefühl, zu dieser
Ehe gezwungen zu werden (vgl. Internet 3).
Aber anhand von Fallzahlen der Einrichtungen, Beratungsstellen, Telefonberatungen
etc. der einzelnen Länder kann man erahnen, in welchem Umfang Mädchen und
Frauen, sowie Jungen und Männer davon betroffen sind. An einem Beispiel: Die
Beratungsstelle Yasemin in Stuttgart hatte seit dem Projektbeginn am 01.07.07 bis zum
31.12.10 726 Klientinnen, davon waren 397 die betroffenen Mädchen und jungen
Frauen selbst und 329 Vertraute der Betroffenen, die sich meldeten. Von Zwangsheirat
waren 216 bedroht. Aus der Statistik der anonymen Wohnstätte ROSA in Stuttgart wird
ersichtlich, dass es im Kalenderjahr 2010 69 stationäre Anfragen gab.
11
Page 14
Zwangsverheiratung in Deutschland
Davon waren 55% von Zwangsheirat bedroht, bei 25% war es unklar, ob eine
Bedrohung durch Zwangsheirat vorliegt und bei 20% lag keine Bedrohung vor.
Zurzeit werden bei ROSA zwölf Frauen betreut, wovon zehn von zwölf von
Zwangsheirat bedroht waren und zwei schon zwangsverheiratet wurden (vgl. HÖ).
In Sachsen gab es 2008 21 Fälle von Zwangsheirat. Diese traten vor allem in Leipzig,
weniger in Dresden und Chemnitz auf, da in Leipzig eine ausgeprägte afghanische
Community besteht (vgl. AS).
In Berlin gab es 2007 378 Fälle. In 86 erfolgte die Zwangsverheiratung, in 292 wurde
sie angedroht. In 12 Fällen handelte es sich um männliche Opfer.
Im Mädchenhaus Bielefeld e.V. wurde von Juni 2007 bis Ende 2008 zu 279 Fällen von
Zwangsverheiratung beraten, 57,3% telefonisch, 37,3% online und 5,4% face to face.
Betroffene nutzen dabei vor allem die Anonymität der Online- Beratung, wobei
Professionelle telefonisch Rat suchen, um jemandem Betroffenem zu helfen.
Erstkontakte liefen 47,1% über Institutionen, 39% über Betroffene selbst und 26% über
Vertrauenspersonen. Es waren 83,9% weibliche Betroffene und 12,2% männliche (vgl.
Graue Literatur 6).
Bei der Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES in Tübingen haben sich 2010
163 Menschen in Zusammenhang mit Zwangsverheiratung telefonisch gemeldet (vgl.
LH).
Bei einer Befragung von Hamburger Interventionsstellen gab es 2005 210 Fälle von
(drohender) Zwangsverheiratung (vgl. Internet 10).
Der Verein Hennamond e.V. von Fatma Bläser beriet 2007 363 Betroffene und davon
sogar 117 junge Männer (vgl. Graue Literatur 3). Aus der folgenden Statistik aus dem
8. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und
Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland wird
ersichtlich, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund verheiratet sind.
(Abbildung 3)
12
Page 15
Ursachen
1.2 Ursachen
Bei der Betrachtung des Konflikts Zwangsverheiratung kommen meist zwei
Hauptrichtungen vor. Entweder man ordnet diesen Konflikt dem Gewaltkontext oder
dem Kulturkontext zu.
Beim Kulturkontext kommt man leicht in Verstrickungen mit Religion und
Diskriminierung. Fest steht jedoch, nach Meinung aller Studien und Ausarbeitungen,
dass Zwangsverheiratung in patriarchalen Familienstrukturen vorkommt, also
Familien, in denen der Mann hierarchisch über der Frau, der Ältere über dem Jüngeren
usw. steht. Judith Gerling- Tamer von der Beratungsstelle Elisi evi e.V. beschrieb das
so: „Wenn der Mann alles bestimmt, bestimmt der auch das“ (die Heirat)! Häufig spielt
ein traditionelles Verständnis von Ehre, auf das ich im zweiten Teil noch näher
eingehen werde, ebenfalls eine zentrale Rolle (vgl. Graue Literatur 5). Der Arbeitskreis
Zwangsverheiratung in Berlin hat schon mit muslimischen Familien aus der Türkei,
christlich orthodoxen Familien aus Südosteuropa (z.B. Roma), hinduistischen Familien
aus Sri Lanka zu tun gehabt, was deutlich macht, dass Zwangsverheiratung kein
Problem des Islams ist, was oft in den Medien so dargestellt wird (vgl. Graue Literatur
2). Bezogen auf Necla Keleks und Seyran Ates öffentliche Debatte, dass Zwangsheirat
vor allem ein Problem des Islams sei, sagt Sütcü: „Man darf nicht sofort werten, man
muss hinterfragen, woher diese Praktiken kommen und wie man die Probleme lösen
kann.“ Der Interviewer sagt: Aber man muss doch die Dinge beim Namen nennen.
Darauf Sütcü: „Aber was erreicht man damit? Dass sie sagen, ja ihr habt recht,
eigentlich sind unsere Werte so was von schlecht, wir sperren unsere Töchter ab sofort
nicht mehr ein? Das kann ich mir nicht vorstellen. Die beiden haben monokausal fast
alles, was in türkischen Familien falsch läuft, auf den Islam zurückgeführt. Das
entspricht nicht in jedem Fall der Wahrheit. Wenn ich Unwahrheiten verbreite,
gekoppelt mit reißerischen Tönen, dann schade ich eher, als dass ich der Diskussion
nutze. Deshalb kommen wir nicht voran.“ (Internet 8) Es gibt z.B. auch in christlich
fundamentalistischen Familien in Nordamerika diese Sichtweise zu Jungfräulichkeit bis
zur Ehe (vgl. Graue Literatur 3).
Ein weiterer dem Kulturkontext zuzuordnender Faktor ist, dass der Staat im Heimatland
nicht so ein Monopol ist wie in Deutschland. Dort ist der Clan, die Community am
wichtigsten, vor allem in den Dörfern, und eine Heirat dient zur Existenzsicherung (vgl.
AS). „In wenig individualisierten Gesellschaften ist die Ehe neben der Verbindung von
zwei Personen vor allem auch eine Verbindung zwischen zwei Familien.“ (Breuer,
1998, S. 21) Deswegen geht es auch bei der Ehepartnersuche um familiäre Interessen
(vgl. Breuer, 1998, S. 21).
13
Page 16
Ursachen
Wenn deutsche Werte nicht anerkannt werden, erschließen sich daraus auch gar keine
anderen Handlungsoptionen (vgl. Strobl; Lobermaier, 2007, S. 48).
Die Wiener Broschüre „Zwangsverheiratung und Arrangierte Ehen in Österreich mit
besonderer Berücksichtigung Wiens“ z.B. ordnet ganz klar in Gewalt gegen Frauen ein.
Auch andere Studien betonen, dass Zwangsverheiratung nur in einem Umfeld von
Gewalt in der Familie stattfinden könnte, da in einer Familie, wo gegenseitiger
Respekt herrscht, so etwas nicht passieren würde. Und diese Gewalt rührt meist von
einer Hilflosigkeit in Erziehungsfragen und fehlender Auseinandersetzung in der
Familie, wodurch auch häufig Unwissen über den Unwillen des Kindes besteht, her
(vgl. Graue Literatur 3). Halide Özdemir von ROSA sagte mir, dass in den Biografien
der Mädchen ersichtlich wird, dass sie oft jahrelang Gewalt erfahren haben und sich
irgendwann auch mit der Gewalt arrangiert haben. Auf die Frage, ob alle Mädchen, die
im Zusammenhang mit Zwangsverheiratung bei ROSA Hilfe suchen, Gewalt erfahren
haben, sagte mir Frau Özdemir: Nicht alle Mädchen haben körperliche oder sexuelle
Gewalt erfahren. Aber es ist ja immer auch eine Definitionssache. Wenn man Verbote
wie z.B. mit Freunden treffen mit zu Gewalt zählt, weil dadurch Persönlichkeitsrechte
eingeschränkt werden, hat sicherlich jedes Mädchen Gewalt erfahren (vgl. HÖ).
"In den Familien wo Gewalt herrscht, da ist sowas möglich. Wo gegenseitiger Respekt
herrscht, da werden natürlich die Eltern auch mitfragen.“, meint auch Judith Gerling-
Tamer von Elisi evi (G-T).
Zur Betroffenheit von türkischen Frauen von Gewalt existieren keine repräsentativen
Daten, aber eine gute Datenlage. Die vom BMFSFJ von 2002 bis 2004 durchgeführte
Frauenstudie zur „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in
Deutschland“ bezieht sich auf die Analyse "Gesundheit- Gewalt- Migration" des
Interdisziplinären Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF) der
Universität Bielefeld verzeichnet, dass Migrantinnen eher von Gewalt betroffen sind als
Deutsche (25%) und dabei türkische Frauen mit 38% am häufigsten und schwersten
betroffen sind. Körperliche sowie psychische Gewalt spielt dabei eine Rolle. Das
Gewaltverhalten wird stark von Bildungsstatus, Einkommen und sozialer Einbindung
beeinflusst (vgl. Graue Literatur 8).
Eine dritte Sichtweise ist eben diese sozioökonomische Sicht, wodurch die
Situation der Bürger mit Migrationshintergrund und ihre Handlungsweisen ein zu
ordnen ist. Die Migranten in Deutschland erfahren einen Werteverlust, wenn sie
arbeitslos sind und versuchen durch Ausbau der Familie dem entgegen zu wirken (vgl.
AS).
14
Page 17
Motive der Eltern
Corinna Ter- Nedden ist seit 20 Jahren Psychologin bei Papatya. Sie spricht von
Dauerarbeitslosigkeit, Scheidungen und Süchten, die die Familien zusätzlich belasten
(vgl. Bielefeldt, 2007, S. 19). In diesem Zusammenhang ist eine Erklärung der
Zwangsheirat mit dem traditionellen Ehrsystem fraglich und es könnte eher sein, dass
es um Aufrechterhalten von Machtverhältnissen geht (vgl. Srrobl, Lobermaier, 2007, S.
41). Auch Gabriele Heinemann sieht das so, dass auch Probleme zwischen den Eltern
Auslöser sind. Wenn der Vater nur noch spielt und trinkt, bekommt die Mutter dann
einen „Anfall von Traditionalität“ und will die Kinder verheiraten, dass sie nicht auch
noch so „wild“ werden wie der Vater. „Die Mütter sind viel mehr diejenigen, die das
vermitteln.“ (GH) Es sind sogar Mädchen, der 3. Generation betroffen, wo also die
Großeltern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind. Und trotzdem hat sich
dieses Mittel weiter verbreitet. Elçin Kürşat- Ahlers hat dazu in ihrem Buch „Die Rolle
der Mütter bei den Lebensentwürfen der Töchter“ von 2006 geschrieben: „Migration
bedeutet eine plötzliche und ganzheitliche Veränderung der geographischen, sozialen
und kulturellen Umwelt eines Menschen. Sie lässt keinen einzigen Lebensbereich
unberührt und stabil. Die sich dadurch ergebenden Erschütterungen sind auch in der
zweiten und dritten Generation noch zu finden.“ (Graue Literatur 6)
1.3 Motive der Eltern
Es gibt verschiedene Beweggründe für eine Heirat. Ich werde einmal alle mir
bekannten kurz nennen: Zum einen kann es ein traditionelles Heiratsverhalten und
Familienverständis sein, da diese Praxis ja auch durchaus im Sinne der arrangierten
Ehe als Erfolgskonzept bekannt war (vgl. AS). Die Eltern möchten ihr Kind versorgt
wissen und für Frauen stellte nun einmal die Ehe lange Zeit das einzige
Zukunftsmodell dar und vor allem in der Fremde kann es sein, dass man dazu neigt,
sich seine Traditionen zu bewahren (vgl. GH). Vielleicht denken die Eltern auch nur,
dass der junge Mann eine gute „Partie“ wäre, weil sie die Eltern kennen und das Kind
aus gutem Hause kommt etc. (vgl. Graue Literatur 5). Die Eltern wollen schließlich nur
das Beste für das Kind. Deswegen erfolgt auch so häufig die Cousinhochzeit. Die
Eltern erhoffen sich davon, denjenigen besser einschätzen zu können und außerdem
bleibt der Brautpreis in der Familie (vgl. Graue Literatur 3). Ein weiterer Grund dafür ist,
dass die Kinder einer Frau immer den Namen deren Mannes tragen, nie den Namen
der Frau und deswegen nie den Namen deren Vaters. Eine Ehe außerhalb der
Teilsippe (Familienclan) würde also bedeuten, dass die Frau einem anderen
Familienclan im Weiterführen deren Namens dient (vgl. Ali, 2005, S. 56).
15
Page 18
Motive der Eltern
Manche sind der Meinung, dass Mann und Frau der Religion, dem sozialen Status und
der Herkunft nach gleich sein sollten (vgl. Breuer, 1998, S. 23f). Davon erhoffen sich
die Eltern eine Art Konfliktreduzierungsstrategie, da sie sich dem Ehemann der Tochter
und auch ihrer Heimat näher fühlen können und es so ihrer Meinung nach zu weniger
Konflikten kommt (vgl. Çil, 2000, S. 134 – 136).
Ein weiterer Grund für eine Zwangsverheiratung ist die Erweiterung der Community
(vgl. Graue Literatur 5). Gerade in einem Land, wo man sich nicht heimisch fühlt,
möchte man sich wenigstens in seinem Verwandtenkreis heimisch fühlen. Mit einem
deutschen Schwiegersohn würde die so wichtige Gemeinschaft immer weiter
aufgebrochen werden und womöglich noch zum Zerfall der familiären Beziehungen
führen, die die einzelne Familie dann allein da stehen lassen würde.
Manche Eltern möchten mit einer frühen Heirat, die Jungfräulichkeit ihrer Tochter und
die Ehre der Familie bewahren. Die Zwangsheirat wird meist dann eingesetzt, wenn
das Mädchen mit einem Jungen gesichtet wurde, da dann die Gefahr besteht, dass sie
vor der Ehe Sex hat und der Familie Schande bringt. Dabei geht es nicht darum, dass
sie Sex hatte, sondern nur um den Eindruck der nach außen vermittelt wurde- Schein
statt Sein (vgl. Internet 19).
Oder es ist eine Disziplinarmaßnahme, um Homosexualität und Freizügigkeit zu
„heilen“ oder wenn die Kinder schlecht in der Schule sind oder schwänzen, um sich
mit Freunden zu treffen; wenn sie Straftaten begehen oder ihre Peer- group einen
schlechten Einfluss auf sie hat (vgl. Graue Literatur 5, 3).
Ein anderer Grund ist, einer Person aus dem Herkunftsland die Migration nach
Deutschland zu ermöglichen (vgl. Graue Literatur 5).
Manche Familien machen es auch nur aus „Businessgründen“, weil sie sich einen
hohen Brautpreis erwarten (vgl. GH). Außerdem ist es auch für die finanzielle Lage
der Familie besser, wenn die Tochter von ihrem Ehemann unterhalten wird (vgl.
Breuer, 1998, S. 20).
Manche werden schon als Kind jemandem versprochen (vgl. Graue Literatur 5). Es
kommt auch vor, dass Zwangsheirat veranlasst wird, wo sexueller Missbrauch durch
einen Familienangehörigen vertuscht werden soll (vgl. HÖ).
Manchmal haben die Eltern auch eine sonst gute Beziehung zur Tochter, aber haben
sich schon öffentlich zu der Heirat bekannt und können das nicht mehr wegen dem
Ehrverlust revidieren (vgl. Strobl; Lobermaier, 2007, S. 48).
16
Page 19
Formen
1.4 Formen
1.4.1 Heiratsverschleppung
Bei der Heiratsverschleppung oder Ferienverheiratung wird dem Opfer gesagt, dass es
Ferien im Heimatland verbringt und dann wird es dort gegen seinen Willen verheiratet
und muss dort bleiben. Da ihm meist der Pass abgenommen wird, ist es schwierig
zurückzukehren. Durch das neue Gesetz erlischt zumindest nicht nach einem halben
Jahr das deutsche Aufenthaltsrecht, sodass, wenn ihnen eine Flucht gelingt, sie wieder
in Deutschland unter kommen können. Die Heiratsverschleppung ist besonders fatal,
wenn ein modernes Mädchen dann in der Türkei in einem Dorf leben muss (vgl. Graue
Literatur 5). Wenn diese Form nicht versteckt als Urlaub erfolgt, wird sie den Mädchen
auch häufig bei Regelverstößen angedroht.
1.4.2 Heiratsimport
Beim Heiratsimport wird eine Heirat im Herkunftsland geschlossen und die junge Braut
oder der junge Bräutigam dann mit nach Deutschland genommen. Manchmal
empfinden das die Importierten gar nicht als Zwang, weil sie sich vom Leben in
Deutschland etwas erwarten (vgl. Graue Literatur 5).
Gerade für Frauen, die aus dem Herkunftsland nachgeholt wurden, kann sich jedoch
die Ehe in Deutschland negativ auswirken. Sie können oftmals kein Deutsch und wenn
sie dann noch von ihrem Ehemann am Besuch eines Deutschkurses gehindert werden
oder misshandelt, verstärkt sich das Abhängigkeitsverhältnis noch einmal. Das Leben
bei den Schwiegereltern räumt ihnen keine Entscheidungsgewalt ein, da sie
hierarchisch unter den Schwiegermüttern stehen. Das deutsche Aufenthaltsrecht und
die Arbeitserlaubnis sind an ihre Männer gebunden und die eigene Familie möchte
natürlich auch, dass die Ehe Bestand hat. Das alles führt zu hohem Druck (vgl. Internet
6). Diese Form ist für meine Ausarbeitung eher nachrangig, da ich mich ja auf die Zeit
vor der Verheiratung beziehe.
1.4.3 Einwanderungsticket
Eine Heirat wird geschlossen, um einem Familienangehörigen die Einreise nach
Deutschland zu ermöglichen (vgl. Graue Literatur 5).
Meist wird dem (verwandten) Bräutigam so eine Vermittlung ermöglicht. Die in
Deutschland sozialisierten türkischen Frauen müssen einen Mann heiraten, der
gänzlich anders aufgewachsen ist. Probleme sind da meist vorprogrammiert.
17
Page 20
Rechtliche Situation in Deutschland
Da sich die Frau in dieser Konstellation besser in Deutschland auskennt, die Sprache
spricht, wird es dort eher möglich sein, dass die Frau Erwartungen an ihren Mann hat
und die Rolle des Familienoberhaupts übernimmt. Da dies mit der traditionellen
Familienauffassung nicht überein kommt und die türkischen Männer nie gelernt haben
mit selbstbewussten Frauen umzugehen, kommt es auch in dieser Situation häufig zu
Konflikt und Trennung (vgl. Internet 6).
Das trifft auf Aynurs Fall zu und da sie sich durch ihr Zwangsempfinden bei den
Heiratsplanungen und ihren Mut zur Flucht auch zunehmend westlich orientieren
würde, würde es wohl ebenso zu Konflikten kommen. Die Verdeutlichung dieses
Szenarios könnte bei der Elternarbeit nützlich sein.
1.4.4 Communityerweiterung
Innerhalb einer Gemeinschaft wird geheiratet, d.h. beide Partner sind in Deutschland
sozialisiert und man möchte damit seine Community vergrößern (vgl. Graue Literatur
5).
1.5 Rechtliche Situation in Deutschland
„Neben dem neuen Straftatbestand gibt es nun ein eigenständiges Wiederkehrrecht für
ausländische Opfer von Zwangsverheiratungen. Zudem wird die Mindestbestandszeit,
die für den Fall des Scheiterns der Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht begründet,
von zwei auf drei Jahre erhöht.“ (Internet 1) Diese neue Regelung soll Scheinehen
vorbeugen, wird aber im Zuge der Zwangsheiratsdebatte als sehr kritisch angesehen,
da nun junge Frauen noch länger in der unliebsamen und eventuell gewaltsamen Ehe
verharren müssten, ehe sie allein in Deutschland bestehen könnten. „Wer einen
anderen Menschen zu einer Heirat zwingt, muss künftig mit einer Freiheitsstrafe von
bis zu fünf Jahren rechnen.“ (Internet 9)
Zum aktuellen Stand meint Rechtsanwältin Hayriye Yerlikaya: „Das Gesetzesvorhaben
ist zwar verabschiedet, es muss jedoch noch im Bundesgesetzblatt verkündet werden
und dann die Zustimmung des Bundespräsidenten erhalten. Erst danach kann es in
Kraft treten. Wann das allerdings sein wird, kann ich leider nicht voraussehen. Der
Bundespräsident könnte jetzt nur noch einwenden, dass das Gesetz nicht
verfassungsgemäß ist. Wenn er diese Ansicht gehabt hätte, hätte man dies
wahrscheinlich in den Medien mitbekommen. Da dies nicht der Fall ist, gehe ich davon
aus, dass das Gesetz verabschiedet wird.“ (HY)
Filiz Sütcü ist der Meinung, dass ein Straftatbestand zwar eine Signalwirkung hätte,
aber keine Hilfe für die Frauen darstellt (vgl. Internet 8).
18
Page 21
Psychischer Kontext
Da bei den Betroffenen eine extreme Loyalität und Liebe gegenüber der Familie und
auf der anderen Seite große Angst vor Sanktionen vorherrscht, ist Beratung besser als
eine bloße Anzeige (vgl. Graue Literatur 3).
Fachstellen sind sich einig, dass eine Änderung der Gesetzeslage zu kurz greift, denn
damit können nicht alle damit zusammenhängenden familiären Verstrickungen
aufgegriffen werden (vgl. Graue Literatur 6). Innerfamiliäre Loyalitätskonflikte
behindern die jungen Menschen vor Gericht auszusagen und deswegen sollte der
Schwerpunkt auf Beratung und Vermittlung gesetzt werden (vgl. Graue Literatur 9).
Dr. Nivedita Prasad, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Ban Ying, einer Beratungs- und
Koordinierungsstelle gegen Menschenhandel und Dozentin für Rassismus, Migration,
Diskriminierung und Menschenrechte warnt davor, dass das Thema Zwangsheirat von
der Politik instrumentalisiert wird, um deren Ziele umzusetzen. Durch
Gesetzesänderungen wird die Migration bestimmter Migrantengruppen erschwert.
Besonders betroffen sind Analphabetinnen, arme Menschen oder Menschen aus
strukturarmen Gegenden (vgl. Internet 17).
Frau Gabriela Heinemann sagt, dass ein Mädchen mit 12 natürlich Opfer ist und die
Eltern Täter. Aber sie haben ja keine bösen Hintergedanken und so kommt man nicht
weiter (vgl. GH).
Aber Rechtsanwältin Regina Kalthegener z.B. sagt, dass junge Frauen ein konkretes
Gesetz brauchen, was sie den Eltern sagen und zeigen können. Dann können sie
sagen, dass das verboten ist und sich die Eltern strafbar machen, wenn sie sie
verheiraten (vgl. Internet 18).
1.6 Psychischer Kontext
Emotional und sozial sind die Mädchen sehr angespannt. Ihre Gedanken kreisen
immer ambivalent um einerseits Bindung an die Familie und andererseits ihre
Selbstbestimmung. Wenn sie sich dazwischen entscheiden müssen, stellt das eine
hochproblematische Wahl dar. Wenn dann auch noch Bedrohung von der eigenen
Familie ausgeht, erleichtert sich nicht, wie wir in unserem deutschen Verständnis
vielleicht denken würden, die Wahl, sondern kommt als weiterer belastender aber nicht
erleichternder Faktor dazu (vgl. Graue Literatur 5).
Dieses ambivalente Denken spiegelt sich auch in ihrem Verhalten wieder. Sie suchen
Hilfe bei einer Einrichtung, laufen von zu hause weg, kehren zurück, zeigen bei der
Polizei an, ziehen die Anzeige zurück, suchen wieder Hilfe usw..
19
Page 22
Psychischer Kontext
Starke Schuldgefühle begleiten dabei immer die Mädchen und die helfende Einrichtung
sollte Verständnis haben für diese auf den ersten Blick Unschlüssigkeit, die aber in
Anbetracht der vielfältig belastenden Lebenssituation eine andere Bedeutung annimmt
(vgl. Graue Literatur 3).
Judith Gerling-Tamer von der Beratungsstelle Elisi evi sagt, dass das Hauptproblem
darin liegt, dass sich die Mädchen nicht geliebt fühlen und wenn sie nicht unglücklich
sein wollen, aus der Familie raus müssen (vgl. G-T).
Für Gabriele Heinemann vom MaDonna Mädchentreff liegt das Hauptproblem für die
Betroffenen in der fehlenden Vertrauensperson (vgl. GH).
Der Konflikt beginnt da, wo die Eltern die Weigerung der Tochter nicht akzeptieren.
Wenn das Mädchen allein ist ohne Unterstützung, hat sie keine Chance gegen die
elterliche Meinung (vgl. Bielefeldt, 2007, S. 47). Zur Konfliktdynamik folgende
Abbildung:
(Abbildung 4)
20
Page 23
Zusammenfassung
1.7 Zusammenfassung
Zwangsheirat betrifft nicht alle Menschen mit türkischem Migrationshintergrund.
Oftmals tritt sie auf, wo Gewalt in der Familie schon zur Tagesordnung gehört, dass
Bildungsniveau, die ökonomische Lage gering sind (vgl. Toprak, 2007, S. 174).
Zwangsverheiratung ist eine Praxis, die hier in Deutschland stattfindet. Das neue
Gesetz zum Straftatbestand symbolisiert die Meinung Deutschlands zum Thema
Zwangsheirat, hilft den Betroffenen aber in der konkreten Situation nicht weiter. Die
Eltern treten als Initiatoren der Zwangsverheiratung auf, deswegen stellt eine
drohende Zwangsverheiratung für die Betroffenen, die sich diesem Zwang nicht
hingeben wollen, eine enorme Belastung dar. Für deren Bewältigung benötigen sie
Unterstützung.
21
Page 24
Die türkische Migrantenfamilie
2 Die türkische Migrantenfamilie
»Wenn du glaubst, dass du da so einfach hingehen, Spaß haben, flirten kannst, dann
hast du keine Ahnung von uns. Du weißt nichts. Es geht nicht darum, was du willst, du
musst eben Acht geben auf die Ehre deiner Familie, ist doch klar, sonst wäre das ja
total peinlich für alle, wenn du so ein Theater machen würdest.« (angelehnt an
Yasemin Güner Balcis Roman Arabqueen)
So oder so ähnlich würde wahrscheinlich ein traditionell erzogenes türkisches
Mädchen reagieren, wenn ihre deutsche Freundin sie in eine Disco mitnehmen wöllte.
Wenn man mit den Eltern von Zwangsheirat bedrohten Mädchen arbeiten möchte,
worauf ich im nächsten Kapitel eingehen werde, braucht man ein gewisses
Hintergrundwissen bezüglich gewachsener Familienstrukturen in türkischen
Migrantenfamilien. Auf den nächsten Seiten möchte ich auf diese Strukturen und
Zusammenhänge näher eingehen. Die Religion spielt dabei auch eine Rolle. In der
Präambel der Menschenrechte im Islam aus dem Jahr 1981 steht: „Die authentische
islamische Gesellschaft ist eine Gemeinschaft, die die Familie als ihre Keimzelle
betrachtet und sie mit ihrem Schutz umgibt, sie adelt und in jeder Hinsicht für ihre
Beständigkeit und Weiterentwicklung Sorge trägt.“ (Breuer, 1998, S. 7) Im Koran steht:
„Wer nicht gütig ist gegen unsere Jüngsten und unseren Älteren keine Ehrerbietung
erweist, der gehört nicht zu uns.“ (Breuer, 1998, S. 62) Daran erkennt man, dass die
Familie eine enorme Bedeutung hat und oftmals aufgrund der Wertevorstellungen
patriarchalisch aufgebaut ist. Darüber hinaus ist natürlich zu beachten, dass es im
Islam verschiedene Richtungen gibt und auch jeder für sich eine andere Art und Weise
hat, zu glauben.
„Muslime, die nach Westeuropa ausgewandert sind, haben ihre Überzeugungen
mitgenommen.“ (Ali, 2005, s. 102) Väter holen nicht muslimisch aussehende Töchter
z.B. von der Schule ab, was nicht als ein Zeichen der Einschränkung der
Bewegungsfreiheit gewertet wird, sondern weil sie dem Ideal der
Geschlechtertrennung gerecht werden wollen. Es werden überall sexuelle
Beziehungen vermutet, sei es in öffentlichen Verkehrsmitteln oder am Arbeitsplatz.
Einwände gegen höhere Schulbildung gibt es generell nicht. Da aber die meisten
weiterführenden Schulen gemischte Schulen sind, wird dies nicht so gern gesehen
(vgl. Breuer, 1998, S. 142f).
22
Page 25
Die türkische Migrantenfamilie
Ahmet Toprak, deutscher Professor für Erziehungswissenschaften an der
Fachhochschule Dortmund mit türkischer Herkunft, ist der Überzeugung, dass die
Familie in einem fremden Land noch mehr an Bedeutung zunimmt, da ein
vertrauensvolles soziales Umfeld nicht vorhanden ist (vgl. Internet 7). Durch den
Verlust der Großfamilie und der islamischen Gesellschaft, muss die Kontrolle in
Deutschland noch extremer gelebt werden. Dem entgegen steht die Individualisierung
der westlichen Welt, sagt Islamwissenschaftlerin Rita Breuer (vgl. Breuer, 1998, S. 146
und 107).
Die schwierigsten Konflikte islamischen Familienlebens treten im Bereich der
Erziehung und Bildung auf, da meist Sinn und Ziel von Erziehung unterschiedlich von
den Generationen gesehen werden. In Deutschland zählen Unabhängigkeit,
Selbständigkeit, Verantwortung und eigenständige Persönlichkeit und in der türkisch-
traditionellen Sichtweise Leistungsbereitschaft, Gehorsam, Einhaltung von Vorschriften
und Übernahme traditioneller Werte der Eltern. Darin liegt eine Selbstverständlichkeit.
Distanzierung davon ist ungehörig bis skandalös (vgl. Breuer, 1998, S. 143 und 109).
„Dem muslimischen Zuwanderer erscheint der Westen als verkehrte Welt. Anders als in
der islamischen Welt legt man im Westen gerade auf Selbständigkeit und
Eigenverantwortung des Individuums und auf die Notwendigkeit, in das irdische Leben
zu investieren, großen Wert. Ausbildung und Beruf sind hier maßgeblich für Erfolg und
nicht die Frömmigkeit des Individuums. In westlichen Gesellschaften gibt es nicht die
einzige Ideologie, sondern es existieren mehrere Ideologien nebeneinander. Hier hält
man das Grundgesetz für wichtiger als Gottes Heilige Schriften, und Gott ist nur im
Privatleben relevant. Die Beziehungen und der Umgang der Menschen miteinander
sind durch Gesetze und Regeln festgelegt, die von Menschen erdacht wurden und
nicht auf ewig gelten, sondern durch neue Regeln ersetzt oder ergänzt werden können.
Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, auch Menschen, die anders leben als die
Mehrheit. (…) Liebe beschränkt sich darüber hinaus nicht allein auf die Ehe, sondern
kann von Menschen in gegenseitigem Einvernehmen erlebt werden.“ (Ali, 2005, S. 35f)
Wenn die Kinder permanent dieses andere deutsche Wertesystem erfahren, wird es
ihnen leichter gemacht, die Autorität ihrer Eltern in Frage zu stellen (vgl. Breuer, 1998,
S. 142f).
2.1 Familienstrukturen
Dr. Ilhami Atabay, Dipl.-Psychologe, Pädagoge M.A., Psychologischer Psycho- und
Verhaltenstherapeut und Supervisor hat über Familienstrukturen und Familientypen in
türkeistämmigen Migrantenfamilien geschrieben.
23
Page 26
Familienstrukturen
Dazu hat er türkische Migrantenfamilien der zweiten Generation auf Festhalten an der
Tradition bzw. Einleben in der Moderne untersucht. Er konnte drei verschiedene
Familientypen feststellen, die religiös-traditionell orientierte Familie,die Familie
zwischen Moderne und Tradition und die moderne Familie.
Natürlich gibt es auch fließende Übergänge, aber dennoch kann man in diesen drei
Gruppen deutliche Unterschiede in den Bindungs- und Beziehungsmustern finden (vgl.
Internet 6). Auf die moderne Familie werde ich nur kurz eingehen, um den Unterschied
zu den zwei anderen Arten zu verdeutlichen. Als Zielgruppe meiner Arbeit können
diese jedoch nicht gesehen werden.
Diese Zergliederung der Familienstrukturen hängt auch mit den Entwicklungen in der
Türkei zusammen. Diese brachten „...neue ethische und ästhetische Werte für
Selbstverständnis, körperliche Repräsentation und Geschlechterbeziehungen...“
(Internet 6) mit sich. Bildung für Frauen und deren Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit
führten zum neuen Verständnis von Gleichberechtigung und gesellschaftlichem
Umgang zwischen den Geschlechtern (vgl. Internet 6).
2.1.1 Religiös-traditionell orientierte Familie
In dieser Familienform hat die Ehe eine enorme Bedeutung. „In der türkischen
Gesellschaft ist z.B. ein Zusammenleben von Paaren ohne Heirat fast nicht denkbar,
die Ehe wird als etwas Selbstverständliches angesehen. (…) In der traditionellen
türkischen Erziehungsvorstellung wird die Zeit zwischen Kindheit und Ehe als
Übergangsphase zum Erwachsensein angenommen. Die Jugendzeit wird also nicht als
eine eigenständige Phase gesehen.“ (Internet 6) Die Ehe wird meist durch die Eltern
oder Verwandten arrangiert, da der Akt eher einen gesellschaftlichen als individuellen
Charakter hat und sich die Familien verstehen müssen. Die Zeit zwischen
Kennenlernen und Heirat ist kurz und das Brautpaar wird in die Planung nicht
sonderlich einbezogen (vgl. Internet 6). „Es wird dabei sehr viel Wert darauf gelegt,
dass das Mädchen aus einem guten Hause (temiz aile kizi) stammt.“ (Internet 6)
Die Frau ist Trägerin der Familienehre. Da in dieser Familie das patriarchalische
Rollenmuster und die Aufgabenverteilung gelebt werden, nimmt der Mann die
Versorgerrolle ein und hat somit auch das Sagen, repräsentiert die Familie nach außen
(vgl. Internet 7). „Die Frau dagegen wird als eine schutzbedürftige, verführerische
Gestalt gesehen.“ (Internet 6) Die Aufgaben der Frau liegen im Kinder gebären und
erziehen, Haushalt organisieren und im Befriedigen der Sexualität ihres Mannes.
Page 27
FamilienstrukturenNach außen wird das Bild einer heilen Familie gewahrt, sodass nicht schlecht von der
Familie geredet wird. Konflikte werden intern gelöst (vgl. Internet 7).
Frauen haben kein Entscheidungs- und Mitspracherecht, aber fordern sich dies auch
selbst nicht ein (vgl. Internet 6).
Wenn so eine Familie immigriert, verschieben sich die Rollenmuster meist, da der
Vater nicht mehr nur allein arbeiten gehen kann, um die Familie zu versorgen. Seine
Frau muss meist aus Geldnöten ebenso eine Arbeit aufnehmen. Durch ihren
Arbeitsplatz außerhalb der familiären Wohnung, wird ihre Bewegungsfreiheit und somit
ihr Horizont erweitert. Damit können die Männer vielfach nicht umgehen und manche
werden alkoholabhängig oder gewalttätig, um ihrem Unmut über ihre eigene Situation
Luft zu machen. Sie sehen sich in ihrem Selbstbild gekränkt, wenn sie ihre Familie
nicht mehr allein versorgen können. Die Autorität der Eltern wird von den Kindern öfter
angezweifelt als im Herkunftsland, weil andere Lebensweisen kennen gelernt werden
und die Kinder besser deutsch sprechen als ihre Eltern und sich auch dadurch besser
integrieren können. Die Eltern haben dann Angst, dass ihre Kinder ihnen entgleiten
(vgl. Internet 7).
„In den traditionell ausgerichteten muslimischen Gemeinschaften sind es oft die Mütter,
die ihre Töchter unter ihrer Fuchtel halten, und die Schwiegermütter, die ihren
Schwiegertöchtern das Leben unerträglich machen. Cousinen und Tanten tratschen
endlos übereinander und über andere und tragen mit dieser sozialen Kontrolle zum
Erhalt ihrer eigenen Unterdrückung bei.“ (Ali, 2005, S. 141)
2.1.2 Familie zwischen Moderne und Tradition
Diese Familien sind immer zwischen traditionellen und modernen Wertvorstellungen
hin- und her gerissen. Ihren Glauben praktizieren sie nicht außerordentlich, aber
Normen wie Ehre, Würde, Ansehen und Jungfräulichkeit spielen dennoch eine wichtige
Rolle im Leben, denn diese Werte sind stark verankert (vgl. Internet 7). Dieser
Balanceakt ist oftmals sehr schwierig.
„Was klar ist also, also das Mädchen muss als Jungfrau eigentlich in die Ehe gehen
oder so tun als ob sie Jungfrau ist.“ Ich: „Also das is´ auch in solchen Familien, wo sich
gegenseitig respektiert wird trotzdem? G-T: „Ja die Jungfräulichkeit, das is´ noch ganz
ganz stark, ganz stark.“ Ich: „Auch in so modernen ausländischen Familien? G-T: „Ja“
(Audio 9, Minute 6.43 - 7.07)
In diesen Familien ist es unüblich einen Ehepartner aus dem Herkunftsland
auszusuchen und nach Deutschland zu holen. Die Mitglieder leben seit Jahren in
Deutschland, sind hier geboren und aufgewachsen.
Page 28
FamilienstrukturenDie Heirat beruht auf Liebe und der selbstbestimmten Wahl. In diesen Ehen sind beide
Partner erwerbstätig.
Es ist auffällig, dass sich diese Familien modern zeigen, die Männer jedoch trotzdem
traditionell leben (vgl. Internet 6). Die Frau bewältigt Haushalt und Erziehung, aber
eben auch ihre Arbeit, wodurch sich ihr Selbstbild verschieben kann. Durch ihren Job
ist sie ein Stück weit unabhängig und kann Bestätigung in diesem Bereich ihres
Lebens einholen (vgl. Internet 7). Davon abhängig wie stark sich ihr
Selbstbewusstsein entwickelt, kann sie dann auch gegenüber ihrem Mann alte Werte
neu definieren und sie ihrer Familie anpassen.
Andererseits ist die Aufgabenverteilung in diesen Familien immer noch klassisch,
sodass Frauen überlastet sein können. Deswegen möchten die Frauen diese
klassische Rollenverteilung gern aufbrechen. Das gelingt aber nicht so einfach, da das
familiäre Umfeld meist die traditionelle Sichtweise weiterhin verfechtet und diese Werte
den Frauen so verinnerlicht wurden. Das führt zu Generationenkonflikten, auch weil
vieles in Frage gestellt wird (vgl. Internet 6).
Wenn es einen Konflikt gibt, erfolgt eine Auseinandersetzung (vgl. Internet 6). Das Bild
des Mannes als einziger Ernährer in der Familie entspricht nicht der Realität, da die
Frauen mehr Bildungs- und Berufsoptionen haben. Dadurch kann der Mann auch nicht
mehr allein alle Entscheidungen treffen, auch wenn er in Gesprächen den Sprecher
übernimmt, treffen doch häufig auch die Frauen die Entschlüsse. Meist reagieren Väter
erst in Konfliktsituationen, wenn sie von ihrer Frau dazu aufgefordert werden (vgl.
Internet 7).
Es fällt den Müttern nicht sehr leicht, zu wissen, welche Rolle sie nun ihren Töchtern
vermitteln sollen. Sie sind allerdings der Meinung, dass Unabhängigkeit einen hohen
Stellenwert hat, da sie oft aus Erfahrung wissen, welche Belastung durch eine zu hohe
Abhängigkeit vom Mann entstehen kann. Auf der anderen Seite wissen sie aber auch
um den oft beschwerlichen Weg, den eine Ausländerin in Deutschland bei der
Arbeitssuche zurücklegen muss (vgl. Internet 7).
2.1.3 Moderne Familie
Der dritte Familientyp ist die moderne Familie, die dem westlichen Verständnis von
Partnerschaft, Ehe und Familie gleich kommt. Der Unterschied ist jedoch, dass auch
da eine Beziehung halb geheim geführt wird. Diese Form nimmt weiter zu, ist jedoch
noch sehr unterrepräsentiert. Trotz aller modernen Lebensweise befinden sich
diejenigen trotzdem in einem Spannungsfeld, da sie eigene Erwartungen und die des
Milieus, in dem sie sich ja dennoch befinden, berücksichtigen.
Page 29
Erziehungsziele
Vor allem in Bezug auf die Kindererziehung unterscheiden sie sich von den anderen
Familientypen, da sie sich z.B. in pädagogischen und psychologischen Ratgeber
weiterbilden (vgl. Internet 6).
Gerade deswegen und der offenen Auseinandersetzung mit Problemen, werde ich
nicht näher auf diesen Familientyp eingehen, weil die Möglichkeit einer
Zwangsverheiratung in diesen Familien wohl keine Rolle spielt und auch die folgenden
Erziehungsziele und- methoden auf diese Familien nicht zutreffen.
2.2 Erziehungsziele
Die Erziehungsziele werden vor allem in religiös- traditionell orientierten und zum Teil in
Familien zwischen Tradition und Moderne verfolgt.
Zu den Erziehungszielen gehören Respekt vor Autoritäten. Das zeigt sich z.B. daran,
dass die Kinder ihre Eltern, ältere Geschwister, Onkel, Tanten nie beim Vornamen
nennen dürfen, sondern anne (Mutter), baba (Vater), abla (große Schwester), abi
(großer Bruder), teyze (Tante), amca (Onkel) und das gilt sogar außerhalb der
Verwandtschaft. Die Kinder sollen in Gegenwart der Eltern schweigen, nicht
widersprechen, nicht rauchen, trinken. Das gehört zur Auffassung von Höflichkeit und
Gehorsam. In Deutschland gewinnt dies nach Meinung von Ahmet Toprak noch mehr
an Bedeutung, weil die deutsche Peer- group als unhöflich wahrgenommen wird. Ein
weiteres Erziehungsziel ist die Zusammengehörigkeit (birlik ve beraberlik), welches nur
in Deutschland als Ziel gilt, da hier die innerfamiliäre Bindung durch Migration
gefährdet wird und gefestigt werden soll. Leistungsstreben ist wichtig, da nur so der
Aufstieg in der deutschen Gesellschaft gelingt (vgl. Toprak, 2004, S. 25ff). Die türkische
Identität, die in Deutschland nicht von der Schule übermittelt wird, wird zur
Familienaufgabe. Dasselbe gilt für die religiöse Identität. Sunnitische Muslime bilden in
der Türkei sowie in Deutschland die Mehrheit. Aber es gibt z.B. auch die Aleviten, die
den Koran anders interpretieren. Der Mensch ist dort nicht Sklave Gottes sondern
selbstverantwortlich. Die Religion ist in allen Erziehungsstilen in unterschiedlichem
Maße präsent (vgl. Toprak, 2004 S. 28f).
Der 2. Generation ist eher der Zusammenhalt der Familie in der Fremde und die
persönlichen Erfolge der Kinder wichtig (vgl. Toprak, 2004, S. 32).
Die Familie hat den Zweck religiöse, kulturelle und traditionelle Werte zu vermitteln.
Gegenüber außerschulischen Institutionen bildet die Familie die traditionelle
Komponente in der Erziehung. Der Erhalt der islamischen Identität und Lebensweise
steht im Vordergrund (vgl. Breuer, 1998, S. 62).
Page 30
ErziehungszieleZu den Erziehungszielen gehört auch die Verinnerlichung der Wichtigkeit der Ehre in
allen seinen Auffassungen. Denn Ehre gehört zu den wichtigsten Werten.
Zur Ehre im türkischen Sinne gehört zum einen die (sexuelle) Ehre (Namus).
Dabei geht es vor allem um die Unbescholtenheit und Anständigkeit einer Person bzw.
Familie. Dies beinhaltet die voreheliche Jungfräulichkeit und zurückhaltendes Verhalten
von Frauen im öffentlichen Leben. Dieser Wert gilt absolut. Er kann nicht erworben,
sondern nur bewahrt oder verloren werden z.B. durch äußerlichen Angriff oder sexuell
freizügiges Verhalten vor allem weiblicher Familienangehöriger.
Er ist Sache der gesamten Familie, wobei der Mann den Verantwortlichen und die Frau
das Objekt des Namus darstellt. Wie wichtig der Wert ist, hängt vom Ausmaß des
sozialen Umfeldes und somit der sozialen Kontrolle, der traditionellen und religiösen
Wertorientierungen, der Schichtzugehörigkeit und dem Bildungsstand ab.
Ein zweiter Ehrbegriff ist Seref. Dies bezeichnet das Ansehen einer Person in der
Gesellschaft. Seref kann erworben werden durch absolute Integrität des Mannes in
Bezug auf Namus, Achtung des Mannes in der Familie, Höflichkeit, aufrichtige
Lebensweise und die Fähigkeit zur Verteidigung gegen Angriffe von außen und
Überwindung von Schwierigkeiten. Wenn die Frau die Ehre verletzt, geht das Ansehen
verloren.
Die dritte Form ist Saygi, was Respekt meint. Der ist wichtig für die Beziehung
zwischen Familienmitgliedern und Personen unterschiedlichen Alters und Sozialstatus.
Wer respektvoll ist, widerspricht nicht offen gegenüber dem Vater und Älteren.
Außerdem müssen Jüngere in Anwesenheit Älterer auf Genussmittel, Ehepartner in
Anwesenheit anderer auf Körperkontakt und Menschen unterschiedlichen Ranges auf
direkten Blickkontakt verzichten.
Sevgi ist der vierte zentrale Wert und bedeutet Zuneigung. Sevgi hängt mit Saygi
zusammen, denn nur wer Respekt zollt, bekommt Zuneigung und nur wer Zuneigung
gibt, erhält Respekt. Andernfalls droht der Verlust (vgl. Internet 4).
Daran erkennt man, dass die Erziehungsziele von Migranten eher auf Regelung des
Mann- Frau- Verhältnisses, der Darstellung nach außen und der Rangordnung in der
Familie ausgerichtet sind, als auf grundsätzliche Werte (vgl. Internet 7).
Ahmet Toprak beschreibt, dass eine gute Schulausbildung gerade Migrantenkindern in
Deutschland sehr wichtig ist, da sie fürchten, im Arbeitsleben sonst benachteiligt zu
sein. Auch wenn durch traditionelle Rollenbilder eher die Söhne dazu angehalten
werden und bei den Töchtern es als nachrangig angesehen wird, sind die Eltern
bestrebt, ihren Söhnen und Töchtern dies zu ermöglichen (vgl. Internet 7).
Die Söhne werden von der Familie in ihrer Rollenfindung, die Kraft und
Page 31
ErziehungszieleSelbstbewusstsein beinhaltet, immer befürwortet, während die Töchter bei
Verweigerung von Hilfsdiensten im Haushalt oder ähnlichem zurecht gewiesen werden.
Wenn sich die Töchter nicht ihrem Rollenbild entsprechend verhalten, wird dies auf ein
Unvermögen der Mutter zurückgeführt (vgl. Internet 7).
Die Erziehung von Jungen gestaltet sich einfacher, da die Familie diese weniger streng
überwachen muss, da deren Verhalten weder die Familienehre noch die
Heiratschancen beeinflusst (vgl. Breuer, 1998, S. 54). Die Jungen haben meist kein
Problem nach den traditionellen Vorstellungen zu leben, weil sie dadurch wenig
eingeengt werden und eher Konflikten aus dem Weg gehen können (vgl. Internet 6).
Andererseits schätzen Eltern an ihren Töchtern deren Fügsamkeit und Unterstützung
der Mutter bei der Arbeit (vgl. Breuer, 1998, S. 55).
Daran erkennt man, welche starken erwartungsvollen Verstrickungen diesen Familien
zugrunde liegen und wie den Töchtern jegliche Selbstentwicklung genommen wird und
sie ständig kritisiert werden, wenn sie sich nicht den Erwartungen entsprechend
benehmen, wogegen die Jungen, an die nicht so sehr viele Erwartungen gestellt
werden, sich der familiären Unterstützung sicher sein können. Sie werden bejaht und
die Mädchen gemaßregelt.
Da alles verboten sein könnte, findet vielfach auch kein Austausch mit den Eltern über
Erlebtes der Töchter statt. Und auch wenn ein Austausch stattfindet, empfinden die
Mütter die Welt außerhalb der Wohnung als gefährlich und können deswegen auch
selten Verständnis dafür entwickeln. Dadurch findet natürlich auch wiederum das
Mädchen keinen Anreiz darin, von ihrem Alltag zu berichten (vgl. Internet 7).
Mädchen lernen früh, dass sie unzuverlässige Geschöpfe sind, die eine Gefahr für die
Familie darstellen. Achmed, Vater einer Siebenjährigen, meinte, dass seine so junge
Tochter bereits ein Kopftuch trage, um sich daran zu gewöhnen. Er findet die
Verschleierung wichtig und berichtet von einem Lkw- Fahrer, der, weil er einer Frau auf
die nackten Beine guckte, einen Unfall herbeiführte. Die Mädchen müssen sich
unsichtbar machen. Sie wachsen mit dem Selbstbild auf, dass sie immer etwas falsch
machen. Ihre äußere und innere Freiheit ist begrenzt. Sie können nicht tun, was sie
wollen und innerlich werden sie ebenso beeinflusst, was das nachfolgende Beispiel
zeigt: „…Meine Tante hat einmal einen Brocken Schafsfett in die Sonne gelegt. Er
lockte ganze Ameisenkolonnen und Fliegenschwärme an. Meine Tante sagte: »Die
Männer sind wie diese Ameisen und Fliegen: Wenn sie eine Frau sehen, können sie
ihre Begierden nicht mehr beherrschen«“ (Ali, 2005, S. 107)
Page 32
Erziehungsmethoden
„Wenn meine Oma gefragt wurde, wie viele Kinder sie habe, sagte sie: »Eins« Dabei
hatte sie neun Töchter und einen Sohn. Das sagte sie auch über unsere Familie – daß
wir nur ein Kind hätten. »Und wir ?« fragten meine Schwester und ich. »Ihr werdet für
uns Söhne bekommen«, erwiderte sie.“ (Ali, 2005, S. 23) Daran ist zu erkennen,
welche Auffassung von den Geschlechtern teilweise den Kindern beigebracht wird.
„Genauso leidenschaftlich, wie ein Mann über seine Ehre wacht, ist er davon
besessen, Schande oder Scham zu vermeiden.
Auch hier spielen Verleugnung und Lüge eine wichtige Rolle. In einer Schamkultur ist
es durchaus üblich, ein tatsächliches Ereignis zu ignorieren oder schlicht zu leugnen.
Dieses Verhalten wird von einem stark entwickelten Mißtrauen begleitet, nicht nur
gegenüber Außenstehenden, sondern auch gegenüber Mitgliedern der eigenen Familie
und Sippe. In der eigenen Gruppe herrscht ein hohes Maß an sozialer Kontrolle, wobei
sich Mißtrauen vor allem in endlosem Klatsch über (vermeintliche) Verletzungen der
Regeln, welche die Ehre der Gruppe aufrechterhalten sollen, äußert.“ (Ali, 2005, S. 59)
Die Kinder lernen somit, dass es sich für den Erhalt der so wichtigen Ehre zu lügen
lohnt. Überhaupt müssen sie sich an so viele Dinge halten, die sie vielleicht gern
umgehen würden, weil sie z.B. für deutsche Mädchen und Jungen machbar sind und
werden so zu einem lügenden Menschen erzogen, um sich die ein oder andere Freiheit
zu ermöglichen.
2.3 Erziehungsmethoden
Menschliches Verhalten muss immer im Gesellschaftskontext gesehen werden, weil
auch die Gesellschaft vorgibt, was erlaubt, gewünscht und verboten ist. Somit herrscht
auch überall ein anderes Verständnis von Gewalt. Oft ist den Eltern deswegen nicht
bewusst, dass das Gewalt ist, was sie machen. Vor allem die psychische Gewalt wie
Drohen und Beschimpfen, aber auch die Ohrfeige zählen dazu.
Oft ist es auch so, dass Schläge angedroht werden, aber keine Konsequenz erfolgt.
Und das ist mit vielem so, sodass die Kinder die Drohungen nicht mehr ernst nehmen
(vgl. Toprak, 2004, S. 40f).
Die Mutter unterweist die Töchter und der Vater die Söhne. Der Unterschied ist, dass
die Töchter ebenso auf ihren Vater hören müssen, wogegen die Söhne nicht auf
Mutter. Der Junge bekommt zwar einen Tadel, wenn er einer Bitte der Mutter nicht
nachkommt, aber dennoch kann er sich ihr ohne weitere Folgen widersetzen. So
werden die Jungen zur Missachtung der Frauen erzogen (vgl. Toprak, 2004, S. 42f).
Page 33
ErziehungsmethodenDie Beziehung zwischen Mutter und pubertierender Tochter ist von wenig Zärtlichkeit
geprägt, da die Tochter früh Verantwortung übernehmen muss und die Mutter zur
Erfüllung dieser Aufgaben als Strafinstanz auftritt. Die Mutter droht mit dem Vater,
schlägt aber selbst. Der Vater hat zu seinen Töchtern meist eine freundliche
Beziehung, da sie nicht viel miteinander zu tun haben, außer kleine Dienstleistungen.
Die Eltern finden Namus- Werte positiv, sehen aber ein, dass sie Stress in der Familie
erzeugen, da Abweichungen immer bestraft werden müssen (vgl. Toprak, 2004, S. 43f).
Die Eltern haben die Zukunft der Kinder im Blick; welche Methoden sie dazu
verwenden, können sie selbst wählen.
Züchtigung in der Familie ist ein intimer Vorgang. Staatliche Einmischung ist unbekannt
(vgl. Breuer, 1998, S. 62f).
Erziehungsmethoden sind, nach der Meinung von Wildwasser e.V., Ohrfeigen,
Anschreien, Beleidigen und Prügel- oder Abschiebdrohungen. Alles betrifft die Ehre. Es
fallen Begriffe wie Nutte oder schwul. Vielen Eltern ist nicht klar, dass es sich bei ihren
Methoden um Gewalt handelt. Eine Konfliktaustragung in Form von Reden existiert
nicht, da die Eltern als Respektspersonen ohnehin das Sagen haben bzw. aufgrund
von sprachlichen Barrieren nicht auf Augenhöhe mit ihren Kindern sprechen können.
Vielmals wird geschlagen, weil die Eltern aufgrund von ungenügender Bildung oder
Sprache ihren Kindern nicht verbal ihr Fehlverhalten aufzeigen oder eine Begründung
geben können. Sie können sich nicht anders helfen, was keine Entschuldigung, aber
eine Verdeutlichung der Lage darstellen soll (vgl. Internet 7).
Ahmet Toprak führt aus, dass durch die Wichtigkeit der weiblichen Jungfräulichkeit
Mädchen öfter bestraft werden, wenn sie sich etwas zu Schulden kommen lassen, was
mit dem anderen Geschlecht zusammenhängt. Zu Schulden kommen, kann z.B.
Zuspätkommen oder Treffen mit Jungen bedeuten. Diese Vergehen führen manchmal
zum Ausschluss aus der Schule, zu Hausarrest oder im schlimmsten Fall zu
Zwangsverheiratung (vgl. Internet 7).
Die Mutter mimt die Vermittlerin zwischen Vater und Kindern, wenn es um
Anweisungen von Seiten des Vaters oder Wünsche der Kinder geht. Ahmet Toprak
meint, dass wenn Mütter Gewalt anwenden, das meist ein Zeichen der Überforderung
ist. Sie sind erwerbstätig und für Haushalt und Kinder voll und ganz allein zuständig.
Der Vater tritt nur als Strafinstanz auf und befasst sich nicht mit Erziehungsfragen (vgl.
Internet 7).
Die Wichtigkeit des Jungfernhäutchens zeigt sich darin, dass wenn es einmal zerstört
ist, die Frau keinen Ehemann mehr findet und für immer bei ihren Eltern leben muss.
Page 34
Zusammenfassung
Da sie Sex außerhalb der Ehe hatte, hat sie ihre Familie bis „in den zehnten Grad der
Blutsverwandtschaft entehrt“. Es folgen Klatsch und Tratsch, dass diese Familie
bekannt ist für „ihre sittenlosen Frauen“. Die Familie muss das Mädchen bestrafen.
Das kann unterschiedlich erfolgen, wahlweise mit einer „Gardinenpredigt“,
Familienausschluss, Einsperren oder einer Zwangsehe, entweder mit dem Mann, der
für die Entjungferung verantwortlich ist oder einem unbekannten Mann, der bereit ist
Scham der Familie zu vertuschen. So ein Mann ist oftmals „arm, alt, schwachsinnig
oder impotent“. Als schlimmste Folge auf eine solche Beschmutzung der Familienehre
kann das Mädchen ermordet werden (vgl. Ali, 2005, S. 105). Und dem Täter des
Ehrenmordes wird nicht nur nachgesagt, dass er die Ehre seiner Familie gerettet hat,
sondern sein Ansehen in der Gemeinschaft steigt (vgl. Ali, 2005, S. 147).
Ein Beispiel der weitgreifenden Verinnerlichung der Sexualmoral ist auch, dass in
muslimischen Seifenopern eine Beziehung, in denen sich ein Mann aus Liebe für ein
Mädchen entscheidet, böse endet und eine, in der die Familie entschieden hat, gut
endet (vgl. Ali, 2005, S. 121f).
Es gibt auch die Erziehungsmethode des Anschweigens. Das resultiert aus
Hilflosigkeit. Die Kinder werden dadurch verunsichert und suchen den Dialog (vgl.
Toprak, 2004, S. 42).
2.4 Zusammenfassung
So ein Erziehungsverhalten führt zur Abhängigkeit des Kindes. Ein Selbstkonzept
sowie die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, Selbständigkeit und Mündigkeit kann so nicht
ermöglicht werden. Die Kinder, immer von außen gesteuert, werden unselbständig,
unfähig eigenverantwortlich und ohne schlechtes Gewissen zu handeln (vgl. Schatz,
2004, S.7). Die Mutter verwöhnt den Sohn und vernachlässigt emotional die Tochter
(vgl. Toprak, 2004, S. 45).
Der kulturelle Hintergrund von muslimisch geprägten Familien hat drei Merkmale: „Als
allererstes eine hierarchisch- autoritäre Einstellung. Als zweites eine patriarchalische
Familienstruktur, in welcher die Frau eine reproduktive Funktion hat und dem Mann
zum Gehorsam verpflichtet ist. Tut sie es nicht, macht sie der Familie Schande. Ein
drittes Element ist das gruppengebundene Denken, in dem die Gruppe immer wichtiger
ist als das Individuum; ...“ (Ali, 2005, S. 67) Eine Ehe wird so immer zwischen zwei
Familien geschlossen und nicht zwischen zwei Menschen (vgl. Internet 6).
Vor allem religiös-traditionell orientierte Familien und Familien zwischen Moderne und
Tradition, wird man in der Arbeit im Zusammenhang mit Zwangsverheiratung
begegnen.
Page 35
Zusammenfassung
Für die Zusammenarbeit wird es wichtig sein, deren Erziehungsvorstellungen und
traditionsgebundene Zusammenhänge zu kennen und zu verstehen. Es besteht immer
eine Schwierigkeit bei der Einordnung dieser Informationen, denn es kann zu
Schubladendenken führen. Irgendeine Einordnung oder Benennung muss man
manchmal einfach vornehmen um sich zu vergegenwärtigen, was einen erwartet. Das
ist auch okay, denke ich. Es ist nur umso wichtiger, trotzdem offen zu bleiben und
individuelle Besonderheiten wahrzunehmen und diese eventuell als Ressource zu
nutzen und nicht starr eine Richtung in Augenschein zu nehmen, „...damit unzulässige
Ethnisierungen und Verallgemeinerungen sowie Vorurteilsbildung vermieden werden.“
(Internet 7)
Page 36
Elternarbeit
3 Elternarbeit
Die Mädchen sind von tiefer Angst betroffen, wenn sie daran denken, ihre Familie, die
ja bis dahin auch für viele die einzigen sozialen Beziehungen dargestellt haben, zu
verlassen. Dann gehen sie lieber eine Zwangsheirat ein. Um die Mädchen mit ihrer
Angst nicht allein zu lassen, zum Beispiel mit dem krassen Schritt der Flucht in die
Anonymität, ist es notwendig, alles zu versuchen, dass das Mädchen in der Familie
bleiben kann bzw. als erstes einmal die Heiratspläne in die Zukunft zu rücken (vgl.
Beclin, 2010, S. 146). „Solche «sanften», beispielsweise aus Mediation aufbauenden
Maßnahmen sind in der Regel besser geeignet, die Interessen der Betroffenen zu
wahren, als radikale Formen der «Exit-Strategie».“(Beclin, 2010, S. 146) Mit Exit ist
das Verlassen der Konfliktsituation gemeint, was wahrscheinlich, außer in akuter
familiärer Gefahrenlage, d.h. Bedrohung, nur eine Vermeidungsstrategie wäre und die
Mädchen irgendwann von ihren unbearbeiteten Trennungsgefühlen eingeholt werden
und dann psychische Schäden davon tragen (vgl. Beclin, 2010, S. 146). In
Zusammenhang mit Elternarbeit in konfliktreichen Situationen, fällt immer häufiger der
Begriff der Mediation. Die Rechtsanwältin Hayriye Yerlikaya beschreibt das so „...dann
geht es in der Mediation im Wesentlichen darum, dass beide Konfliktparteien sich
selbst vergegenwärtigen, welche Interessen sie eigentlich haben.“ (HY)
In meinem Verständnis meint Elternarbeit, wie die Professionellen mit den Eltern der
von Zwangsverheiratung betroffenen Mädchen und jungen Frauen umgehen können.
Strobl und Lobermaier sind der Meinung, dass Zwangsverheiratung da vorkommt, wo
die arrangierte Ehe Praxis ist und die Eltern also eine bestimmte Auffassung von Ehe
haben. Dieses Interesse der Eltern ist aber nicht immer problematisch und es könnte
mithilfe einer Verständigung über die familiäre Situation und individuellen Interessen
ein Konsens erreicht werden (vgl. Strobl, Lobermaier, 2007, S. 27).
„Doch auch wenn schnelle Hilfe angebracht sein kann, so ist es doch in aller Regel
sinnvoll, mit Bedacht und professioneller Unterstützung die Problemlage des
Mädchens zu begreifen und ihr unter Einbeziehung ihres Umfeldes
Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.“ (Graue Literatur 10)
Ich habe insgesamt fünf persönliche Interviews geführt, von denen ich drei Interviews
akustisch aufgenommen habe. Beim Elisi Evi e.V. Interkulturelle Beratungs- und
Bildungsangebote für Mädchen und Frauen in Berlin Kreuzberg, bei der Tara
Frauenberatung für Frauen in Konflikt- und Gewaltsituationen- Interkulturelle
Beratungsstelle in Berlin Schöneberg und beim MaDonna Mädchentreff in Berlin
Neukölln.
Page 37
Warum Elternarbeit?
Bei den Frauenprojekten Bora in Berlin Weißensee habe ich Notizen gemacht,
genauso wie bei KOBRAnet in Zittau.
Des Weiteren habe ich zwei Telefongespräche mit einer Rechtsanwältin und einer
TERRE DES FEMMES Mitarbeiterin aufgezeichnet.
Bei Tara und Bora habe ich einen Einblick in deren Beratungstätigkeit bekommen. Da
sie jedoch nicht auf Minderjährige spezialisiert sind, haben sie keine Erfahrung mit
Elternarbeit und deswegen habe ich sie nicht zitiert.
Die Rechtsanwältin und die TERRE DES FEMMES Mitarbeiterin haben ebenso keine
direkte Erfahrung mit Elternarbeit. Alle anderen schon.
3.1 Warum Elternarbeit?
„Außer einem älteren Bruder hatte ich noch eine zwei Jahre jüngere Schwester, die ich
sehr bewunderte. Sie war aufsässig. Machte, was sie wollte. Es war ihr egal, daß sie
deswegen geschlagen wurde. Ich war ängstlicher und braver, paßte mich an. Sie nie.
In der Pubertät wollte sie Miniröcke tragen. Das galt schlichtweg als unanständig.
Meine Mutter zerriß diese Röcke, doch jedesmal kaufte sich meine Schwester wieder
einen neuen. In der zweiten Klasse der Oberschule schmiß sie alles hin. Alle waren
verärgert, aber das war ihr egal. Auf eigene Initiative absolvierte sie daraufhin eine
Ausbildung zur Sekretärin, die sie mit Glanz und Gloria bestand. Anschließend fand sie
eine Anstellung bei den Vereinten Nationen. Meine Mutter verbot ihr zu arbeiten, aber
meine Schwester tat es trotzdem, ungeachtet der verbalen und physischen
Mißhandlungen. Sie war eine starke Frau. Sie nötigte ihrer Umgebung Bewunderung
und Respekt ab, überall, nur nicht zu Hause. Als auch ihr eine Zwangsheirat drohte,
folgte sie mir in die Niederlande. Sie kam im Januar 1994 hier an; bereits anderthalb
Jahre später war ihr Niederländisch so gut, daß sie die Universität besuchen konnte.
Zu dieser Zeit setzten die Weinkrämpfe ein; sie verhielt sich immer sonderbarer. Die
Nähe anderer Personen war für sie schwer zu ertragen, aber sie konnte auch nicht
allein sein. Stundenlang schaute sie fern, egal was gerade lief. Tagelang stand sie
nicht auf, aß nichts. Irgendwann sagte sie, daß sie so unglücklich sei, weil sie ihren
Glauben vernachlässigt habe. Sie trug wieder ein Kopftuch, versuchte zu beten. Ab
und zu gelang es ihr, dann wieder nicht, wodurch sich ihr Schuldgefühl noch
verstärkte, da man für jedes ausgelassene Gebet bestraft wird. Außerdem wiederholte
sie ständig: »Ich leide sehr, aber niemand versteht mich.« Und sie schämte sich ihres
früheren Verhaltens unserer Mutter gegenüber. Die ständigen Streitereien taten ihr nun
fürchterlich leid.“ (Ali, 2005, S. 21f)
Page 38
Warum Elternarbeit?
Diese biographische Textstelle aus Ayaan Hirsi Alis Buch interpretiere ich so, dass der
Bruch mit den Eltern für Alis Schwester zu viel war und sie nicht damit umgehen
konnte. Deswegen ist sie krank geworden.
Das belegt auch eine Diplomarbeit von Regina Seeser an der Uni Tübingen über die
Strukturen bei ROSA. Es stellte sich heraus, dass es für die psychische Gesundheit
unabdingbar ist, die Eltern mit ein zu beziehen. Die Untersuchungen hatten ergeben,
dass 5 von 7 Frauen psychisch oder psychosomatisch erkranken, wenn sie bei ROSA
sind. Das liegt daran, dass bis dahin nur eine Trennung, anstatt einer Ablösung vom
Elternhaus von ROSA begleitet wurde und keine psychische Weiterbetreuung sowie
Elternarbeit stattfand. Seit 2000 ist nun Elternarbeit mit im Konzept.
In der Leistungsbeschreibung von ROSA wird erläutert, wie wichtig eine
Kontaktaufnahme mit der Herkunftsfamilie sein kann, jedoch immer geschützt, sodass
sich junge Frauen nicht in Gefahr bringen. Es heißt wie folgt:
„Entscheiden sich die jungen Frauen ihr Elternhaus zu verlassen, wird dieser Schritt
aus entwicklungspsychologischer Sicht als Trennung (im Ggs. zur Ablösung)
bezeichnet. Die Trennung beinhaltet den völligen Beziehungsabbruch zu der Familie
und kann eine gelungene Persönlichkeitsentwicklung verhindern. Verschärfend kommt
der ethnische bzw. migrationsspezifische Hintergrund dazu, der die Mädchen und
jungen Frauen damit konfrontiert, die Familie entehrt und Schande über sie gebracht
zu haben. Dadurch wird die psychische Belastung der Frauen erhöht. Aus diesem
Grund sind die Elternarbeit ohne Eltern und die Elternarbeit mit Eltern in der
Einzelförderung von zentraler Bedeutung.“
„Eltern kann man nicht löschen, Eltern werden immer ihre Eltern bleiben, auch wenn
sie erstmal auf Distanz gegangen sind und erstmal wenn sie Jahre keinen Kontakt
aufnehmen. Meistens kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo sie sich irgendwann wieder
sehen.“ (HÖ) Deswegen finden sie auch Elternarbeit ganz wichtig? „also ich find´s
ganz arg wichtig.......“ (HÖ)
„Uns ist es wichtig, eine Kommunikationsbasis zwischen den betroffenen Mädchen und
ihren Familien herzustellen, da ein Abwenden von der Familie für die Mädchen
schwerwiegende Folgen hätte (Isolation, aber unter Umständen auch Verstoßung und
Verfolgung durch die Familie).“ (Internet 16)
„Die Betroffenen haben große Probleme bei der Realisierung ihrer Bedürfnisse, sie
sind deutlich weniger durchsetzungsfähig und darüber hinaus besonders stark von
Beziehungsabbrüchen und sozialer Isolation betroffen.“ (Graue Literatur 7)
Neben dem psychischen Aspekt gibt es noch andere Gründe, warum Elternarbeit
wichtig ist.
Page 39
Warum Elternarbeit?Nahezu alle Berichte sagen aus, dass die Betroffenen trotz starker Probleme in der
Familie, den Kontakt aufrecht erhalten wollen und eine Verständigung suchen, denn
nach ein paar Wochen ist die Sehnsucht der Mädchen nach ihren Familien so groß,
dass die Angst vor Bedrohung in den Hintergrund rückt und sie sich auch heimlich mit
der Familie treffen würden.
Das ist schlecht, da sie dann nicht aufgefangen werden könnten, weil die Einrichtung
es nicht weiß (vgl. Graue Literatur 6). Das findet auch Halide Özedmir von ROSA
problematisch.
Auch im Mädchenhaus Bielefeld, wird der Schwerpunkt in der innerfamiliären Lösung
gesetzt, was an 62,5% Beratung und nur 15,2 % Unterbringung und 5,9%
Krisenintervention zu sehen ist.
Ein weiterer Grund ist, dass zur Unterstützung von Jugendlichen sowieso vom
staatlichen Auftrag her, die Eltern als Kooperationspartner gebraucht werde (vgl.
Internet 7).
In Bezug auf die Täter ist es ebenso wichtig. Um der Gewaltbereitschaft gegen Frauen
entgegen zu wirken und Männer in deutschen Werten zu sozialisieren, ist Elternarbeit
enorm wichtig (vgl. Toprak, 2007, S. 174ff). „Der Schlüssel zur Gewaltprävention liegt in
der Elternarbeit!“ (Schatz, 2004, S. 9) Des Weiteren sagen Betroffene z.B. folgendes:
„Ich möchte, dass mein Vater vor Gott ein guter Mensch wird und uns versteht. Und für
mich möchte ich, dass ich glücklich werde (…).“ (Graue Literatur 2) oder: Freiheit ist:
„...seinen eigenen Weg gehen zu können, ohne dafür ermordet zu werden. Viele
unserer Eltern vergessen, dass wir Menschen mit Wünschen & Hoffnungen sind.“
Leyla, 21 (Postkarte Madonna) woraus sichtbar wird, wie sehr sie sich das Verständnis
der Eltern wünschen.
In einem Modellprojekt zur Interkulturellen Onlineberatung bei Zwangsverheiratung und
familiärer Gewalt wurden Schülerinnen und Schüler mit einem Fallbeispiel konfrontiert,
in dem Anju Ben heiraten soll, aber dies nicht möchte. Abbildung 5 zeigt, dass die
Mehrheit der Lernenden es als positiv werten würde, wenn jemand aus der Familie mit
dem Vater spricht.
In Abbildung 6 ist zu erkennen, dass sie beim Hinzuziehen einer Beratungsstelle, also
staatlichen Institution eher vorsichtiger sind, aber dennoch gut finden.
Page 40
Warum Elternarbeit?
(Abbildung 5)
(Abbildung 6)
Auf die Rechtsanwältin Hayriye Yerlikaya wurde ich durch die Broschüre „Gewalt im
Namen der Ehre- Zwangsheirat und Ehrenmord des Hessischen Kultusministeriums
aufmerksam. Dort wird ein Forschungsprojekt namens „Konfliktregulierung in
türkischstämmigen Familien- Konfliktlösungen bei kulturell bedingten Konflikten und
Gewaltfällen“ vorgestellt. In einem Telefongespräch mit Frau Yerlikaya stellte sich
heraus, dass das Projekt noch nicht verwirklicht ist und eher Mediationen in Schulen zu
Themen wie Schwimmunterricht beinhaltet. Dennoch hat Frau Yerlikaya ein großes
Interesse am Thema Zwangsheirat, da sie selbst dazu gerade ihre Dissertation
verfasst.
Page 41
Voraussetzungen für den Beratungsprozess
Nach den Untersuchungen für diese, ist sie der Meinung, dass Elternarbeit der
sinnvollste Ansatzpunkt ist, gegen Zwangsheirat vorzugehen.Sie hat in ihrer Studie 20
Frauen und Mädchen interviewt, wovon 18 zwangsverheiratet waren und zwei davon
bedroht. Sie berichteten, dass ausnahmslos alle Eltern ihre Entscheidung bereut und
sich entschuldigt haben, als sie sahen wie unglücklich die Ehe für die Töchter war. Sie
haben ihr auch keine Schuld zugewiesen. Deswegen wird früheres Einschreiten helfen.
Hayriye Yerlikaya meint, Elternarbeit ist ein guter Ansatz, da der Bruch mit der Familie
eine eigenständige psychische Belastung darstellt. Nicht mit den Familien brechen zu
müssen, wäre das meiste, was man tun kann (vgl. HY).
3.2 Voraussetzungen für den Beratungsprozess
„Eine kultur- und migrationssensible Elternarbeit ist weniger eine Frage der Methode
als eine Frage der Haltung.“ (Altan; Foitzik; Goltz, 2009, S. 20).
Die beste Lösung ist natürlich die, mit der Eltern sowie Kinder leben können. Das ist
dann kein Kompromiss oder eine Konfliktvermeidung, sondern eine pädagogische
Entscheidung, die es ernsthaft zu vermitteln gilt. Im Umgang mit umstrittenen Themen,
wie z.B. Zwangsheirat, muss man Elternbedenken berücksichtigen, aber ohne dem
eigenen pädagogischem Ansatz zu schaden (vgl. Altan; Foitzik; Goltz, 2009, S. 129).
Eltern sind Experten ihrer Situation. Sie kennen ihre Kinder am besten, wollen das
Beste. Dennoch müssen sie Möglichkeiten und Grenzen kennen und sich daran
orientieren (vgl. Altan; Foitzik; Goltz, 2009, S. 23). Als Organisation darf man nicht die
Meinung haben, dass die eigenen Konzepte normal sind. Man muss sie transparent
darstellen mit einem festen Standpunkt, sagen, welche Standards nicht verhandelbar
sind und was im Dialog zu entwickeln ist (vgl. Altan; Foitzik; Goltz, 2009, S. 32). Ter-
Nedden vertritt ebenfalls die Meinung, sich auf die Menschenrechte und den
Kinderschutz zu beziehen (vgl. Ter- Nedden, 2007, S. 357).
Anne Thiemann vom Institut für Menschenrechte signalisiert, das Fachleute eine klare
Haltung und professionelles Wissen haben müssen, um adäquat beraten zu können
(vgl. Graue Literatur 3).
Lysann Häußler von TERRE DES FEMMES in Tübingen sieht es nicht als zwingend
notwendig, dass die Person, die mit den Eltern spricht, auch einen
Migrationshintergrund hat. Natürlich ist es sinnvoll, weil es denkbar ist, dass das
Verständnis dann größer ist, auf beiden Seiten. Aber viel wichtiger ist eine klare
Haltung zu der Sache (vgl. LH).
Die Professionelle oder der Professionelle muss klar sagen: So geht es nicht.
Page 42
Voraussetzungen für den BeratungsprozessDie Mädchen müssen aber auch in der Kommunikation sagen können, was nicht in
Ordnung ist, auch wenn es die Eltern gut meinen. Sie müssen sagen, was ihr Recht ist
und dass sie nichts dafür können, wenn dieses oder jenes passiert ist. Sie müssen
sagen, was ihre Werte sind und dass sie einen selbstbestimmten Weg gehen möchten.
Das werden neue Welten für die Eltern sein. Die Rollen werden sich verändern. Das
erzeugt auch Ängste in den Familien (vgl. HÖ). Wenn etwas unsicher ist, erzeugt es
immer Angst. Vor den Geschwistern des Mädchens, das geflüchtet ist, müssen die
Eltern ja z.B. auch wissen, wie sie auftreten und sich positionieren dazu. Ihre Rolle
könnte dann ja auch von den Geschwistern angezweifelt werden und es könnten sich
alle abwenden vom Elternhaus und die Familie würde in Schande geraten. Ohne die
Eltern in Schutz zu nehmen, aber auch für sie würde es einen erheblichen Wandel mit
sich bringen und die Akzeptanz dessen braucht eben viel Zeit und jede Familie reagiert
auch anders auf Veränderungen, je nachdem inwieweit ein traditionell geprägtes
Rollenbild den Alltag bisher stark beeinflusst hat (vgl. HÖ).
Auch Anerkennung sollte man zeigen können, dafür ohne Auto die Einkäufe durch die
halbe Stadt in die kleine Wohnung zu schleppen, nicht lesen können und sich
zurechtfinden. Es ist hilfreich für die Eltern, Veränderungen für die Familie
herauszustellen. Also was sich bei einer Nicht- Heirat für alle gut auswirken würde.
Zusammenhänge erfahrbar machen. (vgl. Altan; Foitzik; Goltz, 2009, S. 155).
Simone Eggler von TERRE DES FEMMES Schweiz sagt: „Wichtig ist, dass die
Fachleute ihre eigene Position finden. Manche haben Zweifel und kulturrelativistische
Einwände.“ (Internet 5).
Ein interkulturell besetztes Team ist empfehlenswert. Für die Rechtsanwältin Hayriye
Yerlikaya stellen Hintergrundwissen, Akzeptanz der Beratungsperson, wofür sich
Bikulturalität und Angehörigkeit zur gemeinsamen Kultur eignen, zu den
Voraussetzungen. Damit kann man automatisch ein Vertrauensverhältnis aufbauen. In
diesem Zusammenhang ist sich verstanden zu fühlen enorm wichtig (vgl. HY).
Wissen über psychodynamische und familiendynamische Prozesse, die mit
Zwangsverheiratung verbunden sind, sind unerlässlich. Es geht nicht darum in dieser
Arbeit ein Patentrezept zu liefern, sondern lediglich Erfahrungen aus der Praxis, sowie
Ergebnisse der Literaturrecherche darzustellen. Es geht auch darum, überhaupt erst
einmal zu erkennen, wie wichtig es ist, kulturelle Werte und damit verbundene
Handlungsweisen zu kennen (vgl. Internet 7). Des Weiteren ist wesentlich,
„...Offenheit, Neugier, Respekt vor dem Anderen und Bewusstheit über die
eigene kulturelle Identität und ihre Relativität.“ (Internet 7) zu zeigen.
Page 43
Hinweise aus der Literatur
Diesen Aspekt finde ich sehr interessant und wichtig, sich auch immer mal wieder vor
Augen zu halten, dass das, was man selbst kennt, nicht das Normale ist.
Gerade bei der Arbeit mit Migranten kommt man meist nicht mit den erworbenen
pädagogischen Kenntnissen aus, da man soziokulturelle Gesichtspunkte zusätzlich
beachten sollte. Fähigkeiten wie Empathie, Rollendistanz und kommunikative
Kompetenzen gewinnen daher eine größere Rolle (vgl. Internet 7).
Nach Halide Özdemir sind Voraussetzungen: „Vertrauensperson, Betroffene in
Entscheidungen miteinbeziehen, Ambivalenzen aushalten (Schuldgefühle,
Loyalitätskonflikt, Verantwortungsbewusstsein), Ängste aushalten (Verlust der Familie,
Bedrohungen seitens Familie), „nein“ sagen, Ressourcen innerhalb der Familie/
Autoritätspersonen, Gefahrenanalyse/ Schutzplan erarbeiten.“ (HÖ)
Wichtige gesetzliche Grundlagen sind §8a SBG VIII (Kinderschutz) Inobhutnahme und
für volljährige junge Frauen §41 SGBVIII (Persönlichkeitsentwicklung, Grad der
Autonomie, schulische und berufliche Ausbildung, Bewältigung der Anforderungen des
täglichen Lebens).
Weitere Voraussetzungen sind: Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit, Kooperation
mit Behörden/ Institutionen, schnelle Perspektive entwickeln, Schweigepflicht,
Auseinandersetzung im Hinblick auf eigene Vorurteile, eigene Ängste und Grenzen,
individuelle Sichtweise auf familiäres System (Es gibt nicht die „türkische Familie“!),
Mädchen sind Expertinnen ihrer Familie, Reduzierung auf Migrationshintergrund
vermeiden, Ernst nehmen der jungen Frau, Gespräch mit Eltern/ Familie nur führen,
wenn Mädchen dazu ihr „Jawort“ gibt (vgl. HÖ).
Auch im Einzelfall die Meinung zu revidieren ist eine wichtige Fähigkeit (vgl. Ter-
Nedden, 2007, S. 357).
3.3 Hinweise aus der Literatur
Auch hier möchte ich noch einmal betonen, dass nie eine ideale Lösung gegeben
werden kann. Die folgenden Empfehlungen beziehen sich auf die verschiedensten
Einrichtungen und Menschen aus Praxis, Wissenschaft und Politik und verdeutlichen
deren Meinung. Diese kann in der Arbeit als Anreiz oder Orientierung gesehen werden.
Wenn bei Papatya ein Mädchen aufgenommen wird, wird sofort Kontakt zum
Jugendamt aufgenommen. Dieses informiert die Eltern und beruhigt diese. Die Adresse
ist auch den Jugendamtsmitarbeitern unbekannt. Nachts oder am Wochenende
informiert Papatya selbst. Im Jugendamt werden getrennte Gespräche mit dem
Mädchen und ihren Eltern statt. Die Mädchen werden auch da begleitet. In den meisten
Fällen kann ein gemeinsames Gespräch von Eltern und Mädchen stattfinden.
Page 44
Hinweise aus der LiteraturNach Möglichkeit werden diese Gespräche von einer türkischen und einer deutschen
Mitarbeiterin begleitet (vgl. Internet 19). Corinna Ter- Nedden stellt heraus, dass die
Beratungstätigkeit herausfordernd ist, da man auf die Kultur nicht übertrieben
Rücksicht nehmen, aber auch nichts aus seinem deutschen Verständnis heraus
skandalisieren sollte. Wenn das Mädchen flüchtet, sind die Eltern zur Aufgabe ihrer
Pläne bereit, weil sie wollen, dass das Mädchen wieder nach Hause kommt (vgl. Ter-
Nedden, 2007, S. 355 - 358).
Orient Express, eine Beratungs-, Bildungs- und Kulturinitiative für Frauen in Wien,
führt nie gemeinsame Gespräche mit den Eltern und der Tochter durch. Das dient der
Gefahrenprävention (vgl. Internet 15). Aber dennoch sehen sie die Elternarbeit als
wichtig an, auch um weitere Kinder aus der Familie vor Zwangsheirat zu schützen. Da
Orient Express keine Familienberatungsstelle ist, können sie nur mit weiblichen
Familienmitgliedern arbeiten. Deshalb werden die Mütter oft zu einem Gespräch
eingeladen, während ihre Tochter in der Einrichtung wohnt (vgl. Internet 16).
„Migration zeugt von einem hohen Maß an Veränderungsbereitschaft, Neugier und
Mut. An diesen Stärken kann die Beratung ansetzen.“ (Internet 11)
Die Familie sollte nicht sofort einbezogen werden. Sie können auch als Abwesende in
der Arbeit thematisiert werden (vgl. Fanaj, 2009, S. 53f.). Dazu dient das Beispiel der
Elternarbeit ohne Eltern von ROSA:
Im Konzept von ROSA wird auf die Elternarbeit ohne Eltern eingegangen. Damit ist die
Bearbeitung von Trennungs- und Verlustängsten und damit verbundenen
Schuldgefühlen gemeint. Es geht um das Erlernen des Umgangs mit den
Schuldzuweisungen der Eltern, des Umgangs mit Erpressungen und Bedrohungen
durch Angehörige. Heimweh wird thematisiert und bearbeitet. Die Entwicklung eines
positiven Selbstbildes und Selbstvertrauens wird angeregt und unterstützt. Die
Familiensituation wird aufgearbeitet. Die Beziehungsneugestaltung (Umbewertung der
Rollen) innerhalb der Familie wird unterstützt. Die Auseinandersetzung mit der eigenen
Lebensbiographie, biographischen Brüche (z.B. Geburt in der Türkei, Umzug nach
Deutschland), Verluste an Elternteilen/ Bezugspersonen ist Bestandteil der Arbeit. Das
Aufwachsen in zwei oder mehr Werte- und Normensystemen als Ressource zu
begreifen und von den unterschiedlichen Werten und Normen die Elemente zu
internalisieren, die sie für sich als handlungsfähige Frau als bedeutend erachtet ist eine
wichtige Aufgabe. Kritisches Bewusstsein im Hinblick auf die unterschiedlichen Werte-
und Normensysteme zu entwickeln (Fähigkeit der Rollendistanz) wird geschult (vgl.
Konzept ROSA über HÖ).
In nahezu aller Literatur wird vom Hinzuziehen oder alleinigem Einsatz von
Page 45
Hinweise aus der LiteraturSchlüsselpersonen aus der Familie, Community, Nachbarschaft,
Religionsgemeinschaften, Migrantenorganisationen, Sprachmittlern gesprochen. Das
erleichtert den Kontaktaufbau (vgl. Altan; Foitzik; Goltz, 2009, S. 78f). Diese Personen
können Ehre neu definieren und die Angst vor dem Ehrverlust durch Gespräche lindern
(vgl. Strobl; Lobermaier, 2007; S. 48) Dabei sollte man als Professioneller der
Mittlerperson immer auf Augenhöhe begegnen (vgl. Altan; Foitzik; Goltz, 2009, S. 29).
„Uns ist extrem wichtig, dass sich jedes Familienmitglied sprachlich und kulturell
angemessen verstanden fühlt. Daher ist eine professionelle Übersetzung, die auf
psychosoziale Beratung eingestimmt ist, empfehlenswert. Wir haben die Erfahrung
gemacht, dass außer Sprachkompetenz auch die Symbolverständigung, die Empathie
und emotionale Anteilnahme eine große Rolle spielt.“ (Internet 7)
Ziel ist es auch Communitymitglieder zu schulen, die dann durch ihren direkten Kontakt
als Vermittler agieren können (vgl. Beclin, 2010, S. 146f).
Vorsicht muss jedoch gegeben sein, wenn vermittelnde Verwandte selbst Betroffene
von Zwangsheirat sind und somit nicht neutral sein können (vgl. Ter- Nedden, 2007, S.
359).
Ayaan Hirsi Ali kritisiert den Einbezug von Organisationen der Zielgruppen, da diese
vielmals zwar die Sozialarbeiter unterstützen, aber das Problem dann meist nur
kaschiert wird, z.B. dass Eltern bedrohter junger Frauen die Jungfräulichkeit versichert
wird, obwohl das Jungfernhäutchen chirurgisch wiederhergestellt wurde (vgl. Ali, 2005,
S. 148). Ich denke, hier muss man sehr darauf achten, ob das Mädchen es 1. selbst
möchte, dass das Jungfernhäuchen rekonstruiert wird und 2. ob akute Mordgefahr für
das Mädchen bestünde, wenn ihre Nicht- Jungfräulichkeit entdeckt würde. Ali vertritt
auch eine radikale Einstellung, die eher in Richtung Wertewandel und Umdenken
plädiert, was aber meiner Meinung nach, nicht so einfach geschehen kann. Judith
Gerling- Tamer von Elisi evi e.V. hat schon einmal zu einer Jungfernhäutchen
Rekonstruktion begleitet, auch wenn sie das ebenso fraglich sieht, kann sie nichts
dagegen tun, wenn das Mädchen das möchte. Sie sagt: Das man so etwas überlegen
muss, kann man nicht durch fünf Monate Beratung verändern (vgl. G- T).
Lysann Häußler berät am Telefon von TERRE DES FEMMES und hat selbst noch
keine Elterngespräche in diesem Zusammenhang durchgeführt, hat aber Schulungen
im Jugendamt gegeben, z.B. dass Offenheit besteht, wenn z.B. der volljährige ältere
Bruder beim Gesprächstermin erscheint und dann nicht die Eltern verlangt werden.
Man muss situationsspezifisch vorgehen. Ein Angebot an die Eltern ist, dass die
Tochter jetzt noch nicht heiratet.
Man muss den Eltern vermitteln, welche Konsequenzen eine Flucht hätte, z.B. dass
dadurch nicht die engere Bindung des Kindes, sondern genau das Gegenteil erreicht
Page 46
Hinweise aus der Literaturwird. Es kann vorkommen, dass die Gefahr, die durch die Eltern ausgeht, unterschätzt
wird. Außerdem kann es sein, dass die Betroffene beim Gespräch mit ihren Eltern ihr
Problem nicht wiederholt artikuliert (vgl. Graue Literatur 3). Lysann Häußler meint, dass
Elternarbeit erwünscht ist, aber fragt sich zugleich wie die Eltern zu erreichen sind?
Wenn sich ein Opfer meldet am Telefon, kann man da auch Rollenspiele durchgehen,
wie mit den Eltern gesprochen werden könnte (vgl. LH). Als Ansatz wird immer davon
ausgegangen, dass die Person selbst Managerin ihres Lebens ist. Aber man muss erst
einmal herausfinden, was dem Mädchen gut tut, denn die Frage: Was willst du? bringt
oft mehr Verwirrung als Klarheit mit sich. Dazu später mehr (vgl. LH).
Die Studie „Viele Welten leben“ des Bundesministeriums für Familie, Soziales und
Jugend aus dem Jahr 2004 untersuchte, wie Mädchen das Einverständnis ihrer Eltern
zur Heirat mit einem Deutschen einschätzen würden. 73% der Türkinnen glaubten an
eine negative Einstellung der Eltern. Laut der Arbeitnehmeruntersuchung des
Bundesministeriums für Arbeit von 2002 hatten aber nur 42% der Väter und 43% der
Mütter etwas gegen die Heirat mit einem Deutschen. Die Kinder nahmen also die
Elterneinstellungen anders wahr. Als Erklärung führt Schrödter an, dass die Eltern die
Heiratschancen ihrer Kinder mit einem Deutschen schlechter einschätzen, aber nicht
generell abgeneigt wären, was die Kinder aber so auffassen (vgl. Schrödter, 2006, S.
55).
Förderlich für den Beratungsprozess zeichnet sich ein Vorbild aus der eigenen Ethnie
aus. Es ist in allem Fall wichtig, die Hintergründe und möglichen Denkweisen, sowie
Bedenken der Eltern kulturspezifisch, ohne zu pauschalisieren, zu kennen (vgl. Toprak,
2007, S. 177 und vgl. HY).
Oftmals ist den Eltern nicht bewusst, dass es unrecht ist, die bevorstehende Heirat in
diesem Sinne herbeizuführen, da die Ehe, wie wir wissen, keine individuelle
Entscheidung der Kinder ist (vgl. Toprak, 2007, S. 180f).
Man muss die Situation abklären, ob wirklich eine Gefahr für das Mädchen besteht,
denn seit der Institutionalisierung der Bildung und Erziehung im 19. Jahrhundert gibt es
die Ansicht, Kinder vor dem Einfluss ihrer Familien zu schützen oder zu retten. Die
Erziehungsinstanzen denken, das Kind zu entreißen aus Proletariat oder Bürgertum
und auf den rechten Weg zu bringen. Mit den Migrantinnen wurde ein neues Objekt für
diese Rettungsfantasien geschaffen. Daraus schließe ich, dass auch diese Autorin eine
bloße Flucht als Rettungsaktion nicht für sinnvoll befindet (vgl. Diehm, Radtke, 1999, S.
81).
In der konkreten Arbeit mit Eltern und Männern sollte man ressourcenorientiert
arbeiten, da es aufgrund des Männlichkeitsbildes, wie wir jetzt wissen, leicht dazu
kommen könnte, dass sich ein Vater, wir würden sagen, gekränkt oder eben in diesem
Page 47
Hinweise aus der LiteraturZusammenhang in seiner Ehre angegriffen fühlt (vgl. Toprak, 2007, S. 176).
Wichtig im Gespräch mit den Eltern ist, dass diese Konfliktlösungsstrategien
kennenlernen (vgl. Toprak, 2007, S. 174ff und GH).
Ayaan Hirsi Ali beschreibt die Auswirkungen für das Sozialwesen folgendermaßen:
„Eine wichtige Frage war immer: „Was möchten Sie selbst?“ Sehr viele Frauen konnten
einfach keine Antwort auf diese Frage geben. Mucksmäuschenstill saßen sie da und
zuckten mit den Schultern. „Was mein Mann sagt“, brachten sie dann schüchtern
hervor, oder „Wie Allah es will“, aber es waren auch Frauen darunter, die zur
Sozialarbeiterin sagten: „Wie es ihnen recht ist.“ Sie hatten nie gelernt, selbst etwas zu
wollen. „Was möchten Sie für ihre Kinder?“ „Welche Entscheidung möchten Sie für sie
treffen?“ Aber auch das hatten diese Muslimas nicht gelernt, also wußten sie es nicht.
Die Sozialarbeiter verstanden das nicht und waren verwirrt und frustriert. Ihnen blieb
nichts anderes übrig, als sie zu anderen Einrichtungen zu überweisen; doch wie oft
kann man jemanden woanders hinschicken?“ (Ali, 2005, S. 136f)
Manuela Westphal hat in ihren Arbeiten herausgefunden, dass Arbeitsmigranten aus
der Türkei den patriarchal- autoritären Erziehungsstil zunehmend ablehnen und ihren
Töchtern mehr Selbstkontrolle und Autonomie zukommen lassen möchten. Sie legen
mehr Wert auf Selbstverteidigung, statt Schutz und Kontrolle durch Vater und Bruder.
Sie ist der Meinung, dass müsse man in der Elternarbeit berücksichtigen (vgl. Graue
Literatur 4).
Das Ziel von Beratung ist, dass das Mädchen sich aus der schädigenden Situation
befreit. Die dazu nötigen Schritte sind Ermutigung des Mädchens, Formulierung des
Widerspruchs den Eltern, Besprechen von Handlungsmöglichkeiten. Dabei ist es umso
besser, je eher man eine Lösung findet, die die Eltern mittragen können. Eine
Vermittlung ist aber nicht immer möglich. Frauen haben auch selbst
Versöhnungsversuche vor der Inanspruchnahme professioneller Hilfe initiiert, die
jedoch gescheitert sind. Dann fürchten die Mädchen Sanktionen, wenn sie Widerstand
leisten. Sie haben Angst ins Herkunftsland gehen zu müssen, Angst vor Ehrenmord. So
stellt eine vertrauensvolle Rückkehr in die Familie auch immer ein Risiko dar. Denn oft
haben Vereinbarungen auf längere Sicht keinen Bestand. Qualifizierte Beratung ist die
Grenzen dieser Möglichkeiten mit Elternarbeit zu erkennen. Wenn das Mädchen schon
von der Familie Druck erfährt, sollte man mit überschwänglichen Klärungsgesprächen
keinen weiteren Druck auf das Mädchen laden.
In vielen Fällen muss man einsehen, dass Klärung der Rechtslage und praktische
Unterstützung z.B. beim Unterkommen in einer Schutzmöglichkeit erst einmal reichen
müssen (vgl. Graue Literatur 2).
Fragen, die sich das Mädchen stellen sollte, sind: Will ich wirklich weglaufen? Warum?
Page 48
Hinweise aus der LiteraturGibt es keine anderen Möglichkeiten? Wäre ein Vermittlungsversuch sinnvoll? Gibt es
triftige Gründe zum Verlassen des Hauses? Was für schwerwiegende Konsequenzen
hätte der Auszug? Auch wenn meine Familie alles für meine Rückkehr macht, lasse ich
mich nicht umstimmen, wenn ich weiß, dass Gewalt droht. Auch wenn ich ausgestoßen
werde oder emotional und moralisch erpresst werde, oder wenn mir Vorwürfe gemacht
werden, dass Mama schon ganz krank ist, stehe ich zu meinen Wünschen. Es ist
wichtig, dass eine Liste mit Risiken zu Hause angefertigt wird (Schutzplan). Ich muss
mir meiner Schwächen bewusst werden? Gesundheit? Temperament? Jähzorn?
Selbstbeherrschung? Wenn ich weg bin, kann ich nicht mehr zurück. Will ich das
wirklich? Ein selbständiges Leben, aber allein?
Ich brauche viel Vertrauen in mich, denn Unsicherheit, Angst, Zweifel und Bedauern
werden mich früher oder später befallen, wenn ich meine vertraute Umgebung nicht
mehr habe und meine Familie nie mehr wiedersehe (vgl. Ali, 2005, S. 168ff).
Es wird eine große Herausforderung sein, allein zu sein. Die Mädchen fühlen sich
einsam und vermissen ihre Familie und wollen mit ihnen reden, ihre Wärme,
Gemütlichkeit, Selbstverständlichkeit spüren. Die Folgen des Kontaktes mit der Familie
müssen aufgezeigt werden und dass nach einer Flucht erst nach vielen Jahren eine
Kontaktaufnahme wieder möglich ist (vgl. Ali, 2005, S. 177).
Ayaan Hirsi Ali schreibt, dass sich die Eltern natürlich Sorgen machen, wenn ihre
Tochter weg ist. Sie müssen erfahren, dass ihre Tochter das wollte, dass sie ihre Eltern
liebt, aber ihr Leben anders organisieren will. Das geht am besten in einem Brief.
Anrufen ist auch okay, aber am besten von einer Telefonzelle, um die Nummer geheim
zu halten. Das Gespräch sollte kurz und sachlich gehalten werden. Das geht am
besten, wenn andere Menschen noch mit sind. Zu viel Emotionalität könnte die Tochter
umstimmen (vgl. Ali, 2005, S. 178).
Ahmet Toprak schreibt, dass Arbeit mit den Eltern nicht erfolgreich ist, weil sie erst gar
nicht durch Missverständnisse, unterschiedliche Kommunikationsformen und
Verhaltensweisen erreicht werden (vgl. Toprak, 2004, S. 60). Er beschreibt Türöffner
und Stolpersteine für eine Zusammenkunft mit den Eltern. Diese werde ich nun als
allgemeine Voraussetzungen für einen Hausbesuch wegen drohender
Zwangsverheiratung zusammenstellen.
Türöffner:
- Termin persönlich oder telefonisch vereinbaren (auf Terminwunsch der Eltern
eingehen; abends am besten, weil ganze Familie da; als Frau keinen Termin
allein mit dem Vater und umgekehrt; gegengeschlechtlich nur dann wenn beide
Elternteile da sind)
Page 49
Hinweise aus der Literatur- Hand geben (als Frau nur der Frau, als Mann nur dem Mann; anderen Part nur mit
Worten; kein Körperkontakt)
- Schuhe ausziehen (auch bei Aufforderung zum Anbehalten)
- Smalltalk (danken für die Zeit; sich vorstellen; nach Befindlichkeit erkundigen; etwas
Nettes über Kind sagen; Beziehung aufbauen; wertschätzend sein; Wie lange in
Deutschland?; Wohnung schön etc.; nach Kindern fragen, Schule, Beruf etc.;
nicht gleich mit Problem beginnen; Arbeitsfeld und Auftrag erläutern; Interessen
offenlegen, Warum Hausbesuch?)
- entspanntes Gesprächsklima (was trinken, essen; zusammen sitzen; Zeit haben)
- Schweigepflicht hervorheben und erläutern
- Regeln für alle klar und verständlich formulieren (Konsequenzen bei Nichteinhaltung
nennen)
- beide Elternteile einbeziehen (gezielte Fragen an passives Elternteil; Gleichwertigkeit)
- Kompetenzen und Interessen der Eltern anerkennen (Defizite, aber trotzdem
ressoucenorientiert arbeiten...meint auch Olaf Stuve, der sich speziell mit
männlichen Migranten beschäftigt hat. „Man sollte aber Männern mit
Migrationshintergrund ebenso wie mehrheitsdeutschen Männern zutrauen, dass
sie an partnerschaftlichen Modellen von Beziehung und väterlicher
Erziehungsverantwortung Interesse haben, selbst wenn es an der konkreten
Umsetzung im Alltag oft noch mangelt. (…) Demgegenüber wird meines
Erachtens in den vereinfachten, reduzierten Männlichkeitsbildern über den
Migranten das Bild eines unflexiblen, seinen Traditionen verhafteten Mannes,
eines Patriarchen und Machos hergestellt. Er ist einer quasi „naturgemäßen“
Kultur verhaftet, anstatt dass er sie selbst herstellt, verändert, anpasst, flexibel
macht.“ (Graue Literatur 4)
- gemeinsames Interesse (Wohl des Kindes; Eltern als Verbündete; Elternsicht auf
Problem, Lösungsvorschläge der Eltern einbeziehen; Realisierbarkeit;
professionelle Lösung; Respekt vor Werten; Verständnis für Lebensumstände)
- Zukunftsperspektive (Konsequenzen der Zwangsheirat auf Leben des Kindes)
(vgl. Toprak, 2004, S. 61ff und 70ff)
Stolpersteine:
- dicke Ordner mitschleppen
- Einladung zum Essen und Trinken ablehnen
- Vorsicht bei Grund des Gespräches (Schaden für Kind; evtl. Bestrafung, dass Kind
Probleme nach außen getragen hat) Man kann nicht in die Familie kommen und
gleich sagen, sie darf sich ihren Partner selbst wählen (vgl. GH).
Page 50
Hinweise aus der Literatur- Eltern belehren (Bloßstellung, Autoritätsverlust vor Kinder) Das sieht auch Hayriye
Yerlikaya als problematisch. Augenhöhe ist erforderlich (vgl. HY).
- methodisches Vorgehen (kontraproduktiv; Hausbesuch kann nicht 100% vorbereitet
werden, aber Schutzplan)
- Schuldzuweisung (Kritik an der eigenen Person oder Fähigkeiten sehr empfindlich; in
Bezug auf Erziehungsdefizite: persönlicher Angriff, Inkompetenz)
- Fachbegriffe
- Vorurteile, Pauschalisierungen
- vom deutschen Verständnis ausgehen (soziale, wirtschaftliche und kulturelle
Rahmenbedingungen anders bei Türken)
- mit anderen türkischen Familien vergleichen (Individualität der Familie!)
- Werte und Normen der Eltern tadeln (Minderwertigkeitsgefühle der Eltern, dann nicht
handlungsfähig)
(vgl. Toprak, 2004, S. 63ff und 72ff)
Die drohende Zwangsverheiratung ist oft nicht gleich erkennbar in einer
Beratungssituation. Die Betroffenen kommen wegen anderer Probleme, wie Schlägen,
weggenommenem Handy. Im Gegensatz zum Jugendamt hat eine Beratungsstelle
keine rechtlichen Möglichkeiten gegen die Eltern vorzugehen. Nur auf Wunsch der
Betroffenen kann ein Gespräch arrangiert werden (vgl. Rössl, 2010, S. 172).
Filiz Sütcü ist der Meinung, dass wenn die Frauen die Kraft hätten, sich gegen die
eigene Familie aufzulehnen, würde es eh nicht zur Zwangsverheiratung kommen.
Der Interviewer fragt, ob das heißt, dass die Mädchen nur deutlich genug "Nein." sagen
müssten? Darauf antwortet Sütcü: „Solche Fälle gibt es. Wir denken da zu
eindimensional. Es ist nicht so, als müsste eine Tochter jedes Mal um ihr Leben
bangen, wenn sie ein Nein ausspricht. Ich kenne Eltern, die ein Nein akzeptiert haben.
Aber wenn das Mädchen ein, zwei, dreimal nein gesagt hat, muss sie irgendwann mal
zustimmen.“ (Internet 8)
Auch in der Züricher Zwangsheiratsbroschüre der Fachstelle für Gleichstellung steht,
dass es wichtig ist, den Eltern die Bedeutung und Konsequenzen einer Zwangsehe für
das Kind auf zu zeigen. Wenn sie extern Schutz sucht, ist sie aus dem Elternhaus weg.
Auch wirtschaftliche Ängste können genommen werden, indem sich die Tochter
weiterbildet und die Eltern dann später damit besser unterstützen kann (vgl. Graue
Literatur 9).
Auf jeden Fall ist Elternarbeit im Zusammenhang von Zwangsheirat möglich, denn die
Page 51
Hinweise aus der LiteraturInitiatoren handeln im Sinne des Kindes. Wenn man sie davon überzeugt in der
Mediation, dass es nicht gut ist für das Kind, nehmen die Eltern Abstand, ganz sicher.
In der Mediation wird häufig klar, dass die Wünsche und Interessen der Eltern und
Kinder identisch sind, z.B. gesicherte Zukunft für das Kind, finanzielle und immateriell
geordnete Verhältnisse, Verhältnis zur Familie und Werte nicht verlieren. Wenn die
Eltern das merken, erkennen sie auch eher an, dass eine Zwangsehe eine
Beeinträchtigung wäre und es eben andere Wege gibt, um diese Interessen zu
verwirklichen, wie gute Schulausbildung, Unterstützung durch die Familie, aber
Selbständigkeit, welche nicht das Abkommen von den Eltern bedeutet. Und die Kinder
sehen ebenso: Ach darum geht es meinen Eltern! (vgl. HY)
Farhnaz Alimardani und Mehriban Özer vom Mädchennotdienst von Wildwasser e.V. in
Berlin haben einige Punkte zusammengefasst, die für Elternarbeit mit
Migrantenfamilien von Bedeutung sind. Auch wenn man parteilich für die Betroffene
agiert, ist es doch wenigstens als Grundlage für die zu entwickelnde Empathie
gegenüber der Familie empfehlenswert, „...die gesellschaftliche und soziale Lage der
jeweiligen Familie, ihre psychosozialen Rahmenbedingungen und die spezifische
Migrationsgenese zu berücksichtigen.“ und auch einen „...besonderen Blick auf die
Auswirkung der Immigration auf die Rollenverteilung innerhalb der Familie zu werfen.“
(Internet 7) Wildwasser hat die Erfahrung gemacht, dass es in Elterngesprächen
erfolgreich sein kann, die Eltern darauf hinzuweisen, dass ihre Kinder Freiheiten
brauchen, um nicht die Schulzeit für Freizeitaktivitäten zu nutzen. Die Eltern sind
bestrebt, dass ihre Kinder einen guten Abschluss machen und erweisen sich dann in
dieser Richtung als kooperativ. Viele Mädchen gehen anstatt zur Schule mit
Freundinnen aus oder sonstiges, weil sie sonst nach der Schule gleich zuhause
mithelfen müssen. Wenn die Eltern merken, dass ihre Kinder in der Schule nicht
erfolgreich sind, sehen sie in der Verheiratung die einzige Zurechtweisung und auch
Zukunftsoption. Die Eltern müssen einsehen, dass sie nicht eine Musterschülerin und
gleichzeitig eine Haushaltshilfe erwarten können, wenn die Mädchen zum Beispiel
üben müssen (vgl. Internet 7).
Page 52
Beratungsansätze an Praxisbeispielen
Als Beispiel einer Argumentation dient ein Ausspruch Fatma Bläsers, die selbst von
Zwangsheirat betroffen war und den Verein Hennamond e.V. initiiert hat: „Wissen Sie,
es ist wichtig, dass ihre Tochter die Schule zu Ende macht, dass sie selbstständig wird.
Falls der Mann irgendwann nicht mehr auf Ihre Tochter aufpassen will, können Sie
doch gar nicht garantieren, dass er sie irgendwann vielleicht verlässt. Wer soll sie dann
versorgen? Sie sollte eine Ausbildung machen. Sie soll die Schule abschließen.
Danach kann sie heiraten. Und dann kann sie sagen: ‚Ein Mann, der mich
rausschmeißt? Ich brauche ihn nicht. Ich verdiene mein eigenes Geld.“ (Fatma Bläser,
2007, S. 315).
3.4 Beratungsansätze an Praxisbeispielen
Allen Einrichtungen ist gemein, dass sie parteilich für die Mädchen agieren. Sie haben
nicht den Anspruch allparteilich wie Schule und Jugendamt zu sein, die dies aufgrund
ihres staatlichen Auftrages sein müssen. Beratungsstellen, Kriseneinrichtungen,
Wohnprojekten und Freizeitprojekten steht es offen, ob sie mit den Eltern
zusammenarbeiten oder nicht.
Wie oben erläutert wurde, ist dies jedoch erforderlich, wodurch sich auch solche
Einrichtungen mit Elternarbeit beschäftigen sollten. Die nachfolgenden Beispiele sollen
einen Einblick in diese Projekte und deren Umgang mit verschiedensten Arten von
Elternarbeit geben. Dabei fange ich bei der niedrigschwelligsten Form an.
3.4.1 MaDonna Mädchenkult.Ur e.V. - Mädchentreff in Berlin Neukölln
Auf den MaDonna Mädchentreff bin ich durch eine Postkartenaktion aufmerksam
geworden und der Gesprächstermin mit der Leiterin Gabriele Heinemann in Berlin
Neukölln fand sehr spontan statt.
In Neukölln leben 162 verschiedene Nationen. Der Süden ist wohlhabend durch
Industrie. Der Norden ist von Arbeitslosigkeit und Armut geprägt. Dort befindet sich der
Mädchentreff, im sogenannten Rollbergviertel, welches Mitte/ Ende der 80er bis Ende
der 90er das schwierigste Viertel von Berlin war. Kriminalität und Drogenabhängige
haben dort geherrscht. In den Treff kommen Mädchen aus dem Viertel zwischen 9 und
20 Jahren. Zurzeit nutzen ca. 40/ 50 Mädchen den Treff. Natürlich sind davon nicht
immer alle da, weil sie auch viel im Haushalt helfen müssen. Wenn eine Familie fünf
Kinder hat, ist das hier wenig. Von Vernachlässigung sind die Kinder nicht so betroffen,
eher von Gewalt, hat das örtliche Jugendamt festgestellt.
Page 53
Beratungsansätze an Praxisbeispielen
Probleme sind weniger Alkohol und Drogen, als sexueller Missbrauch, der nicht
zugeben wird.
Die Mädchen haben im MaDonna die Möglichkeit ihrer Freizeit nachzugehen.
Menschenrechtliche Themen sind da nachrangig, es sei denn sie kommen in
Gesprächsrunden zufällig vor. Nach Gabriele Heinemann ist Wegrennen eine
Möglichkeit, die aber ins Leere führt. Besser ist es, wenn eine Tante z.B. mal mit den
Eltern redet. Beratung ist zufällig im Mädchentreff.
Dadurch, dass die Mitarbeiter des Mädchentreffs jeden Tag mit den Eltern reden, lösen
sie Wertekonflikte vor Ort mit den Familien, dass es gar nicht so weit kommt, zu einer
Zwangsverheiratung. Das übernimmt dann meist eine Mitarbeiterin aus dem Viertel, die
die Einzige ist, die mit den Mädchen über so etwas wie Zwangsverheiratung redet. Da
spielt Vertrauen eine große Rolle.
Das Gute ist, dass den Familien, die da wohnen, Bildung sehr wichtig ist, und sie
deswegen offen sind für kleine Freiheiten. Sie lassen mit sich verhandeln. Trotzdem ist
das Thema Zwangsehe aktuell und es ist nötig, da energisch zu sein, den Töchtern
ihre Rechte zu erklären. Das Reden hat gebracht, dass das Heiratsalter im Viertel jetzt
4/5 Jahre höher, bei 17 Jahren liegt.
Vier bis fünf Fälle von Zwangsverheiratung im Jahr hat der Mädchentreff zu
verzeichnen, aber da kommen die Mädchen eher von wo anders da hin, als Mädchen
aus dem Kiez, weil die Eltern eben die Bildung favorisieren.
Als eine Möglichkeit sieht Gabriele Heinemann, die möglichst schnelle Liebesheirat mit
dem Freund, der dann von den Eltern akzeptiert wird, weil er jetzt eben der Ehemann
ist, der die Jungfräulichkeit genommen hat.
Zur Verdeutlichung der Sicht zur Elternarbeit vonseiten eines Freizeitprojektes soll der
nachfolgende Interviewausschnitt dienen:
GH: „Und da hat es eben gereicht, dass wir viel mit den Mädchen und den
Geschwistern geredet haben (…) und Gespräche mit den Eltern, dass wir das nicht
wollen und das wenn irgendwas in die Richtung passiert, das es Ärger gibt mit uns,
aber das zeigt ja eben wie nah wir an den Familien dran sind, dass wir so mit denen
reden können.“
Ich: Inwieweit ist bei Zwangsverheiratung Elternarbeit und Familienarbeit überhaupt
möglich?
GH: „Muss gemacht werden! Geht gar nicht ohne. Wenn das ohne ist, dann entsteht
die Gefahr von Ehrenmord und solchen Sachen. Man muss, also sie müssen sich
vorstellen (...) wenn ´n fetter Konflikt ist, sie müssen versuchen, also wo es um Leben
und Tod geht“
Page 54
Beratungsansätze an PraxisbeispielenIch: „alle mit ins Boot holen.“
GH: „Genau, alle mit ins Boot und irgendwie zu befrieden. Und eine simple Form der
Befriedung. is´ was ich vorhin sagte. die Eltern haben vielleicht einen anderen
Ehepartner im Kopf gehabt. Ok. So was kann man auflösen. Das is´ noch nicht so ein
Ehrverlust für die Familie ja. Aber das man schnell das Mädchen verheiratet. Der
Ehrverlust beginnt, wenn das Mädchen unverheiratet Sex hat, vielleicht zwei Monate
den Freund, zwei Monate den Freund und wenn sich das erst recht so herum spricht.
So: Haste gehört? Ja äh deswegen ist es ganz gut, dass Mädchen, also ich wär´
dagegen, aber trotzdem, man will ja erstmal das Leben retten. Der erste Schritt ist das
Mädchen in irgendeine Ehe hineinzubringen, wenn die Eltern dagegen sind. Bei
unseren Mädchen is´ das nicht nötig, weil die Eltern sind mitgegangen. Sie haben
dann doch ihre Konflikte auch untereinander als Eltern so weit in Griff gekriegt, dass
sie wieder mehr Toleranz für ihre Kinder hatten und haben auch kapiert, dass die
weitere Ausbildung, die Mädchen dürfen keinen Freund haben, aber die Eltern haben
eingesehen, dass die gute Ausbildung und darauf ziehen sich die Mädchen dann
zurück: Ich will gar keinen Freund. Ich will noch nicht heiraten. Ich will erst mal meinen
Beruf. Ich habe einen großen Ehrgeiz. Und das finden ja Eltern eigentlich immer gut.
Gerade weil die Eltern ja selber vielleicht auch mal als junge Menschen ´nen Traum
hatten, dass sie Ingenieur werden oder Anwalt oder Arzt und den halt nicht leben
konnten. Man täuscht sich auch oft. Auch wenn man gerade aus der Ferne kommt und
in Deutschland kann man gut Geld verdienen und dann sehen, wie schwer Schule ist.
Und deswegen das eigentlich gut finden, das ist aber auch unsere jahrelange Arbeit.
Das wir ihnen klar machen, noch gibt´s Hartz 4. Wer weiß, ob es in 15 Jahren noch
Hartz 4 gibt und es sich gemütlich leben lässt ohne dass eure Kinder ´ne Ausbildung
haben. Stellt euch vor, vielleicht hat sie 5, 6 Kinder, vielleicht der Mann geht fremd (…).
Und dann stabilisiert sich vielleicht so ´ne kaputte Ehe und die Ehefrau ist natürlich
total unglücklich. Es is´ nich´ so, dass die Ehen hier alle super sind. Es is´ ja auch
normal, dass es Schwierigkeiten gibt. und das leuchtet den meisten Eltern ein. Der
zweite Grund, warum die auf uns hören, ist, die Familien hier haben sehr viele Töchter,
also ´nen Sohn zu haben, is´ irgendwie besser, aber was willst´n machen, wenn du
irgendwie 6, 7 Kinder hast und davon sind 5 Mädchen. Das sind Eltern; die sind jetz´
nich´ böse oder verfluchen jetz´ nich´ Gott oder wen; sie lieben ihre Kinder auch
irgendwie und deswegen mögen sie uns. Deswegen steigen sie auch auf uns ein. sie
sehen dass wir bringen ihre Töchter voran und wir versuchen einen Weg zu finden, der
ihnen dann ´nen andern Wert gibt. Trotzdem Jungs dürfen viel mehr, haben die
besseren Zimmer. Aber dadurch muss man mit den Eltern, man muss sie mitnehmen!
Geht nicht anders.“ (GH, Audio 1, Minute 24.30 – 30.07)
Page 55
Beratungsansätze an PraxisbeispielenAls großes sozialpädagogisches Problem sieht Frau Heinemann, dass es keine
Fluchtunterkünfte für Pärchen gibt. Wenn die Mädchen mit ihrem Freund fliehen,
möchten sie auch mit ihm wo unter kommen, aber Jungen dürfen nicht in die
Mädchenunterkünfte.
Frau Heinemann würde schon zur Flucht ermuntern, wenn man sich sonst gezwungen
fühlt, aber immer mit einem zügigen Bald- Heiraten. Dann kann man seine Existenz
stabilisieren und dann akzeptieren die Eltern auch die Entscheidung, weil die
Jungfräulichkeit ja nun einmal ruiniert ist und derjenige ja doch ganz nett ist. Das sehen
die Eltern noch ein. Aber eine Flucht ohne Heirat geht nicht, meint Gabriele
Heinemann.
Gabriele Heinemann war es immer wichtig, Kinder zu beteiligen, sie mitbestimmen zu
lassen, sie zu fragen, ein zu beziehen und ihnen zu vermitteln, dass sie z.B. auch
einmal der Chefin widersprechen dürfen, wenn sie etwas nicht mögen. Das sind sie
von zuhause nicht gewohnt, aber dadurch lernen sie mit Konflikten umzugehen und
sich selbst kennen. Wenn sie zwei Jahre im Treff sind, sagt Gabriela Heinemann,
„haben sie das mit der Freiheit gefressen.“
MaDonna gibt es 30 Jahre, aber erst 1998 wurde angefangen in Berlin über
Zwangsheirat zu reden (vgl. GH).
Damals hat Frau Heinemann zu ihrer damaligen Kollegin Güner Yasemin Balci gesagt:
10% der türkischen Frauen sind zwangsverheiratet. Darauf hat Güner Balci, die
ebenfalls im Viertel groß geworden ist, gemeint: Ich kenne hier keine arabische Frau,
die nicht zwangsverheiratet ist. Das betraf die 1. Generation. Daraus zog Gabriela
Heinemann für sich den Schluss: „...mir war das dann irgendwann klar, ich kann nur
noch von ihr was lernen,...“ (GH)
Für die Sozialarbeit sieht Gabriele Heinemann Chancen in der Peer- Group- Arbeit,
wenn mehr Leute mit Migrationshintergrund eingestellt und in der Familienarbeit im
Hinblick auf Vermitteln von Konfliktfähigkeit qualifiziert werden.
3.4.2 Elisi evi e.V. - Interkulturelle Beratungs- und Bildungsangebote für
Frauen und Mädchen in Berlin Kreuzberg
Im Rahmen meiner Interviewreihe war ich in der Elisi evi e.V. Beratungsstelle in Berlin
Kreuzberg, was früher aufgrund seines hohen Anteils türkischer Bewohner Klein-
Istanbul genannt wurde.
Da es mein erstes Interview war, ließ ich mir von Judith Gerling- Tamer, die mit einem
Türken verheiratet ist, erklären, wie vorgegangen wird, wenn ein bedrohtes Mädchen in
Page 56
Beratungsansätze an Praxisbeispielendie Beratungsstelle kommt. Zunächst einmal ist festzustellen, wie gefährdet das
Mädchen ist, ob sie aus der Familie raus will, wie die Eltern drauf sind, ob sie sie
gehen lassen würden oder eher ein Ehrenmord in Frage kommen würde. Es kam
einmal eine 19Jährige in die Beratung. Ihre Eltern sind ja nicht mehr
erziehungsberechtigt und sie könnte also eigentlich gehen, wohin sie möchte, aber in
diesen Kulturen ist das egal. Sie hatte Angst, dass die Eltern sagen würden: Du bist
nicht mehr unsere Tochter! Und fühlte sich gefährdet. Um heraus zu bekommen, wie
die Gefahrenlage ist, eignet sich die Frage: Wie würde deine Familie darauf reagieren,
wenn du einen Freund hättest? Die Antwort darauf lässt einen Blick auf den
Familientyp zu. Bis 21 Jahre kann das Mädchen in den Mädchennotdienst oder z. B. zu
Papatya. Wenn sie älter ist, kann sie ins Frauenhaus. Es wird auch besprochen, ob es
eine Möglichkeit gibt, in der Familie zu bleiben bzw. wie selbstsicher das Mädchen aus
der Familie rausgehen kann. Dass die Loslösung sehr schwer wird und sich nur das
Mädchen allein für diesen Schritt entscheiden kann, zu gehen, muss verdeutlicht
werden. Man darf nie lenken!
Es muss auch geklärt werden, ob es Unterstützung in der Familie gibt, z.B. durch einen
Bruder, der die elterliche Meinung verändern könnte (vgl. G- T).
Zur Verdeutlichung der Einschätzung der Elternarbeit soll folgender Interviewausschnitt
dienen:
Ich: Mich interessiert ob Elternarbeit überhaupt möglich ist? Ob so etwas geht -
Vermittlung mit den Eltern?
G-T: „Ja das is´ schon ´ne wichtige Angelegenheit. Manche Mädchen wollen es
überhaupt nicht, manche Mädchen, die hier her kommen, da wissen die Eltern das
auch nicht, ne. Wenn wir mit der Schule dort zusammenkommen. Also wir hatten, ich
hatte letzte Woche ein Gespräch mit ´ner 17-jährigen Schülerin, die ganz unglücklich
klang, weil der Vater vor ´nem halben Jahr mitgekriegt hat, dass sie ´nen Freund hat
und hat ihr alles verboten, also es is´ jetz´ nicht so, dass er sie verheiraten will, aber
sie darf jetz´ direkt von der schule nach Hause, hat kein Handy mehr. Sie muss jetzt
immer in die Moschee, was sie gar nicht so will, weiß gar nicht was sie jetz´ machen
soll. Sie hat verschiedene Möglichkeiten. Der Bruder würde sie unterstützen. Da
könnte der Bruder mit dem Vater reden oder auch mit der Mutter. Da haben wir jetzt
gemacht, dass die Schule nochmal auf den Vater zukommt, Elterngespräch. Ich
komme dazu und wir mit dem Vater nochmal drüber reden, dass er ihr wieder mehr
Freiheiten gibt.
Sowas is´ dann natürlich auch ganz gut. wenn die Mädchen sowas möchten, machen
wir auch ´n Elterngespräch.“
Page 57
Beratungsansätze an PraxisbeispielenIch: „Kam das schon mal vor? Hast du das schon mal gemacht?“
G-T: „Äh ganz wenig, ganz wenig eigentlich, weil aufgrund was ist mit den Eltern..“
Ich: „Man weiß ja auch nicht, ob man jetz´ mit den redet und denen dann noch mehr
Gewalt droht.“
G-T: „Kann natürlich auch sein.“
Ich: „Wenn die dann mitkriegen, dass man sich..“
G-T: „Nee weil da hab ich ihr auch gesagt: Es kann auch sein, dass dich dein Vater gar
nicht mehr in die Schule lässt. zum Beispiel. Was würdest du da machen? Du hast kein
Handy..“
Ich: „Deswegen.“
G-T: „Na dann hab ich mit ihr ausgemacht. dass man auch mit den Lehrern spricht,
dass wenn sie länger als 3 Tage nicht in die Schule kommt. auch wenn die Eltern sie
entschuldigt haben. dass der Lehrer vor der Tür steht und fragt was is´ denn hier. Und
dann können die sagen, dass sie krank ist oder bei ´ner Freundin ne und dann sag ich
die andere Möglichkeit ist, mit der Polizei dahin zu kommen und dann müssen sie
nämlich aufmachen und müssen die Zimmer zeigen.
Aber dann musst du auch sagen, du wirst jetz´ festgehalten gegen deinen Willen, denn
wenn man mit der Polizei kommt, dann darfst du nicht sagen: Nee, nee is´ alles in
Ordnung. Dann musste wirklich sagen und mit raus kommen. Und dann kann man
immer noch überlegen, ob vielleicht mit den Eltern. also wenn das Jugendamt
eingeschaltet wird, also das wird dann ja auch wenn die noch nicht volljährig sind und
die weggehen. Da kommt immer das Jugendamt dazu und die sprechen auch mit den
Eltern. Das heißt dann nicht immer, dass Mädchen und Eltern zusammengeführt
werden. sondern die werden erst mal einzeln mit denen sprechen. Dann wird geguckt,
ob überhaupt noch Möglichkeiten gibt für ´ne Einigung oder nich´ oder muss sie doch
weg.“
Ich: „Das macht dann meist eben auch das Jugendamt.“
G-T: „Ja muss ja, wenn sie noch nich´ volljährig sind. die sind ja dazu da.“
Ich: „Und gab´s auch schon Fälle, wo das so vermittelt werden konnte, dass diejenigen
in der Familie weiterleben konnten doch?“
G-T: „Ähm man muss auch sagen, viele Mädchen gehen zurück in die Familie und
auch wieder in die Gewaltsituation zurück. weil sie es nicht aushalten von der Familie
getrennt zu sein.“
Ich: „Aber da is´ dann halt keine Veränderung in der Familie?“
G-T: „Manchmal ist ´ne Veränderung, manchmal auch nicht. Manchmal sagen die jaja
nee und dann ja gut du musst den ja gar nicht heiraten und das alle denken ok und
dann wird immer wieder mehr angezogen." (Audio 9, Minute 22:22 - 27:08)
Page 58
Beratungsansätze an PraxisbeispielenFür Judith Gerling- Tamer ist es wichtig, trotz des Vertrauensverhältnisses, was sich
aufbaut, nicht in das umfangreiche Familiensystem selbst mit hinein zu wachsen und
benutzt zu werden.
3.4.3 ROSA - Wohnen für junge Frauen nicht- deutscher Herkunft in
Stuttgart
Mit Halide Özdemir habe ich telefoniert. Sie wurde mir über mehrere Ecken und Mails
als Ansprechpartnerin empfohlen. ROSA gibt es seit 25 Jahren und früher wurde nicht
zu Eltern begleitet. Doch das hat sich gewandelt, weil das Konzept immer an den
Bedürfnissen der Klientinnen ausgerichtet wird. Es wurden gute Erfahrungen damit
gemacht. Die Mädchen werden ja bei einer Flucht ohne Ablösungsprozess von der
Familie getrennt. Das ist sehr hart für die Betroffenen.
Wenn man dann noch bedenkt, welchen hohen Stellenwert die Familie in solchen
Familien darstellt und dass die Mädchen manchmal noch minderjährig sind, kann man
sich vorstellen, wie schwierig diese Situation für die Mädchen sein muss. In einem
Gespräch mit Eltern nach einer Weile, können die Mädchen zeigen, dass sie in der
Zeit, in der sie in die Selbständigkeit gegangen sind, nicht das eingetreten ist, was die
Eltern dachten. Eltern denken vielleicht, dass sie Prostituierte oder Drogenabhängige
werden, aber die Mädchen können verdeutlichen, dass sie eine Ausbildung gemacht
haben, etwas für sich getan haben und wie wichtig das für sie ist. Es gehört eben dazu
sich zu reiben im Übergang in die Adoleszenz.
Man muss so etwas auf lange Zeit sehen. Es kommt nicht so häufig vor, dass ein
Gespräch mit den Eltern arrangiert wird, aber es kommt vor. Die Treffen sind geschützt,
meint, es muss einen Schutzplan geben. Die Mädchen sollen gestärkt sein, sodass sie
den Ton angeben können. Das Gespräch sollte an einem neutralen Ort stattfinden. Die
Eltern müssen lernen, dass ihre Tochter Bedingungen stellt. Mit einer Versöhnung tun
sich die Eltern schwer, da sie sich rechtfertigen müssen. In manchen Fällen haben die
Mütter dann noch eher Respekt, da sie selbst früher nicht den Mut hatten, so etwas zu
tun. Manchmal machen die Eltern ganz viele Versprechungen. Die Hauptsache ist,
dass die Tochter zurückkommt, dass die Ehre wieder hergestellt wird. Manchmal gehen
Mädchen darauf ein. Sie entscheiden sich dafür bewusst, weil aus Sicht der Mädchen
eine Änderung der Eltern stattgefunden hat.
Es gibt allerdings keine Erkenntnisse darüber, ob sich die Familien wirklich geändert
haben, da das nicht mehr unter der Kontrolle der Einrichtung steht. Aber es sind
wenige Mädchen, die zurückgehen in ihre Familien.
Page 59
Beratungsansätze an PraxisbeispielenDie Eltern können es nur schwer emotional verarbeiten, wenn ihre Tochter nicht mehr
nach hause kommt. Sie hoffen immer, dass sie doch noch zurückkommt. Sie lügen ihr
Umfeld an und sagen, dass ihre Tochter gerade im Ausland ist oder bei der Tante. Sie
erfinden Geschichten, um nicht sagen zu müssen, dass die eigene Tochter aus dem
Elternhaus geflohen ist, denn mit ihrem Weggang ist auch die Ehre der Familie
mitgegangen. Deswegen ziehen sogar manche Familien in eine andere Stadt, um dem
Gerede der Leute aus dem Weg zu gehen. So sieht man, dass auch die Familie
überfordert und allein gelassen ist mit ihrer Situation (vgl. HÖ). „Die massive Angst vor
einem Ehrverlust wird am Beispiel eines Vaters deutlich, der bei einem Gespräch im
Jugendamt unter Tränen schilderte, wie die Leute über ihn lachen würden, wenn seine
Tochter nicht zurückkäme. Am Ende des Gespräches drohte er dann damit, dass er
seine Tochter töten würde oder töten lassen würde.“ (Bielefeld, 2007, S. 58)
Den Mädchen gelingt es, dass ihre Eltern es akzeptieren, dass sie diesen Weg
gegangen sind. Auch wenn es erst nach langer Zeit gelingt.
Die Mädchen leben auch nach drei Jahren noch anonym. Es ist gut, wenn sie die
Eltern oder einzelne Familienangehörige besuchen können in dieser Zeit, aber es ist
nicht immer möglich. Es ist ein mittelfristig bis längerfristiger Prozess. Wenn das
Mädchen das wünscht, begleitet ROSA sie beim Elternkontakt. Meist findet dieser in
einem Jugendamt statt, welches sich nicht in der Stadt der Zufluchtsstätte befindet. Da
werden auch drei Stunden Autofahrt auf Umwegen in eine andere Stadt unternommen,
um die Sicherheit der Mädchen zu gewährleisten, sodass die Familie nicht
herausfindet, wo sich das Mädchen befindet.
Ganz wichtig ist, vorher einen Schutzplan anzufertigen. In diesem müssen enthalten
sein: - Wovor hast du Angst?
- Was kann im schlimmsten Fall passieren?
- In welcher Umgebung möchtest du das Gespräch haben? (Was ist ein gutes
Setting für genau dieses Mädchen? Bsp.:
Polizeistation...Kooperationspartner gewinnen!)
- Was ist meine Rolle? Was deine?
- Was ist das Ziel des Gespräches?
Ganz individuelle Dinge werden ebenfalls besprochen, Wenn das Mädchen z.B. sagt:
Wenn Mama weint, habe ich Angst, dass ich Ja sage, obwohl ich es nicht möchte. In
solchen Situationen werden dann Verträge geschlossen.
Das Mädchen unterschreibt dann symbolisch so etwas wie: Ich will auf jeden Fall in die
Einrichtung zurück, auch wenn ich weine oder Mama weint. Das dient dann in der
Situation noch einmal als Stütze, dass sich das Mädchen seines Vorhabens sicher
bleibt. Erklären, „warum Familien so funktionieren, wie sie funktionieren“ (HÖ),
Page 60
Beratungsansätze an PraxisbeispielenAntwortmöglichkeiten für Auseinandersetzung anbieten können. „Auseinandersetzung
ist ja nicht einfach, vor allem wenn man sie nie gelernt hat und wenn Gefahr für Leib
und Leben besteht“ (HÖ).
Das Konzept muss im schlimmsten Falle durchführbar sein. Ein Beispiel dazu:
Sie waren bestens vorbereitet. Das Mädchen hat sich ganz viel vorgenommen. Die
Familie wurde zuhause besucht. Im Laufe des Gespräches ist das Mädchen immer
kleiner und kleiner geworden. Sie wollte ganz schnell raus aus der Situation, traute sich
nichts mehr zu sagen. So musste Frau Özdemir von ROSA zur Schauspielerin werden.
Es ist also auch gut einen Plan B und C zu haben. Es muss ja nicht bedeuten, dass
das Mädchen mit dem Tod bedroht wird. Es gibt da vielfältige Ängste. Manchmal
genügt ein böser Blick des Vaters, welcher das Mädchen an eine ganz bestimmte
Situation erinnert und das Mädchen kann nicht mehr zu ihren Zielen stehen. Es geht
darum, dass das Mädchen mit aufrechtem Gang die Wohnung verlassen kann, um
ihrer Familie dadurch zu zeigen, dass sie weiß, was sie will.
Für den Schutzplan braucht man viel Zeit.
Als Beratungsansatz wird immer davon ausgegangen, dass das Mädchen die Expertin
ihrer Familie ist, denn sie hat in dieser Familie gelebt, sie kennt einzelne Situationen.
Die Professionellen sind vom Fach und können den Mädchen so Hintergrundwissen
über ihre Rechte vermitteln, sowie aus einer objektiven Sicht auf Gefahren
aufmerksam machen oder zum Nachdenken anregen, wenn es sein könnte, dass die
Eltern nur überreden wollen und nicht wirklich hinter der Tochter stehen.
Die Mitarbeiterin der Beratungsstelle oder Zufluchtsstätte stehen auf der Seite des
Mädchens und setzen sich parteilich für dieses ein. Schulmitarbeiter oder die
Mitarbeiter des Jugendamtes haben durch ihren gesetzlichen Auftrag die Pflicht die
Eltern mit einzubeziehen. Einer anderen Einrichtung steht dies frei. Die Beraterinnen
stellen den Mädchen Vor- und Nachteile vor; das Mädchen entscheidet.
Merkmale einer möglichen Kontaktaufnahme nach ROSA: erst einmal schriftlichen
Kontakt, dann telefonisch, dann persönlich an einem neutralen Ort mit Schutzplan.
Die Mädchen wurden so sozialisiert, dass sie nur kollektiv denken, d.h. was der Familie
gut tut, nicht was ihnen gut tut. Sie müssen erst lernen einen selbstbestimmten Weg zu
gehen, lernen, was ihnen gut tut, weil sie das nicht wissen. Sie sind überfordert, weil
sie gar nicht wissen, was ihr Bedürfnis ist.
Es hat sie noch niemand gefragt, was sie wollen.
Davon abgesehen, dass ROSA das einem Mädchen nie verbieten würde, mit seinen
Eltern zu sprechen, weil sie es sonst heimlich tun, sollte man ein Elterngespräch nicht
durchführen, wenn:
das Mädchen programmiert ist, Ängste und Gefühle regieren
Page 61
Beratungsansätze an Praxisbeispielen es eine zu kurzfristige Entscheidung ist
schlechte Vorbereitung → kein guter Schutzplan (vgl. HÖ)
Ein Vorschlag der von den meisten Eltern positiv aufgenommen wird, ist der, das
Mädchen erst einmal eine Ausbildung machen zu lassen. Auf die Frage meinerseits, ob
es Mädchen gibt, die einen Freund haben und das vor den Eltern vertreten können,
antwortete Frau Özdemir NEIN. Dann relativierte sie noch einmal die Aussage und
meinte, wenn eine gute Ausgangsbasis vorhanden ist, kann es gehen. Von türkischen
Mädchen aus meinen Bekanntenkreis ist mir jedoch bewusst, dass sogar in sonst
freizügigen Familien (Partys, Kleidung etc.) das Haben eines Freundes ein Tabu ist,
was zwar gewusst, aber nicht besprochen wird, sondern verheimlicht.
Der Vorteil an ROSA ist, dass die Mädchen solange in der Einrichtung wohnen, bis sie
selbständig genug sind. Es handelt sich also nicht um eine Zufluchtsstätte, die ein
Mädchen nur in der akuten Notsituation besucht. Die Mitarbeiterinnen bei ROSA
können an der Entwicklung der Mädchen teilhaben. Die Mädchen mussten einige
Hürden hinnehmen, z.B. dauert die Kostenzusage für die Einrichtung manchmal
Wochen und Monate. Somit schätzen die Mädchen die Einrichtung dann auch. Bei
Treffen, bei denen bundesweit vernetzte Organisationen zusammenkommen, ist die
Rückkehr der Mädchen in die Familie immer wieder Thema. Bei ROSA ist das nicht so,
was sich die Professionellen mit der längerfristigen Perspektive und der guten Struktur
erklären. In einer Kriseneinrichtung gehen mehr wieder in die Familie zurück, weil sie
keinen Halt für eine längere Zeit haben und es sich nicht gleich zutrauen, allein zu
wohnen.
Als Anlaufstelle für von Zwangsverheiratung bedrohte Mädchen und Frauen muss man
für sich feststellen: Was ist möglich? Wie viel davon kann ich tun?, denn jede
Einrichtung (Kindergarten, Schule etc.) hat andere Aufträge auch zu erfüllen (vgl. HÖ,
LH).
Man sieht, dass es also ganz viele verschiedene Arten von Elternarbeit gibt, die sich im
Rahmen des Phänomens Zwangsheirat ergeben. Es besteht auf jeden Fall ein großer
Bedarf (vgl. HÖ).
Page 62
Möglichkeiten bei Zwangsverheiratung
3.5 Möglichkeiten bei Zwangsverheiratung
Die Emanzipation der Frauen in Deutschland hat auch Zeit gebraucht. Jeder Umbruch
braucht seine Zeit. Und gerade soll dieser Umbruch in der Migrantenbewegung
stattfinden, aber das geht eben nicht von heute auf morgen, dass man seine
Wertvorstellungen, die man über mehrere Generationen internalisiert bekommen hat,
ablegt (vgl. HÖ). Frau Özdemir ist seit 15 Jahren bei ROSA und eine Aussprache, bei
der auch teilweise eine Akzeptanz seitens der Familie zu merken ist, kann man nach
drei bis fünf Jahren erwarten. Für eine ernste Auseinandersetzung braucht es Abstand,
meint Frau Özdemir.
Mediationsversuche werden meist aufgrund des staatlichen Auftrags bisher von Polizei
und Jugendamt übernommen. In diesen „Normverdeutlichungsgesprächen“ gelingt
auch Rückführung. Eine Polizeibeamtin hält danach den Kontakt zur Betroffenen um
ihr Wohlbefinden zu garantieren (vgl. Graue Literatur 3).
Im Bericht über Zwangsheiraten in Zürich stehen zahlreiche Beispiele, wie es z.B.
mithilfe einer Vertrauensperson aus der Familie oder einer Kulturvermittlerin zu einer
erfolgreichen Mediation mit dem Schluss, dass die Eltern von der Heirat abgesehen
haben, gekommen ist.
Durch diese Interventionen kam es dazu, dass die Mutter wieder mit ihrer Tochter
geredet hat, diese wieder Kontakt zu ihren Geschwistern aufgenommen hat und dass
der Vater trotz Beharren auf seiner Meinung, sie als Gast bei Familienfesten
akzeptierte. Kulturvermittlerinnen, die die Sprache der Familie können und zu
Zwangsheirat geschult sind, müssen teilweise über ein Jahr lang Gespräche führen. In
einem Fall kam es nach einem Selbstmordversuch der Tochter dazu, dass die Eltern
den Freund dann endlich akzeptierten und die beiden mittlerweile auch verlobt sind
(vgl. Graue Literatur 9).
Auch KOBRAnet haben Erfahrung in der Vermittlung mit Eltern gemacht und boten
nicht nur Hilfe bei Flucht an, sondern ebenso die Suche nach innerfamiliären
Ressourcen (vgl. AS).
Papatya steht wegen negativer Erfahrungen bezüglich der Veränderungsfähigkeit der
Eltern Elternarbeit skeptisch gegenüber. Von Veränderungswilligkeit würde ROSA auch
nicht sprechen, aber auf lange Sicht kann man eben Akzeptanz schaffen (vgl. HÖ). Bei
der Untersuchung von Strobl und Lobermaier über Papatya kam heraus, dass es kaum
positive Lösungen innerhalb der Familie gab, was sie aber auch auf die Art ihrer
Stichprobe in einer Kriseneinrichtung zurückführen (vgl. Strobl; Lobermaier, 2007, S.
65).
Page 63
Möglichkeiten bei Zwangsverheiratung
Corinna Ter- Nedden sagt, dass bei Papatya die Hälfte der Mädchen eine
innerfamiliäre Lösung findet. Die andere Hälfte geht in die Selbständigkeit. Trotzdem
hilft Papatya den Mädchen so viel wie möglich familiäre Bezugspersonen zu erhalten,
was die Wichtigkeit hervorhebt (vgl. Ter- Nedden, 2007, S. 355f). In Gesprächen
können Zwangsverlobungen gelöst und Misshandlungen gestoppt werden (vgl. Ter-
Nedden, 2007, S. 315). „Mit unserer Form der Elternarbeit geraten wir leicht zwischen
alle Stühle. Einerseits wird mit Skepsis beurteilt, daß wir überhaupt mit den Eltern
sprechen und versuchen, den Mädchen die Angst vor einem Gespräch mit ihnen zu
nehmen. Andererseits wird uns vorgeworfen, daß wir nur die Seite der Mädchen sehen
und vertreten. Für uns war das ein langer Prozeß, an dessen Anfang die Illusion stand,
Mädchen und Eltern gerecht werdende Lösungen finden zu können. Die Spielräume
dazu waren aber kleiner als angenommen. (...) Über die Auflösung von erzwungenen
Verlobungen und Heiraten, über das Wohnen bei Verwandten, über Ausgangszeiten,
Hilfe im Haushalt, Taschengeld, Kleidungsvorschriften und Schulbesuch läßt sich mit
den Eltern verhandeln. Wir plädieren trotzdem in vielen Fällen für Gespräche mit den
Eltern. Wir tun dies, weil die Flucht der Mädchen häufig nicht nur vorwärts gerichtet ist,
weg von der Familie, sondern oft auch ein letzter Versuch, herauszufinden, ob die
Eltern sie nicht doch lieben und an ihnen hängen, ob die Familie sich nicht doch
verändern kann. Hinzuzufügen bleibt, daß es auch Mädchen gibt, die so gefährdet
sind, daß wir das Risiko eines Elterngesprächs nicht eingehen.“ (Internet 19)
Die Organisation agisra e.V. in Köln verzeichnet ebenso positive Erfahrungen mit
Vermittlungen, wodurch der Druck zurückgenommen, ein Kompromiss gefunden
wurde. Solche Vermittlungen gehen dann aber über einen längeren Zeitraum und
erfolgen nicht einmal (vgl. Joo- Schauen; Najafi, 2007, S. 292).
Renate Balic-Benzing vom Jugendamt in Wien sagt, dass Elterngespräche in Form
einer Normverdeutlichung wirken, da die Mädchen nicht verheiratet werden- zumindest
nicht in nächster Zukunft. Das wurde durch Weiterverfolgung herausgefunden (vgl.
Internet 16).
In den von der Johann Daniel Lawaetz-Stiftung 2006 herausgegebenen Ergebnissen
einer Befragung zu dem Thema Zwangsheirat in Hamburg kommt eine Praxisfrau zu
Wort und meint: „Durch mehrsprachige Berater/innen ist es uns vielfach gelungen,
Gespräche mit den Eltern der Betroffenen zu führen in ihrer Mutter- bzw. Erstsprache.
(…) Das Gespräch mit den Eltern bzw. nahen männlichen Verwandten war nicht immer
einfach aber oft sehr effektiv. Sie konnten tatsächlich davon abgebracht werden, die
Töchter gegen ihren Willen zu verheiraten.“
Weiter ist zu lesen, dass es erfolgreiche und erfolglose Gespräche gab.
Page 64
Möglichkeiten bei ZwangsverheiratungEine Einrichtung hat Erfolg, indem sie Männer anderer Institutionen hinzuzieht. Diese
begleiten die Beraterinnen dann beim Hausbesuch oder sie gehen allein in die Familie.
Wenn die Familie sich gegen ein Gespräch sträubt, gehen sie auch aufsuchend vor
und schauen in Cafés nach den männlichen Familienangehörigen. Allgemein wird die
Meinung in dieser Studie vertreten, dass bei Familien mit Unrechtbewusstein auch eine
Gesprächsbereitschaft da ist. Wenn dies nicht der Fall ist, ist auch kein Bewusstsein
über das Ausmaß der Taten vorhanden. Des Weiteren führen eigener
Migrationshintergrund und Stadtteilbekanntschaft zu mehr Akzeptanz und somit zu
mehr Erfolg (vgl. Internet 10).
In der folgenden ebenso dieser Zusammenfassung über Hamburger Strukturen
entnommenen Abbildung ist zu sehen, dass Elternarbeit die geringste Erfolgsquote vor
und nach der Verheiratung aufweist. Hier ist natürlich zu berücksichtigen, was unter
Erfolg verstanden wird bzw. wer überhaupt von den Einrichtungen Elternarbeit anbietet
und demzufolge dann eine Einschätzung der Wirksamkeit vornehmen kann. Die Frage
ist ja auch ob eine gute Lösung in der Rückkehr des Mädchens in die Familie liegt oder
einfach im Kontakthaben.
(Abbildung 7)
Page 65
Grenzen
3.6 Grenzen
Grenzen in der Arbeit liegen in der Sprache, in der eigenen Kompetenz, in eigenen
Wertvorstellungen, wodurch man anderen Wertvorstellungen keine Toleranz einräumen
kann (z.B. bei stark feministischen Organisationen). Wenn die Autorität des
Familienclans unumstößlich ist und Traditionen fundamentalistisch gelebt werden,
kommt man nicht weiter. Als Sozialarbeiterin oder Sozialarbeiter muss ich meiner
Klientin immer sagen, dass ich die Familie nicht ersetzen kann. Darin liegt auch eine
Grenze. Wenn psychische Erkrankungen beim Mädchen oder in der Familie dazu
kommen, wird die Situation ebenso erschwert bzw. stößt man aufgrund der ohnehin
schon schwierigen Lage schnell an seine Grenzen (vgl. Altan; Foitzik; Goltz, 2009, S.
156).
„Nicht jede Familie ist mediationsgeeignet.“ (HY) Auch Gabriele Heinemann spricht von
stark konservativen Familien, die auch der Mädchentreff nicht erreicht. Das sind die
Familien, denen auch der Mädchentreff an sich zu modern ist und die Töchter nicht hin
gehen dürfen. Es ist in jeder Familie ungewohnt, wenn sich eine andere Person in die
Familie einmischt (vgl. HY). Fatma Bläser berichtet von einem Hausbesuch, bei dem
der Vater sich einfach weggedreht hat und den Besuch als Einmischung empfand und
das ja niemanden etwas angehen würde. Solch ein Verhalten stellt natürlich eine
enorme Grenze dar. Fatma Bläser hat die Situation dann aufgrund der Respektlosigkeit
verlassen, was in dem Falle der zu beratenden Tochter nichts bringen würde (vgl.
Bläser, 2007, S. 316). Deswegen vertreten so viele den Einsatz von Mittlerpersonen.
Ansonsten ist mir eine Lösung solch einer Situation nicht bekannt.
Lysann Häußler ist der Meinung, dass für Elternarbeit eine eigene Stelle geschaffen
werden müsste, um da einen Beitrag zu leisten, da ja die Beratungsstellen z.B. eher
mit den Betroffenen sprechen und diese betreuen. Es ist ja auch so, dass man das mit
der Elternarbeit im Zusammenhang mit Zwangsverheiratung widersprüchlich sehen
könnte, denn die Scham der Mädchen ist sehr hoch und es ist ja auch eine häusliche
Gewaltsituation. Und bei häuslicher Gewalt werden auch selten gemeinsame
Elterngespräche geführt, weil dann eben viele Versprechungen gemacht werden, die
nicht eingehalten werden. Das ist dann kein konstruktives Arbeiten. In der Prävention
ja, aber in der Intervention ist Elternarbeit unheimlich schwierig. Das Mädchen muss
sich ja auch positionieren und das in einem Entwicklungsstadium, in dem die Ich- Abb
Stärkung nicht vollendet ist (vgl. LH).
Page 66
Grenzen
Isabel Said von der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz
in Hamburg, Leitstelle Integration und Zivilgesellschaft, Referat Opferschutz, sagt:
„Wenn in diesem Zusammenhang möglicherweise überhaupt eine Rückkehroption in
die Familie in Frage kommt - was in unserem Projekt im Übrigen eine sehr strittige
Frage war -, dann brauchen wir unbedingt gleichzeitig Strategien, um einerseits den
Familienmitgliedern Unterstützung anzubieten und andererseits die Verantwortlichen
zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrem Verhalten zu bewegen und eine
nachhaltige Verhaltensänderung zu bewirken. (…) Betonen möchte ich aber folgendes:
Nicht geleistet werden soll und kann diese erforderliche Elternarbeit durch die
Beraterinnen und Berater in den speziellen Schutz- und Beratungseinrichtungen für die
Betroffenen Mädchen oder Jungen. Hier sind andere Hilfesysteme und eine klare
Rollenaufteilung gefordert.“ (Internet 12)
Beate Köhler, Opferschutzbeauftragte und Koordinatorin gegen häusliche Gewalt der
Polizei, stellt fest: „Eine Mentalitätsveränderung vollzieht sich nicht auf einmal- es ist
ein Prozess in mehreren Schritten.“ (Graue Literatur 3)
„Es gilt für die Mädchen und es gilt aber auch für die Eltern. Und Grenzen sind Werte.
Ich kann Werte Menschen nicht wegnehmen, aber ich kann mich auf universelle Werte,
auf Menschenrechte kann ich mich berufen.“ (HÖ) Es geht um die Achtung gegenüber
den Eltern. Eltern haben Angst. Diese Angst muss man ernst nehmen. Aber man muss
den Eltern auch klar machen, dass sie mit ihren Entscheidungen auch jemand
anderem, in diesem Fall ihrer Tochter etwas wegnehmen. (vgl. HÖ) Das heißt, man
muss die Werte der Eltern akzeptieren und aber auch die Menschenrechte müssen
akzeptiert werden.
Für Papatya liegen die Grenzen der Arbeit ganz klar darin, dass die Mädchen nicht
unverheiratet getrennt von der Familie leben oder einen Freund haben können (vgl.
Ter- Nedden, 2007, S
. 351). Dies verzeichnen auch andere Einrichtungen. Es gilt ja der Grundsatz, dass das
Mädchen entscheidet, was sie als Lösung für sich sieht. Wenn jedoch eine 14-Jährige
von der Schule abgehen möchte und einen von den Eltern abgelehnten Schwarm
heiraten will, endet die Toleranz des Teams. Dann wird versucht, ihr zu einer
„vernünftigeren“ Lösung zuzureden (Internet 14).
Für manche Organisationen wird der Zeitfaktor von Elternarbeit unterschätzt. Es ist
schade, wenn durch so etwas an seine Grenzen kommen würde, was aber in der
Praxis, denke ich, auch viel mit Engagement z.B. außerhalb der Arbeitszeiten
zusammenhängt (Vertrauen, Kontaktaufbau, Smalltalk, Akzeptanz) (vgl. Altan; Foitzik;
Goltz, 2009, S. 35).
Page 67
Zusammenfassung
Wenn die Bedrohungssituation zu groß ist, ist dringend von einem Elterngespräch
abzuraten, zumindest vorerst. Eine gründliche Einschätzung der Gefährdungslage ist
extrem wichtig, sonst setzt man die Sicherheit der Klientin aufs Spiel.
3.7 Zusammenfassung
Mediation von Seiten einer Beratungsstelle sehe ich als problematisch, da ja Mediation
den Anspruch auf Allparteilichkeit hat und eine Beratungsstelle immer parteilich
handelt. Somit kommt es eben darauf an, von welcher Stelle man kommt bzw. wie man
den Vermittlungsversuch benennt.
Jugendämter werden von den Eltern häufig als die falschen Ansprechpartner gesehen,
weil sie das Bild vermitteln, Kinder aus den Familien zu nehmen, statt zu interagieren.
Das könnte auch ein Grund der Verhinderung der Gesprächsbereitschaft sein (vgl.
Internet 13).
Die familiäre Unterstützung wird bei manchen Studien bzw. Einrichtungen als erstes,
was man überhaupt benötigt, genannt. Diese Organisationen sind der Meinung, dass
es gar nicht ohne Vertrauensperson aus dem Umfeld funktioniert. Andere Institutionen
sehen es als zumindest als hilfreich an.
Dennoch sind Unterstützer außerhalb der Familie wie Sozialarbeiter sehr wichtig, da oft
in der Familie eine Vertrauensperson fehlt, die Frage ist aber inwieweit sie selbst das
Gespräch führen können. Simone Eggler von TERRE DES FEMMES Schweiz,
Koordinatorin der regionalen Pilotprojekte gegen Zwangsheiraten: „Wichtig ist es,
genau zu klären, wer vermitteln kann. Diese Aufgabe können nicht die
Sozialarbeitenden selber übernehmen. Wichtig ist aber: Vermittlung ist eine
Möglichkeit, die zum Erfolg führen kann. Es gibt jedoch leider auch Fälle, wo das nicht
möglich ist und ein kurz- bis längerfristiger Schutz für die Betroffenen nötig ist.
Eine Vermittlung ist dann eventuell zu einem späteren Zeitpunkt oder in besonders
schwierigen Fällen gar nie möglich.“ (Internet 5)
Eine erfolgreiche Intervention mittels Elterngespräch dauert lange. Man muss die
Versprechungen von Seiten der Eltern unbedingt überprüfen. Man braucht auf jeden
Fall einen Schutzplan für den Kontakt (vgl. Graue Literatur 11).
Voraussetzung ist, dass das Mädchen Kontakt aufnehmen möchte und nicht weil wir
denken, dass sie dies nun tun sollte.
Page 68
Wie geht es weiter mit Aynur?
Wie geht es weiter mit Aynur?
„Am Anfang ihres Aufenthaltes in der Zuflucht verweigert Aynur jeglichen Kontakt zur
Familie. Dann hält sie es nicht mehr aus, sie ruft zuhause an. Ihre kleine Schwester ist
am Telefon und fragt sie, wo sie sei und wann sie zurückkomme. Aynur muss weinen,
als sie die Stimme ihrer Schwester hört. Dann kommt ihre Mutter ans Telefon. Sie
beschimpft ihre Tochter zuerst und schreit sie an. Dann beginnt sie zu weinen, sie sagt,
sie habe, seit Aynur weg ist, nicht mehr geschlafen und gegessen. Ihr Herz schmerze
und sie sei ganz krank. Aynur gerät unter massiven emotionalen Druck und legt
irgendwann weinend den Telefonhörer auf. In den Gesprächen der betroffenen
Mädchen mit ihren Familien (-mitgliedern) kommt es immer wieder zu Versprechungen
von Seiten der Familie, dass sich mit einer Rückkehr die Situation zum Positiven
ändern wird. Diesen Beteuerungen wird gerne geglaubt, und viele Mädchen kehren zu
ihrer Familie zurück. Ob eine Familiensituation sich verbessert oder gar verschlimmert,
ist jedoch nicht voraussehbar. Oft kommt es bei einer Kontaktaufnahme auch zu
massivem psychischem Druck, um eine junge Frau zur Rückkehr zu bewegen. Aynur
begegnet ihren Eltern nach drei Wochen in der Zuflucht im Jugendamt. Die
Mitarbeiterin dort hat von Aynur und den Mitarbeiterinnen der Zuflucht im Gespräch
erfahren, dass das Mädchen geschlagen und beschimpft wurde und verheiratet werden
solle. In ihrem Gespräch mit den Eltern sieht sie deren Hilflosigkeit, als diese sich
beklagen, dass Aynur sich nicht an Regeln ihrer Kultur halte, keine gute Schülerin sei
und immer wieder lüge und frech zu ihren Brüdern und den Eltern sei. Sie beteuern,
dass sie Aynur niemals gegen ihren Willen verheiraten würden, dass es in ihrer
Tradition aber üblich sei, sich um die Versorgung der Tochter zu kümmern. Außerdem
könne Aynur jederzeit „Nein“ zur Ehe sagen, wenn ihr der Mann nicht gefalle. Zu den
Schlägen und Beschimpfungen äußern sie sich kaum, sie geben zu, dies sei hin und
wieder vorgekommen, aber Aynur müsse auch gehorchen. Im gemeinsamen Gespräch
zwischen Aynur, ihren Eltern, der Mitarbeiterin des Jugendamtes und der Zuflucht zeigt
sich, dass die Eltern ihrer Tochter massive Vorwürfe für ihr Verhalten machen; sie fallen
während des Gespräches immer wieder in ihre Muttersprache und reden auf Aynur ein.
Ihre Mutter versucht sie zu umarmen, weint und zieht sie am Arm zu sich, die kleine
Schwester setzt sich bei Aynur auf den Schoß und fragt sie, ob sie wieder mit nach
hause komme. In dem Gespräch, das die Mitarbeiterin des Jugendamtes zum Teil sehr
stark strukturieren muss, wird deutlich, dass es massive positive und auch negative
Emotionen zwischen den Familienmitgliedern gibt.
Page 69
Wie geht es weiter mit Aynur?Einerseits zeigen die Eltern schnell Bereitschaft, Aynur nicht gegen ihren Willen zu
verheiraten, fordern sie aber gleichzeitig mit Druck auf, sofort mit nach Hause zu
kommen, sonst sei sie nicht mehr ihre Tochter. Ihre große Sorge ist auch der
Gesichtsverlust der Familie, wenn Aynur nicht schnell zurückkehrt. Aynur hält dem
Druck kaum noch stand und verlässt das Gespräch. Sie weiß nicht, ob sie den
Versprechungen der Eltern glauben soll. Einerseits hat sie nie erlebt, dass ihre Mutter
weint, andererseits hat diese die vielen Schläge nicht zugegeben. Aynur nimmt Kontakt
auf zu ihrer Tante in Deutschland, der Schwester ihres Vaters. Dort erfährt sie, dass
alle Geschwister ihres Vaters diskutieren, was der richtige Umgang mit Aynur ist. Zwei
ihrer Onkel sind der Meinung, sie solle sofort in ihr Herkunftsland gebracht werden.
Ihre Tante bietet an, zu ihr zu kommen und bei ihr zu leben, allerdings wirbt sie im
Telefonat mit Aynur auch um ihr Verständnis für deren Eltern. Aynur weiß nicht, ob sie
ihr vertrauen soll und überlegt, ob sie in einer Wohngruppe leben möchte, auch wenn
sie sich kaum vorstellen kann, gar keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie zu haben.
Aynur versteht in den folgenden Gesprächen mit den Pädagoginnen, dass ihre Chance
irgendwann die Anerkennung ihrer Familie zu erfahren, darin besteht, ein erfolgreiches
und selbständiges Leben außerhalb der Familie aufzubauen und dann vielleicht mit der
Zeit wieder langsam einen Kontakt zur Familie herzustellen. Sie weiß, dass dies viel
schwieriger wird als zu ihrer Tante zu ziehen und damit in der Familie zu verbleiben.
Aynur versucht herauszufinden, was für sie richtig ist. Sie spürt einen großen Druck, ihr
Leben allein meistern zu müssen, und fühlt sich sehr einsam. Allerdings findet sie die
Vorstellung eines eigenständigen Lebens auch aufregend. Ob sie es sich wohl
zutrauen kann? Die Wiederaufnahme von Kontakten zur Familie hängt maßgeblich
vom (beruflichen) Erfolg und sozialen Status der jungen Frau ab. Diese beiden Aspekte
allein schon gilt es bei der Planung weiterer Hilfen für Migrantinnen zu berücksichtigen
und in der Krisenbewältigung und weiteren Lebensplanung zu thematisieren.“ (Graue
Literatur 10)
Im Anbetracht der im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Elternarbeit, dürfte man
nun das ein oder andere kritisch betrachten können. Aynurs Fall betont noch einmal die
Schwierigkeiten, die einem in der Arbeit begegnen könnten und dass Elternarbeit nicht
einfach, sondern eine Herausforderung ist.
Page 70
Resümee
4 Resümee
In meinen Untersuchungen konnten meine Fragen beantwortet werden. Fest steht,
dass Elternarbeit im Rahmen der Zwangsverheiratungsintervention nach Meinung der
Fachleute erfolgreich sein und Mädchen vor einer zwanghaften Verheiratung schützen
kann. Ich habe festgestellt, dass es sehr darauf ankommt, von welcher Arbeitsstelle
man als Professioneller kommt. Davon leitet sich dann nämlich ab, 1. in welchem
Rahmen man schon Zugang zu den Eltern hat, 2. welchen gesetzlichen Auftrag man
hat und damit verbunden auch Handlungsmöglichkeiten und 3. wie einen die Eltern
wahrnehmen. Des Weiteren ist so auch die Art und Weise vorbestimmt, wie man mit
den Eltern reden kann, ob eher fordernd oder vorsichtig. Außerdem unterscheidet sich
die Elternarbeit in vielerlei Hinsicht. Ist sie im Mädchentreff eher präventiv, in der
Beratungsstelle in der Intervention und im Wohnprojekt nachsorgend.
Meine Vermutung, dass die Kenntnis der Familienstrukturen von Bedeutung sein
könnte, hat sich bestätigt, da manche Einrichtungen sogar auch Kulturmittlerinnen oder
- mittler favorisieren. Fraglich ist, in wieweit parteiliche Sozialarbeiterinnen und
Sozialarbeiter aktiv werden können oder ob es dafür spezielle Vermittlerinnen und
Vermittler geben sollte, sodass auch jemand auf Seiten der Eltern unterstützend da ist.
Klar ist aber, dass Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter durch ihre Arbeit an den
unterschiedlichsten Stellen, wie Jugendamt, Beratungsstellen, offene Kinder- und
Jugendarbeit, Stadtteilarbeit, Schulsozialarbeit usw. sehr verbreitet sind und sich
deswegen mit dem Thema auseinandersetzen sollten. Denn sie können
flächendeckend potentiell Bedrohte unterstützen, was spezielle Vermittlerinnen und
Vermittler nicht könnten.
Zu den realistischen Lösungen für die Betroffenen gehören, nach meiner jetzigen
Erkenntnis, 1. in der Familie zu bleiben. Die Eltern sehen von einer Heirat ab und
unterstützen ihre Tochter bei Schule und Ausbildung. Es fand eine Einsicht statt, dass
dies eine geeignetere Lösung ist. Fraglich bei dieser Konstellation, ob es bei diesem
Hinausschieben der Heirat nicht später wieder zu einem Konflikt kommt bzw. die
Gewaltsituation in der Familie sich dennoch nicht verändert. Die 2. Lösung ist bei
Verwandten unter kommen, die die Meinung des Mädchens teilen und sie ungestört für
die Schule etc. lernen lassen, ohne sie mit einer Verheiratung zu bedrängen. Die 3.
Möglichkeit wäre die Flucht mit dem Partner und eine schnelle Liebesheirat mit diesem.
Dann müssten sich die Eltern damit arrangieren und würden sich daran gewöhnen und
ihn evtl. später akzeptieren. Die 4. Möglichkeit ist die Flucht allein in eine
Wohneinrichtung. Dort müsste das Mädchen allerdings erst einmal anonym leben.
Nach einiger Zeit kann ein Elternkontakt stattfinden, je nach Gefährdungssituation.
Page 71
Resümee
Nach mehreren Jahren könnte wieder Kontakt zur Familie bestehen. Wenn das
Mädchen minderjährig ist, braucht es jedoch die Zustimmung der Eltern, um in eine
Wohneinrichtung zu gehen. Wenn diese die ihr verweigern, entscheidet das
Familiengericht (vgl. Graue Literatur 5). Andere, vielleicht am Anfang erwartete
Lösungen, wie allein wohnen oder öffentlich einen Freund haben, sind nicht erreichbar.
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass sich kein Wertewandel vollzieht. Man kann nicht
davon ausgehen, dass die Eltern alle ihre Vorstellungen verwerfen, nur weil eine
Sozialarbeiterin das sagt. Das ist utopisch. Man muss seine Erwartungen hinunter
schrauben. Dennoch muss man an den Kompromiss glauben und den auch
willensstark durchsetzen.
Ganz wichtig ist, dass die Gefahr nicht zu groß ist, es einen Schutzplan zum
Gesprächstermin gibt und dass das Mädchen sich selbst den Kontakt wünscht.
Page 72
Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis
Bücher/ Zeitschriften
Ali, Ayann Hirsi, 2006: Ich klage an. Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen, München (Pieper Verlag).
Altan, Melahat; Foitzik, Andreas; Goltz, Jutta, 2009: Eine Frage der Haltung. Eltern(bildungs)arbeit in der Migrationsgesellschaft. Eine praxisorientierte Reflexionshilfe, Stuttgart (Aktion Jugendschutz Baden-Württemberg).
Beclin, Katharina, 2010: Rechtliche und politische Strategien gegen Zwangsehen in Österreich, in: Strasser, Sabine; Holzleithner, Elisabeth (Hg.), 2010: Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften, Frankfurt am Main (Campus Verlag), S. 144- 164.
Bielefeldt, Heiner; Follmar- Otto, Petra, 2007: Zwangsverheiratung- ein Menschenrechtsthema in der innerpolitischen Kontroverse, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), 2007: Zwangsverheiratung in Deutschland, Baden-Baden (Nomos-Verlag), S. 13- 25.
Bläser, Fatma Sonja, 2007: Schwierigkeiten und Möglichkeiten, Tabus anzusprechen. Erfahrungen in der schulischen Bildungsarbeit zum Thema Zwangsverheiratung. Interview, in: 299- 320.
Breuer, Rita, 1998: Familienleben im Islam. Traditionen- Konflikte- Vorurteile, Freiburg (Herder).
Çil; Nevim, 2000: Überlegungen zum intergenerativen Verhältnis in türkischen Familien im Migrationsprozeß, in: Attia, Iman; Merburger, Helga (Hg.), 2000: Alltag und Lebenswelten von Migrantenjugendlichen, Frankfurt am Main (IKO- Verlag für Interkulturelle Kommunikation).
Diehm, Isabell; Radtke Frank-Olaf, 1999: Erziehung und Migration. Eine Einführung, Stuttgart (W. Kohlhammer Verlag).
Joo- Schauen, Jae- Soon; Najafi, Beshid, 2007: Für das Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsverheiratung. Ansätze für die Beratungsarbeit, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), 2007: Zwangsverheiratung in Deutschland, Baden-Baden (Nomos- Verlag), S. 289- 298.
Rössl, Ines, 2010: Zwangsverheiratungssituationen als Anknüpfungspunkt von institutionellem Handeln, in: Strasser, Sabine; Holzleithner, Elisabeth (Hg.), 2010: Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften, Frankfurt am Main (Campus Verlag), S. 165-181.
Page 73
Literaturverzeichnis
Schatz, Günther, 2004: Interkulturelle Elternarbeit mit türkischen Migrantenfamilien, in: Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. (Hg.), 2004: Türöffner und Stolpersteine. Elternarbeit mit türkischen Familien als Beitrag zur Gewaltprävention, München (Aktion Jugendschutz Verlag), S. 6 – 9.
Schiller, Maria, 2010: Zwangsverheiratung im Fokus: Ein Vergleich von Auftragsstudien in europäischen Ländern, in: Strasser, Sabine; Holzleithner, Elisabeth (Hg.), 2010: Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften, Frankfurt am Main (Campus Verlag), S. 47 - 70.
Schrödter, Mark, 2006: Wer heiratet wen? - Zur Sozialanthropologie moderner multiethnischer Gesellschaften, in: neue praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik, Sonderheft 8, (Hans- Uwe Otto/Mark Schrödter (Hrsg.), Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Multikulturalismus – Neo- Assimilation – Transnationalität,) S. 48 – 60, Lahnstein (Verlag neue praxis).
Strobl, Rainer; Lobermaier, Olaf, 2007: Zwangsverheiratung: Risikofaktoren und Ansatzpunkte zur Intervention, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), 2007: Zwangsverheiratung in Deutschland, Baden-Baden (Nomos- Verlag), S. 27- 86.
Ter- Nedden, Corinna, 2007: Zwangsverheiratung: Erfahrungen in der praktischen Unterstützung Betroffener und Empfehlungen für Politik und Verwaltung, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), 2007: Zwangsverheiratung in Deutschland, Baden-Baden (Nomos- Verlag), S. 348- 375.
Toprak, Ahmet, 2004: Erziehungsstile und Erziehungsziele türkischer Migrantenfamilien in Deutschland, in: Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. (Hg.), 2004: Türöffner und Stolpersteine. Elternarbeit mit türkischen Familien als Beitrag zur Gewaltprävention, München (Aktion Jugendschutz Verlag), S. 21 – 32.
Toprak, Ahmet, 2004: Bedeutung der Kinder, Erziehungswerte und Bestrafungspraktiken in türkischen Familien, in: Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. (Hg.), 2004: Türöffner und Stolpersteine. Elternarbeit mit türkischen Familien als Beitrag zur Gewaltprävention, München (Aktion Jugendschutz Verlag), S. 34 – 45.
Toprak, Ahmet, 2004: Türöffner und Stolpersteine. Worauf Sie in der interkulturellen Elternarbeit achten sollten., in: Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. (Hg.), 2004: Türöffner und Stolpersteine. Elternarbeit mit türkischen Familien als Beitrag zur Gewaltprävention, München (Aktion Jugendschutz Verlag), S. 60- 74.
Toprak, Ahmet, 2007: Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre, 2. Auflage, Freiburg im Breisgau (Lambertus- Verlag).
Page 74
Literaturverzeichnis
Internetquellen
1 Deutscher Bundestag, 17.03.2011: Zwangsheirat wird eigenständiger Straftatbestand,
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/33686007_kw10_de_zwangsheirat/index . Html, [18.03.2011].
2 Boston University International Law Journal, 2004: Arab Charter on human rights, http://www.humanrights.ch/home/upload/pdf/091029_Arab_Charter_on_Human_Rights_2004.pdf, [17.03.2011].
3 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin, 2004: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Zusammenfassung zentraler Studienergebnisse,http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/langfassung-studie-frauen-teil-eins,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf, [17.03.2011].
4 Arslan, Bülent, 2010: Interkulturelle Kompetenz,http://www.service-punkt-arbeit.de/uploads/media/Vortrag_Buelent_Arslan.pdf,[03.02.2011].
5 Online- Plattform für das Sozialwesen, 2010: Im Fokus Zwangsheiraten. Ein Gespräch mit Simone Eggler von TERRE DE FEMMES Schweiz,http://www.infostelle.ch/de/fokus/archiv/zwangsheiraten.html , [24.03.2011].
6 Atabay, Dr. Ilhami: Familienstruktur und Familientypen in türkeistämmigen Migrantenfamilien, http://www.ikone.or.at/userfiles/files/Text_zu_Vortrag_Atabay_Familientypen_in_t%C3%BCrkeist%C3%A4mmigen_Migrantenfamilien.pdf, [24.03.2011].
7 Alimardani, Farhnaz und Özer, Mehriban, Wildwasser e.V. Mädchennotdienst, Berlin, 2006: Elternarbeit in Familien mit Migrationshintergrund im Rahmen der mädchenspezifischen Intervention, http://www.gesundheitberlin.de/index.php4? request=search&topic=2090&type=infotext , [03.03.2011].
8 Sütcü, Filiz, 2010: Es gibt keine gesicherten Daten über Zwangsehen, http://www.muslime-in-niederkassel.de/ZwangsheiratArrangierte HeiratSuetcue.pdf, [03.03.2011].
9 Bundesregierung, 2011: Schutz vor Zwangsehen, http://www.bundesregierung.de/nn_1524/Content/DE/Artikel/2011/03/2011-03-17-zwangsehe-bundestag.htlm , [18.03.2011].
10 Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg, Herausgeberin: Johann Daniel Lawaetz-Stiftung, 2006: Ergebnisse einer Befragung zu dem Thema Zwangsheirat in Hamburg, http://www.ehrverbrechen.de/1/images/downloads/bund-laender/Bericht-ZH-Hamburg.pdf, [11.05.2011].
Page 75
Literaturverzeichnis
11 Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeitin den deutschen Diözesen e.V., Fulda, 2009: Fachtag Was macht Migration mit Männlichkeit? Neue Blicke und Chancen in der Arbeit mit Migranten am Donnerstag, 18. September 2008 in Frankfurt/Main, Haus am Dom, http://www.kath-maennerarbeit.de/fileadmin/user_upload/Downloadzeug/ Fachtag_Migration_Doku1.pdf, [11.05.2011].
12 Leiterin des Referates Opferschutz in der Leitstelle Integration und Zivil-gesellschaft der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz Hamburg, 2009: Empfehlungen aus dem Hamburger EU-Projekt „Aktiv gegen Zwangsheirat“ – Handlungsansätze für Hamburg. Dokumentation der Fachveranstaltung „Aktiv gegen Zwangsheirat“ am 28.09.2009 in Hamburg, http://www.hamburg.de/contentblob/1469050/data/dokumentation-de.pdf, [11.05.2011].
13 Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG), Leitstelle Integration und Zivilgesellschaft, Referat Opferschutz, Hamburg, 2010: Podiumsdiskussion Handlungsansätze für eine gute Zusammenarbeit mit den Communities und Migrantenorganisationen – wo stehen wir, was brauchen wir und wo gehen wir hin?,http://www.hamburg.de/contentblob/2482774/data/fachveranstaltung-zwangsheirat-doku.pdf, [11.05.2011].
14 Bayam-Tekeli; Birim; Ter- Nedden, Corinna: Interkulturelle Mädchenarbeit/ Gleiches und Verschiedenes in der Krise. PAPATYA Kriseneinrichtung für Mädchen aus der Türkei, http://www.papatya.org/pdfs/Gleiches-und-Verschiedenes.pdf, [11.05.2011].
15 MA 57 – Frauenförderung und Koordinierung von Frauenangelegenheiten, Wien, 2007: ZWANGSVERHEIRATUNG und ARRANGIERTE EHEN in Österreich mit besonderer Berücksichtigung Wiens, http://www.wien.gv.at/menschen/frauen/pdf/zwangsheirat2007.pdf , [11.05.2011].
16 Frauenabteilung der Stadt Wien, 2008: Konferenz in Wien im Rahmen des EU-Projektes "Aktiv gegen Zwangsheirat": Vorstellung der unterschiedlichen Maßnahmen der Stadt Wien gegen Zwangsheirat, http://www.hamburg.de/contentblob/1469050/data/dokumentation-de.pdf, [11.05.2011].
17 BGSS WORKSHOP DOCUMENTATION, 2010: Gewalt gegen Migrantinnen und deren Instrumentalisierung am Beispiel des Umgangs mit dem Thema „Zwangsverheiratung“, www.bgss.hu-berlin.de/bgssonlinepublications/Workshop%20Docu/ workshoppaper.../Nivedita_Prasad_2010_DE, [11.05.2011].
18 Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe LSA e.V., 2009: Zwangsverheiratung minderjähriger Mädchen. Emfehlungen zur Inobhutnahme,http://www.geschlechtergerechtejugendhilfe.de/downloads/Inhalt_Zwangsheirat.pdf, [11.05.2011].
Page 76
Literaturverzeichnis19 Daphne 2000 - Europäisches Netzwerk zum Schutz von
Mädchen und jungen Frauen aus dem muslimischen Kulturkreis vor familiärer Gewalt, Berlin, 2000: PROJEKTVORSTELLUNG PAPATYASCHWIERIGE TAUFE UND TROTZDEM KEINE IDENTITÄTSKRISE, http://www.papatya.org/pdfs/Projektvorstellung-PAPATYA.pdf, [11.05.2011].
Graue Literatur
1 TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: Wer entscheidet, wen du heiratest? (Postkarte), Kontakt über Postfach 2565, 72015 Tübingen, Tel.: 07071/7973-0, Mail: [email protected] .
2 Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt – BIG (Hg.), 2007: Zwangsverheiratung. Informationen des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung, Kontakt über die Gleichstellungsbeauftragte des Bezirksamtes Friedrichhain- Kreuzberg Petra Koch-Knöbel, Tel.: 030902984111/-4109.
3 Bezirksamt Friedrichhain- Kreuzberg Abteilung Stadtentwicklung, Personal und Gleichstellung (Hg.), 2. Auflage, (2009/2010): Dokumentation der Fachtagung Zwangsverheiratung im Kontext einer multikulturellen Gesellschaft vom 24.11.2008, Kontakt über die Gleichstellungsbeauftragte des Bezirksamtes Friedrichhain- Kreuzberg Petra Koch-Knöbel, Tel.: 030902984111/-4109.
4 Stuve, Olaf, 2006: Produktionsweisen des Anderen im Wettstreit von Männlichkeiten, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Migration und Männlichkeiten. Dokumentation einer Fachtagung des Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse und der Heinrich-Böll-Stiftung am 9./10. Dezember 2005 in Berlin (Schriften zur Geschlechterdemokratie 14). Berlin. S. 7-16, Verfügbar unter: http://www.boell.de/alt/downloads/gd/GD-14.pdf.
5 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2. Auflage, Berlin, 2009: Zwangsverheiratung bekämpfen – Betroffene wirksam schützen. Eine Handreichung für die Kinder- und Jugendhilfe, Kontakt über Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 481009, 18132 Rostock, Tel.: 01805/ 778090, Fax: 01805/ 778094, Mail: [email protected] , www.bmfsfj.de.
6 Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, Zittau, 2009: Zwangsheirat. Hintergründe, Praxiserfahrungen und sächsische Hilfsnetzwerke für Betroffene. Dokumentation zur Fachkonferenz vom 6. Mai 2009 in Dresden, Kontakt über KOBRAnet – Sächsische Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel Tel.: 03583/ 779677, [email protected] .
7 Dr. Friedrich Leidinger, Landschaftsverband Rheinland: Migrationssensible Datenerhebung in den LVR- Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie, in: Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Berlin, 2010: Migrationssensible Datenerhebung für die Gesundheits- und Pflegeberichterstattung. Dokumentation. Fachkonferenz am 21. November 2008 in Berlin in Kooperation mit dem bundesweiten Arbeitskreis Migration und öffentliche Gesundheit, Kontakt über Dr. med Friedrich Leidinger, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Geriatrie, Tel.: 0221/8096602, [email protected] , S. 65-75.
8 Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration,
Page 77
LiteraturverzeichnisBerlin, 2010: 8. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Kontakt über: willy brandt straße 1 10557 berlin, fax: 030/18-400-1606, [email protected]
9 Stadt Zürich, Fachstelle für Gleichberechtigung, Zürich, 2010: Zwangsheirat in Zürich. Hintergründe, Beispiele, Folgerungen, Fachstelle für Gleichberechtigung der Stadt Zürich, Ausstellungsstraße 88, 8005 Zürich, Telefon 0444471777, [email protected] .
10 Ministerium für Arbeit, Soziales,Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz, Mainz, 2010: MÄDCHEN IN KONFLIKTSITUATIONEN. Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund – ein interkultureller Ratgeber für Fachkräfte der sozialen Arbeit, Bauhofstaße 9, 55116 Mainz, Broschürenbestellung per Mail: [email protected] )
11 Fanaj, Ylfete, 2009: Heirat unter Zwang? Beratung von potentiell Betroffenen einer Zwangsheirat, Bachelorarbeit der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, [email protected] .
Interviews
G-T (Expertinnen- Gespräch mit Judith Gerling- Tamer, Dipl.- Pädagogin bei Elisi Evi e.V., Interkulturelle Beratungs- und Bildungsangebote für Mädchen und Frauen, Skalitzer Str. 50, 10997 Berlin (Kreuzberg), 23.02.2011).
GH (Expertinnen- Gespräch mit Gabriela Heinemann, Sozialpädagogin und Leiterin bei MaDonna Mädchenkult.Ur e.V., Mädchentreff, Falkstr. 26, 12053 Berlin (Neukölln), 24.02.2011).
HÖ (Expertinnen- Gespräch mit Halide Özdemir, Dipl.- Sozialarbeiterin (FH) und Interkulturelle Trainerin bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e.V., Beratungsstelle Yasemin für junge Migrantinnen und Anonyme Jugendhilfeeinrichtung ROSA für junge Migrantinnen, 11.03.2011).
AS (Expertinnen- Gespräch mit Anett Scheibe, Dipl.- Philosophin und Master of Social Management, Projektleiterin der Sächsischen Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel – KOBRAnet, Postfach 1406, 02754 Zittau, 17.02.2011)
HY (Expertinnen- Gespräch mit Hayriye Yerlikaya, Rechtsanwältin in Neuss, schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit zum Thema Zwangsverheiratung, Mitglied im Bundesverband der Migrantinnen, Beteiligung am Forschungsprojekt „Konfliktregulierung in türkischstämmigen Familien – Konfliktlösungen bei kulturell bedingten Konflikten und Gewaltfällen“, 22.03.2011).
LH (Expertinnen- Gespräch mit Lysann Häußler, Dipl.- Pädagogin, Feministische Sozialtherapeutin, Fachberaterin für Psychotrauma, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Kommunikationstrainerin, Beratungsstelle TERRE DES FEMMES in Tübingen, 10.03.2011).
Page 78
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Strobl, Rainer; Lobermaier, Olaf, 2007: Zwangsverheiratung: Risikofaktoren und Ansatzpunkte zur Intervention, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), 2007: Zwangsverheiratung in Deutschland, Baden-Baden (Nomos- Verlag), S. 27- 86.
2 Hamburger Abendblatt, 2009: Migranten in Deutschland, http://www.abendblatt.de/multimedia/archive/00540/migration2_HA_Polit_540166b.jpg, [19.03.2011].
3 8. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland: Familienstand der Bevölkerung über 16 Jahre nach Migrationshintergrund im Jahr 2008)
4 Strobl, Rainer; Lobermaier, Olaf, 2007: Zwangsverheiratung: Risikofaktoren und Ansatzpunkte zur Intervention, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), 2007: Zwangsverheiratung in Deutschland, Baden-Baden (Nomos- Verlag), S. 27- 86.
5 Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2010: Interkulturelle Onlineberatung bei Zwangsverheiratung und familärer Gewalt (Evaluationsbericht),
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Interkulturelle-Onlineberatung-Evaluation,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf, [11.05.2011].
6 Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2010: Interkulturelle Onlineberatung bei Zwangsverheiratung und familärer Gewalt (Evaluationsbericht),
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Interkulturelle-Onlineberatung-Evaluation,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf, [11.05.2011].
7 Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg, Herausgeberin: Johann Daniel Lawaetz-Stiftung, 2006: Ergebnisse einer Befragung zu dem Thema Zwangsheirat in Hamburg, http://www.ehrverbrechen.de/1/images/downloads/bund-laender/Bericht-ZH-Hamburg.pdf, [11.05.2011].
Page 79
Danksagung
Danksagung
Ich danke meinen Interviewpartnerinnen für die Bereitschaft für die Gespräche, ihre
Zeit, die interessanten Informationen aus der Praxis und mitgegebenen Materialien. Ich
danke Herrn Pütter für seine umfassende Betreuung, meinen Freundinnen und
Freunden für ihre offenen Ohren, ihr Verständnis und die Bereitstellung eines
Schlafplatzes während meiner Interviewphase und meiner Familie für ihre
Unterstützung.
Page 80
Ehrenwörtliche Versicherung
Ehrenwörtliche Versicherung
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und ohne
Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen, die
wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten und nicht veröffentlichten Schriften
entnommen wurden, sind als solche einzeln an den entsprechenden Stellen innerhalb
der Arbeit gekennzeichnet. Es wurden keine anderen als die von mir angegebenen
Quellen und Hilfsmittel (inklusive elektronischer Medien und Online- Ressourcen)
benutzt.
Ich habe diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form oder auszugsweise im Rahmen
einer anderen Prüfung keiner anderen Prüfungsbehörde oder Person im Rahmen einer
Prüfung vorgelegt. Auch ist die Arbeit nicht veröffentlicht.
Ich bin mir bewusst, dass eine unwahre Erklärung rechtliche Folgen haben wird.