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Einleitung
1 Die Stadt Thessaloniki
Das grundlegende Werk ber die Geschichte der Stadt Thessaloniki
stammtvon dem rumnischen Gelehrten griechischer Herkunft Orestis
Tafrali.1 Ne-ben der Geschichte Thessalonikis von den Anfngen bis
ins 14. Jahrhundert hatTafrali auch eine Monographie ber die Stadt
Thessaloniki im 14. Jahrhundertund eine Studie zur Topographie
Thessalonikis verfat.2
Die Stadt Thessaloniki wurde an der Stelle der lteren Stadt
Therme errich-tet, auf die einzugehen in unserem Zusammenhang keine
Veranlassung besteht.Thessaloniki ist benannt nach einer Tochter
des Makedonenknigs Philipp II., ei-ner Halbschwester Alexanders des
Groen. Diese Thessaloniki war verheiratet mitKassander, der 316
bzw. 315 v. Chr. die Stadt grndete und nach seiner Frau
be-nannte.3
Wegen ihrer verkehrsgnstigen Lage erlebte die Stadt einen
raschen Aufschwung.Noch heute ist Thessaloniki eine wichtige Stadt,
in Griechenland steht sie nur hin-ter Athen zurck. Zur
makedonischen Zeit gab es in Thessaloniki eine bedeutendeWerft; der
Hafen war insbesondere fr die makedonische Flotte von
erheblicherBedeutung.4
1 Orestis Tafrali: Thessalonique des origines au quatorzime
sicle, Paris 1919. Im Jahr 1994 pnktlich zur Aachener Vorlesung zum
1. Thessalonicherbrief im WS 1995/96 ist eine griechischebersetzung
des Werkes erschienen (nach welcher ich im folgenden zitiere): : 14
, bersetzt von ,Athen 1994.
2 Im Jahr 1913 erschienen Thessalonique au quatorzime sicle
(jetzt neu zugnglich in demgriechischen Nachdruck des Institute for
Balkan Studies. Archiv of Historical Studies 3: O.
Tafrali,Thessalonique au quatorziem sicle, 3, Thessaloniki 1993)
und dieTopographie de Thessalonique.
3 Orestis Tafrali, a. a. O. (Anm. 1), S. 20.4 Ebd. Die Stadt war
dazu bestimmt, Hauptstadt der Region zu werden; noch heute wird sie
im
Neugriechischen als bezeichnet.
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2 Einleitung
Fr unsere Vorlesung ist natrlich die rmische Phase Thessalonikis
von beson-derer Bedeutung. Diese rmische Phase beginnt im Jahre 168
v. Chr. Der letztemakedonische Knig Perseus verlor die Schlacht bei
Pydna gegen die Rmer unddamit war die makedonische Zeit beendet.
Die Rmer erklrten Griechenland frfrei schon damals gab es also
Latrinenparolen nach der Art unseres Freie Fahrtfr freie Brger,
frei also wurde auch Makedonien. Auf der Konferenz in Am-phipolis
im Jahre 167 v. Chr. wurde Makedonien in vier Teile zerlegt,
nmlich
Abb. 1: Die vier Regionen Makedoniens in rmischer Zeit5
1. Die Region zwischen Strymon und Nestos. Sie wird erster
Bezirk genannt,auf Griechisch , vgl. Apg 16,11 (Lukas kennt sich
hier genauaus!). Auf Abb. 1 die Region A. Hauptstadt dieser Region
war Amphipolis(die Stadt begegnet in Apg 17,1).6
5 Die Karte ist entnommen aus dem Sammelwerk Macedonia. 4 000
Years of Greek History andCivilization, hg. v. Michael B.
Sakellariou, Greek Lands in History [I], Athen 1983; hier S. 198,
Abb.133.
Die Karte zeigt die vier Regionen, von Ost nach West mit A, B, C
und D benannt. Sehr anschau-lich wird hier die Bedeutung der via
Egnatia (in oranger Farbe dargestellt), die alle vier Regionen
vonWest nach Ost durchquert.
6 Vgl. Orestis Tafrali, a. a. O. S. 29.
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2 Die Menschen in Thessaloniki 3
2. Die Region zwischen dem Axios und dem Strymon mit der
HauptstadtThessaloniki, der zweite Bezirk, auf Griechisch auf
unsererKarte die Region B.
3. Daran schlo sich im Westen die dritte Region ( ) mit der
Haupt-stadt Pella an auf unserer Karte die Region C.
4. Die westlichen und sdwestlichen Gegenden des ehemaligen
KnigreichesMakedonien bildeten schlielich die vierte Region ( )
aufunserer Karte die Region D.
Diese Regelung war dazu gedacht, einen Aufstand gegen die
rmische Herr-schaft schon im Ansatz zu verhindern. Thessaloniki
fuhr dabei im ganzen rechtgut, da die Stadt ihre Autonomie
behielt.7
Trotzdem erlebte Makedonien schon im Jahr 149 v. Chr. einen
furchtbaren Auf-stand gegen das rmische Regime. Man war nicht
gewillt, sich der pax Romanaso ohne weiteres zu unterwerfen.
Angefhrt wurde dieser Aufstand von einem ge-wissen Andriskos, der
behauptete, er sei ein Sohn des letzten makedonischen K-nigs
Perseus. Dieser machte den Rmern schwer zu schaffen. Erst 146 v.
Chr. ge-lang es ihnen, ihre beliebte pax Romana in Makedonien
wiederherzustellen. Dies-mal machte man Ngel mit Kpfen. Die alberne
Befreiungstheorie mitsamt derFreiheits-Rhetorik wurde ein fr
allemal fallengelassen. Makedonien wurde rmi-sche Provinz. Die vier
Regionen blieben als Verwaltungseinheiten bestehen. Thes-saloniki
wurde die Hauptstadt der neuen Provinz mit dem Sitz des jeweiligen
Statt-halters. Sie bekam das Recht, sich freie Stadt (civitas
libera) zu nennen.8
Die Struktur der Stadt Thessaloniki unter der rmischen
Herrschaft ist uns auf-grund zahlreicher erhaltener Inschriften
recht gut bekannt.9 Eine spezifische Insti-tution sind die
Politarchen, die auch Lukas kennt und in Apg 17,6 erwhnt.
Von besonderem Interesse sind fr unsere Zwecke natrlich die
Verhltnisse inThessaloniki im ersten Jahrhundert unserer
Zeitrechnung. Denn fr den Brief desPaulus ungefhr aus dem Jahr 50
n. Chr. kommt es darauf an, sich ein mg-lichst przises Bild der
Menschen und ihrer religisen und weltanschaulichen ber-zeugungen zu
machen, an die der Brief des Paulus gerichtet ist.10
7 (Orestis Tafrali, a. a. O., S. 30).
8 Vgl. Orestis Tafrali, a. a. O., S. 33: - .
9 Vgl. Orestis Tafrali, a. a. O., S. 3340. Heute ist die
Sammlung der Inschriften aus Thessalonikiergnzend heranzuziehen:
Charles Edson: Inscriptiones Thessalonicae et viciniae, IG X 2,1,
Berlin1972. Ergnzungen dazu sind in Vorbereitung.
10 Dieser Frage ist die bereits im Vorwort erwhnte Dissertation
von Christoph vom Brocke gewid-
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4 Einleitung
2 Die Menschen in Thessaloniki
Die Zusammensetzung der Bevlkerung Thessalonikis mu man sich
eini-germaen bunt vorstellen: Thraker, Griechen, Makedonen,
Menschen ausKleinasien, Rmer, Juden: Aus vielen Gegenden kamen
Leute, um sich in der Me-tropole Makedoniens anzusiedeln. Die
hauptschlich gesprochene Sprache war dasGriechische (anders als z.
B. in Philippi, wo zur gleichen Zeit das Lateinische do-minierte).
Paulus hatte es insofern in Thessaloniki leichter, weil die
herrschendeSprache hier das Griechische war.11
Ebenso bunt wie die Zusammensetzung der Bevlkerung mssen wir uns
diereligise Lage in Thessaloniki vorstellen. Neben den
althergebrachten griechischenGttern man hat von Thessaloniki aus
noch heute (freilich von Jahrzehnt zuJahrzehnt immer seltener . . .
), trotz der gigantischen Luftverschmutzung gelegent-lich einen
herrlichen Blick auf den Sitz dieser griechischen Gtter, den
Olymp,der auf der gegenberliegenden Seite des thermaischen
Meerbusens sich direkt ausdem Wasser zu erheben scheint. Zur Zeit
des Paulus war dieser Blick nicht wieheute ein seltenes Geschenk,
sondern wohl kaum beachteter Alltag. Neben die-sen griechischen
Gttern gab es thrakische von einiger Bedeutung. Ich nenne alsfr
Thessaloniki charakteristisch Dionysos (seine Heimat ist vielleicht
das nahePangaiongebirge) und die Kabiren von der Insel
Samothrake.12
Als drittes Element sind dann noch stliche Kulte zu nennen ich
fhre alsBeispiel den Kult der gyptischen Gtter an, der auch an
andern Stellen in Ma-kedonien bezeugt ist. Abschlieend mu man dann
auch rmische Bruche und
met: Thessaloniki Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus.
Eine frhe christliche Gemeindein ihrer heidnischen Umwelt, WUNT
2/125, Tbingen 2001.
11 Orestis Tafrali, a. a. O., S. 43: , , . DieseBeobachtung
besttigt sich, wenn man einen Blick in das Corpus von Edson wirft:
Von den gut 1 000Inschriften, die Edson publiziert, sind mehr als
950 in griechischer, kaum 50 in lateinischer Sprache.Ganz anders
ist das Verhltnis wie im Text erwhnt dagegen in Philippi! Hier
dominieren nichtnur zur Zeit des Paulus, sondern auch spter, klar
die lateinischen Texte. Vgl. dazu mein Philippi I.Die erste
christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tbingen 1995, S. 118122.
12 Selbst bei Ernst von Dobschtz, S. 10, erwhnt; seine
einschlgigen Bemerkungen zur religisenLage sind freilich beraus
drftig. Katastrophal mu man dagegen Traugott Holtz nennen: Er
sagt,da sich hier die verschiedensten Religionen und Kulte
zusammenfanden (S. 9) und przisiertdiese Aussage wie folgt: So mu
mit flukturierenden geistigen und religisen Einflssen
gerechnetwerden; umherziehende Propagandisten und Missionare oder
auch Reisende verbreiten sie (ebd.)Das ist abgesehen von einem Satz
zur Synagoge die gesamte Analyse zur religisen Lage.
Beatipossidentes!
Zu den Kulten in Thessaloniki zur Zeit des Paulus sind die
einschlgigen Abschnitte in der Mo-nographie von Christoph vom
Brocke heranzuziehen, zum Kabiros besonders a. a. O., S.
117121.
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3 Juden in Thessaloniki 5
Gottheiten nennen, so beispielsweise das Rosalienfest, das auch
fr Thessalonikibezeugt ist.13
Entscheidend ist politisch das rmische Element: Obwohl die
rmische Bevl-kerungsgruppe im 1. Jh. n. Chr. im Vergleich zu
Griechen, Makedonen und Thra-kern die jngste war, war sie doch die
einflureichste. Denn natrlich waren dieSpitzen der provinzialen
Verwaltung vom Statthalter bis zum Quaestor ausschlie-lich von
Rmern besetzt. Die ersten Rmer, die inschriftlich in Thessaloniki
fabarsind, sind dementsprechend fhrende Mitglieder der
Provinzialverwaltung: so et-wa der Praetor pro consule ( ) Quintus
Caecilius Metellus, der148 v. Chr. den makedonischen Prtendenten
Andriskos besiegt hatte (IG X 2,1nr. 134), oder der Quaestor Gnaeus
Servilius Caepio, der im Jahre 105 v. Chr. inMakedonien weilte,
oder der Quaestor Cornelius Sulla Servii filius (IG X 2,1 nr.29),
der die Provinz um 70 v. Chr. verwaltete.14
Die Rmer spielen nicht nur als Inhaber der wichtigen
provinzialen mter diefhrende Rolle, sondern treten auch in
wirtschaftlicher und in kultisch-religiserHinsicht hervor.
Verbindungen bestehen vor allem auch zu den stlichen
Kulten,insbesondere zu den gyptischen Gttern. Hier sind zwei
Inschriften aus dem Se-rapeion zu nennen.15 Auch als Priester der
Isis und des Sarapis taten sich Rmerhervor.16 Da die Zahl dieser
rmischen Hndler im 1. Jh. n. Chr. in Thessalo-niki, wie auch in
anderen makedonischen Stdten, recht ansehnlich gewesen seinmu,
beweist . . . die Tatsache, da sie bereits in einem greren Verband
als - organisiert waren (IG X 2,1 nr. 32. 33). Seine Erwh-nung
steht im brigen im Zusammenhang mit dem Kaiserkult.17 Der
Kaiserkultist insbesondere fr die Auslegung von 1Thess 5 von
Bedeutung; wir kommen aufihn daher noch ausfhrlich zurck!
Die erhaltenen Familiennamen der Rmer aus der uns
interessierenden Zeit wei-sen Verbindungen nach Italien auf: Es
spricht vieles dafr, da die meisten derwenigen lateinischen
Inschriften, die in Thessaloniki erhalten sind, auf diese
itali-schen Hndler zurckgehen.18
13 Eine bersicht ber die religise Lage in Thessaloniki vor der
Ankunft des Paulus bietet OrestisTafrali in seinem fnften Kapitel
(S. 4547). Eine neuere Darstellung findet man bei Christoph
vomBrocke.
14 Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 94.15 Charles Edson, IG X
2,1, die Nummern 79 und 80, vgl. Christoph vom Brocke, a. a. O., S.
95.16 Charles Edson, IG X 2,1, die Nummer 83, vgl. Christoph vom
Brocke, ebd.17 Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 9596.18 Christoph
vom Brocke, a. a. O., S. 96 (mit Listen solcher Namen und
spezieller Literatur, auf
die ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen kann).
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6 Einleitung
3 Juden in Thessaloniki
Die Juden bekommen einen eigenen Abschnitt und werden nicht im
Rahmender brigen Bevlkerung diskutiert, weil hier besonders
wichtige Fragen imHinblick auf die christliche Gemeinde von
Thessaloniki zu besprechen sind. Wennwir zunchst unseren Brief
selbst ansehen, so macht dieser nicht den Eindruck,als bestnde die
christliche Gemeinde in Thessaloniki aus ehemaligen Juden.
ImGegenteil! Paulus schreibt in 1,9f.: Allenthalben hat sich
mittlerweile herumge-1Thess 1,910sprochen, wie ihr euch abgewandt
habt von den Gttern hin zu Gott, um demlebendigen und wahren Gott
zu dienen, und seinen Sohn aus den Himmeln zuerwarten usw. Von
Christen jdischer Herkunft kann man auf keinen Fall sagen,sie htten
sich bei ihrer Bekehrung zum Christentum von den Gtzen
abgewandt.Somit ergibt sich aus 1Thess 1,9, da mindestens die
berwiegende Mehrheit derGemeinde heidenchristlichen Ursprungs
gewesen ist.
Ganz anders steht es allerdings mit dem Bericht des Lukas ber
die GrndungApg 17,19der Gemeinde in Thessaloniki (Apg 17,19). Nach
Lukas reist Paulus zusammenmit seinen Begleitern aus Philippi ber
Amphipolis und Apollonia nach Thessalo-niki, , wo eine Synagoge der
Juden war (Apg17,1). Nach seiner Gewohnheit begibt sich Paulus
sogleich in diese Synagoge undlehrt dort mehrere Sabbate (17,2f.).
Diese Predigt beeindruckt auch die Juden, diesich daraufhin der
neuen Lehre anschlieen (17,4). Fr unser Problem ergibt sichaus Apg
17:
1. In Thessaloniki gab es zur Zeit des Paulus eine jdische
Synagoge.
2. Paulus hat seine Predigt in Thessaloniki dort nicht nur
begonnen so daslukanische Schema , sondern er hat ausschlielich in
der Synagoge gewirkt.
3. Die christliche Gemeinde, die Paulus in Thessaloniki grndet,
hat auch j-dische Mitglieder.
Stimmt das paulinische Selbstzeugnis also hier mit dem Bericht
in Apg 17 nichtohne weiteres berein, so ergibt sich fr uns die
grundlegende Frage: Wie steht esmit dem Judentum in Thessaloniki
zur Zeit des Paulus? Vor kurzem ist dazu eingrundlegender Beitrag
in der Zeitschrift fr Papyrologie und Epigraphik erschie-nen.19
19 Pantelis M. Nigdelis: Synagoge(n) und Gemeinden der Juden in
Thessaloniki: Fragen aufgrundeiner neuen jdischen Grabinschrift der
Kaiserzeit, ZPE 102 (1994), S. 297306. Es handelt sichdabei um die
Publikation der Inschrift, die mir dank der freundlichen
Vermittlung von
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3 Juden in Thessaloniki 7
Der Verfasser, Pantelis Nigdelis, beginnt seine Studie mit dem
Satz: Die jdi-sche Gemeinde von Thessaloniki war
bemerkenswerterweise bis jetzt nur aus einem und zwar literarischen
Zeugnis bekannt, einer vielzitierten Stelle der
Apostel-geschichte[,] 17,19[,] ber den ersten Besuch des Apostels
Paulus in der Stadtim Jahre 50 n. Chr.20 Die von Nigdelis als
milich bezeichnete Quellenlage hatsich grundstzlich gendert durch
eine neue Inschrift, die im Sommer 1965 aufder Baustelle des
Verwaltungsgebudes der Universitt, also im Bereich des stli-chen
Friedhofs der antiken Stadt, gefunden worden ist.21
Der Text lautet:
() () , , - ,
5 [] () () .22
Die Inschrift befindet sich heute im Hof des Archologischen
Museums in Thes-saloniki.23
schon seit einigen Jahren bekannt war; auch in Philippi ist eine
Inschrift zutage getreten,die eine Synagoge bezeugt (vgl. meinen
Kommentar zur Synagogen-Inschrift aus Philippi in meinemPhilippi
II. Katalog der Inschriften von Philippi, WUNT 119, Tbingen 2000,
Nr. 387a/G813 aufSeite 389390).
20 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 297.21 Pantelis M.
Nigdelis, a. a. O., S. 298. Da die Inschrift 1965 gefunden und 1994
publiziert
wird, ist leider typisch. Videant consules!Es handelt sich dabei
um einen auf einem Marmorsarkophag eingemeielten Text: Der Typ
des
Sarkophags, der sog. Sarkophag mit Kastenrahmung, ist in
Thessaloniki gelufig und lt sich vonetwa 120 bis 260 n. Chr.
verfolgen. Spuren einer getilgten Inschrift zeigen, da das Grabmal
wiederverwendet wurde. Auf der Vorderseite liest man in einer
tabula ansata folgenden Text . . . (ebd.).
22 Bei der Lesung der Zahl folge ich dem in Anm. 30 zitierten
Corpus der jdischen Inschriftenaus Osteuropa, S. 96.
23 Der Sarkophag wird heute im Garten des Archologischen Museums
von Thessaloniki unterder Inventarnummer 5674 aufbewahrt. Die Mae
sind: Breite 1,59 m., Lnge 2,53 m. und Hhe1,30 m.; Buchstabenhhe
45cm. Zur Lage und den Funden des Ostfriedhofs von Thessaloniki
s.jetzt: M. Vitti, , -. (.), Thessaloniki 1990, 47. Fr die
Publikationserlaubnis der Inschrift mchteich Frau Dr. I.
Vokotopoulou, Vorstand der 16. Ephorie fr die klassischen und
prhistorischenAltertmer Thessaloniki danken. (Pantelis M. Nigdelis,
a. a. O., S. 298, Anm. 7).
Die zitierte Studie ist nun auch im Druck erschienen: Massimo
Vitti: , 160, Athen 1996.
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8 Einleitung
Auf Deutsch lautet der Text nach meiner bersetzung wie
folgt:
Markus Aurelius Jakob, der auch Eutychios (heit),(hat die
Grabsttte) zu seinen Lebzeiten fr seine Frau Anna,die auch
Asynkrition24 (heit), und fr sich selbst der Er-innerung halber
(errichtet). Wenn aber einer einen andern niederlegt,
5 soll er den Synagogen zahlenDenare25 75.000.
Der Herausgeber mchte die Inschrift ins sptere 2. oder 3. Jh. n.
Chr. datie-ren.26
Von besonderem Interesse ist das Studium der Namen unserer
Inschrift. Nigde-lis kommt zu dem Ergebnis: Wir haben es . . . hier
mit einem Juden zu tun, der. . . seine jdische Identitt bewahrt hat
und als seinen Namen bzw. sein Cogno-men Jakob angibt.27 Dies wird
dadurch besttigt, da die angedrohte Strafe andie Synagogen zu
zahlen ist, nicht etwa an die Stadtkasse oder an den
kaiserlichenFiscus. Problematisch ist in diesem Zusammenhang der
Plural ,an die Synagogen. Da es sich hier nicht einfach um
Zusammenknfte der Ju-den von Thessaloniki handelt, wie man
vielleicht annehmen knnte, geht deutlichschon aus der Tatsache
hervor, da bei den bekannten Fllen der Empfnger einerGrabmult nie
eine Zusammenkunft ist.28
Es mu daher das Wort hier schon im technischen Sinne
gebrauchtsein; dann bezeichnet es entweder eine jdische Gemeinde
oder das zugehrigeGebude. Plausibel wre es vielleicht zu vermuten,
da es sich um mehrere Syn-agogen handelt, was natrlich wiederum
Anla zur Frage gibt, aus welchem Grundes zwei oder drei Synagogen
in Thessaloniki gab. In den mir bekannten Parallelenist immer nur
von einer Synagoge die Rede.29
24 Zum Namen Asynkrition vgl. Rm 16,14, wo Paulus einen gren lt;
vgl.auch Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 225 mit Anm. 87.
25 Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 224 bersetzt [] in Z. 5
mit neu geprgte inmeiner bersetzung versehentlich ganz unbersetzt
geblieben . . .
26 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 299. Zur Begrndung fhrt
Nigdelis folgendes an: Dafrsprechen die charakteristische kursive
Form der Buchstaben, die mit kleinen apices geschmckt sind,sowie
die Syntax und die Orthographie, vor allem aber die Nennung von
Praenomen und Nomendes Beigesetzten, der der erste bekannte rmische
Brger jdischer Abstammung in Thessalonikiist, was zweifellos mit
der Drftigkeit der Belege ber die jdische Gemeinde zusammenhngt.
Indiesem Zusammenhang geht Nigdelis dann des genaueren auf die von
Jahrhundert zu Jahrhundertsteigenden Preise ein (ebd.) das mu man
mit Philippi vergleichen!
27 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 303.28 Pantelis M.
Nigdelis, a. a. O., S. 305.29 Pantelis M. Nigdelis, ebd.
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3 Juden in Thessaloniki 9
Wenn man in Betracht zieht, da in allen bekannten Fllen nur der
Singu-lar Synagoge vorkommt, dann haben wir es hier mit einer
Abweichung zu tun,die auch historisch interessant sein kann. Htte
es nmlich mehrere Synagogen inThessaloniki gegeben, was bezglich
der Diasporagemeinde sonst m. W. nur frRom[,] Alexandreia und
Antiocheia bezeugt ist, dann mten wir mit einem Zu-wachs des
jdischen Bevlkerungselements rechnen. Das liee sich, wie
gewhn-lich, durch die lange Tradition der lokalen Gemeinde und vor
allem durch dieEinwanderung von Juden, die nach den groen
Katastrophen der Jude [lies Jah-re?] 70 (Titus) und 135 (Bar
Kokhba) n. Chr. ins Ausland verkauft und selbst bzw.deren
Nachkommen freigelassen worden waren, erklren. Htte es in
Thessaloni-ki mehrere Synagogen gegeben, wrde das noch bedeuten, da
die auf der neuenInschrift erwhnte Grabmult diejenige Synagoge
bekme, die den Grabfrevel an-zeigte.30
Nun ist diese Inschrift zu spt, um przise Schlsse fr das 1.
Jahrhundert zuziehen. Immerhin ist sie ein Indiz dafr, da das
Judentum zu allen Zeiten (bisauf Adolf Hitler erst durch die Nazis
wurden die Juden aus Thessaloniki so gutwie endgltig vertrieben31)
stark vertreten war. Daher besteht kein Anla, an derExistenz einer
Synagoge zur Zeit des Paulus zu zweifeln. Ob Paulus seine Predigtin
der Tat in der Synagoge in Thessaloniki begonnen hat, wie Lukas das
in Apg 17beschreibt, ist freilich eine ganz andere Frage. Wir
werden bei der Auslegung vonKapitel 2 auf die Juden in Thessaloniki
zurckkommen.
30 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 306.Bleibt fr diese zweite
Auflage nachzutragen, da die erstmals von Nigdelis publizierte
In-
schrift seither immer wieder diskutiert wurde, so in dem
mehrfach zitierten Werk Christoph vomBrockes, S. 223227 (pldiert fr
eine zurckhaltende Auswertung der Inschrift fr die Zeit desPaulus,
a. a. O., S. 227) sowie in der Sammlung der jdischen Inschriften
aus Osteuropa (DavidNoy/Alexander Panayotov/Hanswulf Bloedhorn:
Inscriptiones Judaicae Orientis, Band I: Eastern Euro-pe, Texts and
Studies in Ancient Judaism 101, Tbingen 2004; hier S. 9598).
31 Bei der Erstellung der zweiten Auflage sehe ich zu meinem
Schrecken, da dies ein Euphemis-mus ist. Von einer Vertreibung kann
allenfalls im stark verharmlosenden Sinne die Rede sein!
Diejdischen Brger Thessalonikis wurden natrlich nicht nur
vertrieben, sondern vernichtet.
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10 Einleitung
4 Die Grndung der Gemeinde
Nach dem Bericht der Apostelgeschichte brach Paulus zusammen mit
Silasaus Antiochien zur sogenannten zweiten Missionsreise auf (Apg
15,3641).Barnabas schlgt eine andere Richtung ein. Der Konflikt in
Antiochien wird durchLukas wie auch sonst in der Apostelgeschichte
mglichst harmlos gehalten.Die beiden gewinnen ihm zufolge Timotheus
als Mitarbeiter (Apg 16,15) undgelangen auf einem Zickzackkurs
durch Kleinasien nach Alexandria Troas (16,610). Die erste
eigentliche Station fr die Missionare ist Philippi, wo eine
christlicheGemeinde gegrndet wird (Apg 16,1140). Von den Behrden
der Stadt Philippigezwungen, reisen die Missionare ber Amphipolis
und Apollonia (Apg 17,1) nachThessaloniki (Apg 17,19). Auch diese
Stadt mu Paulus fluchtartig verlassen, undso kommt er nach Beroia
(Apg 17,1014) und Athen (Apg 17,1534). Schlielichgelangt Paulus
nach Korinth, wo er 18 Monate verweilt (Apg 18,111).
Abb. 2: Von Philippi nach Thessaloniki32
Dieser Bericht der Apostelgeschichte wird durch das
Selbstzeugnis des Paulusinsofern besttigt, als die Route ihn von
Philippi nach Thessaloniki, und dannber Athen nach Korinth fhrte.
Diese Stationen kann man unserem Brief selbst1Thess 2,12entnehmen.
In 1Thess 2,12 kommt Paulus ausdrcklich darauf zu sprechen, daer
aus Philippi nach Thessaloniki gekommen war:
32 Karte aus meinem Philippi I 202: Der Weg des Paulus von
Philippi nach Thessaloniki auf dervia Egnatia (vgl. Apg 17,1).
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4 Die Grndung der Gemeinde 11
.
Das erinnert die Thessalonicher daran, da er ihnen bei
seinemersten Besuch in ihrer Stadt von seinem Schicksal in Philippi
berichtet hatte. Damitist die Reiseroute von Philippi nach
Thessaloniki durch unsern Brief besttigt.
Da Paulus hernach in Athen weilte, geht aus 1Thess 3,1ff.
hervor: Aus Athenhat er den Thessalonichern den Timotheus
geschickt. Von daher legt sich die wei-tere Route von Thessaloniki
nach Athen nahe.33
Keiner besonderen Begrndung bedarf der letzte Abschnitt der
Reise von Athennach Korinth. Die Korrespondenz mit den Korinthern
legt beredtes Zeugnis vonder Bedeutung der hier gegrndeten Gemeinde
ab.
* * *
Da wir es in dieser Vorlesung nicht mit einer Geschichte der
paulinischen Mis-sion zu tun haben, will ich hier die historische
Rekonstruktion nicht im ein-zelnen vorfhren; ich beschrnke mich auf
die Ergebnisse: Die sogenannte zweiteMissionsreise ist nicht wie
wohl die erste ein Unternehmen der Gemeinde inAntiochien, sondern
ein eigenstndiges Werk des Paulus, der sich nach dem
an-tiochenischen Zwischenfall (vgl. Gal 2,1121) von dieser Gemeinde
getrennt hat,um selbstndig zu arbeiten. Er hat dabei einen Plan
verfolgt, der teilweise schon beiseiner Wirksamkeit in Galatien
sichtbar wurde: Paulus zielt mit seiner Mission aufRom und auf
Spanien. Das hatte zur Folge, da er sich auf zwei Arten von
Zielenbeschrnkte, auf Hauptstdte von Provinzen und auf rmische
Kolonien. Sobald erdie Trasse der via Egnatia betreten hatte, lag
damit alles weitere fest: Paulus grn-dete Gemeinden in Philippi,
einer rmischen Kolonie, sowie in Thessaloniki, derHauptstadt der
Provinz Makedonien, und in Korinth, der Hauptstadt der
ProvinzAchaja damit war Griechenland fr ihn erledigt, und er konnte
sich neuen Zielenzuwenden.
Wer den Verlauf der via Egnatia verfolgt, mu sich eigentlich ja
wundern, wieviele und bedeutende Stdte Paulus von vornherein links
liegen lt, ich nennenur Amphipolis und Apollonia aus Apg 17,1.
Amphipolis war die Hauptstadt derersten makedonischen Region, wie
wir zu Beginn dieser Vorlesung gesehen haben.Doch das interessierte
den Paulus nicht, der ein klares Konzept verfolgte: Amphi-polis war
weder rmische Kolonie und als Vorbung fr Rom mithin vllig un-
33 Zum genaueren Verlauf der Reise vgl. Alfred Suhl: Paulus und
seine Briefe. Ein Beitrag zurpaulinischen Chronologie, StNT 11,
Gtersloh 1975, S. 9296.
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12 Einleitung
geeignet noch Hauptstadt einer Provinz. Darum mochten sich
andere kmmern,Paulus eilte nach Thessaloniki und weiter nach
Korinth . . .
Wir halten als Ergebnis fest: Was die sogenannten
Einleitungsfragen angeht, ergibtErgebnissich: Paulus hat den 1.
Thessalonicherbrief vermutlich im Jahre 50 aus Korinthnach
Thessaloniki geschickt.34
Abb. 3: Die via Egnatia bei Argilos35
34 Vgl. etwa Alfred Suhl, ebd.35 Photo: Peter Pilhofer (1. April
2007). Argilos liegt kurz hinter Amphipolis, wenn man die
Route nach Apg 17,1 betrachtet. Die Photographie wendet sich von
West nach Ost, blickt also nachAmphipolis zurck.