JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696 DER WEG ZURÜCK IN DIE SOUVERÄNITÄT: DIE POLITISCHEN UND RECHTLICHEN UMSTÄNDE IN ÖSTERREICH 1945 - 1955 Eingereicht von Alexandra Ditze Angefertigt am Institut für Kanonistik, Europäische Rechts- geschichte und Religionsrecht Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. DDr. Herbert Kalb Mitbetreuung Mag. Dr. Andreas Hölzl März 2019 Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften
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JOHANNES KEPLER
UNIVERSITÄT LINZ
Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
DER WEG ZURÜCK IN DIE SOUVERÄNITÄT:
DIE POLITISCHEN UND RECHTLICHEN UMSTÄNDE IN ÖSTERREICH
1945 - 1955
Eingereicht von
Alexandra Ditze
Angefertigt am
Institut für Kanonistik,
Europäische Rechts-
geschichte und
Religionsrecht
Beurteiler / Beurteilerin
Univ.-Prof. DDr.
Herbert Kalb
Mitbetreuung
Mag. Dr.
Andreas Hölzl
März 2019
Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magister der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
Rechtswissenschaften
20. März 2019 Alexandra Ditze 2/56
EIDESSTAATLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als sol-che kenntlich gemacht habe.
Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdoku-ment identisch.
Ort, Datum Unterschrift
20. März 2019 Alexandra Ditze 3/56
Meinen lieben Eltern
20. März 2019 Alexandra Ditze 4/56
Inhaltsverzeichnis
1.Der Weg zurück in die Souveränität .......................................................................................... 7
2.Die gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Umstände im Jahr 1945 ............................. 8
2.1.Exkurs: Die rechtliche Einbindung Österreichs durch das Deutsche Reich ..................... 8
2.2.Die außenpolitische Lage ............................................................................................. 10
2.3.Die innenpolitische Entwicklung .................................................................................... 12
3.Die Wiederherstellung der Republik ........................................................................................ 13
3.1.Die Österreichische Erklärung der Unabhängigkeit ....................................................... 13
2. Die gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Umstände im Jahr 1945
Nach Zusammenbruch des Dritten Reiches sah sich Österreich mit schwersten Verlusten und
Kriegsschäden konfrontiert: 450.000 Österreicher waren durch den Krieg und den NS-Terror
getötet, wichtige Produktionsstätten und Verkehrsnetze beschädigt oder zerstört worden. Im
Zuge des Anschlusses von den Deutschen übernommenes und daher als deutsch geltendes
Vermögen, sollte durch die Alliierten beschlagnahmt werden. Das Fehlen einer staatlichen
Ordnung machte sich bemerkbar, etwa durch vermehrte Einbrüche und Plünderungen von
Wohnungen und Lebensmittelgeschäften.3 Besonders die Versorgung der Bevölkerung mit
Lebensmitteln war ein drängendes Problem und brachte das Land zunächst in einen Zustand
der vollkommenen Abhängigkeit von Wirtschaftshilfen.4 Nur mithilfe der Hilfen der Besat-
zungsmächte, die zum Teil wahrscheinlich aus Beständen der deutschen Wehrmacht stamm-
ten5, und durch Hilfen der UNO ab 1946, konnte die österreichische Bevölkerung vor dem
Verhungern bewahrt werden. Ab 1947 stellten vor allem die Hilfen gemäß des von den USA
initiierten Marshall-Plans einen wesentlichen Anteil am Wiederaufbau der österreichischen
Wirtschaft dar.6
Nicht nur wirtschaftlich war Österreich in eine Position der Abhängigkeit geraten, auch recht-
lich: Durch den 1938 vorgenommenen Anschluss an das Deutsche Reich hatte Österreich
seinen Status als eigenständiges Völkerrechtssubjekt verloren.7 Daher soll zunächst umris-
sen werden, durch welche Maßnahmen Österreich 1938 an das Deutsche Reich gebunden
worden war.
2.1. Exkurs: Die rechtliche Einbindung Österreichs durch das Deutsche Reich
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich am 12. März 19388 wurde in den
darauffolgenden Tagen mit juristischen Maßnahmen sichergestellt, dass Österreich als ei-
genständiger Staat aufhörte zu existieren:
3 Vgl Schüssel, Das Werden Österreichs (1968) 247. 4 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungs- Verwaltungsgeschichte mit Grundzügen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte4 (2007) 367 ff. 5 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs in Stichworten, Teil VI: Vom Ständestaat zum Staatsvertrag von 1934 bis 1955 (1984) 112f. 6 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 367 ff. 7 siehe Kapitel 2.1. 8 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 61.
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Am 13. März 1938 erließ die Regierung Seyss-Inquart das Bundesverfassungsgesetz über
die Wiedervereinigung Österreichs9 mit dem Deutschen Reich auf der Grundlage des Er-
mächtigungsgesetzes 1934,10 nachdem sich Bundespräident Miklas nach der Verweigerung
der Unterzeichnung zur Niederlegung seines Amtes gezwungen sah.11 Von der Deutschen
Reichsregierung wurde am selben Tag ein gleichlautendes Gesetz erlassen, das dieses spe-
zifische österreichische Gesetz zum Reichsgesetz erklärte.12 Österreich wurde damit in ein
bloßes „Land“ des Deutschen Reiches umgewandelt, wodurch die Eigenständigkeit Öster-
reichs endete.13 Das nunmehr „Ostmark“ genannte Österreich wurde gemäß dem Ostmark-
gesetz vom 14. April 193914 in sieben Reichsgaue zerlegt, und somit auch als Einheit aufge-
löst. Durch die Einführung der Reichsmarkwährung im Land Österreich wurde auch der Weg
zur Einbindung der österreichischen Wirtschaft in den Vierjahresplan frei.15
Zwar bestimmte Artikel II des Wiedervereinigungsgesetzes, dass das in Österreich geltende
Recht bis auf Weiteres in Kraft bleibe,16 das heißt, zunächst pauschal übernommen werden
sollte, nach wenigen Wochen erfolgte jedoch die schrittweise Verdrängung der österreichi-
schen Gesetze.17 Durch den Erlass vom 15. März 1938 hatten alle ab diesem Zeitpunkt im
deutschen Reichsgesetzblatt kundgemachten Rechtsvorschriften auch für Österreich zu gel-
ten, sofern diese Geltung nicht ausdrücklich ausgenommen war. Ältere deutsche Rechtsvor-
schriften wurden für Österreich durch „Einführungsgesetze“ in Wirksamkeit gesetzt.18 Die ein-
fache Rechtsordnung wurde dadurch weitgehend verdrängt, da österreichische Gesetze
praktisch nicht mehr zur Anwendung kamen; nur einzelne Gesetze, etwa das ABGB, wurden
der Praktikabilität halber beibehalten. Viele Normen verloren auch ipso iure ihre Geltung, da
sie mit der nationalsozialistischen Ordnung und Sichtweise unvereinbar waren, etwa die
Grundrechte und Gesetze bezüglich Gewaltentrennung und Verfassungsgerichtsbarkeit, wo-
bei aber eine Aufhebung der maßgebenden österreichischen Verfassungsgesetze formell nie
verfügt wurde.19
9 Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich BGBl 1938/75. 10 Vgl Olechowski, Rechtsgeschichte4 (2016) 115. 11 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 65. 12 Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich dRGBl I 1938, 237. 13 Vgl Ermacora, Österreichische Verfassungslehre (1998). 14 Ostmarkgesetz dRGBl I 1939, 777. 15 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 66. 16 Art II Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich BGBl 1938/75. 17 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 360. 18 Vgl Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts6 (1971) 28. 19 Vgl Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht 89.
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Die Republik Österreich war durch diesen juristisch vollzogenen Anschluss als eigenständi-
ges Völkerrechtssubjekt nicht mehr existent, wobei dieser Vorgang sowohl als Okkupation als
auch als Annexion interpretiert werden kann.20 Im Zuge der Wiederherstellung der Souverä-
nität musste also zunächst eine Lossagung vom Deutschen Reich, eine Distanzierung von
diesem juristisch vollzogenen Anschluss erfolgen.21
2.2. Die außenpolitische Lage
Zunächst hatten die Großmächte den Anschluss Österreichs durch das Deutsche Reich als
gegeben hingenommen sowie de jure anerkannt, das heißt auch keinen offiziellen Protest
eingelegt.22 Diese Haltung änderte sich aber im Laufe des Krieges.23 So erklärte der britische
Premierminister Churchill am 9. November 1941, dass das Kriegsziel seines Landes das Ein-
stehen für alle Verpflichtungen gegenüber der gefesselten europäischen Länder sein müsse,
worunter auch Österreich fiele. Damit kam zum Ausdruck, was auch später in der Moskauer
Deklaration ausgedrückt wurde, nämlich die Ansicht, Österreich sei grundsätzlich als Opfer
des Deutschen Reiches und der Anschluss als ungültig zu sehen.24 Großbritannien erkenne,
so Churchill, keineswegs den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich an.25 Auch aus
Sicht der USA galt Österreich als ein von den Achsenmächten überfallener Staat, der nicht
rechtmäßig in das Deutsche Reich einbezogen wurde.26
Die eingangs genannten, vor allem britischen Erwägungen, wonach Österreich zum Teil einer
Donaukonföderation (Churchill erstmals 1940/41, abermals 1943) oder Teil einer süddeut-
schen Föderation mit Zugang zur Adria (Außenminister Hull 1943) werden könnte, waren von
der Ansicht geprägt, dass Österreich als Nation wohl nicht als lebensfähig angesehen wurde.
Die Erwägungen erfuhren aber eine allmähliche Abschwächung durch die USA und die
UdSSR.27
20 Siehe Kapitel 3.5. 21 Siehe Kapitel 3.1. 22 Vgl Schüssel, Das Werden Österreichs 244. 23 Vgl Hanisch, Der lange Schatten des Staates Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, (1994) 399; Olechowski, Rechtsgeschichte 309. 24 Vgl Olechowski, Rechtsgeschichte Materialien und Übersichten6 (2011) 133f. 25 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 86ff. 26 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 88ff. 27 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 255; Bischof, Die Planung und Politik der Alliierten 1940-1954, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart Band 2 (1997) 108f.
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Ein gemeinsamer Standpunkt wurde schließlich auf der Moskauer Konferenz 1943 gefunden,
zu welcher Vertreter der USA, Großbritannien und die Sowjetunion zusammenkamen. Bei
dem Treffen wurde das Bündnis der Alliierten untereinander geregelt, sowie Ansätze der
Nachkriegsordnung angeschnitten. Neben einer Erklärung über Italien veröffentlichten die
teilnehmenden Mächte auch eine Erklärung über Österreich, nämlich die sogenannte Mos-
kauer Erklärung über Österreich. Darin wurde ein konkretes Ziel über die Zukunft Österreichs
festgelegt.28
Gemäß der Erklärung wurde „die Besetzung („annexation“29) Österreichs durch Deutschland
am 15. [richtig 13.] März 1938 als null und nichtig angesehen. Ein „freies, unabhängiges Ös-
terreich“ wiedererrichtet zu sehen sei gewünscht.30
Österreich wurde in der Erklärung als „erstes freies Land, das der typischen Angriffspolitik
Hitlers zum Opfer fiel“ bezeichnet („first free country to fall a victim to Hitlerite aggression“31),
mit gleichzeitiger Betonung, dass es auch Verantwortung für die Teilnahme am Krieg trägt.32
Wohl zur Ermutigung des österreichischen Widerstands gegen das Hitler-Regime erklärten
sie des Weiteren, dass der eigene Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung berücksichtigt wer-
den würde.33
Verabschiedet wurde die Erklärung durch die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der
Sowjetunion und der USA am 30.10.1943. Das französische Komitee der Nationalen Befrei-
ung, die französische Exilregierung, schloss sich im November 1943 dieser Erklärung vollin-
haltlich an.34
Neben der Moskauer Erklärung wurde 1943 auch die Gründung eines Diplomatengremiums
beschlossen, die „Europäische Beratungskommission“ (EAC), welche sich vor allem mit der
Frage der Besetzung und Verwaltung des Deutschen Reiches und später auch Österreichs
beschäftigte.35 Durch die Arbeit des EAC, sowie auf einer Reihe von Konferenzen teilten die
28 Vgl Adamovich, Handbuch 29. 29 Vgl Hoke/Reiter, Quellensammlung zur österreichischen und deutschen Rechtsgeschichte (1998) 553. 30 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, 255. 31 Vgl Hoke/Reiter, Quellensammlung 553. 32 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 95; Schüssel, Das Werden Österreichs 246. 33 Vgl Hoke, Österreichische und deutsche Rechtsgeschichte2 (1996) 501. 34 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 95; Adamovich, Handbuch 29. 35 Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages: 1945-1955 Österreichs Weg zur Neutralität3 (1985) 5f.
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alliierten Großmächte Europa in eine amerikanisch-britische und eine sowjetische Einfluss-
zone. Für das weitere Schicksal Österreichs war vor allem die Alliierten-Konferenz von Jalta
im Februar 1945 von Bedeutung.36 Churchill, Roosevelt und Stalin einigten sich dort unter
anderem über Fragen der militärischen Besetzung Deutschlands und Österreichs und die
vorläufige Einteilung in vier Besatzungszonen.37 In dieser und weiteren Konferenzen verdich-
teten sich die schon während des Kriegs sichtbaren Spannungen zwischen Ost und West
zum Kalten Krieg und dem Zerfall Europas in zwei Blöcke.38
2.3. Die innenpolitische Entwicklung
Da sich eine österreichische Exilregierung aufgrund mangelnder außenpolitischer Unterstüt-
zung nie bilden konnte, waren die politischen Meinungsführer nach Kriegsende nur in losen
Gruppierungen organisiert,39 die sich zum Großteil aus den zuvor verbotenen Parteien zu-
sammensetzten.40
Die Siege der Sowjetischen Armee und die daraus resultierende Eroberung Wiens, des Bur-
genlands und Teilen Niederösterreichs im April 194541 ermöglichten diesen losen Gruppie-
rungen sich in Ostösterreich als politische Parteien zu organisieren, während die Kampfhand-
lungen im Restösterreich noch nicht beendet waren. In den drei Parteien, die in Zusammen-
arbeit an der Wiederherstellung des österreichischen Staates arbeiteten („Sozialistische Par-
tei Österreichs“, „Österreichische Volkspartei“ und „Kommunistische Partei Österreichs“),
herrschte weitgehender Konsens darüber, dass es eine Rückkehr zur Republik Österreich
geben sollte. Dennoch gab es Stimmen, die sich für eine Vereinigung mit Deutschland aus-
sprachen, etwa in der Sozialdemokratie („Austromarxismus“), und sich bei gleichzeitiger Ab-
lehnung des nationalsozialistischen Faschismus für eine Beibehaltung der Vereinigung von
Deutschland und Österreich aussprachen.42 Trotz der marxistischen Stimmen im Lager der
SPÖ lehnte diese eine Aktionsgemeinschaft mit der KPÖ bereits 1945 ab, wodurch die Sow-
jetunion sich in Österreich nur auf die KPÖ als politische Verbündete stützten konnte, nicht
aber das gesamte mit dem Marxismus sympathisierende Lager, wie in anderen von der Sow-
jetunion besetzten Ländern.43
Die genannten Parteien konnten sich zunächst nur in der sowjetischen Besatzungszone be-
tätigen. Erst ab Mitte September bzw. Oktober (OÖ) 1945 wurden SPÖ, ÖVP und KPÖ für
das gesamte österreichische Staatsgebiet zugelassen.44
3. Die Wiederherstellung der Republik
3.1. Die Österreichische Erklärung der Unabhängigkeit
Noch vor der Schlacht um Wien, am 4. April 1945, sprach die sowjetische Führung dem
Staatsmann Karl Renner das Vertrauen zur Bildung einer Zentralverwaltung aus; und sicherte
ihm die Unterstützung beim Wiederaufbau der demokratischen Ordnung in Österreich zu.45
Es folgte eine Sitzung mit Renner und Vertretern der sowjetischen Seite über eine Regie-
rungsbildung, bei welcher die Sowjets der einzige Gesprächspartner auf Seiten der Alliierten
waren.46
Kurz nach der Befreiung Wiens fanden zwei wichtige Parteineugründungen statt: Die Grün-
dung der „Sozialistischen Partei Österreichs“ durch Vereinigung der „Revolutionären Sozia-
listen“ und der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“; sowie die Gründung der „Österreichi-
schen Volkspartei“, die im Wesentlichen Nachfolgepartei der „Vaterländischen Front“ und der
Christlichsozialen war.47 Parteiführer dieser beiden Parteien, sowie der Kommunistischen
Partei Österreichs, die illegal fortbestanden hatte48, traten erstmals am 20. April 1945 unter
Karl Renner zu Verhandlungen über die Bildung einer österreichischen Zentralgewalt zusam-
men. Im Hintergrund drängten die sowjetischen Besatzer auf eine schnelle Regierungsbil-
dung. Es sollte ein möglichst großer sowjetisch-kommunistischen Einfluss auf die künftige
Regierung gesichert werden, bevor auch die Westalliierten an den Verhandlungstisch treten
würden.49
43 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 257. 44 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 370. 45 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 104. 46 Vgl Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung 1945-1955, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart Band 2 (1997) 157; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 102ff. 47 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 369. 48 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 369. 49 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 113.
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Unter Karl Renner einigten sich die Parteien auf die personelle Zusammensetzung einer „Pro-
visorische Staatsregierung“, bestehend aus Vertretern der drei verhandelnden Parteien, in
annähernd gleich starker Besetzung.50 Die Mitglieder der Prov. Staatsregierung trafen sich
schließlich am 27.4. 1945 zur ersten (konstituierenden) Sitzung im Wiener Rathaus51 und
traten, zu einem Zeitpunkt, in dem Österreich teils von alliierten, teils noch von deutschen
Truppen besetzt war, mit drei verfassungsrechtlich relevanten Erklärungen hervor:52
Die erste Erklärung war eine von den Vorständen der drei Parteien gezeichnete „Unabhän-
gigkeitserklärung“, genannt „Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs“.53 Darin
wurde unter Berufung auf die Moskauer Deklaration die Wiederherstellung der Republik Ös-
terreich und ihre Ausgestaltung im Geiste der Verfassung 1920 idF 1929 verkündet und der
dem österreichischen Volk aufgezwungenen Anschluss als „null und nichtig“ erklärt.54 Zudem
wurden die österreichischen Bürger von den dem Deutschen Reich geleisteten Gelöbnissen
entbunden und wieder in „staatsbürgerliche Pflicht“ und Treue zur Republik Österreich ge-
nommen.55 Mit der Unabhängigkeitserklärung eignete sich die Prov. Staatsregierung auch die
oberste staatliche Vollziehung sowie die Kompetenz zur Gesetzgebung an, soweit dies durch
die besetzenden Mächte gestattet wurde.56
Zu einem solchen Schritt waren die drei Parteien nach der bis dahin noch geltenden NS-
Rechtsordnung nicht befugt. Die Staatsgründung ist daher nicht als „normale“ Verfassungs-
gesetzgebung, sondern als Bruch der Rechtskontinuität und damit im staatsrechtlichen Sinne
als revolutionärer Akt der Rechtsschöpfung und historisch erste Verfassung zu sehen.57 Zu-
dem kann die Unabhängigkeitserklärung auch als politische Proklamation gesehen werden,
die einen Verfassungsbruch mit der Verfassung 1934 erklärt, da nicht diese, sondern deren
Vorgängerverfassung (Verfassung 1920 idF 1929) wiederhergestellt werden soll.58
Die zweite Erklärung war die „Kundmachung über die Einsetzung einer provisorischen Staats-
regierung“, in der die Einsetzung und Zusammensetzung der neuen Regierung verkündet
Grundsätzlich wurde aber, im Gegensatz zu 1918, die Unabhängigkeit Österreichs vom Groß-
teil der österreichischen Bevölkerung bejaht; während der Besatzungszeit hatte sich ein spe-
zifisch österreichisches Nationalbewusstsein entwickelt. Dieses wurde in den Folgejahren von
der Regierung bewusst gefördert, um den Gedanken einer österreichischen Einheit zu stär-
ken, etwa durch die 950-Jahr-Feier Österreichs 1946 und die Herausgabe des Österreichi-
schen Wörterbuch 1951.66
3.2. Die Verfassungsüberleitung
Am 1.5.1945 folgten Verfassungsgesetze, die die Grundzüge der Erklärung vom 27.4.1945
verankerten. Mit dem „Verfassungsgesetz vom 1.Mai 1945 über das neuerliche Wirksamwer-
den des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929“ (Verfassungs-Überleitungs-
gesetz – V-ÜG)67 wurde ein erster wichtiger Schritt zur Rückkehr in die Souveränität gesetzt.
Es setzte das B-VG 1920 in der Fassung von 1929, sowie das übrige Bundesverfassungs-
recht und in einfachen Gesetzen enthaltene Verfassungsrecht in Wirksamkeit, und zwar „nach
dem Stande der Gesetzgebung vom 5. März 1933“. Alle in der ständestaatlichen Zeit, also
nach der sogenannten Selbstausschaltung des Nationalrates, erlassenen Bestimmungen ver-
fassungsrechtlichen Inhalts sowie alle das Verfassungsrecht betreffende Anordnungen des
Deutschen Reiches waren damit als aufgehoben anzusehen.68 In Artikel 3 V-ÜG wurden be-
sonders markante Normen als „insbesondere“ aufgehoben erklärt; so etwa die Verfassung
1934 sowie dazugehörige verfassungsrechtliche Bestimmungen, das Bundesverfassungsge-
setz 1934 über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung (Ermächtigungsge-
setz)69, das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz)70 und
das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich 1938 (An-
schlussgesetz)71.
66 Vgl Olechowski, Rechtsgeschichte 117. 67 Verfassungs-Überleitungsgesetz StGBl 1945/4. 68 Vgl Ermacora, Österreichische Verfassungslehre 62. 69 Ermächtigungsgesetz BGBl I 1934/255. 70 Ostmarkgesetz dRGBl I 1939, 777. 71 Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich dRGBl I 1938, 237.
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3.3. Die Rechts- und Behördenüberleitung
Zugleich erließ die Regierund das Rechtsüberleitungsgesetz (R-ÜG)72, mit dem das gesamte,
unterhalb der Verfassung stehende Recht (Gesetze und Verordnungen) in die neue Rechts-
ordnung übergeleitet wurde.73
Mit dem R-ÜG wurde jener Rechtsbestand, der während der deutschen Besatzungszeit ge-
golten hatte, wieder in Geltung gesetzt, also auch nach dem 13. März 1938 eingeführte Best-
immungen.74 Als ausgenommen galten nach § 1 R-ÜG jene Bestimmungen, die „mit dem
Bestand eines freien und unabhängigen Staates Österreich oder mit den Grundsätzen einer
echten Demokratie unvereinbar sind“, „dem Rechtsempfinden des österreichischen Volkes
widersprechen“ oder „typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthalten“.
Hinsichtlich der vor dem 13. März 1938 erlassenen einfachen Gesetze und Verordnungen
ging das R-ÜG im Sinne des Okkupationsprinzips von einer stillschweigenden Annahme der
Weitergeltung dieser Vorschriften aus.75
Zur Präzisierung der vage formulierten Generalklausel aus § 1 R-ÜG erließ die Regierung
später Kundmachungen zu jenen Bestimmungen, die außer Kraft treten sollen.76 Im Sinne
der Generalklausel wurden z.B. die Nürnberger Rassengesetze von der Überleitung ausge-
nommen, ebenso wie das deutsche Gemeinderecht. Einige deutsche Gesetze wurden über-
geleitet77, etwa das Handelsgesetzbuch,78 das Aktiengesetz,79 und das Ehegesetz 1938.80
Eine vollständige Erfassung des gesamten reichsdeutschen Rechts ist nie erfolgt; der VfGH
bejahte hier die Prüfungskompetenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden auf Anwendbar-
keit von Normen, die nicht in den genannten Kundmachungen enthalten waren.81
Dieses Besatzungsregime der vier Mächte wurde nach langen Verhandlungen der EAC in
London im Abkommen über die Alliierte Kontrolle in Österreich (Erstes Kontrollabkommen)114
vom 4.7.1945 geregelt. Das Abkommen stellte seinem rechtlichen Charakter nach einen Ver-
trag zu Lasten Dritter dar: Es handelte sich nicht um einen Vertrag zwischen Österreich und
den alliierten Mächten, sondern einen Vertrag zwischen den alliierten Mächten mit Österreich
als bloßem Vertragsobjekt, über das Kontrolle ausgeübt werden soll.115
Das Abkommen war von der Vorstellung getragen, eine Art Militärregierung für Österreich
einzurichten und orientierte sich an der Kontrollmaschinerie, die für Deutschland vorgesehen
wurde: In mehreren Artikeln wurde gesetzesartig ein Kontrollsystem beschrieben, an dessen
Spitze die Alliierte Kommission stand, bestehend aus einem Alliierten Rat, einem Exekutivko-
mitee und einer Reihe von Sachabteilungen.116
Der Alliierte Rat setzte sich aus je einem Hochkommissar pro Besatzungsmacht zusammen,
die gleichzeitig die Oberstkommandierenden der in den Zonen stationierten Streitkräfte waren
und der eigenen Regierung gegenüber weisungsgebunden waren. Der Alliierte Rat war für
Fragen, die Österreich in seiner Gesamtheit betrafen, zuständig; seine Beschlüsse waren
einstimmig zu fassen und wurden in einem gemeinsamen Amtsblatt – „Gazette of the Allied
Commission for Austria“ verlautbart. Das Exekutivkomitee führte die Beschlüsse des Alliierten
Rates, unter Verwendung der entsprechenden Sachabteilungen aus; in beiden Einrichtungen
waren ebenfalls alle vier Besatzungsmächte vertreten.117 Zudem wurde eine eigene Militär-
gerichtsbarkeit, neben der österreichischen Gerichtsbarkeit, eingeführt.118
Die vornehmlichen Aufgaben des Alliierten Rates waren die Verwirklichung der Trennung Ös-
terreichs von Deutschland, der Aufbau einer Zentralverwaltung und die Errichtung einer frei
gewählten österreichischen Regierung zu ermöglichen. Bis eine durch freie Wahlen zustande
gekommene österreichische Zentralverwaltung eingerichtet war, sollten die Besatzungsbe-
hörden alle anfallenden Aufgaben übernehmen und nach Errichtung besagter Zentralverwal-
tung eine Kontrollfunktion über deren Tätigkeiten ausfüllen. Der Alliierte Rat übernahm
schließlich am 11. September 1945 die oberste Machtposition in Österreich. Im Unterschied
114 Abgedruckt bei Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 188ff. 115 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 8f; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 374f. 116 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 374f. 117 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 8; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 374f. 118 Vgl Baltl/Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte 283.
20. März 2019 Alexandra Ditze 24/56
zu der gleichen Einrichtung in Berlin („Alliierter Kontrollrat“) blieb der Alliierte Rat in Österreich
auch während der Zuspitzung des Ost-West-Konflikts funktionstüchtig.119
Die österreichische Regierung war während der Geltung des Kontrollabkommens in allen Be-
langen von der Zustimmung des Alliierten Rates abhängig. Unscharfe Formulierungen führten
dabei zu verschiedenen Auffassungen darüber, welche Kompetenzen der Alliierte Rat tat-
sächlich für sich beanspruchte; zudem hatte die Forderung nach Einstimmigkeit bei Beschlüs-
sen infolge von Meinungsverschiedenheit der Kommissare oft langwierige Blockierungen der
alliierten und damit auch der österreichischen Regierungstätigkeit zur Folge.120
Das Kontrollabkommen wurde von Österreich nie formell-rechtlich anerkannt; die Besat-
zungsmächte wurden als „höhere Gewalt“ hingenommen; gegen die alliierte Besetzung wurde
wiederholt als „jeder völkerrechtlichen Grundlage entbehrend“ protestiert.121
4.1. Die Besatzungszonen
Die Diplomaten der EAC, die zur Regelung der Verwaltung und Besatzung des Deutschen
Reiches geschaffen worden war, arbeitete auch die Teilung Österreichs in vier Besatzungs-
zonen und die Vierteilung Wiens aus, über welche am 9. Juli 1945 ein Abkommen geschlos-
sen wurde (Zonenabkommen).122 Diese geplanten Besatzungszonen stimmten nicht mit den
kriegsbedingten Truppenstandorten überein, daher kam es, noch im selben Monat, zum Zo-
nenaustausch: Frankreich übernahm Tirol von Amerika, die Briten übernahmen Steiermark,
und die Sowjets das Mühlviertel, das bis dato amerikaniasche Truppen besetzten.123 Schluss-
endlich sahen die Zonen folgendermaßen aus: Die UdSSR kontrollierte Niederösterreich, das
Burgenland sowie das Mühlviertel; das restliche Oberösterreich sowie Salzburg unterstanden
der Kontrolle der USA; Tirol und Vorarlberg fielen unter französische Kontrolle und Kärnten,
Steiermark und Osttirol unter britische Kontrolle. Wien wurde eigens in vier Sektoren geteilt,
119 Vgl Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 156; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 374f. 120 Vgl Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 115; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 133. 121 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 133. 122 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 5f; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 134. 123 Vgl Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 156.
20. März 2019 Alexandra Ditze 25/56
der 1. Bezirk wurde mit den Ämtern der Zentralregierung zum internationalen Sektor der Be-
satzungsmächte erklärt, die sich in dessen Verwaltungsführung monatlich ablösen.124 Diese
Regelung war einzigartig, einen vergleichbaren internationalen Sektor gab es etwa in Berlin
nicht.125
In den ersten Monaten blieben die Zonen wirtschaftlich und politisch strikt voneinander ge-
trennt. Die Zonengrenzen waren nur in Wien ohne Kontrolle passierbar; beim Übertritt von
der sowjetischen in andere Zonen gab es genaueste Kontrollen. Generell war bei Zonenüber-
tritt eine viersprachige Identitätskarte als Ausweis notwendig, die am 8. Oktober 1945 als
amtliches Ausweisdokument für alle Österreicher eingeführt wurde.126
4.2. Die Situation in den Ländern
Da die vier Besatzungszonen in den ersten Wochen voneinander abgeschlossen waren, ent-
wickelte sich der Aufbau der staatlichen Verwaltung in den Ländern relativ unkoordiniert und
in den Besatzungszonen der Westalliierten ohne Verbindung zur Prov. Staatsregierung in
Wien. In der amerikanischen und der französischen Zone blieb eine parteipolitische Betäti-
gung bis zum Herbst überhaupt verboten.127
In den Besatzungszonen der Westalliierten wurde die Landesgewalt unabhängig von der
Prov. Staatsregierung von der jeweiligen Besatzungsmacht eingesetzt. Einzelne Länder
(Salzburg, Oberösterreich)128 erkannten jedoch informell die Prov. Staatsregierung an oder
erklärten, Gesetze der Prov. Staatsregierung soweit wie möglich durchführen zu wollen.129
Da Oberösterreich zum Teil der US-Besatzungszone, zum Teil der sowjetischen Zone zuge-
teilt wurde, wurde eine eigene Landesregierung für das Mühlviertel geschaffen, allerdings
ohne die Absicht dadurch die verfassungsmäßige Einheit Oberösterreichs zu gefährden.130
In Wien, Niederösterreich, dem Burgenland und dem Mühlviertel wurde im Frühjahr 1945 die
Vorläufige Verfassung effektiv. Dort übte die Prov. Staatsregierung auch die den Ländern
124 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 373f; Stourzh, Der Weg zum Staatsvertrag, in Weinzierl/Skalnik (Hrsg), Österreich Die Zweite Republik Band 1 (1972) 204. 125 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 8. 126 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 135, 144. 127 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 263. 128 Vgl Mulley, Staatsgründung 1945 Bemerkungen zur personellen und föderalen Rekonstruktion der Republik Österreich im Jahre 1945, in Petrin/Rosner (Hrsg), Die Länderkonferenzen 1945 (1995) 25f. 129 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 382ff. 130 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 263; StGBl 1945/115.
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zustehende Gesetzgebung und Verwaltung aus; sie setzte aufgrund eines von den Vorstän-
den der politischen Parteien des Landes erstatteten Vorschlages für jedes dieser Länder ei-
nen Landeshauptmann und Stellvertreter ein. Diese führten in Weisungsgebundenheit ge-
genüber den zuständigen Staatsämtern die staatliche Verwaltung im Land aus.131 Im Laufe
des Mai 1945 waren schließlich in Bundesländern aller Besatzungszonen provisorische Lan-
desregierungen errichtet worden.132
Die Vorläufige Verfassung 1945 hatte die Beibehaltung der historischen Ländergrenzen an-
geordnet; die Bundesländer wurden daher im Laufe der Besatzungszeit im Wesentlichen wie-
der in ihrem alten territorialen Ausmaß wiederhergestellt. Das Burgenland, das zuvor auf Nie-
derösterreich und die Steiermark aufgeteilt worden war, wurde zum 1. Oktober 1945 wieder-
errichtet;133 Niederösterreich erhielt wegen Widerstandes der Besatzungsmächte erst im
Jahre 1954 Gemeinden zurück, die zuvor Wien angegliedert worden waren.134 In den westli-
chen Zonen stellten die Länder die Landesgrenzen selbst wieder her: Osttirol und Nordtirol
vereinigten sich wieder, das Ausseerland wurde wieder Teil der Steiermark.135
Bei der 1. Tagung der gesamtösterreichischen Länderkonferenz im September 1945 kam es
zum ersten politischen Kontakt von Vertretern der Länder sowie des Bundes, was für die
Erhaltung der Einheit Österreichs von entscheidender Bedeutung war.136 Im Rahmen der
Konferenz erkannten sich wechselweise die Prov. Staatsregierung und die Prov. Landesre-
gierungen an.137 Auf Wunsch der Länder wurde eine Änderung der Vorläufigen Verfassung
ausgearbeitet und in der Oktober-Novelle138 festgehalten. Damit wurde die Gesetzgebungs-
kompetenz der Prov. Staatsregierung eingeschränkt; sie konnte fortan nur noch zu den in der
Bundesverfassung dem Bund zustehende Angelegenheiten die Gesetzgebung ausüben. Üb-
rige Angelegenheiten gingen in die Gesetzgebungskompetenz der Provisorischen Landesre-
gierungen über. Mit Wirksamwerden der Novelle am 21. Oktober wurde die föderalistische
Struktur wiederhergestellt.139 Die Landesgesetzgebung und -verwaltung übte damit gemäß
131 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 383. 132 Vgl Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 155. 133 Burgenlandgesetz StGBl 1945/143. 134 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 263. 135 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 383. 136 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 142. 137 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 383. 138 Verfassungsgesetz über einige Abänderungen der Vorläufigen Verfassung StGBl 1945/196. 139 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 144; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 382ff; Adamovich, Handbuch 32.
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der Kompetenzaufteilung der Verfassung 1920/1929 die Provisorische Landesregierung aus;
deren Gesetzesbeschlüsse konnten von der Prov. Staatsregierung binnen vier Wochen be-
einsprucht werden.140
Mit dieser gegenseitigen Anerkennung von Bund und Ländern und der formellen Einrichtung
der Landesgewalten endeten auch Bestrebungen, in Westösterreich eine Gegenregierung
aufzustellen. Durch Hereinnahme von Politikern aus den westlichen Bundesländern wurde
zudem die Staatsregierung umgebildet, und der Einfluss der westlichen Länder, in denen die
ÖVP stark vertreten war, ausgebaut.141
4.3. Das Memorandum des Alliierten Rates
Als Reaktion auf das Ergebnis der Länderkonferenz erfolgte am 20. Oktober 1945 ein Memo-
randum des Alliierten Rates;142 damit erkannten nun auch die vier Besatzungsmächte die
Autorität der provisorischen Regierung bezüglich des gesamten Staatsgebietes unter Aufla-
gen an.143
Im Memorandum wurde zugestanden, dass die Prov. Staatsregierung ihr Amt unter „Führung
und Kontrolle“ des Alliierten Rates auf dem gesamten Staatsgebiet ausüben könne. Auch
eine grundsätzliche Ermächtigung zur Gesetzgebung wurde erteilt; zur Kundmachung der
Gesetze solle aber die einstimmige Zustimmung des Alliierten Rates notwendig sein. Darüber
hinaus solle den Alliierten eine „militärische Reichsgesetzgebung“ zustehen.144
Die Stellungnahme ist nicht als de-jure, sondern bloße de-facto Anerkennung der Regierung
Renner zu werten.145 Auch die Planung bezüglich freier Wahlen wurde konkretisiert; diese
sollten die Prov. Staatsregierung bis spätestens 31. Dezember 1945 abhalten.146
140 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 383; Adamovich, Handbuch 32. 141 Vgl Mulley, Staatsgründung 1945, in Petrin/Rosner (Hrsg), Die Länderkonferenzen 1945 31. Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 101. 142 Vgl Olechowski, Rechtsgeschichte Materialien und Übersichten 135. 143 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 145; Adamovich, Handbuch 31ff; Schüssel, Das Werden Österreichs 247. 144 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 264. 145 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 145; Adamovich, Handbuch 31ff; Schüssel, Das Werden Österreichs 247. 146 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 375; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 146.
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4.4. Die Wahlen und die weitere politische Entwicklung
Mit Billigung des Alliierten Rates wurde schließlich ein Verfassungsgesetz über die erste Wahl
des Nationalrates erlassen (Wahlgesetz)147; am 25.11.1945 wurden die Wahlen zum Natio-
nalrat, zu den Landtagen und dem Gemeinderat Wien abgehalten.148 Sie fanden unter
schwierigen Verhältnissen statt, da sich viele Wahlberechtigte noch in Kriegsgefangenschaft
befanden und registrierte Nationalsozialisten von der Wahl ausgeschlossen waren.149 Zur
Wahl standen nur die drei Lizenzparteien – ÖVP, SPÖ und KPÖ – da nur diese von den
Alliierten die Lizenz einer politischen Betätigung erhalten hatten.150 Die Ergebnisse zeigten
eine starke pro-westliche Einstellung der Bevölkerung auf; die Kommunistische Partei erlitt
eine schwere Niederlage (ÖVP: 85 Mandate, SPÖ: 76 Mandate, KPÖ: 4 Mandate).151 Damit
waren die Voraussetzungen für eine demokratische Ordnung im Sinne der Westalliierten ge-
schaffen.152
Im Gegensatz zu Österreichs Nachbarländern Ungarn und der Tschechoslowakischen Re-
publik, in denen in den kommenden Jahren kommunistische Regimes an die Macht kamen,
sank der Kommunismus in Österreich in die Bedeutungslosigkeit herab153 - die KPÖ musste
ihre beiden wichtigen Ministerien (Innen- und Bildungsministerium) abgeben. Da aber die
sowjetische Besatzungsmacht weiterhin in Österreich präsent war, schien es ratsam, die KPÖ
nicht voll aus der Regierung auszuschließen; es wurde wieder eine Allparteienregierung ge-
bildet, und der KPÖ ein neu geschaffenes Ministerium für Energiewirtschaft zugestanden.154
Leopold Figl erhielt das Amt des Bundeskanzlers, Vizekanzler wurde Adolf Schärf. Am 20.
Dezember 1945 wurde der vormalige Bundeskanzler Karl Renner von der Bundesversamm-
lung zum Bundespräsidenten gewählt.155
147 StGBl 1945/198. 148 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 147. 149 Vgl Vocelka, Geschichte Österreichs2 (2002) 319. 150 Vgl Ermacora, Österreichische Verfassungslehre 62. 151 Vgl Zöllner, Geschichte Österreichs 531. 152 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 147. 153 Vgl Hanisch, Österreichische Gesellschaftsgeschichte 416, Olechowski 119. 154 Vgl Zöllner Geschichte Österreichs 531f; Olechowski, Rechtsgeschichte 119f. 155 Vgl Schüssel, Das Werden Österreichs 248.
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Nach Durchführung der Wahlen wurde das „2. Verfassungs-Überleitungsgesetz“ 1945156 er-
lassen: die Kompetenzen der provisorischen Organe wurden damit, mit wenigen Ausnahmen,
wieder auf die im B-VG 1920/29 vorgesehenen übertragen. Das B-VG 1920/29 solle mit dem
ersten Zusammentreten des Nationalrates am 19.12.1945 in vollem Umfang wieder in Wirk-
samkeit treten und die vorläufige Verfassung mit dem gleichen Tag außer Wirksamkeit tre-
ten.157 Das 2. V-ÜG wurde vom Alliierten Rat zunächst nicht genehmigt, nach einem Behar-
rungsbeschluss des Nationalrates sah der Alliierte Rat aber von einer Blockierung der Gel-
tung der Wiederinkraftsetzung des B-VG ab.158 Nach herrschender Lehre und Judikatur des
VfGH endete daher mit dem Tag des ersten Zusammentretens des Nationalrats am
19.12.1945 der verfassungsrechtliche Übergangszustand.159
Durch die Abhaltung der freien Wahlen und die Regierungsbildung stand Österreich davor,
seinen Status als Völkerrechtssubjekt zurückzuerhalten; die Phase der völligen Bevormun-
dung durch die Alliierten ging zu Ende.160 Die Regierung Figl erhielt am 7. Jänner schließlich
die Anerkennung der vier Großmächte. Im Anerkennungsschreiben wurde jedoch auf ein
Neues die oberste Autorität des Alliierten Rates festgehalten; nur die Vertreter der Sowjet-
union verzichten auf diesen Hinweis. Das Schreiben ist als De-jure-Anerkennung der Regie-
rung zu werten, denn mit Abhaltung der Wahlen war eine wesentliche Zielbestimmung des
Ersten Kontrollabkommens erreicht.161
Auch nach dem Eintreten der vollen Wirksamkeit des B-VG konnte von einer Rückkehr in die
Souveränität nicht gesprochen werden; sie war faktisch weiter beschränkt.162 Es kam in der
Folge zu gespaltenen Ansichten darüber, wie es mit Österreich weitergehen sollte. Auf briti-
sche Initiative wurde an einem Zweiten Kontrollabkommen gearbeitet, während die amerika-
nische Regierung eine frühe Wiederherstellung der österr. Souveränität anstrebte.163
156 StGBl 1945/232. 157 Vgl Ermacora, Österreichische Verfassungslehre 62; Olechowski, Rechtsgeschichte 119; Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 262. 158 Vgl Baltl/Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte 284. 159 Vgl Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Verfassungsrecht 38; Hellbling, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 470. 160 Vgl Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 118. 161 Vgl Stourzh, Der Weg zum Staatsvertrag, in Weinzierl/Skalnik (Hrsg), Österreich Die Zweite Republik Band 1 205. 162 Vgl Ermacora Österreichische Verfassungslehre 63; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 135. 163 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 10.
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Bei der Pariser Tagung des Rates der Außenminister Ende April 1946 zur Vorbereitung der
Friedensverträge nahm Österreich eine „Zwischenstellung“ ein. Es wurde nicht grundsätzlich
als kriegführender Staat behandelt, aber dennoch als Teil des Deutschen Reiches, und damit
nicht als reiner Opferstaat, sondern in gewisser Weise als mitschuldig an den Kriegshandlun-
gen; es galt als befreit aber nicht als besiegt. Diese Zwischenstellung wurde von allen vier
Alliierten anerkannt.164
5. Das Zweite Kontrollabkommen der Alliierten (28. Juni 1946)
Schließlich setzte sich die Idee eines weiteren Kontrollabkommens gegenüber der Idee einer
schnellen Rückkehr Österreichs zur Souveränität durch. Am 28. Juni 1946 wurde das „Ab-
kommen über den Kontrollapparat in Österreich“165 (Zweites Kontrollabkommen) von den
Hochkommissaren der Vier Mächte unterzeichnet. Das Zweite Kontrollabkommen lockert die
Kontrolle insgesamt und mildert die Auflagen des Ersten Kontrollabkommens.166
Insbesondere die Frage der Gesetzgebung wurde durch das Kontrollabkommen beantwortet.
Das generelle Einspruchsrecht (Veto) jeder einzelnen alliierten Macht gegen vom Parlament
beschlossene einfache Gesetze wurde aufgehoben.167 Österreich wurde, gemäß Memoran-
dum des Alliierten Rates, eine Gesetzgebungsbefugnis zugestanden; die Gesetzgebungsbe-
schlüsse sowie internationale Abkommen mussten aber weiterhin dem Alliierten Rat vorge-
legt werden; dabei durfte angenommen werden, dass der Alliierte Rat seine Zustimmung er-
teilt habe, wenn er binnen 31 Tagen nach Einlangen der Vorlage nicht Einspruch erhebt.
Abkommen, die zwischen Österreich und einer der alliierten Mächte geschlossen werden sol-
len, sollten gar keiner Zustimmung des Alliierten Rates bedürfen.168
Auch war es Österreich grundsätzlich gestattet diplomatische und konsularische Beziehun-
gen mit Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen aufzunehmen. Die Aufnahme von Beziehun-
gen zu anderen Staaten, insbesondere zu ehemaligen Feindstaaten, bedurfte der vorherigen
Genehmigung durch die Alliierten.169
164 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 157. 165 Abgedruckt bei Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 193ff. 166 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 160. 167 Vgl Stourzh, Der Weg zum Staatsvertrag, in Weinzierl/Skalnik (Hrsg), Österreich Die Zweite Republik Band 1 207. 168 Vgl Adamovich, Handbuch 34f; Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 265. 169 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 265.
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In allen staatlichen Angelegenheiten sollten wieder österreichische Behörden eingesetzt wer-
den, Ausnahmen dazu waren Behörden die sich mit der Entmilitarisierung, den Angelegen-
heiten des deutschen Eigentums und der Behandlung Kriegsgefangener und Kriegsverbre-
cher beschäftigten. Auch die Begrenzungen im Zonenverkehr sollten aufgehoben werden,
nicht jedoch die Kontrolle.170
Trotz der Lockerungen ließ das Abkommen keinen Zweifel darüber aufkommen, wo die tat-
sächliche oberste Gewalt im Land lag, indem es bestimmte, dass die österreichische Regie-
rung und alle untergeordneten österreichischen Behörden die Anweisungen, die sie von den
Alliierten Kommissionen empfangen, auszuführen haben, sowie, dass jede Besatzungsmacht
eigenständig handeln kann, wenn es keinen entsprechenden Beschluss des Alliierten Rates
gibt. Die Verfassungsgesetzgebung war weiterhin von der ausdrücklichen Zustimmung des
Alliierten Rates abhängig. Ferner bestand ein (einstimmiges) Einspruchsrecht gegen jede „le-
gislative oder Verwaltungsmaßnahme“ mit dem Recht auf Aufhebung oder Abänderung.171
Auch im Zweiten Kontrollabkommen war Österreich kein Vertragspartner, sondern bloßes
Objekt der Kontrolle. Es entbehrte nach österreichischer Ansicht „jeder völkerrechtlichen
Grundlage“, da Österreich zu diesem Zeitpunkt bereits eine frei gewählte Volksvertretung und
eine verfassungsmäßig gebildete, sowie weithin international anerkannte Regierung be-
saß.172 Die Souveränitätsbeschränkungen werden von Österreich daher rechtlich nicht aner-
kannt, sondern nur faktisch hingenommen. Auch der Verfassungsgerichtshof vertrat in dieser
Phase den Standpunkt, die Maßnahmen der Alliierten seien als bloße Fakten, nie als Recht,
anzusehen.173 Die Regierung kommt in diesem Sinne auch der Forderung des Alliierten Rates
nicht nach, bis Juli 1946 eine „auf demokratischen Grundsätzen aufgebaute Verfassung zu
erlassen“, da die Verfassung 1920/29 dieses Kriterium nach alliierter Ansicht nicht erfülle. Die
Sowjetunion gab die Ablehnung der österreichischen Verfassung erst 1951 auf.174
Insgesamt war die (einfache) Gesetzgebungsmöglichkeit Österreichs wenig eingeschränkt,
da beim alliierten Einspruch Einstimmigkeit vorliegen musste, die aufgrund des Ost-West-
Konflikts selten zustande kam.175 Die Beschränkung der Verfassungsgesetzgebung hingegen
in die Wege geleitet.180 Generell verließen sich die sowjetischen Besatzer hierbei auf die ös-
terreichischen Behörden, während die Westalliierten die „Säuberungsaktionen“ durch eigene
Sicherheitsorgane durchführten.181
Im Juli 1946 wurde das „Erste Nationalsozialistengesetz“182 erlassen, das nach mehreren
Verschärfungen die Zustimmung des Alliierten Rates fand und Maßnahmen gegen die Belas-
teten und Minderbelasteten vorsah: Vermögensverfall, „Sühneabgaben“, Strafarbeiten, er-
zwungenes Verlassen der Wohnungen, Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts, Publi-
kations- und Auftrittsverbot, Ausschluss von bestimmten Berufen und dem Hochschulstu-
dium, vorzeitige Pensionierungen und Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst waren die
Folge.183 Nicht selten wurden mit den Angestellten des Öffentlichen Dienstes jene Personen
bestraft, die einem großen Druck der NSDAP beizutreten, ausgesetzt waren.184
Am 21. und 22. April 1948 wurden Amnestiegesetze185 wirksam, die die Minderbelasteten
(482.000 Personen) bzw. jugendliche Personen von den Sühnefolgen befreite, und ihnen so
auch die Teilnahme an den Wahlen 1949 ermöglichte. Im Jahre 1953 folgte eine Amnestie
für die „Belasteten“.186
Darüber hinaus wurden mit dem Kriegsverbrechergesetz187 für verschiedene Handlungen
schwere Strafen – mehrjährige Kerkerstrafen, sowie Todesstrafe – vorgesehen. Durch das
Verbotsgesetz wurden Volksgerichte eingeführt, die für diese schweren Fälle zuständig wa-
ren. Sie wurden mit zwei Berufsrichtern und drei Schöffen besetzt, wobei die Schöffen von
ÖVP, SPÖ und KPÖ nominiert wurden. 10 % der Verfahren endeten mit Schuldsprüchen und
43 Todesurteile wurden gesprochen.188
180 Vgl Zöllner, Geschichte Österreichs 532; Hanisch, Österreichische Gesellschaftsgeschichte 423; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 370f. 181 Vgl Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 169f. 182 BGBl 1947/25. 183 Vgl Olechowski, Rechtsgeschichte 120. 184 Vgl Zöllner, Geschichte Österreichs 533. 185 BVG über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für minderbelastete Personen BGBl 1948/99, BVG über die vorzeitige Beendigung der im Nationalsozialistengesetz vorgesehenen Sühnefolgen für jugendliche Personen BGBl 1948/70. 186 Vgl Zöllner, Geschichte Österreichs 533. 187 StGBl 32/1945. 188 Vgl Olechowski, Rechtsgeschichte 120.
Für die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher bereiteten die Alliierten die Nürnberger Pro-
zesse vor, die mit zahlreichen Todesurteilen endete, unter anderem für den ehemaligen ös-
terreichischen Innenminister und Bundeskanzler Seyß-Inquart.189
7. Die Staatsvertragsverhandlungen
Schon 1946 kam bei amerikanischen Diplomatengesprächen die Notwendigkeit eines Vertra-
ges mit Österreich zur Sprache, der endgültig dessen Souveränität wiederherstellen sollte,
wobei auch angesprochen wurde, dass die Bezeichnung als „Friedensvertrag“ unangemes-
sen sei, schließlich habe man mit Österreich keinen Krieg geführt.190
Österreich nehme eine besondere Stellung ein, erklärte auch der sowjetische Außenminister
Molotow auf der Pariser Tagung der Außenminister 1946, dessen Erklärung sich der US-
Außenminister Byrnes anschloss. Österreich habe keinen Krieg erklärt, es habe noch nicht
einmal über eine eigene Armee verfügt, es galt als befreit aber nicht besiegt. Es sei daher
auch anders zu behandeln, als die „Feindstaaten“ wie Ungarn, Rumänien oder Bulgarien, mit
denen man Frieden schließen müsse. Natürlich sei es auch keinesfalls den Siegermächten
wie Belgien oder der CSR zuzuzählen.191
Die eigentlichen Staatsvertragsverhandlungen mit Österreich begannen 1946 auf Grundlage
eines amerikanischen Entwurfs unter dem Titel „Vertrag betreffend die Wiederherstellung ei-
nes unabhängigen und demokratischen Österreich“, auf dem der spätere basierte.192
7.1. Der Kalte Krieg als Hindernis
Ab 1946 verdichteten sich die Spannungen zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten
zum sogenannten Kalten Krieg, der zur Aufteilung Europas in zwei Blöcke und auch zur Tei-
lung Deutschlands in die BRD und die DDR im Jahre 1949 führte. Die Gründung der beiden
Militärbündnissen NATO (1949) und Warschauer Pakt (1955) markierte den Abschluss dieser
189 Vgl Baltl/Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte 283. 190 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 10f. 191 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 10f. 192 Vgl Vocelka, Geschichte Österreichs 324, Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 12.
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Blockbildung.193 Die Nachkriegsordnung in Europa war der Hauptaustragungsort der Macht-
kämpfe der beiden Blöcke, damit waren auch die österreichischen Staatsvertragsverhandlun-
gen betroffen.
Zwar hatten die Alliierten in der Moskauer Erklärung ihre Absicht bekundet, ein „freies unab-
hängiges Österreich“ wiederherzustellen, doch wie dies von statten gehen sollte, wurde darin
nicht geregelt.194 Österreich war auch nicht Teil des „Prozentabkommens“ zwischen Stalin
und Churchill geworden, welches die Einflusssphären der Großmächte in Ost- und Südost-
europa regeln sollte;195 der Platz Österreichs in der Nachkriegsordnung blieb also zunächst
ungeregelt. Durch den einsetzenden Kalten Krieg verzögerten sich nicht nur die Verhandlun-
gen um den Staatsvertrag; es entstand auch eine latente Gefahr der Teilung Österreichs zwi-
schen den beiden Machtblöcken in Europa.196
Ein freies Österreich stand zunächst dem sowjetischem Interesse entgegen: Bis dato war der
Sowjetunion gestattet worden in Ungarn und Rumänien so viele Truppen zu unterhalten, „wie
zum Schutze ihrer Verbindungslinien nach Österreich notwendig sind“.197 Ein souveränes Ös-
terreich hätte den Abzug dieser Truppen zur Folge gehabt, und damit einen sowjetischen
Machtverlust in Europa. Die westlichen Alliierten, vor allem die USA, drängten deshalb auf
einen schnellen Vertragsabschluss.198 Zunächst setzte sich aber der britische Vorschlag ei-
nes zweiten Kontrollabkommens durch,199 das die USA als unnötige Übergangsmaßnahme
betrachteten.200
Die Niederlage der Kommunisten bei den ersten freien österreichischen Wahlen Ende 1945
sowie die kommunistische Machtübernahme in Ungarn 1947 und der Tschechoslowakei 1948
führten zu einem Abgehen der relativ freundlichen Österreichpolitik der Sowjetunion.201 Die
Einflussnahme der österreichischen Innenpolitik verlor für sie an Bedeutung, da die Ableh-
nung des Kommunismus in der österreichischen Bevölkerung stärker als erwartet war bzw.
193 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 372. 194 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 385. 195 Vgl Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 112. 196 Vgl Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 385. 197 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 168; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 386. 198 Vgl Stourzh, Der Weg zum Staatsvertrag, in Weinzierl/Skalnik (Hrsg), Österreich Die Zweite Republik Band 1 205; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 153. 199 siehe Kapitel 5. 200 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 13. 201 Vgl Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 118.
20. März 2019 Alexandra Ditze 36/56
das Ziel der sowjetischen Expansion in Mitteleuropa mit den Umstürzen 1947 und 1948 als
erreicht galt. Für die Sowjetunion rückte das Vorhaben der „bloßen“ wirtschaftlichen Ausbeu-
tung Österreichs in den Mittelpunkt.202
Die Westalliierten waren durch die Ausbreitung des Kommunismus in Europa alarmiert: Der
Verbleib ihrer Truppen in Österreich schien nunmehr als geboten, um eine befürchtete kom-
munistische Beeinflussung zu verhindern, das rasche Entlassen Österreichs in die Souverä-
nität wurde weniger energisch als zuvor verfolgt. Vor allem die Truman-Regierung der USA
ging in Österreich auf Konfrontationskurs mit der Sowjetunion; man versuchte eine „Westin-
tegration“ des Landes durch Investments in den Wiederaufbau des Landes zu erreichen. Am
2. Juli 1948 unterzeichnete Österreich den Marshall-Plan (offiziell European Recovery Pro-
gramm); ein Konjunkturprogramm der Vereinigten Staaten zum Aufbau der kriegsgeschädig-
ten Länder. Kurz darauf erreichten Lebensmittel und Kohle das Land, aber auch moderne
Maschinen.203 Sogar das österreichische Handelsdefizit von 200 Mio. Dollar wurde von den
USA ausgeglichen.204
Weitere Ereignisse, etwa der kommunistische Angriff auf Südkorea, oder die als kommunis-
tischer Putschversuch verstandenen Arbeiterunruhen in Ostösterreich führten zwischenzeit-
lich zu Verhärtungen der Fronten bis hin zu einer totaler Verweigerung von Verhandlungsge-
sprächen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion.205
Im Folgenden beschreibe ich zwei Problematiken genauer, die im Zuge des Ost-West-Konflikt
aufgekommen waren und dem Abschluss eines Staatsvertrages im Wege standen:
7.1.1. Die Frage des Deutschen Eigentums
Die Frage des Deutschen Eigentums war wohl eines der größte Hindernisse bei den Staats-
vertragsverhandlungen.206 Es ging dabei um die Frage, wer sich des sogenannten Deutschen
Eigentums auf österreichischem Boden bemächtigen durfte und wie dieser Begriff überhaupt
202 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 186; Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 119. 203 Vgl Hamann; Österreich 167; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 360 204 Vgl Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 118ff. 205 Vgl Baltl/Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte 285f; Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 123f 206 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 34.
20. März 2019 Alexandra Ditze 37/56
zu definieren war; die Frage war auch damit verknüpft, inwieweit und an wen Österreich Re-
parationen für Kriegsschäden zahlen sollte.207
Bei der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 wurde zunächst bestimmt, dass Österreich
grundsätzlich keine Reparationszahlungen leisten müsse, schließlich habe es, so wurde es
von sowjetischer Seite vorgebracht, noch nicht einmal eine eigene Armee besessen (etwa im
Unterschied zu Italien).208 Am letzten Tag der Konferenz wurde aber eine Art „verdeckte“ Re-
parationsleistung festgelegt: das im Ausland gelegene „Deutsche Eigentum“ („German For-
eign Property“209) solle je nach Zone, in der es gelegen war, der betreffenden Besatzungs-
macht zugesprochen werden; der Begriff des Deutschen Eigentums wurde dabei nicht weiter
definiert.210 Es wurde auch nicht auf die besonderen Umstände in Österreich Rücksicht ge-
nommen, 211 in dem während der deutschen Besatzung eine „Germanisierung“, eine erhebli-
che Eigentumsverschiebung hin zum Deutschen Reich durchgeführt wurde: Der deutsche
Anteil am Gesamtkapital der österreichischen Aktiengesellschaften war von neun Prozent im
Jahre 1938 auf 57 Prozent im Jahr 1945 gestiegen; in der Eisen- und Stahlerzeugung sogar
bei 70 Prozent und darüber.212
Auch im Zweiten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 fand der Begriff Erwähnung; jedoch
war er erneut unpräzise gehalten: Jedem Zonenkommandanten wurde bezüglich bestimmter
Materien die Vollmacht „unabhängigen Handelns“ erteilt, wenn der Alliierte Rat dagegen kei-
nen Einspruch erheben würde. Zu diesen Materien solle auch das Deutsche Eigentum zäh-
len;213 eine Definition des Begriffs und die Höhe des Anspruchs wurden nicht festgelegt.214
Bezüglich der Definition, was als Deutsches Eigentum zu gelten habe, legte jede der Vier
Mächte eigene, komplizierte Vorschläge vor. Grundsätzlich wurde unter dem Deutschen Ei-
gentum folgendes verstanden: Der in Österreich gelegene Grundbesitz, der Deutschen na-
türlichen oder juristischen Personen vor dem Anschluss 1938 gehört hatte; jeder Besitz, der
durch Deutsche nach 1938 nach Österreich gebracht wurde, sowie Industrieanlagen, die mit
207 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 38. 208 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 34. 209 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 135f. 210 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 161f. 211 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 34. 212 Vgl Weber, Wiederaufbau zwischen Ost und West, in Sieder/Steinert/Tálos, Österreich 1945 – 1955 (1995) 72f. 213 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 36f 214 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 161f.
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deutschem Kapital nach dem Anschluss gebaut worden waren und aller Besitz der von Deut-
schen nach dem Anschluss käuflich erworben worden war, wenn der Kaufpreis dem Wert der
Sache entsprach und nicht von Zwang beeinflusst worden war.215
Die Regierung der Sowjetunion argumentierte in dieser Frage hingegen expansiver: alles was
zum Ende des Krieges hin deutsch war – also auch durch Druck in die Hände der Deutschen
gelangt war – sollte als Deutsches Eigentum zählen und folglich der in der jeweiligen Zone
stationierten Siegermacht zustehen.216
Bevor diese Definitionsfrage geklärt war, erließ der sowjetische Hochkommissar am 5. Juli
1945 den Befehl Nr. 17 zur Übergabe des Deutschen Eigentums - und zwar nach sowjeti-
schem Verständnis - in der sowjetischen Zone an die Besatzungsmacht.217 Betroffen waren
etwa 300 Industrie- und Wirtschaftsanlagen mit etwa 55.000 Beschäftigten, darunter die be-
deutende Erdölindustrie im Marchfeld, die Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft, sowie 140
land- und forstwirtschaftliche Betriebe. 1946 begannen die sowjetischen Besatzungsbehör-
den damit diese Betriebe und Güter zu requirieren und in die sowjetisch verwalteten USIA-
Betriebe einzugliedern.218 In den nachfolgenden Jahren entnahm die UdSSR durch Requirie-
rung der Gewinne dieser Betriebe 2 – 2,5 Mrd $ aus der österreichischen Wirtschaft.219
Der Befehl Nr. 17 traf Österreich schwer und löste eine der schwersten Krisen der Besat-
zungszeit aus; denn die Lebensfähigkeit des kleinen Landes und die wirtschaftliche Unab-
hängigkeit waren dadurch erneut in Frage gestellt worden. Vizekanzler Schärf sah sich in
einem Privatbrief nach England mit dem „Ende des Landes“ konfrontiert, sollte man sich in
dieser Frage den Forderungen der Sowjetunion widerspruchslos unterordnen.220 Die Regie-
rung leitete als Reaktion eine Verstaatlichung der Schlüsselindustrie in die Wege. Die Groß-
industrie sollte so dem Zugriff anderer Staaten entzogen werden, und endgültig als politischer
Machtfaktor ausgeschaltet werden. Unter sowjetischem Protest, der einen Verstoß gegen das
215 Vgl Vocelka, Geschichte Österreichs 324. 216 Vgl Hanisch, Österreichische Gesellschaftsgeschichte 412; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 368f. 217 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 161. 218 Vgl Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 119; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 161; Hanisch, Österreichische Gesellschaftsgeschichte 412. 219 Vgl Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 162; Hanisch, Österreichische Gesellschaftsgeschichte 412. 220 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 161; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 37.
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zweite Kontrollabkommen geltend machte, wurden das 1. Verstaatlichungsgesetz 1946,221
welches im Wesentlichen Großindustrie und Banken betraf; sowie das 2. Verstaatlichungs-
gesetz 1947,222 das auf die Elektrizitätswirtschaft abzielte, beschlossen. Der Protest der Sow-
jetunion gegen dieses Gesetz drang beim Alliierten Rat nicht durch und die Gesetze konnten
nach Ablauf von 31 Tagen am 17. September 1946 in Kraft treten.223
Mit den beiden Gesetzen wurden 70 Industrieunternehmen und die drei größten österreichi-
schen Banken verstaatlicht. In der sowjetischen Zone konnten die Verstaatlichungen jedoch
bis 1955 nicht durchgeführt werden, da Österreich auf die betroffenen Vermögenswerte durch
die Eingliederung in den USIA-Konzern keinen Zugriff mehr hatte.224
Zwar vertrat auch die amerikanische Besatzung die Ansicht, eine Verstaatlichung verstoße
gegen das Zweite Kontrollabkommen, sie war aber dennoch nicht willens sich an dem sow-
jetischen Veto zu beteiligen. Die drei Westalliierten reagierten auf das sowjetische Vorgehen
sogar mit einem demonstrativem Verzicht auf das Deutsche Eigentum in ihrer Zone und über-
gaben die Betriebe in österreichische Treuhandschaft bis zu einer endgültigen Feststellung
über die Besitzverhältnisse und Definition des Deutschen Eigentums.225
Die Westmächte sahen sich bezüglich des Deutschen Eigentums mit einem Dilemma kon-
frontiert: Entweder man räumte der Sowjetunion als „Belohnung“ für den Abschluss eines
Staatsvertrages eine wirtschaftliche Stellung in Ostösterreich ein, die aber als Gefahr emp-
funden wurde; oder man bliebe unnachgiebig, was aber die Verhandlungen weiter verzögern
würde.226 Außenminister Gruber plädierte hier im Zusammenhang mit den Moskauer Bera-
tungen 1947 für ein Einlenken gegenüber der Sowjetunion, um zu einem baldigen Vertrags-
abschluss zu kommen; dahinter standen Sorgen vor den Folgen einer weiteren Eskalation
des Kalten Krieges, womöglich gar einer Teilung Österreichs.227
221 BGBl 1946/168. 222 BGBl 1947/81. 223 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 163. 224 Vgl Schüssel, Das Werden Österreichs 253; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 368f. 225 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 162, 201; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 37f. 226 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 39f. 227 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 41.
Konzepte, um den Forderungen der Sowjetunion soweit wie möglich entgegenzukommen,
ohne Eigentumsübertragungen vorzunehmen, waren etwa Rückkaufvorschläge oder eine Ab-
lösung gegen österreichische Staatspapiere. Bundespräsident Renner vertrat die strikte An-
sicht, das strittige Eigentum dürfe an keine fremde Macht abgegeben werden, Österreich
könne stattdessen etwa für die Dauer von 5 Jahren Naturallieferungen vornehmen, und so
der Sowjetunion das Produkt, nicht die Produktionsstätte geben.228
Mit dem französischen Cherrière-Plan näherte man sich einer Einigung: Dieser schlug vor,
dass es bezüglich der Erdölanlagen und der Donauwirtschaft zu prozentuellen Eigentums-
übertragungen kommen sollte, für alle anderen Werte eine Ablöse möglich sein sollte. Letzt-
endlich fanden 1949 – auch nach Eintreten der befürchteten Eskalationen in der weltpoliti-
schen Situation – viel weitgehenderen Eigentumsübertragungen an die Sowjetunion im Be-
reich der Erdölwirtschaft und der Donauwirtschaft einen Eingang in den Staatsvertragsentwurf
als es im Cherrière-Plan vorgesehen war,229 was eine schwere Schädigung der Wirtschafts-
struktur Österreichs darstellte. Die Frage, ob ein Näherrücken an die Unterzeichnung des
Staatsvertrages diese Schädigung wert war, spaltete die österreichischen Meinungsvertre-
ter.230 Der damalige Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten Bruno Kreisky sah die
Gefahr einer „halbkolonialen Abhängigkeit“ Österreichs, sollte der Vertrag tatsächlich unter
diesen Bedingungen geschlossen werden.231 Bundepräsident Karl Renner ließ vernehmen,
er würde den Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrags unter diesen Bedingungen zum
Trauertag erklären.232
7.1.2. Grenzfragen und Gebietsansprüche
Ein weiterer Konflikt, der dem Abschluss eines Staatsvertrages im Wege stand, waren die
jugoslawischen Gebietsforderungen. Im „Memorandum der Regierung der föderativen Re-
publik Jugoslawien über Slowenisch-Kärnten, die slowenischen Grenzgebiete der Steiermark
und die Kroaten des Burgenlandes“ erhob Jugoslawien territoriale Ansprüche sowie eine be-
sondere Stellung der im Burgenland lebenden Kroaten und Reparationszahlungen von 150
Mio. Dollar, wobei die Gebietsansprüche eine Fläche von 2470 Quadratkilometern und etwa
228 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 38-44. 229 Vgl Steininger, 15. Mai 1955: Der Staatsvertrag, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart Band 2 (1997) 220. 230 Vgl Steininger, Der Staatsvertrag, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 222. 231 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 68f. 232 Vgl Steininger, Der Staatsvertrag, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 222.
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190.000 dort lebende Einwohner betrafen.233 Probleme bereitete die Feststellung der Anzahl
der dort lebenden ethnisch slowenischen Bevölkerung; die jugoslawische Seite berief sich
hierbei auf Unterlagen, die noch aus 1846 stammten und 120.000 Slowenen bezifferten; die
österreichische Seite auf eine Volkszählung von 1934 die nur knapp 26.000 Slowenen ver-
zeichnete.234
1949 machte der sowjetische Außenminister deutlich, dass die jugoslawischen Ansprüche
nicht mehr mit denen der Sowjetunion übereinstimmen würden, dahinter stand der Bruch zwi-
schen Tito, dem Präsidenten Jugoslawiens, und Stalin im Juni 1948. Damit war die Frage der
jugoslawischen Ansprüche weitgehend gelöst, denn mit der Sowjetunion verlor Jugoslawien
seinen einzigen Fürsprecher unter den Alliierten; die Gebietsforderungen besaßen keine Er-
folgsaussichten mehr.235 Von österreichischer Seite gab es aber ein Entgegenkommen be-
züglich einer Aufnahme des Minderheitenschutzes in den Staatsvertrag.236 1949 einigten sich
die Vier Mächte darauf, dass ein Abschnitt zum Minderheitenschutz in den Staatsvertragsent-
wurf aufzunehmen sei, was mit Aufnahme des späteren Artikel 7 im Staatsvertrag umgesetzt
wurde.237
Auch die Tschechoslowakei stellte Gebietsforderungen entlang der Thaya und der March an
der Ostgrenze Österreichs, welche aber von Österreich selbst abgewehrt werden konnten.238
Die österreichische Regierung setzte sich während der Verhandlungen immer wieder für ei-
nen Rückgewinn Südtirols, oder zumindest dessen nördlichen Teils mit Brixen ein, scheiterte
aber. Dies lag zu großem Teil daran, dass die westlichen Alliierten für die unbedingte Beibe-
haltung der Brennergrenze eintraten, um dem Kommunismus in Italien keinen Auftrieb zu
geben. Italien hatte zu diesem Zeitpunkt schon einige Gebietsverluste hinnehmen müssen
und die italienische Diplomatie hatte den relativ starken Kommunismus in Italien als Druck-
233 Vgl Zöllner, Geschichte Österreichs 535; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 22f. 234 Vgl Vocelka, Geschichte Österreichs 324; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 22f. 235 Vgl Vocelka, Geschichte Österreichs 324; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 54ff. 236 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 55. 237 Vgl Steininger, Der Staatsvertrag, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 219. 238 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 263; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 377; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 29.
20. März 2019 Alexandra Ditze 42/56
mittel in seinen Friedensvertragsverhandlungen mit den Westalliierten genutzt. Die Südtirolf-
rage wurde damit nicht Teil der Staatsvertragsverhandlungen, sondern schon im italienischen
Es kam zum „Gruber-de-Gasperi-Abkommen“ vom 5.9.1946, abgeschlossen zwischen Au-
ßenminister Gruber und dem italienischen Außenminister de Gasperi, welches einen Minder-
heitenschutz der deutschen Bevölkerungsgruppe und eine territoriale Autonomie Südtirols
garantierte240 und die ethnische Eigenständigkeit der deutschen Volksgruppe sichern
sollte.241
7.2. Die Haltung der österreichischen Regierung
Am 15. Jänner 1947 legte Bundeskanzler Figl dem Nationalrat das 16-Punkte-Programm vor,
das die österreichischen Haltung in den Staatsvertragsverhandlungen enthielt. Die wichtigs-
ten Punkte waren die Wiederherstellung der Unabhängigkeit unter Einhaltung der Landes-
grenzen von 1937, eine demokratische Verfassung mit gleichem Wahlrecht und Rücksicht
auf den Schutz der allgemeinen Menschenrechte, die Unterstützung der Alliierten eines Ein-
tritts Österreichs in die Vereinten Nationen, die Beendigung der militärischen Besetzung,
keine Verpflichtung zu Reparationszahlungen und ein Kompromiss in der Frage des Deut-
schen Eigentums mit der Sowjetunion.242 1948 fokussierten sich die österreichischen Forde-
rungen, auch mit Hinblick auf die kommunistischen Umstürze in den Nachbarländern und die
jugoslawischen Gebietsforderungen, vor allem auf sicherheitspolitische Überlegungen, also
die Möglichkeit die Grenzen von 1937 notfalls verteidigen zu können, sowie sichere Grundla-
gen für eine wirtschaftliche Existenz Österreichs. Detailfragen zum Deutschen Eigentum und
die Forderung des Abzugs der Besatzungstruppen gerieten in den Hintergrund.243
239 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 15. 240 Vgl Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte 263. 241 Vgl Baltl/Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte 285; Schüssel, Das Werden Österreichs 249. 242 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 170; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 20. 243 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 188.
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7.3. Der Kurzvertrag
Im Frühjahr 1952 kam es zu einem Vorschlag der Westmächte, die Souveränität Österreichs
in einem sogenannten Kurzvertrag244 wiederherzustellen, der lediglich aus einer Präambel
und acht Artikeln bestand.245
Dieser behandelte viele Streitfragen nicht, war aber relativ günstig für Österreich formuliert
und sah unter anderem die Räumung des Landes von allen ausländischen Soldaten innerhalb
von 90 Tagen nach Unterzeichnung vor, sowie die Überlassung aller Güter an Österreich, die
als „Deutsches Eigentum“ beschlagnahmt wurden. Die Westmächte überreichten den Plan
am 13. März 1952 an die Sowjetunion, diese lehnte aber jedes Gespräch darüber ab,246 unter
einem Verweis darauf, dass der Kurzvertrag dem Potsdamer Abkommen widerspreche, die
Auflösung nationalsozialistischer Organisationen und die Frage der österreichischen Wieder-
bewaffnung nicht regele.247
Die Westalliierten rechneten wohl nicht ernstlich damit, dass die Sowjetunion den Kurzvertrag
annehmen würde; der Vertrag diente wohl eher dazu, deutlich zu machen, dass die Zuge-
ständnisse bezüglich Deutsches Eigentum ein „Ablaufdatum“ hatten und der Sowjetunion die
Verantwortung für den noch immer noch nicht zustande gekommenen Staatsvertrag zuzu-
schieben.248 In britischen und amerikanischen Diplomatenkreisen war zudem bekannt, dass
von allen Streitpunkten zwischen Ost und West vor allem die zukünftige politische Ausrich-
tung Deutschlands ein Punkt war, den die Sowjetunion geklärt wissen wollte, bevor eine Lö-
sung in der Österreichfrage gefunden werden konnte.249
8. Sowjetische Entspannungspolitik und das Moskauer Memorandum
Die starren Verhandlungsfronten lockerten sich im Frühjahr 1953, einerseits durch den Tod
Josef Stalins, andererseits durch ein Abweichen vom Konfrontationskurs mit der Sowjetunion
244 Abgedruckt bei Stourzh, Geschichte des Staatsvertrags, 220. 245 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 76. 246 Vgl Zöllner, Geschichte Österreichs 539. 247 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 77. 248 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 77. 249 Vgl Ermacora, Österreichische Verfassungslehre 64; Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 120f, 127.
20. März 2019 Alexandra Ditze 44/56
durch Bundeskanzler Raab.250 Es kam zu einer Entspannungspolitik zwischen der Sowjet-
union und Österreich: In Wien wurde eine sowjetische Botschaft eingerichtet, die Personen-
kontrollen und die Kontrolle des Güterverkehrs an den Demarkationslinien wurden aufgeho-
ben, mehrere zuvor besetzte Gebäude wurden freigegeben und die Postzensur sowie die
Brief- und Telefonverkehrskontrolle wurde aufgegeben. In einem Memorandum drückt die ös-
terreichische Regierung der Sowjetregierung ihren Dank für sowjetische Zugeständnisse aus
und zeigte die Bereitschaft zu bilateralen Gesprächen.251 Nachdem sich der Kurzvertrag als
aussichtslos herausgestellt hatte, teilt die österreichische Regierung im September 1953 der
Sowjetunion ihren offiziellen Verzicht darauf mit, auch in der Hoffnung auf ein Entgegenkom-
men in den künftigen Verhandlungen.252
Die österreichischen Vertreter versuchten in dieser Phase, mit der Hilfe von durch Indien er-
wiesene „gute Dienste“ erstmals eine Verbindung zwischen dem Staatsvertrag und einer
neutralen außenpolitischen Ausrichtung des Landes herzustellen; die Regierung zeigte Be-
reitschaft keine militärischen Bündnisse einzugehen und fremden Mächten keine militäri-
schen Stützpunkte zur Verfügung zu stellen. Der sowjetische Außenminister Molotow hielt
dieses bloße Versprechen aber nicht für ausreichend. 253
Bei der Berliner-Außenministerkonferenz 1954, bei der zum ersten Mal auch österreichische
Vertreter als Mitverhandelnde anwesend waren, wurde verdeutlicht, dass aus sowjetischer
Sicht die Österreichfrage nicht ohne eine Abklärung der weiteren Entwicklung Deutschlands
geklärt werden kann; der Friedensvertrag mit Deutschland müsse vor einem Staatsvertrag
mit Österreich geschlossen werden. Dahinter stand die Sorge vor einem Anschluss an
Deutschland und einer damit einhergehenden Einbindung Österreichs in das Westbündnis.
Die Westmächte lehnten diese „aufgezwungene“ Neutralität und rechtliche Verpflichtung zur
Neutralität ab. Insgesamt führte die Berliner Konferenz zu keiner nennenswerten Fortbewe-
gung in den Staatsvertragsverhandlungen.254
250 Vgl Bischof, Planung und Politik der Alliierten, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 124; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 251. 251 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 82ff. 252 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 253. 253 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 251 254 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 257f; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 121.
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Bruno Kreisky, der Mitglied der österreichischen Delegation war, schrieb zu dieser Zeit: „Ich
erwiderte ihm [gemeint ist US-Außenminister Dulles], dass sich kleine Staaten in einem Bünd-
nis mit großen, mächtigen Nationen sehr wohl fühlen könnten, für Österreich bei seiner geo-
graphischen und politischen Lage eine solche Lösung aber deshalb nicht denkbar wäre, weil
es seit 1945 einen Grundsatz der österreichischen Politik gebe: die Einheit des Landes auf-
rechtzuerhalten. Den Anschluss an eines der bestehenden Bündnissysteme ins Auge zu fas-
sen, würde unweigerlich die Teilung des Landes mit sich bringen […]“.255 Diese Zeilen zeigen,
dass die Sorge einer Teilung Österreichs bei den österreichischen Vertretern auch 1954 noch
groß war und der Wunsch, den Weg einer wie auch immer gearteten Neutralität zu gehen,
gehegt wurde.
Die Westmächte waren dem Begriff der Neutralität grundsätzlich eher abgeneigt. Man be-
fürchtete, Österreich könne dadurch zum Quasi-Einflussgebiet der Sowjetunion werden. Auch
könnte ein gefährlicher Präzedenzfall für das viel wichtigere Deutschland geschaffen wer-
den.256 Für die Sowjetunion hingegen gewann eine Bündnisfreiheit Österreichs an Attraktivi-
tät, nachdem die Neutralisierung Deutschlands mit den Pariser Verträgen vom 5. Mai 1955
endgültig gescheitert war.257 Ein neutrales Österreich würde die militärische Nord-Süd-Ver-
bindung innerhalb der NATO unterbrechen und könnte mit Schweden, Schweiz und Finnland
eine Pufferzone zwischen den Blöcken darstellen.258
In einer Grundsatzrede des Außenminister Molotows am 8. Februar 1955 vor dem Obersten
Sowjet, dem höchsten Legislativorgan der Sowjetunion, wurden vier Schlussfolgerungen zur
österreichischen Frage gezogen; unter anderem eine erneute Bekräftigung der Ansicht, dass
die österreichische Frage nicht vor der deutschen Frage gelöst werden könne, sowie die An-
sicht, Österreich müsse die Verpflichtung auf sich nehmen „keinerlei Koalitionen oder Militär-
bündnisse einzugehen“, die gegen einen Staat gerichtet waren, der sich an der Befreiung
255 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 259. 256 Vgl Steininger, Der Staatsvertrag, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 224. 257 Vgl Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 263. 258 Vgl Hanisch, Österreichische Gesellschaftsgeschichte 417, 452; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 386.
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Österreichs beteiligt hatte.259 Dies war eine Formulierung, die auch schon im (fehlgeschlage-
nen) sowjetischen Versuch zur Neutralisierung Deutschlands verwendet wurde.260
In der Stellungnahme zu den sowjetischen Forderungen durch Bundeskanzler Raab am 20.
März 1955 signalisiert Bundeskanzler Raab grundsätzliche Zustimmung zu den sowjetischen
Forderungen, bis auf jene, die eine Untrennbarkeit der deutschen und der österreichischen
Frage bestimme; die Gefahr eines Anschlusses sei ja durch das im Staatsvertragsentwurf
vorgesehene Anschlussverbot ausgeräumt.261
Auf Einladung der Sowjetunion kam es schließlich zur Entsendung einer österreichischen
Delegation (Bundeskanzler Julius Raab, Vizekanzler Adolf Schärf, Außenminister Leopold
Figl, Staatssekretär Bruno Kreisky) zu bilateralen Verhandlungen zum Staatsvertrag.262 Als
Kernthema der Verhandlungen und des sowjetischen Interesses stellte sich dabei schnell die
Neutralitätszusage Österreichs heraus. Beide Staaten gaben „Verwendungszusagen“ ab: Die
österreichischen Vertreter bekannten sich zur Neutralität nach Schweizer Vorbild; im Gegen-
zug machte die Sowjetregierung die Zusage, den Staatsvertrag abzuschließen, wenn Öster-
reich sein Versprechen bezüglich Neutralität einhalten werde.263 Österreich soll zu diesem
Zweck eine Deklaration abgeben, die das Land international dazu verpflichtet, „immerwäh-
rend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird“. Die Bun-
desregierung verpflichtete sich, diese Deklaration dem österreichischen Parlament unmittel-
bar nach Ratifikation des Staatsvertrages zur Beschlussfassung vorlegen.264
Grundsätzlich solle auch der bisherige Staatsvertragsentwurf bestehen bleiben. Daneben
verzichtete die Sowjetunion auf Ölkonzessionen, Schürfrechte und das Eigentum an der
DDSG in Ostösterreich gegen eine angemessene Ablöse,265 was aus österreichischer Sicht
eine bedeutende Erleichterung gegenüber der Eigentumsübertragungen darstellte, die man
259 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 131f; Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs 265. 260 Vgl Steininger, Der Staatsvertrag, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 224f; Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 120, 261 Vgl Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 134f. 262 Vgl Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht 97. 263 Vgl Kohl/Neschwara/Olechowski/Zatloukal/Schennach, Rechtsgeschichte 318; Lehner, Österreichische Verfassungsgeschichte 386f; Baltl/Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte 286. 264 Vgl Verdross, Österreichs Neutralität – Ein Beitrag zum Frieden in der Welt in Klecatsky (Hrsg), Die Republik Österreich (1968), 287f. 265 Vgl Zöllner, Geschichte Österreichs 540; Steininger, Der Staatsvertrag, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert 233f.
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1949 zum Deutschen Eigentum erzielt hatte. Zudem wurde auch versprochen die restlichen
österreichischen Kriegsgefangenen bald freizulassen.266
Die Ergebnisse der Verhandlungen wurden im „Moskauer Memorandum“267 vom 15. April
1955 festgehalten, das nach hL kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern als politische Abma-
chung268 bzw Zusammenfassung der Verhandlungsergebnisse zwischen den beiden Delega-
tionen mit Verwendungszusagen zu bewerten ist.269
Ähnliche Vereinbarungen mit den westlichen Alliierten beinhalteten die nachfolgenden Me-
moranden mit Großbritannien und den USA („Wiener-Memorandum“), sowie mit Frankreich
(österreichisch-französisches Memorandum) vom 10.5.1955. Allerdings beschäftigten sich
diese Memoranden nicht mit der Frage der Neutralität, sondern v.a. mit der Wiederherstellung
früher bestandener Rechte von Firmen, die ihren Sitz in Westösterreich hatten. 270
9. Exkurs: Der Neutralitätsbegriff
Mit dem Moskauer Memorandum versprachen die österreichischen Delegierten sich dafür zu
verwenden, dass sich „Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutra-
lität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird“.271
Grundsätzlich bedeutet Neutralität die Nichtbeteiligung eines Staates an einem Krieg. Bezieht
sich die Neutralität nur auf einen bestimmten Krieg oder einen Zeitabschnitt, nennt man dies
gewöhnliche oder temporäre Neutralität. Wird die Nichtteilnahme an Kriegen zum Prinzip der
Landespolitik erhoben wird, spricht man von der immerwährenden Neutralität.272
Der Staat begibt sich damit in ein Verpflichtungsverhältnis, dauernd im Friedenszustand mit
allen anderen Staaten zu bleiben.273 Der immerwährend neutrale Staat verpflichtet sich, seine
Unabhängigkeit und territoriale Integrität zu verteidigen und keinen Krieg zu beginnen; über-
dies muss der immerwährend neutrale Staat alles tun, damit er nicht in einen Krieg involviert
Bischof, Die Planung und Politik der Alliierten 1940-1954, in Steininger/Gehler (Hrsg), Öster-reich im 20. Jahrhundert Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart Band 2 (1997)
Eisterer, Österreich unter alliierter Besetzung 1945-1955, in Steininger/Gehler (Hrsg), Öster-reich im 20. Jahrhundert Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart Band 2 (1997)
Ermacora, Österreichische Verfassungslehre (1998)
Hamann, Österreich Ein historisches Portrait (2009)
Hanisch, Der lange Schatten des Staates Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (1994)
Hoke, Österreichische und deutsche Rechtsgeschichte2 (1996)
Hoke/Reiter, Quellensammlung zur österreichischen und deutschen Rechtsgeschichte (1998)
Kohl/Neschwara/Olechowski/Zatloukal/Schennach, Rechts- und Verfassungsgeschichte5 (2018)
Lehner, Österreichische Verfassungs- Verwaltungsgeschichte mit Grundzügen der Wirt-schafts- und Sozialgeschichte4 (2007)
Mulley, Staatsgründung 1945 Bemerkungen zur personellen und föderalen Rekonstruktion der Republik Österreich im Jahre 1945, in Petrin/Rosner (Hrsg), Die Länderkonferenzen 1945 (1995)
Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 (2014)
Olechowski, Rechtgeschichte4 (2016)
Olechowski, Rechtsgeschichte Materialien und Übersichten6 (2006)
20. März 2019 Alexandra Ditze 56/56
Riklin, Die Neutralität der Schweiz, in Riklin/Haug/Probst (Hrsg), Neues Handbuch der schweizerischen Außenpolitik (1992) 199.
Scheithauer/Schmeiszer/Woratschek/Tscherne/Göhring, Geschichte Österreichs in Stich-worten, Teil VI: Vom Ständestaat zum Staatsvertrag von 1934 bis 1955 (1984)
Schüssel, Das Werden Österreichs (1968)
Steininger, 15. Mai 1955: Der Staatsvertrag, in Steininger/Gehler (Hrsg), Österreich im 20. Jahrhundert Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart Band 2 (1997)
Verdross, Österreichs Neutralität – Ein Beitrag zum Frieden in der Welt in Klecatsky (Hrsg), Die Republik Österreich (1968)
Verosta, Die dauernde Neutralität (1967)
Vocelka, Geschichte Österreichs2 (2002)
Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages: 1945-1955 Österreichs Weg zur Neutralität3 (1985)
Stourzh, Der Weg zum Staatsvertrag und zur immerwährenden Neutralität, in Weinzierl/Skal-nik (Hrsg), Österreich Die Zweite Republik Band 1 (1972)