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Einfühlsam oder abgestumpft? URL: http://www.uni-saarland.de/fak5/ezw/abteil/ motiv/paper/SPF(IRI).pdf (12.05.2003) Benner, P. (1997) Stufen zur Pflegekompetenz. Bern: Verlag Hans Huber Carkhuff, R.R. (1969). Helping and human relations. New York: Holt, Rinehart & Winston. Holm, O. (1997) Ratings of empathic communication: Does experience make a difference? Journal of Psychology, 131, 680-682. Einleitung Wer kennt es nicht, das typische Bild einer Pflegekraft, die mit einem Lächeln im Gesicht geduldig zuhört und stets ein tröstendes Wort parat hat? Doch wie empathisch sind Pflegekräfte wirklich? Wie verändert sich ihr Einfühlungsvermögen im Laufe der Jahre? Folgendes wäre denkbar: - Die permanente Konfrontation mit den Schicksalen der Patienten könnte dazu führen, dass die Pflegekräfte als Schutzreaktion weniger empathisch handeln, d.h. die Probleme der Patienten nicht an sich ran lassen, um damit Stress zu vermeiden. - Pflegekräfte lernen im Laufe ihres Berufes, wie man mit den Schicksalen der Patienten umgeht ohne selbst in die Probleme involviert zu werden. In beiden Fällen wäre eine nachlassende Empathie mit zunehmender Berufserfahrung zu erwarten. Theorie Diesen intuitiven Vermutungen widerspricht das 5-Stufen-Modell von Patricia Benner (1997). Benner geht davon aus, dass eine Pflegekraft mit zunehmender Berufserfahrung an Kompetenz und Empathie gewinnt (vom Neuling bis zum Pflegeexperten). Holm bestätigte jedoch in einer Untersuchung die oben genannten Vermutungen, dass Novizen eine höhere empathische Kompetenz zeigen als erfahrene Pflegekräfte. Wer hat Recht, Holm oder Benner? Stimmt unsere intuitive Erwartung? Hypothesen H1: Examinierte Pflegekräfte erzielen höhere Empathiewerte als Auszubildende. H2: Examinierte Pflegekräfte zeigen im Vergleich zu Auszubildenden eine höhere empathische Kompetenz. Methode Zur Untersuchung der Hypothesen wurden folgende Variablen verwendet: AV1: - subjektive Empathieeinschätzung erfasst durch den Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen (SPF) Messung: Summe über die erzielten Werte im SPF (∑ SPFi ) AV2: - empathische Kompetenz gemessen mittels standardisierter Szenarien (Carkhuff, 1969), ergänzt um ähnliche selbstentwickelte Szenarien Messung: Summe der Abweichungen vom optimalen Wert (∑e i ) UV: - Auszubildende vs. examinierte Pflegekräfte Die Probanden erhielten einen zweiteiligen Fragebogen: Teil 1: 20 Szenarien zur Erfassung der empathischen Kompetenz Teil 2: Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen (SPF) sowie Teile anderer Empathie-Skalen zur Erfassung der subjektiven Empathie Ergebnisse Hypothese 1: Es gibt keinen statistisch bedeutsamen Unterschied (t(100)= .57, p = .57 (einseitig)) im Mittelwert der subjektiven Empathieeinschätzung zwischen examinierten Pflegekräften (N= 50, M= 138.06, SD= 14.57) und Auszubildenden (M= 139.73. SD= 15.27). Diskussion Weder der Ansatz von P. Benner, noch die Studie von O. Holm konnten bestätigt werden. Woran könnte das liegen? - Die Korrelation zwischen der Erfassung der subjektiven und der objektiven Empathie war nur sehr gering. Durch nachträgliche Befragung der examinierten Pflegekräfte stellte sich heraus, dass sie wussten, wie sie sich laut Lehrbuch empathisch verhalten sollten, persönlich aber andere Vorstellungen hatten. - Es könnte sein, dass Examinierte trotz Lehrbuchwissen nach persönlichem Gutdünken handeln und sich deshalb nicht von den Schülern unterscheiden. Würden sie sich nach dem Lehrbuchwissen richten, hätten sie vielleicht bessere Werte erreicht. - Aus der Antwort des Probanden bei den Szenarien geht nicht hervor, ob sich die Personen in der Realität wirklich der Antwort entsprechend verhalten würden. - Bei der Analyse der Orginalszenarien von Carkhuff ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Dies könnte daran liegen, dass anstatt einer dichotomen Abstufung wie sie O. Holm nutzte, ein fünf-stufiges Auswertungsverfahren verwendet wurde. Tabelle 1: Annahmen nach Benner und Holm Ausbildungsstand Schüler Examinierte Summierte Abweichungswerte der Szenarien 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 Ausbildungsstand Schüler Examinierte Summierte Werte des SPF 180 160 140 120 100 80 Weniger empathisch Í Geringe Werte (∑ SPFi ) Weniger empathisch Í Hohe Werte (∑e i ) Auszubildende Empathischer Í Hohe Werte (∑ SPFi ) Empathischer Í Geringe Werte (∑e i ) Examinierte Pflegekräfte SPF (subjektive Selbsteinschätzung) Szenarien (objektiv) Julia Aghotor, Katrin Claßen, Alexandra Tietz Um zu überprüfen, ob die subjektive Empathieeinschätzung mit der Erfassung der empathischen Kompetenz übereinstimmt, wurde die Produkt-Moment-Korrelation r berechnet. Diese Interkorrelation zeigte, dass beide Werte nicht signifikant miteinander korrelierten (r(102)= - .007, p =.94 ). Das bedeutet, dass man nicht von der subjektiven Empathieeinschätzung auf die empathische Kompetenz schließen kann, und umgekehrt. Hypothese 2: Auszubildende (N= 52, M= 813.38, SD= 188.92) und examinierte Pflegekräfte (M= 775.88, SD= 158.78) unterscheiden sich nicht signifikant in den Mittelwerten der empathischen Kompetenz (t(100)= 1.08, p = .28 (einseitig)).
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Einfühlsam oder abgestumpft? - psychologie.uni … · Wie verändert sich ihr Einfühlungsvermögen im Laufe der Jahre? Folgendes wäre denkbar:-Die permanente Konfrontation mit

Sep 17, 2018

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Einfühlsam oder abgestumpft?

URL: http://www.uni-saarland.de/fak5/ezw/abteil/ motiv/paper/SPF(IRI).pdf (12.05.2003)Benner, P. (1997) Stufen zur Pflegekompetenz. Bern: Verlag Hans HuberCarkhuff, R.R. (1969). Helping and human relations. New York: Holt, Rinehart & Winston.Holm, O. (1997) Ratings of empathic communication: Does experience make a difference? Journal of Psychology, 131, 680-682.

EinleitungWer kennt es nicht, das typische Bild einer Pflegekraft, die mit einem Lächeln im Gesicht geduldig zuhörtund stets ein tröstendes Wort parat hat?Doch wie empathisch sind Pflegekräfte wirklich?Wie verändert sich ihr Einfühlungsvermögen im Laufe der Jahre?Folgendes wäre denkbar:- Die permanente Konfrontation mit den Schicksalen der Patienten könnte dazu führen, dass die

Pflegekräfte als Schutzreaktion weniger empathisch handeln, d.h. die Probleme der Patienten nicht an sichran lassen, um damit Stress zu vermeiden.

- Pflegekräfte lernen im Laufe ihres Berufes, wie man mit den Schicksalen der Patienten umgeht ohne selbstin die Probleme involviert zu werden.‡ In beiden Fällen wäre eine nachlassende Empathie mit zunehmender Berufserfahrung zu erwarten.

TheorieDiesen intuitiven Vermutungen widerspricht das 5-Stufen-Modell von Patricia Benner (1997).Benner geht davon aus, dass eine Pflegekraft mit zunehmender Berufserfahrung an Kompetenz undEmpathie gewinnt (vom Neuling bis zum Pflegeexperten). Holm bestätigte jedoch in einer Untersuchung dieoben genannten Vermutungen, dass Novizen eine höhere empathische Kompetenz zeigen als erfahrenePflegekräfte.Wer hat Recht, Holm oder Benner? Stimmt unsere intuitive Erwartung?

HypothesenH1: Examinierte Pflegekräfte erzielen höhere Empathiewerte als Auszubildende.H2: Examinierte Pflegekräfte zeigen im Vergleich zu Auszubildenden eine höhere empathische Kompetenz.

MethodeZur Untersuchung der Hypothesen wurden folgende Variablen verwendet:

AV1: - subjektive Empathieeinschätzungerfasst durch den Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen (SPF)Messung: Summe über die erzielten Werte im SPF (∑SPFi)

AV2: - empathische Kompetenzgemessen mittels standardisierter Szenarien (Carkhuff, 1969), ergänzt um ähnlicheselbstentwickelte SzenarienMessung: Summe der Abweichungen vom optimalen Wert (∑ei)

UV: - Auszubildende vs. examinierte Pflegekräfte

Die Probanden erhielten einen zweiteiligen Fragebogen:

Teil 1: 20 Szenarien zur Erfassung der empathischen KompetenzTeil 2: Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen (SPF) sowie Teile anderer Empathie-Skalen zur Erfassung der

subjektiven Empathie

ErgebnisseHypothese 1:

Es gibt keinen statistisch bedeutsamen Unterschied (t(100)=.57, p = .57 (einseitig)) im Mittelwert der subjektiven Empathieeinschätzung zwischen examinierten Pflegekräften(N= 50, M= 138.06, SD= 14.57) und Auszubildenden(M= 139.73. SD= 15.27).

DiskussionWeder der Ansatz von P. Benner, noch die Studie von O. Holm konnten bestätigt werden.Woran könnte das liegen?- Die Korrelation zwischen der Erfassung der subjektiven und der objektiven Empathie war nur

sehr gering. Durch nachträgliche Befragung der examinierten Pflegekräfte stellte sich heraus, dasssie wussten, wie sie sich laut Lehrbuch empathisch verhalten sollten, persönlich aber andereVorstellungen hatten.

- Es könnte sein, dass Examinierte trotz Lehrbuchwissen nach persönlichem Gutdünken handeln undsich deshalb nicht von den Schülern unterscheiden. Würden sie sich nach dem Lehrbuchwissen richten, hätten sie vielleicht bessere Werte erreicht.

- Aus der Antwort des Probanden bei den Szenarien geht nicht hervor, ob sich die Personen in derRealität wirklich der Antwort entsprechend verhalten würden.

- Bei der Analyse der Orginalszenarien von Carkhuff ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Dies könnte daran liegen, dass anstatt einer dichotomenAbstufung wie sie O. Holm nutzte, ein fünf-stufiges Auswertungsverfahren verwendet wurde.

Tabelle 1: Annahmen nach Benner und Holm

AusbildungsstandSchüler Examinierte

Sum

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1600

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AusbildungsstandSchüler Examinierte

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180

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80

Weniger empathischÍ Geringe Werte (∑SPFi)

Weniger empathischÍ Hohe Werte (∑ei)

Auszubildende

EmpathischerÍ Hohe Werte (∑SPFi)

EmpathischerÍ Geringe Werte (∑ei)

ExaminiertePflegekräfte

SPF (subjektive Selbsteinschätzung)Szenarien (objektiv)

Julia Aghotor, Katrin Claßen, Alexandra Tietz

Um zu überprüfen, ob die subjektive Empathieeinschätzung mit der Erfassung der empathischenKompetenz übereinstimmt, wurde die Produkt-Moment-Korrelation r berechnet.Diese Interkorrelation zeigte, dass beide Werte nicht signifikant miteinander korrelierten (r(102)= -.007, p =.94 ). Das bedeutet, dass man nicht von der subjektiven Empathieeinschätzung auf dieempathische Kompetenz schließen kann, und umgekehrt.

Hypothese 2:Auszubildende (N= 52, M= 813.38, SD= 188.92) undexaminierte Pflegekräfte (M= 775.88, SD= 158.78)unterscheiden sich nicht signifikant in den Mittelwerten derempathischen Kompetenz (t(100)= 1.08, p = .28 (einseitig)).