AUSGABE 13 WINTER 2015 NEWSLETTER DES IPP BREMEN | 11. JAHRGANG Institut für Public Health und Pflegeforschung Universität Bremen Fachbereich 11 Editorial – das IPP gestern, heute, morgen Wie alles begann… Gesundheits- und Pflegeforschung haben bereits seit fast zwei Jahrzehnten Tradition an der Uni- versität Bremen: 1998 wurde das Zentrum für Public Health (ZPH) unter der Leitung von Prof. Dr. Annelie Keil gegründet. Damit schufen die Initia- torInnen des ZPH ein Dach für alle Einrichtungen und Institutionen an der Bremer Universität, die sich aus fächerübergreifender Perspektive den Themen Public Health und Pflege widmeten. Die Akteure des ZPH legten damit den Grundstein für eine kritische, patienten- und gesundheitspolitisch orientierte Gesundheits- und Pflegeforschung in Bremen. Anfang 2005 wurde das ZPH durch das Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) abgelöst, das als Wissenschaftliche Einrichtung im Fach- bereich 11 neu gegründet wurde. Waren im ZPH noch selbstständige Institute Mitglied, so wur- den jetzt aus den Instituten Abteilungen des IPP. Mit der strukturellen Stringenz und einer deut- lichen inhaltlichen Fokussierung auf die Bereiche Public Health- und Pflegeforschung war das Ziel verbunden, das vorhandene Potenzial besser zu nutzen und nachhaltig in der gesundheits- und pflegewissenschaftlichen Forschungslandschaft zu verankern. Seit seiner Gründung widmet sich das IPP den folgenden Aufgaben: • Förderung und Konsolidierung einer inter- disziplinären gesundheits- und pflegewissen- schaftlichen Forschung; • Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis; • Gezielte Politikberatung zu gesundheits- und pflegewissenschaftlichen Themen; • Entwicklung und Umsetzung gesundheits- und pflegewissenschaftlicher Lehre mit hoher Qua- lität. Das Institut startete unter der Leitung von Prof. Dr. Petra Kolip (Geschäftsführende Direktorin 2005 – 2008) zunächst mit etwa 20 MitarbeiterInnen. Die Auftaktveranstaltung zur Gründung des IPP Anfang 2006 setzte mit dem Titel »NutzerInnen- orientierung in Wissenschaft und Praxis« einen programmatischen Akzent für die Mission des IPP: Die Perspektive der NutzerInnen und PatientInnen sowie die Translation von Wissen in Praxis und Poli- tik bilden bis heute wichtige Schwerpunkte in den Aktivitäten des IPP. In den nachfolgenden, teilweise bewegten Jah- ren wuchs das Aufgaben- und Themenfeld des IPP unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Görres (Geschäftsführender Direktor 2008 – 2014) ste- tig. Abteilungen wurden umgestaltet, andere mit neuer thematischer Schwerpunktsetzung und unter neuer Leitung aufgebaut. Die Entwicklungen und aktuellen Schwerpunktsetzungen des IPP in den Aufgabenfeldern Forschung, Lehre und Transfer werden in den nachfolgenden Beiträgen vorge- stellt. Das IPP heute und morgen Mit derzeit sieben und perspektivisch acht the- matisch profilierten Abteilungen und mit über 80 MitarbeiterInnen gehört das IPP mittlerweile zu den größeren Standorten für Public Health und Pflegewissenschaften in Deutschland. Das Orga- nigramm (Abb. 1) gibt einen Überblick über den aktuellen Aufbau des Instituts. Seit 2014 ist Prof. Dr. Gabriele Bolte geschäftsfüh- rende Direktorin des IPP. Eine besondere Stärke des IPP heute besteht in der inter- und transdiszi- 13 Fortsetzung auf Seite 2 IM FOKUS Gesundheits- und Pflege- forschung buten un binnen – 10 Jahre IPP INHALT Grußwort | Seite 03 Schwerpunktthema | Seite 04 Kurzstatements zum Jubiläum | Seite 08 Das IPP 2015 | Seite 10 Projekte | Seite 18 Neues aus den Studiengängen | Seite 25 Qualifikationsarbeiten | Seite 26 Aktuelles | Seite 27 Veranstaltungen | Seite 28 Impressum | Seite 28
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Editorial – das IPP gestern, heute, morgen · 2016. 2. 15. · Das IPP heute und morgen Mit derzeit sieben und perspektivisch acht the-matisch profilierten Abteilungen und mit über
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AusgAbe 13 Winter 2015neWsLetter Des ipp bremen | 11. JAHrgAng
Institut für Public Health und PflegeforschungUniversität BremenFachbereich 11
Editorial – das IPP gestern, heute, morgen
Wie alles begann…
Gesundheits- und Pflegeforschung haben bereits
seit fast zwei Jahrzehnten Tradition an der Uni-
versität Bremen: 1998 wurde das Zentrum für
Public Health (ZPH) unter der Leitung von Prof. Dr.
Annelie Keil gegründet. Damit schufen die Initia-
torInnen des ZPH ein Dach für alle Einrichtungen
und Institutionen an der Bremer Universität, die
sich aus fächerübergreifender Perspektive den
Themen Public Health und Pflege widmeten. Die
Akteure des ZPH legten damit den Grundstein für
eine kritische, patienten- und gesundheitspolitisch
orientierte Gesundheits- und Pflegeforschung in
Bremen.
Anfang 2005 wurde das ZPH durch das Institut für
Public Health und Pflegeforschung (IPP) abgelöst,
das als Wissenschaftliche Einrichtung im Fach-
bereich 11 neu gegründet wurde. Waren im ZPH
noch selbstständige Institute Mitglied, so wur-
den jetzt aus den Instituten Abteilungen des IPP.
Mit der strukturellen Stringenz und einer deut-
lichen inhaltlichen Fokussierung auf die Bereiche
Public Health- und Pflegeforschung war das Ziel
verbunden, das vorhandene Potenzial besser zu
nutzen und nachhaltig in der gesundheits- und
pflegewissenschaftlichen Forschungslandschaft zu
verankern. Seit seiner Gründung widmet sich das
IPP den folgenden Aufgaben:
• Förderung und Konsolidierung einer inter-
disziplinären gesundheits- und pflegewissen-
schaftlichen Forschung;
• TransferderForschungsergebnisseindiePraxis;
• Gezielte Politikberatung zu gesundheits- und
pflegewissenschaftlichen Themen;
• EntwicklungundUmsetzunggesundheits-und
pflegewissenschaftlicher Lehre mit hoher Qua-
lität.
Das Institut startete unter der Leitung von Prof. Dr.
Petra Kolip (Geschäftsführende Direktorin 2005
– 2008) zunächst mit etwa 20 MitarbeiterInnen.
Die Auftaktveranstaltung zur Gründung des IPP
Anfang 2006 setzte mit dem Titel »NutzerInnen-
orientierung in Wissenschaft und Praxis« einen
programmatischen Akzent für die Mission des IPP:
Die Perspektive der NutzerInnen und PatientInnen
sowiedieTranslationvonWisseninPraxisundPoli-
tik bilden bis heute wichtige Schwerpunkte in den
Aktivitäten des IPP.
In den nachfolgenden, teilweise bewegten Jah-
ren wuchs das Aufgaben- und Themenfeld des
IPP unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Görres
(Geschäftsführender Direktor 2008 – 2014) ste-
tig. Abteilungen wurden umgestaltet, andere mit
neuer thematischer Schwerpunktsetzung und unter
neuer Leitung aufgebaut. Die Entwicklungen und
aktuellen Schwerpunktsetzungen des IPP in den
Aufgabenfeldern Forschung, Lehre und Transfer
werden in den nachfolgenden Beiträgen vorge-
stellt.
Das IPP heute und morgen
Mit derzeit sieben und perspektivisch acht the-
matisch profilierten Abteilungen und mit über 80
MitarbeiterInnen gehört das IPP mittlerweile zu
den größeren Standorten für Public Health und
Pflegewissenschaften in Deutschland. Das Orga-
nigramm (Abb. 1) gibt einen Überblick über den
aktuellen Aufbau des Instituts.
Seit 2014 ist Prof. Dr. Gabriele Bolte geschäftsfüh-
rende Direktorin des IPP. Eine besondere Stärke
des IPP heute besteht in der inter- und transdiszi-
13
Fortsetzung auf Seite 2
im Fokus
gesundheits- und pflege-forschung buten un binnen – 10 Jahre ipp
inHALtGrußwort | Seite 03
Schwerpunktthema | Seite 04
Kurzstatements zum Jubiläum | Seite 08
Das IPP 2015 | Seite 10
Projekte | Seite 18
Neues aus den Studiengängen | Seite 25
Qualifikationsarbeiten | Seite 26
Aktuelles | Seite 27
Veranstaltungen | Seite 28
Impressum | Seite 28
ipp-inFo AusgAbe 13
plinären Zusammenarbeit der am Institut tätigen
WissenschaftlerInnen und der hier vorhandenen
breiten inhaltlichen und methodischen Expertise.
Dementsprechend weit gefächert ist das Portfolio
der bearbeiteten Themen (s. hierzu die Darstellung
der Forschungsabteilungen). Übergreifend befasst
sich das IPP mit den individuellen und den kon-
textuellen Bedingungen, die auf Wohlbefinden,
Gesundheit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit
der Bevölkerung einwirken. Im Mittelpunkt der
Forschungsarbeiten stehen außerdem Konzepte
und Maßnahmen, die einen Beitrag zur Quali-
tätsverbesserung und Innovationsförderung der
gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung
leisten sollen. Evidenzbasierung, Anwendungsori-
entierung und die Perspektive der PatientInnen und
Pflegebedürftigen bzw. der BürgerInnen sind auch
im IPP 2015 wichtige Querschnittsthemen. For-
schung, Lehre und Transfer in den Gesundheits- und
Pflegewissenschaften bilden weiterhin die zentra-
len Aufgaben des IPP. Durch innovative Projekte
und Konzepte sollen diese Bereiche zukünftig noch
besser und nachhaltiger vernetzt werden.
Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen
in den Bereichen Gesundheit und Pflege sind
vielfältig und komplex – für ihre Beantwor-
tung ist ein integrativer, fächerübergreifender,
kooperativer und anwendungsorientierter For-
schungsansatz notwendiger denn je. Um diesen
Anforderungen gemeinsam zu begegnen, haben
sich im Wissenschaftsschwerpunkt »Gesundheits-
wissenschaften (Health Sciences)« der Universität
Bremen starke Partner zusammengetan: die Abtei-
lung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und
Versorgungsforschung am SOCIUM, das Kompe-
tenzzentrum für Klinische Studien Bremen (KKSB),
das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und
Epidemiologie (BIPS GmbH) und das Institut für
Public Health und Pflegeforschung (IPP). Ziel des
Wissenschaftsschwerpunktes ist es, mit gesund-
heitswissenschaftlichen und epidemiologischen
Studien zu einem genaueren Verständnis von
Gesundheit, Krankheit und Gesundheitsversorgung
beizutragen. Die Gesundheit der Bevölkerung und
die Qualität der gesundheitlichen Versorgung sind
zentrale Bezugspunkte der Forschungsarbeiten.
Wir im IPP freuen uns darauf, gemeinsam mit
unseren KooperationspartnerInnen in Wissenschaft
und Praxis sowie mit unseren Studierenden diese
Arbeit in Zukunft fortzusetzen und ihre Ergebnisse
für lokale, nationale sowie internationale Gemein-
schaften nutzbar zu machen.
Prof. Dr. Gabriele Bolte (Geschäftsführende Direktorin),
Prof. Dr. Ansgar Gerhardus (Direktoriumsmitglied),
Prof. Dr. Stefan Görres (Direktoriumsmitglied),
Heike Mertesacker MPH (Koordination IPP-
Geschäftsstelle), Universität Bremen,
Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP),
Abteilung 3 – Interdisziplinäre Alterns- und Pflegeforschung Prof. Dr. Stefan Görres
Abteilung 4 – Qualifikations- und Curriculumforschung Prof. Dr. Ingrid Darmann-Finck
Abteilung 7 – Pflegewissenschaftliche Versorgungsforschung Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann
KooperativeForschungsgruppe»Evidence-BasedPublicHealth«EBPH,Prof. Dr. Stefan Lhachimi, – Kooperation Fachbereich 11 & Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS)
Kooperative Forschungsgruppe »Evidence-Based Public Health« EBPH, Prof. Dr. Stefan Lhachimi, – Kooperation Fachbereich 11 & Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS)
Healthsciences BremenFB 11Human- und Gesundheits-wissenschaften
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Liebe Leserin, lieber Leser,
2005 wurde das Institut für Public Health und
Pflegeforschung (IPP) am Fachbereich 11 der Uni-
versität Bremen gegründet. In den vergangenen 10
Jahren hat sich das IPP zu einem festen Bestandteil
der Bremer Gesundheitswissenschaften und einer
national wie international etablierten Forschungs-
einrichtung entwickelt.
Als Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und
Verbraucherschutz setze ich mich für eine effektive
und zugleich patientenfreundliche Gestaltung des
Gesundheitssystems auf Landes- und Bundesebe-
ne ein. Besondere Herausforderungen bestehen
etwa in der Zunahme chronischer und multifak-
torieller Erkrankungsbilder, der wachsenden Zahl
pflegebedürftiger Menschen und den steigenden
Diagnosezahlen im Bereich der psychischen Stö-
rungen. Wir brauchen bedarfsgerechte und für
Patientinnen und Patienten nachvollziehbare
Grußwort der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz
Prof. Dr. Eva Quante-Brandt
Versorgungsstrukturen. Lösungsansätze bieten
Konzepte, die bestehende Leistungsangebote stär-
ker vernetzen und Raum für neue, integrierte
Angebote schaffen. Hierzu gehören die integrierte
Versorgung, Ärztenetze, medizinische Versorgungs-
zentren; Angebote, die in Bremen bereits an vielen
Stellen umgesetzt werden. Mit dem GKV-Versor-
gungsstärkungsgesetz hat die Bundesregierung
entscheidende Weichen gestellt, um weitere, sekto-
rübergreifende Versorgungsangebote zu erproben
und Qualitätsnachweise für einzelne wie für ver-
netzte Angebote zur Grundlage für Entwicklung
und Finanzierung zu machen.
Die komplexen Herausforderungen im
Gesundheitswesen erfordern ein koopera-
tives, fachübergreifendes Vorgehen bei der
Beantwortung der anstehenden Fragen – auch in
der Wissenschaft. In diesem Sinne begrüße ich es
als Wissenschaftssenatorin überaus, dass sich der
Wissenschaftsschwerpunkt Gesundheitswissen-
schaften an der Bremer Universität als einer von
sechs interdisziplinären Profilbereichen etablieren
konnte und damit wesentlich zur Forschungsstärke
der Exzellenzuniversität Bremen beitragen kann.
Diese Schwerpunktsetzung an der Bremer Univer-
sität ist ein Glücksfall für das Land Bremen: Die
Akteure des Wissenschaftsschwerpunktes – IPP,
BIPS, SOCIUM und weitere Partner – liefern mit
ihren Arbeiten wichtige Grundlagen bei der Analy-
se und Bewertung von Gesundheitssystemen, der
Planung und Evaluation von Versorgungsangebo-
ten, für die Prävention von Erkrankungen und für
die sektorenübergreifenden Zusammenarbeit für
Gesundheitsförderung im Sinne von »health in all
policies«.
Welche Auswirkungen haben Maßnahmen der
gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung,
was wirkt in der Prävention, welchen Nutzen
haben Patientinnen und Patienten? Dies sind zen-
trale Fragen, zu deren Beantwortung das IPP
seit nunmehr zehn Jahren beiträgt. Das Institut
steht für disziplinübergreifende Kooperation, eine
weit gefächerte methodische Kompetenz, Trans-
ferorientierung sowie für exzellente Forschung
in unterschiedlichen Formaten. Die Spannbreite
reicht von anwendungsnaher Forschung bis hin
zu nationalen und internationalen Verbund- bzw.
EU-Projekten. In den pflege- und gesundheitswis-
senschaftlichen Studiengängen bieten die neuen
Ansätze des forschungsorientierten Lernens inno-
vative Wege der wissenschaftlichen Begleitung
von Praxisprojekten durch studentische Arbeiten.
Schließlich werden die Absolventinnen und Absol-
venten aus Public Health und Pflegewissenschaft
dringend benötigt: In der Versorgungspraxis, der
Planung und Steuerung des Gesundheitssystems
ebenso wie in der Wissenschaft.
Innovative Gesundheits- und Pflegeforschung für
die Praxis – dieses Motto wird durch das IPP in
besonderer Weise gelebt. Ich wünsche den Kolle-
ginnen und Kollegen des IPP auch in der nächsten
Dekade viel Schwung und Erfolg und freue mich auf
inspirierende Impulse aus den Bremer Gesundheits-
wissenschaften.
Prof. Dr. Eva Quante-Brandt,
Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit
und Verbraucherschutz,
Freie Hansestadt Bremen
Abbildung: Prof. Dr. Eva Quante-Brandt, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz
ipp-inFo AusgAbe 13
Die Herausforderungen und die Akteure im Gesund-
heitssektor sind einem kontinuierlichen Wandel
unterworfen. Dies muss sich in der Zusammenset-
zung der Akteure und der Art der Vernetzung in der
Gesundheits- und Pflegeforschung widerspiegeln.
Vier Trends haben in Bezug auf Akteure und Vernet-
zungsstrukturen an Dynamik zugenommen:
1) Monokausale, »einfache« Erkrankungen, ins-
besondere Infektionskrankheiten, haben mit
Ausnahme einiger weniger Erkrankungen an
Bedeutung verloren, während die Bedeutung
von multifaktoriellen, chronischen Erkrankungen
dramatisch zugenommen hat. Die Prävention
und die Versorgung dieser Erkrankungen sowie
die Vielfalt der eingesetzten Technologien erfor-
dern die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit von
immer mehr und immer spezialisierteren Berufs-
gruppen. Strukturell ist von Bedeutung, dass die
Akademisierung der verschiedenen professionellen
gesundheitlichen Akteure und Berufsgruppen noch
in unterschiedlichen Geschwindigkeiten verläuft.
2) Die Grenzen zwischen dem Gesundheitssektor
und anderen Sektoren lösen sich zunehmend auf.
Gesundheitsförderung, Prävention, sowie gesund-
heitliche und pflegerische Versorgung beschäftigen
sich mit Themen wie Klimapolitik, Verkehrsplanung,
der Schuldenkrise in Griechenland oder der Wohn-
situation von Menschen mit Demenz. Umgekehrt
drängen Akteure aus anderen Sektoren in den
Gesundheitsbereich: Der Tourismussektor wirbt
mit Wellnessangeboten und den damit einherge-
henden positiven Einflüssen auf die Gesundheit.
Anbieter von Webseiten und Apps, wie Google,
Apple und zahllose weitere erheben gesundheits-
bezogene Daten, verarbeiten diese und bieten
darauf bezogene Leistungen an. Auf lokaler Ebene
ist ein unübersehbares Angebot an Kursen und
Beratungen entstanden, die eine Verbesserung kör-
perlicher und psychischer Gesundheit versprechen.
3) Die Grenzen zwischen der Zuständigkeit von
Professionellen und Laien werden zunehmend
gelockert: Die Pflege älterer, hilfsbedürftiger Men-
schen wird immer stärker unter dem Thema
»Pflege-Mix«diskutiert,alsoeinerAufgabenteilung
zwischen verschiedenen Akteuren, angefangen
bei den Angehörigen bis hin zu unterschiedlichen
Graden an professioneller Pflege. Der Sterbepro-
zess erfährt durch die palliative Versorgung eine
Einbettung in professionelle Strukturen. Umge-
kehrt übernehmen BürgerInnen und PatientInnen
eine zunehmend aktive Rolle in der Förderung
ihrer Gesundheit, der Prävention und ihrem Gene-
sungsprozess. Dies wird dadurch erleichtert, dass
gesundheitsbezogene Informationen (mit variab-
ler Qualität) im Internet für jeden niedrigschwellig
zugänglich geworden sind. In den letzten Jahren
ist die Möglichkeit der umfassenden »Selbstver-
messung« dazugekommen: Bewegungsparameter
sowie physiologische oder gar genetische Daten
können ohne die Schranke einer individuellen pro-
fessionellen Beratung erhoben werden. Darüber
hinaus organisieren sich PatientInnen in Selbsthil-
fegruppen, verschaffen sich Wissen, artikulieren
ihre Wünsche und bieten sich als PartnerInnen auch
jenseits von individuellen Fällen an.
4) Durch den zunehmenden Einsatz von unter-
stützender Technik in einer vernetzten Versorgung
sowie die voranschreitende Digitalisierung von
Gesundheits- und Versorgungsdaten gewinnen die
drei zuvor geschilderten Trends noch zusätzlich an
Dynamik. Damit verbunden sind sowohl Nutzen
wie auch Risiken für NutzerInnen und PatientInnen.
Zusammengefasst findet sich eine Zunah-
me des Bedarfs zur Zusammenarbeit zwischen
Berufsgruppen innerhalb des professionellen
Gesundheitssektors, zwischen dem Gesundheits-
sektor und anderen Sektoren sowie zwischen
dem professionellen und dem Laienbereich.
Gesundheits- und Pflegewissenschaften müs-
sen diesen vielfältigen Herausforderungen auf
mehrere Arten begegnen: Die fortschreitende Aka-
demisierung der Gesundheitsberufe sollte genutzt
werden, um Ausbildungsabschnitte gemeinsam zu
absolvieren. Entscheidend wird sein, eine Sprachfä-
higkeit über den eigenen engeren Bereich hinweg
zu entwickeln. Um angemessene Zuschnitte an der
Grenze zwischen dem professionellen und dem
Laienbereich zu finden, kann an Vorerfahrungen
aus »Shared-decision-making«, dem Austausch
mit Selbsthilfegruppen oder der partizipativen For-
schung angeknüpft werden. Die Voraussetzungen
dafür sind denkbar gut, da in der Multidisziplin
Gesundheitswissenschaften bereits vielfältige Kom-
petenzen ebenso wie Erfahrung in interdisziplinärer
Zusammenarbeit vorhanden sind. Ausgangspunkt
ist eine Perspektive, die bei jedem gesundheitsbe-
zogenen Thema prinzipiell alle denkbaren Sektoren
und Akteure in den Blick nimmt.
Anhand einiger Projektbeispiele soll gezeigt
werden, wie eine mehrdimensional vernetzte
Gesundheits- und Pflegeforschung aussehen kann:
1) Derzeit sind PatientInnen nur sehr selten an der
Gestaltung von Forschungsvorhaben beteiligt. In
der palliativen Versorgung arbeiten medizinisches
und pflegerisches Personal mit therapeutischen
Berufen, Seelsorgern, den PatientInnen und ihren
Angehörigen zusammen. In dem EU-geförderten
Projekt INTEGRATE-HTA zur Bewertung palliativer
Versorgung wurden daher in einem ersten Schritt
diese Gruppen als Ko-ExpertInnen zusammenge-
bracht um ihre Vorstellungen zu wichtigen Themen
und Zielen der palliativen Versorgung aufzunehmen
und den folgenden Forschungsprozess zu strukturie-
ren. Die Zwischenergebnisse werden den Gruppen
präsentiert und ihre Rückmeldungen gehen wiede-
rum in den weiteren Forschungsprozess ein.
2) Die Versorgung von Demenzerkrankten erfor-
dert insbesondere in der ambulanten Versorgung
eine funktionierende Vernetzung von vielen
Akteuren der gesundheitlichen Versorgung. Um
Menschen mit Demenz passende, an den eige-
nen Bedürfnissen orientierte Versorgungsangebote
zu ermöglichen, rücken insbesondere koopera-
tive, multiprofessionelle Versorgungsmodelle in
den Fokus der deutschen Versorgungslandschaft.
Regionale Demenznetzwerke beispielsweise
bestehen aus regional sehr unterschiedlichen
Stakeholdern wie ambulanten Pflegediensten,
ÄrtzInnen, TherapeutInnen, (Memo-)Kliniken aber
auch kommunalen Behörden oder ehrenamtlichen
Gruppen. Die in dem Projekt DemNet-D im Rahmen
der Zukunftswerkstatt Demenz des Bundesge-
sundheitsministeriums bundesweit durchgeführte
Evaluation solcher Demenznetzwerke hat gezeigt,
dass eine derart multiprofessionell vernetzte
Versorgung die Lebensqualität von Menschen
mit Demenz und ihren Angehörigen trotz voran-
schreitender Erkrankung stabil halten und soziale
Teilhabe unterstützen kann.
3) Für eine gesundheitsfördernde Stadtentwick-
lung ist die enge Zusammenarbeit von Akteuren
Trends in Gesundheitsförderung, Prävention und VersorgungNotwendigkeiten und Voraussetzungen für eine mehrdimensional vernetzte Forschung
scHWerpunkttHemA
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aus verschiedenen Sektoren, insbesondere der
Stadtplanung und Public Health, erforderlich. Im
Rahmen des Förderprogramms »Stadt der Zukunft:
Gesunde,nachhaltigeMetropolen«arbeitendaher
in der Junior-Forschungsgruppe Salus (»Stadt
als gesunder Lebensort unabhängig von sozialer
Ungleichheit«) Forschende aus Epidemiologie /
Public Health und Raumplanung eng mit Akteuren
der beiden Referenzstädte Dortmund und Mün-
chen zusammen. Mit Hilfe eines transdisziplinären
Ansatzes im Sinne einer lebensweltlich orientierten
disziplinübergreifenden Problembearbeitung setzt
die Forschung in diesem Projekt an aktuellen Pro-
blemlagen in den beiden Städten an und führt
dieErgebnisse indiePraxis zurück. InWorkshops
wurden aktuelle, ortsspezifische Problemlagen
zu sozialer Ungleichheit bei Gesundheit sowie
besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen iden-
tifiziert und mögliche Interventionen entwickelt.
In Planspielen wurden die von den Forschenden
erarbeiteten Modelle und Strategien anhand eines
vorgegebenen, fiktiven Handlungs- bzw. Entschei-
dungsproblems von den Akteuren in den Städten
getestet. Dadurch wurde die Implementierung der
Forschungsergebnisse in die Praxis einer realen
intersektoralen Arbeitssituation simuliert.
4) Die Gestaltung gesundheitsförderlicher
Lebenswelten ist ein wichtiger Ansatzpunkt für
Gesundheitsförderung. In dem BMBF-geförderten
Präventionsforschungsnetzwerk AEQUIPA (Kör-
perliche Aktivität, Gerechtigkeit und Gesundheit:
Primärprävention für gesundes Altern) entwik-
keln zwei Teilprojekte Ansätze zur Förderung der
körperlichen Aktivität außerhalb der Wohnung
unter Einbezug des Kontextes. In demTeilprojekt
OUTDOOR ACTIVE wird ein gemeindebasierter
partizipatorischer Forschungsansatz verfolgt um
individuelle und gemeindebezogene Schlüssel-
faktoren für körperliche Outdooraktivität älterer
Erwachsener zu identifizieren und ein auf die
Gemeinde zugeschnittenes Gesundheitsförde-
rungsprogramm zu entwickeln. Das Teilprojekt
AFOOT zielt auf die Entwicklung ressortübergreifen-
der Verfahrensweisen im Sinne eines integrierten
Verwaltungshandelns zur Gestaltung des Wohn-
umfelds und öffentlicher Räume zur Erhaltung
der fuß- und radfahrbezogenen Mobilität einer
alternden Bevölkerung.
Fazit: Die Zusammenarbeit aller Akteure, sowohl
innerhalb wie auch außerhalb des Gesundheits-
sektors, des professionellen und des Laienbereichs
ist eine notwendige und zunehmende Realität in
Gesundheitsförderung, Prävention sowie gesund-
heitlicher und pflegerischer Versorgung. Das bietet
für die stark interdisziplinär ausgerichtete Gesund-
heits- und Pflegeforschung große Chancen, die
genutzt werden müssen. Grundlegende Kenntnisse
der angrenzenden Bereiche und ihrer Akteure,
Fähigkeit zur Kommunikation über fachliche und
professionelle Grenzen hinweg sowie die Bereit-
schaft zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit
anderen Berufsgruppen und Laien sind notwendige
Voraussetzungen für eine gelingende Forschung.
Gleichzeitig ist es die Aufgabe von Gesundheits-
und Pflegewissenschaften darauf zu achten, dass in
der neuen Unübersichtlichkeit die BürgerInnen und
PatientInnen mit ihren gesundheitlichen und pfle-
gerischen Bedürfnissen weiterhin im Fokus bleiben.
Teamfoto / Vordere Reihe, v.l.n.r.: Philip Wahlster, Dr. Kati Mozygemba, Prof. Ansgar Gerhardus, Imke Schilling, Dr. Guido SchmiemannHintere Reihe, v.l.n.r.: Gabriele Balke-Messer, Maike Voß, Jennifer Koch, Anna Raith, Daniel Gand (esfehlen:AnneDehlfing,AlexandraPulst,WiebkeSchäfer)
proJektbeispieLe
Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit
bei Alten- Pflegeheimbewohnern – IMREN –
Inadequate medication in nursing home residents
with chronic renal failure
Ein häufiges Problem älterer Menschen ist eine ein-
geschränkte Nierenfunktion. Dies kann dazu führen,
dass auch Arzneimittel langsamer ausgeschieden
werden und dadurch bei gleichmäßiger Einnahme
im Körper »überdosiert« werden. In diesem Projekt
werden mit qualitativen und quantitativen Methoden
Daten zur Häufigkeit chronischer Niereninsuffizienz
und zur inadäquaten Pharmakotherapie bei Pflege-
heimbewohner(inn)en erhoben. Die Ergebnisse
dieser Erhebung sollen zu einer Verbesserung der
Arzneimitteltherapiesicherheit in Pflegeheimen beitra-
gen (vergleiche Artikel S. 19 in dieser Ausgabe)
Integrated health technology assessment for
evaluating complex technologies –
INTEGRATE-HTA
In dem EU-geförderten Projekt entwickeln wir mit
Partnern aus fünf Ländern Konzepte und Methoden zur
umfassenden, patientenorientierten und integrierten
Bewertung von komplexen Verfahren. Die im Rahmen
des Projekts entwickelten Methoden werden am
Beispiel der Palliativversorgung getestet und auf an-
dere Versorgungsbereiche ausgeweitet. Anwender(inn)-
en, Nutzer(inn)en und Entscheidungsträger(inn)en
sollen Werkzeuge an die Hand bekommen, die
eine systematische Einschätzung von komplexen
Gesundheitsleistungen auf dem aktuellen Stand der
Forschung ermöglichen.
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Die Abteilung »Prävention und Gesundheits-
förderung« befindet sich derzeit im Aufbau.
Die Vertretung der Professur »Evidenzbasierte
Gesundheitsförderung und Prävention« hat Prof.
Dr. Verena Klusmann inne, die kommissarische
Abteilungsleitung hat Prof. Dr. Henning Schmidt-
Semisch übernommen.
Schwerpunkte in Forschung und Transfer
Unter einer Lebensspannenperspektive betrach-
ten wir Prävention und Gesundheitsförderung
im Hinblick auf spezifische Zielgruppen und Set-
tings. Dabei werden soweit möglich partizipative
Ansätze verfolgt. Wir untersuchen psychosoziale
Einflüsse auf Gesundheit und Gesundheitsverhal-
ten mit einem Fokus auf körperliche Aktivität und
Ernährungsverhalten sowie die Dynamik von
Verhaltensänderungsprozessen. Weiterhin beschäf-
tigen wir uns mit der Rolle sozialer und räumlicher
Umgebungsmerkmale auf Gesundheit und Gesund-
heitsverhalten. Neben der Identifikation sozialer
und räumlicher Merkmale (z.B. Arbeitslosenquo-
te oder Grünflächenanteil) geht es auch darum,
wie diese Faktoren bei der Planung von Präven-
tions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen
berücksichtigt werden können. Schließlich bearbei-
ten wir auch methodische Fragestellungen, etwa
zur Messung von Gesundheit und Gesundheitsver-
halten und zur Gestaltung von Evaluationsdesigns.
Wir unterhalten nationale und internationale For-
schungskontakte und -kooperationen, u.a. nach
Berlin, Konstanz, Leipzig sowie Österreich, Irland,
Polen, China, Japan und USA.
Lehre, Nachwuchsförderung und Weiterbil-
dung
Im Bachelorstudiengang Public Health und im
Masterstudiengang Prävention und Gesund-
heitsförderung bieten wir Veranstaltungen
zu theoretischen Grundlagen, Modellen und
Handlungsempfehlungen an (z.B. Gesundheits-
psychologie, Kommunale Gesundheitsförderung).
Unsere Seminare zur Gesundheitsförderung
in speziellen Settings und für unterschiedliche
Zielgruppen haben demgegenüber eine empi-
risch-praktische Schwerpunktsetzung. Thematisch
finden hier auch unsere Forschungsinhalte Ein-
gang. Abgerundet wird unser Lehrprofil durch die
Themen Qualitätssicherung und Evidenzbasierung
und forschungsorientierte Veranstaltungen (wis-
senschaftliches Arbeiten, quantitative Methoden
und Statistik, Begleitung von Forschungspro-
jekten).
Die von uns betreuten Qualifikationsarbeiten
umfassen ein thematisch weites Spektrum im
Bereich unserer Arbeitsschwerpunkte. Hierunter
finden sich beispielsweise zielgruppenspezifische
Bedarfs- und Ressourcenanalysen (z.B. ältere
Migranten, pflegende Angehörige, Auszubildende)
von Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen
für verschiedene chronisch-degenerative Erkran-
kungen (z.B. Demenz, Krebs). Individuelle wie
auch strukturelle Determinanten des Gesund-
heitsverhaltens werden untersucht. Ansätze des
betrieblichen Gesundheits- und Wiedereinglie-
derungsmanagements bis hin zu partizipativen
Ansätzen in der Gesundheitsversorgung werden
auf den Prüfstand gestellt und innovative Maß-
nahmen zur kommunalen Gesundheitsförderung
evaluiert. Außeruniversitär bieten wir verschie-
dentlich Workshops für Berufspraktiker (z.B. Bund
Deutscher Psychologen) an und sind in Vortrags-
reihen für die interessierte Öffentlichkeit (z.B. vhs.
Universität) involviert.
Kontakt & Informationen
Prof. Dr. Henning Schmidt-Semisch,
Universität Bremen, Institut für Public Health und
disziplinspezifische Unterschiede sowie Auswirkungen
auf die Pflegequalität und Zusammenarbeit identifiziert
werden.
Teamfoto, v.l.n.r.: Prof. Dr. Ingrid Darmann-Finck, Stefanie Schniering, Dr. Miriam Richter, Gerlinde Klimasch, Sabine Muths, Andreas Baumeister, Nicole Duveneck, Agnes-Dorothee Greiner
proJektbeispieLe
ipp-inFo AusgAbe 13
Soziale Ungleichheiten bei Gesundheit stellen eine
wesentliche Herausforderung für Public Health dar.
Ziel unserer im Februar 2013 neu gegründeten
Abteilung ist, mit unserer Forschung zur Verringe-
rung gesundheitlicher Ungleichheiten beizutragen.
Hierfür verbinden wir Theorien, Fragestellungen
und Methoden aus der Sozial- und Umweltepidemi-
ologie zur Identifikation sozialer Ungleichheiten bei
Gesundheit und zur Evaluation von Interventionen
im Hinblick auf Ungleichheitseffekte. Wir verfolgen
Kreativität und Wellness) konzeptualisieren, stetig wei-
terentwickeln und auch im Strafvollzug umsetzen.
DFG Projekt »Anwendungsrationalitäten und
Folgen von Drogentests«
Seit November 2013 und bis April 2016 führen wir ein
Forschungsprojekt zu »Anwendungsrationalitäten und
Folgen von Drogentests« durch. Das Projekt nimmt
eine qualitative Bestandsaufnahme von Drogentests in
Deutschland vor und fragt nach Anwendungskontexten,
Testpraktiken und Folgen dieser Tests sowie nach dem
Verhältnis z.B. gesundheitlicher, moralischer oder ökono-
mischer Intentionen ihrer Anwendungen (insbesondere in
den Kontexten Soziale Arbeit, Schule und Arbeitsplatz).
Praxisprojekt: Gesundheitsförderung für Frauen
in Haft (in Kooperation mit dem Verein Bremische
Straffälligenbetreuung seit 1837)
In Kooperation mit dem Verein Bremische
Straffälligenbetreuung führen wir seit 2007 das
»Praxisprojekt: Gesundheitsförderung für Frauen in
Haft« durch. Die unterschiedlichen Angebote zielen v.a.
auf die Verbesserung des sozialen, psychischen und kör-
perlichen Befindens sowie die Stärkung der Ressourcen
der Gefangenen. Zugleich ermöglichen die Angebote
einen Dialog zwischen »Drinnen« und »Draußen«. Die
Projektgruppe besteht aus (zur Zeit ca. 20) ehrenamt-
lich arbeitenden Studentinnen, die die Angebote (etwa
offene oder themenspezifische Gesundheitsstunden z.B.
zu HIV/AIDS, sexuell übertragbaren Erkrankungen und
Abteilung 6
Gesundheit & Gesellschaft
Teamfoto, v.l.n.r.: Dr. Monika Urban, Dr. Friedrich Schorb, Nadine Ochmann, Viktoria Przytulla, Prof. Dr. Henning Schmidt-Semisch, Simon Egbert, Dr. Martina Wachtlin, Prof. Dr. Ju-Ill Kim, Dirk Lampe (es fehlen: Thomas Hehlmann und Dr. Katja Thane)
proJektbeispieLe
ipp-inFo AusgAbe 13
Die Abteilung 7 »Pflegewissenschaftliche Versor-
gungsforschung« wurde im April 2014 am IPP
Bremen gegründet. Unsere Abteilung 7 befasst
sich mit Forschung zu Strukturen, Prozessen und
Ergebnissen der Gesundheitsversorgung. Das
Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Hilfe- und
Pflegebedarf von älteren Menschen – ein besonde-
rer Schwerpunkt ist die Versorgung von Menschen
mit Demenz. Die Entwicklung und Evaluation neuer
Versorgungskonzepte sowie die Evaluation der
Wirkung von bestehenden und innovativen Ver-
sorgungsstrukturen und -konzepten sind deshalb
unter anderem Gegenstand unserer Arbeit.
Unsere Forschung findet in folgenden Schwer-
punkten statt:
Ein Forschungsschwerpunkt unserer Abteilung ist
die Evidenzbasierung. Ziel dieser Arbeiten ist die
weitere Professionalisierung des pflegerischen
Handelns durch neue wissenschaftlich begründete
Pflegekonzepte, -instrumentarien und den Transfer
von Forschungsergebnissen in die Versorgungs-
praxis.
Weitere Forschungsschwerpunkte unserer Abtei-
lung sind die Weiterentwicklung alternativer
Versorgungsstrukturen, die Qualitätssicherung-
und -weiterentwicklung sowie die Analyse von
Netzwerkstrukturen von z.B. informellen und for-
mellen Versorgungsnetzwerken.
Neben national ausgerichteten Vorhaben ist
es uns wichtig, den Kontakt zu internationalen
Fachkolleg(inn)en auszubauen und pflegewis-
senschaftliche Forschung in einen internationalen
Kontextzustellen.
Lehre & Nachwuchsförderung
Unser Team lehrt in unterschiedlichen
Veranstaltungen in den pflege- und gesundheits-
wissenschaftlichen Studiengängen (Bachelor- und
Masterprogramme) am Fachbereich 11 Human- und
Gesundheitswissenschaften. Wir betreuen, neben
Bachelor- und Masterarbeiten, auch Promotionen.
Die Förderung des akademischen Nachwuchses
ist uns ein Anliegen. Deshalb haben Studieren-
de, vor allem aus dem Bereich der Pflege- und
Gesundheitswissenschaft, die Möglichkeit, durch
die Mitarbeit im Team der Abteilung 7 ihr Interes-
se an Forschung durch erste Einblicke zu wecken
oder aber bereits vorhandene Kenntnisse zu
vertiefen. Weiterhin werden einhergehend mit
der voranschreitenden Internationalisierung der
pflegewissenschaftlichen Forschung und dem
damit verbundenen wachsenden Bedarf an eng-
lischer Sprachkompetenz Kurse in Fachenglisch
für Pflegewissenschaft über Frau Katrin Dorow
angeboten.
Kontakt & Informationen
Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann,
Universität Bremen, Institut für Public Health und
Vor kurzem abgeschlossen wurde das multizentrische
Projekt DemNet-D im Rahmen der »Zukunftswerkstatt
Demenz« des Bundesministeriums für Gesundheit, in
Abteilung 7
Pflegewissenschaftliche Versorgungsforschung
Teamfoto, v.l.n.r.: Dr. Dirk Peschke, Annika Schmidt, Prof. Dr. Karin Wolf-Ostermann, Katrin Dorow. Weitere Mitarbeiter, die in den in Berlin verorteten Forschungsprojekten arbeiten, sind Dr. Johannes Gräske, Andreas Worch, sowie Arne Buß.
proJektbeispieLe
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Unsere Forschungsschwerpunkte:
Gesundheit und demographischer Wandel
Der demographische Wandel in Europa ist gekenn-
zeichnet durch einen Geburtenrückgang, eine
höhere Lebenserwartung und eine alternde
Bevölkerung. Hierdurch ergeben sich neue Heraus-
forderungen in privaten, sozialen und auch
gesellschaftlichen Bereichen.
Wir befassen uns in diesem Forschungsbereich mit
den Auswirkungen des demographischen Wandels
auf die Gesundheit der Bevölkerung. Einer unserer
Schwerpunkte in diesem Kontext ist gesundes
Altern (»HealthyAgeing«)unddie Förderungvon
Gesundheit und Lebensqualität im Alter. Weitere
behandelte Aspekte sind eine geänderte Fami-
lien- und Sozialstruktur und neue Formen der
Erwerbstätigkeit.
Determinanten von Gesundheitsverhalten
Gesundheitsrelevantes Verhalten, wie körperliche
Aktivität oder Ernährung, sind zumeist komplexe
Verhaltensweisen, die vielfältige Einflussfaktoren
auf allen Ebenen (intrapersonal, interpersonal,
Umwelt, Gesellschaft) besitzen. Darüber hinaus
spielen der Lebensverlauf und die soziale Herkunft
eine wichtige Rolle.
Wir beschäftigen uns in diesem Schwerpunkt mit
den Determinanten von Gesundheitsverhalten und
den Konsequenzen für Public Health und Gesund-
heitsförderung. Insbesondere interessieren uns
integrierte Ansätze, die verschiedene epidemiologi-
sche Disziplinen miteinander verbinden.
Methoden in der Epidemiologie
Im Bereich der Entwicklung epidemiologischer
Methoden beschäftigt uns die Validität und
Qualitätssicherung in der Expositions- und Out-
come-Erfassung, die Entwicklung und Erprobung
neuartiger Methoden und Fragen der statistischen
Modellierung mit klassischen oder neuen Metho-
den.
Lehre
In der Lehre bieten wir derzeit Veranstaltungen mit
den Schwerpunkten empirische, statistische und
epidemiologische Methoden sowie zum Gesund-
heitsverhalten an.
Wir betreuen Praktika, Bachelorarbeiten, Masterar-
beiten und Dissertationen.
Kontakt & Informationen
Dr. Karin Bammann,
Bremen Senior Researcher, Universität Bremen,
Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP),
Personen sind seltener ausreichend körperlich aktiv
und nehmen seltener an Präventionsmaßnahmen
teil. Dies kann zur Folge haben, dass Maßnah-
men der Prävention und Gesundheitsförderung
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Hintergrund
Ein höheres Lebensalter, begleitende Erkran-
kungen und eine bestehende (Poly)medikation
sind bekannte Risikofaktoren für eine chronische
Niereninsuffizienz (CNI) und damit einhergehende
Probleme im Bereich der Arzneimitteltherapiesicher-
heit. Durch eine an die Nierenfunktion angepasste
Medikation können unerwünschte Arzneimittelwir-
kungen reduziert und Krankenhauseinweisungen
verhindert werden. Allerdings liegen für Deutsch-
land bislang keine Daten zur Häufigkeit der CNI bei
Pflegeheimbewohnern vor. Auch ist bislang nicht
bekannt, wie viele Pflegeheimbewohner Medika-
mente erhalten, die nicht an ihre Nierenfunktion
angepasst ist.
Projektziel
Die von der KfH Stiftung Präventivmedizin (www.
kfh-stiftung-praeventivmedizin.de) geförderte
IMREN Studie verfolgte zwei wesentliche Projekt-
ziele:
1) Im Rahmen einer Querschnittstudie wurden
zwischen Oktober 2014 und April 2015 in 21 Pfle-
geheimen die Daten von 852 Bewohnern anonym
durch die Pflegekräfte vor Ort erfasst. Durch die
Analyse dieser Daten können Aussagen gemacht
werden a) zur Prävalenz von Nierenfunktions-
störungen bei Pflegeheimbewohnern und b) zur
Häufigkeit, mit der Pflegeheimbewohner Medika-
mente erhalten, die nicht/ nicht ausreichend an ihre
Nierenfunktion angepasst sind.
2) In einem qualitativen Studienabschnitt wurden
die möglichen Ursachen und Folgen einer ina-
däquaten Medikation in zwei Fokusgruppen mit
den beteiligten Berufsgruppen (Pflegende, Hau-
särzte, Apotheker, Nephrologen) diskutiert und
gemeinsam Empfehlungen zur Verbesserung der
Arzneimitteltherapiesicherheit in Pflegeheimen
entwickelt.
Methode
Die Datenerhebung erfolgte durch die zuständigen
Pflegekräfte im Heim mit einem pilotierten, stan-
dardisierten Fragebogen. Es wurden u.a. Angaben
zur Medikation (Kopie des Medikationsplans),
Diagnosen, klinischen Befunden, soziodemo-
graphischen Daten, zur ärztlichen Versorgung
sowie zur Pflegebedürftigkeit erfasst. Die Erhe-
bung von Laborparametern zur Erfassung der
Nierenfunktion erfolgte auf Basis im Heim vorlie-
gender Informationen (Pflegedokumentation bzw.
Krankenhausentlassungsbriefe) oder wurde vom
Pflegepersonal gezielt bei den behandelnden Haus-
ärztInnen angefordert.
Die Bewertung, inwieweit Medikamente bei vor-
liegender Nierenfunktion kontraindiziert bzw.
angepasst sind, erfolgte auf Basis der Fachinfor-
mationen der verordneten Arzneimittel. In den
Pflegeheimen wurden alle BewohnerInnen der
teilnehmenden Wohneinheiten eingeschlossen,
Ausschlusskriterien wurden nicht angewendet. Da
nur bereits vorhandene Daten verwendet wurden,
war nach einem positiven Votum der Ethikkommis-
sion eine individuelle Einverständniserklärung nicht
erforderlich. Alle Fragebögen wurden unabhängig
durch zwei Personen in eine elektronische Maske
(eCRF) eingegeben, die Eingabe und Prüfung der
Medikamentenpläne erfolgte ausschließlich durch
Apotheker.
Ergebnisse und Konsequenzen
Insgesamt konnten 852 BewohnerInnen (Durch-
schnittsalter: 83,5 Jahre; 76,5% weiblich) aus 21
Heimen in Bremen und dem niedersächsischen
Umland eingeschlossen werden. Die Bewohne-
rInnen lebten durchschnittlich seit 3,3 Jahren im
Pflegeheim, jeweils etwas mehr als ein Drittel
Verbesserung der Arzneimitteltherapie-sicherheit bei PflegeheimbewohnerInnen IMREN – Inappropriate Medication in patients with REnal insufficiency in Nursing homes
ungewollt soziale Ungleichheiten bei Gesund-
heit verstärken. Diese als »Intervention-generated
Inequalities«(»IGIs«,durchInterventionenhervor-
gerufene oder verstärkte soziale Ungleichheiten bei
Gesundheit) bezeichneten Effekte wurden bislang
bei der Evaluation von Public-Health-Maßnahmen
selten berücksichtigt.
»Profitieren alle Menschen – unabhängig von
ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer
Bildung, ihrem Berufsstatus, ihrem Einkommen
oder ihrem Wohnumfeld – gleichermaßen von
Maßnahmen zur Förderung der körperlichen Akti-
vität?«»WiekönnensozialeUngleichheitenbeider
Entwicklung und Umsetzung von Präventionsmaß-
nahmenadäquatberücksichtigtwerden?«
Diesen Fragen widmet sich das Teilprojekt EQUAL,
das in der Abteilung Sozialepidemiologie am Institut
für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Uni-
versität Bremen angesiedelt ist und in Kooperation
PROFIL Gender Forschungslehrprojekt »Nachbarschaftsportal zu Wohnumwelt und Wohlbefinden im Quartier: Partizipative Technikentwicklung für und mit ältere/n Menschen«
jekts durch Hochschullehrende oder die Einrichtung
eines Skills Labs. Um bessere Bedingungen für
arbeitsgebundenes Lernen zu schaffen, sind u.a.
eine bessere Personalausstattung, die Zusammen-
arbeit mit hochschulisch qualifizierten Kolleginnen
und Kollegen, Freistellungen sowie das Vorhanden-
seinvonReflexionsmöglichkeitenwesentlich.
Bislang besteht bei über der Hälfte der Stu-
dierenden insbesondere aus der Pflege – trotz
Einschätzung guter nationaler und internationa-
ler Berufschancen – zum Studienabschluss noch
Unklarheit, welche Vorteile ihnen das Studium
im Gegensatz zur beruflichen Ausbildung bringt.
Dieser Befund lässt sich u.a. damit erklären, dass
in den Versorgungseinrichtungen bislang kaum
Konzepte zur systematischen Integration von
Fachkräften mit einem Bachelorabschluss in den
Qualifikationsmixexistieren.
Eine ausführliche Darstellung der Studie sowie die
Subjektive Wahrnehmung der Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen Eine Querschnittstudie
neuerscHeinung
Der Glaube an die Globuli Die Verheißungen der Homöopathie
Homöopathie gehört zu den beliebtesten Behandlungs-
methoden der Alternativmedizin. Daran ändert auch
nichts die Tatsache, dass es keine methodisch aner-
kannten Belege für den Nutzen der Homöopathie gibt.
Der Bremer Gesundheitswissenschaftler Norbert Schma-
cke vom Institut für Public Health und Pflegeforschung
im Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften
der Universität Bremen hat in einer Literaturstudie sein
Augenmerk auf einen anderen Aspekt gelegt: nämlich
dass die Homöopathie in Deutschland als besonderes
Therapieverfahren vom Gesetzgeber geschützt ist. Die
Frage, ob die politisch gewollte Doppelgleisigkeit in
der Bewertung der Homöopathie und der Schulmedizin
aus ethischen Gründen gerechtfertigt werden kann,
Von Übergewicht bis zur Impfpolitik Gemeinsam die Zukunftsfragen der Gesundheit beantwor-ten – Europäischer Satellit der Public Health-Gruppe von Cochrane gegründet
Bremer und Münchener WissenschaftlerInnen
haben sich mit Institutionen aus Österreich und
der Schweiz zusammengeschlossen, um einen
europäischen Satelliten der Public Health-Gruppe
des Forschungsnetzwerks Cochrane zu gründen.
Die Ziele der Kooperation sind es, die Forschung zu
Themen der öffentlichen Gesundheit voranzutrei-
ben und die Ergebnisse an die Öffentlichkeit sowie
an Entscheidungsträger zu vermitteln. Wie soll die
Gesellschaft mit der rasanten Zunahme von Über-
gewicht in der Bevölkerung umgehen? Brauchen
wir für bestimmte Krankheiten eine Impfpflicht?
Welche Regelungen macht die Belastung unserer
Atemluft mit Feinstaub notwendig? Um Antworten
auf diese Fragen zu finden, braucht es gezielte For-
schung auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit
(Public Health) sowie einen intelligenten und ver-
antwortungsbewussten Umgang mit den daraus
entstehenden wissenschaftlichen Ergebnissen und
Aussagen. Neben der Universität Bremen und
dem Leibniz-Institut für Präventionsforschung und
Epidemiologie – BIPS haben sich Cochrane Öster-
reich, Cochrane Schweiz, die Universität Zürich
sowie die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)
München zusammengetan, um der Public Health-
Forschung mehr Gewicht zu verleihen, sie besser
zu koordinieren und so wichtigen gesellschaftlichen
Gesundheitsanliegen eine starke, faktenbezogene
Stimme zu geben. Prof Dr. Ansgar Gerhardus
(Institut für Public Health und Pflegeforschung, Uni-
versität Bremen), Prof. Dr. Hajo Zeeb (BIPS) sowie
Prof. Dr. Stefan K. Lhachimi, Leiter der »Collabo-
rative Research Group for Evidence-Based Public
Health« (Universität Bremen/BIPS) zählen zu den
Bremer Gründern des neuen Cochrane-Satelliten.
Der europäische Satellit ist ein Ableger der in Mel-
bourne, Australien, beheimateten »Cochrane Public
Health Group«, einer der insgesamt über 50 the-
menbezogenen Arbeitsgruppen des internationalen
Forschungsnetzwerks Cochrane. Das zentrale Ziel
dieses Netzwerks ist es, die wissenschaftlichen
Grundlagen für Entscheidungen im Gesundheits-
system zu verbessern. Dieses Ziel wird vor allem
durch die Erstellung, Aktualisierung und Verbrei-
tung systematischer Übersichtsarbeiten erreicht.
Ein erstes gemeinsames Projekt ist die Internet-
seite »Cochrane Kompakt«. Laienverständliche
Zusammenfassungen wichtiger systematischer Über-
sichtsarbeiten werden ins Deutsche übersetzt und
online für alle Interessierten zur Verfügung gestellt.
die berufstätig sind oder Familienpflichten haben,
sowie auf entsprechend qualifizierte Berufsrück-
kehrerInnen, arbeitslose AkademikerInnen und
Personen mit ausländischen Studienabschlüssen.
Für diese neuen Zielgruppen entstehen in drei
Fachbereichen der Universität berufsbegleitend
studierbare (weiterbildende) Master- und Zer-
tifikatsangebote in den Bereichen Informatik,
Produktionstechnik und Pflegewissenschaft – und
damit in Feldern, die sowohl zu den Wissenschafts-
schwerpunkten der Universität Bremen gehören als
auch zur Fachkräftesicherung in der Region und
bundesweit besonders nachgefragt sind.
Das Projekt konstruktiv wird mit insgesamt fast
drei Millionen Euro vom BMBF gefördert und
von der Akademie für Weiterbildung koordiniert.
Am 1. Januar 2015 startete am IPP das Teilpro-
jekt »Modulbaukästen und flexible Curricula im
Bereich Pflegewissenschaft«. Mit Hilfe sogenann-
ter »Modulbaukästen« werden die Curricula der
berufsbegleitenden Studienangebote so gestaltet,
Das Projekt »konstruktiv« an der Universität BremenBildungsprozesse neu denken. Studienangebote für vielfältige Bildungsbiographien und -ziele entwickeln.Teilprojekt »Modulbaukästen und flexible Curricula im Bereich Pflegewissenschaft« am IPP
dass Personen mit unterschiedlichen Bildungsbio-
graphien sie nutzen können, um ihre individuellen
Qualifizierungsziele zu erreichen. Zugleich ermög-
licht die flexible Struktur, dass neue oder sich
wandelnde gesellschaftliche Bedarfe und Anforde-
rungen aufgenommen werden, ohne dass jeweils
ein neuer Studiengang entwickelt werden muss.
Mit Modulbaukästen und daraus entstehenden
flexiblenCurriculazuarbeiten,könnte inderUni-
versität Bremen langfristig zur Leitidee für die
Gestaltung des Studienangebots auf Masterebene
werden. Das heißt, die im Rahmen von konstruktiv
entstehenden Konzepte und Ansätze sollen dazu
beitragen, die Universität Bremen nachhaltig für
neue Zielgruppen und deren Qualifizierungswün-
sche in unterschiedlichen Lebensphasen zu öffnen.
Herausforderung und zugleich Chance des Projekts
konstruktiv ist sein konzeptioneller Ansatz: kon-
struktiv geht nicht – wie bislang in der Planung von
Hochschullehre üblich – von ganzen Studiengän-
gen und deren Zielen aus, sondern von einzelnen
Modulen, die zu flexiblen Curricula zusammen-
gestellt werden. Dazu wird für das Themenfeld
»Pflegewissenschaft« ein »Modulbaukasten«
entwickelt. Elemente dieses »Modulbaukastens«
können grundsätzlich alle Module aus den pflege-
und gesundheitswissenschaftlichen konsekutiven
und weiterbildenden Masterstudiengängen im
FB 11 sein. In Frage kommen aber auch Modu-
le aus den weiterbildenden Studienangeboten
in den Bereichen Pflegewissenschaft (Zertifikat)
und Palliative Care (Master und Zertifikat) oder
aus geeigneten Bachelorstudiengängen. Doch
auch Module anderer Hochschulen oder passende
MOOCs (Massive Open Online Courses) können in
den Modulbaukasten aufgenommen werden.
Geplant sind auch die Umgestaltung von Modulen
auf die Bedürfnisse berufstätiger und berufser-
fahrener Studierender und die Neuentwicklung
fehlender Module. Bereits in der beruflichen Pra-
xis erworbene Kompetenzen sollen angerechnet
werden. Zum Konzept von konstruktiv zählt also,
die bisherige strikte Trennung zwischen grundstän-
diger Lehre und Weiterbildung aufzuheben. Dieser
Ansatz zur Planung und Entwicklung von Studien-
angeboten ist nicht nur innovativ, sondern zugleich
ressourcenschonend.
Zu einem »Modulbaukasten« gehören aber nicht
nur einzelne Module, sondern ebenso Rahmen-
vorgaben und Regeln, wie aus Modulen flexible
Curricula entstehen können. Diese sollen vielfäl-
tigen Bildungsbiographien gerecht werden, die
Realisierung individueller Bildungsziele ermög-
lichen und sich an neue Entwicklungen und
veränderte Bedarfe anpassen lassen.
Im Projekt sollen auf diese Weise im Bereich
Pflegewissenschaft ein berufsbegleitendes (wei-
terbildendes) flexibles Master-Curriculum mit
zahlreichen Wahlmöglichkeiten und entsprechend
vielen Modulen sowie drei bis vier Zertifikatsange-
bote neu entstehen.
DieGesamt-ProjektleitungobliegtDr.PetraBoxler,
Akademie für Weiterbildung; am IPP leiten das Teil-
projekt Prof. Dr. Henning Schmidt-Semisch, Prof. Dr.
Stefan Görres und Prof. Dr. Ingrid Darmann-Finck.
Auf der WiMi-Ebene arbeiten im Projekt konstruk-
tiv mit unterschiedlichen Stellenanteilen Izlem
Alptekin, Stefanie Schniering und Susanne Fleckin-
ger (alle IPP) sowie Barbara Spies (Akademie für
Weiterbildung). Näheres zum Projekt unter www.
uni-bremen.de/konstruktiv.
Kontakt und Information:
Susanne Fleckinger (M.A.),
Universität Bremen,
Fachbereich 11: Human- und Gesundheitswissenschaften,
Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP),
beantwortet er mit Nein – und sieht den Gesetzgeber
in der Pflicht.
ipp-inFo AusgAbe 13
Der Beleg eines irgendwie definierten Nutzens
durch die Anlage einer langfristig angelegten
Magensonde (PEG-Sonde) für Menschen mit
schwerer Demenz ist bislang nicht erbracht (vgl.
Sampson et al. 2009). Für Angehörige und das
helfende Umfeld geht die Entscheidung über
die langfristige Sondenernährung oftmals mit
hohem Belastungserleben einher. Themenspezi-
fische Entscheidungshilfen für Angehörige und
Stellvertreterpersonen liegen inzwischen vor. Doch
berücksichtigensienichtdieKontextbedingungen,
unter denen Stellvertreterpersonen in den Ent-
scheidungsprozess eintreten. Wenig ist bekannt
über die institutionsbezogenen Einflussfaktoren
und über handlungsrelevante Strategien von Stell-
vertreterpersonen sowie der Angehörigen der
Gesundheitsberufe. Die Dissertation (Mazzola
2015) liefert ein vertieftes Verständnis über das
Zustandekommen von präferenz-sensitiven Ent-
scheidungen bei demenzbetroffenen Menschen
im Setting der vollstationären Langzeitpflege. Das
positive Votum der Ethikkommission der Univer-
sität Bremen wurde eingeholt. Die Ergebnisse der
qualitativen Studie mit retrospektivem Design
Dissertation Dr. phil.
Das Tabu im PEG-Ereignis. Die Anwendung langfristiger Sondenernährung bei Menschen mit Demenz in der stationären Langzeitpflege
QuALiFikAtionsArbeiten
Bachelorarbeit B.A. Pflegewissenschaft
Auswirkungen des Care-Mix auf Krankenhaus-einweisungen und Ernährungszustand bei BewohnerInnen der stationären Langzeitversorgung – eine systematische Übersichtsarbeit
Bei bestehenden Entwicklungen in Richtung spe-
zialisierter und differenzierterer Aufgaben- und
Tätigkeitsfeldern in der Pflege erwartet Deutsch-
land einen zunehmenden Fachkräftemangel bereits
in naher Zukunft. Dies ruft vermehrt Bestrebungen
hervor, durch Ausbildung und Training weniger
spezialisierter und ergänzender Personengruppen
als Unterstützung von Pflegefachkräften in der
täglichen Arbeit bereit zu stellen. Besonders in der
stationären Langzeitversorgung sind durch den
Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für einen
Mixunterschiedlicher,anderdirektenpflegerischen
Versorgung beteiligten Berufs- und Personengrup-
pen(Care-Mix)gegeben.Jedochliegenderzeitnur
eingeschränkt Forschungsarbeiten zu der Frage
vor, wie dieser Mix gesundheits- und lebens-
qualitätsbezogene Outcomes der BewohnerInnen
beeinflusst. Internationale Studien haben bislang
besonders gemischte Ergebnisse zum Zusammen-
hang zwischen Care-Mix und Ergebniskriterien
auf BewohnerInnenebene berichtet. Das Thema
ist besonders in Verbindung mit Outcomes von
Bedeutung, die nicht nur auf Ebene der Leistungs-
erbringer und –träger kostenintensiv erscheinen,
sondern individuelle Risiken und Stressoren für
die BewohnerInnen darstellen, wenn sie – wie
Veränderungen des Ernährungszustandes oder
Krankenhauseinweisungen – als unerwünschte
Ereignisse erlebt werden. Die Arbeit zielt darauf
ab, die Evidenz-Basis für den Zusammenhang des
Care-Mix und BewohnerInnenoutcomes (Kranken-
hauseinweisungen und Ernährungszustand) in der
stationären Langzeitpflege im Rahmen einer syste-
matischen Übersichtsarbeit zu den Ergebnissen
quantitativer Forschungsarbeiten zu identifizieren
Natalie Riedel neue Mitarbeiterin in der Abteilung Sozialepidemiologie mit einem Forschungsprojekt zu Lärmaktionsplanung und gesundheitlicher Chancengleichheit
Schluckstörungen bei fortgeschrittener Demenz, die
Multimorbidität und Hochaltrigkeit als ursächliche
Bedingungen des PEG-Ereignisses im Entschei-
dungsprozess im Verborgenen.
Schlussfolgerung
Die Rhetorik des ›Verhungerns‹ kann diversen Per-
sonengruppen als moralischer Vorwand dienen, um
Partikularinteressen durchzusetzen. Sie verleiht der
Entscheidungssituation ihren tabumarkierenden
Reizwortcharakter. Die gesellschaftliche Tabui-
sierung von körperlicher Versehrtheit, Endlichkeit
und Demenz erscheint im Kontext der Pflegeein-
richtung als bedeutsamer Einflussfaktor. Deutlich
wird dies in Form einer Normierung der Hoch-
altrigkeit, der Degradierung des Sterbens als
Qualitätssicherungsproblem sowie in einer
Strategie der Endlichkeitskompensierung und
Absicherung. Bei Fehlinformationen, Fehlinterpre-
tationen über die Wirkung der Sondenernährung
bei schwerer Demenz erweist sich die Zielvorgabe
der Angehörigen der Gesundheitsberufe oder der
Familien als handlungsrelevant. Der (mutmaßliche)
Wille der Betroffenen rückt dabei in den Hinter-
grund.
Die Auseinandersetzung mit präferenzorientierten
Entscheidungen über PEG-Sonden bei Demenz
erfordert die frühzeitige, umfassende, neutrale und
laiengerechte Information und Interpretationshil-
fe für Stellvertreterpersonen. Die Angehörigen der
Gesundheitsberufe verfügen über dialogfördernde
Strategien etwa in Form von systematischen Fall-
besprechungen. Hierbei kann es gelingen, die
demenzbetroffene Person und deren (mutmaß-
lichen) Wunsch und Willen in den Mittelpunkt zu
rücken und Entscheidungsunsicherheit zu reduzie-
ren. Jedoch mangelt es beruflich Pflegenden an
der notwendigen Zeit- und Handlungssouveränität,
um ihre Unterstützungspotenziale im Umgang mit
gesundheits-/und pflegebezogenen Tabu-Themen
anzuwenden. Darüber hinaus ersetzen sie nicht die
notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung
mit den Themen Sterben und Tod.
Die Studie wurde durchgeführt in der Stadt Bremen
und Umgebung und in der Zeit von 2010 – 2013
gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung, im
Rahmen des Promotionskollegs »NutzerInnenori-
entierteGesundheitssicherung«,angesiedeltander
Universität Bremen, Institut für Public Health und
Pflegeforschung (IPP).
Mazzola, R. 2015. Das Tabu im PEG-Ereignis – Die
Anwendung langfristiger Sondenernährung bei
Menschen mit Demenz in der stationären Langzeit-
pflege. Online über URN-Link: http://nbn-resolving.
de/urn:nbn:de:gbv:46-00104577-18. Weitere Lite-
ratur bei der Verfasserin
Kontakt:
Dr. phil. Rosa Mazzola,
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften,