Wochenberic ht des DIWBerlin Nr. 33/2009 550 Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig Die Netto-Reallöhne sind in Deutschland seit An- fang der 90er Jahre kaum gestiegen. Von 2004 bis 2008 gingen sie sogar zurück, eine in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Ent- wicklung, denn nie zuvor ging ein durchaus kräf- tiges Wirtschaftswachstum mit einer Senkung der realen Nettolöhne über mehrere Jahre einher. Maßgeblich hierfür ist nicht etwa eine höhere Be- lastung der Lohneinkommen durch Steuern und Sozialab gaben, sondern die – auch im interna- tionalen Vergleich – außerordentlich schwache Steigerung der Entgelte. Diese r Befund ist umso bemerkenswerter, als sich die Qualifikation der beschäftigten Arbeitnehmer im Durchschnitt er- höht hat, was für sich genommen einen deutlichen Anstieg der Verdienste hätte erwar ten lasse n. Im Gegensatz zur Lohnentwicklung sind die Einkom- men aus selbständiger Tätigkeit sowie aus Kapi- talvermögen in den vergangenen Jahren kräftig gesti egen, so dass di e Arbeit nehmerentgelt e einen immer geringeren Teil des Volkseinkommens aus- machen. Die bereinigte Lohnquote erreichte 2007 und 2008 mit rund 61 Prozent ein Rekordtief. Wie in früheren Rezessionen werden aber auch dieses Mal die Kapitaleinkünfte stärker als die Löhne un- ter Druck geraten. Bei der Analyse der Lohnentwicklung muss zwischen Arbeitnehmerentgelten, Brutto- und Nettolöhnen unterschieden werden. Arbeitneh- merentgelte umfassen die gesamten Lohnkosten der Arbeitgeber. Werden davon die Arbeitgeber- beiträge für die Sozialversicherungen und andere Leistungen der Arbeitgeber abgezogen, handelt es sich um die Bruttolöhne. Diese vermindert um die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und die Lohnsteuer ergeben die Nettolöhne. Im Folgen- den werden – soweit Daten verfügbar sind – die Löhne auf die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden bezogen, um der Ta tsache Rechnung zu tragen, dass die Arbeitszeit der abhängig Beschäftigten und damit auch deren effektive Entlohnung im Zeitverlauf variiert. Schwache Lohnentwicklung seit der Jahrtause ndwende In den letzten Jahren sind die Löhne je geleiste- ter Arbeitsstunde in Deutschland nominal kaum gestiegen, unter Berücksichtigung der Preisstei- gerungen sind sie sogar gesunken – das gilt für die Arbeitnehmerentgelte, die Bruttolöhne und für die Nettolöhne (Abbildung 1). 1 Bei den Arbeit- nehmerentgelten und den Bruttolöhnen kam es nach 2003 zu einer Abwärtsbewegung, bei den Nettolöhnen setzte sie ein Jahr später ein. 1Im Wesentlichen wird in dieser Untersuchung zur Preisbereinigung der Deflator des privaten Konsums aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verwendet. Eine Alternative wäre der vom Statisti- schen Bundesamt ermittelte Preisindex für die Ausgaben der privaten Haushalte. Bei einer Langzeitbetrachtung bereitet dessen Verwen- dung allerdings Probleme, weil der Index 1991 verändert wurde. Bei einer differenzierenden Betrachtung der Entwicklung preisbereinigter Löhne zwischen Ostdeutschland und den alten Bundesländern bietet er sich indes als Indikator an, da zum einen Daten über die Lohnent- wicklung ohnehin nur seit 1991 verfügbar sind und weil zum anderen bis 1997 unterschiedliche Preisentwicklungen in West und Ost ausge- wiesen werden. Zur Bestimmung der realen Löhne und deren Verände- rung in einzelnen Staaten der EU wird – wie allgemein üblich – auf den Harmonisierten Verbraucherpreisindex von Eurostat zurückgegriffen. Karl Brenke [email protected]
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7/18/2019 DIW Reallöhne
http://slidepdf.com/reader/full/diw-realloehne 1/12Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 33/2009550
Reallöhne in Deutschlandüber mehrere Jahre rückläufig
Die Netto-Reallöhne sind in Deutschland seit An-fang der 90er Jahre kaum gestiegen. Von 2004bis 2008 gingen sie sogar zurück, eine in derGeschichte der Bundesrepublik einmalige Ent-wicklung, denn nie zuvor ging ein durchaus kräf-tiges Wirtschaftswachstum mit einer Senkungder realen Nettolöhne über mehrere Jahre einher.Maßgeblich hierfür ist nicht etwa eine höhere Be-lastung der Lohneinkommen durch Steuern und
Sozialabgaben, sondern die – auch im interna-tionalen Vergleich – außerordentlich schwache
Steigerung der Entgelte. Dieser Befund ist umsobemerkenswerter, als sich die Quali fikation der
beschäftigten Arbeitnehmer im Durchschnitt er-höht hat, was für sich genommen einen deutlichen
Anstieg der Verdienste hätte erwarten lassen. ImGegensatz zur Lohnentwicklung sind die Einkom-men aus selbständiger Tätigkeit sowie aus Kapi-talvermögen in den vergangenen Jahren kräftig
gestiegen, sodass die Arbeitnehmerentgelte einenimmer geringeren Teil des Volkseinkommens aus-machen. Die bereinigte Lohnquote erreichte 2007und 2008 mit rund 61 Prozent ein Rekordtief. Wiein früheren Rezessionen werden aber auch diesesMal die Kapitaleinkünfte stärker als die Löhne un-
ter Druck geraten.
Bei der Analyse der Lohnentwicklung musszwischen Arbeitnehmerentgelten, Brutto- undNettolöhnen unterschieden werden. Arbeitneh-merentgelte umfassen die gesamten Lohnkostender Arbeitgeber. Werden davon die Arbeitgeber-beiträge für die Sozialversicherungen und andereLeistungen der Arbeitgeber abgezogen, handeltes sich um die Bruttolöhne. Diese vermindertum die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und dieLohnsteuer ergeben die Nettolöhne. Im Folgen-den werden – soweit Daten verfügbar sind – dieLöhne auf die Zahl der geleisteten Arbeitsstundenbezogen, um der Tatsache Rechnung zu tragen,
dass die Arbeitszeit der abhängig Beschäftigtenund damit auch deren effektive Entlohnung imZeitverlauf variiert.
Schwache Lohnentwicklung seit der Jahrtausendwende
In den letzten Jahren sind die Löhne je geleiste-ter Arbeitsstunde in Deutschland nominal kaumgestiegen, unter Berücksichtigung der Preisstei-gerungen sind sie sogar gesunken – das gilt fürdie Arbeitnehmerentgelte, die Bruttolöhne und
für die Nettolöhne (Abbildung 1).1
Bei den Arbeit-nehmerentgelten und den Bruttolöhnen kam esnach 2003 zu einer Abwärtsbewegung, bei denNettolöhnen setzte sie ein Jahr später ein.
1 Im Wesentlichen wird in dieser Untersuchung zur Preisbereinigungder Deflator des privaten Konsums aus der VolkswirtschaftlichenGesamtrechnung verwendet. Eine Alternative wäre der vom Statisti-schen Bundesamt ermittelte Preisindex für die Ausgaben der privatenHaushalte. Bei einer Langzeitbetrachtung bereitet dessen Verwen-dung allerdings Probleme, weil der Index 1991 verändert wurde. Beieiner differenzierenden Betrachtung der Entwicklung preisbereinigterLöhne zwischen Ostdeutschland und den alten Bundesländern bietet
er sich indes als Indikator an, da zum einen Daten über die Lohnent-wicklung ohnehin nur seit 1991 verfügbar sind und weil zum anderenbis 1997 unterschiedliche Preisentwicklungen in West und Ost ausge-wiesen werden. Zur Bestimmung der realen Löhne und deren Verände-rung in einzelnen Staaten der EU wird – wie allgemein üblich – auf denHarmonisierten Verbraucherpreisindex von Eurostat zurückgegriffen.
http://slidepdf.com/reader/full/diw-realloehne 2/12Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 33/2009 551
Das Gespräch führteErich Wittenberg.Das vollständige Inter-
view zum Anhören
finden Sie auf www.diw.de
Herr Brenke, wie haben sich die Löhne in denletzten Jahren entwickelt? Die Löhne haben sich in den letzten Jahren re-lativ schwach entwickelt. Trotz guter Konjunk-tur kann man feststellen, dass der Aufschwungder letzten Jahre nicht bei den Lohnbeziehernangekommen ist. Die Lohnentwicklung war realnach unten gerichtet.
Wie ist die Lage aktuell? Wir haben gegenwärtig das Phänomen, dassdie Löhne je Stunde gerechnet real steigen, inder Summe aber eher stagnieren. Das liegt da-ran, dass die Beschäftigung nachlässt und im-mer mehr Personen auf Kurzarbeit angewiesensind.
Die Verlierer der Einkommensentwicklung sindalso die Arbeitnehmer? Seit Beginn der 90er Jahre ist eine Tendenzfestzustellen, dass der An-
teil der Selbständigen- undKapitaleinkünfte am ge-samten Volkseinkommenstetig steigt. Der Anteil derLöhne an der gesamten Ver-teilungsmasse ist in einemhistorischen Tief. Insofern kann man die Arbeit-nehmer als Verlierer bezeichnen. Wahrschein-lich sind aber nicht wenige, insbesondere wenigqualifizierte deswegen überhaupt zu einem Jobgekommen.
Warum konnten die Lohnabhängigen keinenNutzen aus dem Aufschwung der letzten Jah-re ziehen? Offensichtlich hat die Verhandlungsmacht derGewerkschaften nachgelassen. Möglicherwei-se ist es auch so, dass es den Gewerkschaftenschwerer fällt, die Arbeitnehmer für höhereLohnabschlüsse zu mobilisieren. Da spielen vie-le Faktoren eine Rolle, vielleicht der Trend zuden Dienstleistungen, vielleicht die Abkehr vongroßen Teilen der Bevölkerung von Großorga-nisationen. Das betrifft nicht nur die Gewerk-schaften, sondern auch die großen Volkspartei-en und die Kirchen.
Wie unterschei-den sich Ost- undWestdeutschland in der Lohnentwicklung? Ostdeutschland hatte gleich nach der Wendeenorme Lohnsteigerungen. Man kann aber auchfeststellen, dass sich ab Mitte der 90er Jahre dieLöhne in den neuen Bundesländern immer nochbesser entwickelt haben als im Westen.
Welche Rolle spielen die Steuer- und Sozialab- gaben bei der Entwicklung der Reallöhne? Eine erhebliche. Anfang der 70er Jahre habendie Abgaben gerade einmal ein Drittel des ge-samten Arbeitsentgeltes ausgemacht. Mittler-weile betragen sie fast die Hälfte des gesamtenArbeitseinkommens. Dabei ist in den letzten
Jahren die Gruppe der geringfügig Beschäf tig-ten größer geworden, die fast keine Steuernund Sozialabgaben zahlen. Betrachtet man nurdie sozialversicherungspflichtig Beschäftigten,
beträgt der Anteil der Ab-
gaben schon mehr als dieHälfte des gesamten Ar-beitsentgeltes.
Im Moment sinken die Ver- braucherpreise. Wie wirkt
sich das auf die Reallöhne aus? Dadurch steigen die Löhne real. Aber nur für die-
jenigen, die keine Abstriche bei der Arbeitszeithinnehmen müssen. Und wer arbeitslos wird,hat auch nichts davon, dass die Löhne stärkersteigen als die Verbraucherpreise.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung derLöhne? Wie es nach der Rezession weitergehen wird, istschwer zu sagen. Es wäre hilfreich, wenn man inDeutschland zu einer Lohnentwicklung kommt,bei der die Verteilungsspielräume mehr ausge-schöpft werden, denn das war in den letzten
Jahren nicht der Fall. Die Verteilung hat sich inden letzten Jahren immer mehr zu den Kapital-einkünften verschoben. Man könnte die Vertei-lung gleich halten. Dann würde weder der einenoch der andere gewinnen. Das könnte auchden privaten Konsum, der jahrelang in Deutsch-land schwach war, etwas stimulieren.
Acht Fragen an Karl Brenke
„Umverteilung nach oben aufgrund
schwacher Lohnentwicklung“
»Verhandlungsmachtder Gewerkschaften
hat deutlichnachgelassen.
«
Karl BrenkeWissenschaftlicherReferent im Vorstanddes DIW Berlin
Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig
Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 33/2009552
In welchem Maße es zu Lohnsteigerungenkommt, hängt generell von der jeweiligen Wirt-schaftsentwicklung ab. In konjunkturell gutenPhasen haben die Arbeitnehmer und ihre Ver-tretungen eine starke Verhandlungsposition,in schlechten Zeiten eine eher schwache. In
der Ersten Ölpreiskrise traf das allerdings nichtzu – die Arbeitnehmerseite war in dieser Pha-se überlegen, und in den gesamten 70er Jahrenwurden recht hohe Nominallohnzuwächse durch-gesetzt (Abbildung 2). Ab Ende des Jahrzehnts
bis zum Auslaufen des letzten Zyklus im Jahr2004 verlief die Lohnentwicklung dann in ei-nem üblichen Konjunkturmuster – abgesehenvon vereinigungsbedingten Sonderfaktoren inden ersten Jahren nach dem Mauerfall. Im letztenAufschwung haben dagegen die realen Löhneentgegen den Erwartungen nicht angezogen; siesind sogar gesunken.
Schon in der ersten Hälfte der 80er Jahre kames in der alten Bundesrepublik zu einem zeitwei-ligen Rückgang der Nettostundenlöhne, der bei
einer nur geringen Anhebung der Arbeitnehmer-entgelte vor allem auf eine kräftige Zunahme derLohnsteuerbelastung zurückzuführen ist. Mitteder 90er Jahre zeigte sich im wiedervereinigtenDeutschland eine erneute Minderung bei denNettolöhnen, begleitet von einem kräftigen An-stieg der Arbeitskosten; auch hier waren starksteigende Abzüge die Ursache. In den alten Bun-desländern sind die Reallöhne sogar schon seitBeginn der 90er Jahre tendenziell auf Talfahrt;diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahrenstark beschleunigt (Abbildung 3).2
Abgabenbelastung zuletzt nicht mehrgestiegen
Die Arbeitgeber nehmen die Löhne – genauerdie Arbeitnehmerentgelte – als Kosten wahr. DieArbeitnehmer richten ihr Augenmerk dagegenvor allem darauf, was sie nach allen Abzügen vonden Löhnen letztlich an Erwerbseinkommen zurVerfügung haben – also auf die Nettolöhne. Imletzten Jahr belief sich das Arbeitnehmerentgeltje geleisteter Stunde auf 25,26 Euro, der Netto-
lohn dagegen lediglich auf 13,23 Euro – 48 Pro-zent des Arbeitnehmerentgelts entfielen somitauf Sozialbeiträge und Steuern (Abbildung 4).Dieser Abgabensatz hat sich in den letzten Jahrennur wenig verändert.
Anfang der 70er Jahre war die Belastung der Löh-ne mit Steuern und Sozialabgaben noch deutlichgeringer. Es gab drei Zeiträume, in denen sie
2 Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der preisbereinigten Bruttolöh-ne. Daten über die Nettolohnentwicklung in den alten und neuen Bun-desländern sind nicht verfügbar, sodass für diese Teilgebiete lediglichdie Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte sowie die der Bruttolöhne
nachgezeichnet werden kann. Zudem gibt es in regionaler Hinsichterst ab 1998 Informationen über die geleisteten Arbeitsstunden.Da die Abgabenbelastung der Löhne keineswegs gesunken, sonderninsbesondere in der Mitte der 90er Jahre gestiegen ist, dürften dierealen Nettolöhne in Westdeutschland seit Beginn der 90er Jahrenoch stärker gesunken sein als die realen Bruttolöhne.
Abbildung 1
Preisbereinigte1 Arbeitnehmerentgelte, Brutto- und Nettolöhnepro StundeIn Euro
Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig
Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 33/2009 553
besonders kräftig angezogen hat. Das war dieZeit von 1972 bis 1977, als nicht zuletzt wegender stark wachsenden Arbeitslosigkeit die So-zialabgaben, insbesondere jene der Arbeitgeber,angehoben wurden. Von 1981 bis 1985 kam es
vor allem zu einer stärkeren Steuerbelastung derLöhne; und von 1993 bis 1997 wurden sowohldie Steuern als auch die Sozialabgaben kräftigangehoben, um die Kosten der deutschen Einheitzu finanzieren.
In den letzten zehn Jahren haben die Sozialabga-ben der Arbeitnehmer je geleisteter Stunde weiterstetig zugenommen (Abbildung 5). Bis 2003 trafdas auch für die von den Arbeitgebern gezahl-ten Sozialabgaben zu; seitdem stagnieren diesejedoch. Ein Grund dafür ist, dass die Arbeitgeber
bei der Finanzierung der gesetzlichen Kranken-versicherung im Vergleich zu den Arbeitnehmernentlastet wurden. Andere Sozialleistungen derArbeitgeber wie Mutterschaftsgeld und Unfall-versicherung könnten sogar gesunken sein. An-ders war in letzter Zeit die Entwicklung bei derLohnsteuer: Sie hat in den Jahren 2002 bis 2004je erbrachter Arbeitsstunde abgenommen – vorallem wohl aufgrund der Steuerreform; danachstieg sie aber wieder deutlich.
Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten fiel dasWachstum der Abgabenbelastung eher mild aus
(Tabelle 1). Zuwächse in der Größenordnung der70er und 80er Jahre wären angesichts des imLaufe der Zeit aufgebauten Belastungsniveauspolitisch auch kaum umsetzbar und mit Blick aufdie Anreizwirkungen wenig sinnvoll gewesen.
Bei den Steuern und Abgaben auf die Löhne istzu berücksichtigen, dass die Abzüge bei manchenGruppen aus arbeitsrechtlichen Gründen sehrgering sind. So fallen bei Beamten keine Sozialab-gaben und bei den geringfügig Beschäftigten nurrelativ niedrige Sozialbeiträge und Steuern an. Für
die regulär sozialversicherungspflichtig Beschäf-tigten ist demnach die Belastung der Löhne höherals die durchschnittliche Quote von 48 Prozent.Die Zahl der Beamten ist seit Mitte der 90er Jahreleicht gesunken.3 Kräftig expandiert hat bis 2004die geringfügige Beschäftigung, seither steigt dieZahl dieser Beschäftigungsverhältnisse kaumnoch. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigBeschäftigten entwickelte sich dagegen zyklischund hat im letzten Aufschwung stark zugenom-men (Abbildung 6). Das dürfte vor allem dazu
3 Über die Beamten der ehemaligen Deutschen Bundespost stehenkeine Daten zur Verfügung. Ihre Zahl ist aber wohl stark zurückgegan-gen, da es in dem privatisierten Unternehmen keine neue Verbeam-tungen gegeben hat und es neben der natürlichen Fluktuation zu zahl-reichen Frühverrentungen kam.
beigetragen haben, dass die Lohnsteuern deutlichgestiegen sind.
Inwieweit sich die Veränderungen im Gewichtdieser drei Beschäftigtengruppen auf die Lohn-
Abbildung 3
Reale1 Bruttolöhne je Arbeitnehmer und je Arbeitsstundein Ost- und WestdeutschlandIndex 2000 = 100
75
80
85
90
95
100
105
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007
Arbeitnehmer West
Arbeitnehmer Ost
Arbeitsstunde West
Arbeitsstunde Ost
1 Preisbereinigt mit dem jeweiligen Verbraucherpreisindex.
Quellen: VGR der Länder; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2009
Abbildung 4
Belastung der Arbeitsentgelte mitSozialabgaben und LohnsteuernAnteile in Prozent
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
1970 1974 1978 1982 1986 1990 1994 1998 2002 2006
Frühere Bundesrepublik Deutschland insgesamt
Lohnsteuer
Sozialabgaben der Arbeitnehmer
Sozialabgaben der Arbeitgeber
Quellen: Statistisches Bundesamt;Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2009
Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig
Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 33/2009554
entwicklung ausgewirkt haben, lässt sich nichtgenau bestimmen. Große Struktureffekte dürftees aber nicht gegeben haben, denn der wachsen-den Zahl der Mini-Jobber, der einen Gruppe mitgeringer Lohnbelastung, stand eine Abnahme
der Beamten, der anderen Gruppe mit geringerLohnbelastung, gegenüber. Überdies sollte dievolkswirtschaftliche Bedeutung der geringfügigenBeschäftigung nicht überschätzt werden. So ent-fielen nach einer Auswertung des Mikrozensusauf die ausschließlich geringfügig Beschäftigtenim Jahr 2006 gerade einmal vier Prozent desArbeitsvolumens aller Arbeitnehmer.
Große Entlohnungsunterschiede zwischenWirtschaftszweigen und Tätigkeiten
Die Löhne variieren zwischen den einzelnenBranchen zum Teil erheblich. Für einen Vergleichwurden die Löhne derjenigen Arbeitnehmer her-angezogen, die gemäß der amtlichen Statistik dermittleren Leistungsgruppe (3) zugerechnet wer-den, die also Tätigkeiten ausführen, für die eineBerufsausbildung und zum Teil auch eine längereBerufserfahrung erforderlich ist. Die höchstenLöhne zahlt hier die Erdölgewinnung, gefolgtvon der Mineralölverarbeitung – Branchen, indenen nicht gerade ein starker Wettbewerb be-steht (Abbildung 7). Das Gleiche gilt für die Ener-
gieversorgung. In der Industrie verdienen dieFacharbeiter in der Kraftfahrzeugindustrie und inder Tabakverarbeitung besonders gut, die in derNahrungsmittelherstellung besonders schlecht.Am unteren Ende der Lohnskala rangieren dasGastgewerbe und andere personenbezogenenDienste wie der Einzelhandel. Nur geringe Ver-gütungen erhalten auch die Fachkräfte bei denLeiharbeitsfirmen.
Natürlich hängt die Entlohnung nicht nur vonder Branche, sondern auch in starkem Maße von
Abbildung 5
Arbeitnehmerentgelte, Sozialabgaben und Lohnsteuernpro StundeIndex 1991 = 100
100
110
120
130
140
150
160
170
180
190
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007
Sozialabgaben
der Arbeitgeber
Sozialabgaben der Arbeitnehmer
Arbeitnehmerentgelt
Lohnsteuer
Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2009
Tabelle 1
Löhne, Sozialabgaben und Lohnsteuern je geleisteter Arbeitsstunde Jahresdurchschnittliche Veränderung in Prozent
Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig
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der Art der ausgeübten Tätigkeit ab. Generell giltaber, dass solche Branchen, die Personen für Tä-tigkeiten mit mittleren Anforderungen gut ent-lohnen, auch ihren übrigen Beschäftigten über-durchschnittliche Entgelte zahlen. So zahlt etwa
die Energieversorgung ihren Führungskräften(Leistungsgruppe 1) viel mehr als das Gastge-werbe (Tabelle 2). In der Energieversorgung er-halten sogar die ungelernten Kräfte (Leistungs-gruppe 5) einen höheren Lohn als Fachkräfte inder Bauwirtschaft und anderen Sektoren. Auchein angelernter Arbeiter (Leistungsgruppe 4) imverarbeitenden Gewerbe wird im Schnitt besserals Fachkräfte in anderen Branchen entlohnt. Eineherausgehobene Fachkraft (Leistungsgruppe 2)im verarbeitenden Gewerbe kommt auf höhe-re Bezüge als eine Führungsperson im Sektor
Erziehung und Unterricht. Zu berücksichtigenist natürlich, dass die jeweiligen Tätigkeiten inden einzelnen Branchen schwer miteinandervergleichbar sind.
Struktur der Arbeitnehmer verschiebt sichzu den qualifizierten Kräften
Eine mögliche Erklärung für die seit einigenJahren schwache Lohnentwicklung könnte einsektoraler Wandel sein, im Zuge dessen die Be-schäftigung in denjenigen Wirtschaftszweigen,die vergleichsweise gut entlohnen, abnimmt, und
in solchen Sektoren steigt, die geringe Arbeits-entgelte zahlen. Um diese Frage zu beantworten,wurden für die 15 großen Wirtschaftsbereiche deramtlichen Statistik Daten über die geleistetenArbeitsstunden der Arbeitnehmer sowie derenLöhne ausgewertet. Bei der Untersuchung wurdesimuliert, wie sich die gesamtwirtschaftlichenLöhne entwickelt hätten, wenn sich die Verteilungdes Arbeitsvolumens über die Sektoren seit 1995nicht verändert hätte.4 Verfügbar sind allerdingsnur Daten bis 2007. Unter dieser Annahme hät-te es zwar höhere Lohnzuwächse gegeben – die
Differenz wäre aber nicht groß ausgefallen. ImJahr 2007 ergibt sich ein Unterschied bei denArbeitnehmerentgelten von nominal 45 Cent oderknapp zwei Prozent, und bei den Bruttolöhnensind es 31 Cent, ebenfalls knapp zwei Prozent (Ab-bildung 8). Stark beeinflusst wird das Ergebnisvon zwei Sektoren mit der Tendenz deutlich rück-läufiger Beschäftigung. Das ist zum einen dasverarbeitende Gewerbe, das überdurchschnittlichhohe Entgelte zahlt, und zum anderen das Bau-gewerbe, das seine Arbeitnehmer vergleichsweisegering entlohnt. Überdies ist zu berücksichtigen,dass die hier verwendete sektorale Gliederungrecht grob ist. So können Entwicklungen wie die
4 Das Jahr 1995 wurde gewählt, da seitdem die wirtschaf tlichen Um-brüche in Ostdeutschland zu einem großen Teil vorüber waren.
Abbildung 7
Wirtschaftszweige mit geringen und mithohen Bruttostundenlöhnen1 2008In Euro
10 15 20 25 30
Gewinnung vonErdöl und Erdgas
Kokerei undMineralölverarbeitung
Tabakverarbeitung
Energieversorgung
Kraftwagen- und -teilebau
Versicherungen(ohne Sozialversicherung)
Chemische Erzeugnisse
IT-Dienstleistungen
Verlagswesen
PharmazeutischeErzeugnisse
Luftfahrt
Metallerzeugungund -bearbeitung
Vorbereitende Baustellenarbeiten,Bauinstallation
Gebäudebetreuung,Garten- und Landschaftsbau
Beseitigung vonUmweltverschmutzungen,
sonstige Entsorgung
Einzelhandel(ohne Kraftfahrzeughandel)
Sonstige wirtschaftlicheDienstleistungen
Wach- und Sicherheitsdienste,Detekteien
Nahrungs- und Futtermittel
Veterinärwesen
Vermittlung und Überlassungvon Arbeitskräften
Sonstige überwiegendpersönliche Dienstleistungen
Gastronomie
Beherbergung
1 Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in Tätigkeiten mit mittlerer Qualifikation (Leistungsgruppe 3)einschließlich Sonderzahlungen (Einmalzahlungen, Zulagen und so weiter).
Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2009
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Eine weitere Ursache für die in den letzten Jahrenschwache Lohnentwicklung könnte sein, dasssich die Tätigkeitsstruktur hin zu eher einfachenund somit gering entlohnten Tätigkeiten ver-schoben hat. Um das zu prüfen, sind die Daten
des Mikrozensus herangezogen worden. Dabeiwurden die Angaben der Befragten über die vonihnen ausgeübten Berufe nach der Art der jewei-ligen Tätigkeit klassifiziert.5
Unter den Auswertungsergebnissen sticht vorallem ins Auge, dass Berufe, in denen manuelleTätigkeiten ausgeübt werden, an Bedeutung ver-loren haben – seien es einfache Berufe oder auchTätigkeiten, die einen Berufsabschluss erfordern(Tabelle 3). Auch einfache nicht-manuelle Tätig-keiten haben an Relevanz eingebüßt. Stark auf
dem Vormarsch sind dagegen nicht-manuelleBerufe, die eine mittlere Qualifikation voraus-setzen.
Insgesamt gibt es ohne Zweifel die Tendenz,dass sich die Struktur der Beschäftigung zu denqualifizierten Tätigkeiten verlagert hat. Das giltsowohl für die Zahl der Arbeitnehmer, als auch –und mehr noch – für das Arbeitsvolumen. Am
5 Die Klassifizierung stützt sich weitgehend auf die entsprechendeZuordnung der Berufe nach Schimpl-Neimanns, die auf der Berufs-klassifikation von Blossfeld beruht. Vgl. Schimpl-Neimanns, B.: Mikro-daten-Tools: Umsetzung der Berufsklassifikation von Blossfeld auf dieMikrozensen 1973–1998. Zuma-Met hodenbericht, Nr. 10/2003.
rasante Ausbreitung der – gering entlohnten –Leiharbeit mangels der Verfügbarkeit entspre-
chender Daten nicht berücksichtigt werden.
Abbildung 8
Struktureffekt 1 bei Arbeitnehmerentgeltenund Bruttolöhnen pro StundeIn Euro
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007
Arbeitsentgelt
Bruttolohn
Tatsächlich
Unterstellt
UnterstelltTatsächlich
1 Tatsächliche und – bei unveränderter Verteilung des Arbeitsvolu-mens auf die Wirtschaftszweige von 1995 – unterstellte Werte.
Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesagenturfür Arbeit; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2009
Tabelle 2
Bruttostundenverdienste1 der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nach Wirtschaftszweigen undLeistungsgruppen 2008In Euro
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Einkünften aus selbständiger Tätigkeit sowie ausKapitalvermögen andererseits. Zur Messung derVerteilung wird üblicherweise die Lohnquote –der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am gesam-ten Volkseinkommen – herangezogen.6 Weil esim Zeitverlauf zu Veränderungen des Anteils derArbeitnehmer an allen Erwerbstätigen kommt,
6 Die Lohnquote gibt nur Auskunft über die Verteilung der jeweiligenEinkommensarten. Sie informiert nicht darüber, wer die Einkommen er-hält. So kann eine Person oder ein Privathaushalt, dessen Lebensunter-halt vorwiegend durch Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung be-stritten wird, durchaus auch Einkünfte aus Vermögen beziehen – etwain Form von Zinsen aus Spareinlagen oder in Form von Dividenden ausWertpapieren.
Wandel der Tätigkeitsstruktur kann es demnachnicht liegen, dass die Löhne zuletzt eher schwachgestiegen sind. Eher wäre das Gegenteil zu er-warten gewesen, dass also angesichts eines zu-nehmenden Anteils qualifizierter Arbeitnehmerdie Entlohnungen im Schnitt kräftig gewachsenwären.
Ein internationaler Vergleich
Daten über die Lohnentwicklung in anderen Län-dern existieren nur lückenhaft. Nach Angaben des
statistischen Amtes der EU (Eurostat) sind seitdem Jahr 2000 die realen Arbeitnehmerentgel-te – je Arbeitnehmer gerechnet – in Deutschlandum neun Prozent gesunken. So schlecht war dieEntwicklung in keinem anderen Land der altenEU (Abbildung 9). Etwa in Spanien, Italien undÖsterreich haben sie ebenfalls abgenommen. Inanderen Staaten wie dem Vereinigten Königreich,Irland oder Finnland gab es dagegen kräftige Zu-wächse.
Dass die Arbeitnehmer in Deutschland bei der
Entlohnung zurückgefallen sind, zeigt sich auchhinsichtlich der Arbeitskosten je geleisteter Stun-de (Tabelle 4). Im Vergleich zu jenen Staaten, überdie es entsprechende statistische Informationengibt, bildet die Bundesrepublik das Schlusslicht.Nur in Belgien sind ähnlich schwache Lohnzu-wächse zu verbuchen – allerdings ist dort dasLohnniveau höher als in Deutschland.
Einkommensverteilung verschiebt sichzugunsten der Selbständigen und derBezieher von Kapitaleinkünften
Die schwache Lohnentwicklung zeigt sich auchbei der Verteilung der Erträge der Wirtschafts-leistung zwischen Löhnen einerseits und den
Abbildung 9
Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte1 je Arbeitnehmer in derEU von 2000 bis 2008Veränderung in Prozent
-12 -6 0 6 12 18 24
Irland
Griechenland
Finnland
Luxemburg
Vereinigtes Königreich
Dänemark
Niederlande
Schweden
Belgien
Frankreich
Österreich
Portugal
Italien
Spanien
Deutschland
1 Preisbereinigt und in Landeswährung.
Quellen: Eurostat; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2009
Tabelle 3
Struktur der abhängigen Beschäftigung1 in Deutschland nach Tätigkeiten
Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig
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te bereits seit dem Jahr 2000 gesunken ist, dieArbeitnehmer also die sich aus dem Wirtschafts-wachstum ergebenden Verteilungsspielräumenicht ausnutzen konnten (Abbildung 10). Ab
2004, als der letzte Aufschwung einsetzte, sankdie Lohnquote rasant, und im Jahr 2007 war siemit 61 Prozent so gering wie nie zuvor. Dabei istdie um den Arbeitnehmeranteil bereinigte Lohn-quote kleiner als die um das Arbeitsvolumen be-reinigte. Dies liegt daran, dass die Arbeitnehmerim Schnitt auf eine geringere Arbeitszeit als dieSelbständigen kommen.
Auch schon in den 80er Jahren ist die Lohnquo-te in der Tendenz deutlich gesunken. Nach derdeutschen Wiedervereinigung sprang sie zeitwei-
lig nach oben, was zum Teil daran lag, dass dieSelbständigen in Ostdeutschland eher geringeEinkommen erzielten. Vor allem aber wurden inTeilen der ostdeutschen Wirtschaft Anfang der90er Jahre erhebliche Verluste gemacht; so warenin den Jahren 1991 bis 1993 im verarbeitendenGewerbe die Arbeitnehmerentgelte höher als dieBruttowertschöpfung.
Im Zeitverlauf zeigte die Lohnquote meist eineantizyklische Entwicklung. Weil in konjunkturellschwachen Zeiten die Einkünfte aus selbständi-ger Tätigkeit und Kapitalvermögen noch stärkerals die Löhne unter Druck geraten, nimmt dieLohnquote zu. Das ist auch in der gegenwärtigenKrise der Fall, wie sich bereits am Anstieg derLohnquote im letzten Jahr zeigt. Andererseits ist
wird in der Regel die um solche Veränderungenbereinigte Lohnquote berechnet. Hier wurde eineweitere Strukturbereinigung vorgenommen, beider berücksichtigt wird, dass sich auch der An-
teil des auf die Arbeitnehmer beziehungsweisedie Selbständigen entfallenden Arbeitsvolumensverändert hat. Es zeigt sich, dass die Lohnquo-
Abbildung 10
Bereinigte Lohnquote und reales Bruttoinlandsprodukt
Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig
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tig zu, die Erwerbslosigkeit ging erstmals seitlanger Zeit deutlich zurück, und die Raten desWirtschaftswachstums waren beachtlich – allesFaktoren, die eigentlich die Verhandlungsposi-tion der Arbeitnehmer und ihrer Interessensver-
tretungen bei der Lohnfindung stärken sollten.Dennoch mussten die Arbeitnehmer Einbußenbei den realen Nettolöhnen hinnehmen, die es ineinem solchen Maße und über mehrere Jahre hin-weg nie zuvor in der Bundesrepublik gegeben hat.
Die Lohnpolitik obliegt den Tarifparteien, undihre Ergebnisse sind generell der Ausdruck desjeweiligen Kräfteverhältnisses zwischen Ge-werkschaften und Arbeitgeberverbänden. Of-fenkundig haben die Gewerkschaften an Machteingebüßt. Auch wenn es sich anhand der ver-
fügbaren Daten nicht zufriedenstellend belegenlässt – insbesondere, weil sie keine hinreichendtief aggregierte sektorale Differenzierung zu-lassen –, dürfte den deutschen Gewerkschaf-ten der sektorale Strukturwandel zu schaffenmachen. Der Trend bei der Beschäftigung wegvom produzierenden Gewerbe und dabei ins-besondere weg von der Industrie, dem Sektor,in dem die Gewerkschaftsbewegung ihren Ur-sprung hatte und in dem sie auch heute nocheine bedeutende Rolle spielt, hat die Positionder Gewerkschaften zweifellos geschwächt. Inden expandierenden Dienstleistungssektoren ist
traditionell ihr Einfluss geringer, zumal sich imtertiären Sektor viele kleine Betriebe finden, de-nen die gewerkschaftliche Organisierung schwerfällt. Hinzu kommt ein Mentalitätswandel in derGesellschaft. Im Zuge einer um sich greifendenIndividualisierung und der Auflösung früher be-stehender soziokultureller Milieus zeigt sich einezunehmende Abkehr in der Bevölkerung vonGroßorganisationen. Entsprechend schrumpfenderen Mitgliederzahlen; das gilt nicht nur für dieGewerkschaften, sondern auch für die großenVolksparteien und die Kirchen.
Solche Trends gibt es allerdings auch in den an-deren Industriestaaten. Deshalb stellt sich dieFrage, warum Deutschland bei der Lohnentwick-lung im internationalen Vergleich so schlechtabgeschnitten hat. Von zentraler Bedeutung istdas Wachstum der Wirtschaftsleistung – hier lagDeutschland seit Mitte der 90er Jahre innerhalbder EU meist unter dem Durchschnitt. In derRegel wurden die hinteren Plätze eingenom-men; erst in den letzten drei Jahren gelang einAufstieg ins Mittelfeld. Die Entwicklungen vonLöhnen und Produktion hängen eng zusammen.So hat der nominal nur schwache Anstieg derEntgelte ohne Zweifel die internationale Wett-bewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen,insbesondere die der Industrie, enorm verbessert.
seit den 80er Jahren meist zu beobachten, dass siebei guter Konjunktur sank, da die Löhne nicht sostark stiegen wie das gesamte Volkseinkommen.Eine Ausnahme war das Jahr 2000: Im damali-gen konjunkturellen Hoch stieg die Lohnquote
deutlich an. Das lag aber nicht etwa daran, dassdie Lohnabhängigen stärker vom Produktionsauf-schwung profitierten als die Bezieher von Selb-ständigen- und Kapitaleinkünften, sondern daran,dass die Kapitaleinkünfte wegen des Platzens derSpekulationsblase bei den Technologieaktien un-ter Druck gerieten.
Fazit
Die schwache Lohnentwicklung hat ohne Zweifel
die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unterneh-men auf dem Weltmarkt gestärkt und dem Ex-port Impulse gegeben. Für sich genommen hatdas positiv auf die Beschäftigung gewirkt – beiAusblendung der Wirkungen auf andere Kompo-nenten der Güter- und somit der Arbeitskräfte-nachfrage. Die geringe Anhebung der Löhne inder Industrie, dem Sektor mit der Tarifführer-schaft in Deutschland, der auch vergleichsweisehohe Löhne zahlt, hat gewiss auch bei den Tarif-abschlüssen und individuellen Entgeltvereinba-rungen in anderen Sektoren Spuren hinterlassen.Zudem gibt es Hinweise darauf, dass aufgrund
der Arbeitsmarktreformen die Bereitschaft vonErwerbslosen – insbesondere der gering Quali-fizierten – gestiegen ist, eine Beschäftigung auchmit einer vergleichsweise geringen Entlohnunganzunehmen. Das ist ein durchaus gewünschtesErgebnis.
Wie die vorgelegte Untersuchung zeigt, ist dieschwache Lohnentwicklung in Deutschland aberkeineswegs darauf zurückzuführen, dass die Löh-ne der gering Qualifizierten unter Druck gerieten.Vielmehr gab es in den letzten Jahren Reallohn-
verluste für die Arbeitnehmer insgesamt, obwohlsich im Schnitt deren Qualifikationsstruktur ver-bessert hatte. Eher scheint es so zu sein, dass diebesonders großen Beschäftigungsprobleme derUnqualifizierten immer wieder herangezogenwerden, um Forderungen nach höheren Löhnengenerell im Zaum zu halten. Und es spricht Vielesdafür, dass man diese Probleme nicht primär mitder Lohnpolitik, sondern eher mit einer mehrfordernden Sozialpolitik und mit einer besserenBildungspolitik lösen kann. Wie dem auch sei:Jedenfalls hat sich die Verteilung der Einkommenimmer mehr hin zu den Beziehern von Kapital-und Selbständigeneinkünften verschoben.
Im letzten Aufschwung zeigte sich eine erstaun-liche Konstellation: Die Beschäftigung nahm kräf-
Reallöhne in Deutschland über mehrere Jahre rückläufig
Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 33/2009560
Andererseits dämpft eine schwache Lohnentwick-lung den privaten Verbrauch – beim Konsumblieb Deutschland gegenüber anderen Ländernerheblich zurück.
In der aktuellen Krise werden zwar die realenStundenlöhne erstmals seit Jahren wieder an-ziehen. Dies resultiert aber nicht aus besondersstarken Lohnanhebungen, sondern daraus, dass
die Teuerung zum Stillstand gekommen ist. BeimLohn je Arbeitnehmer sieht es dagegen andersaus, da Kurzarbeit enorm zugenommen hat. DieSumme der Löhne und Gehälter wird durch diesinkende Zahl der Arbeitnehmer gedrückt. In
diesem Jahr wird die Lohnquote wachsen, da dieGewinne einbrechen. Das ist aber für eine Rezes-sion normal – und, wie die Erfahrungen zeigen,nur ein vorübergehendes Phänomen.
HerausgeberProf. Dr. Klaus F. Zimmermann(Präsident)Prof. Dr. Tilman BrückDr. habil. Christian DregerProf. Dr. Claudia KemfertProf. Dr. Alexander KritikosProf. Dr. Viktor SteinerProf. Dr. Gert G. WagnerProf. Dr. Christian Wey
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