Die Themendossiers Aktives Frauenwahlrecht – Frauen als Wählerinnen Das Recht von Frauen sich politisch zu beteiligen, zu wählen und gewählt zu werden, ist heute in Deutschland und in allen Ländern Europas verankert. Es erscheint als Selbstverständlichkeit. Tatsächlich ging dem Frauenwahlrecht jedoch ein langer, hauptsächlich von Frauen geführter, Kampf voraus. Die Frage danach, was es heute bedeutet Wählerin zu sein, beleuchtet dieses Themendossier in vielfältiger Weise. Demonstration für Frauenrechte, Quelle: Pixabay Den Auftakt dieses Dossiers macht die Historikerin Kerstin Wolff vom Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. Sie zeichnet nach, wie das Wahlrecht sich auf die weitere rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern auswirkte. Die Journalistin Rebecca Beerheide untersucht das aktuelle Wahlverhalten und den Wahlpräferenzen von Frauen. Wählen sie anders als Männer? Beerheide zeigt anhand von aktuellen Ergebnissen der Wahlforschung auf, dass Frauen über die Zeit hinweg risikoärmer wählen und mit ihrer Wahlstimme kaum experimentieren. Frauen entscheiden sich häufig für Parteien der Mitte und weniger für Parteien an den Rändern des parteipolitischen Spektrums. Vanessa Vu nimmt in ihrem Beitrag eine globale Perspektive ein: Sie fragt danach, wie Parlamente aussehen würden, wenn allein weibliche Wählerinnen ihre Stimme abgeben würden. Wäre die Welt eine andere? Mit Blick auf die USA wäre, nach ihren Erkenntnissen, die Antwort eindeutig: Ja. Eine andere Welt gestalten Sich einmischen und politisch engagieren, wie kann das heute aussehen? Wir haben wir mit der Erstwählerin Felicia Sasse darüber gesprochen, was es für sie bedeutet wählen zu dürfen
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Die Themendossiers Aktives Frauenwahlrecht – Frauen als … · 2018. 9. 14. · geheimen, direkten Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre
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Die Themendossiers
Aktives Frauenwahlrecht – Frauen als Wählerinnen Das Recht von Frauen sich politisch zu beteiligen, zu wählen und gewählt zu werden, ist heute in Deutschland und in allen Ländern Europas verankert. Es erscheint als Selbstverständlichkeit. Tatsächlich ging dem Frauenwahlrecht jedoch ein langer, hauptsächlich von Frauen geführter, Kampf voraus. Die Frage danach, was es heute bedeutet Wählerin zu sein, beleuchtet dieses Themendossier in vielfältiger Weise.
Demonstration für Frauenrechte, Quelle: Pixabay
Den Auftakt dieses Dossiers macht die Historikerin Kerstin Wolff vom Archiv der deutschen
Frauenbewegung in Kassel. Sie zeichnet nach, wie das Wahlrecht sich auf die weitere
rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern auswirkte.
Die Journalistin Rebecca Beerheide untersucht das aktuelle Wahlverhalten und den
Wahlpräferenzen von Frauen. Wählen sie anders als Männer? Beerheide zeigt anhand von
aktuellen Ergebnissen der Wahlforschung auf, dass Frauen über die Zeit hinweg risikoärmer
wählen und mit ihrer Wahlstimme kaum experimentieren. Frauen entscheiden sich häufig für
Parteien der Mitte und weniger für Parteien an den Rändern des parteipolitischen Spektrums.
Vanessa Vu nimmt in ihrem Beitrag eine globale Perspektive ein: Sie fragt danach, wie
Parlamente aussehen würden, wenn allein weibliche Wählerinnen ihre Stimme abgeben
würden. Wäre die Welt eine andere? Mit Blick auf die USA wäre, nach ihren Erkenntnissen,
die Antwort eindeutig: Ja.
Eine andere Welt gestalten
Sich einmischen und politisch engagieren, wie kann das heute aussehen? Wir haben wir mit
der Erstwählerin Felicia Sasse darüber gesprochen, was es für sie bedeutet wählen zu dürfen
und für welche Themen sie sich einsetzt. Ihre Positionen vergleichen wir mit denen einer
Vorkämpferin für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen: Dr. Lore Maria Peschel-
Gutzeit, ehemalige Senatorin für Justiz in Berlin und Hamburg, gibt einen Einblick darin,
welche Rolle es für ihr politisches Engagement spielte und noch heute spielt eine Frau zu sein.
Junge Frauen zu motivieren, sich politisch zu engagieren und der eigenen Stimme Gewicht zu
geben, hierzu will auch das Projekt „Deine Stimme zählt“ ermutigen. Den Politik-Workshop für
junge Frauen mit und ohne Fluchtgeschichte der EAF Berlin in Kooperation mit der
Bundeszentrale für politische Bildung stellen wir in diesem Dossier als Best-Practice-Beispiel
vor.
Drei Autor*innen – Drei Perspektiven
DIE GASTARTIKEL
ÜBER DIE AUTORIN
Dr. Kerstin Wolff
Dr. Kerstin Wolff ist Historikerin und Geschäftsführerin der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. Sie ist Redakteurin der historischen Fach-Zeitschrift der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, „Ariadne – Forum für Frauen- und Geschlechter Geschichte". Die „Ariadne" erscheint durchgehend seit 1986 und ist damit eine der ältesten geschlechtergeschichtlichen Zeitschriften der Bundesrepublik. Dr. Kerstin Wolff ist Mitglied in der IAG Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Kassel sowie Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung e.V.
Bild: Dr. Kerstin Wolff
100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland – eine Errungenschaft und ihre Folgen Am 12. November 1918 war es endlich soweit: Das aktive und passive Frauenwahlrecht wurde
eingeführt. Akteur der Stunde war der Rat der Volksbeauftragten, der an diesem Tag in Berlin
erklärte, dass „alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften (…) fortan nach dem gleichen,
geheimen, direkten Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens
20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen (…) sind“.[1]
Aus diesen Worten zu schließen, der Rat der der Volksbeauftragten hätte quasi aus sich
heraus diese neue Regelung erlassen, führt allerdings in die Irre. Mit der Demokratisierung
der Wahlgesetze setzte der Rat vielmehr den Schlusspunkt unter einen jahrzehntelangen
Prozess, in dem sowohl die Flügel der Frauenbewegung als auch die SPD intensiv für
Veränderungen der Wahlregelungen und für das Frauenwahlrecht gestritten hatten.
Einzelne Vorkämpferinnen, wie Louise Otto (-Peters), Louise Dittmar und Hedwig Dohm hatten
bereits ab den 1840er Jahren immer wieder auf den Skandal der politischen Unmündigkeit von
Frauen in Deutschland hingewiesen. Seit 1900 hatte sich die Frauenbewegung auch
organisatorisch mit dem Kampf um das Frauenwahlrecht beschäftigt. Die Frauenbewegung
war hierin bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ausgesprochen erfolgreich. Es gab einen
bürgerlichen Flügel, der mit Hilfe von Frauenstimmrechtsvereinen die Propaganda und
Aufklärung für das Frauenstimmrecht vorantrieb. Diese Gruppen waren nicht nur national tätig,
sondern auch international vernetzt. Vor allem Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann
waren hier aktiv, aber auch Li Fischer-Eckard, Minna Cauer oder Marie Stritt.
Der ebenfalls sehr aktive sozialdemokratische Flügel versuchte u.a. über einen internationalen
Frauentag, der ab 1911 einmal jährlich abgehalten wurde, auf die Notwendigkeit des aktiven
und passiven Frauenwahlrechts auch für die Proletarierinnen hinzuweisen. Vor allem Clara
Zetkin, Luise Zitz und Marie Juchacz setzten sich in den Parteikreisen dafür ein, die ‚soziale
Frage‘ mit der ‚Frauenfrage‘ zu verzahnen.
Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte Optimismus; viele Aktivistinnen glaubten fest daran, dass
das Frauenwahlrecht kurz bevorstünde. Diese Hoffnung wurde durch den Ausbruch des
Weltkrieges jäh beendet.
Erst 1917 nahm die Frauenwahlrechtsbewegung wieder Fahrt auf. Dies hing mit der
Osterbotschaft des deutschen Kaisers Wilhelm II. zusammen, der eine Demokratisierung des
Wahlrechtes nach dem Krieg versprach – zum Frauenwahlrecht allerdings schwieg. Dieses
Parteimitglieder werden konnten und ab 1918 gleichberechtigte Staatsbürgerinnen waren,
musste die Frage der Gleichberechtigung in der Verfassung angesprochen werden, und es
war ‚selbstverständlich‘, dass wenigsten ein paar Frauen die Verfassungsgebung aktiv mit
begleiteten. Eine dieser „vier Mütter des Grundgesetzes“, die Kasseler Juristin Elisabeth
Selbert (SPD), trat entschieden für die heutige Formulierung in Artikel 3 ein und setzte diesen
– auch gegen Widerstände – zusammen mit ihren Mistreiterinnen durch.
Dennoch blieben die deutschen Parlamente in West- wie in Ostdeutschland lange reine
Männerbastionen. Dies änderte sich erst langsam seit den 1980er Jahren, als die neue Partei
‚Die Grünen‘ ein (parteiinterne) 50-Prozent-Quote einführte. Obwohl diese Kulturänderung
langsam, aber sicher (fast alle) Parteien in Deutschland veränderte, gibt es nach wie vor keine
Parität zwischen Frauen und Männern in den Parlamenten. Überall sind Männer in der
Mehrheit. Hier gilt es nachzusteuern, denn nach 100 Jahren Frauenwahlrecht wird es höchste
Zeit, die Gleichberechtigung auch in der Politik umzusetzen.
[1] Hierzu und zur Geschichte des Frauenwahlrechts in Deutschland siehe: Kerstin Wolff: Unsere Stimme zählt. Die Geschichte des deutschen Frauenwahlrechts, Überlingen 2018. [2] Siehe: Kirsten Heinsohn: Ambivalente Entwicklungen. 150 Jahre Frauenbewegung, Politik und Parteien, in: Ariadne, 67/68, 2015, S. 43.
ÜBER DIE AUTORIN
Rebecca Beerheide
Rebecca Beerheide ist Ressortleiterin der Politischen Redaktion des
Deutschen Ärzteblatts und Mitherausgeberin des Sammelbandes
100 Jahre Frauenwahlrecht: Ziel erreicht – und weiter?. Sie studierte
Diplom-Journalistik und Politikwissenschaften in Leipzig und
Ljubljana. Seit 2008 schreibt sie über Gesundheitspolitik, zunächst
für die Ärzte Zeitung, seit Juli 2015 für das Deutsche Ärzteblatt. Seit
2015 ist sie Vorsitzende des Journalistinnenbundes.
Bild: Victoria Schilde
Wählen Frauen anders?
In Deutschland können mehr Frauen als Männer wählen: Bei der Bundestagswahl 2017 waren
61,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger stimmberechtigt, davon 31,7 Millionen Frauen und 29,8
Millionen Männer. Bei einer Wahlbeteiligung von insgesamt 76,2 Prozent gaben 76 Prozent
der Frauen ihre Stimme ab.
Da jedoch mehr Frauen als Männer wahlberechtigt sind, führte dies auch bei der
Bundestagswahl 2017 dazu, dass die Anzahl der Wählerinnen um eine Million höher lag.
Frauen nehmen ihr Wahlrecht über alle Altersgruppen hinweg betrachtet also ähnlich oft wie
Männer wahr. Allerdings gibt es innerhalb der Altersgruppen deutliche Unterschiede: So