ATENEO PONTIFICIO REGINA APOSTOLORUM Facoltà di Filosofia Die Lehre von der natura communis in Duns Scotus’ Ordinatio II, d. 3, p. 1, qq. 1-6 Eine Textstudie Direttore: D. Alain Contat Studente: Fr. Vincenz Heereman LC Matricola: 6603 Dissertazione per la Licenza di Filosofia Roma, 11 febbraio 2015
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Die Lehre von der natura communis in Duns Scotus’ Ordinatio II, d. 3, p. 1, qq. 1-6. Eine Textstudie
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ATENEO PONTIFICIO REGINA APOSTOLORUM
Facoltà di Filosofia
Die Lehre von der natura communis
in Duns Scotus’ Ordinatio II, d. 3, p. 1, qq. 1-6
Eine Textstudie
Direttore: D. Alain Contat Studente: Fr. Vincenz Heereman LC Matricola: 6603 Dissertazione per la Licenza di Filosofia Roma, 11 febbraio 2015
Es ist durchaus nicht übertrieben, das 20. Jahrhundert als ein fruchtbares
Zeitalter der Scotus-Forschung zu bezeichnen. Vieles gibt zu einer solchen
Behauptung Anlass. Obschon der schottische Meister nie ganz in Vergessenheit
geraten ist, so war seine explizite Gefolgschaft über die Jahrhunderte zu einem
Nischenphänomen geworden, das wenig über die Grenzen des franziskanischen
Universums auszustrahlen vermochte. Symptomatisch für diese relative
Verdunkelung seines Andenkens, war die noch zu Anfang des Jahrhunderts
herrschende Unklarheit hinsichtlich der Quellen. Die große Wadding-Ausgabe
von 1639, von Vivès zwischen 1891 und 1895 neu gedruckt, blieb die einzige und
unwegsame Grundlage für Forscher, die dort einer Vielzahl von Texten
ungeklärter Authentizität ausgesetzt waren. Diese Tatsache erschwerte das
Forschen erheblich und konnte das Bild der reinen Lehre des Scotus nur allzu
leicht trüben. So war es ein Meilenstein von gewaltiger Bedeutung, als im Jahr
1950 die ersten zwei Bände der Editio Vaticana, der kritischen Ausgabe der
Werke des Johannes Duns Scotus erschienen1.
Man könnte sagen, dass das Werk eines Denkers dann von bleibendem Wert
ist, wenn die von ihm bedachten Probleme nach ihm nicht mehr auf die gleiche
Weise wie vor ihm behandelt werden können, wenn er nicht nur einen neuen
Lösungsansatz vorgeschlagen, sondern die Fragestellung selber nachhaltig
1 Vgl. C. BALIĆ, „Note per la storia della sezione e poi commissione scotista per
l’edizione critica delle opere di Giovanni Duns Scoto“, in R.S. ALMAGNO – C.L. HARKINS (Hg.), Studies Honoring Ignatius Charles Brady Friar Minor, The Franciscan Institute, St. Bonaventure NY 1978, 17–44. Bis zum Jahr 2013 wurden in der Editio Vaticana vierzehn Bände der Ordinatio sowie sechs Bände der Lectura veröffentlicht. Zwischen 1997 und 2006 veröffentlichte The Franciscan Institute in St. Bonaventure NY fünf Bände der Opera Philosophica. Weitere Werke oder Fragmente wurden anderswo kritisch herausgegeben. Für eine regelmäßig aktualisierte Übersicht der Scotus-Bibliographie (Ausgaben seiner Werke, Übersetzungen, Dissertationen, Monographien, Artikel und Beiträge) siehe T. HOFFMANN, Duns Scotus Bibliography from 1950 to the Present, 8. Ausgabe, 2013, in http://faculty.cua.edu/hoffmann/scotus-bibliography.htm [09-08-2014]. Es handelt sich hier um eine Fortsetzung des Werkes von O. SCHÄFER, Bibliographia de vita, operibus et doctrina Iohannis Duns Scoti, doctoris subtilis ac Mariani, saec. XIX–XX, Herder, Rom 1955.
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verändert hat. Das trifft ohne jeden Zweifel auf Duns Scotus zu2. So nimmt es
nicht wunder, dass auch das 20. Jahrhundert bei ihm auf die Suche nach
Antworten zu den immerwährenden Problemen des Denkens gegangen ist, so zum
Beispiel das Problem der Indiviualität und des freien Willens. Doch stellt sich die
Frage, wie das Interesse an Duns Scotus gerade in dieser Zeit derart aufblühen
konnte, wo doch die katholische Welt nach der Enzyklika Aeterni Patris, 1879
von Papst Leo XIII. veröffentlicht, sich wieder mit neuem Eifer dem Aquinaten
zuwandte. Tatsächlich liegt hier eine interessante Wechselwirkung vor, denn je
mehr die philosophiehistorische Forschung den echten Thomas zutage förderte,
desto deutlicher wurde sichtbar, wie wenig von seinen grundlegenden Einsichten
ihn selber überlebt hatte. In anderen Worten, es zeigte sich, wie viel Wasser aus
anderen Quellen der breite Strom des Thomismus der Jahrhunderte mit sich
führte. Unter diesen Einflüssen bewies sich der von Scotus ausgehende bald als
einer der bedeutendsten. Selbst, wo man sich redliche Mühe gab, Thomas zu
folgen, gab nicht selten scotisches Denken den Ton an. Häufig hielt man
materialiter am Aquinaten und dem Wortlaut seiner Lehre fest, hatte jedoch
formaliter einen scotischen Blick auf das Ganze entwickelt.
So lassen sich in der Scotus-Literatur des letzten Jahrhunderst zwei Stränge
unterscheiden, die sich mit „für -“ und „gegen Scotus“ nicht hinlänglich
charakterisieren lassen. Da ist zunächst eine beachtliche Anzahl von Forschern,
die sich bemühen, das Denken des Scotus aus seinen Quellen zu rekonstruieren
und so nah wie möglich an ein System heranzuführen. Sie untersuchen seine
Entwicklung, zeigen die Originalität seiner Fragen, die Stringenz seiner
Beweisführungen, die Kohärenz seiner Positionen und gehen seinen Spuren in den
Entwicklungen der Ideengeschichte nach. Balic, Bérubé, Bettoni, Boulnois, Cross,
Hoeres, Honnefelder, Ingham, Lauriola, Longpré, Noone und Sondag sind nur
einige Namen aus der langen Liste namhafter Persönlichkeiten. Davon lässt sich
2 Vgl. L. HONNEFELDER, Johannes Duns Scotus. Denker auf der Schwelle vom
mittelalterlichen zum neuzeitlichen Denken, Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und Künste, Schöningh, Paderborn 2011, 35. Vgl. auch DERS., „Wie ist Metaphysik möglich? Ansatz und Methode der Metaphysik bei Johannes Duns Scotus“, in A. SILEO (Hg.), Via Scoti. Methodologica ad mentem Joannis Duns Scoti. Atti del Congresso Scotistico Internazionale. Roma 9-11 Marzo 1993, I, Antonianum, Rom 1995, 77.
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ein anderer Strang der Scotus-Forschung unterscheiden, der dem ersten
zahlenmäßig nicht gewachsen ist, ihm jedoch häufig als Gesprächspartner dient3.
Hier sehen Forscher wie Gilson, de Muralt und Siewerth in Scotus ebenfalls einen
Vorboten der Moderne, richten ihr Augenmerk jedoch besonders auf den
Umbruch, den sie bei Scotus sehen: der Beginn einer Philosophie, in deren
Mittelpunkt nicht mehr das Sein sondern das Wesen steht – eine radikal anders
grundgelegte Art des Denkens, in sich schlüssig und kohärent, Lösungen für
zahlreiche Probleme anbietend. Nach ihrem Dafürhalten werden hier die Weichen
gestellt für ein Denken, das sich von der Realität und ihrem göttlichen Urgrund,
zu denen sich das scotische Denken noch in unmittelbarer Nähe befindet, mehr
und mehr entfremdet.
Die vorliegende Arbeit will für keine der beiden Interpretationsstränge
Partei ergreifen. Ebensowenig will sie sich anmaßen, einen dritten Weg
aufzuzeigen, sich damit zu einer Warte aufschwingend, der sich oberhalb der
genannten Forscher befände, welche der Verfasser dieser Zeilen in keinster Weise
wagen würde zu belehren und deren Arbeiten er sein noch im Anfang begriffenes
Verstehen des Duns Scotus verdankt. Diese Arbeit entspringt vielmehr dem
Wunsch, den schottischen Meister selbst reden zu lassen und seinem schwierigen
Text, durch aufmerksames Hören auf seine Sprache und gründliches Zerlegen
seiner Begriffe, ein lebendiges Bild seines Denkens abzugewinnen. Es handelt
sich also im Wesentlichen um eine Textstudie, eine detaillierte Untersuchung
einer Abhandlung zum Thema der Individuation.
Es ist jedoch nicht die Hauptmelodie aus diesem Satz des scotischen Opus
(nämlich die Individuation), der wir unsere Aufmerksamkeit widmen, sondern
3 Die weiter oben genannten Forscher verweisen regelmäßig und anerkennend auf das
grundlegende Werk von Gilson (E. GILSON, Jean Duns Scot. Introduction à ses positions fondamentales, Vrin, Paris 1952), jedoch fast immer, um ihn im nächsten Atemzug als zu einseitig zu bezeichnen und unfähig, den eigentlichen Fortschritt festzustellen, der mit Scotus erreicht wird. So z.B. J. CRUZ CRUZ, „Prólogo a la edición española“, in E. GILSON, Juan Duns Escoto. Introducción a sus posiciones fundamentales, EUNSA, Pamplona 2007, 15. Vgl. auch J.A. MERINO, Juan Duns Escoto. Introducción a su pensamiento filosófico-teológico, BAC, Madrid 2007, XXII.
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vielmehr der Basso continuo, der sie gleichsam begleitet, bedingt und ermöglicht4:
die natura communis. So zielt unsere Arbeit darauf ab, ein Bild von der natura
communis zu zeichnen, die ein grundlegender, von Scotus nicht für sich
behandelter Baustein seines Denkens ist. Es wird unsere Bemühung sein, praecise
(im technischen Sinn, d.h. unter Ausschluss all dessen, was nicht Objekt der
Studie ist) und symphonisch zugleich auf den Text des Scotus zu hören. Der
Basso continuo ist ohne die Melodie nicht zu begreifen und er lässt sich nicht aus
der allgemeinen Harmonie sowie den anderen Themen des Werkes vollends
herauslösen. Auch an scheinbar bedeutungslosen Kleinigkeiten, wie der mitunter
zögerlich anmutenden wechselnden Wortwahl des Schotten, wird sein
unverwechselbarer Stil und die schwer zu greifende Weite seines Denkens
sichtbar.
Es geht hier also nicht darum, über die Schulen der Scotusinterpretation zu
Gericht zu sitzen, ebensowenig wie neue Einsichten zu vermitteln. Vielmehr soll
die mühsame und zugleich seltsam befriedigende Arbeit (und bei Scotus darf
einmal von Knochenarbeit die Rede sein) gezeigt werden, die jeder Interpretation
voraufgeht und von der uns die bereits erwähnten Forscher meist nur die
Ergebnisse mitteilen. Das ist auch der Grund, warum hier ohne Scheu ein Thema
aufgegriffen wird, das in der Scotus-Forschung keineswegs unbeachtet geblieben
ist5. Eine regelrechte Textstudie wie die vorliegende, gibt es jedoch u.W. noch
nicht. Die untersuchten Absätze wurden hier ins Deutsche übertragen. Dabei
wurde, so gut es geht, darauf verzichtet, den Text auf Kosten seiner
Eigentümlichkeit zu vereinfachen und zu glätten. Der übersetzte Text soll nach
Scotus schmecken. Da jedoch die deutsche Sprache nicht immer die Klarheit der
lateinischen erlaubt, wird der Originaltext stets in den Fußnoten angegeben. Eine
4 Zu Möglichkeit und Interesse eines solchen Unterfangens vgl. die Rechtfertigung
seiner Arbeit in M. SYLWANOWICZ , Contingent Causality and the Foundations of Duns Scotus’ Metaphysics, Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 51, Brill, Leiden 1996, 2-8.
5 Jedes einleitende Werk zu Duns Scotus enthält einen Abschnitt über die gemeinsamen Naturen und die Individuation. Zahlreiche Artikel bearbeiten das Thema. Eine Monographie von J. Kraus (J. KRAUS, Die Lehre des Johannes Duns Scotus von der Natura Communis, Studia Friburgensia, Fribourg 1927) obschon vor der Veröffentlichung der kritischen Ausgabe erschienen, enthält immer noch zahlreiche gültige Elemente.
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schematische Zusammenfassung, in der alle Aussagen in ihren verschiedenen
Varianten und Schattierungen (in lateinischer Sprache) zusammengetragen
werden, gewährt dem Leser einen synthetischen Blick auf das Studienobjekt in
größtmöglicher Nähe zum scotischen Urtext.
Bleibt nur noch zu fragen, warum wir die natura communis zum
Gegenstand unserer Untersuchung gemacht haben. Zunächst gewährt die
Nämliche einen interessanten Blick von Scotus ad extra: An ihr lässt sich
insbesondere seine avicennische Gefolgschaft ablesen, sowie seine Stellungnahme
zum Universalienstreit. Noch interessanter ist jedoch die Vernetzung der natura
communis in andere Sektoren seiner Lehre, also ein Blick ad intra. Die
Beschaffenheit der natura communis steht in enger Verbindung mit den
Grundlagen der Metaphysik und der Bestimmung ihres Gegenstandes, dem ens
inquantum ens. Auch die Erkenntnislehre, mit dem für Scotus charakteristischen
esse objectivum, steht in wechselseitiger Abhängigkeit mit der Lehre der natura
communis. Darüberhinaus ergeben sich interessante Entsprechungen hinsichtlich
ihrer Exemplarursachen, den göttlichen Ideen, wie auch ihrer Wirkursache, dem
schöpferischen Wirken Gottes. Dieses alles zu beleuchten, würde weit mehr Platz
in Anspruch nehmen als welcher uns hier zur Verfügung steht. Lediglich ein
Ausblick auf die hier angerissenen Verbindungen soll am Schluss gegeben
werden. Jedes einzelne dieser korrelierten Themen würde eine eigene Textstudie
verdienen.
Das erste Kapitel skizziert mit unvermeidlich groben Zügen den
ideengeschichtlichen Ort unseres Themas. Im zweiten Kapitel wird der
ausgewählte Text einer systematischen Untersuchung unterzogen. Das dritte
Kapitel trägt die gewonnenen Einsichten zu einer synthetischen Darstellung der
Lehre der natura communis zusammen.
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1. KAPITEL
DER IDEENGESCHICHTLICHE ORT DES
PROBLEMS
1.1 Der Universalienstreit
Das Problem der Natur, ihrer Realität und Kommunität stellt sich für
Johannes Duns Scotus im Kontext des Universalienstreits, der unter den Gelehrten
seiner Zeit mit besonderer Vehemenz ausgetragen wird. Seit der Ideenlehre des
Platon und ihrer Widerlegung durch Aristoteles durchzieht dieser Streit die
Geschichte des Denkens in der westlichen Welt. An dieser Stelle soll der Verlauf
dieser Auseinandersetzung nur angedeutet werden, um ein besseres Verstehen der
scotischen Stellungnahme zu ermöglichen6.
Das denkerische Unternehmen des Platon setzt zu einem Zeitpunkt ein, an
dem das vorsokratische Suchen nach dem Verhältnis zwischen Einheit und
Vielheit in einer aporetischen Sackgasse angelangt ist. Entweder es gibt nur das
eine Sein und jede Vielheit ist Schein und Täuschung (Parmenides) oder es gibt
nur das Werden, die ständig in einander übergehende Vielheit der Gegensätze
(Heraklit). Von Sokrates zu einem Neuanfang des Denkens angestoßen, bemüht
sich Platon, die gegebene Multiplizität ontologisch und gnoseologisch zu einem
einzigen Ursprung zurückzuführen7. Die Konfrontation mit Einheit und Vielheit
spielt sich im Alltag des Menschen beispielsweise in jeder Aussage ab. Von einer
Vielheit von Einzeldingen sagen wir ein gemeinsames Wesen aus. „Das hier ist
ein Pferd, ebenso dieses und dieses.“ Wenn wir von mehreren Einzeldingen
aussagen, dass sie Pferde sind, dann weil sie die Natur des Pferdes gemeinsam
haben (κοινονία). Platon postuliert daraufhin die von den Einzeldingen der
6 Für eine gründliche Abhandlung siehe A. DE LIBERA, La querelle des universaux. De
Platon à la fin du Moyen Age, Seuil, Paris 1996. 7 Vgl. u.A. PLATON, Phaidon, 100b-c.
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Erfahrungswelt getrennte Existenz eines reinen Wesens, der Idee des Pferdes, an
der die Einzeldinge teilhaben (µέθεξις). Im Licht dieses reinen Wesens des
Pferdes ist uns auch das Erkennen des einzelnen Pferdes ermöglicht. Der
universale Begriff „Pferd“, der auf dieses und jenes einzelne Pferd angewandt
werden kann, ist also die Spiegelung im menschlichen Verstand jener von der
Materie getrennten, reinen Idee des Pferdes, die das Einzelding durch Teilhabe
unvollkommen nachahmt (µίµησις).
Die Kritik des Aristoteles greift Platons Theorie an ihrer schwächsten Stelle
an: dem Postulat. Die Existenz der Ideen kann von Platon nur postuliert, nicht
aber bewiesen werden. Damit ist für Aristoteles nichts erklärt. Wenn auch die
Ideenleere die Vielheit der Dinge mit der Einheit des Wesens in Einklang bringt,
so erklärt sie noch nicht das Werden der Dinge, verdoppelt ohne Notwendigkeit
die Gegenstände und zieht einen unendlichen Regress nach sich8. Für Aristoteles
ist in erster Linie das konkret existierende Einzelding real, die erste Substanz
(πρωτή οὐσία)9 mit ihren Akzidenzien. Die washeitliche Bestimmung dieser
aktuellen Substanz gründet in ihrem Wesenswas (τὸ τί ἦν εἶναι10), aufgrund derer
ein Ding Pferd und nicht Mensch ist. Ebenso hat jedes Akzidens, das der Substanz
inhäriert, ein Wesenswas, durch das es bestimmt ist. Im Abstraktionsprozess
vereint sich der menschliche Verstand intentional mit diesem Wesenwas (der
Substanz wie auch des Akzidens), indem er seine Aktualität in sich aufnimmt. So
entsteht der universale Begriff, die intentionale Präsenz des Wesenswas einer
Substanz oder eines Akzidens im Verstand. Im Fall der Substanz nennt Aristoteles
den so entstandenen Begriff zweite Substanz (δεύτερα οὐσία), die Gattung oder
Art des Dinges sein kann11. Das Universale im Ding hat also Wirklichkeit in
8 Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik, A, 9 (990a-993a); ebd., M, 4-5 (1078b-1080a). 9 ARISTOTELES, Kategorien, Kap. 5 (2a13-16), in Philosophische Schriften, I, E.
Rolfes (Übers.), Meiner, Hamburg 1995, 3: „Substanz im eigentlichsten und vorzüglichsten Sinne ist die, die weder von einem Subjekt ausgesagt wird, noch in einem Subjekt ist, wie z.B. ein bestimmter Mensch oder ein bestimmtes Pferd.“
10 Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik, Z, 4 (1029b). 11 ARISTOTELES, Kategorien, Kap. 5 (2a15-19), in Philosophische Schriften, I, 3:
„Zweite Substanzen heißen die Arten, zu denen die Substanzen im ersten Sinne gehören, sie und ihre Gattungen. So gehört z. B. ein bestimmter Mensch zu der Art Mensch, und die Gattung der Art ist das Sinnenwesen. Sie also heißen Substanzen, Mensch z. B. und Sinnenwesen.“
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dessen aktuellen Wesenswas. Im Verstand, auch wenn die Aktualität des
Verstandes mit der Aktualität des Verstandenen in eins fällt12, erhält das
Universale einen neuen Sitz bezüglich des Seins. Außerhalb von Ding und
Verstand gibt es für Aristoteles nichts Universales.
Spätestens mit der Erfassung der logischen Struktur des menschlichen
Denkens und Redens durch Aristoteles wird deutlich, dass der Verstand die
Wirklichkeit nicht als etwas je einzelnes erfasst und ausdrückt sondern das
Gemeinsame aus ihr abstrahiert und von ihr aussagt. Jedesmal, wenn eine
Aussage getan wird („Subjekt ist Prädikat“), ist das Prädikat ein universaler
Begriff, der auf dieses wie auch auf ein anderes Subjekt angewandt werden kann
(„Plato ist ein Mensch“ oder „Sokrates ist ein Mensch“). Das Subjekt seinerseits
kann sowohl singulär als auch universal sein („Plato ist ein Mensch“ oder „Der
Mensch ist ein Lebewesen“). Das aristotelische Allgemeine, das im Ding und
nicht getrennt von ihm zu suchen ist, steht in einem gewissen Widerspruch zum
platonischen Allgemeinen, das, vom Einzelding losgelöst, selber ein Ding ist, in
einer anderen Dimension der Realität seinen Sitz hat und im Ding nur
unvollkommen partizipiert gegenwärtig ist. Gemeinsam haben Platon und
Aristoteles jedoch die Annahme, dass der universale Begriff im menschlichen
Verstand eine wirkliche Grundlage im Ding hat. Der Gegensatz bezieht sich also
auf die Frage nach dem, was man den ersten Sitz des Allgemeinen nennen könnte,
nicht auf die Frage, ob es überhaupt etwas Allgemeines gibt.
Erst im dritten Jahrhundert wird der theoretische Rahmen für das
mittelalterliche Ringen um den Stand der Universalien von Porphyrios in seiner
Isagoge (Einführung zur Logik des Aristoteles) gelegt. Dort gliedert er die
universalen Begriffe in fünf Prädikabilien, das heißt in fünf verschiedene Weisen,
nach denen ein Prädikat von einem Subjekt ausgesagt werden kann: Gattung, Art,
artbildender Unterschied, Proprium und Akzidens. In der Einleitung schreibt er:
12 ARISTOTELES, De Anima III, c.8 (431 b 31): „Intellectus in actu est intellectum in
actu.“ THOMAS V. AQUIN, Summa Theologiae I, q. 87, a. 1, ad 3, ed. Leon. V, 356: “Intellectus in actu est intellectum in actu, propter similitudinem rei intellectae, quae est forma intellectus in actu.“
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So werde ich es vermeiden, über das folgende Problem zu sprechen, da es sehr tief geht und einer größeren Nachforschung an anderer Stelle bedarf: sind die Genera und Spezies wirklich da oder befinden sie sich nur in den bloßen Gedanken; wenn sie wirklich da sind, sind sie dann Körper oder unkörperlich; sind sie von den Sinnendingen losgetrennt oder existieren sie wirklich in ihnen und in bezug [sic] auf sie?13
Auch wenn Porphyrios selber vor einer Beantwortung der Frage
zurückschreckt, so stellt er sie doch deutlich in den Raum: Welchen
Realitätsgehalt haben Art und Gattung? Sind sie nur ein Produkt des
abstrahierenden Verstandes oder kommt ihnen eine gewisse Wirklichkeit zu? Nur
im Ding oder auch außerhalb des Dinges? Breiter formuliert: Hat nur das
singuläre Einzelding in der Wirklichkeit Bestand oder gibt es Allgemeines in der
Wirklichkeit? Wenn ja, dann wie?
Auf dem Text des Porphyrios fußend, sollen hier die verschiedenen
möglichen Lösungen des Problems skizziert werden. Das dabei entstehende
Schema ist allerdings eine theoretische Konstruktion, die nicht den in der
Geschichte erarbeiteten Lösungsansätzen deckungsgleich entspricht. Sie soll nur
dem besseren Verständnis des Problems dienen. Jeder Lösungsansatz wirft eine
Fülle von neuen Fragen und Aporien auf, von denen die bedeutsamsten gleich im
Anschluss an jeden Ansatz angeführt werden.
13 PORPHYRIOS, Isagoge, I, 10 ff.: „Mox de generibus et speciebus illud quidem sive
subsistunt sive in solis nudis purisque intellectibus posita sunt sive subsistentia corporalia sunt an incorporalia, et utrum separata an in sensibilibus et circa ea constantia, dicere recusabo (altissimum enim est huiusmodi negotium et maioris egens inquisitionis).” (in Aristoteles Latinus, 1, 6-7, Categoriarum Supplementa, L. Minio-Paluello (Hg.), Brill, Leiden 1966, 5) Übersetzung: H.-U. WÖHLER, Texte zum Universalienstreit. I. Vom Ausgang der Antike bis zur Frühscholastik, Akademie Verlag, Berlin 1992, 3.
12
a. Gattungen und Arten haben nur im Verstand Wirklichkeit.
• Welche Art von Ähnlichkeit in den Dingen ruft dann das
offensichtliche Bilden von allgemeinen Begriffen im Verstand
hervor?
b. Gattungen und Arten haben auch außerhalb des Verstandes
Wirklichkeit. Sie sind körperlicher Natur und sind von den
Sinnendingen losgetrennt.
• Sind diese körperlichen Allgemeindinge für uns erfahrbar oder
bewegen sie sich in einer anderen Dimension der Realität?
• In welcher Beziehung stehen die körperlichen Allgemeindinge
zu den Einzeldingen? Sind sie deren Ursache? Wie?
c. Gattungen und Arten haben auch außerhalb des Verstandes
Wirklichkeit. Sie sind körperlicher Natur und existieren in den
Sinnendingen.
• Welcher Teil des Einzeldinges entspricht dann seinem
allgemeinen Teil?
13
• Wie kann ein körperlicher Teil eines Sinnendinges wirklich
mehreren Sinnendingen gemeinsam sein?
d. Gattungen und Arten haben auch außerhalb des Verstandes
Wirklichkeit. Sie sind unkörperlich und existieren von den Sinnendingen
losgetrennt.
• Sind diese unkörperlichen Allgemeindinge unserem an
Sinneserfahrung gebundenen Verstehen zugänglich?
• Können wir ihre Existenz beweisen?
• Auf welche Art und Weise beeinflussen oder ermöglichen sie
unser allgemeines Begreifen der Einzeldinge?
• Sind sie ungeschaffen und haben in sich selber Bestand oder sind
sie geschaffen? Haben sie außerhalb des göttlichen Verstandes
Wirklichkeit?
• In welcher kausalen Beziehung stehen sie zu den Einzeldingen?
e. Gattungen und Arten haben auch außerhalb des Verstandes
Wirklichkeit. Sie sind unkörperlich und existieren in den Sinnendingen.
• Welche Art von Realität hat das Allgemeine im Einzelding? Ist
es in sich auch im Einzelding allgemein oder ist es aktuell
singulär und nur potentiell universal durch das Wirken des
Verstandes?
• Wie verhalten sich im Einzelding Allgemeines und Singuläres zu
einander? Was macht das Allgemeine zum Singulären?
• Wie verläuft der Prozess, durch den der Verstand das im
Einzelding vorhandene Allgemeine aufnimmt?
14
Die Lösungsansätze b) und c) haben in der Ideengeschichte aufgrund ihrer
Aporien kaum Entwicklung gefunden. Den in den Ansätzen a), d) und e)
umrissenen Grundprinzipien folgen hingegen zahlreiche Lösungsversuche der
Spätantike und des Mittelalters, die sich jedoch nur selten eindeutig einem dieser
Ansätze zuordnen lassen. Besonders d) und e) erscheinen häufig mit einander
verbunden. Die Geschichtsschreibung hält für gewöhnlich drei Kategorien bereit,
unter denen sie die Denker des Mittelalters zu fassen versucht. Als Realisten
bezeichnet sie jene Lehrer (antiqui doctores), die das Universale als in den
Dingen existent bekräftigen. Konzeptualismus wird jene Schule genannt, gemäß
welcher das Universale nur im Werk des Verstandes, dem Begriff, zu finden ist.
Als Nominalismus wird jene Lehre (nova via) bezeichnet, für die nur die
sprachlichen Zeichen, die Namen, auf mehrere in sich rein individuelle Dinge
angewandt werden. Wie jede Schematisierung wird auch diese den einzelnen
Denkern und der Tiefe ihrer Auseinandersetzungen nicht gerecht. Die
Meilensteine der Entwicklung des Problems sollen hier also anhand von einzelnen
Figuren umrissen werden.
Wichtig für den Verlauf des ideengeschichtlichen Suchens nach dem Status
der Universalien ist der Beitrag des Augustinus, des Lehrers des Abendlandes14.
Für ihn besteht das Wesen der Wahrheit im menschlichen Erkennen in erster Linie
in der Übereinstimmung mit der ewigen Wahrheit, die ihren Sitz in den Ideen
Gottes hat. Der Mensch erkennt die Dinge, die ihn umgeben, dank einer
Erleuchtung göttlichen Ursprunges, die ihn die Dinge als Abbilder im Licht ihrer
Urbilder erfassen lässt. Für das von Augstinus nicht systematisch behandelte
Problem der Universalien bedeutet das die reale Existenz von Universalien als
Ideen in Gott, mit denen der Mensch im Erkennen durch das von Gott geschenkte
Licht seines Verstandes übereinstimmt.
Bei Boethius, dem Übersetzer und Wegbereiter des Aristoteles im 5.
Jahrhundert, nimmt das Problem klar definierte Züge an. In seinem zweiten
Kommentar zur Isagoge des Porphyrios stellt er die Bedingungen auf, unter denen
14 Vgl. J. HIRSCHBERGER, Geschichte der Philosophie. I. Altertum und Mittelalter,
Herder, Freiburg 198012, 349-354.
15
wir etwas als universal bezeichnen können: es muss mehreren Einzeldingen in
seiner Ganzheit und nicht als Teil gemeinsam sein, es muss ihnen gleichzeitig
gemeinsam sein und es muss die Substanz der Einzeldinge ausmachen. In der
darauf folgenden Untersuchung des Problems zeigt er zunächst, dass ein derart
verstandenes Universales unmöglich ist, weil es unmöglich mit zwei Dingen der
Substanz nach – also dem Sein nach – in eins fallen kann, die dem Sein nach von
einander verschieden sind. Mehreren wirklich gemeinsam, kann es kein Eins sein,
also ist es nicht15. Darüber hinaus sind Genus und Spezies Verstandesbegriffe, die
aus zugrundeliegenden Dingen zustande kommen. Wenn sie wahr sind (und das
setzt unser Kennen und Reden voraus), dann müssen sie dem Ding adäquat sein
und folglich sind Genus und Spezies wieder nicht nur Werk des Verstandes
sondern auch etwas in der Wirklichkeit Existierendes, was zuvor als unmöglich
gezeigt worden war16. Boethius löst die Aporie auf, indem er bekräftigt, dass
Wahrheit und Falschheit in dem Moment entstehen, in dem der urteilende
Verstand Begriffe miteinander verbindet. Wohingegen ein Begriff „durch Teilung
und Abstraktion entsteht, dann verhält sich die Sache zwar nicht so, wie der
Gedanke ist, jener Gedanke aber ist durchaus nicht falsch. Es gibt nämlich eine
Menge von Dingen, die in anderen ihr Sein [esse] haben, von denen sie entweder
überhaupt nicht getrennt werden können, oder die, wenn sie getrennt würden, auf
keine Weise von wirklicher Existenz sind.“17 Boethius schließt seine
Untersuchung mit der Behauptung, dass Genera und Spezies real sind, jedoch
anders vom Verstand begriffen werden, als sie in den Dingen vorliegen.
zum Universalienstreit, I, 28: „Denn es kann nicht sein, dass es, wenn es in vielen zur gleichen Zeit als ganzes ist, selbst ein zahlenmäßiges Eins ist. Wenn das aber so ist, dann wird ein Genus nicht ein Eins sein können, woraus folgt, dass es überhaupt Nichts ist: denn alles, was existiert, ist darum, weil es Eins ist.“
16 BOETHIUS, In Isagogen, editio secunda, I.10. Übersetzung: H.-U. WÖHLER, Texte zum Universalienstreit, I, 28 f.: „Wenn die Genera und Spezies usw. als bloße Gedanken [intellectus] aufgefasst werden, ja aber jeder Gedanke entweder aus einem zugrundeliegenden Ding so zustande kommt, dass er diesem adäquat ist, oder aber so, dass er ihm nicht adäquat ist – denn ein Gedanke kann nicht ohne jede Grundlage entstehen –, und wenn die Kenntnis von dem Genus, der Spezies und dem Übrigen nun von dem zugrundeliegenden Ding herkommt, und zwar genauso, wie das Ding beschaffen ist, welches erkannt wird, dann sind sie nicht mehr nur im Verstand gegeben, sondern bestehen auch in der Wirklichkeit der Dinge.“
17 BOETHIUS, In Isagogen, editio secunda, I.11. Übersetzung: H.-U. WÖHLER, Texte zum Universalienstreit, I, 29.
16
Desweiteren sind sie unkörperlich, bestehen in den körperlichen Dingen, werden
aber als für sich selbst Bestehendes begriffen18. Die Frage, ob sie auch getrennt
von den körperlichen Dingen sind, lässt er hier noch unbeantwortet. Aus dem
Gesamtbild seines Werkes geht jedoch hervor, dass er diesbezüglich mit Platon
geistesverwandt denkt19. Das konkrete Reale hat zwar den Vorrang vor der
universalen species intelligibilis, die durch Abstraktion und Hervorheben der
allgemeinen Züge im Einzelding gebildet wird, gleichzeitig aber ist das
Allgemeine im erfahrbaren Einzelding nur die unvollkommene Verwirklichung
einer natura incorporea, die ihr voraufgeht. In seinem Werk De consolatione
philosophiae (V,4) besagt er, dass das Erkennen durch die Sinne eine Erinnerung
an diese Allgemeinnaturen wachrufen soll. Boethius setzt die Universalien also
als von den Einzeldingen getrennt und vor ihnen, ohne jedoch ihren Sitz (im Geist
Gottes oder außerhalb) mit letzter Präzision zu bestimmen. Im Ding sind sie
unvollkommen und partizipativ vorhanden und werden durch Abstrakion im
Verstand zu Begriffen.
Anders artikuliert sich das Gedankengut des Johannes Scotus Eriugena20 im
9. Jahrhundert. In seinem neuplatonisch inspirierten De divisione naturae räumt er
den göttlichen Ideen einen eigenen Ort ein, eine eigene Seinsstufe. Gott, als
natura creans increata schaut sich selbst und erkennt ewiglich in sich seine Ideen,
die Eriugena natura creata creans nennt. Wenn auch Gott die erste Ursache aller
zum Universalienstreit, I, 31: „Mit diesen Bestimmungen ist meines Erachtens das gesamte Problem gelöst. Denn unter dem einen Aspekt bestehen die Genera und Spezies wirklich, unter dem anderen aber werden sie begriffen; und sie sind unkörperlich, bestehen aber wirklich in Verbindung mit den sinnlichen Dingen in den sinnlichen Dingen. Sie werden jedoch als für sich selbst Bestehendes begriffen, das nicht in anderen sein Sein hat. Platon meint nun, daß Genera, Spezies und so weiter nicht nur als Universalien begriffen werden, sondern daß sie auch wirklich da sind und neben den Körpern existieren. Aristoteles glaubt hingegen, daß sie als unkörperliche sowie allgemeine Dinge gedacht werden, jedoch in den sinnlichen Dingen wirklich existieren. Ich halte es nicht für angebracht, über deren Auffassungen ein entscheidendes Urteil zu fällen, denn das geht die höhere Philosophie an. Dennoch sind wir intensiver der Auffassung des Aristoteles gefolgt, jedoch nicht darum, weil wir diese am meisten gutheißen, sondern darum weil dieses Werk über die ‚Kategorien‘ geschrieben wurde, deren Autor Aristoteles ist.“
19 Vgl. J. HIRSCHBERGER, Geschichte der Philosophie, I, 381. 20 Vgl. E. GILSON, La Philosophie au Moyen Age. De Scot Erigène à Guillaume
D’Occam, Payot, Paris 1930, 15ff.
17
Dinge ist, so sind diese Ideen die causae primordiales, die näheren Ursachen, von
denen die Dinge der raum-zeitlichen Welt dem Sein nach abhängen. Letztere, die
natura creata nec creans, müht sich, das Urbild getreu nachzubilden und strebt zu
ihrem Urgrund zurück, der als natura increata nec creans am Ende dieser
Heimkehr steht. Die Universalien im ersten und eigentlichen Sinne sind also
göttliche Ideen. Ihre Geschaffenheit von Gott ist deutlich bejaht, jedoch wird ihre
Ewigkeit und Verschiedenheit von Gott so stark unterstrichen, dass sie leicht als
Getrenntheit verstanden werden kann. In der Erschaffung der Dinge kommt ihnen
nicht nur die Mittlung der Form zu, sondern eine echte Seinsvermittlung. In den
Dingen werden die Universalien wieder nur unvollkommen nachgeahmt.
Zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert stellt das Universalienproblem
das bevorzugte gedankliche Schlachtfeld dar, auf dem die verschiedenen Denker
und ihre Schulen einander gegenüber treten. Heiric von Auxerre (841-876)
bezeichnet die Universalien als reine Verstandesdinge („nuda intellecta“)21 und
behauptet, dass alles Reale immer singulär ist. Roscellin von Compiègne (1050-
1120), dessen Lehren uns im Wesentlichen nur durch seine Widersacher bekannt
sind, hält die Universalien (insbesondere Gattung und Art) nicht für reale Dinge
und stuft sie daher als reinen „flatus vocis“ ein. Somit gilt er als Begründer des
Nominalismus. Seine Haltung kommt jedoch nicht dem Skeptizismus gleich, da
die Namen, mit denen wir die je singulären Dinge benennen, den Seinsverhalt der
Wirklichkeit adäquat wiedergeben22. Anselm von Canterbury (1033-1109) erkennt
die erheblichen Schwierigkeiten, die von dieser Haltung für die
Dreifaltigkeitslehre ausgehen: Vater, Sohn und Heiliger Geist wären je für sich
bestehende Substanzen, denen kein Wesen gemeinsam ist. Daraus muss sich die
häretische Annahme ergeben, dass es sich um drei Götter handelt. Roscelin wird
von Anselm des Tritheismus bezichtigt und auf dem Konzil von Soissons 1092
verurteilt.
Mit besonderer Wucht tobt der Streit zwischen Abaelard (1079-1142),
einem früherer Schüler Roscelins, und seinem späteren Meister Wilhelm von
21 Vgl. J. HIRSCHBERGER, Geschichte der Philosophie, I, 411. 22 Vgl. F. REGO, La polémica de los universales: sus autores y sus textos, Gladius,
Buenos Aires 2005, 58-61.
18
Champeaux (1070-1120). Wilhelm bekräftig, dass die Individuen einer Art ein
einzelnes Wesen gemeinsam haben und sich von einander durch je verschiedene
Akzidenzien unterscheiden. Abaelard23 wendet sich von dieser Lehre seines
Meisters ab und hält ihm entgegen, dass in diesem Fall die Art „Mensch“ alle
Menschen in sich enthalten würde und es letztlich nur einen Menschen gäbe. In
einem weiteren Schritt könnte man argumentieren, dass es nur die zehn
Kategorien gibt, die bereits alles in sich enthalten, was unter sie fällt. Man könnte
sogar so weit gehen, zu sagen, es gäbe nur Gott. Wilhelm gibt den Argumenten
seines Schülers Recht und überarbeitet seine Stellung: Real sind nunmehr nur die
je einzelnen Dinge, die insofern in Art oder Gattung zusammengefasst werden
können, als dass sie sich nicht von einander unterscheiden. Abaelard hält dem
wiederum entgegen, dass dann das Allgemeine nicht zu erklären ist. „Wie sollten
die Dinge einander ähnlich sein, wenn ihre Individualität je und je etwas eigenes
ist?“24 Abaelard selber lässt nur das Individuelle als wirklich gelten und behält das
Kennen seines Wesens Gott allein vor. Der Mensch nähert sich dem Wesen über
die Akzidenzien, kann darüber aber nur Meinungen äußern. Sein Reden über die
Wirklichkeit ist immer nur sermo, vom subjektiven Erkennen abhängig, und seine
Allgemeinbegriffe sind res fictae.
Mit Albert dem Großen (1193-1280)25 erhält die Frage nach den
Universalien ein neues Gleichgewicht. Für Albert, dessen Denken und Lehren den
Durchbruch des Aristoteles für das Abendland bedeutet, ist das Allgemeine in drei
Momenten zu suchen, die die Scholastik vor ihm bereits herausgearbeitet hat.
Ante rem sind die spezifischen Wesenheiten in sich unabänderlich und universal,
von ihrer Verwirklichung in den Dingen der raum-zeitlichen Welt unabhängig. In
re sind diese Wesenheiten in den je singulären Dingen konkretisiert und
individuiert. Post rem haben sie als vom tätigen Verstand abstrahierte
Allgemeinbegriffe Wirklichkeit. Thomas von Aquin (1224-1274) nimmt diese
Lehre auf, ohne sie jedoch sehr zu problematisieren. In seiner Metaphysik liegt
der Schwerpunkt des konkreten Seienden in dessen Aktualität – Aktualität, die
23 Vgl. F. REGO, La polémica de…, 77-111. Vgl. auch J. PIEPER, Scholastik. Gestalten und Probleme der mittelalterlichen Philosophie, Kösel, München 19913, 115.
24 J. HIRSCHBERGER, Geschichte der Philosophie, I, 412-413. 25 Vgl. A. DE LIBERA, La querelle des universaux…, 252f.
19
dem Seinsakt entspringt und durch die Form dem ganzen Seienden vermittelt
wird26. Die Form, die von der Materie empfangen und begrenzt und dadurch
individuiert wird, ist Prinzip der Intelligibilität des Seienden, weil sie ihrerseits
eine göttliche Idee nachahmt. Letztere wird von Gott erkannt, als eine von vielen
verschiedenen Arten und Weisen, in denen sein göttliches Sein durch Teilhabe
nachgeahmt werden kann27.
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts scheint sich damit eine Position
weitgehend durchgesetzt zu haben, die im Nachhinein als gemäßigter Realismus
bezeichnet wird. Das Allgemeine hat demzufolge seinen Ursprung in den
göttlichen Ideen, nimmt in den konkreten Dingen der raum-zeitlichen Welt eine
individuierte und daher singuläre Gestalt an und erlangt im Verstand eine
vollständige Universalität, die es ihm erlaubt, von mehreren Individuen in seiner
Ganzheit ausgesagt zu werden.
1.2 Das Erbe des Avicenna
Johannes Duns Scotus streift den Problemenkomplex der Universalien in
den Abendstunden des 13. Jahrhunderts. Es wird zu fragen sein, ob er die Realität
der Universalien beweisen will oder sie vielmehr voraussetzt, ob er in dem Streit
entscheiden will oder ihn als beigelegt betrachtet und lediglich eine neue Lesart
des weitgehend vorherrschenden Realismus proponiert. Wann immer Scotus sich
den Fragen nach der objektiven Grundlage unserer Begriffe und der Individuation
nähert, fällt auf, dass er sich wiederholt auf Avicenna bezieht. So zitiert er
beispielsweise, wenn es um die Einheit der natura communis geht:
Wie das jedoch zu verstehen ist, kann des Weiteren gesehen werden, wenn man bedenkt, was Avicenna in Buch V seiner Metphysik sagt, wo er darauf besteht, dass
26 Vgl. THOMAS V. AQUIN, De ente et essentia, cap. 3, ed. Leon. XLIII, 374f. 27 Vgl. THOMAS V. AQUIN, Summa theologiae I, q. 44, a. 3, ed. Leon. IV, 460.
20
‚die Pferdlichkeit nur Pferdlichkeit bedeutet – und sie aus sich weder eine noch mehrere, weder universal noch partikular ist‘.28
E. Gilson hat in seinem berühmt gewordenen Artikel Avicenne et le point de
départ de Duns Scot diese Wahlverwandschaft untersucht und das Bild eines
Scotus gezeichnet, das den originellen Denker zuerst als höhrendes und
aufnehmendes Glied in der Kette der Tradition zeigt29. Gilson erhellt die
avicennische Gefolgschaft des Scotus unter drei Gesichtspunkten: der Gegenstand
der Metaphysik, die Bildung der Universalien und die Univozität des Seienden.
Der innere Zusammenhang dieser drei Aspekte kann an dieser Stelle nicht näher
untersucht werden. Es soll hier lediglich darauf hingewiesen werden, auf welche
Art und Weise das avicennische Erbe die scotische Spekulation hinsichtlich der
natura communis prägt.
Ausgangspunkt für die Lehre des Avicenna ist das Problem der Prädikation
des Universalen. Soll eine Natur als Konzept von mehreren Individuen
prädizierbar sein, so muss sie in ihnen verwirklicht sein. Im Individuum ist sie
28 IOHANNES DUNS SCOTUS, Ordinatio II, d. 3, p. 1, q. 1., n. 31, ed. Vat. VII, 402f.:
„Qualiter autem hoc debeat intelligi, potest aliqualiter videri per dictum Avicennae V Metaphysicae, ubi vult quod ‚equinitas sit tantum equinitas, – nec est de se una nec plures, nec universalis nec particularis‘.“ Vgl. auch ebd., q. 1, n. 34, 404f., ebd., q. 4., n. 128, 456f. und Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis VII, q. 13, n. 64, OPh. IV, 240. Wenn fortan Werke des Johannes Duns Scotus zitiert werden, wird im bibliographischen Verweis der Fußnote auf den Namen des Autors verzichtet. Der Name des Werkes wird abgekürzt angeführt: Ord. für Ordinatio, Lec. für Lectura, Rep. Par. für Reportatio Parisiensis und Met. für Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis. Wo vorhanden, werden die Texte der kritischen Ausgabe entnommen (siehe Quellenverzeichnis). Hier, wie auch im Folgenden, handelt es sich um unsere eigene Übersetzung.
29 E. GILSON, „Avicenne et le point de départ de Duns Scot“, Archives d'histoire et littérature du Moyen Age 2 (1927), (neu aufgelegt von Vrin Reprise, Paris 1986), 132: „Dialogue de Duns Scot avec soi-même, mais d'abord avec ses grands aînés, qui ont soulevé les difficultés avant lui, et dont il écoute docilement les réponses avant de choisir entre eux et de les départager.“ Zur avicennischen Inspiration bei Duns Scotus vgl. auch L. HONNEFELDER, „Johannes Duns Scotus: Realität und Subjekt. Neue Wege philosophischen Denkens“, in L. HONNEFELDER – H. MÖHLE – A. SPEER – TH. KOBUSCH
– S. BULLIDO DEL BARRIO (Hg.), Johannes Duns Scotus 1308-2008. Die philosophischen Perspektiven seines Werkes. Investigations into his philosophy. Proceedings of „The Quadruple Congress“ on John Duns Scotus. Part 3, Aschendorff, Münster 2010, 27f., und: M. CRUZ HERNÁNDEZ, „El avicenismo de Duns Escoto“, in De doctrina Ioannis Duns Scoti: Acta Congressus Scotistici Internationalis, Oxonii et Edimburgi 11-17 sept. 1966 celebrati. I. Documenta et studia in Duns Scotum introductoria, Cura Commissionis Scotisticae, Rom 1968, 183-205, insb. 195f.
21
jedoch singulär, was der Universalität des Konzeptes widerstreitet. Gibt es die
Natur nur singulär im Ding oder universal im Konzept, so ist keine Prädikation
möglich. Daher muss es einen Zustand der Natur geben, der den beiden bereits
genannten voraufgeht und in dem sie deren Singularität bzw. Universalität
indifferent gegenübersteht30. So ergibt sich die Unterteilung des Universalen in
seine drei Zustände: natura secundum se, natura in singularibus und natura in
intellectu. Im ersten dieser drei Zustände ist die Natur an sich nur das, was sie ist,
sie besagt nur den Inhalt ihrer Definition, abseits der Universalität und der
Singularität, die ihr gegenüber akzidentell sind.
Die Definition der Pferdlichkeit ist außerhalb der Definition der Universalität; und die Universalität ist nicht unter der Definition der Pferdlichkeit enthalten. Die Pferdlichkeit hat eine Definition, die der Universalität nicht bedarf. Sondern sie ist es, der die Universalität hinzutritt; daher ist die Pferdlichkeit nichts anderes als einfach nur Pferdlichkeit. Sie ist aus sich heraus weder viele noch eine, weder in diesen Sinnendingen existierend noch in der Seele; sie ist auch keines der genannten Dinge nach dem Vermögen oder nach der Wirklichkeit, so dass es im Wesen der Pferdlichkeit beinhaltet wäre.31
Avicenna unterscheidet zwischen der Natur, ihrem Konzept und dem
Individuum, in dem sie verwirklicht ist32. Dem Konzept eignet es, universal zu
sein, dem Individuum dagegen partikular, der Natur von sich aus aber weder das
30 Diese Indifferenz ist es, die Avicenna communitas der Natur nennt. Vgl. T.
RUDAVSKY , „The Doctrine of Individuation in Duns Scotus (Fortsetzung)“, Franziskanische Studien 62 (1980), 64: „Avicenna therefore concludes that animality in the horse involves neither universality nor particularity. Both universality and particularity, as well as anything else not contained within the very notion of animality, are all accidental to it. This indifference to universality or particularity is what is meant by the commonness of the nature in itself.“ Vgl. auch J. OWENS, „Common Nature: A Point of Comparison between Thomistic and Scotistic Metaphysics“, Mediaeval Studies 19 (1957), 2: „It is something that just in itself does not involve either universality or singularity. Neither universality nor singularity is essential to it. Rather, both universality and singularity, and anything else not contained within the very notion of animality, are all accidental to it.“
31 AVICENNA, Metaphysica V, c. 1, f. 86 va., zitiert in E. GILSON, „Avicenne et le…“, 171, Anm. 1: „Diffinitio equinitatis est praeter diffinitionem universalitatis; nec universalitas continetur in diffinitione equinitatis. Equinitas etenim habet diffinitionem quae non eget universalitate. Sed est cui accidit universalitas; inde ipsa equinitas non est aliquid nisi equinitas tantum. Ipsa enim ex se nec est multa nec unum, nec est existens in his sensibilibus nec in anima nec est aliquid horum potentia vel effectu, ita ut hoc contineatur intra essentiam equinitatis.”
32 E. GILSON, „Avicenne et le…“ , 170: „Il [Avicenne] distingue en effet la manière dont une chose existe en elle-même de la manière dont elle existe dans la pensée, et il refuse de confondre la nature soit avec l'individu soit avec son concept.“
22
eine noch das andere. Wäre die Natur, beispielsweise die Natur der Gattung Tier,
von sich aus universal, so könnte es kein Individuum dieser Gattung geben. Wäre
sie hingegen singulär, so gäbe es nur ein einziges Tier33. Gilson fasst es
folgendermaßen zusammen: „Eine Sache ist die Universalität, eine andere das,
wovon man die Universalität aussagt.“34
Dem zu Grunde liegt die Unterscheidung zwischen dem genus naturale und
dem genus logicum35. Mit dem ersten ist das gemeint, was die Frage nach dem
Wesen einer Sache beantwortet. Bei dem zweiten handelt es sich um das, was
dem ersten hinzugefügt wird, um es universal im wahren Sinne des Wortes zu
machen36. Wenn sich eine Natur als Idee im Intellekt befindet, so unterscheidet
Avicenna auch in dieser Idee einen doppelten Gehalt: einerseits die Bestimmung
der Idee, andererseits ihre Universalität als das, was sie dazu befähigt, von
mehreren Dingen ausgesagt werden zu können. Die Universalität (oder
generalitas, wie er sie nennt) besagt an sich keinerlei Inhalt, weder Mensch, noch
Tier, noch Stein, sondern reine Aussagbarkeit. Der Inhalt seinerseits, besagt nichts
33 AVICENNA, Logica, P. III, f. 9 r a., zitiert in E. GILSON, „Avicenne et le…“, 171, Anm. 1: “Ponamus autem in hoc exemplum generis, dicentes quod animal est in se quoddam, et idem est utrum sit sensibile, aut sit intellectum in anima. In se autem esse hujus nec est universale, nec est singulare. Si enim in se esset universale ita quod animalitas, ex hoc quod est animalitas, esset universalis, oporteret, nullum animal esse singulare, sed omne animal esset universale. Si autem animal ex hoc quod est animal esset singulare, impossibile esset esse plus quam unum singulare, sed ipsum singulare cui debetur animalitas, et esset impossibile aliud singulare esse animale. Animal autem in se est quoddam intellectum in mente quod sit animal, et secundum hoc quod intelligitur esse animal, non est nisi animal tantum. Si autem praeter hoc intelligitur esse universale, aut singulare, aut aliquid aliud, iam intelligitur praeter hoc quiddam, scilicet id quod est animal, quod accidit animalitati.”
34 E. GILSON, „Avicenne et le…“, 171: „Ainsi donc, autre chose est l'universel, autre ce dont on affirme l'universalité.“
35 Vgl. T. RUDAVSKY , „The Doctrine of…“, 63: „The logical genus is distinguished from the natural genus as follows. The natural genus is the real essence of the thing, i.e. that which we assign in order to answer the question ‚what is it‘. The logical genus, on the other hand, is that which is attached to the natural genus to confer upon it universality. In other words, the logical genus is the pure generality which is added to the essence of the object.“
36 Vgl. E. GILSON, „Avicenne et le…“, 171f.: „Est genre naturel l'essence même de la chose, celle que l'on assigne pour répondre à la question : qu'est-ce que c'est ? C'est le cas de l'animalité par exemple. Est genre logique, ce qui s'ajoute au genre naturel pour lui conférer l'universalité. C'est donc la généralité pure du genre logique qui, s'appliquant à la notion d'animal, de cheval ou d'homme, en fait des idées générales proprement dites, de même qu'il faut ajouter à la notion d'espèce celles des propriétés individuelles pour la restreindre à signifier un individu singulier.“
23
anderes als wesentliche Bestimmtheit, die jedoch einem weiteren Vergleich und
Hinzufügung der Universalität potentiell gegenübersteht37.
Diese Natur nun, die von zwei oder mehreren Individuen einer Art
ausgesagt werden kann, ist ebendiesen Individuen gemeinsam, sie stellt deren
natura communis dar. Bleibt nun zu fragen, ob diese gemeinsame Natur bei zwei
Individuen die Gleiche ist. Avicenna geht vom Beispiel der Menschlichkeit bei
Platon und Sokrates aus und fragt, ob sie die Gleiche sei. Absolut betrachtet,
antwortet er, ist sie die Gleiche. ‚Absolut betrachtet‘ bedeutet hier, dass sich die
Frage auf die Natur an sich bezieht, unter Ausschluss der Betrachtung jener
Bestimmungen, die ihr als akzidentell hinzutreten. Die Menschlichkeit in Platon
ist von der Menschlichkeit in Sokrates nicht verschieden, was jedoch nicht zu dem
Trugschluss führen darf, dass es sich um ein und dasselbe Individuum handelt.
Platon und Sokrates sind numerisch voneinander verschieden38.
37 Vgl. AVICENNA, Logica, P. III, f. 9 r b., zitiert in E. GILSON, „Avicenne et le…“,
171, Anm. 4: „Similiter animal in intellectu quiddam est, et ejus universalitas sive generalitas aliud quiddam, et hoc quod est animal generale aliud quiddam. Et generalitas vocatur genus logicum, de qua intelligitur quod predicetur de multis differentibus specie ad interrogationem factam per quid, et non exprimit vel designat aliquid quod sit animal vel aliud aliquid, sicut album quod in se est aliquid intellectum. Sed quod sit homo aut lapis, esset praeter id quod intelligitur de illo, sed consequenter ad illud, et putatur esse unum, et genus logicum est hoc. Naturale autem genus est animal secundum quod est animal, quod est aptum ad hoc ut ei quod intelligitur de illo ponatur comparatio generalitatis.“ Vgl. auch DERS., Logica III (Venedig 1508), fol. 12rl., zitiert in J. OWENS, „Common Nature: A Point…“, 2: „Animal autem in se est quoddam intellectum in mente quod sit animal, et secundum hoc quod intelligitur esse animal non est nisi animal tantum. Si autem praeter hoc intelligitur esse universale aut singulare aut aliquid aliud, iam intelligitur praeter hoc quoddam, scilicet id quod est animal, quod accidit animalitati.“
38 Vgl. AVICENNA, Metaphysica V (Venedig 1508), 1B; fol. 86v2., zitiert in J. OWENS, „Common Nature: A Point…“, 3: „Unde si quis interrogaverit an humanitas quae est in Platone ex hoc quod est humanitas sit alia ab illa quae est in Socrate, et necessario dixerimus non, non oportebit consentire ei, ut dicatur: ergo haec et illa sunt una numero; quoniam negatio illa absoluta fuit, et intelleximus in ea quod illa humanitas ex hoc quod est humanitas est humanitas tantum. Sed hoc quod ipsa est alia ab humanitate quae est in Socrate quiddam extrinsecum est. Ipse vero non interrogavit de humanitate nisi ex hoc quod est humanitas. Cum autem dixit, humanitas quae est in Platone ex hoc quod est humanitas, iam posuit ei respectum ex hoc quod est humanitas; attribuit ergo ei respectum extraneum ab ea, cum dixit, quae est in Platone, aut quae est illa quae est in Platone.“
24
Damit stellt sich die Frage nach der Einheit der Natur, ob sie eine oder
vielzählig sei. Avicenna weist die Frage gewissermaßen als unpassend ab. Wenn
es um die Natur an sich geht, müssen wir festhalten, dass sie weder eine noch
vielzählig ist. Wenn sie in einem Fall eine ist und in einem anderen vielzählig,
dann ist das nicht auf ihren Inhalt als Natur zurückzuführen. Als Natur eignet ihr
weder das eine noch das andere, das ihr im einen oder anderen Fall als etwas
Extrinsisches hinzutritt39. Avicenna lässt der Natur also keine unitas zukommen,
ohne dass diese Verneinung zugleich eine Behauptung ihrer Multiplizität
bedeuten würde.
Wie Owens in seinem Artikel zeigt, konnte die Verneinung der Einheit der
natura communis bei der scotischen Wiederaufnahme der Frage kaum in dieser
undifferenzierten Form standhalten. Besonders paradoxal erscheint sie nämlich im
Licht der mit ihr einhergehenden Behauptung, dass die Natur ein ihr eigenes esse
besitzt, das gegenüber dem Sein im Ding und dem Sein im Verstand eine gewisse
Priorität hat40. Dieses Sein verleiht der Natur eine Realität, die der Realität der
Singularität und der Universalität voraufgeht und es der Natur ermöglicht, beiden
39 Vgl. AVICENNA, Metaphysica V (Venedig 1508), 1A; fol. 86v2., zitiert in J. OWENS,
„Common Nature: A Point…“, 2: „Cum ergo subiectum quaestionis posita fuerit ipsa humanitas secundum quod est humanitas veluti aliquid unum et interrogaverint nos secundum aliquod contrariorum dicentes, quod aut est unum aut multa, tunc non erit necesse respondere aliquod illorum. Ipsa enim humanitas ex hoc quod est ipsa humanitas est quiddam praeter aliquid illorum in cuius diffinitione non accipitur nisi humanitas [Original „humantas“ korrigiert] tantum. Sed si proprietas eius est esse unum vel multa, sicut proprietas quae eam sequitur, tunc sine dubio appropriabitur per hoc, sed tamen ipsa non erit ipsum appropriatum ex hoc quod est humanitas; ergo ex hoc quod ipsa est humanitas non est ipsum unum vel multum, sed est aliud quiddam cui illud accidit extrinsecus.“
40 Vgl. AVICENNA, Metaphysica V (Venedig 1508), 1C; fol. 87r1., zitiert in J. OWENS, „Common Nature: A Point…“, 3f.: „Poterit autem animal per se considerari, quamvis sit cum alio a se; essentia enim eius est cum alio a se, ergo essentia eius est ipsi per se. Ipsum vero esse cum alio a se, ergo essentia eius est ipsi per se. Ipsum vero esse cum alio a se est quiddam quod accidit ei vel aliquid quod comitatur naturam suam sicut haec animalitas et humanitas; ergo haec consideratio, scilicet ex hoc quod est animal praecedit in esse, et animal quod est individuum propter accidentia sua, et universale quod est in his sensibilibus, et intelligibile sicut simplex praecedit compositum, et sicut pars totum; ex hoc enim esse nec est genus nec species nec individuum nec unum nec multa. Sed ex hoc esse est tantum animal et tantum homo, nec comitatur illud sine dubio esse unum vel multa.“ DERS., Metaphysica I, 6C; fol. 72v1, zitiert a.a.O., 4: „Et hoc est quod fortasse appellamus esse proprium; nec intendimus per illud nisi intentionem esse affirmativi, quia verbum ens signat etiam multas intentiones, ex quibus est certitudo qua est unaquaeque res; et est sicut esse proprium rei.“
25
indifferent gegenüber zu stehen. Das Sein der Natur fällt des Weiteren ganz mit
ihr zusammen, da es sich um die Natur handelt, die nur in sich selbst betrachtet
wird, ohne jedwede Bestimmung, die ihr akzidentell ist. Zusammenfassend
können wir mit Owens sagen:
The essence taken just in itself has then its own proper being, which is not the being of the thing in reality nor its being in the intellect. These latter two are accidental to it, while the proper being is essential to it. The Avicennian essence or nature, accordingly, as found described in Latin translation, is something that of itself has being but not unity.41
Eine Natur mit einem eigenen esse aber keinem eigenen Einheitsgrad wird
nach den Vertiefungen des Hochmittelalters zum Sein und seinen
transzendentalen Eigenschaften kaum Bestand haben können. An anderer Stelle
werden wir sehen, wie Scotus die Antinomie auflöst.
Bevor wir uns der scotischen Weiterentwicklung der avicennischen natura-
Lehre widmen, fassen wir Letztere in ihren wesentlichen Punkten zusammen:
- Die Natur kann in drei Zuständen vorgefunden werden:
• In den Dingen ist sie partikular und vielzählig.
• Im Intellekt ist sie universal und einzählig.
• In sich betrachtet ist sie weder universal noch partikular. Sie steht den
beiden anderen Zuständen indifferent gegenüber.
- Die Natur an sich besitzt keine Einheit (gemeint ist die numerische
Einheit).
- Die Natur an sich ist in zwei Individuen die Gleiche, ohne damit die
numerische Differenz zwischen den Individuen aufzuheben.
- Die Natur an sich besitzt ein eigenes esse, das dem esse im Ding und im
Intellekt voraufgeht.
41 J. OWENS, „Common Nature: A Point…“, 4.
26
2. KAPITEL
DIE BEHANDLUNG DES PROBLEMS IN
DER ORDINATIO
Es ist bekannt, dass die Quellenlage im Werk des Johannes Duns Scotus von
besonderer Kompliziertheit ist. Wenige Angaben über sein Leben dürfen als
historisch gesichert gelten und Aussagen über das Entstehen seiner Werke sind
stets mit dem Vorzeichen der Wahrscheinlichkeit oder der Vermutung versehen.
Es soll darauf verzichtet werden, die Einzelheiten der diesbezüglichen Forschung
hier wiederzugeben. Einen zusammenfassenden Einblick in die Entwicklungen
des letzten Jahrhunderts und die daraus gewonnenen Erkenntnisse gewährt ein
Artikel des ausgewiesenen Kenners A.B. Wolter42, auf den wir uns hier verlassen.
Der Doctor subtilis befasst sich mit dem Problem der natura communis am
ausführlichsten im Zusammenhang mit der Frage nach dem Individuationsprinzip.
Systematisch wird diese in den verschiedenen Fassungen seines
Sentenzenkommentars, wie auch in seinem Kommentar zur Metaphysik des
Aristoteles bearbeitet43. Eine vergleichende Untersuchung aller relevanten Texte
wäre ein fruchtbares Unterfangen, besonders hinsichtlich der Entwicklung der
Lehre im Laufe der Zeit, würde aber den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem
sprengen. Wir haben uns auf die Abhandlung im Sentenzenkommentar begrenzt
und von den zur Verfügung stehenden Fassungen die von Scotus selber
überarbeitete Version gewählt, die heute Ordinatio genannt wird (früher bekannt
als Opus oxoniense). Die Vollständigkeit des Textes und seine organische
Struktur haben uns zu dieser Wahl geführt. Dabei verzichten wir auf eine
42 A.B. WOLTER, „Chap. 1: Reflections on the life and works of Scotus“, in A.B.
WOLTER, Scotus and Ockham: selected essays, Franciscan Institute, St. Bonaventure NY 2003, 1-35.
43 Ord. II, d. 3, p. 1, qq. 1-6, ed. Vat. VII, 391-494; Lect. II, d. 3, p. 1, qq. 1-6, ed. Vat. XVIII, 229-293; Rep. Par. II, d. 12, qq. 3-8, ed. Vivès XXIII, 20-41; Met. VII, q. 13., OPh. IV, 215-280.
27
Stellungnahme hinsichtlich der Frage, welche der Abhandlungen chronologisch
die letzte oder inhaltlich die ausgereifteste ist44.
Die Abhandlung über das Individuationsprinzip findet sich im zweiten Buch
des Sentenzenkommentares, unter der dritten Distinktion, welche die
Persönlichkeit der Engel behandelt. Der Ort der Abhandlung ist der Kontroverse
geschuldet, die ca. eine Generation vor Scotus in Paris getobt hatte. 1277 hatte der
Bischof von Paris, Etienne Tempier, unter anderem auf Betreiben Heinrichs von
Gent, 219 Thesen verurteilt, die einer gewissen Lesart des Aristotelismus
entsprachen und mit dem rechten Glauben der Kirche nicht vereinbar zu sein
schienen. Eine davon besagte, Gott könne nicht mehrere Engel innerhalb einer
einzigen Art schaffen. Nach Heinrichs Ansicht lag die Ursache dieses Fehlers in
der aristotelischen Lehre von der Individuation durch die Materie45. In der Zeit
nach 1277 wurde die Frage nach dem Individuationsprinzip deshalb für
gewöhnlich im Zusammenhang mit den Engeln gestellt.
Im Folgenden sollen nun aus jeder Quästion die für unser Thema relevanten
Angaben exzerpiert und erläutert werden. Dabei handelt es sich in erster Linie um
eine Textstudie, in der vornehmlich der Autor selber zu Wort kommen soll.
2.1 Textinventar
2.1.1 Ordinatio II, d. 3, p. 1, q. 1.
In der ersten quaestio der Abhandlung stellt Scotus die Frage, ob die
materielle Substanz aus ihrer Natur heraus individuell oder singulär ist46. In
44 Siehe hierzu die divergierenden Meinungen von Dumont und Shibuya. S.D.
DUMONT, „The questions on Individuation in Scotus’ ‚Quaestiones super Metaphysicam‘“, in A. SILEO (Hg.), Via Scoti, I, 201. K. SHIBUYA , „Duns Scotus on ‚ultima realitas formae‘“, in M. CARBAJO NÚÑEZ (Hg.), Giovanni Duns Scoto. Studi e ricerche nel VII Centenario della sua morte, I, Antonianum, Rom 2008, 379-394.
45 Vgl. S.D. DUMONT, „The questions on…“, 201 Anm. 19. 46 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, ed. Vat. VII, 391: „Utrum substantia materialis ex se sive ex
natura sua sit individua vel singularis.“
28
anderen Worten: Ist die Natur aus sich heraus bereits individuell, i.e. ist sie eine
mit numerischer Einheit? Scotus antwortet:
Was auch immer eine reale, eigene und ausreichende Einheit besitzt, die geringer ist als die numerische, das ist nicht aus sich eins mit einer numerischen Einheit (das heißt es ist nicht aus sich ‚dieses‘); die in diesem Stein existierende Natur aber hat eine eigene, reale und ausreichende Einheit, die geringer ist als die numerische Einheit; also usw.47
Ein Erstes ist also festzuhalten: Die Natur ist nicht aus sich heraus
individuiert, besitzt nicht aus sich heraus numerische Einheit. Sie besitzt eine
Einheit, die zwar geringer ist als die numerische, die aber dennoch real und
ausreichend ist. Wenn von der Einheit der Natur die Rede ist, werden wir fortan
mit Scotus von der „geringeren Einheit“ (unitas minor) sprechen. Weiter heißt es:
Der Obersatz erhellt aus sich, denn nichts ist aus sich eins mit einer Einheit, die größer wäre als die ihm ausreichende Einheit: denn wenn die eigene Einheit (die, welche einem Ding aus sich heraus zukommt) geringer ist als die numerische Einheit, dann kommt die numerische Einheit dem Ding nicht aus seiner Natur und gemäß seiner selbst zu (sonst hätte es genau gesagt aus seiner Natur heraus eine größere und eine geringere Einheit, die bezüglich und gemäß demselben einander gegensätzlich sind, – denn mit der geringeren Einheit kann ohne Widerspruch eine der größeren Einheit gegensätzliche Vielheit stehen, die nicht mit der größeren Einheit stehen kann, weil sie ihr widerstreitet; daher usw.).48
Die geringere Einheit, die der Natur eignet, steht nicht im Widerstreit mit
der numerischen Vielheit. Die Natur an sich ist also aus sich heraus weder
numerisch eine noch vielzählig. In der Folge führt Scotus sieben Gründe auf, die
die Realität dieser geringeren Einheit untermauern. In der opinio propria der
Quästion treten zwei weitere wichtige Aspekte zutage:
47 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 8, ed. Vat. VII, 395: „Praeterea, cuiuscumque unitas realis,
propria et sufficiens, est minor unitate numerali, illud non est de se unum unitate numerali (sive non est de se hoc); sed naturae exsistentis in isto lapide, est unitas propria, realis sive sufficiens, minor unitate numerali; igitur etc.“
48 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 9, ed. Vat. VII, 395: „Maior de se patet, quia nihil est de se ‘unum’ unitate maiore unitate sibi sufficiente: nam si propria unitas – quae debetur alicui de se – sit minor unitate numerali, numeralis unitas non convenit sibi ex natura sua et secundum se (aliter praecise ex natura sua haberet maiorem et minorem unitatem, quae circa idem et secundum idem sunt opposita, – quia cum unitate minore sine contradictione potest stare multitudo opposita maiori unitati, quae multitudo non potest stare cum unitate maiore, quia sibi repugnat; igitur etc.).“
29
Wie die zweite Begründung (mit allen ihren Beweisen) zeigt, gibt es im Ding irgendeine wirkliche Einheit, von jeder Tätigkeit des Verstandes unabhängig, die geringer ist als die numerische Einheit (d.h. die Einheit die dem Einzelding eigen ist); und diese ‚Einheit‘ ist die Einheit der Natur gemäß ihrer selbst. Gemäß dieser ‚eigenen Einheit‘ der Natur als Natur, ist die Natur indifferent gegen die Einheit der Singularität; sie ist also nicht aus sich heraus auf diese Weise eine, das heißt mit der Einheit der Singularität.49
Die eigene und „geringere“ Einheit der Natur ist nicht auf die Tätigkeit des
abstrahierenden Verstandes zurückzuführen. Damit ist bekräftigt, was bereits
bezüglich ihrer Realität gesagt wurde. Des Weiteren ist die Natur aufgrund dieser
Einheit indifferent gegen die Einheit der Singularität. Damit vervollständigt sich
das im vorausgehenden Zitat über den Nicht-Widerstreit mit der numerischen
Vielheit Gesagte: die Natur an sich ist indifferent gegenüber Singularität und
Vielheit. Auch der folgende Absatz bringt weitere und genauere Bestimmungen
und Abrenzungen der Natur:
Wie das jedoch zu verstehen ist, kann des Weiteren gesehen werden, wenn man bedenkt, was Avicenna in Buch V seiner Metphysik sagt, wo er darauf besteht, dass ‚die Pferdlichkeit nur Pferdlichkeit bedeutet – und sie aus sich weder eine noch mehrere, weder universal noch partikular ist‘. Ich verstehe es so: sie ist nicht ‚aus sich eine‘ mit einer numerischen Einheit, nicht ‚mehrere‘ mit einer Vielheit, die jener Einheit entgegengesetzt ist, nicht aktuell ‚universal‘ (auf die Art und Weise nämlich, in der etwas universal ist, indem es Gegenstand des Verstandes ist) und auch nicht aus sich ‚partikular‘.50
An dieser Stelle zeichnet Scotus mit großer Genauigkeit die Koordinaten
der Natur an sich, indem er alles von ihr verneint, was ihr nicht aus sich heraus
eignet: Sie besitzt weder numerische Einheit noch numerische Vielheit, noch ist
sie aktuell universal wie das Konzept, noch partikular. Wie die Natur ganz einfach
49 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 30, ed. Vat. VII, 402: „Sicut etiam deducit secunda ratio
(cum suis probationibus omnibus), aliqua est unitas in re realis absque omni operatione intellectus, minor unitate numerali sive unitate propria singularis, quae ‚unitas‘ est naturae secundum se, – et secundum istam ‚unitatem propriam‘ naturae ut natura est, natura est indifferens ad unitatem singularitatis; non igitur est de se sic illā una, scilicet unitate singularitatis.“
50 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 31, ed. Vat. VII, 402f.: „Qualiter autem hoc debeat intelligi, potest aliqualiter videri per dictum Avicennae V Metaphysicae, ubi vult quod ‚equinitas sit tantum equinitas, – nec est de se una nec plures, nec universalis nec particularis‘. Intelligo: non est ‚ex se una‘ unitate numerali, nec ‚plures‘ pluralitate opposita illi unitati; nec ‚universalis‘ actu est (eo modo scilicet quo aliquid est universale ut est obiectum intellectus), nec est ‚particularis‘ de se.“
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ohne irgendeine dieser Bestimmungen sein kann, erklärt die Tatsache, dass sie
„früher“ ist als sie alle.
Denn, auch wenn sie [die Natur] in Wirklichkeit nie ohne eines von diesen [das Singuläre, Viele, Universale oder Partikulare] existiert, so ist sie dennoch von sich aus keines davon, sondern ist naturgemäß früher als sie alle,– und gemäß dieser Priorität [„Früherheit“] ist das ‚was etwas ist‘ der Gegenstand an sich des Verstandes, und als solcher – an sich – wird er vom Metaphysiker betrachtet und in der Definition ausgedrückt; und die Sätze, die primo modo wahr sind, sind wahr aufgrund der so begriffenen Washeit, denn nichts wird ‚per se primo modo‘ von der Washeit ausgesagt, wenn es nicht wesentlich in ihr beinhaltet ist, insofern sie von all den Dingen abstrahiert wird, die naturgemäß nach ihr kommen.51
Aus diesem Absatz gehen mehrere wichtige Hinweise über die
Beschaffenheit der Natur an sich hervor. In der Wirklichkeit ist sie immer im
Verbund mit einer der benannten Bestimmungen zu finden. Sie ist also entweder
numerisch eine in einem partikularen Individuum oder in der Mehrzahl
verschiedener Individuen realisiert; oder aber sie ist universal, in sich eine und
von einer Vielzahl an Individuen prädizierbar. Außerdem wird deutlich, dass die
Natur dem quod quid est, der Wesenheit eines Dinges, entspricht, die den
natürlichen Gegenstand des Verstandes darstellt und in der Definition ausgedrückt
wird. Anders gesagt: die Definition eines Dinges beschränkt sich auf dessen
wesentliche Bestimmung, das heißt auf seine Natur. Alles, was nicht in der
Definition enthalten ist, auch wenn es in der Realität stets mit der Natur
verbunden ist, kommt naturgemäß später. Was von einem Ding per se primo
modo ausgesagt wird, bezieht sich auf sein Wesen, seine Natur, unter Ausschluss
aller anderen Bestimmungen. Hier wird außerdem sichtbar, dass die Natur zur
metaphysischen Ordnung gehört, also zur Ebene des Seins, während, wie schon
bei Avicenna unterschieden wurde, die Universalität als solche zur logischen
Ordnung gehört.
51 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 32, ed. Vat. VII, 403: „Licet enim numquam sit realiter
sine aliquo istorum, de se tamen non est aliquod istorum, sed est prius naturaliter omnibus istis, – et secundum prioritatem naturalem est ‚quod quid est‘ per se obiectum intellectus, et per se, ut sic, consideratur a metaphysico et exprimitur per definitionem; et propositiones ‚verae primo modo‘ sunt verae ratione quiditatis sic acceptae, quia nihil dicitur ‚per se primo modo‘ de quiditate nisi quod includitur in ea essentialiter, in quantum ipsa abstrahitur ab omnibus istis, quae sunt posteriora naturaliter ipsā.“
31
Nun ist die Natur nicht nur von sich aus indifferent gegenüber der Möglichkeit, im Verstand oder im Partikularen zu existieren, und dadurch auch gegenüber der Möglichkeit, universal oder partikular (bzw. singulär) zu sein, – sondern selbst wenn sie das Sein im Verstand besitzt, hat sie dennoch nicht an erster Stelle und aus sich heraus die Universalität. Auch wenn sie unter der Universalität verstanden wird, als dem Verstehensmodus, unter dem sie verstanden wird, so ist die Universalität dennoch nicht Teil ihres ersten Begriffes, weil sie nicht ein Begriff des Metaphysikers sondern des Logikers ist (der Logiker betrachtet nämlich die zweiten Intentionen, die auf die ersten Intentionen angewendet werden). Die erste Intellektion geht nämlich auf die Natur, ohne dass irgend ein Modus mitbegriffen würde, weder der, den sie im Verstand hat, noch der, den sie außerhalb des Verstandes hat. Auch wenn der Verstehensmodus des Verstandenen die Universalität ist, so wird dennoch nicht der Modus verstanden [sondern die Natur]!52
Duns Scotus vertieft das, was bereits Avicenna herausgearbeitet hatte: die
Unterscheidung zwischen genus metaphysicum und genus logicum. Diese Grenze
verläuft nicht zwischen der Natur im Ding und der Natur im Verstand sondern
selbst innerhalb der Natur im Verstand. Wenn eine Natur im Verstand zum
Konzept gewordent ist, ist im Konzept noch zu unterscheiden zwischen seiner
inhaltlichen Bestimmung und seiner Universalität. Der Verstand nimmt durch den
Abstraktionsprozess Wesenheiten in sich auf, die seine ersten Intentionen sind.
Diese Naturen werden, wie es dem Verstand eigentümlich ist, unter dem Modus
der Universalität aufgenommen. Die Universalität kommt der Natur aber nicht aus
sich selber heraus zu, sondern ist dem Verstand geschuldet und stellt den ihm
eigenen Verstehensmodus dar. Die Universalität selber wird vom Verstand erst in
einer zweiten Intention erkannt, die in den Bereich der Logik fällt.
Zusammenfassend: Begriffen wird die Natur unter dem Modus der Universalität,
die zum Inhalt der Natur hinzutritt und in einer zweiten Intention als von der
Natur, auf die sie angewendet wird, verschieden erkannt wird. Weiter heißt es:
Und so, wie gemäß jenem Sein [Anm.: d.h. dem, welches sie im Verstand hat] die Natur nicht aus sich universal ist, sondern die Universalität zu dieser Natur
52 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 33, ed. Vat. VII, 403f.: „Non solum autem ipsa natura de
se est indifferens ad esse in intellectu et in particulari, ac per hoc et ad esse universale et particulare (sive singulare), – sed etiam ipsa, habens esse in intellectu, non habet primo ex se universalitatem. Licet enim ipsa intelligatur sub universalitate ut sub modo intelligendi ipsam, tamen universalitas non est pars eius conceptus primi, quia non conceptus metaphysici, sed logici (logicus enim considerat secundas intentiones, applicatas primis secundum ipsum). Prima ergo intellectio est ‚naturae‘ ut non cointelligitur aliquis modus, neque qui est eius in intellectu, neque qui est eius extra intellectum; licet illius intellecti modus intelligendi sit universalitas, sed non modus intellectus!“
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hinzustößt gemäß ihrer ersten Beschaffenheit, gemäß welcher sie Gegenstand ist, – so ist es auch im Ding der Außenwelt: Dort ist die Natur verbunden mit der Singularität und ist dennoch nicht von sich aus zur Singularität bestimmt, sondern ist naturgemäß früher als die Beschaffenheit, die sie zu jener Singularität zusammenzieht. Und insofern sie naturgemäß früher ist als das, was sie zusammenzieht, widerstreitet es ihr nicht, ohne das zu sein, was sie zusammenzieht.53
Scotus stellt nun die Natur im Verstand der Natur im Ding gegenüber, um
genauer zu bestimmen, wie sie den Merkmalen dieser beiden Zustände
gegenübersteht. Im Verstand ist die Natur nicht aus sich universal sondern die
Universalität stößt zu ihr hinzu. Ebenso in der Außenwelt: Die Natur im Ding ist
nicht aus sich singulär, sondern sie wird zur Singularität (oder numerischen
Einheit) zusammengezogen. Die Natur ist naturgemäß früher (prior naturaliter)
als die beiden Zustände, in denen sie jeweils existiert. Diese Eigenschaft, der
Singularität naturgemäß voraufzugehen, ermöglicht es der Natur, auch ohne die
Singularität zu sein, zu der sie zusammengezogen wird. Im gleichen Absatz folgt
darauf eine Untersuchung hinsichtlich des Seins und der Einheit der Natur:
Und so, wie der Gegenstand im Verstand gemäß seinem Vorrang und der Universalität ein wahres intelligibles Sein hat, so hat die Natur auch im Ding gemäß dieser Entität ein echtes Sein außerhalb der Seele, – und gemäß dieser Entität hat sie eine ihr proportionale Einheit, die der Singularität indifferent gegenübersteht, so dass es dieser Einheit nicht von sich aus widerstreitet, mit jedweder Einheit der Singularität gesetzt zu werden (so begreife ich es, dass ‚die Natur eine wirkliche Einheit hat, die geringer ist als die numerische‘). Und auch wenn sie diese Einheit nicht auf die Art und Weise aus sich heraus besitzt, dass sie Teil ihrer Definition wäre (denn ‚die Pferdlichkeit ist nur Pferdlichkeit‘ gemäß Avicenna in Metaphysik V), so ist diese Einheit dennoch ein wesentliches Merkmal der Natur gemäß ihrer ersten Entität, und folglich ist sie weder aus sich ‚diese‘ von innen heraus, noch gemäß der eigenen Entität, die notwendig in der Natur eingeschlossen ist, gemäß ihrer ersten Entität.54
53 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 34, ed. Vat. VII, 404: „Et sicut secundum illud esse [nota:
scil. quod est in intellectu] non est natura de se universalis, sed universalitas accidit illi naturae secundum primam rationem eius, secundum quam est obiectum, – ita etiam in re extra, ubi natura est cum singularitate, non est illa natura de se determinata ad singularitatem, sed est prior naturaliter ipsa ratione contrahente ipsam ad singularitatem illam, et in quantum est prior naturaliter illo contrahente, non repugnat sibi esse sine illo contrahente.“
54 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 34, ed. Vat. VII, 404f.: „Et sicut obiectum in intellectu secundum illam primitatem eius et universalitatem habuit vere esse intelligibile, ita etiam in re natura secundum illam entitatem habet verum esse reale extra animam, – et secundum illam entitatem habet unitatem sibi proportionalem, quae indifferens est ad
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Auch wenn der Abschnitt nicht die Klarheit bietet, die für den Leser
wünschenswert wäre, können einige Anhaltspunkte ohne erheblichen Zweifel
festgehalten werden. Im Verstand besitzt die Natur ein wahres intelligibles Sein
(esse intelligibile), so wie sie auch im Ding ein wahres Sein außerhalb der Seele
besitzt (verum esse reale extra animam). Die Natur an sich aber hat eine Einheit,
die ihr proportional ist. Diese uns bereits bekannte „geringere Einheit“ ermöglicht
es der Natur, mit jedweder Singularität gesetzt zu werden. Die Einheit selber ist
nicht Teil der Definition der Natur, folgt ihr aber notwendig gemäß der ihr
eigenen Entität als wesentliches Merkmal. Die Natur hat also einen Einheitsgrad,
der von ihrem Inhalt verschieden ist, der ihr aber eigentümlich ist. Die numerische
Einheit der Singularität folgt der Natur weder aus sich heraus, noch aus dieser ihr
eigenen Einheit. Als nächstes grenzt Duns Scotus die natura communis vom
aktuell Universalen ab:
Zum ersten sage ich, dass das aktuell Universale das ist, was eine indifferente Einheit besitzt, gemäß welcher es sich in der näheren Potenz befindet, von jedwedem Suppositum ausgesagt zu werden, denn gemäß dem Philosophen in Kapitel I der Zweiten Analytiken ist das Universale das, was als eines in Vielen ist und von vielen [ausgesagt werden kann]. Es gibt nämlich nichts im Ding – gemäß welcher Einheit auch immer –, das so beschaffen wäre, dass es genau gemäß jener Einheit in der näheren Potenz wäre, von jedwedem Suppositum ausgesagt zu werden mit einer Prädikation, die besagt: ‚das ist das‘. Denn, auch wenn es einer im Ding existierenden Realität nicht widerstreitet, in einer anderen Singularität zu sein, als in der, in welcher sie ist, so kann dennoch nicht mit Wahrheit von jedwedem Untergeordneten Ding ausgesagt werden, dass es diese Realität sei. Das ist nämlich nur bei einem Gegenstand möglich, der numerisch einer ist und aktuell vom Verstand betrachtet wird. Dieser Gegenstand wiederum hat ‚als Verstandenes‘ auch die numerische Einheit des Gegenstandes, gemäß welcher er selber von jedem Einzelding ausgesagt werden kann, mit den Worten ‚das ist das‘.55
singularitatem, ita quod non repugnat illi unitati de se quod cum quacumque unitate singularitatis ponatur (hoc igitur modo intelligo ‚naturam habere unitatem realem, minorem unitate numerali‘); et licet non habeat eam de se, ita quod sit intra rationem naturae (quia ‚equinitas est tantum equinitas‘, secundum Avicennam V Metaphysicae), tamen illa unitas est propria passio naturae secundum entitatem suam primam, et per consequens neque est ex se ‚haec‘ intranee, neque secundum entitatem propriam necessario inclusam in ipsa natura secundum primam entitatem eius.“
55 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 37, ed. Vat. VII, 406f.: „Ad primum dico quod universale in actu est illud quod habet aliquam unitatem indifferentem, secundum quam ipsum idem est in potentia proxima ut dicatur de quolibet supposito, quia secundum Philosophum I Posteriorum ‚universale‘ est quod est unum in multis et de multis. Nihil enim – secundum quamcumque unitatem – in re est tale quod secundum illam unitatem praecisam sit in potentia proxima ad quodlibet suppositum praedicatione dicente ‚hoc est
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Das aktuell Universale (das Konzept im Verstand) verfügt über eine Einheit,
die es ihm ermöglicht, von jedem Suppositum, das unter es fällt, ausgesagt zu
werden (bspw. „Das hier ist ein Pferd“). So interpretiert Scotus die aristotelische
Definition des Universalen als in multis et de multis56. Die Einheit des
Universalen wird zweifach bestimmt: Einmal nennt sie Scotus indifferente
Einheit, dann wiederum nennt er sie numerische Einheit. Zu verstehen ist das wie
folgt: Indifferent ist die Einheit des Universalen gegenüber der Vielzahl von
Supposita, von denen es ausgesagt werden kann; numerisch eins ist das
Universale in sich als Gegenstand des Verstandes, der eben deshalb universal ist,
weil er als einzelner von mehreren Supposita ausgesagt werden kann. Diese
Einheit des Konzeptes, die seine Prädizierbarkeit ausmacht, kommt ihm dadurch
zu, dass es aktuell Gegenstand des Verstandes ist (obiecto actu considerato ab
intellectu). Scotus unterstreicht, dass es nichts derart Universales im Ding gibt.
Die Natur, die wir im Ding vorfinden, entspricht diesen Anforderungen nicht. Es
widerstreitet ihr zwar nicht, unter einer anderen Singularität zu stehen, als der,
unter welcher sie sich befindet, diese Indifferenz allein aber setzt sie noch nicht in
die nähere Potenz, von unter ihr stehenden Supposita ausgesagt werden zu
können. Bleibt noch näher zu bestimmen, wie sich das Gemeine, das der Natur an
sich eignet, zur Universalität verhält.
So erscheint der Satz als widerlegt, gemäß welchem ‚der tätige Verstand die Universalität in den Dingen schafft‘, nämlich dadurch, dass von jedem ‚was es ist‘ in einem Phantasma gesagt werden kann, dass es so beschaffen ist, dass es ihm nicht widerstreitet, in einem anderen zu sein, und dadurch dass er [der tätige Verstand] das ‚was es ist‘ im Phantasma entblößt, – denn wo auch immer es [das ‚was es ist‘] ist, noch bevor es im möglichen Verstand ein objektives Sein besitzt, sei es in der Sache, sei es im Phantasma, ob es ein sicheres Sein hat oder ein von der Vernunft abgeleitetes (und somit die Natur nicht durch irgendein Licht, sondern immer so beschaffen ist, dass es ihr aus sich heraus nicht widerstreitet, in einem anderen zu sein), so ist es [das ‚was es ist‘] dennoch nicht so beschaffen, dass es ihm in naher Potenz zustände, von jedwedem ausgesagt zu werden, sondern in der nahen Potenz befindet es sich nur im möglichen Verstand. Es gibt also in der Sache etwas ‚Gemeines‘, was nicht von sich aus dieses ist und dem es folglich nicht
hoc‘, quia licet alicui exsistenti in re non repugnet esse in alia singularitate ab illa in qua est, non tamen illud vere potest dici de quolibet inferiore, quod ‚quodlibet est ipsum‘; hoc enim solum est possibile de obiecto eodem numero, actu considerato ab intellectu, – quod quidem ‚ut intellectum‘ habet unitatem etiam numeralem obiecti, secundum quam ipsum idem est praedicabile de omni singulari, dicendo quod ‚hoc est hoc‘.“
56 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 37, ed. Vat. VII, 406: „Secundum Philosophum I Posteriorum ‚universale‘ est quod est unum in multis et de multis.“
35
widerstreitet nicht-dieses zu sein. Aber ein so beschaffenes Gemeines ist nicht aktuell universal, weil ihm jene Indifferenz abgeht, gemäß welcher das Universale vollständig universal ist, das heißt gemäß welcher dieses Gleiche in einer gewissen Identität von jedem Individuum aussagbar ist, so dass jedes dieses Gleiche ist.57
Scotus wendet sich hier gegen den auf der Autorität des Averroes
aufbauenden Einspruch, dass das Universale Frucht der Tätigkeit des Verstandes
sei58 und unterscheidet bei der Gelegenheit genauer, auf welche Art und Weise die
natura communis als Universales verstanden werden kann. Die Natur, die hier
wieder mit dem quod quid est, dem Wesen des Dinges, gleichgesetzt wird, ist aus
sich heraus so beschaffen, dass es ihr nicht widerstreitet, in einem anderen Ding
zu sein. Das gilt für das quod quid est in jedem seiner möglichen Zustände: im
Ding oder im Phantasma, ob es sein eigenes Sein hat oder von der Tätigkeit des
Verstandes abhängt. Die Indifferenz der Natur, verstanden als Nicht-Repugnanz,
unter einer anderen Singularität zu stehen, eignet der Natur ohne Zutun des
Verstandes. Als solche ist sie aber nicht in der näheren Potenz, von anderen
Dingen ausgesagt zu werden. Diese kommt ihr erst zu, wenn sie durch den tätigen
Verstand, der sie „entblößt”, im möglichen Verstand ein gegenständliches Sein
(esse obiectivum) erlangt. Scotus zieht es daher vor, das Universale im Ding, das
eben nicht vollständig universal und damit prädizierbar ist, ‚gemein‘ (commune)
zu nennen und erinnert bei jeder Gelegenheit daran, dass diese Gemeinheit der
Natur darin besteht, dass es ihr nicht widerstreitet, unter einer anderen Singularität
57 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 38, ed. Vat. VII, 407f.: „Ex hoc apparet improbatio illius
dicti quod ‚intellectus agens facit universalitatem in rebus‘, per hoc quod de omni ‚quod quid est‘ in phantasmate exsistente potest dici quod est tale cui non repugnat esse in alio, et per hoc quod denudat ‚quod quid‘ in phantasmate existens, – nam ubicumque est antequam in intellectu possibili habeat esse obiective, sive in re sive in phantasmate, sive habeat esse certum sive deductum per rationem (et sic non per aliquod lumen, sed semper sit talis natura ex se cui non repugnet esse in alio), non tamen est tale cui potentia proxima conveniat dici de quolibet, sed tantum est potentiā proximā in intellectu possibili. Ergo est in re ‚commune‘, quod non est de se hoc, et per consequens ei de se non repugnat non–hoc. Sed tale commune non est universale in actu, quia deficit illa indifferentia secundum quam completive universale est universale, secundum quam scilicet ipsum idem aliqua identitate est praedicabile de quolibet individuo, ita quod quodlibet sit ipsum.“
58 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 35, ed. Vat. VII, 405: „Sed contra istud videntur esse duae obiectiones: Una, quia videtur ponere universale esse aliquid reale in re (quod est contra Commentatorem I De anima commento 8, qui dicit quod ‚intellectus facit universalitatem in rebus, ita quod non exsistit nisi per intellectum‘, et sic est tantum ens rationis), – nam ista natura secundum quod ens in isto lapide, prior tamen naturaliter singularitate lapidis, est ex dictis indifferens ad hoc singulare et illud.“
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zu stehen. Diese Gemeinheit und Indifferenz ist der Natur zu eigen, ob sie sich im
Ding, im Phantasma oder im möglichen Verstand im Universalen befindet. All
diesen Zuständen steht sie in sich als früher gegenüber.
Weiteren Aufschluss gibt die Antwort auf einen Einwand, der sich auf
Johannes Damaszenus beruft59:
Auf den zweiten Einwand – des Damaszenus – antworte ich, dass das Gemeine in den Geschöpfen nicht auf die Art und Weise wirklich eins ist, wie das Gemeine in Gott wirklich eins ist. Dort ist das Gemeine nämlich singulär und individuell, weil die göttliche Natur aus sich selber diese [d.h. singulär] ist, und es liegt offen zutage, dass auf diese Weise nichts Universales in den Geschöpfen wirklich eins ist. Würde man das annehmen, müsste man sagen, dass eine geschaffene und nicht geteilte Natur von mehreren Individuen ausgesagt würde, wie wenn man sagt ‚das ist das‘, so, wie man sagt, dass der Vater Gott ist und ebenso der Sohn derselbe Gott ist. In den Geschöpfen jedoch gibt es etwas Gemeines, das mit einer Einheit eins ist, die geringer ist als die numerische Einheit, – und dieses Gemeine ist nicht auf die Art und Weise gemein, dass es von mehreren ausgesagt werden kann, auch wenn es es auf die Art und Weise gemein ist, dass es ihm nicht widerstreitet, in einem anderen [Ding] zu sein, als in dem, in welchem es ist.60
Duns Scotus unterscheidet das Gemeine in den Geschöpfen von dem
Gemeinen in den göttlichen Personen mithilfe der unterschiedlichen Einheit, die
beiden zukommt. In den göttlichen Personen ist die gemeinsame Natur singulär
und individuell, so dass es tatsächlich nur eine göttliche Natur gibt (mit
numerischer Einheit), die von den göttlichen Personen ausgesagt werden kann.
59 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 36, ed. Vat. VII, 405f.: „Praeterea, Damascenus cap.
8: ‚Oportet scire quod aliud est re considerari, et aliud ratione et cogitatione. Igitur, et specialius, in omnibus quidem creaturis hypostaseon divisio in re consideratur (in re enim Petrus a Paulo separatus consideratur), – communitas autem et copulatio, in intellectu tantum, ratione et cogitatione consideratur (intelligimus enim intellectu quoniam Petrus et Paulus unius sunt naturae, et communem unam habent naturam)‘; ‚neque enim hae hypostases in se invicem sunt, sed unaquaeque est singulatim partita, id est secundum rem separata‘. Et post: ‚In sancta vero et supersubstantiali Trinitate est e converso: illic enim commune quidem unum re consideratur‘, ‚cogitatione vero post, divisum‘.“
60 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 39, ed. Vat. VII, 408: „Ad secundam obiectionem – de Damasceno – dico quod eo modo quo in divinis ‚commune‘ est unum realiter, eo modo commune in creaturis non est unum realiter. Ibi enim ‚commune‘ est singulare et individuum, quia ipsa natura divina de se est haec, et eo modo manifestum est quod nullum universale in creaturis est realiter unum; hoc enim ponendo, esset ponere quod aliqua natura creata non-divisa praedicaretur de multis individuis praedicatione dicente ‚hoc est hoc‘, sicut dicitur quod Pater est Deus et Filius est idem Deus. In creaturis tamen est aliquod commune unum unitate reali, minore numerali, – et istud quidem ‚commune‘ non est ita commune quod sit praedicabile de multis, licet sit ita commune quod non repugnet sibi esse in alio quam in eo in quo est.“
37
Wenn gesagt wird, dass der Vater Gott ist und ebenso der Sohn, dann ist damit
dieselbe göttliche Natur gemeint. – Hier kommt uns die der deutschen Sprache
eigene Unterscheidung zwischen demselben und dem Gleichen zugute. – Im
Bereich der Geschöpfe würde eine derart beschaffene Einheit, bspw. der
menschlichen Natur, bedeuten, dass Petrus und Paulus, von denen besagte Natur
gleichermaßen ausgesagt werden kann, derselbe Mensch wären. Dass es sich nicht
so verhält, beruht auf der Tatsache, dass die gemeinsame Natur beider Individuen
zwar eine ist, jedoch nicht numerisch ein und dieselbe, sondern mit eben jener
geringeren Einheit, die darin besteht, dass es der Natur nicht widerstreitet, unter
einem anderen Individuum zu stehen. Dem deutschen Sprachgebrauch folgend
könnte man sagen, dass in der Dreifaltigkeit Vater und Sohn dieselbe göttliche
Natur zu eigen ist, während Petrus und Paulus die gleiche menschliche Natur
besitzen. Scotus unterstreicht im folgenden Absatz, dass das Gemeinsame in den
geschöpflichen Individuen einen echten Wirklichkeitsgehalt hat61. Er beschließt
darauf die Quästion indem er die Beziehungen zwischen communitas, singularitas
und universalitas beleuchtet:
Zur Bestätigung meiner Meinung ist deutlich, dass Gemeinsamkeit [communitas] und Singularität sich nicht so zur Natur verhalten, wie das Sein im Verstand und das Sein außerhalb der Seele, denn die Gemeinsamkeit eignet der Natur außerhalb des Verstandes ebenso wie die Singularität, – und die Gemeinsamkeit eignet der Natur aus sich heraus, während die Singularität ihr durch etwas eignet, das sie in dem Ding kontrahiert. Die Universalität eignet dem Ding nicht aus sich heraus. Und so räume ich ein, dass die Ursache der Universalität zu suchen ist, während die Ursache der Gemeinsamkeit nicht anderswo zu suchen ist, als in der Natur selber. Und nachdem wir die Gemeinsamkeit in der Natur gemäß ihrer eigenen Entität und Einheit gesetzt haben, muss gezwungenermaßen die Ursache der Singularität gesucht werden, die etwas zu der Natur hinzufügt, der sie zugehört.62
61 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 40, ed. Vat. VII, 408: „Dupliciter ergo patet quomodo
auctoritas non est contra me: primo, quia loquitur de unitate singularitatis in divinis, – et hoc modo non solum ‚universale creatum‘ non est unum, sed nec ‚commune‘, in creaturis; secundo quia loquitur de communi praedicabili, non praecise de communi quod determinatum est de facto (licet non repugnet sibi esse in alio), quale ‚commune‘ praecise potest poni in creaturis realiter.“
62 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 42, ed. Vat. VII, 410: „Ad confirmationem opinionis patet quod non ita se habet communitas et singularitas ad naturam, sicut esse in intellectu et esse verum extra animam, quia communitas convenit naturae extra intellectum, et similiter singularitas, – et communitas convenit ex se naturae, singularitas autem convenit naturae per aliquid in re contrahens ipsam; sed universalitas non convenit rei ex se. Et ideo concedo quod quaerenda est causa universalitatis, non tamen quaerenda est causa
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Die Natur an sich hat als wesentliches Merkmal eine communitas, die ihr als
Natur eignet. Nach der Ursache dieser communitas zu fragen, bedeutet nach der
Ursache der Natur selber zu fragen. Im Ding der Außenwelt, wo die Natur ein
esse verum extra animam besitzt, erscheint sie im Verbund mit einer singularitas,
die von außen zu ihr hinzutritt und ihr etwas hinzufügt. Die Ursache dieser
singularitas ist außerhalb der Natur selber zu suchen. In der Seele hingegen, wo
sie das esse in intellectu hat, erscheint die Natur mit der universalitas behaftet,
deren Ursache ebenfalls außerhalb der Natur selber liegt. Die communitas eignet
der Natur immer und aus sich heraus, die singularitas nur im Ding der Außenwelt,
wie die universalitas nur im Verstand. Singularitas und universalitas haben eine
Ursache, die nicht in der Natur selber zu liegen vermag63.
2.1.2 Ordinatio II, d. 3, p. 1, q. 2.
Während die erste Quästion danach fragt, ob die Natur aus sich heraus
bereits einen hinreichenden Grund für die Individuation darstellt, und damit die
Natur an sich unter dem Blickwinkel der ihr eigenen Einheit und Kommunität
beleuchtet, handeln die folgenden Quästionen in erster Linie von dem, was die
Natur im Ding zur Singularität kontrahiert. Die Hinweise, die sie über die Natur
als solche in obliquo beinhalten, sind daher weniger zahlreich. Es ist nicht
Aufgabe dieser Arbeit, die Argumente nachzuzeichnen, die Duns Scotus dazu
geführt haben, die bis dahin vorgeschlagenen Lösungen zum Problem der
Individuation zu verwerfen und seine eigene Lösung vorzuschlagen. Unseren
Ausgangspunkt bildet die bereits beantwortete Frage danach, was sich mit der
natura communis verbindet, um sie individuell werden zu lassen. Was wir aus den
folgenden Quästionen exzerpieren, tun wir in dem Interesse, aus den Texten des
Duns Scotus Informationen über die natura communis herauszuschälen, sowie
communitatis alia ab ipsa natura; et posita communitate in ipsa natura secundum propriam entitatem et unitatem, necessario oportet quaerere causam singularitatis, quae superaddit aliquid illi naturae cuius est.“
63 Die Natur kann nicht aus sich selber heraus Ursache von Singularität und Universalität sein, weil sie sonst die Ursache zweier sich kontradiktorisch zueinander verhaltenden Zustände wäre. Vgl. Zitat in Anm. 48.
39
über die Verbindungen, die sie mit anderen Prinzipien eingeht, wenn sie im Ding
oder im Verstand zu finden ist.
Wenn Scotus den Sinn der zweiten Quästion darstellt, erkennen wir für
unsere Zwecke, in welchem Zustand sich die Natur im Verbund mit dem Prinzip
der Individuation befindet:
Die Fragen bezüglich dieses Themas, sind daher so zu verstehen: Was stellt in diesem [konkreten] Stein das nahe Fundament dafür dar, dass es ihm schlechtin widerstreitet, in mehrere [Teile] geteilt zu werden, von denen jeder dieser Stein ist, wie das bei der Teilung eines universalen Ganzen in seine subjektiven Teile der Fall ist.64
Das wesentliche Merkmal eines Individuums, und damit auch seiner Natur,
wenn auch nicht als Natur sondern insofern sie Natur dieses Individuums ist,
besteht darin, nicht in subjektive Teile teilbar zu sein. Die Natur des Steins in
diesem Stein ist also nicht in weitere Steine teilbar, wie das bei der universalen
Natur des Steins der Fall ist. Anders gesagt: der Unterschied zwischen dem
konkreten Stein und der Art des Steins besteht darin, dass der konkrete Stein nicht
weiter geteilt werden kann, während die Art des Steins in unendliche viele Steine
(subjektive Teile des Universalen) geteilt werden kann, von denen jeder die
Prädikation des Universalen empfangen kann. Der konkrete Stein kann in weitere
Teile geteilt werden. Dann handelt es sich allerdings um quantitative Teile, die
jeweils neue Steine darstellen und von denen nicht gesagt werden kann, sie seien
der ursprüngliche Stein.
Einen Hinweis über die Beziehung zwischen der Natur und dem
Individuationsprinzip liefert uns der Absatz, in dem Scotus seine eigene Meinung
darstellt.
Ich gebe daher den Schlussfolgerungen dieser Argumente recht, dass nämlich gezwungenermaßen durch etwas Positives, das diesem Stein intrinsisch ist, als durch einen eigenen Grund, es diesem Stein widerstreitet, in subjektive Teile geteilt zu werden; und dieses Positive wird das sein, was man die Ursache per se
64 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 48, ed. Vat. VII, 413: „Est ergo intellectus quaestionum de
hac materia, quid sit in hoc lapide, per quod ‘sicut per fundamentum proximum’ simpliciter repugnat ei dividi in plura quorum quodlibet sit ipsum, qualis ‘divisio’ est propria toti universali in suas partes subiectivas.“
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der Individuation nennen wird, denn unter Individuation verstehe ich diese Unteilbarkeit oder auch Repugnanz gegen die Teilbarkeit.65
Das Individuationsprinzip, über das Scotus hier im Wesentlichen aussagen
will, dass es etwas Positives sein muss und nicht lediglich eine doppelte
Verneinung sein kann, wie dies Heinrich von Gent vorschlug (Verneinung der
inneren Teilbarkeit und der Identität mit jedem anderen Individuum)66, wird hier
als dem Individuum intrinsich beschrieben. Nun wissen wir von der Natur bereits,
dass sie auch im Ding der Außenwelt, von dem Prinzip verschieden bleibt, das zu
ihr hinzutritt, um sie zur Singularität zu kontrahieren. Aus beiden Informationen
können wir schließen, dass Natur und Individuationsprinzip dem Ding intrinsisch
sind und sich innerhalb des Dinges dennoch voneinander unterscheiden. Auf
welche Art und Weise, wird später zu erläutern sein.
Die Auseinandersetzung mit der doppelten Verneinung als mögliche
Ursache der Individuation gibt weiteren Aufschluss:
Obwohl die Annahme [vgl. oben n. 44: „Dass das ‚eins sein‘ nur die Abwesenheit der Teilung in sich und der Identität mit einem anderen bedeutet“] gänzlich falsch ist (was an anderer Stelle behandelt wird), auch wenn es wahr wäre, dass ‚eins sein‘ formell nur jene doppelte Verneinung bedeutete, so würde sich daraus dennoch nicht ergeben, dass es [das Individuum] keine positive Ursache besäße, durch welche ihm diese doppelte Verneinung zustünde. Denn auch die spezifische Einheit würde gleichermaßen eine doppelte Verneinung bedeuten und dennoch leugnet niemand, dass eine positive Entität im Begriff [ ratio] der spezifischen Entität enthalten ist, und dass von dieser positiven Entität der Begriff [ratio] der spezifischen Differenz genommen wird. Und dieses Argument ist gültig sowohl für die Lösung der Frage, als auch für meine eigene Meinung, denn sowie man bei jedweder Einheit, die geringer ist als die numerische, eine positive Entität setzen muss (die aus sich heraus Grund dieser Einheit und der Repugnanz gegenüber der ihr gegensätzlichen Vielheit ist), umso mehr – oder wenigstens mit gleichem Grund
65 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 57, ed. Vat. VII, 416f.: „Concedo igitur conclusiones
istarum rationum, quod necesse est per aliquid positivum intrinsecum huic lapidi, tamquam per rationem propriam, repugnare sibi dividi in partes subiectivas; et illud positivum erit illud quod dicetur esse per se causa individuationis, quia per individuationem intelligo illam indivisibilitatem sive repugnantiam ad divisibilitatem.“
66 Vgl. HEINRICH VON GENT, Quodl. V q. 8 in corp. (f. 166M) zitiert in IOHANNES
DUNS SCOTUS, Opera omnia, ed. Vat. VII, 412: „Quae quidem ‚negatio‘ non est simplex, sed duplex, – quia est removens ‚ab intra‘ omnem plurificabilitatem et diversitatem, et ‚ab extra‘ omnem identitatem.“
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– muss man eine [positive Entität] in der vollkommensten Einheit, der numerischen, setzen.67
Jeder „geringeren“ Einheit, wird hier gesagt, muss eine positive Entität
zugrunde liegen, die Grund dieser Einheit (und der korrelativen Repugnanz) ist.
Die positive Entität, die Scotus hier meint, ist die natura communis, die nun ihrer
eigenen „geringeren“ Einheit als per se ratio vorangeht. In anderen Worten
bestätigt Scotus das bereits Gesagte: Der Natur folgt die „geringere“ Einheit aus
keinem anderen Grund als aus ihr selber. Des Weiteren ist die Benennung der
Natur als „positive Entität“ von Interesse. Scotus nennt sie nicht ens sondern
entitas. Darauf wird zurückzukommen sein.
2.1.3 Ordinatio II, d. 3, p. 1, q. 3.
In der dritten Quästion unserer Abhandlung fragt Scotus, ob die aktuelle
Existenz Grund genug für die Individuation sein kann68. Hier zeigt sich einmal
mehr, in welcher Kontinuität Duns Scotus zu seinem großen Vorgänger und
ideellen Gegenspieler steht, Heinrich von Gent, dessen lexikale Umwandlung von
den Begriffen essentia und esse, wie sie bei Thomas von Aquin zu finden sind, zu
esse essentiae und esse exsistentiae er für sich übernimmt69. Unter esse
exsistentiae ist dabei nichts weiter zu verstehen, als die faktische Realität und
67 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 58, ed. Vat. VII, 417: „Licet assumptum [cf. n. 44 „Quia
‚unum‘ non dicit nisi privationem divisionis in se et privationem identitatis ad aliud“] sit falsum forte (de quo alias), tamen si verum esset quod ‚unum‘ significaret formaliter illam duplicem negationem; non sequitur quod non habeat aliquam causam positivam per quam insit ei illa duplex negatio, – nam et unitas specifica pari ratione significaret duplicem negationem, et tamen nullus negat entitatem positivam esse in ratione entitatis specificae, a qua entitate positiva sumitur ratio differentiae specificae. Et istud est argumentum bonum pro solutione quaestionis et pro opinione, quia cum in qualibet unitate minore unitate numerali sit dare entitatem positivam (quae sit per se ratio illius unitatis et repugnantiae ad multitudinem oppositam), maxime – vel aequaliter – erit hoc dare in unitate perfectissima, quae est ‚unitas numeralis’.“
68 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 3, ed. Vat. VII, 418: „Utrum substantia materialis per actualem exsistentiam sit individua vel ratio individuandi aliud.“
69 Vgl. z.B. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 3, n. 61, ed. Vat. VII, 418: „Contra istud: Primo, quia quod non est ex se distinctum nec determinatum, non potest esse primum distinguens vel determinans aliud; sed esse exsistentiae, eo modo quo distinguitur ab esse essentiae, non est ex se distinctum nec determinatum.“
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Setzung eines Inhaltes, der davon unabhängig bereits einen eigenen
Wirklichkeitsgehalt als esse essentiae besitzt. Was hier also erfragt wird, ist, ob
eine Natur als wesentlich bestimmter Inhalt allein durch ihre Setzung in der
Wirklichkeit individuiert wird, oder ob sie als reine Möglichkeit, von ihrer
Verwirklichung unabhängig, bereits gänzlich individuiert sein kann. Unter einem
anderen Blickwinkel gesehen, geht es darum zu wissen, ob die Individuation Teil
der coordinatio praedicamentalis70 ist und damit zur Ebene der
Wesensbestimmung gehört, oder ob sie zur Ebene der aktuellen Existenz gehört.
Die Kürze mit der Scotus die Frage behandelt, lässt darauf schließen, dass
sie für ihn keine größere Schwierigkeit darstellt. Das esse exsistentiae, als reine
Setzung der bestimmten Wesenheit betrachtet, kann nichts Determinierendes und
Unterscheidendes darstellen. Es wird vielmehr von dem determiniert und
unterschieden, mit dem es sich zusammensetzt71. Das, was sich mit ihm
zusammensetzt ist das esse essentiae, das seinerseits vielschichtig aufgebaut ist.
In einer bestimmten Zusammenordnung der Wesenheiten findet sich all das, was zu dieser bestimmten Zusammenordnung gehört, unter Ausschluss all dessen, was nicht dazu gehört. Denn, gemäß dem Philosophen in Kapitel I der zweiten Analytiken, ‚es gibt in jeder Zusammenordnung der Wesenheiten sowohl oben wie unten einen Schlusspunkt‘. So, wie man dort das Höchste in der Gattung findet, wenn man es genau genommen unter dem Gesichtspunkt des Wesens betrachtet, so findet man dort die mittleren Gattungen, die Arten und die Unterschiede, so wird man dort auch das Niedrigste finden, nämlich das Singuläre, von jeder aktuellen Existenz abgesehen, – was offen zutage liegt, weil ‚dieser Mensch‘ die aktuelle Existenz formal nicht eher einschließt als ‚der Mensch‘ [im Allgemeinen].72
70 Honnefelder übersetzt mit „Zusammenordnung der Wesenheiten“. Vgl. L.
HONNEFELDER, Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit, Paradeigmata 9, Meiner, Hamburg 1990, 150.
71 Vgl. Zitat in Anm. 69 worauf folgt: „... (non enim esse exsistentiae habet proprias differentias alias a differentiis esse essentiae, quia tunc oporteret ponere propriam coordinationem exsistentiarum aliam a coordinatione essentiarum), sed praecise determinatur ex determinatione alterius; ergo non determinat aliquid aliud.“
72 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 3, n. 63, ed. Vat. VII, 419f.: „In coordinatione praedicamentali sunt omnia quae per se pertinent ad illam coordinationem, circumscripto quocumque quod nihil est illius coordinationis, quia secundum Philosophum I Posteriorum ‚status est in quolibet praedicamento, in sursum et in deorsum‘. Igitur sicut invenitur supremum in genere praecise considerando illud sub ratione essentiae, ita inveniuntur genera intermedia, et species et differentiae; invenitur etiam ibi infimum, scilicet singulare,
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Die Zusammenordnung der Wesenheiten enthält also alles, was zur
wesentlichen Bestimmung eines Individuums gehört, von den obersten Gattungen
bis hinunter zu seiner Singularität. Aus den vorangegangenen Erörterungen ist
bereits klar geworden, dass die Singularität nicht Teil der Natur ist, so dass sie in
ihre Definition eingehen würde. Hier wird sichtbar, dass sie als letzte Stufe
(ultima distinctio) die wesenheitliche Bestimmung abschließt, und mit ihrem
Hinzutreten ein konkretes Individuum konstituiert ist, dem die aktuelle Existenz
als etwas Extrinsisches zukommen kann oder auch nicht (extra totam per se
coordinationem praedicamentalem). Es bedarf nicht der aktuellen Existenz, um
von einem konkreten, vollständig bestimmten Individuum sprechen zu können.
Das Prinzip der Individuation, das die Singularität verursacht, gehört also zum
esse quiditativum des Individuums, jedoch auf andere Art und Weise als die
Natur73. Wie sich die Stellung der beiden Komponenten von einander
unterscheidet, ergründet Scotus an dieser Stelle nicht weiter.
2.1.4 Ordinatio II, d. 3, p. 1, q. 4.
Die vierte Quästion befasst sich mit der Frage, ob die materielle Substanz
durch die Quantität individuiert wird74. Hier häufen sich die auctoritates, gegen
die sich der Doctor subtilis durchsetzen muss. Er zitiert Boethius, Damaszenus
und sogar Avicenna als Befürworter der zu seiner Zeit weitgehend akzeptierten
omnino circumscripta exsistentia actuali, – quod patet evidenter, quia ‚hic homo‘ non plus includit formaliter exsistentiam actualem quam ‚homo‘.“
73 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 3, n. 65, ed. Vat. VII, 420f.: „Per hoc ad argumentum pro opinione dico quod actus distinguit eo modo quo est actus, – sed actus accidentalis distinguit accidentaliter, sicut actus essentialis distinguit essentialiter. Ita dico quod ultima distinctio in coordinatione praedicamentali est distinctio individualis, et illa est per ultimum actum, per se pertinentem ad coordinationem praedicamentalem, – sed ad hanc non per se pertinet exsistentia actualis; exsistentia autem actualis est ultimus actus, sed posterior tota coordinatione praedicamentali, – et ideo concedo quod distinguit ultimate, sed distinctione quae est extra totam per se coordinationem praedicamentalem. Quae ‚distinctio‘ quasi quodammodo accidentalis est: licet non sit vere accidentalis, sequitur tamen totam coordinationem secundum esse quiditativum; eo ergo modo quo est actus, distinguit, – et in quo est ultimus actus, ultimate distinguit.“
74 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, ed. Vat. VII, 421: „Utrum substantia materialis per quantitatem sit individua vel singularis.“
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Lehre von der Individuation durch die Quantität. Als wesentliches Argument führt
Scotus ins Feld, dass ein Akzidens unmöglich für die Individuation einer Substanz
verantwortlich sein kann.
Ich gebe damit den Schlussfolgerungen dieser Argumente recht, dass es nämlich unmöglich ist, dass eine Substanz durch ein Akzidens individuell wird, das heißt, dass sie durch etwas zu ihr Hinzutretendes in subjektive Teile geteilt wird und es ihr dadurch widerstreitet, nicht-dieses zu sein.75
Die Quantität, als Akzidens, kann also nicht Prinzip der Individuation sein.
Für unsere Zwecke interessant ist das zugrunde liegende Prinzip: Das, was zur
Natur hinzutritt, um sie zum Individuum zu kontrahieren, kann kein Akzidens
sein. Wie auch immer es geartet ist, es fügt sich der Natur nicht auf die Art und
Weise hinzu, wie ein Akzidens sich der Substanz hinzufügt. Ein späterer
Abschnitt erklärt, wie es zur sprachlichen Verwirrung kommen kann.
Zum dritten Argument, dem des Avicenna, sage ich, dass er hauptsächlich die Washeit betrachtet, insofern sie nichts von dem einschließt, was nicht per se zu ihrem Begriff gehört, und auf diese Weise ‚ist die Pferdlichkeit nur Pferdlichkeit und weder einzählig noch vielzählig‘. So sehr auch ihre Einheit keine hinzugefügte Sache ist, sondern notwendig jener Entität folgt (sowie auch jedem Seienden, gemäß welcher Entität auch immer, seine Einheit folgt), so ist diese Einheit dennoch nicht im formalen Begriff der Washeit (als Washeit) beinhaltet, sondern ist so wie ein Merkmal, das der Washeit folgt, – und alles so Geartete nennt er [Avicenna] ‚Akzidens‘. Und so nennt auch der Philosoph manchmal all jenes Akzidens, welches außerhalb des formalen Begriffes einer Sache liegt (alles Derartige ist nämlich der Sache fremd, im Vergleich zu Anderem); und so geschieht der Trugschluss vom Akzidens und auf diese Weise kommt die Gattung zum Unterschied hinzu [accidit], – und, was auch immer individuiert, kommt zur spezifischen Natur hinzu [accidit], aber nicht so wie sie [Aristoteles und Avicenna] es beim Akzidens meinen. Deshalb handelt es sich hier um eine Täuschung durch das Akzidens.76
75 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 111, ed. Vat. VII, 446: „Concedo igitur conclusiones
omnium istarum rationum, quod scilicet impossibile est per aliquod accidens substantiam esse individuam, hoc est, quod per aliquod accidens sibi dividatur in partes subiectivas et per illud repugnet sibi esse non-haec.“
76 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 128, ed. Vat. VII, 456f.: „Ad tertium, de Avicenna, dico quod principalissime considerat quiditatem in quantum nihil includit quod non pertinet ad per se rationem eius, et hoc modo equinitas est ‚tantum equinitas et nec una nec plures‘. Quantumcumque unitas eius non sit alia res addita, sed necessario consequatur illam entitatem (sicut et omne ens, secundum quamcumque entitatem, consequitur sua unitas), non tamen illa unitas est intra formalem rationem quiditatis (ut quiditas est), sed est quasi passio, consequens quiditatem, – et omne tale apud eum vocatur ‚accidens‘. Et hoc modo etiam Philosophus quandoque accipit accidens (a quo dicitur ‚fallacia accidentis’) pro
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Die Verwechselung entsteht dadurch, dass in der Sprache von Aristoteles
und Avicenna alles, was nicht zum formalen Begriff einer Entität (z.B. der Natur)
gehört, zu dieser hinzutritt (accidit). Daraus könnte geschlossen werden, dass es
sich bei diesen hinzutretenden Realitäten um Akzidenzien handelt. Das allerdings
ist ein Trugschluss.
Die zitierte Stelle gibt uns des Weiteren Aufschluss über die Einheit der
Natur. Sie wird hier wie folgt beschrieben: sie ist keine Sache, die zur Natur
hinzugefügt wird, folgt ihr aber notwendig; sie gehört nicht zum formalen Begriff
der Washeit, sondern ist so wie ein Merkmal, das ihr folgt, wie auf jedes Seiende
seine Einheit folgt. Die Natur selber wird wieder entitas genannt, der also ein
gewisser Seinsgrad zu eigen ist. Im gleichen Satz reiht sie Scotus sogar deutlich
unter die entia ein. Damit ist der Wirklichkeitsgehalt der Natur als von einem
reinen Verstandesfigment verschieden erneut unterstrichen.
An anderer Stelle innerhalb derselben Quästion sagt Scotus:
Die natura communis ist aus sich heraus in Individuen teilbar; das, was sie teilt, unterscheidet sich jedoch nicht aufgrund der Natur, sondern aus seinen eigenen unterscheidenden [Elementen]: So erscheint es auch in der Gattung. Denn die Gattung ist aus sich selber heraus teilbar in mehrere Gattungen und Arten, dennoch ist die Gattung selber nicht der Grund der Unterscheidung der Arten, sondern die Unterschiede [differentiae], die die Arten bilden.77
Daraus wird sichtbar, was bisher nicht in dieser Deutlichkeit gesagt worden
war: Die natura communis ist in Individuen teilbar. Bisher war von ihrer
communitas die Rede gewesen, als von ihrer Nicht-Repugnanz, unter einer
anderen Singularität zu stehen. Nun fügt sich dem die Feststellung hinzu, dass die
Natur als solche, nicht nur als Universale im Verstand, in mehreren Individuen
realisiert werden kann. Der Vergleich mit der Gattung macht es nur noch
omni eo quod est extra rationem formalem alterius (omne enim tale extraneum est illi alteri, ex comparatione ad aliud); et hoc modo fit fallacia accidentis, et hoc modo genus accidit differentiae, – et quidquid sit individuans, accidit naturae specificae, sed non sicut ipsi intelligunt de accidente. Et ideo est ibi aequivocatio de accidente.“
77 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 113, ed. Vat. VII, 447: „‚Natura communis‘ divisibilis est ex se in individua, non autem dividentia distinguuntur ex ratione naturae sed ex propriis distinguentibus: ita enim apparet in genere, quia genus est divisibile secundum se in plura genera et in plures species, et tamen genus non est ratio distinctionis specierum, sed differentiae constituentes species.“
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deutlicher: Die Natur ist in Individuen teilbar, wie die Gattung in weitere
Gattungen und Arten. So wie zu der Gattung die Differenz hinzutritt, um eine Art
zu bilden, so tritt zu der Natur das individuierende Prinzip hinzu, um das
Individuum zu bilden.
2.1.5 Ordinatio II, d. 3, p. 1, q. 5.
In der fünften Quästion fragt Scotus nun, ob man die Materie als
Individuationsprinzip gelten lassen dürfe78. Die verhältnismäßig kurze
Abhandlung enthält keine bedeutsamen Hinweise zu unserem Thema. Das
Hauptargument, das Scotus die Materie ausschließen lässt, besagt, dass die
Materie nicht Prinzip der Individuation sein kann, weil sie Teil des Wesens ist,
das eben der Individuation bedarf79. Die Natur ist also zusammengesetzt aus
Materie und Form, die, sowohl beide für sich als auch im Kompositum, in sich
nicht individuiert sind, bzw. der Singularität oder numerischen Einheit entbehren.
Was bislang von der Natur gesagt wurde, darf also auch auf die Materie als
Bestandteil der Natur angewendet werden.
2.1.6 Ordinatio II, d. 3, p. 1, q. 6.
Die sechste Quästion ist der Ort, an dem Scotus seine eigene Lösung des
Problems vorschlägt, dass nämlich die materielle Substanz durch eine Entität
78 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 5, ed. Vat. VII, 458: „Utrum substantia materialis sit haec et
individua per materiam.“ 79 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 5, n. 139, ed. Vat. VII, 462f.: „Praeterea, sicut probatur ex
multis locis VII, cap. ‚De partibus definitionis‘: materia est de essentia substantiae compositae, puta hominis, – et non est tale compositum praecise essentia formae. Igitur sicut illud compositum non potest de se esse hoc (ex prima quaestione), ita nec materia – quae est pars eius – erit de se haec, quia non potest esse ‚compositum commune et eiusdem rationis‘ in diversis, quin quodlibet quod est de essentia eius posset esse eiusdem rationis cum eis.“
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individuiert wird, die per se die Natur zur Singularität determiniert80. Diesem
Abschnitt können zahlreiche Hinweise entnommen werden über die Art und
Weise, wie sich die Natur mit dieser hinzutretenden Entität verbindet. Ein erster
tritt in diesem Abschnitt zutage:
Jedes Untere schließt per se etwas in sich ein, das nicht im Begriff des Oberen enthalten ist (sonst wäre der Begriff des Unteren von gleicher Allgemeinheit wie der Begriff des Oberen und damit wäre das per se Untere kein per se Unteres, weil es nicht unter etwas Allgemeinerem und Höherem stünde). Also ist etwas per se im Begriff des Individuums beinhaltet, das nicht im Begriff der Natur beinhaltet ist. Dieses ‚Beinhaltete‘ ist eine positive Entität, wie aus der Lösung der zweiten Quästion hervorgeht, und bildet eine ‚Einheit per se‘ mit der Natur, wie aus der Lösung der vierten Quästion hervorgeht, und ist daher das, was per se jene Natur zur Singularität determiniert, also zum Begriff jenes Unteren.81
Das Individuum wird hier als das Besondere dargestellt, das unter der Natur
als dem Allgemeinen steht. Damit schließt die ratio des Individuums (ratio haben
wir mit „Begriff“ übersetzt) jene positive Entität in sich ein, die die Natur zur
Singularität determiniert, sprich das Individuationsprinzip. Diese Entität ist auf
eine Art und Weise im Individuum enthalten, die aus dem Verbund zwischen ihr
und der Natur ein unum per se macht.
Etwas weiter unten ist eine Formulation festzuhalten, die in sich nichts
Neues offenbart, aber von dankenswerter Klarheit ist:
Denn das, was aus sich heraus ‚dieses‘ ist, auf die Art und Weise, wie weiter oben erklärt wurde, dass ‚etwas aus sich heraus dieses ist‘ (das heißt, dem es aus sich heraus widerstreitet, in mehrere subjektive Teile geteilt zu werden, dem es auch aus sich heraus widerstreitet, nicht-dieses zu sein)...82
80 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, ed. Vat. VII, 463: „Utrum substantia materialis sit individua
per aliquam entitatem per se determinantem naturam ad singularitatem.“ 81 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 147, ed. Vat. VII, 465: „Omne inferius includit per se,
aliquid, quod non includitur in intellectu superioris, – alioquin conceptus inferioris esset aeque communis sicut conceptus superioris, et tunc ‚per se inferius’ non esset per se inferius, quia non subessest communi et superiori; ergo aliquid per se includitur in ratione individui, quod non includitur in ratione naturae. Illud autem ‘inclusum’ est entitas positiva, ex solutione secundae questionis, – et facit ‘unum per se’ cum natura, ex solutione quartae quaestionis; igitur est per se determinans illam naturam ad singularitatem, sive ad rationem illius inferioris.“
82 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 165, ed. Vat. VII, 473: „Quia illud quod est de se hoc, illo modo quo expositum est prius ‚aliquid esse de se hoc‘ (hoc est, cui repugnat per se dividi in plures partes subiectivas, cui etiam repugnat esse de se non-hoc)…“
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Das Individuum (hoc) wird hier darüber definiert, dass es ihm widerstreitet,
in mehrere subjektive Teile geteilt zu werden, ebenso wie nicht determiniert (non-
hoc) zu sein. An anderer Stelle83 erklärt Scotus, auf welche Art und Weise die
Natur, die ja in sich eben nicht individuiert (haec) ist, im Individuum auch dieses
Merkmal besitzt.
Wenige Absätze weiter verwendet Scotus einen Begriff, der sich auf die
Natur bezieht, jedoch nur auf die Natur insofern sie sich in nächster Nähe zum
Individuum befindet:
Die Natur der species specialissima ist nicht aus sich diese [singulär], wie auch nichts Teilbares aus seiner Natur heraus in sich dieses ist; dennoch ist sie auch nicht aus sich heraus nicht-diese, so dass es ihr aus sich heraus widerstreiten würde, in mehrere Teile geteilt zu werden, denn dann könnte sie unmöglich etwas empfangen, durch das ihr diese Teilung formal zustehen würde.84
Während der Begriff der Natur nur eine inhaltliche Bestimmung bedeutet,
die sowohl bei den obersten wie bei den mittleren Gattungen zu finden ist,
bedeutet species specialissima „die Artnatur des Einzelseienden [...], die in der
Ebene der spezifischen Determination vollbestimmt ist und daher keine weitere
artbestimmende Determination zulässt, die jedoch noch nicht die Bestimmtheit
der Individualität enthält“85. Die species specialissima ist also die Natur in ihrer
äußersten washeitlichen Bestimmtheit, bevor sie durch das Hinzutreten einer
weiteren Entität zum Individuum kontrahiert wird. In sich ist diese Natur weder
singulär (haec) noch kontradiktorisch dazu nicht-singulär (non-haec), sondern
schlichtweg früher als diese Bestimmungen.
Folgende Argumentation enthält weitere interessante Hinweise über die
Beziehung zwischen der Natur und ihrer Einheit, sowie der individuierenden
Entität und der ihr folgenden numerischen Einheit:
83 Vgl. Zitat in Anm. 87. 84 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 167, ed. Vat. VII, 474: „Et ita natura speciei
specialissimae non est de se haec, sicut nec aliquod divisibile ex natura sua est de se hoc; non tamen est de se non-haec, ita quod repugnet sibi de se dividi in plures partes, quia tunc non posset recipere aliquid per quod formaliter competeret sibi talis divisio.“
85 L. HONNEFELDER, Ens inquantum ens: Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus, Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters Neue Folge 16, Aschendorff, Münster 1979, 148.
49
So, wie die Einheit im Allgemeinen per se der Entität im Allgemeinen folgt, so folgt jede [Art von] Einheit per se einer gewissen Entität; also folgt die schlechthinnige Einheit (worunter die häufig früher beschriebene ‚Einheit des Individuums‘ zu verstehen ist, also die, welcher es widerstreitet, in mehrere subjektive Teile geteilt zu werden und nicht ‚dieses‘ und bestimmt zu sein), wenn es sie denn in den Seienden gibt (wovon jede Meinung ausgeht), per se einer gewissen Entität per se. Sie folgt aber nicht der per se Entität der Natur, die nämlich, wie in der ersten Quästion bewiesen, eine per se eigene und reale Einheit besitzt. Also folgt sie einer anderen Entität, die die Natur bestimmt und die mit der Entität der Natur zusammen ein unum per se bildet, weil das Ganze, das diese Einheit besitzt, aus sich heraus etwas Vollkommenes ist. 86
Man könnte folgendergestalt formalisieren: Jede Einheit folgt einer Entität.
Also folgt auch die numerische Einheit einer Entität. Sie kann aber nicht der
Entität der Natur folgen, da dieser bereits eine geringere Einheit folgt. Also muss
sie einer anderen Entität folgen. Die Entität, der die numerische Einheit folgt,
bildet mit der Natur zusammen ein unum per se, da das Individuum in sich
vollkommen ist. Zwei Aspekte sind festzuhalten: der Parallelismus zwischen den
beiden Entitäten und den ihnen folgenden Einheitsgraden und die Tatsache, dass
Natur und individuierende Entität ein unum per se bilden.
Lexikalische Klarheit in der Frage, wie und von wem die numerische
Einheit ausgesagt werden kann, schafft Scotus in diesem Absatz:
So räume ich ein, dass, was auch immer sich in diesem Stein befindet, numerisch eins ist, – sei es primo, sei es per se, sei es denominative: primo eins ist das, durch welches diese [numerische] Einheit dem Kompositum eignet; per se eins ist dieser Stein, von dem das, was primo mit dieser Einheit eins ist, ein Teil ist; denominative eins ist jenes potentiale Etwas, das durch dieses aktuelle Etwas vervollkommnet wird, das so wie denominative Bezug auf die Aktualität des Letzteren hat.87
86 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 169, ed. Vat. VII, 474: „Ad quod appono talem rationem:
sicut unitas in communi per se consequitur entitatem in communi, ita quaecumque unitas per se consequitur aliquam entitatem; ergo unitas simpliciter (qualis est ‚unitas individui‘ frequenter prius descripta, scilicet cui repugnat divisio in plures partes subiectivas et cui repugnat ‚non esse hoc, signatum‘), si est in entibus (sicut omnis opinio supponit), consequitur per se aliquam per se entitatem; non autem consequitur per se entitatem naturae, quia illius est aliqua unitas propria et per se, realis, sicut probatum est in solutione primae quaestionis; igitur consequitur aliquam entitatem aliam, determinantem istam, et illa faciet unum per se cum entitate naturae, quia ‚totum‘ cuius est haec unitas, perfectum est de se.“
87 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 175, ed. Vat. VII, 477f.: „Ita concedo quod quidquid est in hoc lapide, est unum numero, – vel primo, vel per se, vel denominative: ‚primo‘ forte, ut illud per quod unitas talis convenit huic composito; ‚per se‘ hic lapis, cuius illud quod est
50
Auf drei Ebenen können das Individuum und seine Bestandteile eins mit
numerischer Einheit genannt werden. Primo numerisch eins ist die Entität, die
dem Individuum die zahlenmäßige Einheit verleiht (i.e. die Natur individuiert).
Per se numerisch eins ist das Individuum selber, das diese Entität enthält.
Denominative kann sogar die Natur numerisch eins genannt werden, insofern sie
mit der individuierenden Entität zusammentritt, um das Individuum zu
konstituieren. Die Bezeichnung der numerischen Einheit, die an sich nur der
individuierenden Entität zukommt, kann also auch auf die Natur angewendet
werden, insofern sie mit der besagten Entität verbunden ist. Ein weiterer
interessanter Aspekt ist, dass nach Scotus die Natur als etwas Potentiales von der
Aktualität der individuierenden Entität vervollkommnet wird88.
Anschließend vergleicht Scotus die Entität, der die numerische Einheit folgt,
mit der Entität, von der der artbildende Unterschied genommen wird. So wie der
artbildende Unterschied in Beziehung nach unten, nach oben und zu Elementen
neben sich gesehen werden kann, so auch die Entität, von der die vollkommene
Einheit des Individuums kommt89. „Nach unten“ bewirkt der artbildende
Unterschied das Ende der weiteren Teilbarkeit. Die species specialissima ist nicht
weiter wesentlich (essentialiter) in neue Arten teilbar. Ebenso widerstreitet es der
individuellen Entität (die an dieser Stelle zum ersten Mal einen eigenen Namen
statt einer Beschreibung erhält: entitas individualis), in subjektive Teile geteilt zu
werden. Und ebenso wie es der individuellen Entität widerstreitet, so widerstreitet
es auch dem Ganzen, dessen Teil sie ist, also dem Individuum. Beide Entitäten
primo unum hac unitate, est per se pars; ‚denominative‘ tantum, illud potentiale quod perficitur isto actuali, quod quasi denominative respicit actualitatem eius.“
88 Dazu, dass es sich beim Individuum um etwas Vollkommeneres handelt, vgl. L.
HONNEFELDER, Johannes Duns Scotus, Beck, München 2005, 105: „Denn erst im Individuum erreicht die «Intention der Natur» ihr eigentliches Ziel (vgl. Rep. I, d. 36, q. 4, n. 25, ed. Vivès XXII, 457): das unwiederholbare Individuum als das verissime ens (vgl. Met. VII, q. 13, n. 17, OPh. IV, 257ff.). Die washeitliche Determination des endlichen Seienden ist nicht ein Prozeß der zunehmenden Verarmung, weil – wie bei Thomas von Aquin – ein zuvor Unbegrenztes begrenzt wird, sondern ein Prozeß wachsender Vervollkommnung, weil er das zuvor Unbestimmte bestimmt.“
89 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 176, ed. Vat. VII, 478: „Ulterius declarando solutionem istam, – quae sit ista entitas a qua sit unitas illa perfecta, per simile ad entitatem a qua sumitur differentia specifica, potest declarari. Differentia quippe specifica, sive entitas a qua sumitur differentia specifica, potest comparari ad illud quod est infra se, vel ad illud quod est supra se, vel ad illud quod est iuxta se.“
51
schließen also eine weitere Teilbarkeit aus, in einem Fall in weitere Arten, im
anderen in weitere Individuen90.
Auch der Vergleich „nach oben“ ist von Interesse. „Oberhalb“ des
artbildenden Unterschiedes befindet sich die Gattung. Der Gattung gegenüber
verhält sich die Differenz als etwas Aktuelles, das formell nicht im Begriff der
Gattung enthalten ist. Scotus erinnert an dieser Stelle daran, dass die Differenz in
manchen Fällen gänzlich außerhalb des Begriffes der Gattung liegt (in dem Fall
liegt ein conceptus simpliciter simplex vor), in anderen Fällen lediglich eine
andere Formalität der gleichen Sache darstellt91. Die individuelle Entität (hier
realitas individui genannt) ähnelt dem artbildenden Unterschied insofern, als dass
sie wie ein Akt die Realität der Art als etwas Potentielles determiniert. Ein
Unterschied besteht darin, dass sie niemals eine hinzugefügte Form ist sondern die
„letzte Realität der Form“ (sumitur ab ultima realitate formae)92.
Dieser grundlegende Unterschied zwischen artbildendem Unterschied und
individueller Entität wird von Scotus mit noch größerem Nachdruck unterstrichen.
90 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 177, ed. Vat. VII, 478: „Primo modo [ad illud quod est infra se], differentiae specificae et illi entitati specificae repugnat per se dividi in plura essentialiter, specie vel natura, et per hoc repugnat toti cuius illa entitas est per se pars; ita in proposito, huic entitati individuali primo repugnat dividi in quascumque partes subiectivas, et per ipsam repugnat talis divisio per se toti cuius illa entitas est pars. Et tantummodo est differentia in hoc quod illa unitas naturae specificae minor est ista unitate, et propter hoc illa non excludit omnem divisionem quae est secundum partes quantitativas, sed tantum illam divisionem quae est partium essentialium; ista autem excludit omnem.“
91 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 179, ed. Vat. VII, 479: „Comparando autem naturam specificam ad illud quod est supra se, dico quod illa realitas a qua sumitur differentia specifica, est actualis respectu illius realitatis a qua sumitur genus vel ratio generis, – ita quod haec realitas non est formaliter illa; alioquin in definitione esset nugatio, et solum genus sufficienter definiret (vel illa differentia), quia indicaret totam entitatem definiti. Quandoque tamen istud ‚contrahens‘ est aliud a forma a qua sumitur ratio generis (quando species addit realitatem aliquam supra naturam generis), – quandoque autem non est res alia, sed tantum alia formalitas vel alius conceptus formalis eiusdem rei; et secundum hoc aliqua differentia specifica habet conceptum ‚non simpliciter simplicem‘, puta quae sumitur a forma, – aliqua habet conceptum ‚simpliciter simplicem‘, quae sumitur ab ultima abstractione formae (de qua distinctione differentiarum specificarum dictum est distinctione 3 primi libri, qualiter aliquae differentiae specificae includunt ens et aliquae non).“
92 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 180, ed. Vat. VII, 479: „Quoad hoc ista realitas individui est similis realitati specificae, quia est quasi actus, determinans illam realitatem speciei quasi possibilem et potentialem, – sed quoad hoc dissimilis, quia ista numquam sumitur a forma addita, sed praecise ab ultima realitate formae.“
52
Der artbildende Unterschied macht die Washeit des Kompositums vollständig,
gehört also selber zur washeitlichen Ordnung. Die individuelle Entität hingegen
fügt der Natur nichts in der washeitlichen Ordnung hinzu. Wenn die Differenz die
Natur im esse quiditativum konstituiert, so stellt das Hinzutreten der individuellen
Entität das neue Ganze in ein esse alterius rationis93. Die Differenz macht durch
ihr Hinzutreten zur Gattung die Washeit vollständig und macht sie damit
prädizierbar – sie konstituiert sie im formalen Sein. Das Hinzutreten der
individuellen Entität hingegen, ergibt ein vollständiges Individuum, dem es
eignet, nicht prädizierbar zu sein, sondern Subjekt sein zu können94. Ein Beispiel
kann dies verdeutlichen:
Genus + differentia specifica � species (praedicabilis)
Animal + rationale � homo
______________________________________
Natura + entitas individualis � individuum (subicibile)
Homo + socrateitas � Socrates
Die Natur ‚homo‘ als species specialissima kann von vielen Individuen als
Form ausgesagt werden. Das einzelne Individuum hingegen ist immer Subjekt der
Prädikation (Socrates est homo), in der das Subjekt zum Prädikat steht wie die
Materie zur Form.
93 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 181, ed. Vat. VII, 480: „Quoad aliud etiam est dissimile,
quia illa realitas specifica constituit compositum (cuius est pars) in esse quiditativo, quia ipsa est entitas quaedam quiditativa, – ista autem realitas individui est primo diversa ab omni entitate quiditativa. Quod probatur ex hoc quod intelligendo quamcumque entitatem quiditativam (loquendo de entitate quiditativa limitata), communis est multis, nec repugnat dici de multis quorum quodlibet est ‚ipsum‘; igitur ista entitas, quae de se est alia entitas a quididate vel entitate quiditativa, non potest constituere totum (cuius est pars) in esse quiditativo, sed in esse alterius rationis.“
94 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 182, ed. Vat. VII, 481: „Ideo omnis realitas specifica constituit in esse formali (quia in esse quiditativo), realitas individui constituit praecise in esse materiali (hoc est in esse contracto). Et ex hoc sequitur illa logica quod ‚illa essentialiter est formalis, ista materialis‘, quia ista constituit in ratione subicibilis et illa in ratione praedicabilis praecise; praedicatum autem formale habet rationem formae, subicibile autem habet rationem materiae.“
53
Schließlich vergleicht Scotus die spezifische Differenz mit dem, was sich
iuxta se, auf gleicher Ebene, befindet, sprich mit anderen spezifischen
Differenzen. So wie die letzten artbildenden Unterschiede sich radikal von
einander unterscheiden (primo diversa), so unterscheiden sich auch die
individuellen Entitäten radikal von einander. Zwei Dinge, die voneinander primo
diversa sind, haben keine gemeinsame Art oder Gattung, in der sie
übereinkommen. Nicht einmal das ens als letztes und rein undeterminiertes
Prädikat kann von beiden ausgesagt werden. Die individuellen Entitäten sind also,
gleich wie die ultimae differentiae specificae, allesamt radikal von einander
verschieden. Anlässlich dieses Vergleiches gewinnt der Wortschatz des Scotus an
Präzision: die entitas individualis bewirkt durch ihr Hinzutreten zur Natur eine
differentia individualis95.
Innerhalb der gleichen Quästion stellt Scotus noch klar, dass die individuelle
Entität (ista entitas) weder Form, noch Stoff, noch Kompositum ist. Form, Stoff
oder Kompositum stellen vielmehr jeweils die Natur dar, zu der die individuelle
Entität als ultima realitas entis hinzutritt. So wird deutlich, dass sie zum Seienden
dazugehört als das, was es abschließt und vollständig macht. Natur und
individuelle Differenz unterscheiden sich voneinander, jedoch nicht, wie sich
zwei Dinge voneinander unterscheiden, sondern wie sich innerhalb eines Dinges
zwei Formalitäten unterscheiden. Natur und individuelle Entität unterscheiden
sich formell voneinander, als Realitäten eines einzigen Dinges, das jeweils ein
Ganzes oder nur einen Teil darstellen kann96. Hier nennt Scotus das
Individuationsprinzip entitas singularitatis.
95 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 183, ed. Vat. VII, 481: „Comparando vero tertio
differentiam specificam ad illud quod iuxta se est, scilicet ad aliam differentiam specificam, – licet quandoque posset esse non primo diversa ab alia sicut est illa entitas quae sumitur a forma, tamen ultima differentia specifica est primo diversa ab alia, illa scilicet quae habet conceptum ‚simpliciter simplicem‘. Et quoad hoc dico quod differentia individualis assimilatur differentiae specificae universaliter sumptae, quia omnis entitas individualis est primo diversa a quocumque alio.“
96 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 188, ed. Vat. VII, 483f.: „Non est igitur ‚ista entitas‘ materia vel forma vel compositum, in quantum quodlibet istorum est ‚natura‘, – sed est ultima realitas entis quod est materia vel quod est forma vel quod est compositum; ita quod quodcumque commune, et tamen determinabile, adhuc potest distingui (quantumcumque sit una res) in plures realitates formaliter distinctas, quarum haec
54
Ferner fragt Scotus, ob es sich bei der Verbindung von Natur und
individueller Differenz um eine Komposition handle. Er unterscheidet zu diesem
Zweck zunächst zwischen einer Komposition im engeren und einer Komposition
im weiteren Sinn. Im engeren Sinn kann von Komposition nur da die Rede sein,
wo sich ein aktuelles Ding mit einem potentiellen verbindet. Das ist im
Vorliegenden nicht der Fall, da es sich bei Natur und individueller Differenz nicht
um Dinge handelt. Im weiteren Sinn muss jedoch von einer Komposition die Rede
sein, da sich die Natur gegenüber der individuellen Differenz in der Potenz
befindet. Die Natur enthält die Individualität nicht in sich, sondern ein Drittes
beinhaltet beide gemeinsam per identitatem97.
Schließlich erklärt Scotus noch, dass weder die Natur per identitatem die
individuelle Entität einschließt noch umgekehrt. Beide sind per se partes eines
Dritten, das sie per identitatem einschließt. Die Natur, die nicht aus sich heraus
‚diese‘ ist, sondern dazu determiniert werden kann, individuell zu sein, ist folglich
nicht schlechthin einfach, sondern erfährt eine gewisse Zusammensetzung, nicht
mit einer anderen res sondern mit einer anderen realitas, der individuellen
Entität98.
formaliter non est illa: et haec est formaliter entitas singularitatis, et illa est entitas naturae formaliter. Nec possunt istae duae realitates esse res et res, sicut possunt esse realitas unde accipitur genus et realitas unde accipitur differentia (ex quibus realitas specifica accipitur), – sed semper in eodem (sive in parte sive in toto) sunt realitates eiusdem rei, formaliter distinctae.“
97 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 189, ed. Vat. VII, 484f.: „Et ex hoc apparet ad primum argumentum principale. Cum enim concluditur quod ‚omne individuum in quo natura est contrahibilis, est compositius ipsā naturā‘, dico quod compositio potest intelligi proprie, prout est ex re actuali et re potentiali, – vel minus proprie, prout est ex realitate et realitate actuali et potentiali in eadem re. Primo modo non est individuum compositum respectu naturae specificae, quia nullam realitatem addit, – quia neque materiam neque formam neque compositum, sicut procedit argumentum. Secundo modo est necessario compositum, quia illa realitas a qua accipitur differentia specifica, potentialis est respectu illius realitatis a qua accipitur differentia individualis, sicut si essent res et res; non enim realitas specifica ex se habet unde includat per identitatem realitatem individualem, sed tantum aliquod tertium includit ista ambo per identitatem.“
98 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 190, ed. Vat. VII, 485: „Sed in proposito neque entitas specifica includit per identitatem entitatem individualem, nec e converso, sed tantum alquod tertium – cuius ambo ista sunt quasi per se partes – includit ambo ista per identitatem, et ideo tollitur illa compositio perfectissima quae est ex re et re; non tamen omnis: universaliter enim, quaecumque natura non est de se haec, sed determinabilis ad
55
2.2 Zusammenfassung
Wer das Denken des schottischen Lehrers festhalten und systematisch
wiedergeben will, begegnet der nicht unerheblichen Schwierigkeit eines häufig
fluktuierenden Wortschatzes. Die lexikalen Diskrepanzen zwischen den
Abhandlungen einer und derselben Frage in verschiedenen Werken sind
bemerkenswert, können aber in dieser Arbeit nicht untersucht werden. Die
sprachlichen Unterschiede, die auch innerhalb eines Werkes auftreten, werden wir
bedenken müssen. Wenn sie das Verstehen auch manchmal behindern können, so
bringen sie jedoch viel häufiger einen großen Reichtum zum Vorschein. Scotus ist
kein Freund von feststehenden Formeln, vielmehr versucht er auf verschiedenen
Wegen die gegebene Komplexität der Wirklichkeit wiederzugeben99.
2.2.1 Auflistung der Aussagen geordnet nach Themen
In diesem Abschnitt werden synthetisch und systematisch die wichtigsten
Aussagen zusammengetragen. Um dabei noch nicht in einen Kommentar
überzugehen, bleiben die Ausdrücke unübersetzt. Es folgt als Erstes eine
tabellarische Aufführung der verschiedenen Schlüsselbegriffe, die Scotus in dem
hier bearbeiteten Abschnitt verwendet, mit den jeweils dazugehörigen Aussagen.
Letztere sind teilweise grammatikalisch angeglichen bzw. ergänzt. Es handelt sich
also nicht um wörtliche Zitate, sondern um eine inhaltliche Wiedergabe in
größtmöglicher Übereinstimmung mit dem scotischen Wortlaut. Die Exzerpte
werden thematisch geordnet übertragen. Die verkürzte Quellenangabe bezieht sich
immer auf die jeweiligen Quästionen innerhalb Ordinatio II, d. 3. essendum haec (sive ut determinetur per aliam rem, quod est impossibile in quocumque, – sive ut determinetur per aliam realitatem), non est simpliciter simplex.“
99 So jedenfalls unsere Überzeugung, entgegen der von Schmidt geäußerten Meinung, Scotus halte es für ein aussichtsloses Unterfangen, die Komplexität der Wirklichkeit in Begriffen widerzuspiegeln. Vgl. A. SCHMIDT, „Duns Scotus und Niels Bohr über Individualität und Unbestimmtheit“, in L. HONNEFELDER – H. MÖHLE – A. SPEER – TH. KOBUSCH – S. BULLIDO DEL BARRIO (Hg.), Johannes Duns Scotus 1308-2008..., 163.
56
2.2.1.1 Die Natur in sich
Über die Natur in sich und ihre Eigenschaften lassen sich aus den
Stichwort Aussage Quelle Natura Non de se una unitate numerali q. 1, n. 8 Natura Non de se haec q. 1, n. 8 Natura Numeralis unitas non convenit sibi ex natura sua et
secundum se q. 1, n. 9
Natura Non de se una unitate singularitatis q. 1, n. 30 Natura Indifferens ad unitatem singularitatis q. 1, n. 30 Natura Non ex se una unitate numerali q. 1, n. 31 Natura Non plures pluralitate opposita illi unitati q. 1, n. 31 Natura Non universalis actu q. 1, n. 31 Natura Non particularis de se q. 1, n. 31 Natura Numquam sine aliquo istorum (unitas, pluralitas,
universalis, particularis) q. 1, n. 32
Natura Prius naturaliter omnibus istis q. 1, n. 32 Natura Est quod quid est per se obiectum intellectus,
consideratur a metaphysico et exprimitur per definitionem
q. 1, n. 32
Natura De se indifferens ad esse in intellectu et in particulari (ad esse universale et particulare vel singulare)
q. 1, n. 33
Communitas Non quaerenda est causa alia ab ipsa natura q. 1, n. 42 Natura Ponitur in ea communitas secundum propriam
entitatem et unitatem q. 1, n. 42
Natura Est causa communitatis q. 1, n. 42 Natura communis
Divisibilis est ex se in individua q. 4, n. 113
Natura speciei specialissimae
Non est de se haec, non tamen est de se non-haec q. 6, n. 167
Natura communis
Est ‚denominative‘ una numero q. 6, n. 175
Natura Est materia vel forma vel compositum, in quantum quodlibet istorum est ‚natura‘
q. 6, n. 188
Differentia specifica
Realitas a qua sumitur differentia specifica potentialis est respectu illius realitatis a qua accipitur differentia individualis
q. 6, n. 189
Realitas specifica
Ex se non habet unde includat per identitatem realitatem individualem
q. 6, n. 189
57
Entitas specifica
Non includit per identitatem entitatem individualem
q. 6, n. 190
Natura Non est de se haec, non est simpliciter simplex q. 6, n. 190 Natura Determinatur per aliam realitatem q. 6, n. 190
2.2.1.2 Die Natur im Ding
Über die Natur im Ding lässt sich Folgendes finden (ebenfalls aufgeführt
werden hier die Aussagen, die sich auf die Natur im phantasma beziehen, weil sie
hier, wie auch im Ding, mit der Singularität einhergeht):
Stichwort Aussage Quelle Natura in re extra Est cum singularitate q. 1, n. 34 Natura in re extra Non de se determinata ad singularitatem q. 1, n. 34 Natura in re extra Prior naturaliter ratione contrahente ad
singularitatem q. 1, n. 34
Natura in re extra Non repugnat esse sine contrahente q. 1, n. 34 Natura in re extra Non repugnat illi de se quod cum quacumque
unitate singularitatis ponatur q. 1, n. 34
Natura in re extra Habet verum esse reale extra animam q. 1, n. 34 Natura in re extra Nihil in re est tale quod secundum illam
unitatem praecisam sit in potentia proxima ad quodlibet suppositum praedicatione dicente ‚hoc est hoc‘
q. 1, n. 37
Natura in re extra Non repugnat esse in alia singularitate ab illa in qua est
q. 1, n. 37
Natura in re extra Habet esse certum q. 1, n. 38 Natura in re extra ‚Commune‘ quod non est de se hoc q. 1, n. 38 Natura in re extra Non repugnat ei de se non-hoc q. 1, n. 38 Natura in re extra Non est universale actu q. 1, n. 38 Natura in re extra Deficit illa indifferentia secundum quam
completive universale est universale, secundum quam scilicet ipsum idem aliqua identitate est praedicabile de quolibet individuo, ita quod quodlibet sit ipsum
q. 1, n. 38
Natura sive in re extra sive in phantasmate (non in intellectu)
Non est tale cui potentia proxima conveniat dici de quolibet
q. 1, n. 38
58
Natura in phantasmate
De omni ‚quod quid est‘ in phantasmate exsistente potest dici quod est tale cui non repugnat esse in alio
q. 1, n. 38
Natura in phantasmate
Habet esse deductum per rationem q. 1, n. 38
Commune in creaturis
Unum unitate reali, minore numerali q. 1, n. 39
Commune in creaturis
Non praedicabile de multis q. 1, n. 39
Commune in creaturis
Non repugnat ei esse in alio quam in eo in quo est
q. 1, n. 39
Natura creata non-divisa
Non praedicatur de multis individuis praedicatione dicente ‚hoc est hoc’
q. 1, n. 39
Natura in creaturis Non unum realiter (sicut in divinis) q. 1, n. 39 Natura in creaturis Aliquod commune unum unitate reali, minore
numerali q. 1, n. 39
Natura in creaturis Non est ita commune quod sit praedicabile de multis
q. 1, n. 39
Natura in creaturis Est ita commune quod non repugnet sibi esse in alio quam in eo in quo est
q. 1, n. 39
Natura (seu commune) in divinis
Unum realiter, singulare et individuum, de se haec
q. 1, n. 39
Commune in creaturis
Non est unum unitate singularitatis q. 1, n. 40
Commune in creaturis
Determinatum est de facto (licet non repugnet sibi esse in alio)
q. 1, n. 40
Commune in creaturis
Potest poni in creaturis realiter q. 1, n. 40
Natura extra intellectum
Communitas convenit ei et singularitas q. 1, n. 42
Natura extra intellectum
Communitas convenit ei ex se q. 1, n. 42
Natura extra intellectum
Singularitas convenit ei per aliquid in re contrahens ipsam
q. 1, n. 42
59
2.2.1.3 Die Natur im Verstand
Es folgen die Aussagen über die Natur im Verstand und die ihr eigene
Universalität:
Stichwort Aussage Quelle Natura in intellectu Non habet primo ex se universalitatem q. 1, n. 33 Natura in intellectu Universalitas non est pars eius conceptus primi q. 1, n. 33 Natura in intellectu Prima intellectio est naturae ut non
cointelligitur aliquis modus q. 1, n. 33
Natura in intellectu Intelligitur sub universalitate ut sub modo intelligendi ipsam
q. 1, n. 33
Universalitas Est modus intelligendi intellectus, sed non modus intellectus
q. 1, n. 33
Natura in intellectu Non de se universalis q. 1, n. 34 Natura in intellectu Universalitas accidit naturae, secundum
primam rationem eius secundum quam est obiectum
q. 1, n. 34
Natura in intellectu Habet esse intelligibile q. 1, n. 34 Universale actu Habet aliquam unitatem indifferentem,
secundum quam ipsum idem est in potentia proxima ut dicatur de quolibet supposito
q. 1, n. 37
Natura in intellectu Habet unitatem numeralem obiecti, secundum quam ipsum idem est praedicabile de omni singulari, dicendo quod ‚hoc est hoc‘
q. 1, n. 37
Natura in intellectu Habet esse obiective q. 1, n. 38 Natura in intellectu Potentia proxima convenit ei dici de quolibet q. 1, n. 38 Universale actu Habet indifferentiam secundum quam scilicet
ipsum idem aliqua identitate est praedicabile de quolibet individuo, ita quod quodlibet sit ipsum
q. 1, n. 38
Universale creatum Non est unum unitate singularitatis q. 1, n. 40 Universalitas Quaerenda est causa q. 1, n. 42 Universale Dividi in plura quorum quodlibet est ipsum, est
divisio propria toti universali in partes subiectivas.
q. 2, n. 48
2.2.1.4 Das Individuum
An einigen Stellen gibt Scotus Auskunft über das Individuum, das der
bereits erwähnten res extra entspricht und die Natur enthält:
60
Stichwort Aussage Quelle Res Universalitas non convenit ei ex se q. 1, n. 42 Individuum Est ‚per se‘ unum numero q. 6, n. 175 Individuum Individuo, cuius entitas individualis est pars, per
se repugnat dividi in partes subiectivas q. 6, n. 177
Aliquod tertium Includit ambo (realitatem specificam et realitatem individualem) per identitatem
q. 6, n. 189
Individuum Non est compositum proprie respectu naturae specificae (prout ex re actuali et re potentiali)
q. 6, n. 189
Individuum Compositum minus proprie ex realitate actuali et potentiali in eadem re
q. 6, n. 189
Aliquod tertium Cuius ambo ista (scil. entitas specifica et entitas individualis) sunt quasi per se partes
q. 6, n. 190
2.2.1.5 Das Individuationsprinzip
Die nun folgende umfangreiche Aufführung von Aussagen zu dem
Individuationsprinzip zeigt auf Anhieb eine Besonderheit. Scotus verzichtet
meistens darauf, dem Gesuchten einen Namen zu geben, und zieht es vor, es zu
beschreiben. Wo immer das der Fall ist, wird im Folgenden „[quaesitum]“ als
Stichwort angegeben. Ebenfalls hier aufgelistet werden die Einträge, die sich auf
die Folgen der Individuierung beziehen (differentia seu distinctio individualis).
Stichwort Aussage Quelle [quaesitum] Illud / ratio contrahens ad singularitatem q. 1, n. 34 [quaesitum] Singularitas convenit naturae per aliquid in re
contrahens ipsam q. 1, n. 42
Singularitas Addit aliquid illi naturae cuius est q. 1, n. 42 Singularitas Quaerenda est causa q. 1, n. 42 [quaesitum] Hoc per quod ‚sicut per fundamentum proximum‘
simpliciter repugnat ei [huic lapide] dividi in plura quorum quodlibet sit ipsum
q. 2, n. 48
[quaesitum] Aliquid positivum intrinsecum huic lapidi q. 2, n. 57 [quaesitum] Per se causa individuationis q. 2, n. 57 Individuatio Indivisibilitas sive repugnantia ad divisibilitatem q. 2, n. 57 [quaesitum] Entitas positiva q. 2, n. 58 [quaesitum] Infimum in coordinatione praedicamentali, scilicet
singulare, omnino circumscripta exsistentia actuali q. 3, n. 63
Distinctio individualis
Ultima distinctio in coordinatione praedicamentali q. 3, n. 65
61
Distinctio individualis
Est per ultimum actum per se pertinentem ad coordinationem praedicamentalem
q. 3, n. 65
[quaesitum] Quidquid sit individuans accidit naturae specificae, sed non sicut ipsi [Philosophus et Avicenna] intelligunt de accidente
q. 4, n. 128
[quaesitum] Includitur in ratione individui q. 5, n. 147 [quaesitum] Non includitur in ratione naturae q. 5, n. 147 [quaesitum] Facit ‚unum per se‘ cum natura q. 5, n. 147 [quaesitum] Est per se determinans illam naturam ad
singularitatem, sive ad rationem illius inferioris q. 5, n. 147
De se hoc Cui repugnat per se dividi in plures partes subiectivas, cui etiam repugnat esse de se non-hoc
q. 6, n. 165
[quaesitum] Facit unum per se cum entitate naturae q. 6, n. 169 [quaesitum] Entitas quam consequitur unitas simpliciter q. 6, n. 169 [quaesitum] Entitas quae est ‚primo‘ una numero q. 6, n. 175 Entitas individualis
Primo repugnat ei dividi in quascumque partes subiectivas
q. 6, n. 177
Realitas individui
Quasi actus determinans illam realitatem speciei quasi possibilem et potentialem
q. 6, n. 180
Realitas individui
Numquam sumitur a forma addita sed praecise ab ultima realitate formae
q. 6, n. 180
Realitas individui
Est primo diversa ab omni entitate quiditativa q. 6, n. 181
Realitas individui
Non potest constituere totum (cuius est pars) in esse quiditativo, sed in esse alterius rationis
q. 6, n. 181
Realitas individui
Constituit praecise in esse materiali (hoc est in esse contracto)
q. 6, n. 182
Realitas individui
Constituit in ratione subicibilis q. 6, n. 182
Entitas individualis
Est primo diversa a quocumque alio q. 6, n. 183
Entitas individualis
A qua sumitur differentia individualis q. 6, n. 187
[quaesitum] Ista entitas est ultima realitas entis quod est materia vel quod est forma vel quod est compositum
q. 6, n. 188
Entitas singularitatis et entitas naturae
In eodem sunt realitates eiusdem rei, formaliter distinctae
q. 6, n. 188
[quaesitum] Realitas a qua accipitur differentia individualis q. 6, n. 189 Differentia individualis
Sumitur ab illa realitate [i.e. quaesitum] q. 6, n. 189
Entitas individualis
Non includit per identitatem entitatem specificam q. 6, n. 190
62
2.2.1.6 Die Einheit der Natur
Die ausgewerteten Texte enthalten ebenso zahlreiche Hinweise bezüglich
der Einheit der Natur in ihren verschiedenen Zuständen.
Stichwort Aussage Quelle Unitas minor Propria, realis, sufficiens q. 1, n. 8 Unitas minor Realis absque omni operatione intellectus q. 1, n. 30 Unitas minor Naturae secundum se q. 1, n. 30 Unitas numeralis
Sive unitas propria singularis q. 1, n. 30
Unitas minor Indifferens ad singularitatem q. 1, n. 34 Unitas minor Natura non habet eam de se, i.e. non est intra
rationem naturae q. 1, n. 34
Unitas minor Propria passio naturae q. 1, n. 34 Natura in intellectu
Habet unitatem numeralem obiecti, secundum quam ipsum idem est praedicabile de omni singulari, dicendo quod ‚hoc est hoc‘
q. 1, n. 37
Universale actu Habet aliquam unitatem indifferentem, secundum quam ipsum idem est in potentia proxima ut dicatur de quolibet supposito
q. 1, n. 37
Unitas numeralis
Unitas perfectissima q. 2, n. 58
Unitas minor Non est res addita, sed necessario consequitur illam entitatem
q. 4, n. 128
Unitas minor Non est intra formalem rationem quiditatis q. 4, n. 128 Unitas minor Est quasi passio consequens quiditatem q. 4, n. 128 Unitas simpliciter (scil. individui)
Consequitur per se aliquam per se entitatem q. 6, n. 169
Unitas numeralis
Unitas perfecta q. 6, n. 176
Unitas entitatis individualis
Excludit omnem divisionem (secundum partes quantitativas, divisionem essentialium)
q. 6, n. 177
2.2.2 Schematische Zusammenfassung
Um ein besseres Verstehen zu ermöglichen und die errungenen Erkenntnisse
in gedrängter Form zu vergegenwärtigen, folgt nun eine schematische
Zusammenfassung. Zugunsten einer größtmöglichen Texttreue werden weiterhin
die lateinischen Begriffe beibehalten.
63
Natura (communis)100 in se
Negative Positive Respectu aliorum
• Non de se / ex se - haec / una unitate
singularitatis / una unitate numerali
- plures pluralitate numerali
- universalis actu / non-haec
- particularis • Numquam sine aliquo
istorum • Non simpliciter simplex
• Indifferens - ad unitatem singularitatis - ad esse in intellectu - ad esse in particulari - ad esse universale - ad esse particulare
• Prior naturaliter istis • Est quod quid est / obiectum
intellectus • Exprimitur per definitionem • Ex se communis • Causa suae communitatis secundum
propriam entitatem et unitatem • Ex se divisibilis in individuis • ‚Denominative‘ una numero • Est vel materia, vel forma, vel
compositum • Habet ex se unitatem propriam,
realem, sufficientem, minorem unitate numerali
• Potentialis respectu illius realitatis a qua accipitur differentia individualis
• Non includit ex se per identitatem entitatem / realitatem individualem
• Determinatur per aliam realitatem
Natura in re (extra)101
Negative Positive Respectu aliorum
• Non de se haec / determinata ad singularitatem
• Non de se una unitate singularitatis
• Non repugnat ei - esse sine contrahente - esse in alia singularitate / cum
quacumque singularitate poni - esse non-haec
• Non est universale actu / non convenit ei potentia proxima dici de quolibet supposito praedicatione dicente ‚hoc est hoc‘
• Non una realiter sicut in divinis
• De facto determinata / cum singularitate
• Habet verum esse reale / certum extra animam
• Aliquid commune quod realiter potest poni in creaturis
• Unum unitate reali, minore numerali
• Convenit ei - communitas ex se - singularitas per aliquid in
re contrahens ipsam
• Prior naturaliter ratione contrahente ad singularitatem
100 In der Ordinatio, auf deren Untersuchung diese Studie begrenzt ist, spricht Scotus
meist nur von der natura und fügt nur in einigen Fällen das Adjektiv communis hinzu. An anderen Stellen wird deutlich, dass die natura und quiditas sich auf dasselbe beziehen (vgl. IOANNES DUNS SCOTUS, Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 128).
101 Damit ist hier nur die Natur in den geschaffenen Dingen gemeint (natura in creaturis). Zwei Sonderfälle, die Scotus zum Vergleich heranzieht, entsprechen nicht diesen Bestimmungen, nämlich die natura in phantasmate (habet esse deductum per rationem) und die natura (seu commune) in divinis (unum realiter, singulare et individuum, de se haec).
64
Natura in intellectu
Negative Positive Respectu aliorum
• Non habet primo ex se universalitatem
• Universalitas non est pars eius conceptus primi
• Non est unum unitate singularitatis
• Habet esse intelligibile • Habet esse obiective • Habet unitatem indifferentem /
unitatem numeralem obiecti secundum quam est praedicabile de omni singulari, dicendo ‚hoc est hoc’
• Convenit ei potentia proxima dici de quolibet
• Universalitas accidit naturae secundum rationem obiecti
• Intelligitur sub modo universalitatis
• Prima intellectio est naturae, modus non cointelligitur
Unitas
Unitas naturae ut natura
• Vocatur: unitas minor (unitate numerali) • Propria, realis (absque operatione intellectus), sufficiens, proportionalis • Est unitas naturae secundum se • Propria passio naturae / quasi passio quiditatis / non res addita sed consequitur naturam • Non est intra rationem naturae / quiditatis • Indifferens ad singularitatem
Unitas numeralis Unitas naturae in re
Unitas naturae in intellectu
• Unitas individui vocatur: - unitas numeralis - unitas propria singularis - unitas singularitatis - unitas perfectissima - unitas simpliciter
• Consequitur aliquam per se entitatem • Excludit omnem divisionem
• Indifferens ad singularitatem
• Est unitas numeralis obiecti / unitas indifferens secundum quam est praedicabile de omni singulari
• Fundamentum proximum repugnantiae ad divisibilitatem
• Ultima distinctio / infimum in coordinatione praedicamentali, circumscripta exsistentia actuali
• Ultimus actus per se pertinens ad coordinationem praedicamentalem
• Facit distinctionem individualem
• Est ‚primo‘ unum numero • Non est forma addita sed ultima
realitas formae • Ultima realitas entis • ‚Primo‘ repugnat ei dividi in
partes subiectivas
• Contrahit / determinat naturam ad singularitatem
• Quasi actus determinat realitatem speciei quasi possibilem et potentialem
• Additur naturae cuius est • Accidit naturae specificae, sed non
sicut accidens • Non includit per identitatem
entitatem specificam • Includitur in ratione individui, non
in ratione naturae • Facit ‚unum per se‘ cum natura /
entitate naturae • Entitas formaliter distincta ab
entitate naturae • Primo diversum ab omni entitate
quiditativa et quocumque alio • Non constituit totum in esse
quiditativo / formali sed in esse materiali / contracto / in ratione subicibilis
Individuum 103
• Non universalis ex se • Repugnat ei dividi in partes subiectivas • ‚Per se‘ unum numero • Includit per identitatem quasi per se partes realitatem specificam et realitatem individualem • Compositum (non proprie sed minus proprie) ex realitate actuali et realitate potentiali in eadem
re
Die Übersicht über die dem Text des schottischen Meisters abgerungenen
Erkenntnisse gibt zu verstehen, wie sehr sich die Lehre von der Natur seit den
Überlegungen des Avicenna weiterentwickelt hat. Von den Streitfragen seiner
Zeit gedrängt, zeichnet der Doctor subtilis mit der ihm eigenen Schärfe ein
erheblich genaueres Bild von der Natur, ihrer Beschaffenheit an sich und ihren
Eigenschaften in den Zuständen inner- und außerhalb des begreifenden
Verstandes. Im folgenden Kapitel sollen die hier gewonnenen Elemente wieder in
ein synthetisches Ganzes eingeordnet werden, das seinerseits Fragen aufwirft mit
Blick auf das Denken des Scotus in seiner Gesamtheit.
103Auch res genannt, bzw. aliquod tertium wenn in Bezug auf Natur und Individuationsprinzip.
66
3. KAPITEL
SYNTHETISCHE DARSTELLUNG DER
LEHRE VON DER NATURA COMMUNIS
Das vorliegende Kapitel zielt darauf ab, die aus den ausgewerteten Texten
hervorgehende Lehre von der natura communis synthetisch und systematisch
darzustellen. Damit will gesagt sein, dass hier kein Versuch vorliegt, die Lehre
des Scotus zu diesem Thema in ihrer Ganzheit zu erfassen. Die Beschränkung auf
die gewählte Quelle bleibt bestehen. Texte zum selben Thema, die außerhalb
unseres Segmentes liegen, wie auch andere Bausteine des scotischen
Gedankengebäudes, werden nur gelegentlich zu Hilfe genommen, um ein besseres
Verstehen des sich ergegebenden Bildes zu ermöglichen. Beim Erarbeiten dieser
Gesamtschau schwingen die Fragen nach dem Verhältnis zwischen Allgemeinem
und Individuellem sowie nach dem ontologischen Gehalt des Wesens mit.
Der natura communis als Einzelthema widmet Scotus in seinen Schriften
keinen eigenen systematischen Traktat. In der Abhandlung über das
Individuationsprinzip finden sich jedoch genügend Elemente, um eine
vollständige Lehre ableiten zu können. Bevor eine solche hier versuchsweise
dargestellt werden kann, soll ein Blick auf den Argumentationsstrang der
Abhandlung und ihr Ergebnis geworfen werden.
67
3.1 Natura communis im Blick auf
Universalienstreit und Individuationsprinzip
3.1.1 Argumentation
Scotus fragt zunächst, ob eine materielle Substanz aus sich selber oder aus
ihrer Natur heraus singulär sei. Zur Beantwortung beweist er, dass die Natur eine
eigene Einheit hat, die geringer ist als die numerische und die dieser, wie auch der
numerischen Vielheit, der Universalität und der Partikularität indifferent
gegenübersteht, ihnen naturgemäß voraufgeht (prior naturaliter). Dass diese
geringere Einheit (unitas minor) real ist, und nicht bloß der Tätigkeit des
abstrahierenden Verstandes geschuldet ist, zeigt Scotus anhand von sieben
Beweisen, in denen er Vorgänge und Beziehungen aufführt, die einer gewissen
Einheit bedürfen, die nicht die numerische sein kann, sondern geringer sein muss.
Sind die Vorgänge und Beziehungen real, und das setzt Scotus voraus, dann muss
auch die geringere Einheit real sein. So ergibt die erste Quästion, dass im Ding
eine Natur ist, die eine eigene, reale und ausreichende Einheit besitzt, die geringer
ist als die numerische, die sowohl mit der numerischen Einheit und der ihr
entgegengesetzten Vielheit, wie auch mit der Universalität stehen kann und die
ihre Gemeinsamkeit (communitas) ausmacht. Das, was sie vereinzelt, das
gesuchte Individuationsprinzip, muss folglich von außen an sie herantreten.
In der zweiten Quästion widerlegt Scotus die Ansicht des Heinrich von
Gent, gemäß welcher eine doppelte Verneinung die Individualität bewirkt:
Verneinung der weiteren Teilbarkeit in sich und Verneinung der Identität mit
anderen. Scotus zeigt, dass diese doppelte Verneinung in gleicher Weise auf zwei
Individuen der gleichen Art zutrifft und damit nicht gesagt ist, durch was die eine
negatio sich von der anderen unterscheidet. Vielmehr verhält es sich
folgendermaßen: So wie die Einheit der Artnatur (unitas minor) sich aus dem
Hinzutreten des artbildenden Unterschiedes zur Gattung ergibt, so muss auch die
Einheit des Individuums (unitas numeralis) einem aliquid positivum geschuldet
sein, das zur Artnatur hinzutritt (accidit).
68
In der dritten Quästion zeigt Scotus, dass es nicht die aktuelle Existenz der
Natur ist, die sie zu dieser individuellen Natur macht, da der Begriff ‚dieser
Mensch‘ die Existenz formal nicht mehr beinhaltet als der schlechthinnige Begriff
‚Mensch‘. Das aliquid positivum, das zur Natur hinzutritt und sie zum Individuum
zusammenzieht (contrahit), ist der letzte Baustein der coordinatio
praedicamentalis, durch den ein Wesen vollends bestimmt wird und in der
Prädikation als Subjekt dienen kann (subicibile), ohne dafür existieren zu müssen.
Quantität und Materie als mögliche Kandidaten für das
Individuationsprinzip scheiden in den Quästionen vier und fünf aus. Die
Quantität, als Akzidens, kann nicht Ursache der Individuation der Substanz sein,
in der sie inhäriert und mit der sie gleichsam zusammen individuiert wird. Die
Materie ihrerseits ist selber Teil der Natur, wie in der Definition beispielsweise
des Menschen sichtbar wird, und kann sie dadurch nicht individuieren. Bleibt also
nur noch die in der sechsten Quästion vorgelegte Lösung des Scotus, dass nämlich
eine positive Entität zur Natur hinzutritt, die sie per se zur Singularität
determiniert. Kein bereits bekanntes Element der Substanz oder des Seienden im
Allgemeinen ist es, das für die Singularität verantwortlich ist, sondern eine neue –
sozusagen nur mit der Individuation beauftragten – Entität.
3.1.2 Scotus zum Problem der Universalien und dem
Individuationsprinzip
Ort und Struktur dieser Argumentation geben bereits von sich aus
Aufschluss über die Stellungnahme des Doctor subtilis zum Universalienproblem
und dem Individuationsprinzip. Mehr noch: die Frage nach dem
Individuationsprinzip stellt sich nur dort, wo ein gewisses Verständnis von
Realität, insbesondere von der Realität der Universalien, vorausgesetzt ist. Man
könnte so sagen: In der Begegnung mit dem Einzelding ergeben sich zwei Fragen.
„Was ist es?“ fragt nach dem Wesen, der inhaltlichen Bestimmung eines Dinges.
„Welches ist es?“ (oder analog dazu „Wie heißt es?“) fragt nach der Individualität,
69
der ureigenen Identität des Dinges mit sich selber in Abgrenzung von anderen
Dingen, das, was es eben zu ‚diesem‘ (hoc) etwas macht. Scotus begibt sich auf
die Suche nach Letzterem und sagt damit implizit, dass das Individuelle eben
nicht das ganze Wesen des Dinges ausmacht. Gäbe es nur je und je ganz von
einander verschiedene Dinge (primo diversa), wie es der Nominalismus in seiner
radikalsten Ausprägung will, so wäre nicht zu fragen, was jedes einzelne zu
‚diesem‘ macht, sondern vielmehr mit welchem Recht oder aufgrund welcher
Täuschung der Verstand sie unter gemeinsamen Begriffen gruppiert. Scotus
hingegen setzt die Realität des Gemeinsamen voraus, wenn er danach fragt,
wodurch es zum unwiederholbaren Individuum determiniert wird104.
Die früher gestellte Frage, wie sich Scotus zum Universalienstreit stellt,
kann also hiermit als beantwortet gelten: er reiht sich in das Lager der
sogenannten gemäßigten Realisten ein, für die das Gemeinsame, das die
Grundlage unserer universellen Begriffe darstellt, real ist: nicht, wie bei Plato, von
den Sinnendingen getrennt, sondern in ihnen105. Radikal neu hingegen ist seine
Spielart dieser Position, da sie, wie oben angedeutet, in der entitas individualis ein
völlig neues Element ins Spiel bringt und darüberhinaus im Zusammenhang einer
wahren epistemologischen Revolution steht.
Die Lehrer des Mittelalters bis zu Scotus verfügten über zwei Arten des
Unterschiedes: die in der Sache begründete distinctio realis im Gegensatz zu der
allein im Verstand vollzogenen distinctio rationis. Für Scotus, der nach dem
Einzug des vollständigen Aristoteles in das Abendland einer nun breiter
gefächerten Wissenschaft zu neuen Grundlagen verhelfen will, ist dieses
Instrumentarium zu ungenau. Zwei weitere distinctiones entspringen dem
104 Vgl. hierzu J. KRAUS, Die Lehre des..., 48: „Für Skotus steht ebenso wie für seine
Gegner die Realität der Universalien a priori fest; denn er argumentiert aus dieser Lehre heraus.“ Kraus wendet sich hier gegen P. Minges, für den Skotus in der Abhandlung über das Individuationsprinzip die Realität der Universalien beweisen möchte. Vgl. P.
MINGES, Der angebliche exzessive Realismus des Duns Scotus, Aschendorff, Münster 1908, 72 (von Kraus a.a.O. auf S. 47 zitiert). Vgl. auch T.B. NOONE, „Universals and Individuation“, in TH. WILLIAMS (Hg.), The Cambridge Companion to Duns Scotus, Cambridge University Press, Cambridge 2003, 101.
105 Vgl. A. WOOJIN KIM , L'intelletto e la sua funzione nella conoscenza umana secondo Giovanni Duns Scoto, Antonianum, Rom 2005, 62.
70
Scharfsinn des schottischen Minderbruders. Die distinctio realis radikalisiert er
und lässt sie nur da gelten, wo zwei Sachen (res et res) von einander verschieden
sind. Häufig jedoch kann der Verstand innerhalb einer und derselben Sache (also
real identisch: eadem re, in identitate reali) zwei oder mehrere intelligible Gehalte
ergreifen und in Begriffe fassen, deren Definitionen sich nicht überschneiden106.
Dann, so Scotus, besteht zwischen dem einen und dem anderen Gehalt im Ding
eine formale nicht-Identität (non-identitas formalis) oder distinctio formalis, wie
später seine Schüler sagen werden107. Welcher Seinsgehalt den formal nicht
identischen Grundlagen solcher Begriffe zukommt, wird zu bedenken sein108.
Zurück zum vorliegenden Fall: Im Einzelding kann der Verstand eine
gemeinsame Washeit oder Natur von einer formell nicht identischen Entität
unterscheiden, aufgrund derer das Ding individuell ist. Etwas im Ding ermöglicht
die Antwort auf die Frage nach dem „Was?“ und etwas anderes die Antwort auf
die Frage „Welches?“ In dieser Neuordnung der Distinktionen wird eine zutiefst
aristotelisch geprägte Grundüberzeugung sichtbar, die Scotus jedoch radikaler als
bisher anwendet: unser Sprechen und Denken spiegelt in seiner Struktur
(besonders in der Gestalt des Urteils) die Struktur der Wirklichkeit wieder109. Was
in unserem Sprechen die Individualität des Einzeldinges ausdrückt, sei es der
Name oder das Demonstrativpronomen, entspricht, laut Scotus, einem eigenen
Element in der Zusammensetzung des Seienden, das mit dessen Wesen formell
nicht identisch ist110. Das Revolutionäre an diesem Lösungsansatz besteht darin,
106 Vgl. L. HONNEFELDER, Johannes Duns Scotus, 42; DERS., Johannes Duns Scotus.
Denker..., 14. 107 Vgl. A. DE MURALT, L’enjeu de la Philosophie Médiévale. Etudes thomistes,
scotistes, occamiennes et grégoriennes, Brill, Leiden 1991, 64-70. Vgl. auch H. KRAML, „Beobachtungen zum Ursprung der «distinctio formalis»“, in A. SILEO (Hg.), Via Scoti, I, 305-318.
108 Die zweite von Scotus erdachte Distinktion ist die distinctio modalis, die beispielsweise zwischen dem Seienden (ens) und seinem Modus (finitum / infinitum) waltet. Für die sich aus unserer Quelle ergebende Lehre ist sie nicht weiter relevant. Eine Untersuchung von Met. VII, q. 13, OPh. IV, 215-280, wo vom Individuationsprinzip als gradus die Rede ist, müsste die distinctio modalis als mögliches Interpretationsschema ins Auge fassen und erörtern. Vgl. dazu S.D. DUMONT, „The questions on…“, 213-217.
109 Vgl. THOMAS V. AQUIN, In libros Metaphysicorum, lib. 4, Marietti, Rom 1950, 150ff.
110 Noone vertritt die Ansicht, dass Scotus, um den aristotelischen Rahmen zu wahren, das formale Prinzip durch eine Distinktion in zwei teilt und neben den quiditativen
71
dass Scotus die Individualität nicht als Resultat einer Zusammensetzung sieht
(etwa aus substantieller Form und materia quantitate signata), sondern ihr einen
eigenen ontologischen Baustein entsprechen lässt. Man könnte sagen, dass er der
Individualität selber einen Seinsgehalt zuspricht, was kein Denker vor ihm in
dieser Form gewagt hatte111.
3.2 Die Natur in sich
Der spekulative Weg, der zur Gewinnung des nun zu zeichnenden Bildes
der natura communis geführt hat, entspricht dem einer resolutio, jenem Vorgang,
der einen Begriff in seine unterscheidbaren Bestandteile zerlegt, bis er auf ein
Erstes stößt, das nicht weiter zurückführbar ist112. So begegnet uns die Natur, als
washeitliche Bestimmung eines Seienden verstanden, zuvorderst in den
Einzeldingen der Erfahrungswelt, denen die Individualität des jeweils konkret
Existierenden eignet. Des Weiteren begegnet sie uns im Verstand, wo ihr, der
Singularität des Einzelnen beraubt, die Universalität anhaftet. Scotus macht sich
daran, frei zu legen, wie es um die Natur als solche, in sich, unabhängig von
ihrem Stand im Ding oder im Verstand, bestellt ist, ganz im Sinne des
avicennischen „equinitas non est nisi equinitas tantum“113. Wir folgen zunächst
dem Weg der remotio.
Formen auch individuelle Formen gelten lässt. Letztere stellen das Individuationsprinzip. Vgl. T.B. NOONE, „Universals and Individuation“, 122.
111 Vgl. J. GRACIA, „Individuality and the individuating entity in Scotus’ Ordinatio: an ontological characterization“, in L. HONNEFELDER – R. WOOD – M. DREYER (Hg.) Metaphysics and Ethics, Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 53, Brill, Leiden 1996, 248.
112 Vgl. W. HOERES, „Platonismus und Gegebenheit bei Duns Scotus“, in De doctrina Ioannis..., I, 153.
113 Vgl. Anm. 31.
72
3.2.1 Negativ betrachtet
Wie bereits angedeutet unterscheidet sich für Scotus die Natur formell von
den Eigenschaften, die sie in ihren beiden Zuständen, im Ding und im Verstand,
charakterisieren. Da sie bald die Eigenschaft der Singularität, bald die der
Universalität zu eigen hat, die in kontradiktorischem Gegensatz zu einander
stehen, kann ihr keine von beiden von sich aus eignen. So ergibt sich die erste
Bestimmung der natura communis an sich aus einer Reihe von Negationen.
- Sie ist nicht una unitate singularitatis oder una unitate numerali, in
anderen Worten, sie ist kein Einzelding, sie kann nicht als ein ‚dieses‘
(haec) bezeichnet werden.
- Sie ist ebenso wenig „vieles“ (plures pluralitate numerali).
Mit diesem ersten Ausschluss zweier Gegensätze will gesagt sein, dass eine
Wesensbestimmung oder Natur (etwa lapis) von sich aus weder einen bestimmten
Stein (hic lapis) bedeutet noch mehrere oder alle Steine (hi lapides oder omnes
lapides). Im ersten Fall gäbe es folglich nur einen Stein. Den zweiten
hypothetischen Fall hat Scotus nicht weiter bearbeitet. Wir dürfen mutmaßen, dass
damit gemeint wäre, die Natur des Steines wäre insofern „vieles“ (plures), als
dass eine Vielzahl von Einzeldingen dieselbe Natur teilen würde. Die Natur an
sich ist also losgelöst von jeder numerischen Bestimmung.
Daraus ergibt sich ein weiterer doppelter Ausschluss:
- Sie ist nicht von sich aus partikulär.
- Sie ist auch nicht von sich aus nicht-partikulär, bzw. aktuell universal.
Der Singularität folgt die Partikularität (das Besitzen von Merkmalen, die
nur diesem Individuum zu eigen sind). Ist die Natur nicht von sich aus singulär, so
ist sie auch nicht partikulär. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass sie deswegen
nicht-partikulär (non-haec) wäre, also der Partikularität kontradiktorisch
73
entgegengesetzt. Letzteres ist sie lediglich als natura in intellectu, wo sie aktuell
universal ist und ihr die Partikularität folglich widerstreitet.
Hier wird sichtbar, welchen Weg die Überlegung des Scotus nimmt. So wie
der Verstand das ens in einem unvollständigen Begriff (conceptus imperfectus114)
denken kann, in welchem er den Modus der Endlichkeit bzw. der Unendlichkeit
nicht miterfasst, so kann er die Natur denken, losgeschält von der ihr notwendig
zukommenden Eigenschaft der Partikularität oder Nicht-Partikularität
(Universalität) sowie von jeder zahlenmäßigen Einheit oder Vielheit. Der derart
gedachten Natur fügt Scotus immer die Bestimmung in se oder de se bei, um sie
zu unterscheiden von der natura in re und der natura in intellectu. Kann man nun
bei der natura in se von einem dritten Zustand der Natur sprechen?
Scotus selber tut es nicht mit diesen Worten. Er lässt keinen Zweifel daran
aufkommen, dass die Natur, wo sie uns als existent begegnet, sich stets in einem
der beiden genannten Zustände befindet. Doch ist für Scotus der Bereich des
Realen keineswegs deckungsgleich mit dem des Existierenden115. Wie wir bereits
hervorgehoben haben, kommt für Scotus jedem begrifflich erfassbaren Inhalt eine
gewisse Eigenständigkeit zu116. So kann hier in einem übertragenen Sinne wohl
doch von einem dritten und sozusagen „reinen“ Zustand der Natur die Rede sein,
eben weil sie formell nicht identisch ist mit den Eigenschaften, die ihr in den
beiden Zuständen zukommen, in denen sie existieren kann. Dieser dritte Zustand
befindet sich jedoch auf einer anderen Ebene als die anderen beiden. Er steht nicht
neben ihnen wie eine dritte Möglichkeit, sondern geht ihnen vorauf. Er ist, wie
Scotus sagt, „früher“ als sie. Inwiefern dieser dritte Zustand der Natur, der als
114 Vgl. L. HONNEFELDER, Johannes Duns Scotus, 70f.; DERS., Scientia transcendens,
249; DERS., Ens inquantum ens, 394; A.B. WOLTER, The Transcendentals and their Function in the Metaphysics of Duns Scotus, The Franciscan Institute, St. Bonaventure NY 1946, 25.
115 Vgl. hierzu die scotische Bestimmung des ens reale, der Gegenstand der Metaphysik, als id quod esse habere potest, erklärt bspw. in L. HONNEFELDER, „Die Lehre von der doppelten ratitudo entis und ihre Bedeutung für die Metaphysik des Johannes Duns Scotus“, in Deus et homo ad mentem I. Duns Scoti. Acta tertii Congressus Scotistici Internationalis, Vindebonae, 28 sept. - 2 oct. 1970, Societas Internationalis Scotistica, Rom 1972, 661-671.
116 Vgl. Ord. I, d. 4, p. 1, q. un., appendix, ed. Vat. IV, 381: „Omni entitati formali correspondet adaequate aliquod ens.“
74
solcher von der Existenz ausgeschlossen bleibt, Realitätsgehalt hat, wird sich
zeigen, wenn sich Scotus daran macht, ihn positiv zu beschreiben.
3.2.2 Positiv betrachtet
3.2.2.1 Die Indifferenz der Natur
Bislang hat uns der schottische Meister nur per Ausschluss die wahre
Beschaffenheit der Natur als Natur eröffnet. Sie ist weder [a] noch das Gegenteil
von [a], hieß es in der negativen Standortbestimmung. Aus der Verneinung
erwächst eine erste bereits angesprochene positive Aussage: Die Natur ist
indifferent. Sie ist nicht singulär, sie ist auch nicht nicht-singulär, sie kann sowohl
das eine wie das andere sein. Mehr noch: Auch da, wo die Natur zu einer
bestimmten Singularität kontrahiert ist, bleibt sie in sich dieser Singularität
gegenüber indifferent, was bedeutet, dass sie genausogut unter einer anderen
Singularität stehen könnte. Sie bleibt in sich und als das, was sie ist, der
Individualität fremd. Die Indifferenz der Natur an sich ist, was es ihr möglich
macht, sowohl mit der Singularität wie mit der Universalität in Verbindung treten
zu können, ohne dabei an sich eine Veränderung zu erleiden. Die Indifferenz der
Natur wird durch eine bereits erwähnte Aussage deutlicher verständlich: Die
Natur ist „früher“ als diese Eigenschaften, um genau zu sein naturaliter prior. Mit
dem Hinzufügen des naturaliter räumt Scotus ein mögliches Missverständnis aus
dem Weg: Die natura in se geht den anderen beiden Zuständen nicht der Zeit nach
vorauf. Es ist nicht so, dass es irgendwo reine Naturen gäbe, die dann zu
Individuen oder Begriffen würden, sobald die Individualität oder die Universalität
zu ihnen träte. Einer rein platonischen Sichtweise erteilt Scotus also eine deutliche
Absage. Die naturgemäße prioritas ergänzt und beleuchtet, was ihre Indifferenz
besagt.
3.2.2.2 Die communitas der Natur
75
Die Indifferenz der Natur liefert uns ebenfalls den Schlüssel zum rechten
Verständnis einer weiteren Beschaffenheit der Natur: ihre communitas. Diese
Beschaffenheit ist so bedeutsam, dass die Nachwelt, wenn sie die scotische Lehre
von der Natur aufgreift, stets von der natura communis spricht.
Scotus klärt als erstes, dass die communitas der Natur von sich aus eignet
(secundum propriam entitatem et unitatem117). Jede Wesensbestimmung ist als
solche communis. Wie ist das zu verstehen? Sicherlich nicht gemäß einer ultra-
realistischen Deutung, nach welcher eine und dieselbe einzelne Natur in vielen
Individuen zugleich wäre. Vielmehr ist damit die Indifferenz der Natur gemeint,
auch der zur Individualität kontrahierten Natur, gegenüber dieser oder jener
Singularität118. Jede Washeit ist communis, weil ihr Wesensgehalt von einer
unbegrenzten Anzahl von Einzelseienden realisiert werden kann, unabhängig von
der tatsächlichen Existenz solcher Einzelseienden. Auch eine rein mögliche, von
Gott nur gedachte aber nie gesetzte Natur ist communis. So zeigt sich einmal mehr
wie ein platonischer Geist den anscheinend streng aristotelischen Körper der
scotischen Lehre beseelt: das eigentliche Gewicht der Wirklichkeit liegt in der
Wesenheit, dem intelligiblen Gehalt des Seienden, nicht bei seiner Aktualität oder
seinem Sein.
Das erklärt ebenso den großzügig bemessenen Anwendungsbereich der
natura communis. Diese ist keineswegs notwendig eine species specialissima,
jene vollends bestimmte und in sich abgeschlossene Artnatur, von der bereits die
Rede war119. Scotus zeigt uns, dass auch die einzelnen Bestandteile einer species
specialissima als naturae communes zu betrachten sind: sprich sowohl das
compositum wie auch Form und Stoff jeweils für sich. Folgt man der inneren
Logik des scotischen Denkens, dann ist all jenes eine natura communis, was nicht
strikt und per se individuell ist. Letzteres gilt jedoch nur, wie wir sehen werden,
von der individuierenden Entität. So meinen wir, den Bogen nicht zu überdehnen,
wenn wir alle Bausteine der vollbestimmten Artnatur, der nur noch die
117 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 42, ed. Vat. VII, 410. 118 Vgl. J. KRAUS, Die Lehre des..., 68: „Die Indifferenz gegen diese oder jene
Singularität ist es, was Skotus die Gemeinsamkeit der Natur nennt.“ 119 Vgl. Anm. 85.
76
Individuation fehlt als naturae communes gelten lassen: Vom ens, der für jede
Bestimmung offenen reinen Möglichkeit120, bis hin zu der species specialissima,
alles ist natura communis, sprich inhaltlich formale Bestimmung, die vom
Verstand begrifflich erfasst werden kann121.
Im real existierenden Ding wie auch in der reinen Möglichkeit ist die natura
communis das, was sich dem Verstand als zu Begreifendes anbietet, als das
obiectum intellectus122. Scotus sagt es mit den Worten des Aristoteles: sie ist das
quod quid est, das durch die Definition zum Ausdruck gebracht wird. Es hieße
jedoch, den Doctor subtilis zu verkennen, würde man aus dieser Korrelation
zwischen natura communis und Intellekt eine Abhängigkeit der Ersteren vom
Letzteren ableiten. Er wird nicht müde, der natura communis aus sich selbst
heraus ontologische Dichte zuzusprechen und will diese weder auf dem verum
esse reale noch auf dem esse obiective oder intelligibile fußen lassen. Das wird
besonders sichtbar, wenn Scotus mit großem Aufwand die Frage der Einheit der
Natur klärt.
3.2.2.3 Die Einheit der Natur
Die erste Quästion des hier bearbeiteten Textsegments beantwortet die
Frage „utrum substantia materialis ex se sive ex natura sua sit individua vel
120 Vgl. L. HONNEFELDER, Scientia transcendens, 11-22: Die Zurückführung des
„Seienden“ auf seine Möglichkeit. Vgl. auch DERS., Johannes Duns Scotus, 75-81: Seiendheit und Möglichkeit.
121 An dieser Stelle muss präzisiert werden, dass nicht alle Bausteine der species specialissima für sich genommen als natura communis gelten können. Die differentiae ultimae, die ein reines quale darstellen, sind keine Wesenheiten. Die Natur ist immer ein quid.
122 Hier macht sich eine Differenzierung notwendig: Die natura ist Gegenstand des begrifflichen Erkennens (cognitio abstractiva) des Verstandes, der jedoch noch über ein anderes Register verfügt: die cognitio intuitiva. Dieses schauende Erkennen erfasst auch das Singuläre als solches, also die Individualität, die eben jenseits der inhaltlichen Bestimmung der natura liegt. Hierzu siehe man R. MESSNER, Schauendes und begriffliches Erkennen nach Duns Scotus: mit kritischer Gegenüberstellung zur Erkenntnislehre von Kant und Aristoteles, Herder, Freiburg 1942 und, jüngeren Datums, nach Erscheinung der kritischen Ausgabe: M. CHABADA , Cognitio intuitiva et abstractiva: die ontologischen Implikationen der Erkenntnislehre des Johannes Duns Scotus mit Gegenüberstellung zu Aristoteles und I. Kant, Kühlen, Mönchengladbach 2005.
77
singularis“123. Es ist die ausführlichste der sieben Quästionen und liefert uns
wichtige Erkenntnisse über die Natur. Scotus untersucht die Einheit der Natur und
qualifiziert diese vierfach: Sie ist propria, realis, sufficiens und minor. Diese
Attribute sollen hier kurz untersucht werden.
Die Natur hat eine ihr eigene Einheit (propria unitas). Diese Aussage ist
zunächst im Zusammenhang der Fragestellung zu verstehen. Auf der Suche nach
der Ursache jener Einheit, die das Individuum auszeichnet, nämlich die unitas
singularitatis oder numeralis, macht Scotus deutlich, dass diese Einheit der Natur
eben nicht von sich aus eignet. So stellt sich von selbst die Frage, ob sie dann
überhaupt eine Einheit besitzt. Oder besser: Wenn wir die Natur begrifflich
erfassen und sie im Sprechen ausdrücken können, wenn sie als sie selbst und von
den anderen verschieden vor uns steht, dann muss sie eine Einheit haben. Wenn
aber nicht die numerische Einheit, die ihr nur durch Hinzutreten einer anderen
Entität eignet, dann wohl eine eigene Einheit, propria unitas.
Wie steht diese Einheit nun zu der Natur, der sie eigen ist? Zuerst ist
festzuhalten, dass die Einheit der Natur sich nicht mit der Natur selber vermischt.
Sie gehört zur Natur, ist aber nicht Teil der Natur. Das macht Scotus an einer der
oben untersuchten Stellen deutlich124. In Anlehnung an den häufig zitierten
Ausspruch des Avicenna zeigt Scotus, dass die Natur des Pferdes als solche nur
Natur des Pferdes ist und nichts anderes. Die Einheit, die dieser Natur
eigentümlich (propria) ist, gehört nicht zu ihrem Inhalt oder Begriff, ist nicht
intra rationem naturae. Sie gehört zu ihr wie eine propria passio, ein
wesentliches Merkmal. Gemäß der Prädikabilienlehre des Porphyrios, ist dieses
Proprium, hier die Einheit, nicht Teil des Wesens, sondern ein Merkmal, das dem
Wesen immer folgt. Scotus präzisiert: sie folgt dem Wesen secundum entitatem
suam primam125. Damit verweist er darauf, dass es sich hier um die Natur
sozusagen in ihrem „reinen Zustand“ handelt, nur in sich genommen, gleichsam
vor jedweder Verbindung mit anderen Prinzipien, wie denen, die Singularität oder
Universalität verursachen. In diesem Zustand folgt der Natur aus sich heraus ein
123 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, ed. Vat. VII, 391. 124 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 34, ed. Vat. VII, 404f. Siehe Anm. 54. 125 Ebd.
78
Grad der Einheit als wesentliches Merkmal, der geringer ist als die numerische
Einheit.
Wir sind nun berechtigt, zweierlei zu fragen. Erstens: Ist die Einheit
wirklich ein wesentliches Merkmal oder Proprium, im strengen Sinne? Zweitens:
Warum folgt der Natur, als Natur, die Einheit?
Nach Aristoteles erfüllt ein wesentliches Merkmal drei Bedingungen: es
sagt nichts über den Inhalt (das Was) des Wesens aus, es ist nur diesem Wesen
eigentümlich und ist mit ihm konvertibel126. In der Unterteilung des Proprium in
der Isagoge des Porphyrios werden verschiedene Arten unterschieden127. Im
strengen Sinn (dem vierten in der Aufzählung) ist das Proprium das, was nur den
Individuen einer bestimmten Art zukommt, was allen Individuen der Art
ausnahmslos zukommt und was ihnen immer zukommt (zusammengefasst in der
lapidaren Formel soli et omni et semper). Vom Gesichtspunkt der Prädikation aus
gesehen, wird das Proprium von seinem Subjekt per se secundo modo ausgesagt,
das Subjekt ist also Teil der Definition des Attributes128. Ist nun die unitas ein
wesentliches Merkmal der Natur?
Scotus wählt den Ausdruck quasi passio129, um die Beziehung zwischen
Einheit und Natur zu charakterisieren. Es handelt sich also nicht um ein
126 Vgl. ARISTOTELES, Topica, 102a 18-19: „Proprium autem est quod non indicat
quidem quid est esse, soli autem inest, et conversim praedicatur de re.“ Aristoteles Latinus, I-III, 10.
127 BOETHIUS, Porphyrii Isagoge translatio, 12, 12-22: „Proprium vero quadrifariam dividunt. Nam et id quod soli alicui speciei accidit, etsi non omni (ut homini medicum esse vel geometrem), et quod omni accidit, etsi non soli (quemadmodum homini esse bipedem), et quod soli et omni et aliquando (ut homini in senectute canescere), quartum vero in quo concurrit et soli et omni et semper (quemadmodum homini esse risibile; nam, etsi non ridet, tamen risibile dicitur, non quod iam rideat, sed quod aptus natus sit; hoc autem ei semper est naturale; et equo hinnibile). Haec autem proprie dominanter propria perhibent, quoniam etiam convertuntur; quicquid enim equus, et hinnibile, et quicquid hinnibile, equus.“
128 Die Lehre des Aristoteles (Analytica Posteriora I, 4-6) über die wesentliche Prädikation wird von Thomas von Aquin aufgegriffen und systematisch kommentiert. Vgl. THOMAS V. AQUIN, Expositio Libri Posteriorum, lib. 1, lec. 10, n. 4, ed. Leon. I, 39: „Secundus modus dicendi per se est, quando haec praepositio per designat habitudinem causae materialis, prout scilicet id, cui aliquid attribuitur, est propria materia et proprium subiectum ipsius.“
129 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 128, ed. Vat. VII, 456f. Siehe Anm. 76.
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wesentliches Merkmal im strengen Sinne, wie die Fähigkeit zu lachen, die nur
dem Menschen und jedem Menschen zukommt, und das zu jeder Zeit. Im strengen
Sinne kann nur bei einer Art (species) von wesentlichen Merkmalen die Rede
sein. Die Natur entspricht zwar häufig einer Art (wie in dem Beispiel der Natur
des Pferdes), steht hier aber nicht für eine konkrete Art, sondern wird in communi
behandelt. Desweiteren müsste die Einheit, um ein wesentliches Merkmal stricte
dictu sein zu können, notwendig der quiditas, dem positiv bestimmten Inhalt des
Wesens, entspringen. Dass dem nicht so ist, erhellt aus folgender Anmerkung:
„unitas […] necessario consequatur illam entitatem (sicut et omne ens, secundum
quamcumque entitatem, consequitur sua unitas)”130. Die Einheit folgt dieser
Entität, mit der die Natur gemeint ist, wie auch jedem Seienden seine Einheit
folgt. Die Einheit, mit der wir es hier zu tun haben, ist also die, die dem Seienden
folgt. Der Natur folgt also ihr eigener Einheitsgrad, weil sie ein Seiendes ist. Das
zwingt uns, die Verbindung zwischen Sein und Einheit kurz zu erörtern.
Den von Aristoteles vorgezeichneten Wegen folgend131 befasst sich die
Metaphysik des Johannes Duns Scotus mit dem „Seienden als solchem und allem,
was ihm folgt”132. Damit ist der Bereich der Transzendentalität abgesteckt, der
den Gegenstand der Metaphysik des Scotus darstellt. Diese wird damit zu einer
scientia transcendens, die sich mit dem befasst, was jenseits der kategorialen
Kontraktion liegt, sie gleichsam übersteigt133. Zu den quaecumque sequuntur ens
gehören die perfectiones simplices und die passiones entis, die sich in zwei
Gruppen unterteilen: die passiones convertibiles und die passiones disiunctae134.
Die Letzteren sind jeweils Paare von Merkmalen, die sich gegenseitig
ausschließen und von denen jedem Seienden jeweils eines zukommt (jedes
Seiende ist zum Beispiel endweder endlich oder unendlich). Die passiones
130 Ebd. 131 Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik, IV, 1, 1003a 20-21, H. Bonitz (Übers.), Rohwolt,
Hamburg 20106: „Es gibt eine Wissenschaft, welche das Seiende als solches untersucht und das demselben an sich Zukommende.“
132 Vgl. Met., Prol., nn. 16-20, OPh. III, 7ff.: „Ens inquantum ens et quaecumque sequuntur.“ Zitiert in: L. HONNEFELDER, Johannes Duns Scotus, 51f.
133 Vgl. das Werk von L. HONNEFELDER, Scientia transcendens, insbesondere XIVf. 134 Zum Thema der Transzendentalien in Duns Scotus ist nach wie vor maßgebend
A.B. WOLTER, The Transcendentals and their Function in the Metaphysics of Duns Scotus, The Franciscan Institute, St. Bonaventure NY 1946.
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convertibiles sind Merkmale, die mit dem Seienden koextensiv sind: Wovon auch
immer das ens ausgesagt werden kann, von dem können auch die passiones
convertibiles ausgesagt werden135. Hier finden wir die drei Attribute wieder, die
Philipp der Kanzler in seiner Summa de bono als primae notiones bezeichnet
hatte136, und die das späte Mittelalter nach Scotus Transzendentalien genannt hat:
unum, verum und bonum. Doch was genau ist die Bedeutung des tranzendentalen
Attributes unum?
„Unum est in se indivisum, et ab alio divisum.“137 Was eins ist, ist in sich
ungeteilt und von dem Anderen geteilt (getrennt, verschieden). Wenn diese
Einheit von einem Einzelding ausgesagt wird, handelt es sich um die numerische
Einheit oder Singularität. Wenn es jedoch von der Natur ausgesagt wird, dann
handelt es sich um die besagte geringere Einheit. So wie das Einzelding oder
Individuum in sich nicht geteilt ist und von jedem anderen Individuum
verschieden ist, so ist auch die Natur in sich ungeteilt und von den anderen
Naturen verschieden.
Die Natur hat also ihre eigene Einheit, die ihr folgt insofern sie eine Entität
ist. Um klären zu können, was für eine Art von Entität die Natur darstellt, müssen
zuvor einige Überlegungen zu einem weiteren Attribut der Einheit angestellt
werden: Die Einheit der Natur ist wirklich (realis). Wenn die Einheit der Natur
gleichsam ihre Greifbarkeit besagt, ihr in-sich-Stehen und Verschiedensein, dann
besagt das beigestellte realis, dass diese Einheit nicht allein der Tätigkeit des
menschlichen Verstandes zu verdanken ist. Ist die Einheit real, dann ist es auch
die Natur. Scotus verweilt über eine lange Strecke bei dieser Frage und an der
Länge seiner Begründungen meint man, ablesen zu können, wie wichtig es ihm
135 Vgl. A.B. WOLTER, The Transcendentals and…, 100 f.: „They are said to be
convertible with being, not in the sense that they are formally identical, but in the sense that ‚whatever is a being is good, and vice versa‘. [Anm.: Philip the Chancelor, Summa de bono, q. 1, f. 1vb (quoted from H. Pouillon, op. cit. p. 50): Bonum et ens convertuntur quia quidquid est ens est bonum et e converso.] Or to put it in the language of Scotus, of whatever being is predicable in quid, truth, unity, and goodness are predicable in quale.“
136 Vgl. hierzu N. WICKI , Die Philosophie Philipps des Kanzlers, Academic Press Fribourg, Fribourg 2005, 29-53.
137 Ord. IV, d. 6, q. 1, n. 4; ed. Vivès XVI, 532a zitiert in A.B. WOLTER, The Transcendentals and…, 103.
81
ist, in dieser Angelegenheit absolute Klarheit zu schaffen. Wenn die Einheit der
Natur, die geringer ist als die numerische, nicht real ist, dann gibt es gar keine
reale Einheit, die geringer ist als die numerische138. Anders ausgedrückt: wenn die
Einheit der Natur nicht real ist, ist jede reale Einheit sogleich numerisch und
damit alles, was wirklich ist, singulär. Spiegelverkehrt ist dann alles, was nicht
singulär ist (wie zum Beispiel die universalen Begriffe des Verstandes), nicht real.
Mit diesem Schluss wären wir bei einem reinen Nominalismus angekommen, wie
ihn, lange vor Scotus, Antisthenes von Athen und, kurz nach ihm, Wilhelm von
Ockham mutatis mutandis vertreten. Es zeigt sich hier, wie eng die Frage nach
Einheit und Seinsgehalt der Natur mit der Frage nach der Realität unserer
universalen Begriffe verquickt ist.
Doch auch hier wird sichtbar, wie bereits angesprochen139, dass Scotus nicht
versucht, die Realität der Natur und ihrer Einheit direkt zu beweisen. Er geht
vielmehr von ihr aus und sucht, sie zu deklarieren. Das tut er anhand von
mehreren Wegen, die an dieser Stelle nach zu zeichnen, nicht unsere Aufgabe ist.
Allen gemeinsam ist ein Vorgang oder eine Beziehung, an deren Realität kein
Zweifel zu hegen ist und die eine Form der Einheit voraussetzt, die nicht
numerisch sein kann140. Die gegenteilige Behauptung wird ad absurdum reduziert
und die Wirklichkeit der Einheit der Natur, und damit der Natur, auf diesem Wege
indirekt bewiesen. Die Natur hat also eine eigene (propria) und wirkliche (realis)
Einheit.
138 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 10, ed. Vat. VII, 395: „Probatio minoris: quia si
nulla est ‚unitas realis‘ naturae, minor singularitate, et omnis unitas ‚alia ab unitate singularitatis et naturae specificae‘ est minor unitate reali, – igitur nulla erit ‚unitas realis‘ minor unitate numerali; consequens falsum, sicut probabo quinque vel sex viis; igitur etc.“ „Beweis des Untersatzes: Wenn es keine reale Einheit der Natur gibt, die geringer ist als die Singularität und jede Einheit, ‚die von der Einheit der Singularität und [der Einheit] der spezifischen Natur verschieden ist‘, geringer ist als die reale Einheit, – dann wird keine ‚reale Einheit‘ geringer als die numerische Einheit sein; die Folgerung ist falsch, wie ich anhand von fünf oder sechs Wegen zeigen werde; also usw.“
139 Vgl. Anm. 104. 140 Beweise in Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, ed. Vat. VII, 391-410. Hier stichwortartig die
Bereiche, denen die Beweise entnommen sind: nn. 11-15 (396f.): Messvorgang; nn. 16-17 (397f.): Vergleich innerhalb der Art; n. 18 (398): Beziehung der Ähnlichkeit; n. 19 (398f.): Beziehung der Gegensätzlichkeit; nn. 20-22 (399f.): Einheit des Gegenstandes der Sinne; nn. 23-27 (400f.): Verschiedenheit; n.28 (401f.): Einheit von Zeuger und Gezeugtem im univoken Zeugungsprozess.
82
Des Weiteren ist zu beachten, dass Scotus die Einheit der Natur als
„geringer“ bezeichnet. Das tut er so häufig, dass er diese Einheit oft lapidar unitas
minor nennt, voraussetzend, dass sein Leser weiß, dass es sich um die Einheit der
Natur handelt. So drängt sich die Frage auf, was denn der Bezugspunkt dieser
Aussage sei. Die Einheit der Natur ist geringer, aber geringer als was? Wie bereits
mehrfach in Textanalyse und Kommentar sichtbar geworden ist, ist die Einheit der
Natur geringer als jener Grad der Einheit, der der Singularität des Individuums
entspricht. Es ist wohl an dieser Stelle nicht nötig, noch einmal gründlich darauf
einzugehen. Lediglich eine Beobachtung: Hier zeigt sich interessanterweise der
Realismus, der bei aller spekulativen Gewalt des scotischen Werkes doch der
Ausgangs- und Bezugspunkt unseres Denkers bleibt. Das uns allgemein Vertraute
ist das Einzelding der alltäglichen Erfahrung, mit seiner Individualität, die es uns
als Ganzes und von jedem anderen Verschiedenes erfahren lässt. Die subtiler
bestimmte Einheit der Natur charakterisiert Scotus auf dem Hintergrund dieser
unmittelbar zugänglichen und erfahrbaren Einheit des Individuums. Das aus der
unmittelbaren und sinnlichen Erfahrung Bekannte gibt den Maßstab für die aus
der Reflexion gewonnen Begriffe.
Das letzte zu untersuchende Attribut (sufficiens) ergänzt das
vorausgegangene: die Einheit der Natur ist geringer (als die numerische…) aber
ausreichend. Und wieder stellt sich von selber eine Frage: ausreichend wozu? Der
Kontext, in dem der Begriff fällt, gibt Aufschluss: Wenn die Natur eine eigene
Einheit hat, die geringer ist als die numerische, dann hat sie die numerische nicht
von sich aus, eben weil die geringere ausreicht. In anderen Worten: Die Natur
braucht eine Einheit und die geringere ist ausreichend. Scotus liefert uns beiläufig
den Schlüssel zum rechten Verständnis dieser Notwendigkeit. Redet er in einem
Satz noch von „unitas realis, propria et sufficiens“, so lesen wir im nächsten Satz:
„unitas propria, realis sive sufficiens“141. Die Attribute „ausreichend“ und „real“
gehören zueinander. Wenn nicht von einer Tautologie auszugehen ist, in der die
beiden Begriffe sich schlichtweg überschneiden, ist das Ganze wohl so zu
verstehen: Bezeichnet Scotus die Einheit der Natur als realis, so tut er es, um zu
141 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 8, ed. Vat. VII, 395.
83
unterstreichen, dass die Einheit (und mit ihr die Natur) nicht erst dem Wirken des
Verstandes entspringt, kein reines Gedankenkonstrukt ist. Bezeichnet er sie als
sufficiens, so gibt er zu verstehen, dass etwas nicht ein Individuum sein muss, um
real zu sein. Metaphysische Instanzen wie die Natur, sind ausreichend eins, um als
seiend betrachtet zu werden.
Die verschiedenen Überlegungen zeigen, dass für Scotus die Natur durchaus
ein ens ist. Wie die Lehre der Transzendentalien zeigt, stehen Sein und Einheit in
einer gewissen Korrelation zu einander142. Wenn etwas ist (ens), so ist es auch
verum, bonum und eben, wie hier, unum. Nur ist wohl daraus zu schließen, dass,
wenn die Einheit der Natur geringer ist als die des Individuums, auch der
Seinsgehalt der Natur geringer ist als der des Individuums. Die Natur ist also ein
ens, jedoch weniger als das Individuum. In Anlehnung an die unitas minor
könnten wir von einem ens minus sprechen143.
Was hier sichtbar wird, ist von außerordentlicher Bedeutung für den
weiteren Verlauf der Ideengeschichte. Vor Scotus wird die Korrelation zwischen
Sein und Einheit meist von der Seite des Seins aus gedacht. Die Analyse unseres
Themas zeigt, dass bei Scotus der Umkehrschluss an Gewicht gewinnt und
vielleicht sogar im Vordergrund steht: Ist etwas unum, so ist es ens. In anderen
Worten: Kann etwas gedacht werden, so hat es auch Seinsgehalt144. Hierin liegt
eine der wichtigsten Spuren des Scotus in der Geschichte philosophischen
Denkens: die Tendenz, alles, was vom Verstand für sich und von anderem
getrennt gedacht werden kann, ein ens werden zu lassen. Die reine Lehre der
distinctio formalis wird ihren subtilen Erfinder kaum überleben. Nach ihm wird
sie immer mehr der distinctio realis angeglichen, die verschiedenen formalitates
immer mehr zu entia. Mangelnde Subtilität seiner Nachfolger oder vielmehr
natürliche Entwicklung einer bereits veranlagten Tendenz? Ein abschließendendes
142 Vgl. Met., VII, q. 13, n. 131, OPh. IV, 264 : „Cuicumque enim gradui reali entitatis correspondet realis unitas.“
143 An anderer Stelle spricht Scotus von den göttlichen Ideen als einem ens diminutum. Vgl. E. GILSON, Juan Duns Escoto, 293.
144 Und wieder möchten wir auf die platonische forma mentis des Schotten hinweisen, die hier sichtbar wird. In gewisser Weise legt Scotus dem Sein das Denken zu Grunde und darf damit als Vorläufer der Moderne gelten. Vgl. C. FABRO, La prima riforma della dialettica hegeliana, Verbo Incarnato, Segni 2004, 238-239.
84
Urteil würde eine weit gründlichere Untersuchung verlangen. Nur so viel sei
gesagt: wird nach Scotus die Realität wie ein Blatt Papier in zahllose Teile
zerrissen, so entspricht das sicher nicht seinem Ansinnen, aber die Falzlinien
stammen dennoch von unserem schottischen Minderbruder.
Ein anderes sei angemerkt: Der Weg zur Bestimmung der Natur, wie auch
zur Bestimmung des ens als Grundlage jeder Natur, führt bei Scotus zunächst über
die Verneinung. Das ens, was am Ende dieses Weges auf den Denker wartet, ist
die erste Bestimmung ohne jede Bestimmung, ein ens, das die reine Möglichkeit
einer res besagt. So ist das scotische ens in seiner Bestimmung dem Nichts
verpflichtet, gegen welches es Scotus abgrenzen muss, um es zu determinieren145.
Das Betrachten der Natur in sich, im aufmerksamen Hören auf den Wortlaut
des Scotus, hat bereits zahlreiche Erkenntnisse hinsichtlich der natura communis
freigelegt. Zur Vervollständigung dieses Bildes sei nun noch ein synthetischer
Blick auf die Natur in den anderen beiden „Zuständen“ geworfen. Zunächst die
Natur im Ding.
3.3 Die Natur im Ding
3.3.1 Die Natur im Individuum
Die Dinge, die uns in der Sinnenerfahrung begegnen, sind allesamt
Individuen. Von anderen Dingen, wenn es sie denn gibt, haben wir keine
Erfahrung – wenigstens pro statu istu. Wie aber bereits erläutert, ist unser
intellektueller Zugang zu diesen Dingen stets ein Prozess des Begreifens, ein
Vorgang, der Universelles vom Individuellen losschält und in Begriffe fasst. Was
145 Damit geht Scotus den Weg, der dem des Aquinaten diametral entgegensteht.
Letzter weist zwei grundlegende Wege auf, auf welchen das esse determiniert werden kann: so wie die Potenz durch den Akt oder umgekehrt. Er selbst wählt den zweiten Weg, den der Determination des esse als höchstem Akt durch die Potenz (Vgl. THOMAS V. AQUIN, De Potentia, q. 7, a. 2, ad 9, Marietti, Rom 1965, 192). Scotus hingegen den anderen, auf welchem das ens durch das Hinzufügen von Formen bestimmt wird, die ihm äußerlich sind und folglich dem Nichts entsprechen.
85
wir dabei begreifen, ist die Antwort auf die Frage „quid est?“, der Inhalt der
Definition, kurz die Natur146. Unserer vorausgeschickten Überlegungen
eingedenk, müssen wir als erstes festhalten, dass ausnahmslos alles, was bisher
über die Natur in sich gesagt worden ist, logischerweise auch von der Natur im
Ding, der sie ja bekanntlich vorausgeht, gesagt werden kann. Das sich daraus
ergebende Spiel von Verneinung und Behauptung zeichnet das Bild der Natur im
Ding.
Im Ding ist die Natur determiniert (haec). Sie ist nicht bloß die allgemeine
Natur – sagen wir – eines Steines, sondern sie ist die Natur dieses Steines. Sie ist
also verbunden mit der Singularität dieses Individuums und allen sich daraus
- Zum einen ist die Natur nicht von sich aus (ex se oder de se) determiniert,
weshalb es ihr keineswegs widerstreitet, nicht determiniert zu sein147. Das
Determiniertsein haftet ihr an, bleibt ihr jedoch extrinsisch.
- Zum anderen bleibt die Natur indifferent gegenüber der Singularität, mit
der sie de facto steht. Sie könnte unverändert mit einer anderen stehen148.
Diese Bestimmungen der Natur im Individuum sind von Bedeutung, weil
Scotus daran gelegen ist, ihr wirklichen Seinsgehalt zuzusprechen. Die
gemeinsame Natur im Ding besitzt ein verum esse reale extra animam149. Ein
„geringeres“ Sein, wie bereits gesehen, aber ein Sein, das ihr erlaubt, sich selber
identisch zu bleiben, wenn sie die Gestalt eines Begriffes annimmt. Vom Begriff
unterscheidet sich die Natur im Ding dadurch, dass sie nicht aktuell universal ist,
also nicht wie ein Prädikat von mehreren Individuen ausgesagt werden kann150.
Das reale Sein, das sie besitzt, erlaubt ihr darüber hinaus, wahrhaft mehreren
146 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 32, ed. Vat. VII, 403. 147 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 38, ed. Vat. VII, 407: „Ei de se non repugnat non–
hoc.“ 148 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, nn. 34 und 37, ed. Vat. VII, 404-407. 149 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 34, ed. Vat. VII, 404f. Siehe Anm. 54. 150 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 38, ed. Vat. VII, 407f. Siehe Anm. 57.
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Individuen zugleich gemein zu sein, also wirklich communis zu sein151. Diese
Aussage wird abgegrenzt durch einen negativen Vergleich: Die Natur ist in
creaturis nicht auf die gleiche Art und Weise gemein wie in divinis. Vater, Sohn
und Heiliger Geist haben eine gemeinsame (göttliche) Natur insofern alle drei
Personen derselbe Gott sind. Plato und Sokrates sind nicht derselbe Mensch,
sondern besitzen eine gemeinsame (menschliche) Natur, insofern die menschliche
Natur des Sokrates genauso gut die des Plato sein könnte. Sie steht jeder
bestimmten Individualität indifferent gegenüber, ist gleichsam „austauschbar“.
Zusammenfassend: es gibt eine wahre gemeinsame Natur im Ding, die weder, wie
der Begriff, universal von den Individuen ausgesagt werden kann, noch, wie die
göttliche Natur, in numerischer Einheit mehreren Individuen zugleich gemein
ist152.
Das Ding selber, um dessen Natur es hier geht, nennt Scotus teils res153,
teils individuum154, teils etwas unbestimmter und im Bezug auf Natur und
Individuationsprinzip aliquod tertium155, je nach Blickwinkel. Von der res hält
Scotus fest, dass sie selbstredend nicht von sich aus universal ist156. Wenn er vom
Individuum spricht, weist er darauf hin, dass es ‚per se‘ unum numero ist,
während die Natur nur ‚denominative‘ unum numero ist157. An anderer Stelle
erläutert er, dass Natur und Individuationsprinzip als quasi per se partes zum
Individuum stehen, welches diese beiden Entitäten per identitatem einschließt158.
Das macht das Individuum zu einem compositum aus Natur und Individualität,
wenn auch compositum hier nicht im strengen Sinne als Zusammensetzung zweier
151 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 39, ed. Vat. VII, 408: „In creaturis tamen est aliquod
commune unum unitate reali, minore numerali.” Vgl. Anm. 60. 152 Vgl. G. SONDAG, Duns Scot : la métaphysique de la singularité, Vrin, Paris 2005,
54f. 153 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 42, ed. Vat. VII, 410. 154 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 175, 177 und 189, ed. Vat. VII, 477f., 484f. 155 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 189 und 190, ed. Vat. VII, 484f. 156 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 42, ed. Vat. VII, 410: „Universalitas non convenit rei ex
se.“ 157 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 175, ed. Vat. VII, 477f. 158 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 190, ed. Vat. VII, 485: „Sed tantum alquod tertium –
cuius ambo ista sunt quasi per se partes – includit ambo ista per identitatem.”
87
Dinge genommen wird, sondern zweier Realitäten, die sich wie Potenz und Akt
zueinander verhalten159.
3.3.2 Das Individuationsprinzip
Scotus´ Lehre zum Individuationsprinzip160 stellt nicht den Gegenstand
dieser Arbeit dar. Eine Textstudie und Abhandlung über die Natur kann jedoch
nicht darauf verzichten, die Beziehung zwischen Individuationsprinzip und Natur
zu bedenken.
Ein erstes Element ist bereits im letzten Absatz zur Sprache gekommen: Die
Natur steht dem Individuationsprinzip potenziell gegenüber161. Damit ist zunächst
ausgesagt, dass jede Natur, in sich als reiner Inhalt betrachtet, individuiert werden
kann, es ihr als solcher zusteht, in partes subiectivae geteilt zu werden. Daraus
ergibt sich sodann die Frage, ob durch die Individuation ein Zuwachs an
Vollkommenheit geschieht, ob das Individuum in der metaphysischen Hierarchie
über der Natur steht oder umgekehrt. Auch wenn unser Text sich nicht spezifisch
159 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 189, ed. Vat. VII, 484f. Siehe Anm. 97. 160 Im Folgenden werden wir diesen Ausdruck beibehalten. In unserem Textabschnitt
wir das Gesuchte meist beschrieben, einleitend mit einem id quod oder aliquid. Es ist nicht immer klar, wann Scotus von dem individuierenden aliquid spricht und wann von dessen Folge (der Individualität). Wenn er es direkt benennt, dann tut er es in unserem Segment mit diesen Begriffen: singularitas (Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 42, ed. Vat. VII, 410), individuatio (ebd., q. 2, n. 57, ed. Vat. VII, 416f.), distinctio individualis (ebd., q. 3, n. 65, ed. Vat. VII, 420f.), entitas individui (ebd., q. 6, n. 177, ed. Vat. VII, 478), realitas individui (ebd., q. 6, n. 180, 181 und 182, ed. Vat. VII, 479ff.), entitas individualis (ebd., q. 6, n. 183 und 187, ed. Vat. VII, 481 und 483), entitas singularitatis (ebd., q. 6, n. 188, ed. Vat. VII, 483f.). Auf den gemeinhin bekannten Begriff haecceitas, mit dem für gewöhnlich das von Scotus erdachte Individuationsprinzip bezeichnet wird, verzichten wir hier bewusst, weil er nicht im Urtext der Ordinatio zu finden ist, sondern nur in einer späteren Adnotatio Duns Scoti zu Ord. I, d. 17, p. 2, q. 1, n. 214, ed. Vat. V, 245. Der Begriff kommt hingegen sechs Mal vor in den Parallelstellen der Reportatio Parisiensis, sowie zweimal in den Quaestiones super Metaphysicam. So korrigiert der jüngere Forschungsstand jene Behauptung, gemäß welcher der Begriff haecceitas nicht auf Scotus selber, sondern vielmehr auf seine Schule zurückzuführen sei. Vgl. S.D. DUMONT, „The questions on…“, 217-219.
161 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 189, ed. Vat. VII, 484f.: „Quia illa realitas a qua accipitur differentia specifica, potentialis est respectu illius realitatis a qua accipitur differentia individualis.“
88
dazu äußert162, so weist doch das Verhältnis von Individuellem zu Allgemeinem
nach dem Muster von Akt und Potenz in diese Richtung163. Ganz grundlegend
kann man wenigstens mit Scotus festhalten, dass die Singularität, die sich aus der
Individuation ergibt, etwas zur Natur hinzufügt164, das Individuum folglich reicher
ist als die bloße Natur.
Des Weiteren ist zu bedenken, auf welche Art und Weise Natur und
Individuationsprinzip in Verbindung zu einander treten. Die Art und Weise, in der
Scotus davon spricht, lässt an einen Vorgang denken, in dem es ein Vorher und
ein Nachher gibt. Aus dem bisher Gesagten dürfte klar hervorgehen, dass es sich
hierbei nur um eine Ausdrucksweise handelt, die sich aus unserer abstraktiven
Betrachtungsweise ergibt. Die Natur geht dem Individuum vorauf (prior), jedoch
nicht chronologisch sondern naturaliter165. Das ist zu bedenken, wenn wir nun die
verschiedenen Ausdrücke untersuchen, mit denen Scotus das Verhältnis zwischen
Natur und Individualität beschreibt.
Der wohl neutralste Ausdruck, den Scotus verwendet, ist determinare166.
Damit wird besagt, dass der Prozess der Individuation in einem Schritt vom
Unbestimmten zum Bestimmten besteht, genauer gesagt, vom Bestimmbaren zum
Bestimmten. Es ist ja nicht so, dass die Natur nicht bestimmt wäre. In der Tat ist
sie – im Fall der species specialissima – vollends bestimmt, wenn auch nur auf
der Ebene der Form. Durch das Hinzutreten der letzten realitas specifica erhält
eine Natur ihre vollständige Washeit, die nicht weiter washeitlich spezifiziert
162 Man könnte höchstens folgende Stelle dahingehend auslegen, dass das Individuum
als vollkommen dargestellt wird, was für die Natur, die nur ein Teil des Individuums ist, nicht gilt: „Igitur [unitas in communi] consequitur aliquam entitatem aliam, determinantem istam, et illa faciet unum per se cum entitate naturae, quia ‚totum‘ cuius est haec unitas, perfectum est de se.“ Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 169, ed. Vat. VII, 474f..
163 An anderer Stelle wird Scotus‘ Einstellung diesbezüglich deutlich. Vgl. Rep. Par. I, d. 36, q. 4, n. 25: „De intentione naturae dico, quod intentio naturae in specie sistit, tanquam in perfectiore quam sit genus et sistit in individuo, tanquam in entitate perfectiori et realiori quam sit entitas speciei.” Zitiert in J. KRAUS, Die Lehre des..., 108, Anm. 6. Siehe auch Anm. 88.
164 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 42, ed. Vat. VII, 410: „Oportet quaerere causam singularitatis, quae superaddit aliquid illi naturae cuius est.“
165 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 32, ed. Vat. VII, 403. Siehe Anm. 51. 166 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, ed. Vat. VII, 463: „Utrum substantia materialis sit
individua per aliquam entitatem per se determinantem naturam ad singularitatem.” Vgl. auch q. 1, nn. 34 und 40; q. 6, nn. 147, 169, 180, 188 und 190.
89
werden kann. Sie kann nun als Prädikat von einem Individuum ausgesagt werden.
Dennoch ist sie weiter bestimmbar. Die Bestimmung, die in dem Prozess der
Individuation vonstatten geht, ist jedoch anderweitig beschaffen. Durch sie wird
die Natur subicibile, sie wird befähigt, als Subjekt zu dienen. Nach Scotus steht
die Natur im formellen Sein, das Individuum im materiellen Sein. Das ergibt sich
aus der Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat, die zueinander stehen wie
Materie und Form167.
Wiederholt spricht Scotus davon, dass die Natur vom Individuationsprinzip
zur Singularität „zusammengezogen“ wird168. Dieser metaphorische Ausdruck
steht für die (im Übrigen sehr aristotelische) Betrachtungsweise, dass das
Individuum im Vergleich zur Natur eine Verengung darstellt. Sagt die Natur an
sich noch unbegrenzt viele Möglichkeiten der Verwirklichung aus, so sind diese
Möglichkeiten im Individuum auf eine einzelne beschränkt. Das erscheint als in
sich als schlüssig und nicht zu bestreiten, aber wieder stellt sich die Frage, ob eine
umgekehrte Sichtweise nicht mehr der forma mentis unseres Lehrers entspricht.
Letztere Vermutung scheint uns – nicht nur aufgrund des bereits
Angedeuteten169 – berechtigt zu sein. Zwei Ausdrücke, die Scotus in unserem
Textsegment verwendet, weisen auf einen Zugewinn für die individuierte Natur
hin. Das Individuationsprinzip „tritt zur Natur hinzu“, sagt Scotus zunächst170.
Obschon diese Ausdrucksweise nicht zwingend einen ontologischen Mehrwert
des Individuums im Vergleich zur Natur bedeuten muss, wird doch sichtbar, dass
im Individuum etwas zur Natur hinzugetreten ist, also etwas da ist, was vorher
fehlte. Ein weiterer Ausdruck ist diesbezüglich noch deutlicher: „…singularitas,
quae superaddit aliquid illi naturae cuius est.“171 Hier ist deutlich von einem
167 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 182, ed. Vat. VII, 480f. Siehe Anm. 94. 168 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 34, ed. Vat. VII, 404: „Sed est prior naturaliter ipsa
ratione contrahente ipsam ad singularitatem illam.“ Vgl. auch n. 42 (410) sowie q. 6, nn. 179 und 189 (479).
169 Vgl. Anm. 163. 170 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 128, ed. Vat. VII, 457: „Quidquid sit individuans,
accidit naturae specificae.“ Vgl. auch q.1, n. 34, ed. Vat. VII, 404. 171 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 42, ed. Vat. VII, 410. Vgl. auch q. 4, n. 128 (456f.) und q.
6, nn. 179 und 189 (479).
90
Hinzufügen die Rede. Im Licht dieser beiden Ausdrücke erscheint das Individuum
als das reichere im Vergleich mit der unbestimmten Natur.
Es wurde bereits angesprochen, dass Natur und Individuationsprinzip
gemeinsam vom Individuum beinhaltet werden. Bleibt noch zu fragen wie und in
wiefern sie voneinander verschieden bleiben. Die Antwort lautet: Die beiden
bilden gemeinsam ein Ganzes, das per se eines ist172. Das Individuum ist also kein
zweigliedriges Etwas, zusammengesetzt aus gemeinsamer Natur und eigener
Individualität, sondern ein Ganzes. Dieses seinerseits beinhaltet Natur und
Individualität als zwei formell von einander verschiedene realitates ein und
derselben res173.
Auf ein Letztes sei hingewiesen: Das Individuationsprinzip ist die letzte
Realität eines jeden ens, steht am Ende der coordinatio praedicamentalis174. Doch
Scotus fügt an anderer Stelle hinzu, dass es sich bei diesem ens sowohl um den
Stoff, wie auch um die Form und um das aus beiden Zusammengesetzte handeln
kann175. Damit wird deutlich sichtbar, dass, wie wir bereits mutmaßten, der
Begriff der natura communis ein breites Anwendungsfeld besitzt, auch von den
unbestimmteren Zwischenstufen wie den Gattungen ausgesagt werden kann, von
Stoff und Form, bis hin zum schlechthin unbestimmten ens. Darüber hinaus stellt
sich nun die Frage, ob Scotus in einem Individuum diese verschiedenen
Komponenten als einzeln für sich individuiert betrachtet. Auch wenn der Text
dies nicht letztlich klärt, weist er doch in diese Richtung. Es ist nämlich kaum
davon auszugehen, dass Scotus dem reinem Stoff außerhalb eines konkreten
materiellen Seienden Wirklichkeit zusagen würde, wenigstens nicht im
Allgemeinen und abseits einer göttlichen Disposition de potentia absoluta. Der
individuierte Stoff, von dem hier die Rede ist, kann nur der Stoff innerhalb eines
solchen Seienden sein, was darauf schließen lässt, dass auch die mit dem Stoff
verbundene Form individuiert ist.
172 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, nn. 147 (siehe Anm. 81) und 169 (siehe Anm. 86), ed.
Vat. VII, 465 und 474f. 173 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 188, ed. Vat. VII, 483. Siehe Anm. 96. 174 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 3, n. 63, ed. Vat. VII, 419f. Siehe Anm. 72. 175 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 188, ed. Vat. VII, 483f. Siehe Anm. 96.
91
Nach Abschluss dieser Überlegungen erscheint nun deutlich das Bild der
Natur im Individuum: Sie ist verbunden mit einer Realität (dem
Individuationsprinzip), der gegenüber sie indifferent bleibt, die sie bestimmt und
zu einem Subjekt macht, sie im Bereich der Verwirklichungsmöglichkeiten
einschränkt, sie aber um die Individualität bereichert. Beide bilden gemeinsam ein
Ganzes, bleiben aber formell voneinander verschieden.
Bevor wir uns nun der Natur im Verstand zuwenden, ist eine abschließende
Bemerkung notwendig: Das in diesem Abschnitt zur Natur im Ding Ausgesagte
trifft auch auf die Natur im Phantasma (species sensibilis) zu. Ebenso wie die
Natur im Ding ist die Natur im Phantasma kein aktuell Universales, das von
jedwedem Individuum ausgesagt werden kann. Und gleichermaßen ist sie
indifferent, insofern sie ebenso gut in einem anderen Phantasma sein könnte. Der
einzige Unterschied zu der Natur im Ding, die ein verum esse reale extra animam
besitzt, ist, dass ihr nur ein esse deductum per rationem zukommt176. In anderen
Worten, im Phantasma ist die Natur ebenso mit der Individualität im Verbund wie
im Ding.
3.4 Die Natur im Verstand
Zu diesem Zustand der Natur sind die Aussagen in unserem Text nicht so
zahlreich wie zu den bisher behandelten Themen. Scotus streift das Thema nur,
um zu erhellen, was die natura communis in sich vom Konzept unterscheidet177.
Die nun folgende Zusammenschau beschränkt sich auf die Charakterisierung der
Natur im Verstand und verzichtet auf eine Darlegung der scotischen
Erkenntnistheorie. Wie auch in den vorhergehenden Abschnitten geht der
positiven Beschreibung eine negative voraus.
176 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 38, ed. Vat. VII, 407. Siehe Anm. 57. 177 Siehe hierzu G. SONDAG, „Universel et natura communis dans l’Ordinatio et dans
les Questions sur le Perihermeneias (une brève comparaison)“, in L. HONNEFELDER – R. WOOD – M. DREYER (Hg.), Metaphysics and Ethics, 385-391.
92
Es überrascht nicht, an dieser Stelle erneut feststellen zu müssen, dass die
Universalität, die der Natur im Verstand eignet, also dem Begriff oder Konzept,
ihr nicht von sich aus zukommt – ganz so wie die Individualität der Natur im
Individuum nicht von sich aus zukommt178. Überdies hält Scotus fest, dass die
Universalität sich ähnlich zum Inhalt der Natur verhält wie die Individualität, sie
bleibt nämlich von der Natur verschieden, vermischt sich nicht mit ihr. Auch im
Begriff des Pferdes gilt der avicennische Grundsatz „equinitas non est nisi
equinitas tantum“179. Die Universalität gehört nicht zum Begriff an sich. Sie ist
vielmehr die Art und Weise, in der der Verstand die Natur erfasst. Lapidar
formuliert: Der Verstand begreift in der Weise der Universalität, aber er begreift
nicht die Universalität – wobei man hinzufügen muss: wenigstens nicht beim
ersten Erfassen der Natur. Ein zweites Hinwenden zur Nämlichen enthüllt dann
die Universalität dem Blick des Logikers, der sich den zweiten Intentionen
widmet180.
Dem Parallelismus zwischen Individualität und Universalität folgend, gilt
auch hier, dass die Universalität zur Natur hinzutritt (accidit), und zwar insofern
sie Objekt des Verstandes ist181. Das gibt ihr in diesem Fall ein esse intelligibile
oder, wie es wenig weiter heißt, ein esse obiective182.
Wenn dem Hinzutreten des Individuationsprinzips eine neue Form der
Einheit folgt (die numerische Einheit der Singularität), was gilt dann für die Natur
nach Hinzutreten der Universalität183? Fraglos kann die Einheit der Natur im
178 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 33, ed. Vat. VII, 403: „Ipsa, habens esse in
intellectu, non habet primo ex se universalitatem.“ und n. 34 (404f.): „Et sicut secundum illud esse [Anm.: scil. quod est in intellectu] non est natura de se universalis, sed universalitas accidit illi naturae secundum primam rationem eius, secundum quam est obiectum.“
179 Vgl. Anm. 31. 180 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 33, ed. Vat. VII, 403f. Siehe Anm. 52. Zu der
Beziehung zwischen Metaphysik und Logik vgl. D. DEMANGE, Jean Duns Scot : la théorie du savoir, Vrin, Paris 2007, Kap. 6: Logique et Métaphysique, 261-281.
181 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 34, ed. Vat. VII, 404f. Siehe Anm. 53. 182 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 38, ed. Vat. VII, 407f. Siehe Anm. 57. 183 Das Hinzutreten der Universalität zu der natura communis im Verstand verleiht ihr
einen neuen Modus, den sie nicht von sich aus hatte. Vgl. E. BETTONI, Duns Scoto Filosofo, Vita e Pensiero, Mailand 1966, 152.
93
Verstand nicht die gleiche sein wie die des Individuums184, sonst wäre
absurderweise die Reihe der Individuen aus der Erfahrungswelt unverändert in
den Köpfen der denkenden Subjekte fortgesetzt. Ihre Einheit wird auf zwei
Wegen beschrieben. Sie ist zunächst eine indifferente Einheit, hier nicht im Sinn
der Natur im Allgemeinen (Indifferenz gegenüber der Singularität als solchen
sowie jeder bestimmten Singularität), sondern im Sinne einer Indifferenz, die es
ihr in nächster Potenz erlaubt, von jedwedem Suppositum ausgesagt werden zu
können185. Da es jedoch ein einzelner Begriff ist, der da von vielen Individuen
ausgesagt wird, ist Scotus bereit, die ihm eigene Einheit auch numerisch zu
nennen, ganz wie die des Individuums, nur in dem besagten Sinn, dass dieses in
sich eine Konzept, das von jedem anderen verschieden ist, von mehreren
prädiziert wird186. So handelt es sich natürlich nicht einfach nur um ein weiteres
Individuum, das sich, statt in der Außenwelt, im Verstand des Menschen befinden
würde.
Eine letzte Überlegung: Die Einheit des Individuums (numerische Einheit)
zieht die Unteilbarkeit in weitere Individuen nach sich. Die geringere Einheit der
Natur an sich bedeutet die Unteilbarkeit der Washeit in weitere untergeordnete
Essenzen. Was gilt für die Einheit der Natur im Verstand? Zum einen bedeutet
ihre Einheit die Identität des Begriffes mit sich selbst und seine Unteilbarkeit in
andere Begriffe. Zum anderen erlaubt gerade diese Einheit dem Begriff, in
184 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 40, ed. Vat. VII, 408: „Dupliciter ergo patet
quomodo auctoritas non est contra me: primo, quia loquitur de unitate singularitatis in divinis, – et hoc modo non solum ‚universale creatum‘ non est unum, sed nec ‚commune‘, in creaturis…“ In der Auseinandersetzung mit Johannes Damaszenus besagt Scotus, dass das geschaffene Universale (also der Begriff im Verstand) nicht eins ist mit der Einheit der Singularität wie die gemeinsame Natur der göttlichen Personen. Diese Einheit der Singularität lässt sich ebenfalls von Individuen aussagen.
185 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 37, ed. Vat. VII, 406f.: „Universale in actu est illud quod habet aliquam unitatem indifferentem, secundum quam ipsum idem est in potentia proxima ut dicatur de quolibet supposito.“ Vgl. auch ebd., n. 38 (407f.).
186 Ebd.: „Hoc enim solum est possibile de obiecto eodem numero, actu considerato ab intellectu, – quod quidem ‚ut intellectum‘ habet unitatem etiam numeralem obiecti, secundum quam ipsum idem est praedicabile de omni singulari, dicendo quod ‚hoc est hoc‘.“
94
subjektive Teile geteilt werden zu können, sprich mehrere Individuen, von denen
jedes diesem Begriff entspricht187.
187 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 48, ed. Vat. VII, 412: „Est ergo intellectus
quaestionum de hac materia, quid sit in hoc lapide, per quod ‘sicut per fundamentum proximum’ simpliciter repugnat ei dividi in plura quorum quodlibet sit ipsum, qualis ‘divisio’ est propria toti universali in suas partes subiectivas.” Das Lateinische dividi in plura quorum quodlibet sit ipsum ist schwer ins Deutsche zu übetragen. Damit gemeint ist, dass bspw. der Begriff „Mensch“ in eine Vielzahl geteilt werden kann, von der jedes einzelne Individuum eben „Mensch“ ist. Auf schwer übersetzbare Weise wird dadurch die reale Identität zwischen dem Prädikat und allen seinen möglichen Subjekten zum Ausdruck gebracht.
95
SCHLUSS
Die hinter uns liegende Textstudie hat uns gestattet, mit einiger Genauigkeit
die Lehre von der natura communis nachzuzeichnen, so, wie sie in einem der
letzten Werke des jung verstorbenen Franziskaners sichtbar wird. Sie hat uns
zugleich in die Gedankenwelt des Scotus eingeführt, uns mit seiner Sprache und
darüber hinaus mit seiner Denkart vertraut gemacht. Ein besonderer Charakterzug
dieser Denkart soll hier noch einmal hervorgehoben werden. Wir wollen es ein
„Denken in der Form des tantum“ nennen. Wie Avicenna, der, wenn er das Wesen
des Pferdes denkt, nur das Wesen des Pferdes denkt, so richtet Scotus seinen
denkenden Blick so lange auf einen Gegenstand, bis er ihn aller Fremdkörper
entledigt hat, so dass nur er dasteht, in der größtmöglichen konzeptuellen
Reinheit, von allen anderen noch so nahen und verwandten Elementen losgelöst.
Hier befinden wir uns vor der Eigenschaft, die dem Schotten den Ruf der
Scharfsinnigkeit eingetragen hat, dem Ursprung all jener Unterscheidungen, die es
den unvorbereiteten Leser leicht schwindelig werden lassen. Das ist keineswegs
nur Freude am scholastischen Disput und an unfruchtbaren Distinktionen, es ist
vielmehr die logische Folge einer bewussten Hinwendung zum Denken als
einzigen und notwendigen Zugang zum Sein. Natürlich interessiert Scotus in
erster Linie das real existierende Pferd – schließlich richtet sich die Vorsehung auf
die konkreten Individuen188 – doch weiß er, dass zwischen ihm und dem Pferd
sein sinnliches und begriffliches Erkennen steht. Daher ist sein Ausgangspunkt
das gedachte Pferd, vielseitig wie ein Diamant, an dem eine Seite nur sie selber
und nicht die andere ist. Scotus nimmt jeweils eine davon ins Visier und
unterscheidet sie von allem was nicht sie ist, bis nur sie dasteht. Eine distinctio
rationis ist da nicht ausreichend, der Verstand unterscheidet ja nicht spontan und
willkürlich wie man einer und derselben Sache verschiedene Namen geben kann.
Vielmehr ist es sein Gegenstand, der Begriff, der das Ding repräsentiert, der
verschiedene Inhalte aufweist, die der Verstand als von einander verschieden
erkennt. So ist das eine eben formell nicht das andere. Wenn Scotus also das Pferd
188 Vgl. Rep. Par. I, d. 36, q. 4, n. 25: „Quando enim dicit quod individuum non est de intentione naturae, et tamen providentia divina est primo circa individua, videtur esse contradictio.” zitiert in E. GILSON, Juan Duns Escoto, 303 Anm. 52.
96
denkt, dann erscheint ihm seine Pferdlichkeit nur für sich, als von ihrer
Individualität im Ding, von ihrer Universalität im Begriff und sogar von ihrer ihr
eigenen Einheit als Wesenheit verschieden. Es bleibt am Ende nur die
Pferdlichkeit.
Dieses „Denken in der Form des tantum“ finden wir bei Scotus überall
wieder, so z.B. bei der Bestimmung des ens inquantum ens als Gegenstand der
Metaphysik189. Die Möglichkeit einer Wissenschaft, so wie sie von Aristoteles
definiert wird, ist bedingt durch die Existenz eines Gegenstandes dieser
Wissenschaft, der den gesamten Bereich derselben unter sich sammelt. Will die
prima philosophia, die Metaphysik, den Bereich alles Realen, den Bereich des
Seienden umfassen, so muss ihr Gegenstand univok von allem ausgesagt werden
können, was unter ihn fällt190. Der Gegenstand der Metaphysik, der auch das erste
adäquate Objekt unseres Verstandes ist, muss sowohl von Gott als auch von all
dem ausgesagt werden können, was kein reines Nichts ist. Damit stellt Scotus
bereits die Weichen für das Ergebnis seiner Untersuchung. Er sucht nach einem
Begriff, also im Bereich des Denkens, der diesen Anforderungen entsprechen
kann. Und auch hier folgt er einem Prozess der progressiven Entkleidung, wenn
man so sagen darf, bis er zum ens indifferenter sumptum gelangt. Nach
Ausschluss der realen Existenz, von deren Kontingenz der Gegenstand der
Metaphysik frei bleiben muss, und Zersetzung aller zusammengesetzten Begriffe,
gelangt Scotus zu einem schlechtin einfachen Begriff191, den wir versucht sind,
ens tantum zu nennen. Es ist das schlechthin bestimmbare Seiende, das Ur-quid,
das mit verschiedenen quale-Determinationen in Verbindung tritt, um von ihnen
bestimmt zu werden. Der Weg dorthin führt wieder über die Analyse des
Denkens. Das ens kann gedacht werden, ohne zu wissen, ob es existiert oder
nicht, also ist es von der Existenz verschieden. Es kann gedacht werden, ohne zu
189 Nebenbei erwähnt, aber nicht erläutert, wird die Beziehung zwischen dem ens und
der natura communis in L. IAMMARRONE, Giovanni Duns Scoto: Metafisico e Teologo. Le tematiche fondamentali della sua filosofia e teologia, Miscellanea Franciscana, Rom 1999, 78.
190 Vgl. P. KING, „Scotus on Metaphysics“, in TH. WILLIAMS (Hg.), The Cambridge Companion…, 17f.
191 Vgl. E. GILSON, „Sur la composition de l'être fini“, in De doctrina Ioannis…, II, 194ff.
97
wissen, ob es endlich oder unendlich ist, sprich göttlich oder geschöpflich, ist,
also ist es von seinem Modus verschieden. Auf diesem Wege führt uns Scotus zu
einem ens, dessen ganze Dichte und Selbststand, seine ratitudo, darin besteht,
dass es sein kann (cui non repugnat esse)192. Es darf nicht überraschen, dass für
Scotus ens und res ein und dasselbe bedeuten. Sein Begriff des ens, von Anfang
an als Begriff gesucht und über das Denken gewonnen, liegt in der Linie dessen,
was dem abstraktiven Denken zugänglich ist, nämlich in der Linie des Wesens.
Dieser Begriff des Seienden beschreibt ein nacktes quid, völlig unbestimmt und
einzig Möglichkeit aussagend193. Hier wird sichtbar, dass natura communis und
ens auf demselben Weg des unterscheidenden Betrachtens gewonnen werden, auf
dem die natura communis eine frühere Station, das ens inquantum ens die
Endstation bedeutet. Die Metaphysik, als Wissenschaft des ens inquantum ens,
beschäftigt sich für Scotus nicht mit der Aktualität der Formen, sondern mit den
Formen, die Aktualität besitzten können, nicht mit dem id quod est, wo das
Interesse dem est, also der Aktualität, gilt, sondern mit dem id quod esse potest,
wo das id quod, das Wesen, im Vordergrund steht194. Mit Lackner können wir
sagen, dass die Metaphysik des Scotus eine Wesenswissenschaft ist195.
Werfen wir von der natura communis einen Blick auf den
Kognitionsprozess, so wie Scotus ihn versteht. Die natura communis ist das quod
quid est, das im Verstand zu einem Begriff wird, dem dort die Universalität
eignet, welche, für sich betrachtet, wiederum erst Gegenstand einer zweiten
Intention darstellt. Wie gelangt diese quiditas in den Verstand? Zunächst folgen
wir mit Aristoteles dem Weg über die äußeren und inneren Sinne hin zu der
species sensibilis, die jedoch, weil materiell, nicht auf den rein geistigen Verstand
wirken kann. Vielmehr bringt der Verstand (in dem Scotus zwischen intellectus
agens und intellectus possibilis nur eine distinctio rationis gelten lassen will) in
Gegenwart der species sensibilis die species intelligibilis hervor, deren Form er
192 Vgl. L. HONNEFELDER, „Die Lehre von...“, 661-671. 193 Vgl. A.B. WOLTER, The Transcendentals and…, 68f. 194 Vgl. W. KLUXEN, „Bedeutung und Funktion der Allgemeinbegriffe in
thomistischem und skotistischem Denken“, in De doctrina Ioannis…, II, 240. 195 Vgl. F. LACKNER, „Johannes Duns Scotus und die Wirklichkeit am Rande des
Denkbaren“, in M. CARBAJO NÚÑEZ (Hg.), Giovanni Duns Scoto, I, 6.
98
virtuell bereits in sich beinhaltet. Daraufhin befindet sich der Verstand in der
Gegenwart des Objektes196, nicht des Dinges an sich, das ja pro statu isto ob
seiner Materialität einer Mittlung bedarf, sondern seiner Darstellung in der species
intelligibilis. Und wieder denkt Scotus „in der Form des tantum“, und das in zwei
Instanzen: zuerst indem er die intelligible Repräsentation des Dinges zum
unmittelbaren Objekt des Intellektes macht. Das Gedachte als Gedachtes ist erst
einmal nur Gedachtes, eine dem Verstand gegenwärtige Wesenheit; sie ist dem
Ding, das sie repräsentiert, ähnlich, aber von ihr verschieden. Und hier finden wir
die zweite Instanz des „tantum-Denkens“: So wie die Wesenheit im konkreten
Pferd nur die Wesenheit des Pferdes ist, so auch im Verstand, wo Scotus sie
unterscheidet von dem esse intelligibile oder esse repraesentatum, das sie dort
hat197. In anderen Worten: Im Begriff ist zu unterscheiden zwischen dem Inhalt
(einer abstrahierten natura communis) und dem Träger des Inhaltes, dem realen
Akzidens (Habitus) des Verstandes, in dem dieser Inhalt aufleuchtet198. Man
würde Scotus Unrecht tun, würde man ihm anlasten, er sei Subjektivist und ließe
den Kognitionsprozess gänzlich intra muros des Verstandes ablaufen. Die
Intentionalität des Verstandes richtet sich deutlich auf die res extra, nur ist die
intelligible Zwischeninstanz, die diese Intentionalität vermittelt, von solcher
Dichte, dass sie mehr id quod cognoscitur als id quo cognoscitur zu sein scheint.
Muss es einen noch wundern, dass manche Historiker in Scotus den Vorboten der
Transzendentalität der Moderne sehen199?
Zuletzt noch eine Annäherung an die Exemplarursache der natura
communis: die göttlichen Ideen. Wie zahlreiche Meister des Mittelalters, so setzt
auch Duns Scotus bei Augustinus an, für den die göttlichen Ideen jene ewigen
196 Vgl. O. BOULNOIS, „La présence chez Duns Scot“, in A. SILEO (Hg.), Via Scoti, I,
109-114. 197 Vgl. R. PASNAU, „Cognition“, in TH. WILLIAMS (Hg.), The Cambridge
Companion…, 289. 198 Vgl. R. CROSS, Duns Scotus on God, Ashgate, Hants 2005, 67. Vgl. auch M.
CHABADA , „Epistemologisch-Ontologische Verankerung von objektiven Begriffen nach Johannes Duns Scotus“, in L. HONNEFELDER – H. MÖHLE – A. SPEER – TH. KOBUSCH – S. BULLIDO DEL BARRIO (Hg.), Johannes Duns Scotus 1308-2008..., 242.
199 Zum repräsentationistischen Charakter der Kognition bei Scotus und deren Folgen vgl. O. BOULNOIS, Être et représentation. Une généalogie de la métaphysique moderne à l'époque de Duns Scot (XIIIe-XIVe siècle), PUF, Paris 1999.
99
rationes darstellen, gemäß welchen Gott die Dinge schafft. Für Duns Scotus ist
die göttliche Idee des Steins nichts anderes als der von Gott gedachte Stein, was
bereits eine andere Färbung aufweist als noch bei Augustinus, wo die Idee im
Bezug auf den Schöpfungsakt gesehen wurde. Hier ist sie in erster Linie
Gegenstand des göttlichen Verstandes. Scotus hat es nicht leicht: Er muss an der
absoluten Einfachheit Gottes festhalten, darf sich nicht der verurteilten These der
Erschaffung der Ideen nähern, kann aber zugleich die Ideen in sich selbst nicht als
ontologisches Nichts gelten lassen, wie es nach seinem Empfinden der Fall ist,
wenn man sie nur durch eine distinctio rationis vom göttlichen Verstand
unterscheidet. Beobachten wir in groben Zügen seinen Gedankengang. Gottes
Erkennen seines eigenen Wesens fällt nicht in eins mit seinem Erkennen der
möglichen Essenzen, bspw. des Steines200. So müssen, für Scotus, zwei Momente
unterschieden werden, in denen diese beiden verschiedenen Objekte erkannt
werden. Welchen Seinsgehalt haben nun die Gegenstände göttlichen Erkennens?
Innerhalb der göttlichen Einfachheit kann Scotus kein esse reale zulassen, aber es
erscheint doch deutlich, dass da ein etwas gedacht wird, das in sich kein reines
Nichts sein kann. Scotus spricht der göttlichen Idee ein esse cognitum zu (andere
Bezeichnungen: esse in opinione, esse in intellectu, esse exemplatum, esse
repraesentatum201), das weniger ist als reales Sein, aber mehr als nur esse
rationis202. Der Grund dafür ist leicht einzusehen. Sobald Gott die göttlichen
Ideen im esse intelligibile hervorbringt, besteht eine Beziehung zwischen diesen
und dem göttlichen Verstand. Ist die Beziehung des Gekanntseins real, dann muss
es auch in einer gewissen Weise ihre Grundlage sein. Dieses esse, weiß Scotus,
kann nur im einzigen esse Gottes begründet sein, aber von diesem esse ist noch
einmal verschieden das, was die Idee zu dieser (talis) Idee macht. Auch in der
göttlichen Idee ist die Pferdlichkeit nur Pferdlichkeit, von ihrem esse cognitum als
Idee verschieden, ebenso wie von der Beziehung der Imitation des göttlichen
Wesens. Scotus weigert sich diesbezüglich, die göttlichen Ideen wie Thomas von
Aquin als mögliche Nachahmungsarten der göttlichen Essenz zu sehen. Seiner uns
200 Vgl. C. SOLAGUREN, „Contingencia y creación en la filosofía de Duns Escoto“, in De doctrina Ioannis…, II, 317.
201 Vgl. R. CROSS, Duns Scotus on God, 66. 202 Ord. I, d. 36, q. un., n. 7; t. 1, p. 1174: „debilius esse reali et majus esse rationis“
zitiert in E. GILSON, Juan Duns Escoto, 292 Anm. 23.
100
inzwischen vertrauten Denkweise treu, kann er nicht umhin, zuerst die Idee als
Form stehen zu sehen, als nächstes ihr esse cognitum festzustellen, sie dann von
Gott mit seiner eigenen unendlichen Essenz vergleichen zu lassen und erst dann
die relatio rationis der Nachahmbarkeit gelten zu lassen. So haben wir es bei den
göttlichen Ideen zunächst nur mit möglichen Essenzen zu tun, für die Scotus einen
Hochseilakt riskiert, um ihnen einen eigenen Seinsgrad einzuräumen, ohne sie zu
Geschöpfen werden zu lassen. Von all den möglichen Wesenheiten wählt Gottes
freier Wille einige aus und erschafft sie – positio extra causas einer realen Essenz,
in der, wie wir gesehen haben, alles was von einander verschieden gedacht
werden kann, in irgendeiner Weise von einander verschieden ist. So erscheint bei
Scotus die Autonomie des esse obiectivum gegenüber dem esse reale, eine reine
Gegenständlichkeit, die sich scharf von der realen wie von der gedachten
Gegenständlichkeit abhebt. Der Weg zum ens in diesem Zustand ist führt über
eine Dialektik der Verneinung. Das ist es, was Scotus zu einem Vorboten der
Modernität macht.
Nicht selten wird Scotus auch dargestellt als der Denker, der als erster die
Individualität in ihrer Größe gewürdigt hat und ihrem Mysterium gerecht
geworden ist. Unsere Studie hatte dieses Thema freilich nur indirekt zum
Gegenstand, doch dringt sich uns die Frage auf, ob dem wirklich so ist. Sicherlich
hat das scotische Denken, stets auf der Suche nach reinen Inhalten, die
Individualität als etwas ontologisch und noetisch Irreduktibles herausgeschält.
Aber wie viel ist mit der „entifizierten“ Individualität wirklich gewonnen und
erklärt? Scotus ruft eine entitas herbei, die das Allgemeine zum Individuellen
machen soll, ohne es dabei zu verändern. Damit nimmt die Individualität im
konkret existierenden Ding ihren Sitz in diesem ontologischen Baustein, der sich
den allgemeinen Elementen hinzufügt und ihnen zugleich völlig fremd bleibt. Die
menschliche Natur, gegenwärtig in Sokrates und Plato, ist sich in ihrer zweifachen
Ausgabe als menschliche Natur völlig identisch. Es wäre zu untersuchen, ob
damit nicht eine gewisse Distanz zwischen dem Individuum und seiner Natur
entsteht, die dem Individuum gegenüber gleichgültig und „auswechselbar“ bleibt,
und mit der Distanz auch eine Entfremdung. Sicher muss daran festgehalten
werden, dass Sokrates und Plato beide ganz und gar Mensch sind, aber tut man
101
dem Individuum und seinem Reichtum nicht einen Abbruch, wenn Platos
Menschsein Plato fremd bleibt und genausogut das Menschsein Sokrates‘ sein
könnte? Dieser Frage wäre aufmerksam nachzugehen.
Wie beabsichtigt, hat die vorliegende Studie sich vorwiegend dem Wortlaut
des Doctor subtilis gewidmet. Aus dieser Arbeit ist ein recht genaues Bild der
Lehre von der natura communis hervorgegangen. An diesem Exempel ist sichtbar
geworden, dass das unterscheidende Denken des Scotus von gewaltiger
spekulativer Kraft und rigoroser Präzision ist. Sein Gedankengebäude erscheint
kompakt und kohärent, „terribilis ut castrorum acies ordinata“ (Hld 6,3), keinem
Problem aus dem Weg gehend, mutig und in vollem Bewusstsein neue Wege
beschreitend. Es wundert nicht, dass man im ihm einen Neuerer der Philosophie
und der Theologie, ja sogar einen Epochenwechel gesehen hat. Fest steht, dass
sein Denken zutiefst originell ist. Eine Ursache dieser Originalität glauben wir
darin gefunden zu haben, dass Scotus stets bemüht ist, den gedanklichen Inhalt in
aller Reinheit herauszustellen. Das ist es, was wir das „Denken in der Form des
tantum“ genannt haben.
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