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Die gestohlene Wüste – Blicke in die australische Filmlandschaft

May 14, 2023

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Florian Groß
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Page 1: Die gestohlene Wüste – Blicke in die australische Filmlandschaft

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TODESZONEN

Wüsten aus Sand und Schnee im Film

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P R O I E K T I O N E N

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TODESZONEN

Wüsten aus Sand und Schnee im Film

HerausgegebenvonAnton Escher undThomas Koebner

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Redaktion:Michelle Koch

Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi-bliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // dnb.ddb.deabrufbar.

ISBN 978-3-869 16-005-4

Umschlagentwurf: Thomas ScheerUmschlagabbildung: Vorderseite: Caspar David Friedrich: Das Eismeer (1823124);Rückseite: The English Patient (Der englische Patient, USA/GB 1996), R: AnthonyMinghellaAbbildungsnachweis: DieAbbildungen aufden Seiten 15, 16,20,31, 32,43,44,45,48,59,61, Bf ,85,92,95, l1l , 120, I24,136,l5l,162,165wurdengroßzügigvomBild-archiv der Deutschen Kinemathek, Berlin, zurVerftigung gestellt. Die Abbildung aufS.26 stammt vom Heeresgeschichtlichen Museum, Wien. Bei allen anderen Abbil-dungen handelt es sich um Screenshots von DVD.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver-wertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarfdervorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere fürVervielftiltigungen,Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung undVerarbeitung in elektronischen Systemen.

@ edition text+kritik im Richard BoorbergVerlag GmbH & Co KG,München 2009Levelingstraße 6a, 81673 Münchenwww.etk-muenchen.de

Gesamtherstellung: Laupp & Göbel, Talstraße 14,72147 Nehren

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INHALT

Tho mas Ko eb ne rl Anto n Es cherTodeszonen aus Sand und SchneeEine kurze Einleitung

Gerd BeckerNanookwd,die FolgenDie Mutter derWüstenfilme und ihre Kinder

Thomas KoebnerVerwehte SpurenÜber die Entdeckung polarer Eiswelten

Annette DeekenLand der LeereDie Wüste im Dokumentarfilm

Thomas KeinDie Wüste als ThemenparkWalt Disneys The LiuingDesert

Thomas KoebnerFluchtpunktWüste

Felicitas KeinerOrientalische Landschaft, amerikanischer HeldZur Re- und Dekonstruktion amerikanischer Mythenin Hollywoo d-Wüstenab enteuern

Matthias BauerAntonionis F ilm Zab riskie Pointoder: DieAmbivalenz der Imagination 115

Marcus StigleggerImAngesicht des NichtsDieWüste als Spiegel der Seele in Bruno Dumonts Film

IO

57

97

Twentvnine Palms 133

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6 lnhalt

Stefan ZimmerrnannDie gestohleneWüsteBlicke in die australische Filmlandschaft

Andreas RauscherAm Rande des UniversumsWüstenplaneten im Science-Fiction-Film

Filmverzeichnis

Autorinnen undAutoren

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D I E C E S T O H L E N E W Ü S T E

Blicke in die austral ische Fi lmlandschaft

Einleitung

DieVerbindungvon Film und Geografie spielt eine große Rolle für Fragenund Beobachtungen der Kulturgeografie.r Als lohnend und bislang in derGeografie nur unzureichend untersucht gilt neben der Betrachtung filmi-scher Landschaften2 jene nationaler Kinos. Diese gewähren Einblicke inpolitischeVerhältnisse, nationales Befinden sowie in die Konstruktion vonzugehörigen kollektiven nationalen ldentitäten.3 Dies basiert auch auf derAnnahme, dass Literatur und Kino in ihrer Repräsentation derWelt immerauf eine bereits vermittelte Welt zurückgreifen.a Kino fungiert dabei alseine Art Verstärker bestehender Dispositionen, Vorurteile, Stereotype so-wie als Sprachrohr gesellschaftlicher Normen undWerte.

Nationales Kino ist für Zuschauer durch bestehende Sets an Konventionenund Normen zu erkennen, zum Beispiel durch ein Set an wiederkehren-den Charakteren, einer ikonischen Landschaft, narrativen Elementen, wieetwa Melancholie, Abenteuer oder die Aufbereitung eines nationalenTtaumas.s Nationales Kino steht aber auch für eine autarke Filmindustrie,die sich von anderen Mitbewerbern unterscheidet. In einem soziohistori-schen Kontext repräsentiert Film, auch als nationales Kino, eine Reihekultureller Texte, in denen gesellschaftliche Bewegungen und Ereignisseverfolgt werden können.6 Nationales Kino bezeugt die Verbindungen, diezwischen einem Land, seinen Bewohnern, seiner Gesellschaft und derenfilmischen Repräsentationen bestehen. Nationales Kino vermag abernoch viel mehr: Es lässt tiefe Einblicke in Befindlichkeiten, Sehnsüchteund bestehende nationale Mythen von Gesellschaften zu.7

Film ist nicht nur in der Lage, kulturelle Normen, Attitüden sowie Ideolo-gien zu reflektieren, sondern kann diese auch noch bekräftigen und be-stätigen.8 Filmisch kommunizierte Images sind nicht nur aus geografi-scher Sicht schwierig zu verifizieren und abzugrenzet, sondern spiegelnauch ein äußerst reduziertes und generalisiertes Verständnis wider. Vor-stellungsbilder, die besonders von akademischen und visuellen ICischeesabhängig sind, stellen in ihrer naiven Form der Konzeptionalisierungnützliche Analyseraster zurVerfügung, zum Beispiel wenn es darum geht,standardisierte Erzählweisen herauszuarbeiten und auf diesem Weg Ein-

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blicke in die jeweils vorherrschende Geschichts- und Geografieschreibungzu gewähren.e

Aitken und Zonn kommen zu der Erkenntnis, dass Orte und die damit ver-bundenen Aktionen und Praktiken sowohl von gesellschaftlichen Imagesabhängen als auch von sozialen ldentitäten, die wiederum Aufschlüsseüber kollektive Vorstellungen, auch von Gesellschaften, Iiefern können.l0Schenkt man Baudrillard Glauben, dann lernen sich Gesellschaften erstdurch die Reflektionen einer Kamera kennen, wenngleich diesesWissen inder Regel unreflektiert ist.ri Nationales Kino kann auf dieseWeise auch aufBedürfnisse von Gesellschaften reagieren. t2

Das australische Kino ist sicher vielfältiger und differenzlerter, als diesallgemein bekannt ist. So hat es weitaus mehr zu bieten als CrocodileDundee (Crocodile Dundee - Ein Krokodil zum Küssen, AUS l9BG) und MadMax (AUS 1979), wenngleich die dort beschriebenen Charaktere und diezugehörigen Filme sicherlich einen besonderen Platz in der nationalenKinematografle einnehmen. Die Wüste ist im australischen Kino ein om-nipräsentes narratives Element. Zugleich sinn- und identitätsstiftend, er-möglicht sie Einblicke in die australische Gesellschaft und Kultur, die weitüber den bloßen Filmgenuss hinausreichen. Lindemann und Schmitz-Emans verweisen darauf, dass sich kulturwissenschaftliche Wüstenfor-schung beinahe ausnahmslos in den Religionswissenschaften und derTheologie wiederfindet.13 Die vorliegende Arbeit versucht, andereWege zugehen.

Australiens eigenständige Filmkultur, die über eine ebenso autonomeökonomische Struktur verfligt, erschafft ein nationales Kino, das in derLage zu sein scheint, eine Vereinigung nationaler Repräsentationen zuleisten, obwohl die Gesellschaft äußerst fragmentiert ist und eine beson-ders diffizile und fragile nationale Identität aufüveist.la Das australischeKino wird natürlich nicht nur durch die unverwechselbare Landschaftcharakterisiert, sondern auch durch eine intrinsische narrative Struktur,die zumeist von lakonischen männlichen Protagonisten getragen wird.rsCollins und Davis verweisen darauf, dass ein Gros der australischen Filmeim Bereich der unabhängigen Low-Budget-Produktionen anzusiedelnsei, dies spiegle sich in der naturalistischen Repräsentation und derenBildsprache wider.16 Dennoch: Landschaft als Marker, als Charakteristi-kum für den filmischen Ursprung ist beinahe Alleinstellungsmerkmal fürdas australische Kino, das neben der besonderen Flora auch eine als nichtzur Restwelt gehörige Fauna in zahlreichen Bildern zur Schau stellt. Dazugehört die grandiose Leere undWeite der australischenWüsten und Halb-

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wüsten. Die kollektive Identität, die mittels Landschaft kommuniziert wirdund allen Filmen eigen zu sein scheint, maskiert eine große Bandbreite aninneren Differenzen, möglichen und tatsächlichenWidersprüchen.

Wüste ist zuvorderst ein lebensfeindlicher Raum, ein Handlungsraum, dersich in der metaphorischen Dimension bisweilen in der bewohnten WeltAustraliens befinden kann. Doch die Städte des fünften Kontinents tau-chen in den australischen Filmen immer wieder als Bedrohung auf, dievermeintlich allgegenwärtig ist und naturräumliche Gefahren auf die ur-bane Landschaft überträgt. Geschichten von Abenteurern und Grenzgän-gern bestimmen das australische Kino von Anfang an, von Männern, diesich einer fremden, aber zu bezwingenden Natur entgegenstellen. Diedem australischen Kino eigene Bildsprache kann bis zu den Anfringen derFilmproduktion zurückverfolgt werden. Diese,,Australianness" schlichsich schnell ins Bewrrsstsein heimischer und fremder Kinozuschauer.lTGrundlage für die verbreiteten Bilder war in erster Linie die kolonialeVer-gangenheit, die in alle gesellschaftlichen Belange hineinzuspielen schien:

The images by which Australia is instantly recognized in the world at large are ofmen, of white men, and the establishment and promotion of these images has hadcertain corollaries, both in cultural products and in the life of the country. Amongthese corollaries have been the suppression of the role of women, relegated to thesidelines in most recent Australian films, neglect - in fact and fiction - of the coun-try's Aboriginal population and its history and a playing up the Australian male'sengagement with a demanding natural environment.I8

Der australische Mythos von der Bezwingung und Unterwerfung einerunwirtlichen Natur findet sich von den ersten Filmen bis in die Gegen-wart immer wieder auf den Leinwänden und Bildschirmen. So ist dererste abendfüllende Spielfilm weltweit ein australischer Film: The Story ofthe Kelly Gang (Die Geschichte der Kelly Bande, AIIS 1906). Bezeichnender-weise erzählt er die Geschichte eines australischen Gangsters, der dieaustralische Gesellschaft personifiziert: eine Parabel desWiderstandes ge-gen die englisch-viktorianische Mutternation. Immer wieder taucht NedKelly im australischen Kino und Fernsehen auf und bewegt sich dabeiin der ihm vertrauten Welt des Buschlandes, das aus der Sicht der briti-schen Staatsmacht unwirtlich und lebensfeindlich ist. Aitken und Zonnweisen in PeterWeirs Picn ic at HangingRock exemplarisch die GegensätzeaustralischerWerte und Normen nach, die raue australische Natur auf dereinen und die britische Kultur auf der anderen Seite, dargestellt durch dieSl.rnbolik der engen Mauern imAppleyard College.le

Auch wenn das australische Kino in hohem Maße die eigene Geschichtezum Thema hat, spielen die Ureinwohner zumeist nur als schmückendes,

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geradezu exotisches Beiwerk eine Rolle. Das australische Kino geht langeZeitvon einer terra nullius aus, wenn es um die Repräsentation des Lan-des geht. Aber nicht nur das australische Kino, sondern auch die Kolonial-geschichte des Kontinents wird seit den ersten europäischen Siedlern vonder Annahme einer terra nullius bestimmt.20 Die erzählten Geschichtendes australischen Kinos sind die Geschichten der angelsächsischen undspäter allgemein europäischen Kolonisten, die sich den Kontinent nachihren eigenen Vorstellungen aneignen und als Verfügungsraum mit Zu-schreibungen versehen.

Australische Wüsten

Neben der Antarktis ist Australien der niederschlagsärmste Kontinent derErde. Ungefähr 35 Prozent der australischen Landmasse haben so wenigNiederschlag, dass sie als effektiveWüste verstanden werden, und 70 Pro-zent weisen weniger als 500 Millimeter Niederschlag pro Iahr auf.21 Folg-lich wird hier von ariden bzw. semiariden Gebieten gesprochen. Obschonmehr als 60 Prozent der australischen Bevölkerung in den fünf großenStädten (Sydney, Melbourne, Brisbane, Perth undAdelaide) leben und dieaustralische Gesellschaft in hohem Maße urban ist,22 scheint das kollek-tive Bewusstsein die eigentliche Heimat und ihre nationale Identität inden ,,Bushlands", den Halbwüsten und Wüsten, zu verorten. Streng ge-nommen besteht Australien aus sechs Wüsten, die im Innern des Konti-nents verteilt sind: die Great Sandy, die Tanami, die Gibson, die GroßeVictoria, die Simpson und die Sturt's Stony Desert. Diese ariden Zonen ha-ben keine festen Grenzen, sondern gehen vielmehr als unterschiedlicheTypen ineinander über. Die australischenWüsten und Trockengebiete gel-ten gemeinhin nicht als hlperarid, wie die afrikanische Namib oder die Sa-hara, sondern verftigen über eine vergleichsweise konstante Vegetation.23So gibt es im ariden Australien kein Gebiet, das im langfristigen Mittelweniger als 125 Millimeter Niederschlag pro Jahr auftveist - einWert, denkeine einzige Messstation in der gesamten Sahara verzeichnet.2a Indessenkennzeichnen die ariden Gebiete Australiens die höchste Variabilität so-wie die geringste Voraussagbarkeit von zu erwartenden Niederschlägenweltweit. Diese lebensfeindlichen Bedingungen werden durch die Quali-tät der Böden noch verschlimmert, gehören sie doch zu den dltesten derWelt und fallen besonders durch die fehlenden Nährstoffe Stickstoff undPhosphor auf. Ein besonderes Merkmal australischer Wüsten ist zudemein überraschender Artenreichtum, der Flora und Fauna gleichermaßenauszeichnet.2s Wüsten sind äußerst fragile Ökosysteme, die besondersempfindlich auf exogene Störungen reagieren, weshalb sie sich auch be-

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sonders gut als symbolischer Raum erfassen lassen, da sie nur funktionie-ren, wenn entsprechende Rahmenbedingungen eingehalten werden.

Die Wüsten der Erde spielen in der Vorstellungswelt der Menschen einezentrale Rolle als Topos und Mythenraum. Laut Löffler istWüste nicht gleichWüste,26 so existieren zahlreiche unterschiedliche Definitionen, die auf ver-schiedensten Variablen fußen: Klima, Vegetation und Morphologie als dieklassischen Merkmale, jedoch muss auch vom,,subjektiven,Wüstenmaß-stab' des jeweiligen Autors" die Rede sein.27 In Australien wird der Begriff,,Desert" mit dem Begriff,,Arid Zone" gleichgesetzt, was zur Folge hat, dassman darunter alle Gebiete versteht, die aus klimatischen Gründen nicht fürden Feldbau geeignet sind und somit jenseits der agrarischen Trocken-grenze liegen.z8 Deshalb ist die Wüste in Australien nicht vergleichbar mitden imposanten Ergs Nordafrikas und der arabischen Halbinsel, die dasWahrnehmungsbild der Wüsten in der Popul?irkultur prägen.2e Der Groß-teil des ariden Raums Australiens ftillt in die Kategorie der offenen Strauch-formationen und wird nur umgangssprachlich als Wüste verstanden. Diegeoökologische l(assifizierung ist viel genauer, ausgereifter und zeigt dieSchwierigkeit, global identische Maßstäbe anzulegen.3o Eine mögliche Er-klärung mag darin liegen, dass die vorwiegend britischen Entdecker desflinften Kontinents mehrheitlich den Begriff,,Desert" wählten, um die ari-den Gebiete zu beschreiben.3l Dessen ungeachtet betrachteten die pionieredie Trockengebiete lange Zeit nicht als Wüsten, sondern als zu bezähmen-des und in agrarische Nutzung zu überfuhrendes Land. Wüsten waren in derVorstellung der Siedler Gebiete, die gänzlich vegetationsfrei waren unddurch übermäßige HiIze und fehlenden Niederschlag Leben verhinderten.32

Das Outback, also der Raum jenseits der Ackerbaugrenze, deckt zirkaB0 Prozent des Kontinents ab und derzeit sieht es so aus, als würde dieserriesige Trockenraum noch wachsen.33 Die europäischen Siedler haben mitihrer beispiellosen Inbesitznahme des Kontinents dazu beigetragen, dassdie ursprüngliche Vegetation in der Ackerbauzone nahezu vollständig ver-nichtet wurde, und auch die endemische Tierwelt wurde durch die Siedlerund die eingeschleppten Tiere bedroht, verdrängt und zum Teil ausgerot-tet.34

Das, was der westliche Zuschauer als Wüste wahrnimmt, entspricht letzt-lich dem Raum, der gemeinhin als Outbackbezeichnetwird. Das Outback,,steht als Gegensatz zu dem Begriff der ,settled areas"'.35 Dem Outbackhaftet von jeher ein Hauch von Abenteuer und Romantik an, gilt dabeiauch als männliche Domäne und kann am besten mit dem mythenbela-denen ,,Wilden Westen" Nordamerikas verglichen werden.36 Der lebens-weltliche Umgang mit der Naturlandschaft und derenVerklärung auf emo-

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tionaler Seite ist ein Beleg für die Bedeutung imaginierter Geografien, die

eine weltweite Rezipientenschaft nachhaltig prägt. So verweist Löffler auf

die besondere Stellung dieses Handlungsraums fur die australische Litera-

tur und das nationale Kino und Fernsehen, und er mutmaßt, dass es diese

Medien sind, die das BildAustraliens imAusland prägen.37wüste als land-

schaftlich-geografisches Genrekonstrukt kommt im australischen Kino

besonders in den 1960er und 1970er Jahren zur Geltung'38 Auch in den

Jahren danach ist die Wüste häufig zentraler Handlungsraum, allerdings

mit neuen, erweiterten Aspekten. Die einst so bedeutsame Funktion, eine

kollektive nationale Identität zu befördern, entf?illt zusehends.3e

Die so repräsentierte unbezwingbare Naturwird mythisch aufgeladen und

in den Randbereichen von Australiern bewohnt, die sich immer wieder

auf ihre Geschichte, die der Sträflinge und Pioniere, berufen.ao Ward be-

schreibt diesen Archetyp australischer Männlichkeit sehr treffend: ,,al-

though exaggerated and romanticized (it) has reality, not only because it

is rooted in the nation's past, but because it influences present day ideas

of Australians, (how they) ought ,typically' to behave."al Der Typus des

,,Bushman", wie er auch von zahlreichen Literaten besungen wird, ist über

Jahrzehnte die bestimmende Figur des australischen Kinos. In Filmen wie

Ken G. Halls On Our Selection (AUS 1932), The Shiraleevon Leslie Norman(Kostbare Bürde, GB 1957) oder dem auf einem Gedicht von Banjo Patter-

son basierendenThe Man from Snou.lt Riuer (Snou4t Riuer, AUS 1982) von

George Miller sind es immer die romantisch verklärt dargestellten siedler,

die den nationalen Mythos zu bestimmen scheinen. Der australische Pio-

nier als zentrale Figur bestimmte über Jahre das Bild des australischen

Helden, das nationale Kino stellte eine Hommage an'den aufrechtenVor-

kämpfer einer neu heranwachsenden Nation dar, für den der,,Bush" und

die Wüste die primären Handlungs- und Bewährungsräume waren' In

charles chavels sons of Mathew (Riualen im urwald, AUS 1949) wird die

Handlung zur Beschreibung des nationalen Charakters oder zumindest

zumWunschbild davon.

Zunächst einmal müssen die filmischen Landschaften des australischen

Kinos als Garant fur Authentizität herhalten, allein durch die charakteris-

tische Morphologie und die endemische Tier- und Pflanzenwelt, die ihres-

gleichen sucht.a2 Das Outback gilt zudem als Symbol für den Entdecker-

und Pioniergeist, der fester Bestandteil des kollektiven Bewusstseins der

Australier ist und mit der ihm eigenen Flora und Fauna einen hohen

wiedererkennungs- und schauwert aufweist. Diese Eigenschaften führen

dazu, dass ortsspezifische, emotionale Zuschreibungen, die gemeinhin als

sense of placeverstanden werden, durch das Kino erschaffen werden.a3

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Das australische Kino erzählt immer wieder von Ereignissen, welche dieeigene europäische Vorgeschichte thematisieren und den Siedler als Ge-genspieler der Naturlandschaft sehen. Die Landschaft ist dabei fast aus-nahmslos der visuell und narrativ inszenierte Antagonist. Das australischeKino nimmt, indem es am Pioniermythos und an derAnnahme einer terranullius festhält, den letzten Rückzugsraum der Aborigines in Besitz. Le-bensweltlich ist dies schon lange Gewissheit, denn der europäischstäm-mige Siedler erlebt die Natur immer als Gegenspieler, zu der auch wieder-holt die Aborigines ztihlen. Die Natur droht, die unmittelbare Existenzder Protagonisten zu vernichten. In David Elficks Film No Worries (Landhinter dem Regenbogen,Aus/GB 1994) sind es nicht zu bändigende Sand-stürme, während andere Filme, wie The Squatter's Daughter (AUS 1933)und Sons of Matthew Buschfeuer als Lebensgefahr präsentieren. Wie-derum andere Filme warten mit Naturkatastrophen auf, die als unbere-chenbare Fluten und Hochwasser die Menschen bedrohen, wie in Llerus-

front (AUS 1978) von Phillip Noyce oder in Peter Weirs The Last Waue(Die letzte Flut, AUS 1977). Die gnadenlose Trockenheit derWüste, in derMenschen spurlos verschwinden können, ist als Motiv geradezu inflatio-när genutzt worden. Beispiele hierftir sind John Heyers The Back of Beyond(1954), in dem zwei junge Mädchen verloren gehen, sowie Nicolas RoegsWalkabout (Walkabout-Der Tiaumuom Leben, AIJS/GB 1971), in dem einenglisches Geschwisterpaar in derWüste nur durch die Hilfe eines jungenAborigines überlebt.

David Culpi l i l , Lucien John und Jenny Agutter in Walkabout (Walkabout - Der Traumvom Leben, AUS/CB 1971; R: Nicolas Roeg)

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r 5 0 Stefan Zimmermann

Der Topos des Verirrens scheint der Wüste ohnehin eingeschrieben zu

sein, häufig in Kombination mit einer geradezu pathologischen Angst vor

dem Unbekannten. Dass die absolute Bedrohung irgendwo draußen, im

Unbekannten liegt, belegt das australische Kino immer wieder aufs Neue.

In Colin Egglestons LongWeekend (AUS 1978) reibt sich ein Ehepaar in

der Krise an der Angst vor einer ihm feindlich gegenüberstehenden Natur

auf. Der zunächst einladende Strand, an dem das Paar einWochenendeverbringen will, verwandelt sich zusehends in einen Ort des Grauens und

der ungenannten Bedrohung, die von Tieren und Pflanzen auszugehen

scheint. Am Ende stellt sichjedoch heraus, dass die größte Bedrohung des

Menschen der Mensch selbst ist.

Das Publikum und die Filmindustrie besinnen sich schon früh auf die ei-

gentlichenWurzeln der australischen Gesellschaft, die 150.000 Strafgefan-genen, die den Kontinent als erste Weiße besiedelten.44 Diese Sympathie

wird auch auf die ausgedehnt, die nicht nur als Kriminelle nach Australiengebracht wurden, sondern auch in der neuen Kolonie als Bushranger, also

alsWegelagerer und Straßenräuber ihr Unwesen trieben. Der erste austra-

Iische Nationalheld, Ned Kelly, kämpfte auch symbolisch gegen den er-

klärten Feind, das viktorianische England. Diese Tradition findet sich bis

heute im australischen Kino wieder. Kriminelle werden vom australischen

Publikum geliebt, zum Beispiel in NadiaTass' MaIcoIm (AUS 1986) oder in

David Ceasars Dirty Deeds (AUSi CAN 2002), einem Film, in dem australi-

sche Gangster zu verhindern suchen, dass die amerikanische Mafia ihre

Geschäfte auf den fi.inften Kontinent ausdehnt. Auch diese Filme greifen

auf den Handlungsraum der Wüste, respektive des Outbacks, zurück' Die

Lösung für Probleme findet sich immer wieder in dieser Szenerie. Viel-

leicht ist dieses Bekenntnis der Tatsache zu verdanken, dass sich große

Teile der australischen Gesellschaft auf die eigenen Wurzeln als conuicts,

also als Strafgefangene berufen, weshalb Schurken und Gangster im aus-

tralischen Kino als Identifikationsfiguren dienen. Die Frage, wer die Krimi-

nellen zu Tätern gemacht hat, ist beinahe allen Filmen als Subtext einge-

schrieben. Im Zweifelsfall trifft die Schuld die englische Mutternation, das

starre Regelwerk viktorianischer Moral- und Wertvorstellungen gerät zum

Gegenpol zur australischen Bushranger-Mentalität. In besonders brutaler

Manier schildert The Proposition (AUS/GB 2005) von John Hillcoat den

moralischen Verfall einer unterdrückten Gesellschaft vor eindrucksvollen

Landschaftsdarstellungen.

Es sind immer wieder die kleinen, aber wagemutigen Antihelden, die be-

lohnt werden, weil sie über sich hinauswachsen und Dinge riskieren, die

eigentlich nicht umzusetzen sind. Letztlich wird dieser Mut belohnt. Ihr

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Kampf richtet sich nicht nur gegen die,,alte Gesellschaft", sondern analogauch gegen die eigentlich nicht zu bezähmende Natur selbst. Ein weite-rer Tl,pus findet sich in der Figur des gemeinen Soldaten oder des digger,der den Krieg als großes Abenteuer empfindet, und sich in unterschied-lichstenWüsten auf dem gesamten Globus wiederfindet. Charles ChauvelsFourty Thousand Horsemen (AUS 1941), ,Breaker' Morant (Der FalI desLieutnant Morant, AUS 1979) von Bruce Beresford und Gallipoli (Galli-poli -An die Hölle verreten, AUS 1981) von PeterWeir sind nur einige Bei-spiele. Besonders letztgenannter Film beendete den Hurra-Patriotismus,der anderen Filmen zu eigen ist, und entzauberte den nationalen Mythos,dem britischen Mutterland im ErstenWeltkrieg gedient zu haben - jedoch,

wie sich herausstellt, als verachtetes Kanonenfutter.

Die eigentliche australische Bevölkerung, die Aborigines, fanden erst sehrspät als eigenständige Figuren auf die Leinwand. Bitter Springs (GB/AUS

1950) von Ralph Smart dokumentierte noch die Unvereinbarkeit einesmöglichen Zusammenlebens aller Australier. Australiens erster Farbfilm,

Iedda (AUS 1955) von Charles Chauvel, erlaubte zumindest Einblicke ineine für die meisten Zuschauer völlig fremde welt, nämlich in Problemeder indigenen Bevölkerung - diese Welt ist wiederum ohne den Hand-Iungsraum der Wüste nicht oder nur sehr schwer vorstellbar. Filme wie

The Last Wave (Die letzte FIut, AUS 1977; R: Peter Weir)

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152 Stefan Zimmermann

Jedda, Walkabout, Sunday Too Far Away (AUS 1975) und We of the Neuer

Neuer (Land hinter dem Horizont, AUS 1982) gelten gemeinhin als seriöse

Filme, die einen lebensweltlich korrekten Zugang zum australischen Out-

back und der zugehörigen Darstellung der einheimischen Bevölkerung

eröffnet haben.as Doch Jedda oder Walkabouf sind nach wie vor Ausnah-

men. Das australische Kino hat in der Regel das Outback als homogenen

weiten Raum generalisiert, der keinerleiVariationen aufweist. Dieser my-

thischeVerfügungsraum wurde vom Kino lange Zeit mit,,primitiven" und

nichtausgebildeten Einheimischen bevölkert'

Aktuelle Entwicklungen zeigen mögliche Zukunftsszenarien des australi-

schen Kinos auf: Phillip Noyce in Rabbit-Proof Fence (LongWalk Home,

AUS 2002) oder Rolf de Heer und Peter Djigirr in Ten Canoes (10 Kanus'

150 Speere und 3 Frauen, AUS 2006).46 Auch hier wird die Wüste als Hand-

lungsraum benötigt, um die Geschichten zu transportieren, denn ohne

sie scheint australisches Kino nur schwer vorstellbar zu sein. Das Outback

ist dabei auch immer ein Ort des Stillstands, der fehlenden Entwicklung:

Australian space is constructed as a place of stasis, at worst an empty space, uponwhich the history of genre is simply located, rather than contested, as films aremoved into the zones of the mlthic or the patriotic, the international, or the natio-naIist.aT

Es scheint beinahe, als hätten sich die weißen Australier nie wirklich mit

ihrer neuen Heimat anfreunden können. Lediglich die städte sind ihnen

als Lebensraum geblieben, und welche Gefahren und Abgründe dort

lauern, zeigen Filme wie Romper Stomper (AUS 1992), Dirty Deeds odet

The HardWord(TheAustralianJob,AIJS/GB 2002). Aus den Städten macht

man sich aber dann oftmals filmisch auf denWeg ins Outback, nicht zu-

letzt, weil dies ein Sehnsuchtsort ist, an dem man glaubt, sich selbst

finden zu können. Besonders stimmungsvoll inszeniert wird dies zum Bei-

spiel in Stephan Elliotts The Aduentures of Priscilla, Queen of the Desert(AUS 1994), in dem sich eine dreiköpfige Travestietruppe von Sydney aus

auf den Weg durch die Wüste und letztlich zu sich selbst macht. Hier wer-

den der Wüste eher katalytische Flihigkeiten zugeschrieben: Selbstbesin-

nung als Ergebnis des Aufenthalts in der Wüste gehört zur traditionellen

Definition dieses Ortes.as

Der Landschaftsfilm der 1960er und 1970er Jahre versuchte, den Austra-

Iiern Australien näher zu bringen, während die Filme der 1980er und

1990er Jahre zudem bemüht waren, ein marktkompatibles und vor allem

touristisch nutzbares Bild des fünften Kontinents herzustellen. Betrachtet

man Filme und politische Stimmung der 1970er Jahre, kann man zu dem

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Die gestohlene Wüste 1 5 3

Schluss gelangen, dass die Zuschauer nach zwei Jahrzehnten konservati-ver Regierung und ökonomischer Stagnation immer noch einen einigen-den nationalen Mythos zu benötigen schienen. Da sich im Vorfeld dasLandschaftsgenre für diesen Zweck bewährt hatte, schlug das australischeKino bis in die frühen l980erJahre keine neuenWege ein, sondern hielt amBewährten fest.as Erst später zeichnete sich eine Weiterentwicklung desnationalen Kinos ab, wenngleich noch unter dem primat des Outback undder Wüsten: so in Peter Weirs Frühwerk Picnic at Hanging Rock (picknickamValentinstag, AUS 1975), in dem Internatsschülerinnen auf geheimnis-volle, nie geklärteWeise bei einemAusflug in der als Gegenwelt konzipier-ten Natur des australischen Outback verschwinden, oder in Walkabout,den der Brite Nicolas Roeg in der australischen Wüste inszenierte: Einedramatische Geschichte vom erzwungenen, vorzeitigen Erwachsenwer-den eines weißen Geschwisterpaares und vom Aufeinandertreffen deraustralischen dichotomen Kulturen und Gesellschaftsformen, der Autoch-thonen aufder einen und der europäischen Eindringlinge aufder anderenSeite.

Ein Beispiel neueren Datums für die Besinnung auf das Outback bietet derFiIm Wolf Creek (AUS 2005): Zweijunge Engländerinnen lassen sich voneinem Australier in das Gebiet des Nationalparks Wolf Creek führen. DenAnfang könnte man noch für eine beschwingte Ferienromanze halten, mitSpäßen am abendlichen Lagerfeuer und ersten Annäherungsversuchen

i::lrl,:l:il:al:lj

Picnic at Hanging Rock (Picknick am Valentinstag, A|JS 1975; R: peter Weir)

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1 5 4 Stefan Zimmermann

zwischen den Protagonisten. Bereits die Präsenz einiger Trucker in einer

entlegenen Kneipe im Outback, die das Trio durch obszöne Redensarten

verunsichern, wirft einen Schatten auf das Geschehen. Wenn am Ziel der

Reise zwei Uhren gleichzeitig stehen bleiben, rechnet der Zuschauer noch

mit einem Schrecken der übersinnlichen Art. Doch der Schrecken von

WoIf Creek erweist sich als real. Denn der zunächst behilfliche Australier

Mick, der mit seinem Wagen gerade recht kommt, um das liegengeblie-

bene Auto abzuschleppen, entpuppt sich als perverser Folterer, quasi als

Gegenentwrrrf zum sympathischen ,,Crocodile Dundee", der lange Zeit

der Inbegriff des netten, aber schrägen Tlpen aus dem Outback war.

Der Horrorfilm in dieser Form kann beinahe als eigenständiges australi-

sches Genre betrachtet werden. So bieten Filme wie: Lost Things (AUS

2003; unveröffentlicht), Heauen's Burning (Paradies in Flammen, AUS

1997) oder auch Summer City (AUS 1977) von Christopher Fraser wieder-

kehrende Erzählmuster, die scheinbar typisch geworden sind: Das Grauen

der Leere und des Unbekannten ist dem Grauen vor realer Bedrohung ge-

wichen.

Während der 1970er und frühen 1980er Jahre u'urden Filmemacher durch

die Förderpolitik der Australian Film Commission dazu angehalten, ,,kul-turell verantwortlich" zu handeln, was so zu verstehen war, dass sich das

Bild der australischen Nation und das Bild der Landschaft harmonisch er-gänzen sollten, um gesellschaft liche Akz epranz zu etlangen. 50 Horro rfi lme

durften dementsprechend seinerzeit nicht auf Förderung hoffen.

Später führten das offizielle Eingeständnis begangener Verbrechen und

illegaler Landnahme durch die europäischen Siedler, die der damalige

Premierminister Paul Keating 1992 in seiner Redfern-Rede einräumte, zu

einem langsamen gesellschaftlichen Umdenken. Collins und Davis sehen

darin einen Wendepunkt nationaler Geschichte, der sich auf lange Sicht

im australischen Kino widerspiegeln werde.sl

Ausblick

Letztlich spiegelt die Verwendung der australischen Wüsten im nationa-

len Kino eine Mythogeografie Australiens wider, die ihresgleichen sucht.Versatzstücke unterschiedlichster, zumeist europäischer Zuschreibung,werden mit Anklängen australischer Vorstellungen kombiniert und dem

Publikum als ein auf Dichotomien basierendes Grundraster präsentiert.

Die australischen Städter werden sozusagen mittels des Kinos mit ihrem

Kontinent verbunden. Nur in der Abgrenzung ^)r Naturgewalt scheint

sich so etwas wie ein australisches Selbstverständnis herauszukristallisie-

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Die gestohlene Wüste'I 55

ren. Vielleicht zeigen die erwähnten Filme des australischen Kinos auch,dass es neben den Bemühungen, eine nationale Identität zu schaffen,auch darum geht, dass große Teile des in Besitz genommenen Landes alsunbeherrschbar gelten. Die dort lauernden Gefahren fordern einen Res-pekt ein, der dem Unbekannten und Unbezwingbaren gezollt wird.

Das australische Kino war bisherbestimmt durch seine kolonialeVerfasst-heit, die daraus resultierende Vormachtstellung weißer Männer, die Ab-senz von Frauen - wenngleich die starke, den Naturgewalten trotzendeSiedlerin vereinzelt anzutreffen ist - das Ignorieren der einheimischenaustralischen Bevölkerung und ihrer Geschichte sowie die beständigeAuseinandersetzung der Protagonisten mit ihrer natürlichen Umgebung.

Das australische Kino wird sich angesichts dessen neue zentrale Themenund Orte suchen müssen, steht die Gesellschaft doch seit geraumer Zeitunter dem Einfluss asiatischer Migration, deren geistigeVerfassung, derenTraditionen an die Werte, Mythen und Ideologien europäischer Siedlernicht oder nur bedingt anschlussfähig sind.Welche Rolle dieWüste in die-sem kommenden Kino einnehmen wird, bleibt abzuwarten.

I Vgl. Stuart C. Aitken/Leo E. Zonn (Hrsg.), Place, Powen Situation and Spectacle: AGeography of Film, Totowa, N.I. 199a; Tim Cresswell/Deborah C. Dixon (Hrsg.),Engaging Film: Geographies of Mobility and ldentity, Lanham, Maryland 2002;Chris Lukinbeal/Stefan Zimmermann,,,Film Geography:ANew Subfield", in:Erd-kunde: Archiu fi)r wissenschaftliche Geographie 60 (2006), H.4, S.315-326.

2 Vgl. Anton Escher/Stefan Zimmermann, ,,Geography meets Hollywood - DieRolle der Landschaft im Spielfilm", in: Geographische Zeitschrift Bg (200I), H.4,5.227-236i Chris Lukinbeal,,,Cinematic Landscapes", inl� Journal of Cultural Geo-graphy23 (2005), H. I ,5.3-22.

s Vgl. Alphons Silbermann, ,,Nationale Imagebildung durch den Spielfilm", in:ders., Die Massenmedien und ihre Folgen. Kommunikationswissenschaftliche Stu-dien, Miinchen 1970; Stefan Zimmermann, ,,Landscapes of Heimat in post-warGerman Cinema", in'. The Geography of Cinema - a Cinematic World (= Medin.Geography @ Mainzl),hrsg.vonChris Lukinbeal und ders., Stuttgart 2008, S. 169-180.

a EIla Shohat/Robert Stam, Ilnthinking Eurocentrism: Multuculturalism and theMedia, London- NewYork 1994, S. lB0.

5 Vgl. Felicity Collins/Therese Davis, Australian Cinema afier Mabo, Cambridge2004.

6 Jonathan Rayner, Contemporary Australian Cinema - An Introduction, Manches-ter - NewYork 2000, S.2.

7 Vgl. Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse, Frankfurt/M. 1963.8 Silbermann, ,,Nationale Imagebildung" (s. Anm.3), S. 149.

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Die gestohlene Wüste .l 55

ren. Vielleicht zeigen die erwähnten Filme des australischen Kinos auch,dass es neben den Bemühungen, eine nationale Identität zu schaffen,auch darum geht, dass große Teile des in Besitz genommenen Landes alsunbeherrschbar gelten. Die dort lauernden Gefahren fordern einen Res-pekt ein, der dem Unbekannten und Unbezwingbaren gezollt wird.

Das australische Kino war bisherbestimmt durch seine kolonialeVerfasst-heit, die daraus resultierende Vormachtstellung weißer Männer, die Ab-senz von Frauen - wenngleich die starke, den Naturgewalten trotzendeSiedlerin vereinzelt anzutreffen ist - das Ignorieren der einheimischenaustralischen Bevölkerung und ihrer Geschichte sowie die beständigeAuseinandersetzung der Protagonisten mit ihrer natürlichen Umgebung.

Das australische Kino wird sich angesichts dessen neue zentrale Themenund Orte suchen müssen, steht die Gesellschaft doch seit geraumer Zeitunter dem Einfluss asiatischer Migration, deren geistigeVerfassung, derenTraditionen an die Werte, Mythen und Ideologien europäischer Siedlernicht oder nur bedingt anschlussfähig sind. Welche Rolle die Wüste in die-sem kommenden Kino einnehmen wird, bleibt abzuwarten.

I Vgl. StuartC.Aitken/Leo E.Zonn (Hrsg.), Place,Power,situationandSpectacle:AGeography of Film, Totowa, N.I. 1994; Tim Cresswell/Deborah C. Dixon (Hrsg.),Engaging Film: Geographies of Mobility and ldentity, Lanham, Maryland 2002;ChrisLukinbeal/StefanZimmermann,,,FilmGeography:ANewSubfield", rn:Erd-kunde: Archiu für wissenschaftliche Geographie 60 (2006), H.4, S.315-326.

2 Vgl. Anton Escher/Stefan Zimmermann, ,,Geography meets Hollywood - DieRolle der Landschaft im Spielfilm", in: Geographische Zeitschrift 89 (2001), H. 4,5.227-236; Chris Lukinbeal,,,Cinematic Landscapes", in: Journal of Cultural Geo-graphy23 (2005), H. r,5.3-22.

3 Vgl. Alphons Silbermann, ,,Nationale Imagebildung durch den Spielfilm", in:ders., Die Massenmedien und ihre Folgen. Kommunikationswissenschaftliche Stu-dien, München 1970; Stefan Zimmermann, ,,Landscapes of Heimat in post-warGerman Cinema", in: The Geography of Cinema - a Cinematic World (= Medin.Geography @ Malnz 1), hrsg. von Chris Lukinbeal und ders., Stuttgart 2008, S. 169-180.

4 Ella Shohat/Robert Stam, Unthinking Eurocentrism: Multuculturalism and theMedia,London- NewYork 1994, S. 180.

5 Vg]. Felicity Collins/Therese Davis, Australian Cinema after Mabo, Cambridge2004.

6 fonathan Ralmer, Contemporary Australian Cinema - An Introduction, Manches-ter - NewYork 2000, S.2.

7 Vgl. Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse, FranKurt/M. Ig63.B Silbermann, ,,Nationale Imagebildung" (s. Anm.3), S. 149.

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1 5 6 Stefan Zimmermann

e Vgl. M.I. Clark/W.I.AIIen, ,,Films: Cities via the Screen", in: Geographical Maga-

zine 49 (1977),5.341.t0 Stuart c. Ai&en/Leo E. Zonn, ,,Weir(d) Sex Representation of Gender-Environ-

ment Relations in Peterweir's Picnic at HangingRockand Gallipoli",inl� Enuiron-

ment and Planning D: Society and Space I 1 (1993)' S. 191-212, hier S' 192'1t Vgl. fean Baudrillard, CooI Memories, Paris 1987; Ders., America, London l9BB.r2 VgI. Zmmermann,,,Landscapes of Heimaf' (s. Anm' 3)'t3 Uire Lindemann/Monika Schmitz-Emans (Hrsg.): Was ist eineWikte?: Interdis-

ziplinäre Annäherungen an einen interkulturellenTopos,wirzburg 2000, s. 9- 13'

hier S.9f.ra Vgl. Ralmer, Contemporary Australinn Cinema (s. Anm' 6), S' 2'15 Vgl. Collins / D avis, Aus tralian Cinema (s. Anm. 5)' S. 25 f.10 V!1.RossGibson,,,FormativeLandscapes",in:AustralianCinema,hrsg.vonScott

Murray, St. Leonards 1994' S.45-60.17 Rayner, Contemporary Australian Cinema (s. Anm. 6), S' B'r8 Brian McFarlane, Austalian Cinema 1970-1985, London 1987, S' 4B'le Aitken/Zonn, ,,Weir(d) Sex: Representation" (s. Anm. f 0), S.203.20 Vgl. Inga Clendinnen, Dancingwith Strangers, Melbourne 2003'21 EmstWolfgang Löffler/Reinhold Grotz, Äusffalien, Darmstadt 1995'22 Vgl. Clive Fo rcter, Australian Cities. Continuity and Change,3' Aufl', Oxford 2004'* RID. Halne s, seeking the centre. The Australian Desert in Literature, Art and FiIm,

Cambridge 1998, S.XIV2a Ernst Wolfgang Löffler, ,,Die wüsten Australiens" in: Geographische Rundschau

52 (2000), H.9, S. 10-16, hier S. 10.25 Vgl. Halrres, Seeking the Cente (s. Anm. 23), S' XV26 Vgl. Löffler,,,Die Wüsten Australiens" (s. Anm. 24), S. 10.21 Ebenda.28 Ebenda.2e vgl. Stefan Zimmermann, wüsten, Palmdn und Basare - Die cineastische Geogra-

phie des imaginierten Orients, Inaugural-Dissertation, Mainz 2007'il Vgl. K. Gießner, ,,Die subtropisch-randtropische Trockenzone, globale Verbrei-

tring, innere Differenzierung, geoökologische Tlpisierung und Bewertung"' in:

Geodynamik 9 (1988), S. 135-183'31 Vgl. Löffler,,,Die Wü9ten Australiens" (s. Anm. 24)' S' 16'32 Vä Isaiah Bovr,tnan, ,,The pioneer fringe", in: American Geographical Society

Special Publication 13, NewYork 1931.33 Vgl. Reinhold Grotz, Das Outback Australiens. Problemräume derWelt 13, Köln

1990.34 Vgl.. Löffler/Grotz (s. Anm.21).35 Ebenda, S.372.36 Vgl. Aitken/Zonn, ,,Weir(d) Sex: Representation" (s. Anm' 10)'37 Löffler lGrotz, Australien (s. Anm. 21), S. 373.38 Vgl. Ross Gibson, South of the West: Postcolonialism and the narratiue con-

struction of Australia, Bloomington 1992.3e Vgl. Gibson, ,,Formative Landscapes" (s. Anm. 16).ao G-ertjan Dijkink, National Identity & Geopolitical Visions. Maps of Pride & Pain'

London - NewYork 1996.

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FrI

II

Die gestohlene Wüste 157

a1 RusselWard,TheAustralianIcgend,2.Aufl., Melbourne 1965, S. f f.a2 Vgl. Escher/Zimmermann, ,,Geography meets Hollywood" (s. Anm.2), S.231.43 Lukinbeal, ,,Cinematic Landscapes" (s. Anm. 2), S. 6f.aa Vgl. Robert Htghes, The Fatal Slrore, NewYork 1986.as Vgl. Munay, Australian Cinema (s.Anm. 16); Rayner, Contemporary Australian

Cinema (s.Anm.6).a6 Vgl. Greg McCarthy, Australian Cinema and the Spectres of Post-Colaninlity: Rab-

bit-Proof Fence, Australian Rules, the Tracker and Beneath Clauds (= LondonPapers in Australian Studies B) , London 2004.

a7 Gibson, South of theWest (s. Anm.3B), S.28.aB Vgl. Lindemann/Schmitz-Emans (Hrsg.), Was ist eineWüste? (s. Anm. l3).as VgI. Murray, Australian Cinema (s. Anm. 16).50 VgI. Tom O'Regan, Australian National Cinema,London 1996.51 Vgl. Collins/Davts, Australian Cinema (s. Anm.5).

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Eine der wichtigsten modernen Formen der Aufzeichnung >ande-rer Welten< ist der Film - seit seiner Geburtsstunde ! Die neue Reihe>Projektionen< beschäftigt sich mit Phänomenen der Natur undKultur in ihrem Zusammenhang mit dem Medium Film.

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