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Die Geschichtsschreibung zu den mittelalterlichen geistlichen Ritterorden: Status quaestionis 1 Kristjan Toomaspoeg Seit etwa 25 Jahren sind wir Zeuge einer wissenschaftlichen Revolution in der Geschichtsschreibung zu den mittelalterlichen geistlichen Ritterorden. In dieser relativ kurzen Zeit wurde zu dieser Thematik mehr veröffentlicht als in allen früheren Jahrhunderten. 1960 waren es in der ganzen Welt nicht mehr als zwölf Historiker, die sich exklusiv mit Ritterorden befaßten, 2 1970 hatte die Zahl sich mehr als verdoppelt, blieb aber niedrig, so daß man die Forscher schnell aufzählen könnte. In Großbritannien kamen z. B. bis 1980 die wichtigsten Stu- dien von nicht mehr als zehn Gelehrten, darunter Malcolm Barber, Alan Forey, Derex Lomax, Anthony Luttrell, Desmond Seward, Jonathan Riley-Smith und Colin Richmond. 3 Große Veränderungen erfolgten dagegen in den 80er Jahren, als die Grundlage geschaffen wurde für neue wissenschaftliche Entwicklungen, die in den folgenden Jahrzehnten bei einer Vielzahl von Tagungen, Ausstellun- gen, Aufsätzen und Monographien deutlich sichtbar wurden. Heute sieht die Lage ganz anders aus als z. B. 1983, als die erste Konferenz der Reihe Ordines militares in Toruń stattfand mit acht im Tagungsband ver- öffentlichten Beiträgen von drei Teilnehmern aus Polen, drei aus Deutschland 1 Für die sprachliche Durchsicht des Manuskripts danke ich Herrn Dr. Thomas Frank (Ber- lin – Pavia). 2 Jonathan RILEY-SMITH, ‘New approaches to the Histories of the Templars and the Hospitallers in the central Middle Ages’, in: Freires, Guerreiros, Cavaleiros. Actas do VI Encontro sobre Ordens Militares, Palmela, 10 a 14 de Março de 2010, in Vorbereitung. 3 Siehe z. B. Colin RICHMOND, ‘Research on the Spanish Military Orders in Great Britain’, in: Werkstatt des Historikers der mittelalterlichen Ritterorden. Quellenkundliche Probleme und Forschungsmethoden, Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 4, hg. Zenon Hubert NOWAK (Toruń, 1987), S. 157–161. 1
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Die Geschichtsschreibung zu den mittelalterlichen geistlichen Ritterorden

Jan 17, 2023

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Page 1: Die Geschichtsschreibung zu den mittelalterlichen geistlichen Ritterorden

Die Geschichtsschreibung zu den mittelalterlichen geistlichen

Ritterorden: Status quaestionis1

Kristjan Toomaspoeg

Seit etwa 25 Jahren sind wir Zeuge einer wissenschaftlichen Revolution in der Geschichtsschreibung zu den mittelalterlichen geistlichen Ritterorden. In dieser relativ kurzen Zeit wurde zu dieser Thematik mehr veröffentlicht als in allen früheren Jahrhunderten. 1960 waren es in der ganzen Welt nicht mehr als zwölf Historiker, die sich exklusiv mit Ritterorden befaßten,2 1970 hatte die Zahl sich mehr als verdoppelt, blieb aber niedrig, so daß man die Forscher schnell aufzählen könnte. In Großbritannien kamen z. B. bis 1980 die wichtigsten Stu-dien von nicht mehr als zehn Gelehrten, darunter Malcolm Barber, Alan Forey, Derex Lomax, Anthony Luttrell, Desmond Seward, Jonathan Riley-Smith und Colin Richmond.3 Große Veränderungen erfolgten dagegen in den 80er Jahren, als die Grundlage geschaffen wurde für neue wissenschaftliche Entwicklungen, die in den folgenden Jahrzehnten bei einer Vielzahl von Tagungen, Ausstellun-gen, Aufsätzen und Monographien deutlich sichtbar wurden.

Heute sieht die Lage ganz anders aus als z. B. 1983, als die erste Konferenz der Reihe Ordines militares in Toru! stattfand mit acht im Tagungsband ver-öffentlichten Beiträgen von drei Teilnehmern aus Polen, drei aus Deutschland

1 Für die sprachliche Durchsicht des Manuskripts danke ich Herrn Dr. Thomas Frank (Ber-lin – Pavia).

2 Jonathan RILEY-SMITH, ‘New approaches to the Histories of the Templars and the Hospitallers in the central Middle Ages’, in: Freires, Guerreiros, Cavaleiros. Actas do VI Encontro sobre Ordens Militares, Palmela, 10 a 14 de Março de 2010, in Vorbereitung.

3 Siehe z. B. Colin RICHMOND, ‘Research on the Spanish Military Orders in Great Britain’, in: Werkstatt des Historikers der mittelalterlichen Ritterorden. Quellenkundliche Probleme und Forschungsmethoden, Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 4, hg. Zenon Hubert NOWAK (Toru!, 1987), S. 157–161.

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und jeweils einem aus Estland und Dänemark:4 die vierzehnte Tagung, 2005, hatte 17 Teilnehmer aus Deutschland, Polen, Großbritannien, Frankreich, Ita-lien, Estland und Portugal, aber auch aus Israel und Südkorea.5 Nehmen wir dazu die zwei größten Tagungen der letzten zwölf Monate, nämlich die fünfte Konferenz der Reihe “Military Orders” in Cardiff im September 20096 und den sechsten Kongreß zur Geschichte der Ritterorden in Palmela im März 20107, so sind die Zahlen noch beindruckender: In Cardiff gab es 66 Vorträge und in Palmela 70 – und dabei handelte es sich in beiden Fällen nur um einen kleinen Teil der heute aktiven Historiker der geistlichen Ritterorden. Das neueste Refe-renzwerk, das 2009 erschienene Dictionnaire européen des ordres militaires,8 hatte immerhin 240 Mitarbeiter, die im wesentlichen alle Spezialisten für Rit-terordensgeschichte sind.

Bis um 1990 gab es jährlich ungefähr 30 bis 50 Veröffentlichungen zu diesem Thema, Aufsätze, Konferenzbeiträge und Monographien zusammengenommen; heute ist die Anzahl der Publikationen hingegen nicht mehr zu überschauen. Die einzig vorhandenen bibliometrischen Daten geben ein falsches Bild, weil ihre Statistik zu 75 Prozent nur für die Iberische Halbinsel gilt;9 aber selbst diese Zusammenstellung ergibt ein Minimum von 200–300 Veröffentlichun-gen pro Jahr. Ich habe versucht, die Zahl der Publikationen des Jahres 2009 selbst herauszufinden, aber weil Bibliothekskataloge Neuerscheinungen oft noch nicht registriert haben und der genaue Inhalt manch lokalhistorischer oder kunstgeschichtlicher Arbeit nicht immer bekannt ist, komme ich nur auf eine sehr grobe Schätzung von etwa 300 Werken.

Auch der Kreis der Länder, in denen heute über die geistlichen Ritterorden geforscht wird, hat sich ungemein vergrößert. Es handelt sich natürlich um alle europäischen Länder, mit Ausnahme (aber da bin ich mir nicht ganz sicher) von San Marino und Liechtenstein, aber auch um Israel, mehrere arabische Staa-

4 Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung und Kolonisierung des Ostseegebietes, Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 1, hg. Zenon Hubert NOWAK (Toru!, 1983).

5 Die Rolle der Schriftlichkeit in den geistlichen Ritterorden des Mittelalters, Ordines mi-litares. Colloquia Torunensia Historica 14, hgg. Roman CZAJA, Jürgen SARNOWSKY (Toru!, 2009).

6 The Military Orders, 5, Politics and Power. Papers of the Fifth International Conference, organized by the Cardiff Centre for the Crusades. Cardiff University, 3–6 September 2009, hg. Peter EDBURY, im Druck.

7 Freires, Guerreiros, Cavaleiros (wie Anm. 2).8 Prier et combattre. Dictionnaire européen des ordres militaires au Moyen Âge, hgg. Nicole

BÉRIOU, Philippe JOSSERAND (Paris 2009).9 Francisco Fernández IZQUIERDO, ‘Historiografía y bibliometria: publicaciones recientes so-

bre Órdenes Militares en bases de datos y repertorios bibliograficos en Internet, 2005–2009’, in: Freires, Guerreiros, Cavaleiros (wie Anm. 2).

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ten, Nordamerika, Brasilien usw. Nur aus China und Japan kommt noch keine Nachricht über lokale Spezialisten der Ritterorden. In einigen Gebieten wie der Iberischen Halbinsel oder Mitteleuropa kann man eine regelrechte Explosion der Forschungstätigkeit konstatieren. So hat sich z. B. in Portugal die Zahl der Historiker der Ritterorden zwischen 1970 und 2010 mehr als verzwanzigfacht.

Einleitend stellt sich daher die einfache Frage, warum die Geschichtsschrei-bung zu den Ritterorden in der Nachkriegszeit relativ marginal blieb. Danach soll den Ursachen des späteren Wachstums nachgespürt werden. Zuletzt möchte ich auf die heutige Lage der Forschung kommen und über deren Zukunftsper-spektiven nachdenken.

1. Die Entwicklung bis in die 80er Jahre: eine “schwarze Legende” der Ritterorden?

Die Geschichtsschreibung zu den geistlichen Ritterorden besitzt seit Mit-telalter eine solide Basis. Es hat immer schon hervorragende Forschungen dazu gegeben, allerdings blieb das Thema in der Mediävistik lange Zeit marginal.

Die Ursachen für diese Marginalisierung der Ritterordensforschung in der Nachkriegszeit sind für Ost- und Mitteleuropa einfacher zu verstehen als für den Westen.10 Im sozialistischen Osteuropa war die Thematik der geistlichen Ritterorden Opfer der Politisierung der Geisteswissenschaften: Einerseits blieb die Religionsgeschichte insgesamt im Hintergrund, andererseits war der im mittelalterlichen Osteuropa am stärksten vertretene Ritterorden, der Deutsche Orden, durch seine Verbindung zur deutschen Herrschaft dämonisiert.11 Diese

10 Siehe József LASZLOWSKY, ‘Crusades and Military Orders: State of Research’, in: The Crusades and the Military Orders. Expanding the Frontiers of Medieval Latin Christianity, hgg. Zsolt HUNYADI, József LASZLOVSZKY (Budapest, 2001), S. xvii-xxiii.

11 Siehe Juhan KREEM, ‘The Teutonic Order in Livonia: Diverging Historiographic Traditions’, in: The Crusades and the Military Orders, S. 467–479; Jerzy SERCZYK, ‘Die Wandlungen des Bildes vom Deutschen Orden als politischer, ideologischer und gesellschaftlicher Faktor im polnischen Identitätsbewußtsein des 19. und 20. Jahrhunderts’, in: Vergangenheit und Gegenwart der Ritterorden. Die Rezeption der Idee und die Wirklichkeit, Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 11, hgg. Zenon Hubert NOWAK, Roman CZAJA (Toru!, 2001), S. 55–64; Alvydas NIK!ENTAITIS, ‘Das Bild des Deutschen Ordens in der litauischen Geschich-tsschreibung und Publizistik’, in: Vergangenheit und Gegenwart, S. 115–131; Vera MATUSOVA, ‘Zur Rezeption des Deutschen Ordens in Rußland’, in: Vergangenheit und Gegenwart, S. 133–144; Maria STARNAWSKA, ‘A survey of research on the history of the military orders in Poland in the Middle Ages’, in: The Military Orders, 3, History and Heritage, hg. Victor Mallia-Milanes (Aldershot, 2008), S. 13–22; Darius von Güttner SPORZY"SKI, ‘Recent issues in Polish historiography of the Crusades’, in: The Military Orders, 4, On Land and by Sea, hg. Judi UPTON-WARD (Aldershot, 2008), S. 13–22; Ilgvars MISANS, ‘Das kulturelle Erbe des Deutschen Ordens im heutigen Lettland’, in: Das kulturelle Erbe des Deutschen Ordens in Europa. Konferenz in Malbork/Marienburg, 25. bis 28. September 2008, im Druck.

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Haltung geht in geringerem Maße auf den Marxismus zurück, in höherem Maße jedoch auf eine Mischung von lokalem Nationalismus mit panslawistischen Tra-ditionen.

Der Deutsche Orden und alle anderen Ritterorden galten lange Zeit als Symbole westlicher Expansion. Dennoch gab es wichtige Unterschiede zwi-schen den einzelnen Ländern. So war es in der DDR praktisch unmöglich, die Geschichte des Deutschen Ordens zu studieren, in Ungarn dagegen fand die Templer- und Johanniterforschung keine allzu großen Hindernisse. In Lettland und Estland wurden die Schwertbrüder und der Deutsche Orden als Erzfeinde der beiden Nationen angesehen, in Litauen dagegen gab es eine auf die Zwi-schenkriegszeit und den Streit mit Polen zurückgehende Tradition, in welcher

Schon in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wies Bruno Schumacher darauf hin, daß die Identifikation des Deutschen Ordens mit Preußen seinen Charakter verfälsche: ‘Die Idee der geistlichen Ritterorden im Mittelalter’, Altpreussische Forschungen 1 (1924), S. 5–24.

1. Sogennanter Doppelturm bei der Moschee al-Aqs", der von den Templern ausgebaut wurde (Foto L. Jan).

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der Deutsche Orden nicht mehr nur in schwarzen Farben dargestellt wurde.12 Insgesamt jedoch war die Geschichte der Ritterorden ein politisch heikles The-ma.

Daher möchte ich nur noch kurz daran erinnern, daß z. B. in meinem Hei-matland, Estland, zwar kein direktes Verbot bestand, die Ritterorden zu studie-ren; aber die Problematik galt als “nicht produktiv” und bot Forschern deshalb schlechtere Karrieremöglichkeiten als etwa die Geschichte der Bauernaufstände oder ähnliche Themen. Die Folge war, daß wir in Estland bis etwa 1995 keinen eigenen Spezialisten zur Ordensgeschichte hatten.13

Im Westeuropa war die Lage auf den ersten Blick ganz anders.14 Udo Ar-nold zitiert das Beispiel eines Fußballspiels zwischen Polen und Deutschland:

12 NIK!ENTAITIS, ‘Das Bild’ (wie Anm. 11), S. 121–123.13 Es gab jedoch Arbeiten zu einzelnen Fragen der Geschichte des Deutschen Ordens von

estnische Mediävisten wie Enn Tarvel oder Priit Raudkivi.14 Siehe Udo ARNOLD, ‘Der Deutsche Orden im deutschen Bewußtsein des 20. Jahrhunderts’,

in: Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 11), S. 39–53; Luis GARCIA-GUIJARRO RAMOS,

2. Überrreste des ursprünglichen Spitals der Gottesmuter, das von den Deutschen in Jerusalem gebaut wurde (Foto L. Jan).

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Der polnische Coach versprach vor dem Spiel der deutschen Mannschaft “ein neues Grünwald”, ein Vergleich den alle Polen sofort verstanden; in Deutsch-land hingegen hätten die meisten diesen Vergleich nicht begriffen, weil die Schlacht von Tannenberg (oder Grünwald) im deutschen Bewußtsein keine derartige Wichtigkeit besitzt.15 Im Westen gab es keine Kontrolle der Ritteror-densforschung durch die Staatsmacht und keine offizielle Ideologie dazu. So ist es schwerer zu verstehen, warum auch dort die Studien bis in die 80er Jahre relativ selten blieben.

Eine Antwort auf diese Frage könnte sich auf die “schwarze Legende” der Ritterorden stützen. Der Deutsche Orden war auch für die westliche Öffent-lichkeit ein Symbol des sogenannten “Drangs nach Osten”, ein Thema, das viele vor allem durch Eisensteins Film „Alexander Nevski“ kannten.16 Demgegenüber hat das Buch von Karol Górski, Der Deutsche Orden. Ursprung des preußischen Staates, das in Frankreich und Italien in den 70er Jahren großen Erfolg hatte und in dem die Besiedlung Preußens mit der Jesuitenmission in Peru vergli-chen wurde,17 keine Verbesserungen gebracht. Hinzu kommt noch die Identi-fizierung des Ordens mit dem Nazismus und den Schutzstaffeln (SS), obwohl Himmler als Vorbild für seine Organisation den Jesuitenorden und nicht den Deutschen Orden benutzt hatte.18 Wie Hubert Houben feststellte, schrieb noch vor wenigen Jahren ein italienischer Journalist über die “Deutschordensritter mit ihrem Hakenkreuz”,19 und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs blieben die Kenntnisse zur Geschichte des Ordens bis um das Jahr 1990 sehr rudimentär.

‘Historiography and history: medieval studies on the military orders in Spain since 1975’, in: The Military Orders, 3 (wie Anm. 11), S. 23–43; Ludwig VONES, ‘Die Ritterorden in Spanien: Betrachtungen zum Thema Rezeption und Wirklichkeit’, in: Vergangenheit und Gegenwart, S. 229–248.

15 Udo ARNOLD, ‘Der Deutsche Orden und seine preußische Vergangenheit als politischer Kampfplatz zwischen Preußen/Deutschland und Polen bis zum Warschauer Vertrag 1970’, in: Das kulturelle Erbe des Deutschen Ordens, im Druck.

16 Siehe Hubert HOUBEN, ‘Nuovi orientamenti nelle ricerche sull’Ordine Teutonico’, in: L’Ordine Teutonico nel Mediterraneo. Atti del Convegno internazionale di studio. Torre Alemanna (Cerignola), Mesagne - Lecce, 16–18 ottobre 2003, Acta Theutonica 1, hg. Hubert HOUBEN (Galatina, 2004), S. 3–16; Id., ‘Recenti sviluppi storiografici su un tema controverso: l’Ordine Teutonico’, Nuova Rivista Storica 89 (2005), S. 125–142 und ID., ‘Internationale Perspektiven der Erforschung des Deutschen Ordens’, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville, hgg. Franz FELTEN, Annette KEHNEL, Stefan WEINFURTER (Münster, 2009), S. 159–169.

17 Karol GÓRSKI, L’ordine teutonico: alle origini dello stato prussiano (Torino, 1971).18 Heinz HÖHNE, Der Orden unter dem Totenkopf: Die Geschichte der SS (Gütersloh, 1967).19 HOUBEN, ‘Nuovi orientamenti’ (wie Anm. 16), S. 13; das Zitat stammt aus Gad LERNER, Croci-

ate. Il millennio dell’odio (Milano, 2000), S. 108.

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Auch die Templer hatten ihre “schwarze Legende”. So wurden sie bekannt-lich von der Freimaurerbewegung als Vorbild benutzt, und es wird ihnen immer noch eine esoterische Aura zugeschrieben, wie man in allen Buchhandlungen sehen kann – eine Legende, die auch im Kinofilm und in der Literatur gepflegt wird.20 Der „Templarismus“ ist eine Art von Krankheit in der westlichen Kul-turtradition geworden, wie schon Umberto Eco bemerkte;21 sein Ausmaß und seine Irrationalität wurden zuletzt 2007 von John Walker in Leeds dargestellt.22 Was die Johanniter betrifft, so sind sie Opfer einer anderen idée fixe  geworden, daß nämlich die Geschichte dieses geistlichen Ritterordens eine Adelsthema-tik sei, die zusammen mit Genealogie und Familienforschung als Hobby von Lokalgelehrten betrieben werden solle. All dies hatte zur Folge, daß Templer, Johanniter und Deutscher Orden in der Öffentlichkeit als politisch “rechte” Themen wahrgenommen wurden und die “Linken” sich davon distanzierten.

Diese Idee ist noch heute lebendig. Ein gutes Beispiel dafür ist das “Conser-vatoire de Larzac” in Südfrankreich. 1971 entschied der französische Verteidi-gungsminister Michel Debré, dort eine große Militärbasis zu schaffen. Dagegen formierte sich, und es gibt sie bis heute, eine wichtige Protestbewegung; mehr und mehr “Linke” mit langen Haaren kamen in den Larzac, um dort Schafe zu züchten usw.23 Der lokalen Regierung war das höchst unsympathisch, weshalb sie begann, ein typisch “rechtes” Element als Gegensatz zu der Protestbewegung aufzubauen. Was aber ist mehr “rechts” als die Templer? So schlug man in den 90er Jahren dem französischen Historiker Léon Pressouyre († 2009) vor, in der Hauptstadt des Larzac, Millau, in einer ehemaligen Templerkommende ein Studienzentrum zur Geschichte des Ritterordens zu gründen. Pressouyre hat sofort verstanden, wie günstig diese Gelegenheit war, und zusammen mit an-deren Historikern wie Anthony Luttrell das “Conservatoire” gegründet, das bis 2005 eines der wichtigsten Studienzentren zur Geschichte der mittelalterlichen Ritterorden blieb: Hier fand 2000 die Tagung über “La Commanderie”24 statt, und hier wurden Bücher veröffentlicht wie das von Pierre Bonneaud zu den Johannitern in Aragon25 oder wie die Monographie von Rafaël Hyacinthe zur

20 Siehe Peter PARTNER, Murdered Magicians: The Templars and Their Myths (Oxford - New York, 1982).

21 Umberto ECO, Il pendolo di Foucault (Torino, 1988).22 John WALKER, ‘‘The Templars Are Everywhere’: An Examination of the Myths behind Tem-

plar Survival after 1307’, in: The Debate on the Trial of the Templars (1307–1314), hgg. Jochen BURGTORF, Paul CRAWFORD, Helen J. NICHOLSON, Farnham-Burlington 2010, S. 347–357.

23 Alexander ALLAND, Sonia ALLAND, Crisis and Commitment: The Life History of a French Social Movement (New York, 1994).

24 La commanderie, institution des ordres militaires dans l’Occident médiéval, Archéologie et histoire de l’art 14, hgg. Anthony LUTTRELL, Léon PRESSOUYRE (Paris, 2002).

25 Pierre BONNEAUD, Le prieuré de Catalogne, le couvent de Rhodes et la couronne d’Aragon, 1415–1447 (Millau, 2004).

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Geschichte des Sankt-Lazarusordens26. Leider (jedenfalls für uns) hat die lokale Regierung in Millau dann nach einer Wahl gewechselt, und weil die neue, “linke” Regierung nichts von dem “Conservatoire” wissen will, ist die wissenschaftliche Tätigkeit hier praktisch zum Erliegen gekommen.

So gab es auch im Westen eine gewisse Politisierung der Ordensforschung, die zum Glück aber nur noch selten sichtbar ist. Die Tatsache, daß in Palmela in Portugal die Kongresse zur Geschichte der geistlichen Ritterorden durch eine kommunistische Bürgermeisterin27 unterstützt werden, ist sicherlich ein sehr positives Zeichen.

Zu den “schwarzen Legenden” und der politischen Identifizierung der Rit-terorden mit der Rechten gesellte sich ein wichtiges innerwissenschaftliches Hindernis. In der Nachkriegszeit waren die Studien zur Religionsgeschichte, zur Geschichte des Heiligen Landes und der Kreuzzüge noch in der Entwick-lungsphase, und erst als diese Gebiete stärker erforscht wurden, war es möglich,

26 Rafaël HYACINTHE, L’Ordre de Saint-Lazare de Jérusalem au Moyen Âge (Millau, 2003).27 Ana Teresa Vicente, Coligação Democrática Unitária (PCP-PEV).

3. Hauptturm der Johanniterzentrale in Akkon (Foto L. Jan).

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den geistlichen Ritterorden mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Ähnliches gilt im übrigen auch für die Mittelalter-Archäologie und andere Nachbardisziplinen, auf die die Historiker sich stützen können.

2. Veränderungen nach 1980

Nach 1980 hat sich die Lage der Ritterordensforschung relativ schnell ge-wandelt, so daß in etwa zehn bis fünfzehn Jahren die Fundamente für den heutigen Boom gelegt wurden. Als ersten Grundstein der Entwicklung könnte man den von Josef Fleckenstein und Manfred Hellmann 1980 herausgegebenen Sammelband Die geistlichen Ritterorden Europas28 nennen. Was die Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens betrifft, so kann man die Veränderung ganz einfach dokumentieren. Es handelt sich um eine Folge der Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses, die auch eine Zusammenarbeit zwischen Historikern der beiden Länder mit sich brachte, z. B. durch die gut bekannte Schulbuchkommission. Udo Arnold, der seit den 50er Jahren zur Geschichte des Ordens arbeitete, und seine polnischen Kollegen wie Marian Biskup und Zenon Hubert Nowak haben diese Gelegenheit genutzt, um ein schon seit langem geplantes Projekt einer gemeinsamen Institution der Historiker des Deutschen Ordens zu verwirklichen. So wurde 1985 in Wien, also auf “neutralem” Boden, die Internationale historische Kommission zur Geschichte des Deutschen Or-dens gegründet.29

Diese Initiative hatte starke Wurzeln in Deutschland und Polen. Udo Arnold veröffentlichte seit 1966 die Reihe der “Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens”30 und koordinierte verschiedene historische Projekte zu dieser Thematik. In Polen gab es, besonders in Toru , eine historische Schule von Deutschordensspezialisten. Kurz vor der Gründung der Kommission wurde dort die erste Tagung in der Reihe “Ordines militares, Colloquia Torunensia

28 Die Geistlichen Ritterorden Europas, Vorträge und Forschungen 26, hgg. Josef FLECKENSTEIN, Manfred HELLMANN (Sigmaringen, 1980).

29 Udo ARNOLD, ‘Zwanzig Jahre Internationale Historische Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens. Bilanz und Perspektiven’, in: L’Ordine Teutonico tra Mediterraneo e Baltico: incontri e scontri tra religioni, popoli e culture. Der Deutsche Orden zwischen Mittelmeerraum und Baltikum. Begegnungen und Konfrontationen zwischen Religionen, Völker und Kulturen. Atti del Convegno internazionale. Bari – Lecce – Brindisi, 14–16 settembre 2006, Acta Theutonica 5, hgg. Hubert HOUBEN, Kristjan TOOMASPOEG (Galatina, 2008), S. 15–27.

30 Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 1–67 (Marburg, N.G. Elwert Verlag, 1966–2010).

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Historica“31 organisiert, zunächst über die Rolle der Ritterorden in der Chri-stianisierung und Kolonisierung des Ostseegebietes.32 Schon damals waren nicht nur deutsche und polnische, sondern auch einige andere internationale Historiker beteiligt. In den Jahren danach hat die Kommission ihre Problem-stellungen und Forschungsgebiete erweitert. Zuerst wurde die Basis der Ge-schichte des Ordens in Preußen und Osteuropa behandelt, danach bezog man andere europäische Gebiete ein.33 Im Ergebnis verfügen wir heute über mehr Veröffentlichungen zur Geschichte des Deutschen Ordens als zu den anderen einzelnen geistlichen Ritterorden.

Gleichzeitig entwickelten sich aber auch die Studien zur Präsenz der Rit-terorden im Orient, insbesondere mit der Gründung der “Society for the Study of the Crusades and the Latin East” im Jahr 1980 und ihrer ersten Tagung in Cardiff 1983.34 Diese Gesellschaft konzentriert sich zwar vorzugsweise auf die Geschichte des Heiligen Landes und der Kreuzzüge, hat sich aber, auch dank der Tätigkeit von Jonathan Riley-Smith, eines ihrer Gründer, immer mehr der Ordensgeschichte geöffnet.

Die Rolle einzelner Persönlichkeiten wie Udo Arnold oder Jonathan Riley-Smith in der Entwicklung der Ritterordensforschung ist gut sichtbar. Für die Geschichtsschreibung zum Templerorden wurde besonders einflußreich das 1985 erschienene Werk von Alain Demurger, Vie et mort de l’Ordre du Temp-le35, zusammen mit späteren Studien desselben Autors wie Les chevaliers du Christ36. Diese Arbeiten brachten die Templerproblematik ins Bewußtsein ei-ner größeren Öffentlichkeit und belegen, wie wichtig es für die Entwicklung der Geschichtsschreibung ist, ihre Ergebnisse der Gesellschaft nahezubringen. Vor Demurger waren Studien zur Geschichte der Ritterorden in Frankreich – allerdings mit hervorragenden Ausnahmen wie Marion Melville37 (hier geht es nur um die Nachkriegszeit und ich gehe daher nicht bis auf Joseph Delaville le Roulx, Hans Prutz oder Léopold Delisle zurück) – relativ gering verbreitet und das Publikum kannte das Thema nur aus wissenschaftlich fragwürdigen

31 Zenon Hubert NOWAK, ‘Zehn Konferenzen Ordines militares – Colloquia Torunensia His-torica 1981–1999’, in: Vergangenheit und Gegenwart (wie Anm. 11), S. 7–9.

32 Die Rolle der Ritterorden (wie Anm. 4).33 Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 1–14 (Toru!, Wydawnictwo Uniwer-

sytetu Miko#aja Kopernika, 1983–2009).34 Crusade and settlement: papers read at the First Conference of the Society for the Study

of Crusades and the Latin East and presented to R.C. Smail, hg. Peter W. EDBURY (Cardiff, 1985).

35 Alain DEMURGER, Vie et mort de l’ordre du Temple (Paris, 1985), neueste Aufl., Les Templiers. Une chevalerie chrétienne au Moyen Âge (Paris, 2005).

36 Alain DEMURGER, Les chevaliers du Christ. Les ordres religieux-militaires au Moyen Âge (XIe-XVIe siècle) (Paris, 2002).

37 Marion MELVILLE, La vie des Templiers (Paris, 1951), Neudr. 1974.

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Monographien von Amateuren wie Laurent Dailliez38 und Henri Bogdan39. Heute hingegen hat sich in Frankreich eine Schule von jungen Historikern der Ritterorden gebildet, z. B. Sylvain Gougenheim40, Danielle Buschinger und Mathieu Olivier41 für den Deutschen Orden, Philippe Josserand42 und Pierre Bonneaud43 für die Orden der Iberischen Halbinsel, Pierre-Vincent Claverie44 und Damien Carraz45 für die Templer und Marie-Anna Chevalier für die Orden im mittelalterlichen Armenien46.

In Italien gab es in den 80er Jahren eine erste Welle lokaler Ritterordens-forschung, die vor allem mit den Namen von drei Historikern verbunden ist: Cosimo Damiano Fonseca47, Franco Cardini48 und Antonio Cadei49. Zusammen mit ihren Schülern und jüngeren Kollegen wie Hubert Houben50, Francesco

38 So, unter vielen anderen, Laurent DAILLIEZ, Les Templiers (Nice, 1977); Id, La Règle des Tem-pliers (Nice, 1977); Id, Templiers de Provence (Nice, 1979); Id., Les chevaliers teutoniques (Paris, 1979).

39 Henri BOGDAN, Les chevaliers teutoniques (Paris, 1995).40 Sylvain GOUGENHEIM, Les Chevaliers teutoniques (Paris, 2007).41 Danielle BUSCHINGER, Mathieu OLIVIER, Les Chevaliers teutoniques (Paris, 2007).42 Philippe JOSSERAND, Église et pouvoir dans la péninsule Ibérique. Les ordres militaires dans le

royaume de Castille (1252–1369), Bibliothèque de la Casa de Velázquez 31 (Madrid, 2004).43 BONNEAUD, Le prieuré de Catalogne; Pierre BONNEAUD, Els Hospitalers catalans a la fi de l’Edat

Mitjana. L’orde de l’Hospital a Catalunya I a la Mediterrània, 1396–1472 (Lleida, 2008).44 Pierre-Vincent CLAVERIE, L’ordre du Temple en Terre sainte et a Chypre au XIIIe siecle

(Nicosie, 2005).45 Damien CARRAZ, L’ordre du Temple dans la basse vallée du Rhône, 1124–1312. Ordres

militaires, croisades et sociétés méridionales (Lyon, 2005).46 Marie-Anna CHEVALIER, Les ordres religieux-militaires en Arménie cilicienne. Templiers,

hospitaliers, teutoniques et Arméniens à l’époque des croisades (Paris, 2009).47 Siehe z. B. Cosimo Damiano FONSECA, ‘L’Ordine equestre del Santo Sepolcro’, in: Barletta

crocevia degli Ordini religioso-cavallereschi medioevali. Seminario di Studio, Barletta 16 giugno 1996, Gran Priorato di Napoli e Sicilia del Sovrano Ordine di Malta, Melitensia 2 (Taranto, 1997), S. 13–22; Militia Sancti Sepulcri. Idea e Istituzioni. Atti del Colloquio internazionale, Pontificia Università Lateranense, 10–12 aprile 1996, hgg. Kaspar ELM, Cosimo Damiano FONSECA (Città del Vaticano, 1998).

48 Siehe z. B. Franco CARDINI, Alle radici della cavalleria medievale, Il pensiero storico 76 (Firenze, 1981).

49 Siehe u. a. Monaci in armi. L’architettura sacra dei Templari attraverso il Mediterraneo, hgg. Goffredo VITI, Antonio CADEI, Valerio ASCANI (Certosa di Firenze, 1995); Antonio CADEI, ‘L’insediamento militare templare: una verifica tipologica’, in: L’Ordine Templare nel Lazio meridionale. Atti del convegno. Sabaudia, 21 ottobre 2000, hg. Clemente CIAMMARUCONI, Bibliotheca Casaemariensis 7 (Casamari, 2004), S. 11–43.

50 Siehe z. B. Hubert HOUBEN, ‘Zur Geschichte der Deutschordensballei Apulien. Abschriften und Regesten verlorener Urkunden aus Neapel in Graz und Wien’, Mitteilungen des Insti-tuts für österreichische Geschichtsforschung 107, 1–2 (1999), S. 50–110; ID., ‘Friedrich II., der Deutsche Orden und die Burgen im Königreich Sizilien. Eine unbekannte Urkunde Honorius’ III von 1223’, Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 56, 2 (2000),

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36 DIE GEISTLICHEN RITTERORDEN IN MITTELEUROPA. MITTELALTER

Tommasi51 und Pio Francesco Pistilli52 haben sie mittlerweile eine starke For-schungstradition geschaffen.

Solche Beispiele könnte man aus allen europäischen Ländern anführen. Sehr oft handelt es sich um eine Art „Konversion“, das heißt daß Historiker, die vorher an anderen Themen gearbeitet haben, sich auch der Ritterordensforschung zu-wenden. Beispielsweise kam Kaspar Elm von der allgemeinen Ordensgeschichte durch seine Studien über die Kanoniker des Hl. Grabes zur Geschichte der Ritterorden,53 während Henri Bresc von der Thematik der Bevölkerungsmin-derheiten des Mittelmeerraumes ausging, um von dort zur Geschichte der Rit-terorden in der Provence und Sizilien zu gelangen.54

Solche Neuorientierungen sind mit dem Potential der Geschichte der Ritter-orden erklärbar. Vor allem besaß und besitzt man auf diesem Feld eine Menge ungedruckter und unerforschter Quellen. “L’historien se nourrit des témoigna-ges”, und die Archive der Ritterorden können ihm gute Nahrung bieten. Um nur einige Beispiele aus den nach dem Jahr 2000 geschriebenen Monographien anzuführen: Philippe Josserand hat für sein Werk über die Ritterorden in Kasti-

S. 585–591; Id., ‘Templari e Teutonici nel Mezzogiorno normanno-svevo’, in: Il mezzogiorno normanno-svevo e le crociate. Atti delle XIV Giornate normanno-sveve. Bari 17–20 otto-bre 2000, hg. Giosuè Musca (Bari, 2002), S. 257–258; L’Ordine Teutonico nel Mediterraneo. Atti del Convegno internazionale di studio. Torre Alemanna (Cerignola) – Mesagne – Lecce, 16–18 ottobre 2003, hg. Hubert HOUBEN, Acta Theutonica 1 (Galatina, 2004).

51 U. a. Acri 1291. La fine della presenza degli ordini militari in Terrasanta e i nuovi orien-tamenti nel XIV secolo, hg. Francesco Tommasi, Biblioteca di “Milizia Sacra” 1 (Perugia 1996); Francesco TOMMASI, ‘“Pauperes commilitones Christi”. Aspetti e problemi delle ori-gini gerosolimitane’, in: “Militia Christi” e Crociata nei secoli XI-XIII. Atti della undecima Settimana internazionale di studio, Mendola, 28 agosto-1 settembre 1989, Miscellanea del Centro di studi medioevali 13 (Milano, 1992), S. 443–475; ID., ‘L’ordinamento geografico-amministrativo dell’Ospedale in Italia (secc. XII-XIV)’, in: Religiones Militares. Contributi alla storia degli Ordini religioso-militari nel Medioevo, hgg. Anthony LUTTRELL, Francesco TOMMASI, Biblioteca di “Militia Sacra” 2 (Città di Castello, 2008), S. 61–130.

52 Siehe z. B. Pio Francesco PISTILLI, ‘Due tipologie insediative templari: la domus romana sull’Aventino e il locus fortificato di San Felice Circeo’, in: L’Ordine Templare nel Lazio meridionale (wie Anm. 49), S. 157–200.

53 U. a. Militia Sancti Sepulcri: idea e istituzioni. Atti del colloquio internazionale tenuto presso la Pontificia Università del Laterano, 10–12 aprile 1996, hgg. Kaspar ELM, Cosimo Damiano FONSECA (Città del Vaticano 1998); Kaspar ELM, ‘Die Spiritualität der geistlichen Rit-terorden des Mittelalters’, in: “Militia Christi” e crociata nei secoli XI-XIII. Atti dell’undecima Settimana internazionale di studio. Mendola, 28 agosto-1 settembre 1989, Miscellanea del Centro di Studi Medioevali 13 (Milano, 1992) S. 477–518 und in: Die Spiritualität der Ritterorden im Mittelalter, Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 7, hg. Zenon Hubert NOWAK (Toru!, 1993), S. 7–44; ID., ‘Die Ordines militares. Ein Ordenszötus zwischen Einheit und Vielfalt’, in: The Crusades and the Military Orders (wie Anm. 10), S. 351–377.

54 Henri BRESC, ‘Gli Ordini ospedalieri e militari nel Mediterraneo’, in: I Teutonici tra Sicilia e Mediterraneo. Atti del Convegno Internazionale (Agrigento, 24–25 marzo 2006), hgg. Antonino GIUFFRIDA, Hubert HOUBEN, Kristjan TOOMASPOEG, Acta Theutonica 4 (Galatina, 2007), S. 17–46.

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DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG ZU DEN MITTELALTERLICHEN GEISTLICHEN RITTERORDEN 37

lien des 13. und 14. Jahrhundert 6000 Urkunden ausgewertet,55 Damien Carraz in seiner Geschichte der Templer in der “basse vallé du Rhône” 1600 Primär-quellen verarbeitet,56 die Monographien von Zsolt Hunyadi zur Geschichte der Johanniter in Ungarn57 und Elena Bellomo zu den Templern in Norditalien58 haben ebenfalls ein Quellenregister mit etwa 1000–1500 Urkunden.

Es bleiben immer noch Archivbestände zu erforschen, z. B. das Deutsch-ordenschartular in Padua mit etwa 500 Urkunden59 oder die Materialien der päpstlichen Enquête zum Johanniterorden von 1373, die nur teilweise ediert sind60, und es wird hier für Historiker noch weitere Entdeckungen geben. Die Quellen zu den Ritterorden sind thematisch recht vielfältig und reichhaltig, weil diese Orden engere Beziehungen zur Gesellschaft unterhielten als die traditio-nellen Mönchsorden und durch ihre straffe zentrale Organisation eine wichtige Rolle in der mittelalterlichen Gesellschaft spielten. So geben sie Auskunft zu den verschiedensten Aspekten des religiösen Lebens, zur Politik, Kultur, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Wie schon Hans Prutz formuliert hat, standen die Ritterorden „trotz ihrer mönchischen Formen mitten in der Welt“61. Die Quellen sind so reich, daß es sicherlich einfacher ist zu erklären, warum es jetzt ein so starkes Interesse an unserem Thema gibt, als die lange Marginalisierung der Ordensforschung zu verstehen.

In manchen Ländern, in denen die Forschung heute intensiv ist, verbindet sich die Geschichte der Ritterorden auch mit der Frage nach der nationalen Identität. So waren in Portugal und Spanien die internationalen und lokalen Ritterorden vom 12. bis ins 19. Jahrhundert sehr eng mit der lokalen Gesellschaft verbunden, während das polnische Volk sein nationales Selbstbewußtsein zum guten Teil durch die Opposition zum Deutschen Orden ausbildete.

Es gab also eine Reihe von guten Gründen für die Intensivierung der Rit-terordensforschung. Dieser Prozeß hatte seine Etappen. Am Anfang stand, wie

55 JOSSERAND, Église et pouvoir (wie Anm. 42).56 CARRAZ, L’Ordre du Temple (wie Anm. 45).57 Zsolt HUNYADI, The Hospitallers in the medieval Kingdom of Hungary c. 1150–1387 (Bu-

dapest, 2010).58 Elena BELLOMO, The Templar Order in North-west Italy (1142–c.1330), The Medieval Me-

diterranean 72 (Leiden – Boston, 2008).59 Siehe Kristjan TOOMASPOEG, ‘La fondazione della provincia di “Lombardia” dell’Ordine dei

Cavalieri Teutonici (secoli XIII-XIV)’, Sacra Militia 3 (2003), S. 111–159.60 Über jetztigen Stand der Edition Anthony LUTTRELL, Introduzione generale, in: L’inchiesta

pontificia del 1373 sugli Ospedalieri di San Giovanni di Gerusalemme nel Mezzogiorno d’Italia, hgg. Mariarosaria SALERNO, Kristjan TOOMASPOEG, Università degli Studi della Calabria, Corso di Laurea in Storia e Conservazione dei Beni Culturali, Itineraria 10 (Bari, 2008), S. 7–30.

61 Hans PRUTZ, Der Anteil der geistlichen Ritterorden an dem geistigen Leben ihrer Zeit. Festrede gehalten in der öffentlichen Sitzung der K. Akademie der Wissenschaften am 14. November 1908 (München, 1908), S. 5.

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38 DIE GEISTLICHEN RITTERORDEN IN MITTELEUROPA. MITTELALTER

erwähnt, die Gründung der Internationalen Historischen Kommission zur Erfor-schung des Deutschen Ordens und die Aufnahme der Historiker der Ritterorden in die Society for the Study of the Crusades seit den 80er Jahren. Das wichtigste Forschungszentrum war zuerst die Universität von Toru in Polen. Die “Ordi-nes militares”-Konferenzen haben sich schnell internationalisiert und Themen wie die Rolle der Ritterorden in der mittelalterlichen Kultur, quellenkundliche Probleme und Forschungsmethoden behandelt, so daß hier rasch nicht nur die Geschichte des Deutschen Ordens auf der Tagesordnung stand. Gleichzeitig gab es mehrere Zentren, an denen man die Geschichte der einzelnen Orden erforschte, z. B. die Internationale Kommission des Deutschen Ordens mit ihrer Reihe “Quellen und Forschungen”.

Anfang der 90er Jahre intensivierten sich die Forschungsaktivitäten. Dafür steht der erste Ritterordenkongreß in Palmela 1991.62 In Palmela wurden bis etwa zum dritten Kongreß 199963 vor allem lokale Probleme der Iberischen Halbinsel behandelt, danach64 jedoch wurde die noch heute gültige themati-sche Aufteilung eingeführt: etwa 50% der Vorträge zu iberischen und 50% zu internationalen Inhalten.

Seit 1992 kamen die englische Konferenzen der Reihe “Military Orders” hinzu, so Fighting for the Faith and Caring for the Sick (1992)65, Welfare and Warfare (1996)66, History and Heritage (2000)67, On Land and by Sea (2005)68 und Politics and Power (2009)69. Sie sind mit Toru und Palmela die wichtigsten Treffpunkte für die Historiker der Ritterorden geworden und stützen sich auf meh-rere Forschungszentren, heute besonders auf der Universität Cardiff. Auf lokaler Ebene wurde in den 90er Jahren eine Reihe von Forschungsinstituten gegründet wie das “Centro di Studi Melitensi” zu Tarent in Italien (1993) oder das “Centro de Estudios” von Porto in Portugal (1990), um nur diese zwei Beispiele nennen.

62 As ordens militares em Portugal. Actas do primeiro encontro sobre Ordens Militares (Lisboa – Palmela, 1991).

63 As ordens militares em Portugal e no Sul da Europa. Actas do II Encontro sobre Ordens Militares, hgg. Isabel Cristina FERREIRA FERNANDES, Paulo PACHECO (Lisboa – Palmela, 1997); Ordens militares: guerra, religião, poder e cultura. Actas do III Encontro sobre Ordens Mili-tares, hg. Isabel Cristina FERREIRA FERNANDES, Actas e colóquios 17 (Lisboa – Palmela, 1999).

64 As ordens militares e as ordens de cavalaria na construção do mundo ocidental. Actas do IV Encontro sobre Ordens Militares, hg. Isabel Cristina FERREIRA FERNANDES, Actas e colóquios 37 (Lisboa-Palmela, 2005); As ordens militares e as ordens de cavalaria entre o ocidente e o oriente. Actas do V Encontro sobre Ordens Militares, hg. Isabel Cristina FERREIRA FERNANDES, Ordens militares 2 (Lisboa – Palmela, 2009).

65 Military Orders, 1, Fighting for the Faith and Caring for the Sick, hg. Malcolm BARBER (Aldershot, 1994).

66 Military Orders, 2, Welfare and Warfare, hg. Helen NICHOLSON (Aldershot, 1998).67 Military Orders, 3, History and Heritage, hg. Victor MALLIA-MILANES (Aldershot, 2008).68 Military Orders, 4, On Land and by Sea, hg. Judi UPTON-WARD (Aldershot, 2008).69 Military Orders, 5, Politics and Power, hg. Peter EDBURY, im Druck.

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DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG ZU DEN MITTELALTERLICHEN GEISTLICHEN RITTERORDEN 39

Gleichzeitig hat sich in der allgemeinen Geschichtswissenschaft die Hal-tung zur Thematik der geistlichen Ritterorden verändert, die jetzt im Rahmen großer Tagungen zur mittelalterlichen Geschichte sehr oft präsent sind. So gab es u. a. auf dem “International Medieval Congress” in Leeds 1997 eine Sektion über Mendicants, military orders, and regionalism in medieval Europe70, eine andere 2002 über International mobility in the military orders71 und 2008 eine zum Templerprozeß72.

70 Mendicants, Military Orders, and Regionalism in Medieval Europe (1997 International Medieval Confrence in Leeds), hg. Jürgen SARNOWSKY (Aldershot, 1999).

71 International Mobility in the Military Orders (Twelfth to Fifteenth Centuries): Travelling on Christ’s Business. Papers of four sessions of the International Medieval Congress at the University of Leeds 2002 and additional papers, hgg. Jochen BURGTORF, Helen NICHOLSON (Tuscaloosa, 2006).

72 The Debate on the Trial of the Templars (1307–1314), hgg. Jochen BURGTORF, Paul CRAWFORD, Helen J. NICHOLSON (Aldershot, 2010).

4. Nach der ersten Belagerung der Stadt Rhodos durch die Türken im Jahr 1480 verstärkten die Johanniter grundlegend die Befestigungen (Foto L. Jan).

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40 DIE GEISTLICHEN RITTERORDEN IN MITTELEUROPA. MITTELALTER

Wie überall intensivierte sich die Forschungstätigkeit auch in Mitteleuropa, wo die “Central European University” eine herausragende Rolle spielte mit einer wichtigen Tagung 1999 in Budapest, The Crusades and the Military Orders.73 Diese Konferenz und der folgende Tagungsband bieten einen bequemen Zu-gang zum Forschungsstand um das Jahr 2000, mit 35 Beiträgen aus Dänemark, Deutschland, Estland, Großbritannien, Israel, Kanada, Kroatien, Mazedonien, Polen, Rußland, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn und den Ver-einigten Staaten sowie einer vorläufigen Bibliographie zu Kreuzzügen und Rit-terorden mit etwa 1700 Titeln.74

3. Die heutige Forschung und ihre Zukunftsperspektiven

Auf der “Crusades and Military Orders”-Tagung in Budapest hat József Las-zlowsky als eine der wichtigsten Zukunftsausgaben für die Ritterordensfor-schung eine engere Zusammenarbeit zwischen den Historikern verschiedener Länder angesehen, damit die Forschung komplexer und interdisziplinärer wer-den könne.75 Wie sieht es heute aus mit dieser internationalen Zusammenarbeit?

Seit 2000 finden jährlich drei oder vier Konferenzen statt, die exklusiv die Geschichte der geistlichen Ritterorden behandeln: die schon genannten, regel-mäßigen Tagungen in Toru (alle zwei Jahre), Palmela und London-Cardiff (bei-de alle vier Jahre), die die wichtigsten Treffpunkte für die Spezialisten geblieben sind. Hinzu kommen andere Initiativen, z. B. die 41. Konferenz in Fanjeaux 2005 über Les ordres religieux militaires dans le Midi76. Die Liste der einschlägigen Tagungen ist jedoch länger, denn allein für 2009–2010 wären – neben Cardiff77 und Palmela78 – Initiativen in Foggia79, Lyon80, ejkovice, Clermont-Ferrand81

73 The Crusades and the Military Orders (wie Anm. 10)74 Ibid., S. 501–587.75 LASZLOWSKY, ‘State of Research’ (wie Anm. 10), S. xxiii.76 Les ordres religieux militaires dans le Midi (XIIe-XIVe siècle). Actes du 41e colloque de

Fanjeaux, 2005, Cahiers de Fanjeaux 41 (Toulouse, 2006).77 Military Orders, 5.78 As ordens militares e as ordens de cavalaria entre o ocidente e o oriente.79 Federico II e i cavalieri teutonici in Capitanata: recenti ricerche storiche e archeologiche.

Atti del Convegno internazionale, Foggia – Lucera – Pietra Montecorvino 10–13 giugno 2009, Acta Theutonica, im Druck.

80 Élites et ordres militaires au Moyen Âge. Rencontre en l’honneur d’Alain Demurger. Lyon, 21–23 octobre 2009, im Druck.

81 Les ordres religieux militaires dans la ville médiévale (1100–1350). Actes du colloque international. Clermont-Ferrand, 26–28 mai 2010, im Druck.

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DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG ZU DEN MITTELALTERLICHEN GEISTLICHEN RITTERORDEN 41

und Potsdam82 zu verzeichnen. Die Ritterorden werden zudem, wie erwähnt, häufig im Rahmen anderer historischer Tagungen mitbehandelt.

Zahlreich sind die Forschungszentren, welche sich der Geschichte der Rit-terorden widmen. So gibt es z. B. in Portugal eine wichtige, an der Universität Porto lokalisierte Studiengesellschaft, in der mehrere Forscher ausschließlich an unserem Thema arbeiten,83 ferner in Palmela ein “Studienkabinett” zur Ge-schichte des Ordens von Santiago84 sowie kleinere Forschungseinheiten in Lissabon und Coimbra. In Italien hat sich eine Reihe von kleineren Institutionen des Malteserordens und des Ordens vom Hl. Grab gebildet, die ihre eigene Ge-schichte studieren: das “Centro di Studi Melitensi” in Tarent, die Internationale Akademie des Malteserordens in Rom, ein Zentrum zur Geschichte des Deut-schen Ordens im Mittelmeer in Lecce und mehrere kleinere Einrichtungen an einzelnen Universitäten und im italienischen “Centro Nazionale di Ricerche”, außerdem eine “Libera Associazione dei Ricercatori dei Templari” usw. Ritter-ordensforschung wird aber auch an anderen Zentren wie dem “Centro di Studi Federiciani” (Lagopesole) betrieben.

Kurz: Es gibt in ganz Europa im Moment mindestens 20 Forschungszentren, an denen das Thema intensiv bearbeitet wird. Einige von diesen Institutionen organisieren Tagungen, veröffentlichen Monographien und geben eigene Zeit-schriften heraus. Um Werbung in eigener Sache zu machen, verweise ich auf unser Zentrum zur Geschichte des Deutschen Ordens im Mittelmeer: Es hat vier Tagungen abgehalten, eine Publikationsreihe, Acta Theutonica, mit fünf Bänden veröffentlicht85 und gibt jetzt auch eine Zeitschrift, “Analecta Theutonica”, her-aus. Unsere Nachbarn in Tarent, im “Centro di Studi Melitensi”, veröffentlichen eine Publikationsreihe, “Melitensia”, und ein Periodikum, „Studi Melitensi“.86

Eine derart verwirrende Vielfalt in Europa hat zur Folge, daß die Zusam-menarbeit zwischen all diesen Institutionen entweder sehr mager ist oder völlig fehlt. Oft ist Rivalität zwischen starken Persönlichkeiten im Spiel, nicht selten aber einfach Mangel an Information. Es gibt keine Zentralstelle für die Historiker der Ritterorden. Die am besten vertretene Organisation ist die “Society for the Study of the Crusades and the Latin East”,87 doch anders als ihr Name anzeigt, hat sie das Problem, daß sich zwischen Kreuzzügen und Orient einerseits und

82 Tannenberg - Grunwald - !algiris. 1410–2010. Schlachtfeld der Nationalmythen. Konfe-renz, Potsdam 2–3 Juli 2010.

83 Centro de Estudos da População Economia e Sociedade (CEPESE), Dir. Luís Adão da Fon-seca.

84 Gabinete de Estudos sobre a Ordem de Santiago, Dir. Isabel Cristina Ferreira Fernandes.85 Acta Theutonica 1–5 (Galatina, Congedo Editore, 2004–08).86 Gran Priorato di Napoli e Sicilia del Sovrano Militare Ordine di Malta, Melitensia 1–14

(Taranto, Adriatica Editrice, 1996–2007); Studi Melitensi 1–13 (1993–2005/06).87 Siehe http://www.sscle.org.

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den Ritterorden andererseits nicht immer ein direkter Bezug herstellt. So haben auf dem Feld der Deutschordensgeschichte viele Forscher fast nichts mit dem Orient zu tun. Die enge Verbindung zwischen den Studien über den lateinischen Orient und dem Thema der Ritterorden ist typisch für die angelsächsischen Länder, und insgesamt gehören der “Society” nur wenige Forscher aus Frank-reich, Italien, Spanien und Portugal an. Von 420 Mitgliedern schreibt nur eine Minderheit, etwa 70 Personen, über die Geschichte der Ritterorden. Deshalb haben die “Society” und ihre Zeitschrift, “Crusades”,88 für die Historiker der Rit-terorden keineswegs die Funktion eines Koordinationszentrums übernommen.

In Porto wird seit 1997 die Zeitschrift “Militarium Ordinum Analecta“89 herausgegeben, die sich dem Anspruch nach mit allen Aspekten der Proble-matik und dem ganzen Europa befaßt, in Wirklichkeit aber Publikationsort für Monographien und Tagungsakten geblieben ist90 und sich eher als Buchreihe denn als Zeitschrift darstellt. In Madrid gibt es seit 2001 die “Revista de las Or-denes Militares”: in diesem Fall handelt sich um eine Zeitschrift, der sich jedoch ausschließlich mit der Iberischen Halbinsel beschäftigt.91

Ein Versuch, eine zentrale Informationsstelle zu schaffen, wurde im Jahre 2000 in Perugia gemacht. Francesco Tommasi, ein Historiker, der schon wich-tige Sammelbände zur Geschichte der Ritterorden veröffentlicht hatte, grün-dete mit Franco Cardini eine Zeitschrift zu den mittelalterlichen geistlichen Ritterorden, “Sacra Militia”.92 Diese Zeitschrift erschien von 2000 bis 2002 mit drei Nummern, danach wurde sie leider wegen finanzieller Schwierigkeiten eingestellt. Derzeit planen die Herausgeber, statt einer Zeitschrift eine Reihe von Sammelbänden zu produzieren, wie der 2008 erschienene Band Religio-nes Militares;93 ein solches Format bietet aber keinen Raum für Rezensionen, Notizen, Konferenzberichte usw.

Im Jahre 2009 wurde in Lyon ein längerfristiges Projekt der Historiker Nico-le Bériou und Philippe Josserand erfolgreich abgeschlossen, das Dictionnaire européen des ordres militaires au Moyen Âge.94 Dieses großartige, auf fran-zösisch geschriebene, hoffentlich eines Tages in andere Sprachen übersetzte Werk sammelt Beiträge von einer bedeutenden Zahl von Spezialisten. Es han-

88 Crusades 1–8 (2002–2009).89 Militarium Ordinum Analecta 1–11 (1997–2009).90 So z. B. die letzte Nummer Militarium Ordinum Analecta 11 (2009): Comendas das Ordens

Militares na Idade Média. Actas do Seminário Internacional, Porto, 3 e 4 de Novembro de 2008. In Palmela gibt es eine Reihe, Colecçao Ordens Militares, 1–3 (Lisboa – Palmela, Edições Colibri, 2002–2010).

91 Revista de las Ordenes Militares 1–5 (2001–2009). 92 Sacra Militia. Rivista di storia degli ordini militari 1–3, 2000–2002.93 Religiones Militares (wie Anm. 51).94 Prier et combattre (wie Anm. 8).

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DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG ZU DEN MITTELALTERLICHEN GEISTLICHEN RITTERORDEN 43

delt sich um eine Enzyklopädie, die den Forschungsstand etwa der Jahre 2005 oder 2006 repräsentiert und für lange Zeit eine Bibel der Ritterordensforscher bleiben wird.

Die Redaktion des Dictionnaire war eine Gelegenheit, das Gros der Rit-terordensforscher zusammenzubringen und ein Informationsnetz zu knüpfen. Ich glaube, daß niemand heute so vollständige Informationen über unser The-ma besitzt wie Frau Bériou und Herr Josserand in Lyon; eine Zentralstelle zur Ordensforschung könnte deshalb dort eine Basis finden, zumindest mit einer Webseite, einer Liste der interessierten Historiker und ihrer Veröffentlichungen ab 2010. Das wäre nicht nur bequem, sondern sogar unentbehrlich, weil wir eben keine genaue Kenntnis über die jährlich publizierten Werke zur Geschichte der Ritterorden haben und nicht wissen, wie viele Forscher und Forschungs-einheiten in der Welt daran arbeiten. Es mag sein, daß diese Lücke auch mit der Selbsteinschätzung der Forscher zusammenhängt: Vielleicht sieht sich ein Historiker, der die Geschichte des Templerordens studiert, eher als Mediävist und will nicht als Templerhistoriker klassifiziert werden? Wir alle haben neben den Ritterorden andere Forschungsinteressen und wollen uns nicht unbedingt auf ein einziges Gebiet begrenzen lassen. Dennoch brauchen wir einen besseren Austausch von Ideen und Informationen, denn der beschriebene Mangel führt zu Situationen, in denen zwei oder mehrere Historiker an denselben Themen forschen, ohne voneinander zu wissen.

Marian Biskup forderte 1987 für die Zukunft der Deutschordensgeschichte die Lösung zweier Probleme, die aber für alle Ritterorden gelten: erstens die Erforschung und Edition der Quellenbasis, und zweitens die Schaffung von Anstößen für eine Studie zu den Hauptthemen der Ordensgeschichte.95

Die Quellen der Ritterorden sind heute viel besser bekannt als 1987, es blei-ben aber immer noch viele Lücken in einzelnen Gebieten. Die erste Phase, die der Quellenerschließung, ist also noch nicht beendet – es mag genügen, daran zu erinnern, daß es erst seit 2003 eine intensive Forschung zu den Templern in Südfrankreich96 und seit 2008 zu den Templern in Norditalien97 gibt. Wichtige Archivmaterialen, z. B. die Reste des livländischen Deutschordensarchivs, die in Schweden liegen, müssen noch erforscht geworden. Unsere Quellenbasis ist noch nicht breit genug, jedoch ist es schon jetzt möglich, mit Hilfe der veröf-fentlichten und erforschten Quellen thematische Forschungen voranzutreiben.

95 Marian BISKUP, ‘Über quellenkundliche Fragen und einige Forschungsaspekte der Geschich-te des Deutschen Ordens. Ein Beitrag zu den Werkstattproblemen des heutigen Forschers’, in: Werkstatt des Historikers (wie Anm. 3), S. 7–17, hier S. 9.

96 CARRAZ, L’Ordre du Temple (wie Anm. 45).97 BELLOMO, The Templar Order (wie Anm. 58).

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44 DIE GEISTLICHEN RITTERORDEN IN MITTELEUROPA. MITTELALTER

Als erstes: Gesamtgeschichten der Ritterorden. Auf diesem Gebiet gibt es periodisch neu aufgelegte und aktualisierte Monographien, z. B. die Werke von Alain Demurger zu den Templern98 und von Klaus Militzer zum Deutschen Orden,99 aber immer mehr Autoren haben dieses Thema für einzelne Länder einem nationalen Publikum dargestellt. Die Lage ist weniger gut für die Jo-hanniter, auch wenn Jonathan Riley-Smith derzeit an einer Neuauflage seines berühmten Buches zu den Johannitern in Jerusalem und Zypern100 arbeitet. 2003 erschien eine neue Monographie zur Geschichte des Ordens vom Hl. La-zarus von Rafaël Hyacinthe,101 2009 eine neue Darstellung der Orden von Avis

98 DEMURGER, Templiers (wie Anm. 35).99 Klaus MILITZER, Die Geschichte des Deutschen Ordens (Stuttgart, 2005).100 Jonathan RILEY-SMITH, The Knights of St. John in Jerusalem and Cyprus c. 1050–1310, A

History of the Order of the Hospital of St. John of Jerusalem 1 (London, 1967).101 HYACINTHE, L’ordre de Saint-Lazare. Dazu kommen auch die zahlreichen Arbeiten von

François-Olivier TOUATI, u. a., ‘Entre Orient et Occident. Les archives de Saint-Lazare de

5. Relief des hl. Nikolaus mit den Wappen der Großmeister an dem gleichnamigen Turm, um den 1480 die harte Kämpfe geführt wurden (Foto L. Jan).

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DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG ZU DEN MITTELALTERLICHEN GEISTLICHEN RITTERORDEN 45

und Santiago von Luís Filipe Oliveira.102 Problematischer ist die Lage für die anderen iberischen Ritterorden, wo immerhin Carlos de Ayala Martínez 2003 eine Zusammenfassung ihrer Geschichte vorgelegt hat.103

Anstöße zur vertieften Erforschung der Ordensgeschichte kommen zudem durch wissenschaftliche Arbeiten, die sich an ein breiteres Publikum wenden und eine größere gesellschaftliche Resonanz anstreben. Hier gibt es heute mehr und mehr auf eine große Öffentlichkeit ausgerichtete, aber ernstzunehmende Werke, die sich der immer noch starken Tendenz des Templarismus und der Esoterik entgegenstellen. Nur ein Beispiel ist das von Feliciano Novoa Portela und Carlos de Ayala Martínez herausgegebene Buch Ritterorden im Mittelalter, das bis jetzt in der spanischen Originalversion sowie in französischer und in deutscher Übersetzung erschienen ist.104

Ferner gibt es viele Monographien zur Geschichte der Ritterorden in ein-zelnen Regionen, aber für keinen der europäischen Staaten besitzt man ein den neuesten Erkenntnissen genügendes Werk: nichts zur Gesamtgeschichte der Templer und Johanniter in Frankreich, keine neue Monographie zum liv-ländischen Zweig des Deutschen Ordens; um eine umfassende Geschichte der Templer in Portugal zu finden, muß man bis ins 18. Jahrhundert zur Monogra-phie von Ferreira105 zurückgehen, und für den Deutschen Orden in Preußen bleibt man auf Johannes Voigt angewiesen.106 Als Ausnahme könnten wir z. B. die Studien von Helen Nicholson über England nehmen,107 aber auch in diesem

Jérusalem au Moyen Âge’, in: La présence latine en Orienta u Moyen Âge, hgg. Ghislain BRUNEL, Marie-Adélaïde NIELEN (Paris, 2000), S. 95–129.

102 Luís Filipe OLIVEIRA, A Coroa, os Mestres e os Comendadores. As Ordens Militares de Avis e de Santiago (1330–1449) (Faro, 2009).

103 Carlos de Ayala MARTÍNEZ, Las órdenes militares hispánicas en la Edad Media (Madrid, 2003).

104 Ritterorden im Mittelalter, hgg. Feliciano NOVOA PORTELA, Carlos de Ayala MARTÍNEZ (Stuttgart, 2006).

105 Alexandre FERREIRA, Supplemento historico ou memorias, e noticias da celebre Ordem dos Templarios (Lisboa, 1735).

106 Johannes VOIGT, Geschichte Preussens, von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft des Deutschen Ordens, 9 vols. (Königsberg, 1827–39).

107 Helen NICHOLSON, ‘The Military Orders and the Kings of England in the Twelth and Thir-teenth Centuries’, in: From Clermont to Jerusalem: The Crusades and Crusader societies, 1095–1500, selected proceedings of the International Medieval Congress, University of Leeds, 10–13 July 1995, hg. Alan V. MURRAY (Turnhout, 1998), S. 203–218; EAD., ‘The Knights Hospitaller on the Frontiers of the British Isles’, in: Mendicants, Military Orders and Regionalism, hg. Jürgen Sarnowsky (Aldershot, 1999), S. 47–57; EAD., ‘The Hospitallers in England, the kings of England and relations with Rhodes in the Fourteenth Century’, Sacra Militia 2 (2001), S. 25–45; EAD., ‘The Hospitallers and the Peasants” ’ Revolt of 1381 Revisited’, St John Historical Society Proceedings (2001), S. 43–55; EAD., ‘Relations between Houses of the Order of the Temple in Britain and their Local Communities, as Indicated during the Trial of the Templars, 1307–12’, in: Knighthoods of Christ: Essays on the His-

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Fall handelt es sich nicht um die Geschichte aller auf der Insel aktiven Ritter-orden. Die Territorial- und Regionalforschung verdient weiter eine intensive Beschäftigung, und deswegen freue ich mich sehr über die durch unsere Tagung gebotene Gelegenheit, die Geschichte der Ritterorden in Mitteleuropa auf eine so qualifizierte Weise zu behandeln.

Die von Kaspar Elm 1999 gestellte Frage nach der Einheit und Vielfalt oder dem Universalismus und Regionalismus der Ritterorden108 bleibt, auch, aber nicht nur im Fall der Iberischen Halbinsel, unverändert aktuell. Die großen uni-versalen Themen, die im Fall der geistlichen Ritterorden weiter geklärt werden sollten, sind, was sehr bemerkenswert erscheint, dieselben, die schon Hans Prutz am Anfang des 20. Jh. benannte: die Spiritualität der Orden, ihr Beitrag zur Entwicklung des Abendlandes, ihre Rolle im sozialen und wirtschaftlichen Leben, ihr Verhältnis zu den weltlichen und kirchlichen Mächten.109

In seiner Einleitung zum Dictionnaire des ordres militaires über die Hi-storiographie der Ritterorden hat Alain Demurger einige Forschungsgebiete festgehalten, auf denen die Fortschritte besonders sichtbar sind, z. B. die Fragen nach dem Verhältnis zwischen den Ordensbesitzungen in der Levante und im Westen, nach der wirtschaftlichen und finanziellen Tätigkeit der Orden, nach Literatur und bildender Kunst, nach der Spiritualität und, in etwas geringerem Maße, nach der Militärgeschichte der Ritterorden.110 Im Rahmen desselben Dictionnaire wurden mehrere generelle Themen dargestellt wie die Ritterorden in der mittelalterlichen Stadt.111 die Stellung ihrer Mitglieder als einer Elite der Gesellschaft,112 die Konzepte von Krieg und Frieden im Selbstbewußtsein der Orden usw.113

Die fundiertesten und aussichtsreichsten Perspektiven liegen zweifellos, wie Nikolas Jaspert im März in Palmela vorgetragen hat,114 in der Sozialgeschichte und besonders in der Prosopographie der Mitglieder der geistlichen Ritteror-den. Erst jetzt haben wir ausreichend Namenmaterial gesammelt, um solche

tory of the Crusades and the Knights Templar, Presented to Malcolm Barber, hg. Norman HOUSLEY (Aldershot, 2007), S. 195–207; EAD., ‘The Trial of the Templars in the British Isles’, in: Religiones militares (wie Anm. 51), S. 131–154; EAD., ‘The Military Orders in Wales’, in: Military Orders, 5 (wie Anm. 69), im Druck.

108 ELM, ‘Die Ordines militares. Ein Ordenszötus’ (wie Anm. 53), besonders S. 351.109 Hans PRUTZ, Die Geistlichen Ritterorden. Ihre Stellung zur kirchlichen, politischen, gesell-

schaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Mittelalters (Berlin, 1908), S. 525–532.110 Alain DEMURGER, ‘Histoire de l’historiographie des ordres religieux-militaires de 1500 à nos

jours’, in: Prier et combattre (wie Anm. 8), S. 22–46.111 Kristjan TOOMASPOEG, ‘Ville’, in: Prier et combattre (wie Anm. 8), S. 964–966.112 Z. B. Alain DEMURGER, ‘Service curial’, in: ibid., S. 866–868.113 Philippe CONTAMINE, ‘Guerre’, in: ibid., S. 405–406.114 Nikolas JASPERT, ‘Military Orders and social history: Some introductory thoughts’, in: Freires,

Guerreiros, Cavaleiros (wie Anm. 2), im Druck.

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Forschungen zu unternehmen. Wenn wir die Brüder der Ritterorden genauer kennen, wird es sicherlich möglich, manche Aspekte der Gesamtgeschichte der Orden besser zu erklären.115 Ein zweites Gebiet, auf dem die Forschungs-tätigkeit sich von 2000 bis 2010 intensiviert hat, das aber noch eine riesige Arbeit erfordert, ist die Bau- und Kunstgeschichte der Ritterorden.116 Nach der Veröffentlichung einer langen Reihe lokaler Monographien bräuchte man jetzt systematische und katalogisierende Zusammenfassungen über einzelne Regionen oder einzelne Orden.

In der neuesten Forschung gibt es allerdings eine Tendenz, die ich für ge-fährlich und fruchtlos halte: Diskussionen über die Terminologie, etwa um den Begriff “Ritterorden” (der ein Anachronismus ist), um das Verhältnis zwischen geistlichen Ritterorden, Adelsgesellschaften und Hoforden oder, zuletzt, um die Frage, ob die Brüder der Orden eher bellatores, oratores oder laboratores waren. In Palmela hat José Mattoso die Historiker gewarnt, sich nicht in diesen nutzlosen Polemiken zu verlieren, und daran erinnert, daß geistliche Ritterorden immer ein originelles und sich dauernd veränderndes Phänomen waren.117 Des-halb, denke ich, sollte man die Ordensgeschichte nicht allein oder vorwiegend innerhalb der Problematik des Heiligen Landes oder der Kreuzzüge ansiedeln, sondern immer mit der Vielfalt ihrer Geschichte und ihrer einzelnen Besitz-gruppen rechnen. Diese Vielfältigkeit sollte jedoch andererseits Historiker nicht daran hindern, daneben Gesamttendenzen in der Geschichte der Ritterorden zu beobachten.118

Die Geschichtsschreibung zu den mittelalterlichen geistlichen Ritterorden befindet sich aktuell in einer Phase intensiver Aktivität, mit einem Boom von Ta-gungen und Veröffentlichungen. Das heißt aber nicht, daß die Grundfragen des Themas schon definitiv beantwortet wären. Mehrere Regionen, so auch Mittel-europa, müssen weiter erforscht werden, und noch reichen unsere Kenntnisse

115 Siehe z. B. Pierre BONNEAUD, ‘Un débouché fréquent pour les cadets des différentes aris-tocraties catalanes: étude sur 283 chevaliers catalans de l’Ordre de l’Hôpital au XVe siècle (1396–1472)’, Société de l’histoire et du patrimone de l’Ordre de Malte 22 (2009), S. 4–35.

116 Zur Situation im Jahre 2000 LASZLOWSKY, State of Research (wie Anm. 10), S. xx-xxi. Die neu-este Ausstellung zu diese Frage ist: Cavalieri. Dai Templari a Napoleone. Storie di crociati, soldati, cortigiani (Catalogo di mostra, La Venaria Reale, 28 novembre 2009–11 aprile 2010), hgg. Alessandro BARBERO, Andrea MERLOTTI (Milano, 2009) und die neueste Tagung: Arte y patrimonio de las órdenes militares de Jerusalén en España: hacia un estado de la cuestión. Congreso internacional. Madrid, 17–19 de junio de 2010, im Druck.

117 Runder Tisch zu «Prática religiosa e espiritualidade militar», Freires, Guerreiros, Cavaleiros. VI Encontro sobre Ordens Militares. Palmela, 10–14 März 2010.

118 Vor Polemik und Diskussion braucht man natürlich keine Angst haben. Hier zwei Beispi-ele für neuere, auf originelle Theorien gestützte und recht anregende Arbeiten: Barbara FRALE, L’ultima battaglia dei Templari: dal “codice ombra” d’obbedienza militare alla costruzione del processo per eresia (Roma, 2001) und Simonetta CERRINI, La révolution des Templiers (Paris, 2007, neue Auflage Paris, 2009).

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der Archivquellen nicht aus. Was ich aber als besonders problematisch ansehe, ist die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den interessierten Historikern und Studienzentren. Dieses Problem sollte bald eine Lösung finden, andernfalls kommen wir nicht weiter. Die Zukunft gehört einer erneuerten Sozialgeschich-te der Ritterorden, die im Kontext der mittelalterlichen Gesellschaft gesehen werden müssen, jedoch ohne ihre Eigenart zu vergessen. Dies wird, wie Marian Biskup 1987 geschrieben hat, „nur in einer dauernden, internationalen Zusam-menarbeit“ möglich sein.119

119 BISKUP, ‘Über quellenkundliche Fragen’ (wie Anm. 95), S. 17.