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Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln Hauptseminar Professor Dr. Ulrike Domahs Wissenschaftliches Arbeiten Wintersemester 2014/2015 Die Evolution der Sprache Armin Broich 11. Fachsemester Deutsch, Englisch LA Gym/Ge (LPO 2003) Aquinostraße 27 50670 Köln [email protected]
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Die Evolution der Sprache

Apr 30, 2023

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Page 1: Die Evolution der Sprache

Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln

Hauptseminar Professor Dr. Ulrike Domahs

Wissenschaftliches Arbeiten

Wintersemester 2014/2015

Die Evolution der Sprache

Armin Broich

11. Fachsemester

Deutsch, Englisch LA Gym/Ge (LPO 2003)

Aquinostraße 27

50670 Köln

[email protected]

Page 2: Die Evolution der Sprache

Inhaltsverzeichnis

1. Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit……………………………………………………..3

2. Intentionalität und Kooperation……………………………………………………………..4

3. Die Sprachlautproduktion…………………………………………………………………...5

3.1. Die soziale Kognition…………………………………………………………………….14

3.2. Lautimitation …………………………………………………………………………….17

5. Gestische Kommunikation…………………………………………………………………18

6. Zusammenfassung der Diskussion und offene Fragen…………………………………….20

7. Literaturverzeichnis………………………………………………………………………..21

Page 3: Die Evolution der Sprache

3

1. Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit

Bezüglich der Evolution der Sprache gibt es viele ungeklärte Fragen. Den Wis-

senschaftlern ist es ein Rätsel, wie wir zu einem scheinbar unendlichen Lexikon

vordringen konnten, dass so nicht in der Kommunikation der Tierwelt anzutreffen

ist. Diese wissenschaftliche Ausarbeitung versucht sich der Frage anzunähern, wie

es uns gelang von einem Urzustand ein komplexes sprachliches System zu entwi-

ckeln. Diesbezüglich ist eine vergleichende Auseinandersetzung mit dem Tier-

reich, insbesondere unseren nächsten Verwandten den Primaten, unumgänglich.

In diesem Kontext werden verschiedene Forschungen mit Affenarten vorgestellt

und im Hinblick auf deren evolutionären Gehalt geprüft. Es wird erörtert, welche

Aspekte der tierischen Kommunikation als Vorläufer der menschlichen Kommu-

nikation in Frage kommen und an welchen Stellen sich weitere Rätsel ergeben.

Zudem werden grundlegende Konzepte der menschlichen Kommunikation wie

Intentionalität, kooperatives Verhalten, Referentialität und Rekursivität vorgestellt

und in Bezug zur tierischen Kommunikation gesetzt. Dabei wird sowohl auf die

Sprachlautproduktion als auch auf die gestische Kommunikation eingegangen.

Aktuelle Perspektiven von nativistischen und konstruktivistischen Sprachwissen-

schaftlern fließen in die Ausarbeitung mit ein. Sie sollen Aufschluss darüber ge-

ben, unter welchen Voraussetzungen sich die menschliche Sprache entwickelt

haben könnte und welche Schlüsselfaktoren auf konzeptueller und physischer Ba-

sis in der Evolution der Sprache involviert sind. In diesem Kontext wird die Ein-

zigartigkeit bestimmter Faktoren wie der Rekursivität unter Heranziehung konträr

verlaufender Theorien in Frage gestellt. Schließlich werden zentrale Aussagen aus

den verschiedenen Modellen noch einmal aufgegriffen und ein Fazit aus dem der-

zeitigen Forschungstand im Hinblick auf die Evolution der Sprache gezogen.

Page 4: Die Evolution der Sprache

4

2. Intentionalität und Kooperation

Mithilfe der konstruktivistischen Perspektive Tomasellos soll zunächst auf ent-

scheidenden Faktoren der Intentionalität und gemeinsamen Aufmerksamkeit ein-

gegangen werden.

Menschliche “Kommunikationsmotive“ bauen im Gegensatz zu tierischen Kom-

munikationsmotiven auf Kooperation auf.1 Das kooperative Verhalten der Men-

schen baut auf dem Begriff auf, den Tomasello als geteilte Intentionalität ein-

führt.2. Die Frage nach der Entstehung von kooperativer Kommunikation ist ein

umstrittenes Thema. Tomasello weist in seiner Arbeit darauf hin, dass sich die

Kooperation wahrscheinlich in einem nicht genau zu definierenden Kontext als

vorteilhaft erwiesen hat: „Aus Gründen, die wir nicht kennen, hatten an einem

bestimmten Punkt der menschlichen Entwicklung Individuen, die mit gemeinsa-

men Absichten, gemeinsamer Aufmerksamkeit und kooperativen Motiven ein

gemeinsames Ziel verfolgen konnten, einen Anpassungsvorteil“.3 Die kooperative

Kommunikation basiert auf dem Ziel, den Empfänger zu unterstützen bzw. etwas

mit ihm zu teilen. Dies äußert sich bereits im frühkindlichen Stadium, wenn in

sogenannten Aufmerksamkeitsrahmen („attentional frames“) die gemeinsamen

Verständnisse („shared understandings“) von der Welt zum Ausdruck gebracht

werden.4 In einer Aufräumsituation, zum Beispiel, kann das Kind eine Zeigegeste

des Erwachsenen, der in die Situation involviert ist, auf ein Spielzeug als ab-

sichtsvolle Geste interpretieren, die es dazu veranlasst, das Spielzeug aufzuheben

und wegzuräumen. Bereits im vorsprachlichen Stadium des Kindes kommt es so-

mit zu verschieden ikonischen Gesten, die eine Tendenz des Menschen wieder-

spiegeln, der Blickrichtung seines Gegenübers zu äußeren Gegenständen zu fol-

gen und das Vorgehen des Anderen als absichtsvoll einzustufen.5 Andere tierische

Spezies, inklusive der Primaten, kommunizieren nicht auf diese Art.6 Diese Tatsa-

che legt nahe, dass bereits diese vorsprachlichen Gesten, Formen der sozialen

Kognition („social cognition“) und kommunikativen Motivation darstellen

(„communicative motivation“), die Tomasello als einzigartig für die menschliche

1 Vgl. Tomasello, Michael: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, S.16. 2 Vgl. ebd., S.17. 3 Ebd., S.19. 4 Vgl. Tomasello, Michael: The usage based theory, S.71. 5 Vgl. ebd., S.20 6 Vgl. Tomasello, Michael: The usage based theory, S.70.

Page 5: Die Evolution der Sprache

5

Sprache einstuft.7 Sie sind notwendig für den ersten Schritt auf dem Weg zu

sprachlichen Konventionen sowohl in phylogenetischer als auch ontogenetischer

Hinsicht.8

Als Wegbereiter für den Übergang von gestischer Kommunikation zu konventio-

nellen Sprachen zieht Tomasello die einzigartigen Fähigkeiten des Menschen

„zum kulturellen Lernen“ und zur „Imitation“ heran, die es ermöglichen von an-

deren und deren Intentionen zu lernen.9 Fest steht, dass die Menschen im Laufe

der Evolution damit begannen, unterschiedliche Konventionen grammatikalischer

Natur zu schaffen und in einem kulturellen Kontext weiterzureichen. Für

Tomasello ist Intentionalität hier ein entscheidender Faktor, damit überhaupt erst

von Kommunikation gesprochen werden kann: Es lässt sich erst dann von Kom-

munikation sprechen, wenn der Adressat absichtlich Einfluss auf das Verhalten

des Empfängers ausüben möchte.10

In wie weit die Kategorien der intentionalen

Kommunikation und der kooperativen Kommunikation auf verschiedene Spezies

anwendbar sind, ist Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit.

3. Die Sprachlautproduktion

In diesem Kapitel werden zunächst einige Schlüsselfaktoren in der Evolution der

Sprachlautproduktion erörtert. Daraufhin werden Aspekte der Intentionalität,

Referentialität und Rekursivität im Hinblick auf ihre Relevanz in Bezug auf die

Evolution der Sprache in Augenschein genommen. Perspektiven, die ein unter-

schiedliches Licht auf diese Faktoren werfen, werden unter Einbeziehung von

Beobachtungen verschiedener Affenarten gegenübergestellt und analysiert.

Fitch (2000) geht in seinem Essay „The evolution of speech: a comparative re-

view“ darauf ein, dass zumindest zwei Veränderungen als Voraussetzungen für

die moderne Sprachlautproduktion des Menschen stattgefunden haben: (1) Die

Veränderung der Stimmtrakt-Morphologie und (2) die Entwicklung der Fähigkeit

der Lautimitation.11

An dieser Stelle sei kurz der Unterschied von Sprache und

Sprachlautproduktion erörtert: Sprache ist ein System, das dazu dient, komplexe

konzeptuelle Strukturen unabhängig von Modalität zu repräsentieren und zu

7 Vgl. ebd., S.70. 8 Vgl. ebd., S.70. 9 Vgl. Tomasello, Michael: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, S.20f.. 10 Vgl. ebd., S.25. 11 Vgl. ebd., S.258.

Page 6: Die Evolution der Sprache

6

kommunizieren.12

Sprachlautproduktion hingegen bezieht sich auf das auditi-

ve/stimmliche Medium, das typischerweise von Menschen genutzt wird, um Spra-

che zu vermitteln.13

Die Evolution der Sprache brachte komplexe konzeptuelle

Strukturen mit sich, einen Trieb, diese sowohl zu repräsentieren als auch zu kom-

munizieren und Regelsysteme um diese zu encodieren.14

Die Evolution der

Sprachlautproduktion bedurfte Vokalisierungen von adäquater Komplexität um

sprachliche Bedürfnissen zu bedienen, eine Fähigkeit für stimmliches Lernen, und

einen Stimmapparat, der über eine große phonetische Reichweite verfügt.15

Das

Fehlen von eindeutigen tierischen Homologien zur menschlichen Sprache, er-

schwert es, die Sprachevolution empirisch zu erforschen.16

Die meisten Aspekte

der Sprachlautproduktion hingegen werden mit anderen Tieren geteilt, was er-

laubt, die Evolution der Sprachlautproduktion von einer vergleichenden evolutio-

nären Perspektive zu analysieren.17

Die Akustik, die Anatomie, die Innervation

(Leitung der Reize durch die Nerven zu den Organen und Geweben des Organis-

mus) sowie die zentrale Kontrolle des Menschen und tierischen Stimmapparates

sind fundamental ähnlich und bieten somit Spielraum für experimentelle Untersu-

chungen.18

Ein zentrales Rätsel in der Evolution der Sprache bezieht sich auf die abweichen-

de Anatomie des menschlichen Stimmapparats im Vergleich zu anderen Primaten:

Der menschliche Kehlkopf befindet sich weiter unten im Hals als bei Affen.19

Bei

den meisten Säugetieren, ist der Kehlkopf hoch genug im Hals angesiedelt, um

mit der nasalen Eben zusammenzuwirken, was simultanes Schlucken und Atmen

erlaubt.20

Dies ist auch bei menschlichen Säuglingen der Fall. Während der

menschlichen Ontogenese, beginnend im Alter von 3 Monaten, beginnt sich der

Kehlkopf jedoch langsam zu senken, bis er mit 3 oder 4 Jahren die erwachsene

Position erreicht hat.21

Fitch vermutet, dass sich eine vergleichbare Absenkung

des Kehlkopfes im Laufe der menschlichen Evolution vollzogen haben muss.22

Die Veränderung der Kehlkopfposition erweitert unser phonetisches Repertoire

12 Vgl. ebd., S.258. 13 Vgl. ebd., S.258. 14 Vgl. ebd., S.258. 15 Vgl. ebd., S.258. 16 Vgl. ebd., S.258. 17 Vgl. ebd., S.258. 18 Vgl. ebd., S.258. 19 Vgl. ebd., S.260. 20 Vgl. ebd., S.260. 21 Vgl. ebd., S.260. 22 Vgl. ebd., S.260.

Page 7: Die Evolution der Sprache

7

erheblich, da die menschliche Zunge sich nun sowohl vertikal als auch horizontal

innerhalb des Stimmapparates bewegen kann.23

Die Zunge eines Säugetieres hin-

gegen ruht flach in der Mundhöhle und kann keine Vokale wie /i/ und /u/ produ-

zieren.24

Außerdem zeigten Forscher, dass die Sprachlautproduktion auf ein ein-

zigartiges Enkodierungssystem angewiesen ist, das eine viel höhere Rate von Da-

tenübertragung zulässt, als es mit nicht-sprachlichen Geräuschen möglich ist.25

Es

ist umstritten, ob sich die Absenkung des Kehlkopfs im Kontext einer verbesser-

ten Sprachlautproduktion vollzogen hat. Tierischen Spezies wie der Damhirsch,

die ebenfalls einen abgesenkten Kehlkopf aufweisen, nutzen diesen, um lautere

Rufe zu produzieren und auf diese Weise eine enorme Körpergröße vorzutäu-

schen.26

Diese Befunde deuten darauf hin, dass andere natürliche Kontexte zur

Absenkung des Kehlkopfes geführt haben könnten. Festzuhalten bleibt, dass es

sich bei der Kehlkopfabsenkung um eine bedeutende Innovation in der Evolution

der Sprache gehandelt hat.

Alle Affenarten, unabhängig von Affen oder Menschenaffen, verfügen grundsätz-

lich über dasselbe Inventar von Rufen ohne besondere Abweichungen innerhalb

dieses Inventars. Interessanterweise sind Affen, obgleich sie als unsere nächsten

Verwandten gelten, schlechte Imitatoren: Sie eignen sich ihr Lautrepertoire nicht

über Imitation an. Dafür spricht zunächst, dass Affen die isoliert von sozialen Ge-

fügen großgezogen wurden und Affen, die zusammen mit einer anderen Affenart

gehalten wurden, weiterhin ihre “artspezifischen Vokalisierungen” produzierten.27

Desweiteren sind die verschieden Rufe und deren hervorgerufenen Effekte bzw.

Emotionen fest abgesteckt. Das hat zur Folge, dass bei nichtmenschlichen Prima-

ten eine Flexibilität ihrer Vokalisierung durch eine Anpassung an unterschiedliche

Kommunikatiosrahmen nicht möglich ist.28

Zudem sind Versuche, Menschenaffen

neue Vokalisierungen zu lehren, erfolglos geblieben.29

Die mangelnde Flexibilität

der Lautproduktion ist auf den Drang der Primaten zurückzuführen, ihren Emoti-

onen unmittelbar Ausdruck zu verleihen.30

Dies schließt Tomasello aus den be-

sonderen Funktionen der Rufe, die sich im Laufe der Evolution als lebenswichtig

23 Vgl. ebd., S.261. 24 Vgl. ebd., S.261. 25 Vgl. ebd., S.261. 26 Vgl. ebd.: “The size exaggeration hypothesis”, S.264. 27 Vgl. Tomasello, Michael: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, S, 27. 28 Vgl. ebd. S, 27. 29 Vgl. ebd. S, 27. 30 Vgl. ebd., S.28.

Page 8: Die Evolution der Sprache

8

herausgestellt haben, wie zum Beispiel “der Flucht vor Raubtieren”, “dem Über-

leben bei Kämpfen” oder dem “Aufrechterhalten des Kontakts zur Gruppe”. Hin-

zu kommt, dass sich die Vokalisierungen der Primaten an keinen bestimmten

Empfänger richten. Hierfür spricht die Tatsache, dass Primaten wie die grüne

Meerkatze oder Schimpansen auch dann bestimmte Rufe abgeben, wenn ihre

Gruppenmitglieder außer Reichweite sind oder bereits über neue Sachverhalte

informiert worden sind.31

Anstelle einer möglichen Intentionalität, tritt die bloße

Wiedergabe eines emotionalen Zustandes: “Im großen und ganzen scheinen Voka-

lisierungen von Primaten hauptsächlich ein individualistischer Ausdruck von

Emotionen zu sein, und keine Handlungen, die an Empfänger gerichtet sind”.32

Aus diesen Befunden haben einige Wissenschaftler den Schluss gezogen, dass die

Lautproduktion von Primaten primär wegen ihrer Fähigkeit lautliche Signale zu

verstehen, als ein bedeutender Schritt im Hinblick auf die menschliche Sprache

gesehen werden kann.33

Für Tomasello stellt der Begriff des “Verstehens” im Zu-

sammenhang mit Kommunikation allerdings ein Problem dar: “Das Problem ist,

dass solche Fertigkeiten des ‘Verstehens’ keine exklusiven Spezialisierungen mit

Blick auf Kommunikation sind, sondern lediglich allgemeine Fertigkeiten, Dinge

kognitiv zu bewerten”.34

In diesem Kontext erscheint es fraglich, ob sich die Re-

aktion der Primaten auf verschiedene Stimmsignale als “das Verstehen einer

kommunikativen Handlung” einordnen lassen oder ob sie nicht vielmehr ein er-

lerntes Verhalten widerspiegeln.35

In seiner Auseinandersetzung mit “stimmlichen

Displays” kommt Tomasello zu dem Schluss, dass die Lautproduktion von Prima-

ten weit von der menschlichen Kommunikation entfernt zu sein scheint.36

Zu ei-

nem ähnlichen Schluss gelangen auch Hauser et al. (2002) in ihrem Essay “The

faculty of Language”. Dort führen sie eine Reihe von Studien über die Alarmrufe

von verschiedenen Affenarten wie den Makaken, der grünen Meerkatze und den

Dianameerkatzen an. Von diesen Studien lassen sich fünf wichtige Punkte her-

vorheben, die hier noch einmal aufgeführt werden:

(1) Die Individuen produzieren akustisch unterscheidbare Rufe als Antwort auf

funktional wichtige Kontexte, inklusive der Entdeckung von Feinden und der

31 Vgl. ebd., S.29 32 Ebd., S.30. 33Vgl. ebd., S.30. 34 Vgl. ebd., S.30. 35 Vgl. ebd., S.30. 36 Vgl. ebd., S.31.

Page 9: Die Evolution der Sprache

9

Entdeckung von Nahrung.37

(2) Die akustische Morphologie des Signals, wenn-

gleich es arbiträr hinsichtlich seiner Assoziation mit einem bestimmten Kontext

ist, ist ausreichend dafür, seine Zuhörer in die Lage zu versetzen, angemessen zu

antworten, ohne irgendeine andere kontextabhängige Information zu benötigen.38

(3) Die Anzahl dieser Signale im Repertoire ist gering, beschränkt auf die Objekte

und Ereignisse, die in der Gegenwart erfahren werden, ohne Beweis einer kreati-

ven Produktion eines Geräuschs für neue Situationen.39

(4) Die akustische Mor-

phologie der Rufe ist festgelegt, früh in der Entwicklung auftretend, mit Erfah-

rung die nur eine Rolle spielt in Bezug auf das Verfeinern des Umfangs von Ob-

jekten und Ereignissen, die solche Rufe hervorrufen.40

(5) Es gibt keinen Beweis,

dass die Rufe intentional sind bezogen darauf, was andere Individuen glauben

oder wollen.41

Die entscheidende Frage ist, ob diese Rufe tatsächlich eine Sym-

bolfunktion haben und somit mit der menschlichen Sprache verglichen werden

können. Die Referentialität dieser Rufe wird sowohl von Hauser et al. (2002) als

auch von Tomasello (2005) stark angezweifelt. Hauser et al. (2002) verweisen in

diesem Kontext darauf, dass Interpretationsansätze, die besagen, dass Tiere mit

Ihren Vokalisierungen auf Objekte verweisen, in neueren Forschungen relativiert

wurde.42

Wenn das Signal überhaupt als referentiell zu deuten ist, dann lediglich

im Verstand des Empfängers bzw. Zuhörers, der die Informationen des Senders

aus dem Kontext der akustischen Struktur des Rufes herausfiltern kann:

More recent discussions have considerably weakened this interpretation, suggesting that if the signal is refer-

ential at all, it is in the mind of the listener who can extract information about the signaler’s context from the

acoustic structure of the call alone.43

Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Tomasello (2005) in seinem Werk

“Constructing a Language“. Dort verweist er auf eine Untersuchung, die mit der

grünen Meerkatze durchgeführt wurde. Diese verfügen über ein Repertoire von

drei verschiedenen Alarmrufen, die sich auf drei verschiedene Arten von Feinden

beziehen: Leoparden, Adler und Schlangen.44

Jeder Ruf bringt eine unterschiedli-

37

Vgl. Hauser et. al.: The Faculty of Language, S.1576. 38 Vgl. ebd., S.1576. 39 Vgl. ebd., S.1576. 40 Vgl. ebd., S.1576. 41 Vgl. ebd., S.1576. 42 Vgl. ebd., S.1576. 43 Ebd., S.1576. 44

Tomasello, Michael: Constructing a language: S.10.

Page 10: Die Evolution der Sprache

10

che Reaktion auf Seiten der Tiere vor, die ihn empfangen: Bei einem „Leoparden-

alarm“ laufen die grünen Meerkatzen auf die Bäume; bei einem „Adleralarm”

schauen sie in die Luft und rennen gelegentlich in die Büsche; und bei einem

„Schlangenalarm“ schauen sie auf den Boden.45

Oberflächlich betrachtet sind die-

se Alarmrufe der menschlichen Sprache sehr ähnlich, da der Lautäußernde die

Aufmerksamkeit der anderen anscheinend auf einen Gegenstand außerhalb ihrer

Wahrnehmung lenkt. In diesem Kontext ließen sich diese Rufe also durchaus als

symbolisch interpretieren.46

Allerdings gibt es auch hier einige Fakten die dage-

gen sprechen. Zunächst einmal gibt es grundsätzlich keine Anzeichen dafür, dass

die grüne Meerkatze bestrebt ist, die Aufmerksamkeit bzw. mentale Zustände sei-

ner Artgenossen auf einem anderen Gebiet in ihrem Leben zu beeinflussen.47

Wenngleich diese Tiere verschiedene Grunzlaute von sich geben, die sie in ver-

schiedenen sozialen Kontexten wie der Paarung oder dem Kampf gebrauchen,

finden diese lediglich in dyadischer Form, d.h. in einem Zweiersystem, statt und

werden nicht genutzt, um die Aufmerksamkeit von Artgenossen auf äußere Ob-

jekte zu lenken.48

Zudem sind Alarmrufe, die auf Feinde hinweisen, bei einer

Vielzahl von Tieren vorhanden, die aber Niemand für referentiell oder symbolisch

hält.49

Entscheidend für die Evolution der Sprache ist vor allen Dingen, dass kei-

ner der großen Affenarten (“great apes”) diese besonderen Alarmrufe oder andere

referentielle Laute hervorbringt.50

Die Tatsache, dass uns eben diese Spezies am

nächsten steht, deutet darauf hin, dass derartige Alarmrufe keine direkten Vorgän-

ger der menschlichen Sprache sind.51

Neben der Intentionalität und Referentialität der Sprachlautproduktion, heben

Hauser, Chomsky und Fitch (2002) einen weiteren wichtigen Faktor der mensch-

lichen Sprache hervor: Die Rekursion oder Rekursivität. Als Kernkomponente der

Sprachfähigkeit im engeren Sinne (“Faculty of language-narrow sense: FLN“),

bezeichnet Rekursion die Fähigkeit, aus einer begrenzten Anzahl von Elementen

auszuwählen und eine potentiell unendliche Reihe von komplexen Ausdrücken zu

45

Vgl. ebd., S.10 46

Vgl. ebd., S.10 47

Vgl. ebd., S.10 48

Vgl. ebd., S.10 49

Vgl. ebd., S.10 50

Vgl. ebd., S.10 51

Vgl. ebd., S.10.

Page 11: Die Evolution der Sprache

11

produzieren.52

Hauser et al. gehen davon aus, dass es sich bei diesem Kernmecha-

nismus der FLN um eine jüngere Entwicklung handelt, die höchstwahrscheinlich

einzigartig für den Menschen ist, während Komponenten, die Teil einer umfas-

senderen Sprachfähigkeit sind („Faculty of language broad sense: FLB“), Paralle-

len zu anderen Spezies aufweisen.53

Die FLN verfügt über ein Rechensystem, das

interne Repräsentationen („internal representations“) entwickelt. Mithilfe eines

phonlogischen und eines semantischen Systems ordnet dieses Rechensystem diese

Repräsentationen der sensomotorischen und konzeptuell-intentionalen Schnittstel-

le der FLB zu.54

Abb.1 Hauser, Chomsky, Fitch 2002: S. 1570 (The Faculty of Language)

Die Theorie, die Rekursivität als zentrale Komponente der menschlichen Sprache

in den Mittelpunkt rückt, wird durch Untersuchungen gestützt, in denen versucht

wurde, Schimpansen Zahlenreihen beizubringen. Es stellte sich heraus, dass

Schimpansen so weit trainiert werden konnten, dass sie die Bedeutung von Zahlen

erkennen konnten, was für ein Verständnis der referentiellen Eigenschaften von

Symbolen spricht, die für Sprache notwendig sind.55

Es ergaben sich allerdings

entscheidende Unterschiede im Hinblick darauf, wie Schimpansen und Kinder

52

Vgl. Hauser et al.: The Faculty of Language, S.1571. 53

Vgl. ebd, S.1578. 54

Vgl. ebd, S.1571. 55

Vgl. ebd, S.1577.

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12

komplette Zahlenreihen lernten: Ein Kind im Alter von ungefähr 3,5 Jahren, dass

die Zahlen eins, zwei und drei gelernt hat, ist in der Lage, alle anderen Zahlen zu

lernen und die komplette Zahlenreihe zu ergänzen.56

Es hat die Idee, dass das Sys-

tem auf einer nachfolgenden Zahl basiert, verstanden. Schimpansen hingegen

scheint die Fähigkeit zur unendlichen Weiterentwicklung („open-ended generative

property“), auf dem das Prinzip der Zahlenreihe beruht, zu fehlen.57

Jede Zahl

musste diesen Tieren unter großer Anstrengung einzeln beigebracht werden, wo-

bei der Zeitaufwand, der für das Erlernen einer Zahl benötigt wurde, immer der-

selbe war.58

Der Erwerb von Symbolen dieser Tiere scheint also begrenzt zu sein.

Dementsprechend muss es also an einer Stelle, an der sich die menschliche Spra-

che entwickelte, zu einer Überschreitung der Begrenztheit, die die tierische

Kommunikation aufweist, gekommen sein:

On the other hand, other constraints in animals must have been overcome at some point in

human evolution to account for our ability to acquire the unlimited class of generative sys-

tems that includes all natural languages.59

Interessanterweise lässt eine Studie über Paviane, die von Robert M. Sefrey und

Dorothy L. Cheyney (2014) vorgestellt wurde, sowohl die bisher angenommene

Einzigartigkeit der Intentionalität als auch der Rekursivität der menschlichen

Kommunikation in einem etwas anderen Licht erscheinen. In ihrer Studie verwei-

sen Sefrey und Cheyney darauf, dass Paviane individuell unterscheidbare Laute

produzieren, die von den Zuhörern einem bestimmten Individuum zugeordnet

werden können.60

Das Lautrepertoire der Paviane beinhaltet eine Vielzahl von

akustischen Signalen, die in bestimmbaren Kontexten verwendet werden.61

Inte-

ressanterweise können Individuen, die die akustischen Signale wahrnehmen, die

Intention des Senders, die dieser kommunizieren möchte, erkennen: Sobald zwei

Tiere in einen Streit verwickelt sind, sich dann trennen und später einen bedrohli-

chen Grunzlaut (“threat grunt”) des anderen wahrnehmen, reagiert der Empfänger

so, als wäre der Laut an ihn gerichtet. Wird der “threat grunt” jedoch nach einem

Akt der Fellpflege gehört, reagiert der Zuhörer in einer Weise, als wäre der Laut

56

Vgl. ebd, S.1577. 57

Vgl. ebd, S.1577. 58

Vgl. ebd, S.1577. 59

Ebd. S.1577. 60

Vgl. Seyfarth, Robert M., Cheney, Dorothy L.. The evolution of language from social cognition, S.6. 61

Vgl. ebd, S.6.

Page 13: Die Evolution der Sprache

13

an ein anderes Individuum gerichtet.62

Es scheint also so zu sein, als können die

Tiere die Laute zuordnen, entschlüsseln und unterscheiden. Desweiteren erleich-

tern die Rufe die soziale Interaktionen: Nähern sich zwei Weibchen, ist friedliches

Verhalten wahrscheinlicher, wenn das sich nähernde Weibchen grunzt als wenn es

nicht grunzt.63

Die Empfänger eines Rufes sind in der Lage diesen zu entschlüs-

seln, indem sie Informationen von sämtlichen Quellen mit einbeziehen. Dazu ge-

hören die Art des Rufes, die Identität des Rufenden, vorrausgegangene Ereignisse

sowie die Beziehungen zwischen Rufenden und Zuhörern mit anderen Individu-

en.64

In diesem Kontext stellten Sefrey und Dorothy fest, dass nach einem Streit

zwischen zwei Individuen von verschiedenen mütterlichen Verwandschaftslinien

(“matrilines”), zum Beispiel zwischen einem Weibchen von Linie A und einem

Weibchen von Linie B, das Weibchen von Linie A, einen Grunzlaut von Linie B

als Signal der Versöhnung interpretierte, während es nicht auf einen Grunzlaut

von einem Weibchen außerhalb dieser Linien reagierte. In ähnlicher Weise verhält

es sich mit bedrohlichen Grunzlauten, die als erneute Aufforderung zu einer ag-

gressiven Auseinandersetzung interpretiert werden. Schließlich präsentiert die

Studie, dass die Art der Kommunikation enthüllt, was die einzelnen Artgenossen

übereinander wissen.65

Empfänger von einer Reihe von bedrohlichen Grunz lauten

reagieren stärker auf diese, wenn sie einen Kampf um einen Rang mit einer ande-

ren Familie bedeuten, als wenn sie eine Rivalität innerhalb der eigenen Familie

darstellen. Die Tiere sind also in der Lage, verschiedene Individuen gleichzeitig

nach Verwandtschaft und Rang zu klassifizieren. Dabei werden die Rufe nach

einem Regelsystem kombiniert, dass sich am Empfänger orientiert.66

Wie bereits angedeutet, lassen die Rückschlüsse, die sich aus der Forschung mit

Pavianen ziehen lassen, eine andere Perspektive auf die zuvor als einzigartig ein-

gestuften Faktoren der menschliche Sprache zu und geben somit neue Hinweise

auf die Evolution der Sprache. Die Fähigkeit der Paviane die Bedeutung von un-

zähligen Rufen zu entschlüsseln und bestimmten Individuen in Gruppen mit einer

Anzahl von 70-80 Mitgliedern zuordnen zu können, deutet auf ein reiches kombi-

natorisches System hin, das von Regeln bestimmt wird und erweiterbar ist.67

Im

62

Vgl. ebd, S.6. 63

Vgl. ebd, S.6. 64

Vgl. ebd, S.6. 65

Vgl. ebd, S.7. 66

Vgl. ebd, S.7. 67

Vgl. ebd, S.7.

Page 14: Die Evolution der Sprache

14

engeren Sinne bedeutet dies, dass die begrenzte Anzahl von Signalen genutzt

werden kann, um sie zu einer nahezu unendlichen Anzahl von Bedeutungen zu

kombinieren.68

Es ist also festzuhalten, dass sich bei Pavianen (1) von Intentionalität

sprechen lässt, da sie mit ihren Rufen gezielt Verhalten hervorrufen, wie es zum Bei-

spiel bei der Aufforderung zu einem Kampf der Fall ist, (2) von Referentalität, da die

Rufe bestimmten Individuen zugeordnet werden und entsprechend ihrer Identität in-

terpretiert werden können und (3) von Rekursivität, da ein reichhaltiges Repertoire an

Signalen vorhanden ist, das offensichtlich zu einer Reihe von potentiell unendlichen

Bedeutungen miteinander kombiniert werden kann. Die Rekursivität als einzigartige

Komponente der menschlichen Sprachfähigkeit wird somit auf den Prüfstein ge-

stellt.

3.1. Die soziale Kognition

Seyfarth and Cheyney ziehen drei Komponenten als Vorläufer der Sprache in Be-

tracht: Orientierung („orientation“), Navigierung („navigation“) und soziale Kog-

nition („social cognition“).69

Alle beziehen besondere Elemente („discrete ele-

ments“) und regelgeleitete Berechnungen („rule-governed computations“) mit ein.

Die Soziale Kognition scheint aus ihrer Sicht am deutlichsten als Vorläufer in

Frage zu kommen. Dafür sprechen drei Gründe: (1) Nur in der sozialen Kognition

beziehen die einzelnen Elemente Lebewesen mit ein, denen die Lautempfänger in

angemessener Weise Motive und Ziele zuweisen können, um miteinander zu in-

teragieren.70

Dies gilt auch für kontextspezifische Vokalisierungen, die mit dem

Lautäußernden in Verbindung gebracht werden. Nur die soziale Kognition be-

schäftigt sich deshalb mit Agens, Handlungen und Patiens.71

(2) Lediglich in der

sozialen Kognition werden die einzelnen Elemente eindeutig mit den Vokalisie-

rungen in Verbindung gebracht, sodass das System der Kommunikation und das

System der Kognition, auf dem es basiert, eng miteinander verwoben sind.72

(3)

Nur in der sozialen Kognition stehen die einzelnen Elemente –wie bei Sprache- in

Verbindung mit der Zuordnung von Gegenständen und Konzepten.73

Im Verstand

68 Vgl. ebd, S.6. 69 Vgl. Seyfarth, Robert M., Cheney, Dorothy L.. The evolution of language from social cognition, S.7. 70 Vgl. ebd, S.8. 71 Vgl. ebd, S.8. 72 Vgl. ebd, S.8. 73 Vgl. ebd, S.8.

Page 15: Die Evolution der Sprache

15

des Pavians existieren soziale Kategorien unabhängig von bestimmten Mitglie-

dern. Da die Bedeutung einer Vokalisierung nicht von der Identität des Lautäu-

ßernden losgelöst werden kann, und die Identität des Lautäußernden nicht von

seiner Platzierung in einer konzeptuellen Struktur -basierend auf Bekanntschaft

und Rang- getrennt werden kann, sind Kommunikation und konzeptuelle Struktur

untrennbar miteinander verbunden.74 Dies wäre möglicherweise auch in einem Kom-

munikationssystem zu erwarten, das als Vorläufer der menschlichen Sprache diente.75

3.2. Lautimitation

Im folgenden Abschnitt wird näher auf das Phänomen der Imitation eingegangen,

im Besonderen auf die Lautimitation, und deren Potential für die Evolution der

menschlichen Sprache. Die Lautimitation (“vocal imitation”) lässt sich als Fähig-

keit definieren, neuartige Laute, die in der Umwelt wahrgenommen werden, in

sein Lautinventar (“vocal repertoire”) zu integrieren.76

Bei dieser Fähigkeit han-

delt es sich nach Hauser et al. um eine notwendige Komponente der Menschlichen

Fähigkeit, um ein gemeinsames und arbiträres Lexikon zu erwerben: Eine Fähig-

keit, die als zentral für die menschliche Sprache angesehen wird.77

Im Laufe der

Forschung hat sich herausgestellt, dass es sich bei der Imitation von Lauten um

eine anspruchsvolle Aufgabe handelt, die im Tierreich relativ selten anzutreffen

ist.78

Der Mensch ist ein sehr guter Lautimitator: Er lernt schnell und auf einfache Wei-

se jeden Laut zu imitieren mit dem er konfrontiert wird.79

Interessanterweise sind

gerade jene Tierarten die uns am nächsten stehen sowohl auf der Ebene der gesti-

schen Kommunikation als auch auf der lautlichen Ebene denkbar schlechte Imita-

toren:

What is surprising is that monkeys show almost no evidence of visually mediated imitation, with

chimpanzees showing only slightly better capacities. Even more striking is the virtual absence of evi-

dence for vocal imitation in either monkeys or apes. 80

74 Vgl. ebd, S.8. 75 Vgl. ebd, S.8. 76 Vgl. Fitch, W. Tecumseh: The evolution of Language, S.339. 77 Vgl. Hauser et al.: The Faculty of Language, S.1574. 78 Vgl. Fitch, W. Tecumseh: The evolution of Language, S.161. 79 Vgl. ebd., S.261. 80 Hauser et al.: The Faculty of Language, S.1575.

Page 16: Die Evolution der Sprache

16

Allerdings handelt es sich bei der Lauimitation auch nicht um ein einzigartiges

Phänomen der menschlichen Sprache. So haben sich Meeressäuger wie Wale und

Delfine sowie bestimmte Vogelarten als besonderes talentiert herausgestellt, wenn

es um die Nachahmung von Lauten geht. Eine Analogie, die als besonders rele-

vant anerkannt wurde, ist der Erwerb von Melodien bei Singvögeln. Die meisten

Vögel lernen ihre Spezies-spezifische Melodie indem sie Artgenossen zuhören.81

Derzeitige Untersuchungen decken Ähnlichkeiten mit den Melodien und der

Sprache auf. Es existieren zum Beispiel Parallelen bezüglich einer “babbling pha-

se”, einer Phase in der das Kind mit artikulierten Lauten experimentiert, aber noch

keine Wörter produziert.82

Eine vergleichbare Phase durchläuft der Singvogel,

wenn er amorphe Versionen einer Melodie produziert, die er von einem Erwach-

senen Vogel aufgenommen hat.83

Obwohl die Mechanismen, die dem Erwerb von Vogelmelodien zu Grunde liegen,

analog und nicht homolog zur menschlichen Sprache verlaufen, haben sie ein ge-

meinsames neuronales und entwicklungsorientiertes Fundament: Die meisten As-

pekte der Neurophysiologie und der Entwicklung gleichen sich bei Wirbeltieren.84

Um Rückschlüsse auf die Evolution der menschlichen Sprache zu ziehen, ist es

wichtig, die Funktionen der Lautimitation im Tierreich genauer zu beleuchten. In

diesem Kontext hebt Fitch (2010) drei Hauptfunktionen besonders hervor: Sexuel-

le Selektion (“sexual selection”), Verteidigung des Reviers (“territory maintenan-

ce”) und soziale Bindungen (“social bonding”). Männliche Singvögel, Robben

und Wale singen ihre komplexen Lieder, um Weibchen anzulocken und zu um-

werben.85

Die Weibchen wiederum suchen sich ihre männlichen Partner basierend

auf deren Melodien.86

Die Auswahlkriterien der Weibchen können eine wichtige

Rolle gespielt haben im Hinblick auf eine immer komplex werdende Produktion

von Melodien im Laufe der Evolution.87

Häufig spielen die Melodien auch eine

Rolle in der Aufrechterhaltung eines Reviers. Experimente bei denen männliche

Vögel in einem speziellen Gebiet durch eine Lautsprecher ausgetauscht wurden,

der Melodien produzierte, zeigten, dass dieses Gebiet langsamer von anderen

81

Vgl. ebd., S.1572. 82

Vgl. ebd., S.1572. 83

Vgl. ebd., S.1572. 84

Vgl. ebd., S.1572. 85

Vgl. Fitch, W. Tecumseh: The evolution of Language, S.342. 86

Vgl. ebd, S.342. 87

Vgl. ebd, S.342.

Page 17: Die Evolution der Sprache

17

männlichen Vögeln kolonisiert wurde, als wenn keine Melodie gespielt wurde.88

Auch hier spielt Komplexität eine Rolle, da komplexere Songs möglicherweise

abschreckender wirken.89

Eine Tatsache die häufig übersehen wird und an dieser

Stelle erwähnt werden sollte, ist, dass auch Weibchen Melodien produzieren, in-

dem sie zum Beispiel im Duett mit den Männchen singen um eine stärkere Auf-

rechterhaltung ihres Reviers zu gewährleisten.90

Dies ist relevant für die Evolution

der Sprache, da beide menschlichen Geschlechter über eine komplexe Lautimita-

tion verfügen.91

Die Funktion der sozialen Bindung äußert sich bei Singvögeln in

der gemeinsamen Produktion von Melodien und spielt offenbar eine Rolle in der

Aufrechterhaltung eines sozialen Gefüges.92

Welche Schlüsse lassen sich nun aus diesen Befunden für die menschliche Spra-

che ziehen? Darwin, der den Bedarf nach einer komplexen Lautimitation bei der

menschlichen Sprache erkannte, stellte bereits die Hypothese auf, dass sich die

menschliche Lautproduktion aus einer zwischenzeitlich bestehenden Ursprache

(“protolanguage”) vergleichbar mit einem Zwischenstadium bei Vogelmelodien

entwickelte und sprach sich dafür aus, dass die sexuelle Selektion des männlichen

Geschlechts diesen Prozess vorantrieb.93

Die Befunde von Fitch (2010) besagen

allerdings, dass die komplexe Lautimitation weitere Funktionen haben kann, wie

die Aufrechterhaltung des Territoriums und der sozialen Bindung. In Bezug auf

die Melodien der weiblichen Vögel hält er ein zwei-Stufen Szenario für denkbar:

Zunächst treibt die sexuelle Selektion die Evolution der Melodien bei männlichen

Vögeln voran und dann werden die Mechanismen, die den Melodien zu Grunde

liegen, später von den Funktionen der Territorialität oder der sozialen Bindung

vorangetrieben, die bei Weibchen zum Ausdruck gebracht werden:

In songbirds, where male song is present in virtually all species, a two-stage scenario seems likely

for the evolution of female song. First, sexual selection drives song evolution in males; and se-

cond, the mechanisms underlying song are later driven by functions of territroriality or social

bonding to be expressed in females.94

88

Vgl. ebd, S.342 89

Vgl. ebd, S.342. 90

Vgl. ebd, S.342. 91

Vgl. ebd, S.343. 92

Vgl. ebd, S.343. 93

Vgl. ebd, S.343. 94

Ebd, S.343.

Page 18: Die Evolution der Sprache

18

Da die weiblichen Vögel dieselben Gene wie die Männchen besitzen, scheint es

sich hierbei um einen einfachen Evolutionssprung zu handeln.95

Anders verhält es

sich allerdings bei Papageien und Delfinen, bei diesen Spezies gibt es keine Be-

funde dafür, dass komplexe lautliche Fähigkeiten bei Männchen vorherrschend

sind oder sich bei diesen zuerst entwickelten.96

Aus der Forschung mit diesen

Gruppen kann man schließen, dass sich derartige Fähigkeiten direkt entwickelt

haben können, lediglich vorangetrieben von Funktionen wie der Auswahl der so-

zialen Bindung oder ähnlichen Funktionen.97

Beide Varianten stellen einen mögli-

chen Weg des Lernens von komplexen Lauten in der menschlichen Spezies dar.98

5. Gestische Kommunikation

Neben der stimmlichen Artikulation, machen Primaten regelmäßig Gebrauch von

Gesten, um miteinander in Kontakt zu treten.99

Als Geste lässt sich ein “kommu-

nikatives Verhalten” beschreiben, das im “visuellen Kanal” verortet werden kann.

Darunter fallen überwiegend “Körperhaltungen”, “Gesichtsausdrücke” und

“Handbewegungen”.100

Wenngleich einige dieser Gesten predeterminiert sind und

somit der Produktion von Lauten der Primaten ähneln, gibt es auch einen Teil der

von Individuum zu Individuum variiert:

Obwohl viele dieser Gesten genetisch festgelegt und unflexibel wie die Vokalisierungen

von Primaten sind - und deshalb Displays genannt werden sollten - wird ein wichtiger Teil

davon individuell gelernt und flexibel gebraucht, besonders bei den Menschenaffen, wes-

halb sie durchaus intentionale Signale genannt werden können.101

Als Stütze für seine Hypothese führt Tomasello (2003) eine Reihe von Befunden

an. Zunächst ist festzustellen, dass die Gesten einzelner Tiere innerhalb einer

Gruppe stark variieren.102

Desweiteren werden dieselben Gesten zu verschiedenen

Kommunikationszwecken wiederholt und umgekehrt.103

Hinzu kommt, dass die

Individuen in der Regel erst dann eine Geste ausführen, wenn sie die Aufmerk-

95

Vgl. ebd, S.343. 96

Vgl. ebd, S.343. 97 Vgl. ebd, S.343. 98 Vgl. ebd, S.343. 99 Vgl. Tomasello, Michael: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, S.31 100 Vgl. ebd, S.31. 101 Ebd., S.31. 102 Vgl. ebd, S.32. 103

Vgl. ebd, S.32.

Page 19: Die Evolution der Sprache

19

samkeit des Lautempfängers haben.104

Anschließend verfolgen sie genau die Re-

aktion des Kommunikationspartners in Erwartung einer Antwort.105

Wenn der

Empfänger nicht entsprechend reagiert, werden gelegentlich mehre Gesten mitei-

nander kombiniert.106

Schließlich bringen Menschenaffen mit intensivem Kontakt

zum Menschen neue Gesten hervor bzw. erlernen diese auf unkomplizierte Art

und Weise.107

Aus seinen Untersuchungen zieht Toamsello den Schluss, dass sich

Intentionalität und Flexibilität bei Menschenaffen vor allem auf der Ebene der

gestischen Kommunikation ausdrückt und somit in die Nähe der menschlichen

Kommunikation rückt.108

Was diese Tiere in ihrer gestischen Kommunikation

durchaus zum Ausdruck bringen, ist was Tomasello a) „soziale Intention“ und b)

„referentielle Intention“ nennt: Der Agierende versucht seinen Kommunikations-

partner a) zu einer bestimmten Handlung zu bewegen und b), um dies durchzuset-

zen: „Die Aufmerksamkeit des Empfängers auf etwas zu lenken“.109

Desweiteren

ist es wichtig zu erwähnen, dass Affen in regelmäßigen Abständen „Sequenzen

von Gesten“ miteinander kombinieren. Der bedeutende Unterschied zur menschli-

chen Kommunikation zeigt sich allerdings auf dem Gebiet einer vorstellbaren

„Grammatik“: Im Gegensatz zum Menschen, dessen reichhaltiger Wortschatz auf

verschiedene Weise kombiniert werden kann, erzeugen Menschenaffen mit ihren

Kombinationen keine Muster, aus denen neue Bedeutungen hervorgehen könn-

ten.110

Hier zeigt sich ein bedeutender Unterschied zu den Untersuchungen von

Seyfarth und Cheyney, die bei Pavianen auch auf Ebene der Lautäußerungen viel-

fältige Signale vorfanden, die in verschiedenen Kontexten eingesetzt wurden.

Die entscheidenden Ergebnisse die im Hinblick auf die Evolution der Sprache

festzuhalten sind stützen sich darauf, dass Menschenaffen in ihrer gestischen Mo-

dalität ausgeklügeltere Methoden der Kommunikation aufweisen als im stimmli-

chen Bereich und das, obwohl die physische Beschaffenheit des Stimmapparats

der des menschlichen Stimmtraktes ähnelt.111

Affen nutzen Gesten, um die Auf-

merksamkeit des Empfängers zu lenken und beobachten dessen Reaktion, sodass

104

Vgl. ebd, S.32. 105

Vgl. ebd, S.32. 106

Vgl. ebd, S.32. 107

Vgl. ebd, S.32. 108

Vgl. ebd, S.32. 109

Vgl. ebd, S.41 110

Vgl. ebd, S.41. 111

Vgl. ebd, S.45.

Page 20: Die Evolution der Sprache

20

sich durchaus von einer absichtsvollen Kommunikation sprechen lässt.112

Auch

dies ist bei der lautlichen Kommunikation anders, hier wird der Aufmerksamkeits-

zustand des Empfängers als irrelevant angesehen.113

Diese Beobachtungen deuten

darauf hin, dass die Gesten der Menschenaffen der wahrscheinlichere „evolutionä-

re Vorläufer“ für die menschliche Kommunikation sind.114

6. Zusammenfassung der Diskussion und offene Fragen

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die uns nahestehenden Menschaffen erstaun-

lich wenig Aufschluss darüber geben, wie sich unsere Sprache entwickelt haben

könnte, während andere Affen- und Tierarten wie Paviane, Meerkatzen und Sing-

vögel in ihrer Kommunikation deutlich mehr Aspekte aufweisen, die unserer

Kommunikation ähneln. Als anatomische Besonderheit, die sich als vorteilhaft für

die Sprachlautproduktion erwiesen hat, lässt sich die Absenkung des Kehlkopfes

an einem bestimmten Punkt der Evolution hervorheben. Fraglich bleibt allerdings,

ob sich diese Absenkung in Folge der Sprachentwicklung vollzogen hat oder ob

sie sich zunächst in einem anderen Kontext als vorteilhaft erwies. Die besondere

Beschaffenheit des menschlichen Stimmapparats und seiner besonderen neurona-

len Kontrolle ist in vergleichbarer Form jedenfalls nicht im Tierreich anzutreffen.

In Bezug auf Referntiatlität lässt sich zusammenfassen, dass sie durchaus bei ver-

schiedenen Affenarten anzutreffen ist, allerdings weiterhin zu klären ist, in wie

weit die Sprachlaute des Lautäußernden als referentiell einzustufen sind und ob

sich die Referentialität nicht auf den Verstand des Empfängers beschränkt, der

den Laut entsprechend einordnet. Auch der Faktor der Intentionalität bedarf weite-

rer Forschungen. Zwar zeigen auch Menschenaffen, dass sie die Aufmerksamkeit

ihrer Artgenossen mit Gesten versuchen auf einen Gegenstand zu lenken, aller-

dings findet diese Aufmerksamkeitslenkung lediglich in sozialen Kontexten statt,

die über eine dyadische Kommunikation nicht hinausgeht. Forschungen mit Pavi-

anen und Vogelarten legen nahe, dass sich soziale Kognition oder Ausdruckswei-

sen, die sich im sozialen Geflecht als Vorteilhaft erwiesen, als entscheidender

Vorläufer für die menschliche Kommunikation in Frage kommen. Schließlich gilt

es das Rätsel zu lösen, wie wir aus einem begrenzten Wortschatz ein unerschöpf-

112

Vgl. ebd, S.45. 113

Vgl. ebd, S.45. 114

Vgl. ebd, S.45.

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21

liches Repertoire entwickeln konnten, das unendlich viele Kombinationsmöglich-

keiten erlaubt. Aufschluss darüber könnten weitere Untersuchungen mit Pavianen

geben, deren beachtliche Kommunikationsstruktur den Rahmen der anderen Tie-

rarten zu sprengen scheint.

7. Literaturverzeichnis

Quellen

Tomasello, Michael, 2005. Constructing a language : a usage based theory of

language acquisition. Cambridge: Harvard University Press.

Tomasello, Michael, 2004. Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation.

Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Marc D. Hauser, Noam Chomskey, W. Tecumseh Fitch, 2002.The Faculty of

Language: What Is It, Who Has It and How Did It Evolve?. In: Science’s Com-

pass 298; S. 1569-1579.

Fitch, W.Tecumseh. 2000. The evolution of speech: a comparative review. In:

Trends in Cognitive Sciences, Band 4; S. 258–267.

Fitch, W.Tecumseh. 2010. The Evolution of Language. Cambridge: University

Press.

Seyfarth, Robert M., Cheney, Dorothy L.. The evolution of language from social

cognition. - In: Michael Brinard and Tecumseh Fitch (eds.), 2014. Current

opininon in Neurobiology. Philadelphia: University of Penselvenia; 5-9.