Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln Hauptseminar Professor Dr. Ulrike Domahs Wissenschaftliches Arbeiten Wintersemester 2014/2015 Die Evolution der Sprache Armin Broich 11. Fachsemester Deutsch, Englisch LA Gym/Ge (LPO 2003) Aquinostraße 27 50670 Köln [email protected]
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Transcript
Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln
Tomasello, Michael: Constructing a language: S.10.
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che Reaktion auf Seiten der Tiere vor, die ihn empfangen: Bei einem „Leoparden-
alarm“ laufen die grünen Meerkatzen auf die Bäume; bei einem „Adleralarm”
schauen sie in die Luft und rennen gelegentlich in die Büsche; und bei einem
„Schlangenalarm“ schauen sie auf den Boden.45
Oberflächlich betrachtet sind die-
se Alarmrufe der menschlichen Sprache sehr ähnlich, da der Lautäußernde die
Aufmerksamkeit der anderen anscheinend auf einen Gegenstand außerhalb ihrer
Wahrnehmung lenkt. In diesem Kontext ließen sich diese Rufe also durchaus als
symbolisch interpretieren.46
Allerdings gibt es auch hier einige Fakten die dage-
gen sprechen. Zunächst einmal gibt es grundsätzlich keine Anzeichen dafür, dass
die grüne Meerkatze bestrebt ist, die Aufmerksamkeit bzw. mentale Zustände sei-
ner Artgenossen auf einem anderen Gebiet in ihrem Leben zu beeinflussen.47
Wenngleich diese Tiere verschiedene Grunzlaute von sich geben, die sie in ver-
schiedenen sozialen Kontexten wie der Paarung oder dem Kampf gebrauchen,
finden diese lediglich in dyadischer Form, d.h. in einem Zweiersystem, statt und
werden nicht genutzt, um die Aufmerksamkeit von Artgenossen auf äußere Ob-
jekte zu lenken.48
Zudem sind Alarmrufe, die auf Feinde hinweisen, bei einer
Vielzahl von Tieren vorhanden, die aber Niemand für referentiell oder symbolisch
hält.49
Entscheidend für die Evolution der Sprache ist vor allen Dingen, dass kei-
ner der großen Affenarten (“great apes”) diese besonderen Alarmrufe oder andere
referentielle Laute hervorbringt.50
Die Tatsache, dass uns eben diese Spezies am
nächsten steht, deutet darauf hin, dass derartige Alarmrufe keine direkten Vorgän-
ger der menschlichen Sprache sind.51
Neben der Intentionalität und Referentialität der Sprachlautproduktion, heben
Hauser, Chomsky und Fitch (2002) einen weiteren wichtigen Faktor der mensch-
lichen Sprache hervor: Die Rekursion oder Rekursivität. Als Kernkomponente der
Sprachfähigkeit im engeren Sinne (“Faculty of language-narrow sense: FLN“),
bezeichnet Rekursion die Fähigkeit, aus einer begrenzten Anzahl von Elementen
auszuwählen und eine potentiell unendliche Reihe von komplexen Ausdrücken zu
45
Vgl. ebd., S.10 46
Vgl. ebd., S.10 47
Vgl. ebd., S.10 48
Vgl. ebd., S.10 49
Vgl. ebd., S.10 50
Vgl. ebd., S.10 51
Vgl. ebd., S.10.
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produzieren.52
Hauser et al. gehen davon aus, dass es sich bei diesem Kernmecha-
nismus der FLN um eine jüngere Entwicklung handelt, die höchstwahrscheinlich
einzigartig für den Menschen ist, während Komponenten, die Teil einer umfas-
senderen Sprachfähigkeit sind („Faculty of language broad sense: FLB“), Paralle-
len zu anderen Spezies aufweisen.53
Die FLN verfügt über ein Rechensystem, das
interne Repräsentationen („internal representations“) entwickelt. Mithilfe eines
phonlogischen und eines semantischen Systems ordnet dieses Rechensystem diese
Repräsentationen der sensomotorischen und konzeptuell-intentionalen Schnittstel-
le der FLB zu.54
Abb.1 Hauser, Chomsky, Fitch 2002: S. 1570 (The Faculty of Language)
Die Theorie, die Rekursivität als zentrale Komponente der menschlichen Sprache
in den Mittelpunkt rückt, wird durch Untersuchungen gestützt, in denen versucht
wurde, Schimpansen Zahlenreihen beizubringen. Es stellte sich heraus, dass
Schimpansen so weit trainiert werden konnten, dass sie die Bedeutung von Zahlen
erkennen konnten, was für ein Verständnis der referentiellen Eigenschaften von
Symbolen spricht, die für Sprache notwendig sind.55
Es ergaben sich allerdings
entscheidende Unterschiede im Hinblick darauf, wie Schimpansen und Kinder
52
Vgl. Hauser et al.: The Faculty of Language, S.1571. 53
Vgl. ebd, S.1578. 54
Vgl. ebd, S.1571. 55
Vgl. ebd, S.1577.
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komplette Zahlenreihen lernten: Ein Kind im Alter von ungefähr 3,5 Jahren, dass
die Zahlen eins, zwei und drei gelernt hat, ist in der Lage, alle anderen Zahlen zu
lernen und die komplette Zahlenreihe zu ergänzen.56
Es hat die Idee, dass das Sys-
tem auf einer nachfolgenden Zahl basiert, verstanden. Schimpansen hingegen
scheint die Fähigkeit zur unendlichen Weiterentwicklung („open-ended generative
property“), auf dem das Prinzip der Zahlenreihe beruht, zu fehlen.57
Jede Zahl
musste diesen Tieren unter großer Anstrengung einzeln beigebracht werden, wo-
bei der Zeitaufwand, der für das Erlernen einer Zahl benötigt wurde, immer der-
selbe war.58
Der Erwerb von Symbolen dieser Tiere scheint also begrenzt zu sein.
Dementsprechend muss es also an einer Stelle, an der sich die menschliche Spra-
che entwickelte, zu einer Überschreitung der Begrenztheit, die die tierische
Kommunikation aufweist, gekommen sein:
On the other hand, other constraints in animals must have been overcome at some point in
human evolution to account for our ability to acquire the unlimited class of generative sys-
tems that includes all natural languages.59
Interessanterweise lässt eine Studie über Paviane, die von Robert M. Sefrey und
Dorothy L. Cheyney (2014) vorgestellt wurde, sowohl die bisher angenommene
Einzigartigkeit der Intentionalität als auch der Rekursivität der menschlichen
Kommunikation in einem etwas anderen Licht erscheinen. In ihrer Studie verwei-
sen Sefrey und Cheyney darauf, dass Paviane individuell unterscheidbare Laute
produzieren, die von den Zuhörern einem bestimmten Individuum zugeordnet
werden können.60
Das Lautrepertoire der Paviane beinhaltet eine Vielzahl von
akustischen Signalen, die in bestimmbaren Kontexten verwendet werden.61
Inte-
ressanterweise können Individuen, die die akustischen Signale wahrnehmen, die
Intention des Senders, die dieser kommunizieren möchte, erkennen: Sobald zwei
Tiere in einen Streit verwickelt sind, sich dann trennen und später einen bedrohli-
chen Grunzlaut (“threat grunt”) des anderen wahrnehmen, reagiert der Empfänger
so, als wäre der Laut an ihn gerichtet. Wird der “threat grunt” jedoch nach einem
Akt der Fellpflege gehört, reagiert der Zuhörer in einer Weise, als wäre der Laut
56
Vgl. ebd, S.1577. 57
Vgl. ebd, S.1577. 58
Vgl. ebd, S.1577. 59
Ebd. S.1577. 60
Vgl. Seyfarth, Robert M., Cheney, Dorothy L.. The evolution of language from social cognition, S.6. 61
Vgl. ebd, S.6.
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an ein anderes Individuum gerichtet.62
Es scheint also so zu sein, als können die
Tiere die Laute zuordnen, entschlüsseln und unterscheiden. Desweiteren erleich-
tern die Rufe die soziale Interaktionen: Nähern sich zwei Weibchen, ist friedliches
Verhalten wahrscheinlicher, wenn das sich nähernde Weibchen grunzt als wenn es
nicht grunzt.63
Die Empfänger eines Rufes sind in der Lage diesen zu entschlüs-
seln, indem sie Informationen von sämtlichen Quellen mit einbeziehen. Dazu ge-
hören die Art des Rufes, die Identität des Rufenden, vorrausgegangene Ereignisse
sowie die Beziehungen zwischen Rufenden und Zuhörern mit anderen Individu-
en.64
In diesem Kontext stellten Sefrey und Dorothy fest, dass nach einem Streit
zwischen zwei Individuen von verschiedenen mütterlichen Verwandschaftslinien
(“matrilines”), zum Beispiel zwischen einem Weibchen von Linie A und einem
Weibchen von Linie B, das Weibchen von Linie A, einen Grunzlaut von Linie B
als Signal der Versöhnung interpretierte, während es nicht auf einen Grunzlaut
von einem Weibchen außerhalb dieser Linien reagierte. In ähnlicher Weise verhält
es sich mit bedrohlichen Grunzlauten, die als erneute Aufforderung zu einer ag-
gressiven Auseinandersetzung interpretiert werden. Schließlich präsentiert die
Studie, dass die Art der Kommunikation enthüllt, was die einzelnen Artgenossen
übereinander wissen.65
Empfänger von einer Reihe von bedrohlichen Grunz lauten
reagieren stärker auf diese, wenn sie einen Kampf um einen Rang mit einer ande-
ren Familie bedeuten, als wenn sie eine Rivalität innerhalb der eigenen Familie
darstellen. Die Tiere sind also in der Lage, verschiedene Individuen gleichzeitig
nach Verwandtschaft und Rang zu klassifizieren. Dabei werden die Rufe nach
einem Regelsystem kombiniert, dass sich am Empfänger orientiert.66
Wie bereits angedeutet, lassen die Rückschlüsse, die sich aus der Forschung mit
Pavianen ziehen lassen, eine andere Perspektive auf die zuvor als einzigartig ein-
gestuften Faktoren der menschliche Sprache zu und geben somit neue Hinweise
auf die Evolution der Sprache. Die Fähigkeit der Paviane die Bedeutung von un-
zähligen Rufen zu entschlüsseln und bestimmten Individuen in Gruppen mit einer
Anzahl von 70-80 Mitgliedern zuordnen zu können, deutet auf ein reiches kombi-
natorisches System hin, das von Regeln bestimmt wird und erweiterbar ist.67
Im
62
Vgl. ebd, S.6. 63
Vgl. ebd, S.6. 64
Vgl. ebd, S.6. 65
Vgl. ebd, S.7. 66
Vgl. ebd, S.7. 67
Vgl. ebd, S.7.
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engeren Sinne bedeutet dies, dass die begrenzte Anzahl von Signalen genutzt
werden kann, um sie zu einer nahezu unendlichen Anzahl von Bedeutungen zu
kombinieren.68
Es ist also festzuhalten, dass sich bei Pavianen (1) von Intentionalität
sprechen lässt, da sie mit ihren Rufen gezielt Verhalten hervorrufen, wie es zum Bei-
spiel bei der Aufforderung zu einem Kampf der Fall ist, (2) von Referentalität, da die
Rufe bestimmten Individuen zugeordnet werden und entsprechend ihrer Identität in-
terpretiert werden können und (3) von Rekursivität, da ein reichhaltiges Repertoire an
Signalen vorhanden ist, das offensichtlich zu einer Reihe von potentiell unendlichen
Bedeutungen miteinander kombiniert werden kann. Die Rekursivität als einzigartige
Komponente der menschlichen Sprachfähigkeit wird somit auf den Prüfstein ge-
stellt.
3.1. Die soziale Kognition
Seyfarth and Cheyney ziehen drei Komponenten als Vorläufer der Sprache in Be-
tracht: Orientierung („orientation“), Navigierung („navigation“) und soziale Kog-
nition („social cognition“).69
Alle beziehen besondere Elemente („discrete ele-
ments“) und regelgeleitete Berechnungen („rule-governed computations“) mit ein.
Die Soziale Kognition scheint aus ihrer Sicht am deutlichsten als Vorläufer in
Frage zu kommen. Dafür sprechen drei Gründe: (1) Nur in der sozialen Kognition
beziehen die einzelnen Elemente Lebewesen mit ein, denen die Lautempfänger in
angemessener Weise Motive und Ziele zuweisen können, um miteinander zu in-
teragieren.70
Dies gilt auch für kontextspezifische Vokalisierungen, die mit dem
Lautäußernden in Verbindung gebracht werden. Nur die soziale Kognition be-
schäftigt sich deshalb mit Agens, Handlungen und Patiens.71
(2) Lediglich in der
sozialen Kognition werden die einzelnen Elemente eindeutig mit den Vokalisie-
rungen in Verbindung gebracht, sodass das System der Kommunikation und das
System der Kognition, auf dem es basiert, eng miteinander verwoben sind.72
(3)
Nur in der sozialen Kognition stehen die einzelnen Elemente –wie bei Sprache- in
Verbindung mit der Zuordnung von Gegenständen und Konzepten.73
Im Verstand
68 Vgl. ebd, S.6. 69 Vgl. Seyfarth, Robert M., Cheney, Dorothy L.. The evolution of language from social cognition, S.7. 70 Vgl. ebd, S.8. 71 Vgl. ebd, S.8. 72 Vgl. ebd, S.8. 73 Vgl. ebd, S.8.
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des Pavians existieren soziale Kategorien unabhängig von bestimmten Mitglie-
dern. Da die Bedeutung einer Vokalisierung nicht von der Identität des Lautäu-
ßernden losgelöst werden kann, und die Identität des Lautäußernden nicht von
seiner Platzierung in einer konzeptuellen Struktur -basierend auf Bekanntschaft
und Rang- getrennt werden kann, sind Kommunikation und konzeptuelle Struktur
untrennbar miteinander verbunden.74 Dies wäre möglicherweise auch in einem Kom-
munikationssystem zu erwarten, das als Vorläufer der menschlichen Sprache diente.75
3.2. Lautimitation
Im folgenden Abschnitt wird näher auf das Phänomen der Imitation eingegangen,
im Besonderen auf die Lautimitation, und deren Potential für die Evolution der
menschlichen Sprache. Die Lautimitation (“vocal imitation”) lässt sich als Fähig-
keit definieren, neuartige Laute, die in der Umwelt wahrgenommen werden, in
sein Lautinventar (“vocal repertoire”) zu integrieren.76
Bei dieser Fähigkeit han-
delt es sich nach Hauser et al. um eine notwendige Komponente der Menschlichen
Fähigkeit, um ein gemeinsames und arbiträres Lexikon zu erwerben: Eine Fähig-
keit, die als zentral für die menschliche Sprache angesehen wird.77
Im Laufe der
Forschung hat sich herausgestellt, dass es sich bei der Imitation von Lauten um
eine anspruchsvolle Aufgabe handelt, die im Tierreich relativ selten anzutreffen
ist.78
Der Mensch ist ein sehr guter Lautimitator: Er lernt schnell und auf einfache Wei-
se jeden Laut zu imitieren mit dem er konfrontiert wird.79
Interessanterweise sind
gerade jene Tierarten die uns am nächsten stehen sowohl auf der Ebene der gesti-
schen Kommunikation als auch auf der lautlichen Ebene denkbar schlechte Imita-
toren:
What is surprising is that monkeys show almost no evidence of visually mediated imitation, with
chimpanzees showing only slightly better capacities. Even more striking is the virtual absence of evi-
dence for vocal imitation in either monkeys or apes. 80
74 Vgl. ebd, S.8. 75 Vgl. ebd, S.8. 76 Vgl. Fitch, W. Tecumseh: The evolution of Language, S.339. 77 Vgl. Hauser et al.: The Faculty of Language, S.1574. 78 Vgl. Fitch, W. Tecumseh: The evolution of Language, S.161. 79 Vgl. ebd., S.261. 80 Hauser et al.: The Faculty of Language, S.1575.
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Allerdings handelt es sich bei der Lauimitation auch nicht um ein einzigartiges
Phänomen der menschlichen Sprache. So haben sich Meeressäuger wie Wale und
Delfine sowie bestimmte Vogelarten als besonderes talentiert herausgestellt, wenn
es um die Nachahmung von Lauten geht. Eine Analogie, die als besonders rele-
vant anerkannt wurde, ist der Erwerb von Melodien bei Singvögeln. Die meisten
Vögel lernen ihre Spezies-spezifische Melodie indem sie Artgenossen zuhören.81
Derzeitige Untersuchungen decken Ähnlichkeiten mit den Melodien und der
Sprache auf. Es existieren zum Beispiel Parallelen bezüglich einer “babbling pha-
se”, einer Phase in der das Kind mit artikulierten Lauten experimentiert, aber noch
keine Wörter produziert.82
Eine vergleichbare Phase durchläuft der Singvogel,
wenn er amorphe Versionen einer Melodie produziert, die er von einem Erwach-
senen Vogel aufgenommen hat.83
Obwohl die Mechanismen, die dem Erwerb von Vogelmelodien zu Grunde liegen,
analog und nicht homolog zur menschlichen Sprache verlaufen, haben sie ein ge-
meinsames neuronales und entwicklungsorientiertes Fundament: Die meisten As-
pekte der Neurophysiologie und der Entwicklung gleichen sich bei Wirbeltieren.84
Um Rückschlüsse auf die Evolution der menschlichen Sprache zu ziehen, ist es
wichtig, die Funktionen der Lautimitation im Tierreich genauer zu beleuchten. In
diesem Kontext hebt Fitch (2010) drei Hauptfunktionen besonders hervor: Sexuel-
le Selektion (“sexual selection”), Verteidigung des Reviers (“territory maintenan-
ce”) und soziale Bindungen (“social bonding”). Männliche Singvögel, Robben
und Wale singen ihre komplexen Lieder, um Weibchen anzulocken und zu um-
werben.85
Die Weibchen wiederum suchen sich ihre männlichen Partner basierend
auf deren Melodien.86
Die Auswahlkriterien der Weibchen können eine wichtige
Rolle gespielt haben im Hinblick auf eine immer komplex werdende Produktion
von Melodien im Laufe der Evolution.87
Häufig spielen die Melodien auch eine
Rolle in der Aufrechterhaltung eines Reviers. Experimente bei denen männliche
Vögel in einem speziellen Gebiet durch eine Lautsprecher ausgetauscht wurden,
der Melodien produzierte, zeigten, dass dieses Gebiet langsamer von anderen
81
Vgl. ebd., S.1572. 82
Vgl. ebd., S.1572. 83
Vgl. ebd., S.1572. 84
Vgl. ebd., S.1572. 85
Vgl. Fitch, W. Tecumseh: The evolution of Language, S.342. 86
Vgl. ebd, S.342. 87
Vgl. ebd, S.342.
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männlichen Vögeln kolonisiert wurde, als wenn keine Melodie gespielt wurde.88
Auch hier spielt Komplexität eine Rolle, da komplexere Songs möglicherweise
abschreckender wirken.89
Eine Tatsache die häufig übersehen wird und an dieser
Stelle erwähnt werden sollte, ist, dass auch Weibchen Melodien produzieren, in-
dem sie zum Beispiel im Duett mit den Männchen singen um eine stärkere Auf-
rechterhaltung ihres Reviers zu gewährleisten.90
Dies ist relevant für die Evolution
der Sprache, da beide menschlichen Geschlechter über eine komplexe Lautimita-
tion verfügen.91
Die Funktion der sozialen Bindung äußert sich bei Singvögeln in
der gemeinsamen Produktion von Melodien und spielt offenbar eine Rolle in der
Aufrechterhaltung eines sozialen Gefüges.92
Welche Schlüsse lassen sich nun aus diesen Befunden für die menschliche Spra-
che ziehen? Darwin, der den Bedarf nach einer komplexen Lautimitation bei der
menschlichen Sprache erkannte, stellte bereits die Hypothese auf, dass sich die
menschliche Lautproduktion aus einer zwischenzeitlich bestehenden Ursprache
(“protolanguage”) vergleichbar mit einem Zwischenstadium bei Vogelmelodien
entwickelte und sprach sich dafür aus, dass die sexuelle Selektion des männlichen
Geschlechts diesen Prozess vorantrieb.93
Die Befunde von Fitch (2010) besagen
allerdings, dass die komplexe Lautimitation weitere Funktionen haben kann, wie
die Aufrechterhaltung des Territoriums und der sozialen Bindung. In Bezug auf
die Melodien der weiblichen Vögel hält er ein zwei-Stufen Szenario für denkbar:
Zunächst treibt die sexuelle Selektion die Evolution der Melodien bei männlichen
Vögeln voran und dann werden die Mechanismen, die den Melodien zu Grunde
liegen, später von den Funktionen der Territorialität oder der sozialen Bindung
vorangetrieben, die bei Weibchen zum Ausdruck gebracht werden:
In songbirds, where male song is present in virtually all species, a two-stage scenario seems likely
for the evolution of female song. First, sexual selection drives song evolution in males; and se-
cond, the mechanisms underlying song are later driven by functions of territroriality or social
bonding to be expressed in females.94
88
Vgl. ebd, S.342 89
Vgl. ebd, S.342. 90
Vgl. ebd, S.342. 91
Vgl. ebd, S.343. 92
Vgl. ebd, S.343. 93
Vgl. ebd, S.343. 94
Ebd, S.343.
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Da die weiblichen Vögel dieselben Gene wie die Männchen besitzen, scheint es
sich hierbei um einen einfachen Evolutionssprung zu handeln.95
Anders verhält es
sich allerdings bei Papageien und Delfinen, bei diesen Spezies gibt es keine Be-
funde dafür, dass komplexe lautliche Fähigkeiten bei Männchen vorherrschend
sind oder sich bei diesen zuerst entwickelten.96
Aus der Forschung mit diesen
Gruppen kann man schließen, dass sich derartige Fähigkeiten direkt entwickelt
haben können, lediglich vorangetrieben von Funktionen wie der Auswahl der so-
zialen Bindung oder ähnlichen Funktionen.97
Beide Varianten stellen einen mögli-
chen Weg des Lernens von komplexen Lauten in der menschlichen Spezies dar.98
5. Gestische Kommunikation
Neben der stimmlichen Artikulation, machen Primaten regelmäßig Gebrauch von
Gesten, um miteinander in Kontakt zu treten.99
Als Geste lässt sich ein “kommu-
nikatives Verhalten” beschreiben, das im “visuellen Kanal” verortet werden kann.
Darunter fallen überwiegend “Körperhaltungen”, “Gesichtsausdrücke” und
“Handbewegungen”.100
Wenngleich einige dieser Gesten predeterminiert sind und
somit der Produktion von Lauten der Primaten ähneln, gibt es auch einen Teil der
von Individuum zu Individuum variiert:
Obwohl viele dieser Gesten genetisch festgelegt und unflexibel wie die Vokalisierungen
von Primaten sind - und deshalb Displays genannt werden sollten - wird ein wichtiger Teil
davon individuell gelernt und flexibel gebraucht, besonders bei den Menschenaffen, wes-
halb sie durchaus intentionale Signale genannt werden können.101
Als Stütze für seine Hypothese führt Tomasello (2003) eine Reihe von Befunden
an. Zunächst ist festzustellen, dass die Gesten einzelner Tiere innerhalb einer
Gruppe stark variieren.102
Desweiteren werden dieselben Gesten zu verschiedenen
Kommunikationszwecken wiederholt und umgekehrt.103
Hinzu kommt, dass die
Individuen in der Regel erst dann eine Geste ausführen, wenn sie die Aufmerk-