Die elasto-plastische Eingl¨ attung rauer Oberfl¨ achen und ihr Einfluss auf die Reibung in der Umformtechnik Der Technischen Fakult¨ at der Friedrich-Alexander-Universit¨ at Erlangen-N¨ urnberg zur Erlangung des Doktorgrades Doktor der Ingenieurwissenschaften vorgelegt von Franz Hauer aus N¨ urnberg
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Die elasto-plastische Eingl¨attung rauer Oberfl ¨achen und ... · and bulk metal forming operations to sheet-bulk metal forming (SBMF). A suitable friction law is of great importance
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Die elasto-plastische Einglattung rauer Oberflachen
und ihr Einfluss auf die Reibung
in der Umformtechnik
Der Technischen Fakultat
der Friedrich-Alexander-Universitat
Erlangen-Nurnberg
zur Erlangung des Doktorgrades
Doktor der Ingenieurwissenschaften
vorgelegt von
Franz Hauer
aus Nurnberg
Als Dissertation genehmigt
von der Technischen Fakultat
der Friedrich-Alexander-Universitat Erlangen-Nurnberg
Tag der mundlichen Prufung: 15.07.2014
Vorsitzende des Promotionsorgans: Prof. Dr.-Ing. habil. Marion Merklein
Metal forming is an efficient production technique of great economic importance. The
current forming processes have to be optimised and new processes have to be developed
in order to keep up with the industrial trends to lightweight construction and functional
integration. A promising approach to fulfil these demands is the combination of sheet
and bulk metal forming operations to sheet-bulk metal forming (SBMF). A suitable
friction law is of great importance for the numerical process design, because friction has
a strong influence on the moulding of functional elements. The aim of this research work
is to develop such a friction law for sheet-bulk metal forming.
Characteristic for SBMF is a wide range of contact pressure and multi-stage pro-
cesses. The plastic surface smoothing in the contact has an influence on the friction in
subsequent process stages. Therefore the plastic smoothing of the surfaces in contact
has to be taken into account in the friction law.
For the contact simulation a halfspace model with two different plasticity models is
used. The first model is based on limiting the contact pressure to the surface hardness,
whereas three-dimensional plastic deformation on a volume discretisation is calculated
in the second model. Besides elastic-plastic deformation hydrostatic lubrication in closed
lubricant pockets is also taken into account.
The numerical halfspace models are verified by a smoothing test, hardness tests and
Finite-Element simulations. In the smoothing test rough surfaces are in contact with
a smooth surface in dry as well as in lubricated conditions. The changes of roughness
parameters, bearing area curves (Abbott curves) and probability distributions of surface
heights in the experiment are compared to simulation results.
The friction law is developed based on the results of halfspace simulations and expe-
riments. It fulfills the requirements of sheet-bulk metal forming, because it is suitable for
a wide range of contact pressures and takes the smoothing of surface roughness in multi-
stage processes into account. The friction law is implemented into the Finite-Element
system Simufact.forming as a user subroutine. The surface smoothing is incorporated
into the user subroutine by means of a surface state variable, which can be used in
conjunction with remeshing. The effect of the developed friction law is demonstrated in
a forming process of a cup with an increased wall thickness at the edge out of a sheet
metal.
Keywords: contact mechanics, rough surfaces, halfspace, metal forming, simulation,
experiment
Kapitel 1
Einleitung
1.1 Problemstellung und Motivation
Umformen ist ein etabliertes Fertigungsverfahren, das in zahlreichen Industriezweigen,
wie zum Beispiel der Automobil- und Haushaltsgerateindustrie, in großem Maße an-
gewandt wird. Die Reibung zwischen Werkzeug und Werkstuck spielt in der Umform-
technik eine bedeutende Rolle, denn sie hat entscheidenden Einfluss auf die im Prozess
herrschenden Krafte. Im Werkstuck beeinflusst die Reibkraft den Spannungszustand und
folglich den plastischen Stofffluss. Daher sind die Umsetzbarkeit von Produktentwurfen
und die Maßhaltigkeit der Endprodukte entscheidend von der Reibung abhangig. Seitens
des Werkzeugs hat die Reibung großen Einfluss auf den Verschleiß. Weil Reibung natur-
gemaß nur auf der Oberflache auftritt, ist sie umso bedeutender, je großer das Verhaltnis
von Oberflache zu Volumen des Werkstucks ist.
Der Trend zu Leichtbau und Funktionsintegration ist die Triebfeder fur die Kom-
bination von Blech- und Massivumformoperationen zur Herstellung komplexer Bauteile
aus Blechhalbzeugen mit Funktionselementen mittels Blechmassivumformung [46]. Cha-
rakteristisch fur die Reibung in der Blechmassivumformung ist das simultane Auftre-
ten niedriger Flachenpressungen, wie sie in der Blechumformung ublich sind, und ho-
her Flachenpressungen, wie sie in der Massivumformung ublich sind. Die gewunschten
Funktionselemente konnen haufig nicht in einem einzigen Prozessschritt realisiert wer-
den, so dass mehrstufige Prozesse zur Anwendung kommen. Bei mehrstufigen Prozessen
ist zu berucksichtigen, dass die Werkstuckoberflachen im Kontakt eingeglattet werden,
wodurch die Reibung in den nachfolgenden Prozessschritten beeinflusst wird.
Der Reibung kommt in der Blechmassivumformung besondere Bedeutung zu, weil
sie großen Einfluss auf die Ausbildung von Funktionselementen hat [76]. Daher ist eine
prazise Reibmodellierung essenziell fur die numerische Umformsimulation, die ein we-
sentlicher Bestandteil der Prozessauslegung ist. Hierzu ist ein geeignetes Reibgesetz er-
forderlich, das den speziellen Anforderungen der Blechmassivumformung gerecht wird.
Die wesentlichen Anforderungen sind die Eignung des Reibgesetzes fur niedrige und
große Flachenpressungen, sowie die Abbildung der Oberflacheneinglattung in mehrstu-
figen Prozessen.
3
4 1.2 Literaturubersicht
Die Reibung ist stark abhangig vom Verhaltnis der realen zur scheinbaren Kontakt-
flache, also dem Anteil der rauen Oberflache der tatsachlich im Kontakt steht. Messun-
gen zwischen metallischen Kontaktpartnern sind nur indirekt uber die elektrische oder
akustische Leitfahigkeit [32, 71] moglich. Optische Messungen zwischen einem metalli-
schen und einem optisch durchlassigen Werkstoff erlauben einen genauen Einblick in die
Wirkfuge, sind jedoch sehr aufwandig [12, 11].
Alternativen zu experimentellen Kontaktuntersuchungen stellen numerische Untersu-
chungen mit statistischen Modellen, Finite-Elemente-Modellen und Halbraummodellen
dar. Eine statistische Modellierung des Kontakts ist sehr leicht zu bewerkstelligen, ist
in ihrer Aussagekraft jedoch begrenzt, weil statistische Modelle die Interaktion zwischen
mehreren Kontaktstellen nicht berucksichtigen und folglich fur große Flachenpressungen
nicht geeignet sind.
Mit Finite-Elemente- und Halbraummodellen konnen dreidimensionale Kontaktsi-
mulationen, unter Berucksichtigung elasto-plastischen Materialverhaltens, durchgefuhrt
werden. Bei dreidimensionalen Kontaktsimulationen ist zu beachten, dass raue Ober-
flachen Fraktaleigenschaften aufweisen und daher die Oberflachen beschreibende Pa-
rameter und die Ergebnisse von Kontaktsimulationen auflosungsabhangig sind. An-
dererseits muss ein reprasentatives Oberflachensegment betrachtet werden [60]. Folg-
lich sind fur aussagekraftige Simulationsergebnisse eine feine Diskretisierung und eine
verhaltnismaßig große simulierte Flache notwendig, woraus ein großer numerischer Auf-
wand und entsprechende Berechnungszeiten folgen.
Finite-Elemente-Modelle ermoglichen eine elasto-plastische Kontaktsimulation auch
bei großen Deformationen. Jedoch fuhrt die Volumendiskretisierung zu einer großen An-
zahl an Freiheitsgraden und langen Berechnungszeiten. In Halbraummodellen hingegen
muss nur ein Gleichungssystem fur eine Oberflachendiskretisierung gelost werden, wor-
aus bei elastischer und vereinfachter elasto-plastischer Modellierung deutlich geringere
Berechnungszeiten folgen. Halbraummodelle basieren auf der linearen Kontinuumsme-
chanik und eignen sich daher nicht zur Simulation großer Deformationen.
1.2 Literaturubersicht
Weil das Verhaltnis der realen Kontaktflache zur scheinbaren Kontaktflache sehr großen
Einfluss auf die Reibung hat, gibt es eine Vielzahl an Modellen fur den Kontakt rau-
er Oberflachen. Das Archard-Modell [9], das Greenwood-Williamson-Modell [34] und
das Bush-Gibson-Thomas-Modell [23] befassen sich mit der statistischen Beschreibung
des Normalkontakts rauer Oberflachen. Diese Modelle sind aufgrund der rein elasti-
schen Kontaktmodellierung mittels der Hertzschen Kontakttheorie nur fur moderate
Flachenpressungen geeignet. Sie stellen einen linearen Zusammenhang zwischen der
Flachenpressung und der realen Kontaktflache her.
Das Bowden-Tabor-Modell [21, 22] geht von vollkommen plastischem Kontakt rauer
Oberflachen aus. In diesem Modell entspricht das Verhaltnis der realen Kontaktflache
Areal zur scheinbaren Kontaktflache Ao dem Verhaltnis der Flachenpressung p zur Ober-
1 EINLEITUNG 5
flachenharte H :
Areal
Ao
=p
H(1.1)
Die Oberflachenharte H entspricht dem circa 2,8-fachen der Fließgrenze des weicheren
Kontaktpartners. Das Bowden-Tabor-Modell eignet sich fur den Erstkontakt sehr rau-
er Oberflachen. Eine ausfuhrliche Beschreibung statistischer Kontaktmodelle und des
Bowden-Tabor-Modells sind in Kapitel 3 zu finden.
Ein wesentlicher Nachteil statistischer Kontaktmodelle ist die Nichtberucksichtigung
der Interaktion von Kontaktstellen durch die Oberflachendeformation. In Halbraummo-
dellen wird diese Interaktion von Kontaktstellen berucksichtigt. Somit kann auch der
Kontakt mit nahe zusammen liegenden Kontaktstellen modelliert werden. Pionierarbeit
auf dem Gebiet der Halbraummodelle wurde von Kalker [40] geleistet, der das Variations-
prinzip der Minimierung der komplementaren potentiellen Energie zur Losung des Kon-
taktproblems nutzt. Durch Limitierung der Flachenpressung auf die Oberflachenharte
entsprechend dem Bowden-Tabor-Modell kann das ursprunglich rein elastische Halb-
raummodell zur vereinfachten Modellierung elasto-plastischen Kontakts genutzt werden
[74, 84]. Kim et al. [41] nutzen ein solches vereinfachtes elasto-plastisches Halbraummo-
dell zur Simulation des Kontakts numerisch generierter fraktaler Oberflachen und be-
rechnen die, aus dem Kontakt folgenden, elastischen Spannungen im Halbraum mittels
analytischer Einflussfunktionen. Die vollstandige Kopplung des Normal- und Tangential-
kontakts wird von Willner vorgestellt [85]. Er zeigt, dass die Interaktion von Normal- und
Tangentialkraften im Kontakt einer glatten und einer rauen Oberflachen zumeist ver-
nachlassigt werden kann. Polonsky und Keer [61] nutzen ein Mehrgitterverfahren und
das konjugierte Gradienten-Verfahren zur Losung des Kontaktgleichungssystems. Ein
Vergleich von Gleichungslosungsverfahren fur Halbraummodelle wird von Allwood [8]
prasentiert.
Die Modellierung dreidimensionaler plastischer Deformationen auf einer Volumendis-
kretisierung des Halbraums wurde von Jacq et al. [38] entwickelt. Dieses Modells wird
in Kapitel 7 ausfuhrlich beschrieben. Dort findet sich auch eine Literaturubersicht zu
dreidimensionalen plastischen Halbraummodellen.
Die große Bedeutung der Reibung spiegelt sich in einer Vielzahl an Ansatzen zu ihrer
Modellierung wieder. Die klassischen Reibmodelle in der Umformtechnik sind das Reib-
zahlmodell und das Reibfaktormodell. Im Reibzahlmodell ist die maximale Reibkraft
proportional zur Flachenpressung, wahrend sie im Reibfaktormodell von der Schubfestig-
keit der Oberflache abhangig ist. Das Reibzahlmodell ist fur geringe Flachenpressungen
geeignet, das Reibfaktormodell hingegen eignet sich fur große Flachenpressungen. Oro-
wan [55] kombiniert beide Reibmodelle. Das Orowan-Reibgesetz verwendet bei nied-
rigen Flachenpressungen das Reibzahlmodell und bei großen Flachenpressungen das
Reibfaktormodell. Das Shaw-Reibgesetz [65, 66] und das Wanheim-Bay-Reibgesetz
[14, 15, 81] sind dem Orowan-Reibgesetz ahnlich, sie modellieren jedoch einen kontinuier-
lichen Ubergang zwischen Reibzahl- und Reibfaktormodell. Das IFUM-Reibgesetz [17]
berucksichtigt neben der Flachenpressung auch die Vergleichsspannung im Werkstuck
6 1.3 Ziel und Aufbau der Arbeit
und die Relativgeschwindigkeit zwischen Werkzeug und Werkstuck. Eine Diskussion der
Reibgesetze ist in Kapitel 3.2 zu finden.
In mehrstufigen Umformprozessen, wie sie insbesondere in der Blechmassivum-
formung auftreten, ist die Kontakthistorie, also die Einglattung der Oberflache in
aufeinanderfolgenden Prozessschritten zu berucksichtigen. Einen interessanten Bei-
trag hierzu stellt die Arbeit von Stahlmann et al. [70] dar. Es wird ein ex-
perimentell kalibriertes Modell zur Beschreibung der Oberflacheneinglattung in
Abhangigkeit von der Flachenpressung und Oberflachenvergroßerung genutzt. In Finite-
Elemente-Simulationen wird ein sogenanntes Hintergrundnetz verwendet, um den
Einglattungszustand der Oberflache in der Simulation eines Extrusionsprozesses bei Neu-
vernetzung vom alten Netz auf das neues Netz zu ubertragen.
1.3 Ziel und Aufbau der Arbeit
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung eines effizienten Halbraummodells
zur Simulation des Kontakts rauer Oberflachen. Hierbei soll elasto-plastisches Materi-
alverhalten und die Interaktion der Oberflachen mit Schmierstoffen berucksichtigt wer-
den. Aus den Halbraumsimulationen gewonnene Erkenntnisse sollen genutzt werden,
um ein Reibgesetz abzuleiten, das den speziellen Anforderungen der Blechmassivum-
formung gerecht wird. Das Reibgesetz muss sowohl fur geringe, als auch fur sehr große
Flachenpressungen geeignet sein. Zudem ist die plastische Oberflacheneinglattung in
mehrstufigen Prozessen zu berucksichtigen.
Es werden zwei Halbraummodelle implementiert. Im ersten Modell wird eine ver-
einfachte Modellierung der plastischen Oberflachendeformation durch Limitierung der
Flachenpressung auf die Oberflachenharte vorgenommen. Dieses Modell ist durch expe-
rimentelle Untersuchungen von Bowden und Tabor [22] sowie die theoretische Arbeit von
Hencky [36] motiviert und baut auf den Arbeiten von Tian und Bhushan [74] und Will-
ner [84] auf. Es wird im Folgenden”vereinfachtes plastisches Halbraummodell“ genannt
und zeichnet sich durch große Effizienz aus. Das zweite Modell basiert auf der Arbeit von
Jacq [38]. Es wird hier als”dreidimensionales plastisches Halbraummodell“ bezeichnet.
In diesem Modell wird die dreidimensionale plastische Deformation auf einer Volumen-
diskretisierung unter der Oberflache simuliert.
Kapitel 2 fuhrt in die Oberflachencharakterisierung ein und stellt mehrere Moglich-
keiten zur Beschreibung von Oberflacheneigenschaften vor. Diese werden in nachfol-
genden Kapiteln verwendet, um die Einglattung der Oberflachen im Kontakt zu be-
schreiben.
In Kapitel 3 werden die Grundlagen der Kontaktmechanik dargestellt. Fur den Nor-
malkontakt werden sowohl die Hertzsche Theorie fur den Normalkontakt elliptischer
Korper, als auch die statistischen Normalkontaktmodelle von Archard, Greenwood und
Williamson sowie Bush, Gibson und Thomas vorgestellt. Zudem werden die bedeu-
tendsten Reibmodelle der Umformtechnik dargestellt und ihre Eignung fur verschiedene
Flachenpressungen diskutiert. Anschließend wird der Einfluss von Schmierstoffen auf
1 EINLEITUNG 7
den Kontakt skizziert. Das dritte Kapitel schließt mit der Betrachtung der Auswirkun-
gen simultaner Normal- und Tangentiallasten (Junction growth) auf den Kontakt ab.
Kapitel 4 befasst sich mit den theoretischen Grundlagen des Halbraumkontaktmo-
dells. Anhand der Grundgleichungen der Kontinuumsmechanik, den Navier-Gleichungen
und den Papkovich-Neuber-Potentialen werden die analytischen Losungen fur den
Normal- und Tangentialkontakt von Boussinesq und Cerruti hergeleitet.
Aufbauend auf den in Kapitel 4 abgehandelten theoretischen Grundlagen werden
in Kapitel 5 die Diskretisierung und die numerische Umsetzung des Kontaktmodells
beschrieben. Hierbei wird ausfuhrlich auf die effiziente Losung des Kontaktgleichungs-
systems eingegangen. Anschließend werden das vereinfachte plastische Halbraummodell
und die Modellierung hydrostatischer Drucke in Schmierstoffen, die in Schmiertaschen
eingeschlossen sind, dargestellt.
In Kapitel 6 wird die experimentelle Verifikation des vereinfachten Halbraummo-
dells behandelt. Die Abhangigkeit der Oberflachenharte von der Eindringtiefe wird mit-
tels einer Harteprufung untersucht. In einem Einglattungsversuch werden Oberflachen
durch einen harten ebenen Stempel eingeglattet. Versuchsergebnisse werden fur tro-
ckenen und beolten Kontakt mit Simulationen verglichen. Hierzu werden sowohl Rau-
heitskenngroßen, Materialanteilkurven (Abbott-Kurven) als auch Wahrscheinlichkeits-
verteilungen der Hohen gegenubergestellt.
Kapitel 7 behandelt das dreidimensionale plastische Halbraummodell und be-
ginnt mit einer Literaturubersicht. Neben dem Grundkonzept und dem Aufbau des
Modells werden die benotigten Einflussfunktionen fur elastische Spannungen unter
Flachenlasten, Eigenspannungen aufgrund plastischer Dehnungen und plastischer Ober-
flachendeformation aufgrund plastischer Dehnungen dargestellt. Zu allen Einflussfunk-
tionen werden Vergleiche der eigenen Implementierung mit Beispielen aus der Literatur
gezeigt. Kapitel 7 beinhaltet zudem Ausfuhrungen zur Berechnung der plastischen Deh-
nungen.
Ergebnisse von Kontaktsimulationen mit dem dreidimensionalen plastischen Halb-
raummodell werden in Kapitel 8 dargestellt. Anhand des Vergleichs von Ergebnissen
von Halbraumsimulationen und Finite-Elemente-Simulationen des Kontakts einer Kugel
mit einer Ebene wird das dreidimensionale plastische Halbraummodell verifiziert. Der
Einfluss der Verfestigung auf den Kontakt wird ebenfalls am Beispiel des Kugelkon-
takts diskutiert. Des Weiteren werden Ergebnisse von Simulationen des Kontakts rauer
Oberflachen dargestellt.
In Kapitel 9 wird aus Ergebnissen der Halbraumsimulation ein Reibgesetz abgeleitet
und die Implementierung des Reibgesetzes als User-Subroutine in die Finite-Elemente-
Software Simufact.forming vorgestellt. Das Reibgesetz modelliert einen kontinuierlichen
Ubergang vom Reibzahlmodell zum Reibfaktormodell. Zudem berucksichtigt es die
Oberflacheneinglattung aus vorherigen Lastschritten. In der Implementierung des Reib-
gesetzes in Simufact.forming geschieht dies mittels einer Oberflachenzustandsvariable,
die bei Neuvernetzung auf das neue Netz ubertragen wird. Die Auswirkungen des entwi-
ckelten Reibgesetzes werden anhand eines mehrstufigen Umformprozesses zur Herstel-
lung eines Napfes mit aufgedickter Zarge aus einem Blechhalbzeug dargestellt.
Kapitel 2
Oberflachencharakterisierung
Die Gestalt von Oberflachen hat einen großen Einfluss auf zahlreiche Prozesse und Pro-
dukteigenschaften. Neben dem Kontakt- und Reibungsverhalten sind unter anderem die
thermische und elektrische Leitfahigkeit, die Lackierbarkeit sowie die Optik und Hap-
tik von der Oberflachengestalt abhangig. Aufgrund der großen Bedeutung der Ober-
flachengestalt gibt es zahlreiche Bestrebungen sie zu charakterisieren und quantifizieren.
Die Klassifizierung von Oberflachenrauheiten teilt die Abweichungen der Oberflachen
von ihrer idealen Gestalt in Abhangigkeit vom Verhaltnis von Lange zu Tiefe der Ge-
staltabweichung in verschiedene Klassen ein. Rauheitskenngroßen beschreiben die Rau-
heit durch skalare Werte. Zur statistischen Beschreibung von Oberflachen dienen die
Materialanteilkurve und die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion. Eine Erweiterung der
Materialanteilkurve um die Unterscheidung offener und geschlossener Leerflachen er-
folgt durch das mechanisch-rheologische Modell. Neben der Oberflachengestalt ist auch
der Schichtaufbau des Werkstoffs unter der Oberflachen von großer Bedeutung fur das
Kontaktverhalten. All diese Moglichkeiten zur Oberflachencharakterisierung werden im
Folgenden skizziert.
2.1 Klassifizierung von Oberflachenunregel-
maßigkeiten
Technische Oberflachen weisen auch bei sorgfaltigster Fertigung stets Abweichungen der
Istoberflache von der Solloberflache auf. Diese Gestaltabweichungen konnen mit bloßem
Auge sichtbar oder nur wenige Nanometer groß sein. Daher ist eine Klassifizierung der
Abweichungen nach ihrer Großenordnung sinnvoll. Die DIN-Norm 4760 [1] unterscheidet
sechs Grade von Gestaltabweichungen. Gestaltabweichungen 1. Ordnung sind Formab-
weichungen. Sie sind nur bei Betrachtung der gesamten Oberflache zu erkennen. Wel-
ligkeiten (Gestaltabweichungen 2. Ordnung) sind als uberwiegend periodische Abwei-
chungen definiert, die ein Verhaltnis von Lange zu Tiefe zwischen 1000 : 1 und 100 : 1
aufweisen. Zumeist sind Welligkeiten mehrerer Wellenlangen uberlagert. Rauheiten (Ge-
staltabweichungen 3. bis 5. Ordnung) sind regelmaßig oder unregelmaßig wiederkehren-
de Abweichungen, deren Verhaltnis von Lange zu Tiefe zwischen 100 : 1 und 5 : 1 liegt.
9
10 2.2 Rauheitskenngroßen
Gestaltabweichungen 6. Ordnung sind sehr kleinskalige Abweichungen, die durch den
Aufbau des Werkstoffs begrundet sind.
2.2 Rauheitskenngroßen
Eine Gruppe sehr wichtiger Rauheitskenngroßen sind die Profilkenngroßen nach
DIN EN ISO 4287 [4]. Zu ihrer Bestimmung wird das Rauheitsprofil z(x) entlang einer
linienformigen Messstrecke der Lange lr ausgewertet. Die Mittellinie des Rauheitsprofils
muss eben sein und ihr arithmetischer Mittelwert muss null sein. In der Praxis wer-
den keine kontinuierlichen Profile ausgewertet, sondern diskrete Hohendaten zi an N
aquidistant verteilten Messpunkten. Eine haufig verwendete Rauheitskenngroße ist der
arithmetische Mittenrauwert Ra
Ra =1
lr
∫ lr
0
|z(x)| dx ≈ 1
N
N∑
i=1
|zi| . (2.1)
DerRa-Wert ist relativ unempfindlich gegenuber Storungen und eignet sich daher gut zur
Untersuchung von Oberflachenveranderungen [77]. Mit einer einzigen Rauheitskenngroße
ist es nicht moglich die Hohenverteilung einer Oberflache eindeutig zu beschreiben. So
kann ein sehr spitzes Profil den gleichen Ra-Wert wie ein welliges Profil haben [82]. Zur
Unterscheidung spitzer und welliger Profile ist der quadratische Mittenrauwert Rq besser
geeignet
Rq = σs =
√
1
lr
∫ lr
0
z2(x) dx ≈
√√√√ 1
N
N∑
i=1
z2i . (2.2)
Der Rq-Wert entspricht der Standardabweichung der Hohenverteilung σs und somit
der Wurzel ihrer Varianz. Weitere Informationen uber die Hohenverteilung enthalten
die Kenngroßen Schiefe und Kurtosis. Die Schiefe Rsk beschreibt die Asymmetrie der
Hohenverteilung
Rsk =1
R3q
1
lr
∫ lr
0
z(x)3 dx ≈ 1
R3q
1
N
N∑
i=1
z3i . (2.3)
Oberflachen, deren Hohenverteilung einer Normalverteilung (Gauß-Verteilung) ent-
spricht, haben eine Schiefe von Null. Auf ihnen treten Spitzen und Taler mit gleicher
Haufigkeit auf. Oberflachen mit schwach ausgepragten Talern und stark ausgepragten
Spitzen haben positive Schiefen. Verschlissene Oberflachen, deren Spitzen stark abgetra-
gen sind, haben negative Schiefen [41]. Die Kurtosis Rku beschreibt die Steilheit einer
Hohenverteilung
Rku =1
R4q
1
lr
∫ lr
0
z(x)4 dx ≈ 1
R4q
1
N
N∑
i=1
z4i . (2.4)
Eine normalverteilte Oberflache hat eine Kurtosis von drei. Oberflachen mit wenigen ho-
hen Spitzen und wenigen tiefen Talern haben eine Kurtosis kleiner drei. Eine Oberflache,
die sehr hohe Spitzen und sehr tiefe Taler aufweist hat eine Kurtosis großer drei.
2 OBERFLACHENCHARAKTERISIERUNG 11
Normgerechte Bestimmung von Rauheitskenngroßen
Rauheitskenngroßen unterliegen zahlreichen Einflussen und mussen daher gemaß klar
definierter Regeln bestimmt werden, um reproduzierbar und vergleichbar zu sein. Die
wesentlichen Einflussgroßen sind die Lange der Messstrecke, die Messauflosung und die
verwendeten Hoch- und Tiefpassfilter. Bei anisotropen Oberflachen ist in der Richtung
mit der großten Rauheit zu messen. Die Lange lr der Einzelmessstrecken ist in der
DIN EN ISO 4288-Norm [3] festgelegt. Weil die Lange der zu vermessenden Strecke
abhangig von der Rauheit ist (siehe Tabelle 2.1), kann es notwendig sein, die richtige
Messlange iterativ zu bestimmen. Ebenso verhalt es sich mit den Wellenlangen λc und λsder Tief- und Hochpassfilter, die in der DIN EN ISO-Norm 3274 [2] spezifiziert sind. Der
Tief- und der Hochpassfilter dienen dazu, Welligkeiten bzw. sehr kurzwellige Rauheiten
aus dem Rauheitsprofil herauszufiltern. Die Wellenlange λc des Tiefpassfilters entspricht
der Lange der Messstrecken lr. In der DIN EN ISO-Norm 3274 sind zudem der maximale
Radius der Messspitze rtip eines zur Rauheitsmessung verwendeten Tastschnittgerats
sowie der maximale Abstand ∆ x zwischen zwei Messpunkten spezifiziert.
Normgerechte Rauheitskenngroßen sind Mittelwerte aus funf Einzelmessungen. Vor
und nach der Messstrecke ist eine Vor- und Nachlaufstrecke der Lange lr/2 notwendig,
damit die Rauheitsfilter einschwingen konnen [77].
Ra in µm lr in mm λc in mm λs in µm rtip in µm ∆ x in µm
Ahnlich wie an linienformigen Messprofilen konnen Rauheitskenngroßen auch an
flachigen Messdaten bestimmt werden. Anstatt der Bezeichnung”R“ tragen die flachigen
Großen die Bezeichnung”S“, also Sa anstatt Ra usw. Die Formeln zur Berechnung der
Kenngroßen entsprechen den Gleichungen (2.1) bis (2.4). Ihre normgerechte Bestimmung
ist in DIN EN ISO 25178 [5] geregelt.
2.3 Materialanteilkurve (Abbott-Kurve) und Wahr-
scheinlichkeitsdichtefunktion
Skalare Rauheitskenngroßen sind wichtige Werkzeuge zur Charakterisierung von Ober-
flachen, sie beschreiben die Hohenverteilung aber nicht eindeutig und sind wenig an-
schaulich. Die Materialanteilkurve (auch Abbott-Kurve oder Abbott-Firestone-Kurve ge-
12 2.3 Materialanteilkurve (Abbott-Kurve) und Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion
nannt) und die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion beschreiben die Verteilung der Ober-
flachenhohe praziser und anschaulicher. Zur Bestimmung der Materialanteilkurve wer-
den horizontale Schnitte durch die Oberflache gelegt und in den Schnitten der Anteil der
durchdrungenen Flache (gestrichelte Linie in Abb. 2.1 a) bestimmt. Bei isotropen Ober-
flachen kann die Materialanteilkurve, bei aquivalentem Ergebnis, an einem Profil anstatt
der gesamten Oberflache ermittelt werden [77]. Die Materialanteilkurve beschreibt, wie
groß der Anteil der realen Kontaktflache bei einer Durchdringung der Oberflache durch
eine ideal glatte Oberflache ist. Die Oberflachendeformation im Kontakt bleibt hierbei
unberucksichtigt. Der Materialanteil, auch realer Kontaktflachenanteil αreal genannt,
kann als Quotient aus realer Kontaktflache Areal und scheinbarer Kontaktflache (gesam-
te Kontaktflache) Ao dargestellt werden
αreal =Areal
Ao. (2.5)
Die relative Haufigkeit einer bestimmten Oberflachenhohe z wird durch die Wahr-
scheinlichkeitsdichtefunktion φ(z) beschrieben. Die Flache unter der Wahrscheinlich-
keitsdichte-Kurve ist eins∫
∞
−∞
φ(z) dz = 1 . (2.6)
Die Materialanteilkurve kann auch als Integral uber die Wahrscheinlichkeitsdichtefunk-
tion von z bis unendlich aufgefasst werden. Abb. 2.2 zeigt die Materialanteilkurven
und Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen eines Bleches mit EDT-Oberflachenstruktur
(Electro Discharge Texturing) und einer Gaußschen Oberflache. Um Vergleichbarkeit
herzustellen, wurden die Standardabweichungen der Oberflachen angepasst. Die Wahr-
scheinlichkeitsdichtefunktion zeigt eine deutliche Abweichung der EDT-Oberflache von
der Gaußschen Oberflache fur z ≈ 2µm. In der Materialanteilkurve ist diese Abweichung
kaum erkennbar, weil im Gegensatz zur Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion keine lokale
Wahrscheinlichkeit der Hohe z, sondern ein kumulativer Wert aufgetragen ist. Dieses
Beispiel zeigt zum einen, dass nicht jede Oberflache eine Gaußsche Hohenverteilung hat,
0 20 40 60 80 100−4
−2
0
2
4
x
z
a)
0 20 40 60 80 100−4
−2
0
2
4
Materialanteil in %
z
b)
Abbildung 2.1: Hohenprofil mit Schnittlinie (a) und Materialanteilkurve (b)
2 OBERFLACHENCHARAKTERISIERUNG 13
0 25 50 75 100−6
−4
−2
0
2
4
6
Materialanteil in %
zin
µm
EDT-OberflacheGaußsche Oberflache
a)
−6 −4 −2 0 2 4 60
0.1
0.2
0.3
z in µm
φ(z
)
EDT-OberflacheGaußsche Oberflache
b)
Abbildung 2.2: Materialanteilkurven (a) und Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen (b)
zum anderen verdeutlicht es die prazisere Darstellung der Oberflachengestalt durch die
Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion.
2.4 Mechanisch-rheologisches Modell
Die Materialanteilkurve unterteilt die Kontaktflache in die reale Kontaktflache Areal
und die freie Kontaktflache. Sie eignet sich zur Beschreibung trockenen Kontakts. Zur
Charakterisierung des Oberflachenverhaltens im beolten Kontakt dient das mechanisch-
rheologische Modell. Analog zur Bestimmung des Materialanteils werden die Kontakt-
flachenanteile an horizontalen Schnitten durch die Oberflache bestimmt. Jedoch wird die
freie Kontaktflache zusatzlich in geschlossene Leerflachen Aclos und offene Leerflachen
Aopen unterteilt [68, 59, 60]
Ao = Areal + Aclos + Aopen . (2.7)
Aquivalent hierzu ist die Darstellung in Kontaktflachenanteilen
αreal + αclos + αopen = 1 . (2.8)
In Abb. 2.3 a ist exemplarisch die Aufteilung einer im Kontakt befindlichen Oberflache
in die einzelnen Kontaktflachen dargestellt. Offene Leerflachen, auch offene Schmierta-
schen genannt, haben eine Verbindung zum Rand des Kontaktgebiets. Folglich kann der
Schmierstoff aus offenen Leerflachen austreten. Druck- und Schubspannungen in offenen
Schmiertaschen sind von der Viskositat des Schmierstoffes und von der Relativgeschwin-
digkeit der Oberflachen in normaler und tangentialer Richtung abhangig. Geschlossene
Leerflachen, auch geschlossene Schmiertaschen genannt, haben keine Verbindung zum
Rand des Kontaktgebiets. Folglich kann der Schmierstoff nur sehr schwer entweichen
und es konnen sich große hydrostatische Drucke ausbilden.
Bei geringen Relativgeschwindigkeiten konnen die hydrodynamischen Spannungen
gegenuber den großen Spannungen in der realen Kontaktflache und den hohen hydro-
statischen Drucken in den geschlossenen Schmiertaschen vernachlassigt werden. Reib-
schubspannungen treten dann nur in Areal auf und die Flachenpressung wird in Areal
14 2.4 Mechanisch-rheologisches Modell
und Aclos ubertragen. Durch die Normalkraft in geschlossenen Schmiertaschen Fclos wird
die Normalkraft in der realen Kontaktflache Freal und folglich Areal verringert. Es gilt
F = Freal + Fclos . (2.9)
Somit reduziert der Schmierstoff in geschlossenen Schmiertaschen die Reibung, weil
er Anteile der Normalkraft F tragt, aber selbst keine nennenswerten Reibschubspan-
nungen ubertragt. Eine weitere aus dem mechanisch-rheologischen Modell abgeleitete
Große ist das Volumen der geschlossenen Schmiertaschen Vclos (Abb. 2.3 b). Es quan-
tifiziert die Fahigkeit einer Oberflache, Schmierstoffe aufzunehmen und wieder abzuge-
ben, wenn die Oberflache wahrend des Kontakts eingeglattet wird. Die stetige Abgabe
von Schmierstoff stellt die Ausbildung eines Mikroschmierfilms sicher. Dieser schutzt
die Oberflache vor Verschleiß und reduziert die Reibung. Als skalare Großen zur Ober-
flachencharakterisierung dienen der maximale Anteil der geschlossenen Schmiertaschen
αclos,max und ihr maximales Volumen Vclos,max. Sie eignen sich insbesondere zum Ver-
gleich von Oberflachen bezuglich ihrer Interaktion mit Schmierstoffen.
Die reibungsreduzierende Wirkung eines großen Anteils geschlossener Leerflachen
[59, 60] und eines großen Volumens geschlossener Schmiertaschen [60] konnte im Ring-
stauchversuch mit anschließender Torsion experimentell bestatigt werden. Auch im
Streifenziehversuch konnte eine verringerte Reibung bei großerem Anteil geschlossener
Schmiertaschen beobachtet werden [60].
Um reprasentative Ergebnisse bei der Bestimmung der Kontaktflachenanteile zu er-
zielen, muss eine ausreichend große Oberflache untersucht werden. Die Große der re-
prasentativen Oberflache ist abhangig von der Oberflachenstruktur und muss jeweils
anhand des konkreten Beispiels ermittelt werden. In Abb. 2.4 b sind die Kontakt-
flachenanteile eines Bleches mit EDT-Oberflachenstruktur in Abhangigkeit von der Kan-
tenlange L der Oberflache bei konstanter Durchdringung dargestellt. Die Veranderungen
der Flachenanteile sind ab einer Kantenlange von 2,5mm gering. Folglich kann von ei-
ner reprasentativen Oberflache ausgegangen werden, wenn ihre Kantenlange mindestens
2,5mm betragt.
0 2,5 5 7,5 100
25
50
75
100
uo in µm
αin
%
αrealαclosαopen
a)
0 2,5 5 7,5 100
0,05
0,1
0,15
0,2
0,25
uo in µm
Vclos
inml
m2
b)
Abbildung 2.3: Charakterisierung einer Beispieloberflache mittels des mechanisch-
rheologischen Modells in Kontaktflachenanteile (a) und eingeschlossenes Volumen (b)
2 OBERFLACHENCHARAKTERISIERUNG 15
Areal
Aclos
Aopen
a)
0 1 2 30
25
50
75
100
L in mm
αin
%
αrealαclosαopen
b)
Abbildung 2.4: Aufteilung der Kontaktflache in ihre Flachenanteile (a) und Flachen-
anteile in Abhangigkeit von der Kantenlange der Oberflache (b)
2.5 Schichtaufbau metallischer Oberflachen
Aufgrund von Fertigungs- und Umgebungseinflussen unterscheiden sich Oberflachen in
ihren mechanischen Eigenschaften maßgeblich vom Grundmaterial. Daher wird von in-
nen nach außen zwischen den drei Bereichen Grundmaterial, innere Grenzschicht und
außere Grenzschicht unterschieden [27]. Die innere Grenzschicht, auch Beilby-Schicht
genannt, hat die gleiche chemische Zusammensetzung wie das Grundmaterial, ist jedoch
durch spanende oder umformende Fertigungsverfahren plastisch deformiert und verfes-
tigt. Hier treten haufig Eigenspannungen auf. Die außere Grenzschicht besteht, von in-
nen nach außen, aus einer Oxidschicht und einer Adsorptionsschicht. In der Adsorptions-
schicht sind gasformige und flussige Stoffe aus dem Umgebungsmedium angereichert [27].
Die im Vergleich zum Grundmaterial veranderten mechanischen und chemischen Eigen-
schaften der Oberflachen beeinflussen das Kontakt- und Reibungsverhalten maßgeblich.
Kapitel 3
Kontaktmechanik
In diesem Kapitel werden die Grundlagen der Kontaktmechanik rekapituliert. Auf die
Beschreibung analytischer und statistischer Normalkontaktmodelle in Kap. 3.1 folgt in
Kap. 3.2 die Darstellung der wesentlichen Reibmodelle in der Umformtechnik. Die, von
der Relativgeschwindigkeit zwischen Werkzeug und Werkstuck abhangigen, Reibungs-
zustande werden in Kap. 3.3 erlautert.
3.1 Normalkontakt
3.1.1 Hertzscher Kontakt
Einen bedeutenden Beitrag zur Kontaktmechanik stellt die Hertzsche Kontakttheorie
dar [37, 39]. Heinrich Hertz beschaftigte sich mit optischer Interferenz und wollte die
elastische Deformation sich beruhrender Linsen bestimmen. Dabei fand er 1880 ana-
lytische Losungen fur die Flachenpressung und Oberflachendeformation im elastischen
nicht-konformen Kontakt elliptischer Korper. Nicht-konformer Kontakt bedeutet, dass
die Abmessungen der Kontaktflache sehr viel kleiner als die Abmessungen der Kon-
taktkorper und sehr viel kleiner als ihre Radien im Bereich der Kontaktflache sind. Die
Hertzsche Kontakttheorie setzt kleine Deformationen und Reibungsfreiheit voraus. Fur
den Radius der Kontaktflache a im Kontakt einer Kugel mit dem Radius R und einer
Ebene gilt
a =
(3FR
4E∗
)1/3
, (3.1)
wobei F die Kontaktnormalkraft ist. Fur den Kontakt zweier Kugeln der Radien R1 und
R2 gilt
1
R=
1
R1+
1
R2. (3.2)
Die Querkontraktionszahlen und Elastizitatsmoduln beider Kontaktpartner werden mit-
tels
1
E∗=
1− ν21E1
+1− ν22E2
(3.3)
17
18 3.1 Normalkontakt
berucksichtigt. Fur die elastische Deformation d im Zentrum des Kontakts und die
Flachenpressung po im Zentrum des Kontakts gelten
d =a2
R=
(9F 2
16RE∗2
)1/3
(3.4)
und
po =3F
2πa2=
(6FE∗2
π3R2
)1/3
. (3.5)
Die Gleichung
p = po
√
1−(r
a
)2
(3.6)
mit
r =√
x2 + y2 (3.7)
beschreibt die Flachenpressung im Kontaktgebiet (r ≤ a). Fur die Spannungen auf der
Oberflache in radialer, tangentialer und normaler Richtung gilt im Hertzschen Kontakt
innerhalb des Kontaktgebiets [39]
σrpo
=1− 2ν
3
a2
r2
1−(
1− r2
a2
)3/2
−(
1− r2
a2
)1/2
, (3.8)
σθpo
= −1 − 2ν
3
a2
r2
1−(
1− r2
a2
)3/2
− 2ν
(
1− r2
a2
)1/2
(3.9)
und
σzpo
= −(
1− r2
a2
)1/2
. (3.10)
Fur die Spannungen entlang der z-Achse (der Normalen zur Oberflache) gilt
σrpo
=σθpo
= −(1 + ν)
1− z
aarctan
(a
z
)
+1
2
(
1 +z2
a2
)−1
(3.11)
und
σzpo
= −(
1 +z2
a2
)−1
. (3.12)
Fur ν = 0,3 hat die Hauptschubspannung τ1 = 1/2 |σz − σθ| ihr Maximum
τ1max = 0,31 po (3.13)
auf der z-Achse in einer Tiefe von z = 0,57 a unter der Oberflache. Legt man die
Schubspannungshypothese von Tresca zugrunde, so kommt es bei einer Flachenpressung
3 KONTAKTMECHANIK 19
po von 1,61 mal der Fließgrenze σy erstmals zu plastischer Deformation. Bei konstan-
ter Flachenpressung auf einem kreisformigen Oberflachensegment und ν = 0,3 hat die
Hauptschubspannung ihr Maximum
τ1 max = 0,33 po (3.14)
auf der z-Achse in einer Tiefe von z = 0,64 a unter der Oberflache. In diesem Fall
kommt es ab einer Flachenpressung von p = 1,52 σy zu plastischer Deformation. Eine
ausfuhrliche Diskussion der Hertzschen Theorie und die Spannungen unter konstanter
Flachenlast sind in [39] zu finden. In Abb. 3.1 sind die Spannungen unter konstanter
Flachenlast bzw. Hertzscher Pressung auf der Oberflache und auf der z-Achse dargestellt.
1 0 1
0
−0,5
−1
Konstant Hertz
r/a
σ/p
σr/pσθ/pσz/p
a)
−1 −0,5 0 −0,5 −13
2
1
0Konstant Hertz
σ/p
z/a
σr/pσθ/pσz/p−τ1/p
b)
Abbildung 3.1: Spannungen auf der Oberflache (a) und entlang der z-Achse (b) unter
konstanter bzw. Hertzscher Flachenpressung
3.1.2 Normalkontakt rauer Oberflachen
Weil technische Oberflachen niemals vollkommen glatt sind, kommt es bei flachigen Kon-
takten immer zu einer Vielzahl an Kontaktstellen. Im Folgenden werden mit den Kon-
taktmodellen von Archard, Greenwood und Williamson sowie Bush, Gibson und Thomas
drei statistische Modelle fur den Kontakt rauer Oberflachen vorgestellt. Wie in Kapitel
3.2 erlautert wird, hat das Verhaltnis von realer Kontaktflache Areal zu Normalkraft F
eine große Bedeutung fur die Reibung, weshalb diese Beziehung hier besondere Beach-
tung findet. Allen hier vorgestellten statistischen Kontaktmodellen liegt die Betrachtung
der Einzelkontakte als Hertzsche Kontakte zugrunde.
Archard-Modell
Fur den Kontakt einer Oberflache mit vielen spharischen Rauheitsspitzen mit iden-
tischem Radius und gleichmaßig verteilten Hohen konnte Archard zeigen, dass
Areal ∝ F 4/5 gilt [9]. Wenn die spharischen Rauheitsspitzen (Radius R1) von klein-
skaligeren Rauheiten (Radius R2 ≪ R1) uberlagert werden gilt Areal ∝ F 14/15 [10].
20 3.1 Normalkontakt
Bei Uberlagerung mit weiteren Rauheitsspitzen noch kleinerer Großenordnung
(R3 ≪ R2 ≪ R1) ist die reale Kontaktflache nahezu proportional zur Kontaktnormal-
kraft (Areal ∝ F 44/45). Ist eine einzelne spharische Rauheitsspitze (R1) von spharischen
Rauheitsspitzen kleinerer Skala (R2 ≪ R1) uberlagert, dann gilt Areal ∝ F 8/9. Das
Verhaltnis andert sich zu Areal ∝ F 26/27, wenn weitere Rauheitsspitzen noch kleinerer
Skala hinzukommen (R3 ≪ R2 ≪ R1). Je mehr Großenskalen betrachtet werden, desto
mehr nahert sich das Verhaltnis zwischen realer Kontaktflache und Kontaktnormalkraft
einer linearen Beziehung an. Aus (3.1) folgt fur Hertzsche Kontakte Areal ∝ F 2/3. Bei
Oberflachen mit mehrskaliger Rauheit wachst mit der Flachenpressung nicht nur die
Große der bestehenden Kontaktflachen, sondern es bilden sich auch neue Kontaktstel-
len. Daher ist das Wachstum der realen Kontaktflache mit steigender Flachenpressung
bei rauen Oberflachen großer als bei Einzelkontakten.
Greenwood-Williamson-Modell
Ein weiteres Modell fur den elastischen Normalkontakt rauer Oberflachen wurde von
Greenwood und Williamson entwickelt [34]. Die Autoren betrachten eine Oberflache
mit spharischen Rauheiten normalverteilter Hohe und konstantem Radius R. Die Wahr-
scheinlichkeit einer Spitzenhohe z ≥ g wird durch die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion
φ(z) beschrieben
prob(z ≥ g) =
∫∞
g
φ(z) dz . (3.15)
Die Anzahl der in Kontakt befindlichen Rauheitsspitzen n ist durch die Funktion φ(z)
und die Gesamtzahl der Rauheitsspitzen N gegeben
n = N
∫∞
g
φ(z) dz . (3.16)
Mit den Hertzschen Gleichungen fur den Kontakt eines einzelnen spharischen Korpers i
mit einer Ebene
Ai = π R di (3.17)
und
Fi =4
3
√RE∗ d
3
2
i (3.18)
konnen unter Verwendung von (3.16) die reale Kontaktflache Areal und die Kontakt-
normalkraft F in Abhangigkeit von der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion dargestellt
werden
Areal = π N R
∫∞
g
(z − g)φ(z) z (3.19)
und
F =4
3
√RE∗
∫∞
g
(z − g)3
2φ(z) dz . (3.20)
3 KONTAKTMECHANIK 21
Durch die Normierung von z und g mit der Standardabweichung σs der Spitzenhohen
ergibt sich mit
s =z
σsund k =
g
σs(3.21)
eine normierte Hohenverteilung φ(s), deren Standardabweichung eins ist. Durch den
Parameter η wird die Anzahl der Rauheiten pro Flache beschrieben
η =N
Ao
. (3.22)
Es folgt fur die reale Kontaktflache und die mittlere Flachenpressung pmean
Areal = π η AoRσs
∫∞
k
(s− k)φ∗(s) ds (3.23)
und
pmean =4
3η√RE∗ σ
3
2
s
∫∞
k
(s− k)3
2 φ∗(s) ds . (3.24)
Fur eine vollstandige Normalverteilung der Rauheitsspitzen ist keine analytische Losung
bekannt. Weil das Greenwood-Williamson-Modell, wie auch das Archard-Modell, keine
Interaktion zwischen den Rauheitsspitzen berucksichtigt, ist das Modell nur fur klei-
ne Kontaktflachenanteile geeignet. Folglich ist es ausreichend, nur die Verteilung der
hochsten Rauheitsspitzen genau zu beschreiben. Dies gelingt mit der Exponentialfunk-
tion
φ∗(s) = e−s . (3.25)
Es folgt
Areal = π η R σsAo e−k (3.26)
und
pmean =√π η RσsE
∗
√σsRe−k . (3.27)
Fur das Verhaltnis aus realer Kontaktflache und Gesamtflache gilt
Areal
Ao=pmean
E∗
√
πR
δ. (3.28)
Somit existiert neben dem Archard-Modell ein weiteres elastisches Kontaktmodell, dass
eine lineare Beziehung zwischen Flachenpressung und realer Kontaktflache herstellt.
Neben dem Kontaktgesetz fuhren Greenwood und Williamson in [34] den Plasti-
zitatsindex ψ ein. Sie nutzen die Erkenntnis, dass plastische Deformation einsetzt, wenn
die Flachenpressung ca. dem 0,6-fachen der Oberflachenharte H entspricht [39, 72]
22 3.1 Normalkontakt
(vgl. (3.13)). Mit der Hertzschen Gleichung fur die Oberflachendeformation im Kon-
takt einer Kugel mit einer Ebene
d =(π
2
)2
p2oR
E∗2(3.29)
(vgl. (3.4) und (3.5)), gilt fur die Oberflachendeformation bei Einsetzen plastischer De-
formation
dplast = 0, 89H2 R
E∗2. (3.30)
Weil das Einsetzen plastischer Deformation schwer zu detektieren ist, runden Greenwood
und Williamson auf und erhalten
dplast = H2 R
E∗2. (3.31)
Analog zu (3.15) wird die Wahrscheinlichkeit fur plastischen Kontakt eingefuhrt
prob(z ≥ g + dplast) =
∫∞
g+dplast
φ(z) dz . (3.32)
Mit
d∗plast =dplastσs
(3.33)
gilt fur die plastische Kontaktflache
Aplast = π η R σsAo
∫∞
k+d∗plast
(s− k)φ∗(s) ds . (3.34)
Anhand einer Parameterstudie identifizieren Greenwood und Williamson den Plasti-
zitatsindex ψ als geeignete Große zur Beurteilung von Oberflachen bezuglich ihrer Nei-
gung zu plastischer Deformation
ψ =1
√d∗plast
=E∗
H
√σsR. (3.35)
Oberflachen mit ψ < 0,6 plastifizieren erst bei sehr großen Lasten merklich, wohingegen
bei ψ > 1 selbst bei sehr kleinen Lasten betrachtliche plastische Deformation auftritt.
Bush-Gibson-Thomas-Modell
Bush, Gibson und Thomas zeigen, dass raue Oberflachen durch Paraboloide besser ap-
proximiert werden als durch Spharen [23]. Sie nutzen das Zufallsprozess-Modell von Na-
yak [51] zur Beschreibung der Hohenverteilung. Aus der Hertzschen Kontakttheorie und
der statistischen Beschreibung der Oberflache ergeben sich folgende Beziehungen zwi-
schen dem normierten Abstand der Oberflache in Normalenrichtung γ und der realen
Kontaktflache sowie der Normalkraft
Areal(γ) =1
2√2 π γ
exp
(
−1
2γ2)
(3.36)
3 KONTAKTMECHANIK 23
und
F (γ) = Ao p(γ) =E∗
2 π γ
√m2
2exp
(
−1
2γ2)
(3.37)
mit
γ =g
σs. (3.38)
Fur das zweite Moment der Wahrscheinlichkeitsverteilung m2 gilt mit der Standardab-
weichung σs und der Transitionslange der Oberflache xT [86]
m2 = 2
(σsxT
)2
. (3.39)
Die Transitionslange ist der Abstand zwischen zwei Oberflachenpunkten, bei dem der
Ubergang von fraktalem zu stationarem Oberflachenverhalten stattfindet [86]. Aus (3.36)
und (3.37) kann das Kontaktflachenverhaltnis bestimmt werden. Es gilt
Areal
Ao
=p
E∗
√π
m2
. (3.40)
Wie das Archard- und das Greenwood-Williamson-Modell stellt das Bush-Gibson-
Thomas-Modell einen linearen Zusammenhang zwischen der Flachenpressung und der
realen Kontaktflache her, berucksichtigt aber ebenfalls nicht die Interaktion von Rau-
heitsspitzen.
3.2 Tangentialkontakt und Reibung in der Umform-
technik
Die große Bedeutung der Reibung fur die Umformtechnik spiegelt sich in einer Viel-
zahl an Reibgesetzen unterschiedlicher Komplexitat wieder. Die einfachsten und ge-
brauchlichsten Reibgesetze sind das Reibzahl- und Reibfaktormodell.
3.2.1 Reibzahlmodell (Coulomb-Reibgesetz)
Das Reibzahlmodell, das zu Ehren des Physikers Charles Coulomb (1736-1806) sehr
haufig als Coulombsches Reibgesetz bezeichnet wird, ist das wohl bekannteste und in den
Ingenieurwissenschaften meistgenutzte Reibgesetz. Die dem Reibzahlmodell zugrunde
liegenden Erkenntnisse waren schon Leonardo da Vinci (1452-1519) bekannt [62]. Dies
sind die Proportionalitat zwischen Reib- und Normalkraft und die Unabhangigkeit der
Reibkraft von der Große der Kontaktflache. Die Reibschubspannung τr ist im Reibzahl-
modell das Produkt aus der Reibzahl µ und der Flachenpressung p
τr = µ · p . (3.41)
24 3.2 Tangentialkontakt und Reibung in der Umformtechnik
Die Reibschubspannung ist der Relativbewegung entgegengesetzt. Weil die Reibung im
Haftfall in der Regel deutlich großer ist als im Gleitfall wird haufig zwischen der Haft-
reibzahl µH und der Gleitreibzahl µG unterschieden.
Im Reibzahlmodell steigt die berechnete Reibschubspannung proportional zur
Flachenpressung an und kann die Schubfließgrenze des weicheren Kontaktpartners
ubersteigen. Daher ist das Reibzahlmodell nicht fur große Flachenpressungen geeignet.
3.2.2 Reibfaktormodell (Tresca-Reibgesetz)
Das Reibfaktormodell definiert eine maximal ubertragbare Reibschubspannung. Sie ist
von der Schubfließgrenze k des weicheren Kontaktpartners und dem Reibfaktor m
abhangig
τr = m · k . (3.42)
Fur die Proportionalitatskonstante m gilt 0 ≤ m ≤ 1. Sie dient zur Berucksichtigung
der im Vergleich zum Grundmaterial zumeist geringeren Schubfestigkeit der Oberflache,
beziehungsweise eines Schmierfilms oder Verunreinigungen der Kontaktzone. Die maxi-
male Reibkraft im Reibfaktormodell ist unabhangig von der Normalkraft, aber abhangig
von der Große der Kontaktflache. Bei Reibschubspannungen unterhalb von τr kommt
es im Reibfaktormodell zu keiner Relativverschiebung der Oberflachen. Bei geringen
Flachenpressungen fuhrt dies zu einer Uberschatzung der Reibung. Die Schubfließgren-
ze k hangt von der Fließgrenze σy des Werkstoffs und von der verwendeten Vergleichs-
spannungshypothese ab. Bei Verwendung der Tresca-Fließbedingung gilt
τr = m · σy2, (3.43)
bei Verwendung der von-Mises-Fließbedingung gilt
τr = m · σy√3. (3.44)
3.2.3 Bowden-Tabor-Modell
Coulomb sieht die Verzahnung von Mikrorauheiten als Ursache der Reibung an. In die-
ser Modellvorstellung ist die Reibkraft proportional zum Steigungswinkel der Rauheits-
flanken. Die wesentliche Schwache dieses Modells ist die Tatsache, dass exakt die glei-
che Energie, die notwendig ist eine Rauheitsspitze zu uberwinden, beim Abgleiten der
Ruckseite selbiger Rauheitsspitze wieder frei werden muss. Somit musste die Reibkraft
im Mittel gleich Null sein. Zudem konnte in Experimenten gezeigt werden, dass im Kon-
takt zweier sehr glatter Oberflachen sehr hohe Reibkoeffizienten auftreten konnen [22].
Bowden und Tabor sehen die Ursache der Reibung in Adhasionskraften zwischen in
direktem Kontakt stehenden Bereichen der Oberflache. Weil reale Oberflachen nie voll-
kommen eben sind, bilden sich Kontaktstellen bei moderaten Flachenpressungen nur
in den Rauheitsspitzen aus. Dort bilden die in direktem Kontakt stehenden Bereiche
die reale Kontaktflache Areal. Diese ist fur maßige Flachenpressungen kleiner als die
3 KONTAKTMECHANIK 25
gesamte Oberflache Ao und nahert sich bei sehr großen Flachenpressungen Ao an. Das
Verhaltnis von realer zu scheinbarer Kontaktflache wird als realer Kontaktflachenanteil
αreal bezeichnet (vgl. Kap 2.3)
αreal =Areal
Ao, 0 ≤ αreal ≤ 1 . (3.45)
Im Bowden-Tabor-Modell ist die ubertragbare Reibschubspannung das Produkt aus rea-
lem Kontaktflachenanteil und der Schubfestigkeit der Oberflache τmax
τr = αreal · τmax . (3.46)
Das Bowden-Tabor-Modell kann als lokales Reibfaktormodell in der realen Kontaktflache
interpretiert werden
τr = αreal ·m · k . (3.47)
Wenn der Anteil der realen Kontaktflache linear von der Flachenpressung abhangig
ist, entspricht das Bowden-Tabor-Modell dem Reibzahlmodell. Fur elastische Kontakte
ist dies zum Beispiel im Archard-, Bush-Gibson-Thomas- und Greenwood-Williamson-
Modell der Fall (vgl. Kap. 3.1.2). Fur den elasto-plastischen Kontakt konnte Hencky in
analytischen Untersuchungen zeigen, dass die lokale Flachenpressung im Kontakt einer
einzelnen Rauheitsspitze das ca. 2,8-fache der Fließgrenze nicht ubersteigen kann [36].
Diese Erkenntnis wurde von Bowden und Tabor experimentell bestatigt [22]. Die kriti-
sche Flachenpressung wird als die Oberflachenharte H bezeichnet
H ≈ 2,8 σy . (3.48)
Im Fall rein plastischen Kontakts ist die reale Kontaktflache direkt proportional zur
Flachenpressung
αreal =p
H. (3.49)
Aus (3.47) und (3.49) folgt
τr =p ·m · kH
. (3.50)
Mit (3.50) gilt fur das Reibzahlmodell (3.41)
µ =m · kH
. (3.51)
Mit dem Bowden-Tabor-Modell der Adhasion in der realen Kontaktflache kann also so-
wohl das Reibzahlmodell fur niedrige Flachenpressungen, als auch das Reibfaktormodell
fur hohe Flachenpressungen erklart werden.
26 3.2 Tangentialkontakt und Reibung in der Umformtechnik
3.2.4 Kontaktwachstum (Junction growth)
Bei großen Reibzahlen bzw. Reibfaktoren kann die Oberflachenharte im Bowden-Tabor-
Modell nicht als unabhangig von der Reibschubspannung betrachtet werden [22, 73].
Durch die simultane Wirkung von Normal- und Tangentiallasten auf der Oberflache
setzt die Plastifizierung der Oberflache bei geringerer Flachenpressung ein, als bei rei-
ner Normalbelastung. Fur das akademische Beispiel des simultanen Normal- und Tan-
gentialkontakts eines Stabes mit einer Ebene gilt unter Verwendung der von-Mises-
Vergleichsspannung
σ2y = p2 + 3 τ 2r . (3.52)
Im Kontakt zweier rauer Oberflachen lautet die Beziehung allgemein [22]
γ σ2y = α p2 + β τ 2r . (3.53)
Mit H = 2,8 σy folgt
2,82 σ2y = p2 + β τ 2r . (3.54)
Weil es bei reiner Tangentialbelastung mit τmax zum plastischen Fließen kommen muss,
folgt mit τmax = σy/√3
β =2,82 σ2
y
τ 2max
= 23,5 . (3.55)
Fur die Oberflachenharte unter Normal- und Tangentiallast H∗(τ) gilt folglich
H∗(τr) =√
H2 − 23,5 τ 2r . (3.56)
Mit dem Reibfaktormodell (3.42) und τmax = σy/√3 gilt bei maximal moglicher Schub-
beanspruchung der Oberflache, also im Ubergang zum Gleiten, bzw. im Gleiten
H∗(m) = 2,8 σy√1−m2 . (3.57)
0 0,25 0,5 0,75 10
0,25
0,5
0,75
1
m
H∗/H
a)
0 0,1 0,2 0,3 0,40,9
0,925
0,95
0,975
1
m
H∗/H
b)
Abbildung 3.2: Abhangigkeit der Oberflachenharte vom Reibfaktor unter kombinierter
Normal- und Tangentiallast im Uberblick (a) und im Detail (b)
3 KONTAKTMECHANIK 27
Diese Beziehung kann auch unter Verwendung der Tresca-Vergleichsspannungshypothese
hergeleitet werden. Die wahre Flachenpressung bei plastischer Deformation ist vom
tatsachlichen dreidimensionalen Spannungszustand abhangig, jedoch eignet sich (3.57)
gut zur Abschatzung der Oberflachenharte unter kombinierter Normal- und Tangenti-
allast. Je großer der Reibfaktor m ist, desto starker reduziert die Tangentialspannung
die Oberflachenharte H∗. Bei vollkommenem Haften der Oberflache ist H∗ gleich Null.
Bei m ≤ 0,2 betragt der Unterschied zwischen H und H∗ weniger als 2,5%, so dass
Kontaktwachstum keine Rolle spielt (vgl. Abb. 3.2).
3.2.5 Orowan-Reibgesetz
Das Reibzahlmodell eignet sich gut zur Reibmodellierung bei geringen
Flachenpressungen, aber es uberschatzt die Reibschubspannung bei großen Kon-
taktdrucken [58]. Das Reibfaktormodell hingegen eignet sich gut fur große
Flachenpressungen, aber es uberschatzt die Reibschubspannung bei kleinen Kon-
taktdrucken [58]. Daher fuhrt Orowan [55] den naheliegenden Ansatz ein, bei kleinen
Flachenpressungen das Reibzahlmodell und bei großen Flachenpressungen das Reibfak-
tormodell zu verwenden (vgl. Abb. 3.3 a)
τr =
µ · p fur p ≤ m · kµ
m · k fur p >m · kµ
. (3.58)
3.2.6 Shaw-Reibgesetz
Ein Nachteil des Orowan-Reibgesetzes ist der abrupte Ubergang vom Reibzahl- zum
Reibfaktormodell. Weil das Abgleiten der Oberflachen zunachst lokal in kleinen Berei-
chen beginnt, ist dies physikalisch nicht zu begrunden. Zudem wirkt sich der plotzliche
Wechsel des Reibmodells negativ auf die Stabilitat einer numerischen Implementierung
aus. Shaw [65, 66] lost dieses Problem durch einen kontinuierlichen Ubergang vom Reib-
zahlmodell im Bereich kleiner Flachenpressungen (Areal ≪ Ao) zum Reibfaktormodell
im Bereich großer Flachenpressungen (Areal ≈ Ao). Die Reibschubspannung im Shaw-
Reibgesetz kann mittels eines Tangens Hyperbolicus wie folgt dargestellt werden [28]
τr = k n
√
tanh(µ · p
k
)n
. (3.59)
Der Parameter n bestimmt das Verhalten des Reibgesetzes im Ubergangsbereich
(vgl. Abb. 3.3 b).
3.2.7 Wanheim-Bay-Reibgesetz
Das Wanheim-Bay-Reibgesetz basiert auf analytischen Untersuchungen des kombinier-
ten Normal- und Tangentialkontakts, die mit der Gleitlinientheorie durchgefuhrt wur-
den [14, 15, 81]. Experimentelle Untersuchungen konnten die analytischen Ergebnisse
28 3.2 Tangentialkontakt und Reibung in der Umformtechnik
τr = µ · p
τr = m · k
p
τ r
CoulombTrescaOrowan
a)
τr = µ · p
τr = m · k
p
τ r
Shaw, n = 4Shaw, n = 2Shaw, n = 1
b)
Abbildung 3.3: Coulomb-, Tresca- und Orowan-Reibgesetz (a) und Shaw-Reibgesetz (b)
bestatigen. Die von Wanheim und Bay gefunden Beziehungen zwischen Flachenpressung
und maximal ubertragbarer Reibschubspannung konnen nicht in geschlossener Form dar-
gestellt werden, jedoch prasentieren Petersen et al. [58] eine geeignete Naherungslosung.
Die ubertragbare Reibschubspannung τr ist das Produkt aus dem Reibfaktor des
Wanheim-Bay-Modells f , dem Anteil der realen Kontaktflache αreal und der Schub-
fließgrenze k des Werkstucks
τr = f · αreal · k . (3.60)
Das Produkt f · αreal kann im Bereich unterhalb bzw. oberhalb der Grenz-
flachenpressung p∗ dargestellt werden als
f ·αreal =τrk
=
τ ∗rk
·
p
σyp∗
σy
furp
σy≤ p∗
σy
τ ∗rk
+
(
f − τ ∗rk
)
·
1− exp
(p∗
σy− p
σy
)
· τ∗
r
k(
f − τ ∗rk
)
· p∗
σy
furp
σy>p∗
σy
(3.61)
mit
τ ∗rk
= 1−√
1− f (3.62)
und
p∗
σy=
1 +π
2+ arccos(f) +
√
1− f 2
√3 · (1 +
√1− f)
. (3.63)
In Abb. 3.4 ist das Wanheim-Bay-Reibgesetz fur mehrere Reibfaktoren f dargestellt.
Ebenso wie im Shaw-Reibgesetz findet fur f < 1 ein kontinuierlicher Ubergang vom
Reibzahl- zum Reibfaktormodell statt.
3 KONTAKTMECHANIK 29
0 1 2 3 4 50
0.2
0.4
0.6
0.8
1f = 1
f = 0.8
f = 0.6
f = 0.4
f = 0.2
p/σy
τ r/k
Abbildung 3.4: Wanheim-Bay-Reibgesetz
3.2.8 IFUM-Modell
Ein weiteres, einen kontinuierlichen Ubergang von Reibzahl- zu Reibfaktormodell be-
schreibendes, Reibgesetz ist das IFUM-Modell [17]. Es wurde auf der Basis zahlreicher
experimenteller Untersuchungen entwickelt. Im Gegensatz zu den Reibgesetzen von Oro-
wan, Shaw und Wanheim-Bay wird im IFUM-Modell nicht nur die Flachenpressung,
sondern auch die Vergleichsspannung im Werkstuck σv zur Modellierung des Ubergangs
von Reibzahl- zu Reibfaktormodell herangezogen
τr =
0, 3 ·(
1− σvσy
)
· p︸ ︷︷ ︸
A1
+m · k · σvσy
·
1− exp
(
− p
σy
)
︸ ︷︷ ︸
A2
· exp[
−1
2
(vrelC
)2]
︸ ︷︷ ︸
A3
. (3.64)
Fur kleine Vergleichsspannungen (σv/σy ≈ 0) gilt das Reibzahlmodell mit der Reib-
zahl 0,3 (Term A1). Bei Vergleichsspannungen nahe der Fließgrenze (σv/σy ≈ 1) gilt das
Reibfaktormodell (Term A2). Durch den Term 1− exp (−p/σy) hangt der Reibfak-
toranteil zusatzlich von der Flachenpressung ab und die Reibschubspannung steigt mit
der Flachenpressung an. Somit nahert sich die Reibschubspannung aus dem Reibfakto-
ranteil erst bei sehr großen Flachenpressungen (p≫ σy) asymptotisch der maximalen
Reibschubspannung an (vgl. Abb. 3.5 b). Zur Berucksichtigung der Relativgeschwindig-
keit wird die Summe der Terme A1 und A2 mit einem dritten Term multipliziert, mit
dem eine Abnahme der Reibschubspannung mit der Relativgeschwindigkeit vrel model-
liert wird (vgl. Abb. 3.6).
Die Vergleichsspannung wird als zusatzliches Kriterium fur den Ubergang von
Reibzahl- zu Reibfaktormodell herangezogen, weil die Rauheitsspitzen mit zunehmender
Vergleichsspannung im Grundmaterial zunehmend plastifizieren [17]. Die Reibzahl 0,3
im Reibfaktoranteil scheint auf den ersten Blick relativ groß zu sein. Es ist allerdings
zu bedenken, dass die Vergleichsspannung auch von der Reibschubspannung abhangig
ist. Folglich wird die Reibzahl im IFUM-Modell stets mit einem Faktor kleiner eins
multipliziert (1− σv/σy).
30 3.3 Reibungszustande
00,25
0,50,75
1
01
230
0,25
0,5
0,75
1
σv/σyp/σy
τ r/σy
a)
00,25
0,50,75
1
01
230
0,25
0,5
0,75
1
σv/σyp/σy
τ r/(m
·k)
b)
Abbildung 3.5: Reibzahlanteil (Term A1) (a) und Reibfaktoranteil (Term A2) (b) im
IFUM-Modell
0 25 50 75 1000
0,25
0,5
0,75
1
vrel in mm/s
f(v
rel)
C = 30C = 10C = 5
Abbildung 3.6: Geschwindigkeitsfunktion (Term A3) im IFUM-Modell
3.3 Reibungszustande
Schmierstoffe trennen die Oberflachen der Kontaktpartner voneinander und vermindern
hierdurch Reibung und Verschleiß. In den auf den vorherigen Seiten beschriebenen Reib-
modellen ist der Einfluss von Schmierstoffen in den Reibzahlen bzw. Reibfaktoren zu
berucksichtigen.
Die Wirkung von Schmierstoffen ist stark von der Relativgeschwindigkeit vrelzwischen den Kontaktpartnern abhangig. Zur Beschreibung dieser Geschwindigkeits-
abhangigkeit dient die Stribeck-Kurve [27].
Die Stribeck-Kurve gibt die Reibung in Abhangigkeit der, durch Flachenpressung
und dynamischer Viskositat η normierten, Relativgeschwindigkeit an (siehe Abb. 3.7).
Festkorperreibung tritt auf, wenn sich das Grundmaterial der Kontaktpartner bei Haft-
reibung oder bei Gleitreibung mit kleiner Relativgeschwindigkeit in direktem Kontakt
befindet. Wenn die Oberflachen durch eine Adsorptionsschicht aus Schmierstoffmo-
lekulen bedeckt sind, liegt Grenz- oder Grenzschichtreibung vor. Die Relativbewegung
zwischen den Oberflachen erfolgt durch Scherung der nur wenige Molekuldurchmesser
starken Adsorptionsschicht. Aufgrund der, im Vergleich zum Grundmaterial, geringe-
3 KONTAKTMECHANIK 31
η · vrelp
τ r
Gesamte ReibungGrenzreibungHydrodyn. Reibung
Abbildung 3.7: Stribeck-Kurve
ren Schubfestigkeit der Adsorptionsschicht ist die Reibung deutlich geringer als bei
Festkorperreibung.
Mit zunehmender Relativgeschwindigkeit kann der Schmierstoff nicht mehr aus al-
len, sich neu bildenden, Kontaktstellen verdrangt werden und es bilden sich lokal die
Oberflachen trennende Schmierfilme aus. Dieser Reibungszustand heißt Mischreibung
und ist durch eine Abnahme der Reibung mit wachsender Relativgeschwindigkeit ge-
kennzeichnet. Bei großen Relativgeschwindigkeiten werden die Oberflachen vollstandig
durch einen tragfahigen Schmierfilm getrennt. In diesem Fall liegt hydrodynamische
Reibung vor und die Reibung steigt mit zunehmender Relativgeschwindigkeit wieder an.
Die Abnahme des Grenzreibanteils mit zunehmender Geschwindigkeit kann durch eine
Exponentialfunktion folgender Form beschrieben werden
τ grenzr = C1 exp
[
−C2
(vrelC3
)C4
]
. (3.65)
Eine abklingende Exponentialfunktion dieser Art wird beispielsweise im IFUM-Modell
verwendet (vgl. (3.64)).
Der Schmierstoff in den offenen und geschlossenen Schmiertaschen kann uberschlagig
als inkompressibles Newtonsches Fluid zwischen ebenen, glatten Platten modelliert wer-
den. Fur die hydrodynamische Schubspannung zwischen den Platten gilt dann mit der
dynamischen Viskositat η und dem Abstand der Platten d [29]
τ fluidr =η · vreld
. (3.66)
Die Hohe des Schmierspalts d ist aufgrund der Oberflachenrauheit sehr inhomogen. Je
kleiner das Verhaltnis zwischen der Hohe des Schmierspalts und der Hohe der Rau-
heitsspitzen ist, desto großer ist der Einfluss der Rauheit auf die hydrodynamische Rei-
bung [56]. Bei Mischreibung ist der Schmierfilm lokal durch Kontaktstellen unterbrochen,
wodurch die Stromung noch starker behindert wird. Eine Moglichkeit zur Modellierung
des Schmierfilms zwischen rauen Oberflachen ist die stromungsmechanische Berechnung
mit gemittelten Reynoldsgleichungen nach Patir und Cheng [56, 57].
32 3.3 Reibungszustande
Generell kann die Reibschubspannung in der Mischreibung als Summe der Grenzrei-
bung in der realen Kontaktflache und der hydrodynamischen Reibung in den Schmier-
Abbildung 5.6: Auswirkungen der Volumenerhaltung (a) und rauer Werkzeugober-
flachen (b) auf die Oberflachenkontur nach dem Kontakt
5.8 Hydrostatisches Modell
Das mechanisch-rheologische Modell (vgl. Kap. 2.4) ist ein geeignetes Werkzeug zur
Charakterisierung von Oberflachen bezuglich ihrer Fahigkeit, geschlossene Schmierta-
schen auszubilden, Schmierstoff zu speichern und im Kontakt in die Wirkfuge einzubrin-
gen. Das Modell ist jedoch nicht in der Lage, die vom Schmierstoff getragenen Normal-
krafte zu bestimmen und den Einfluss des Schmierstoffes auf die Einglattung der Ober-
flachen zu beschreiben. Zudem ist nicht bekannt, bei welcher Flachenpressung geschlos-
sene Schmiertaschen gebildet werden und bei welcher Flachenpressung der Schmierstoff
wieder abgegeben wird. Daher liegt es nahe, die vom mechanisch-rheologischen Modell
vorgenommen Aufteilung der Oberflache in Kontaktflachenanteile mit einer Kontaktsi-
mulation zu verbinden.
Dieser Ansatz wurde bereits in Verbindung mit einem auf der Gleitlinientheorie ba-
sierenden Kontaktmodell [75] umgesetzt. Die geschlossenen Schmiertaschen durchlaufen
in diesem Modell vier Phasen. In der ersten Phase verringert sich das Volumen der
geschlossenen Schmiertaschen durch plastische Oberflachendeformation in ihrer Umge-
bung, bis die ursprungliche Beolungsmenge zur vollstandigen Fullung der Schmierta-
schen ausreichend ist. In der zweiten Phase verringert sich das Volumen der geschlos-
senen Schmiertaschen durch weitere Oberflachendeformation und der Schmierstoff wird
komprimiert, wodurch sich hydrostatische Drucke bilden. Wenn der Schmierstoff den zur
Leckage erforderlichen Druck erreicht hat, tritt in der dritten Phase Schmierstoff aus den
Schmiertaschen aus und trennt die Oberflachen in der Umgebung der Schmiertaschen.
In der vierten Phase ist der Schmierstoff ganzlich aus den Schmiertaschen verdrangt
5 NUMERISCHE UMSETZUNG DES HALBRAUMMODELLS 61
und es kommt zu vollstandigem Materialkontakt. Der Leckagedruck ist kleiner als die
Fließgrenze des Werkstucks und wird experimentell identifiziert.
Im Folgenden ist beschrieben, wie das Konzept der hydrostatischen Drucke in ge-
schlossenen Schmiertaschen in das Halbraummodell implementiert wurde.
5.8.1 Erkennung geschlossener Schmiertaschen
Um den Einfluss hydrostatischer Krafte in geschlossenen Schmiertaschen modellieren zu
konnen, mussen diese zunachst erkannt werden. Als geschlossene Schmiertaschen werden
all die Bereiche der Oberflache klassifiziert, die rundum durch reale, also metallische,
Kontaktflache umgeben sind.
Im ersten Schritt zur Erkennung geschlossener Flachenanteile wird die sogenannte
Kontaktmatrix kon erstellt. Jeder ihrer Eintrage entspricht einem Segment der diskre-
tisierten Oberflache. Jedes Element der Kontaktmatrix, das einem Segment im Kontakt
entspricht (p = x > 0) bekommt den Eintrag Zwei. Mittels des in Matlab integrierten
Floodfill-Algorithmus”imfill“ werden die umschlossenen Segmente mit Einsen belegt.
Zur Veranschaulichung sind im Folgenden eine Flachenpressungsmatrix p und die zu-
gehorige Kontaktmatrix kon dargestellt.
p =
x x x x x x
x 0 x 0 0 x
x x x 0 x x
x 0 0 0 0 x
x x x x 0 x
0 0 x x x x
kon =
2 2 2 2 2 2
2 1 2 1 1 2
2 2 2 1 2 2
2 1 1 1 1 2
2 2 2 2 1 2
0 0 2 2 2 2
(5.30)
Es sind zwei geschlossene Schmiertaschen zu erkennen. Die Erste besteht nur aus Seg-
ment 8 (2. Spalte, 2. Zeile). Die zweite geschlossene Schmiertasche ist stark verzweigt und
stellt daher einen geeigneten Testfall fur den Algorithmus zur Erkennung geschlossener
Schmiertaschen dar. Die Nullen in der linken unteren Ecke der Flachenpressungsmatrix
entsprechen einer offenen Schmiertasche.
Im zweiten Schritt wird die Kontaktmatrix spaltenweise durchlaufen und Gruppen
von Segmenten geschlossener Schmiertaschen (grau hinterlegte Einsen) gebildet. Hierzu
werden die Indizes der entsprechenden Eintrage der Flachenpressungsmatrix p in die Ma-
trix vertgroup eingetragen (vgl. Indexmatrix index). Ein solches Element steht allein
in seiner Gruppe, wenn es in seiner Spalte nur von metallischer Kontaktflache (Zwei-
en) umgeben ist . In gleicher Weise wird die Kontaktmatrix in horizontaler Richtung
gepruft (horgroup). Im dargestellten Testfall ergeben sich folgende Gruppenmatrizen,
deren Spalten Gruppen darstellen.
vertgroup =
8 10 16 20 26 28
NaN NaN NaN 21 NaN 29
NaN NaN NaN 22 NaN NaN
(5.31)
62 5.8 Hydrostatisches Modell
horgroup =
8 20 21 10 29
NaN 26 NaN 16 NaN
NaN NaN NaN 22 NaN
NaN NaN NaN 28 NaN
(5.32)
index =
1 7 13 19 25 31
2 8 14 20 26 32
3 9 15 21 27 33
4 10 16 22 28 34
5 11 17 23 29 35
6 12 18 24 30 36
(5.33)
Im dritten und letzten Schritt werden alle Gruppen aus vertgroup und horgroup
mit gleichen Elementen vereint und in die Matrix gesgroup eingetragen.
gesgroup =
8 10
NaN 16
NaN 20
NaN 21
NaN 22
NaN 26
NaN 28
NaN 29
(5.34)
Ein Vergleich der Kontaktmatrix und der Matrix gesgroup zeigt, dass sowohl das Seg-
ment Nummer Acht, als auch die stark verzweigte geschlossene Schmiertasche richtig
erkannt wurden.
5.8.2 Iterative Bestimmung des Drucks in geschlossenen
Schmiertaschen
Der hydrostatische Kontaktalgorithmus wird gestartet, wenn in der trockenen Kontakt-
simulation geschlossene Schmiertaschen detektiert werden. In der Funktion Hydrostatik
wird inkrementell Druck in geschlossenen Schmiertaschen aufgebracht bzw. erhoht. Der
Algorithmus zur Erkennung geschlossener Schmiertaschen ist in Hydrostatik integriert, so
dass in den einzelnen Schmiertaschen unterschiedliche Druckniveaus herrschen konnen.
Durch den hydrostatischen Druck in den geschlossenen Schmiertaschen kommt es zu einer
weiteren Deformation der Oberflache. Die Gesamtdeformation der Oberflache ergibt sich
aus einem Anteil durch hydrostatische Drucke in Aclos und Anteilen aus elastischer (pel)
und plastischer (ppl) Flachenpressung in Areal
ui(pges) = ui(phyd) + ui(pel) + ui(ppl) . (5.35)
Die Veranderung der Oberflachendeformation durch hydrostatische Drucke muss in der
Abstandsbeziehung (4.108) berucksichtigt werden. Auch im Kraftegleichgewicht (4.113)
5 NUMERISCHE UMSETZUNG DES HALBRAUMMODELLS 63
muss die hydrostatisch getragene Last Fhyd berucksichtigt werden. Mit der, in plastischen
Kontaktbereichen getragenen, Last Fpl aus (5.28) und der außeren Last F folgt fur die
Last Fo im elastischen Kontaktgebiet
Fo = F − Fhyd − Fpl . (5.36)
Um den Einfluss der hydrostatischen Drucke auf den Kontakt im Halbraummodell kor-
rekt abzubilden wird der Kontakt, wie in Abb. 5.7 dargestellt, iterativ bestimmt, bis
sowohl das Flachenpressungsfeld p, als auch das Feld der hydrostatischen Drucke phydauskonvergiert sind. Dabei werden (5.35) und (5.36) in der Berechnung des trockenen
Kontakts berucksichtigt. Die Funktion Hydrostatik-konst ist eine Abwandlung der Funk-
tion Hydrostatik. Der Unterschied der Funktionen besteht darin, dass in Hydrostatik-
konst die hydrostatischen Drucke nicht erhoht werden, sondern nur die Erkennung von
Schmiertaschen durchgefuhrt wird und die hydrostatischen Drucke gemittelt werden,
wenn mehrere Schmiertaschen verschmelzen. Nach erreichter Konvergenz in p und phydwerden die hydrostatischen Drucke in der Funktion Hydrostatik erhoht und die itera-
tive Bestimmung der Flachenpressungsfelder beginnt von Neuem. Diese außere Schleife
wird solange durchlaufen, bis keine weitere Steigerung der hydrostatisch getragenen Last
Fhyd zu erwarten ist, weil entweder in allen geschlossenen Schmiertaschen der maximale
Schmierstoffdruck phyd,max erreicht wurde, oder eine weitere Steigerung des hydrostati-
schen Drucks zu einer Offnung der geschlossenen Schmiertaschen fuhrt.
Eine theoretische Obergrenze fur den hydrostatischen Druck in den geschlossenen
Schmiertaschen stellt die Flachenpressung in der Umgebung der Schmiertasche dar.
Ware der Druck im Schmierstoff großer als in der realen Kontaktflache, so wurde er die
Kontaktpartner trennen. In Untersuchungen des Kontakts einer einzelnen Schmiertasche
konnte gezeigt werden, dass der hydrostatische Druck tatsachlich die Flachenpressung
in der Umgebung der Schmiertaschen erreichen kann [11, 12].
In der vorliegenden Arbeit wird nicht der Kontakt einer einzelnen Kavitat, son-
dern der Kontakt einer rauen Oberflache untersucht. Weil mit der Auflosung der
Kontaktoberflache der numerische Aufwand exponentiell steigt, wird die Oberflache
fur die Kontaktsimulationen interpoliert, wodurch Rauheiten kleinster Skala nicht
im Modell berucksichtigt werden. Durch kleinskalige Rauheitstaler kann bei hohen
Flachenpressungen Schmierstoff austreten. Daher erscheint es sinnvoll einen Leckage-
druck phyd,max, der kleiner ist als der Druck in der Umgebung der Schmiertaschen, zu
wahlen. Zumeist bilden sich geschlossene Schmiertaschen unter plastischen Kontaktbe-
dingungen. Daher ist der Leckagedruck im hydrostatischen Halbraummodell relativ zur
Oberflachenharte definiert
phyd,max = fhydH (5.37)
mit
fhyd ≤ 1 . (5.38)
Ergebnisse der Kontaktsimulationen mit dem vereinfachten plastischen Halbraummodell
mit Volumenerhaltung, dem Normalkontakt zweier rauer Oberflachen und dem hydro-
statischen Algorithmus werden in Kap. 6.2 mit Messergebnissen verglichen.
Aus den Ergebnissen der Kontaktsimulationen wird, unter Berucksichtigung der Anfor-
derungen der Blechmassivumformung, ein Reibgesetz abgeleitet. Dieses Reibgesetz wird
als User-Subroutine in die Finite-Elemente-Software Simufact.forming implementiert um
es in Umformsimulationen nutzbar zu machen. Das Reibgesetz beschreibt die Reibung in
Abhangigkeit vom momentanen Kontaktzustands und der Kontaktgeschichte. Die hierzu
erforderliche Geschichtsvariable kann bei Neuvernetzung auf ein neues Netz ubertragen
werden, so dass das Reibgesetz uneingeschrankt nutzbar ist.
9.1 Numerische Identifikation
Kontaktsimulationen mit dem vereinfachten plastischen Halbraummodell und der
Einglattungsversuch haben gezeigt, dass es im Kontakt rauer Oberflachen zu einer si-
gnifikanten Einglattung von Oberflachenrauheiten kommt (vgl. Kap. 6). Bei Ent- und
Wiederbelastung ist der Kontakt elastisch, weil die Flachenpressung in der Erstbelas-
tung großer war als sie in der nachfolgenden Ent- und Wiederbelastung ist. Aufgrund
der geringeren lokalen Flachenpressung im elastischen Kontakt ist die reale Kontakt-
flache bei Ent- und Wiederbelastung großer als bei Erstbelastung. Abb. 9.1 a zeigt den
Kontaktflachenanteil in einer Halbraumsimulation in Abhangigkeit von der Belastungs-
geschichte. Die Simulationsergebnisse entstammen den, durch den Einglattungsversuch
validierten, Untersuchungen des trockenen Kontakts einer EDT-strukturierten Ober-
flache mit dem vereinfachten plastischen Halbraummodell mit Volumenerhaltung. Die
simulierte Kontaktflache von 2,8mm mal 2,8mm wird mit 128 mal 128 Kontaktelemen-
ten diskretisiert. Im Erstkontakt steigt der Kontaktflachenanteil naherungsweise linear
mit der Flachenpressung an. Bei Entlastung nimmt der Kontaktflachenanteil zunachst
nur geringfugig ab und fallt dann immer steiler ab. Die Wiederbelastungskurve ent-
spricht der Entlastungskurve, bis die Flachenpressung p die maximale Flachenpressung
in der Erstbelastung phist erreicht. Wenn die Flachenpressung uber phist steigt folgt
die Kontaktflachen-Last-Kurve wieder der Erstbelastungskurve und der reale Kontakt-
flachenanteil steigt wieder nahezu linear mit der Flachenpressung an.
121
122 9.1 Numerische Identifikation
Das aus den Halbraumsimulationen abgeleitete Reibgesetz soll eine lineare
Abhangigkeit der Reibschubspannung vom realen Kontaktflachenanteil beschreiben.
Weil der Anteil der realen Kontaktflache 100% nicht ubersteigen kann, ist fur große
Flachenpressungen ein kontinuierlicher Ubergang des Kontaktflachenanteils von einem li-
nearen Anstieg mit der Flachenpressung zu einem Stationarwert zu modellieren. Der kon-
tinuierliche Ubergang der Reibschubspannung hin zum Stationarwert ist durch den zu-
nehmenden Einglattungswiderstand der Oberflachen bei sehr hohen Flachenpressungen
begrundet. In Anlehnung an das Shaw-Reibgesetz wird ein Tangens Hyperbolicus-Ansatz
gewahlt.
Das Reibgesetz fur Erstbelastung lautet
τr = m · k · αrc = m · k · n1
√
tanh
(p · C1
H
)n1
. (9.1)
Die Reibschubspannung entspricht dem Produkt aus dem realen Kontaktflachenanteil
und der Schubfestigkeit in der realen Kontaktflache m · k. Hierbei ist k die Schubfestig-
keit des Werkstucks. Der Reibfaktor m ist experimentell zu identifizieren und dient zur
Berucksichtigung der reibungsreduzierenden Wirkung von Schmierstoffen und der vom
Grundmaterial abweichenden Materialeigenschaften der Grenzschicht.
Der Term p · C1/H innerhalb der Tangens Hyperbolicus-Funktion modelliert einen
linearen Anstieg der Reibschubspannung mit der Flachenpressung bei moderaten
Flachenpressungen und berucksichtigt die im Einglattungsversuch identifizierte Ober-
flachenharte H . Das Reibgesetz fur Erstbelastung ahnelt den Reibgesetzen von Shaw und
Wanheim-Bay (vgl. Kap. 3), die ebenfalls einen kontinuierlichen Ubergang von einem
linearen Anstieg der Reibschubspannung bei moderaten Flachenpressungen (Reibzahl-
modell) zu einem Stationarwert bei sehr großen Flachenpressungen (Reibfaktormodell)
modellieren.
0 200 400 600 8000
20
40
60
80
100
p in MPa
αrealin
%
ErstbelastungEnt- undWiederbelastung
a)
0 400 800 12000
20
40
60
80
100
p in MPa
αrealin
%
HalbraummodellKontaktgesetz
b)
Abbildung 9.1: Kontaktflachenanteile in Erstbelastung, Entlastung und Wiederbelas-
tung (a) und Kontaktflachenanteile im Halbraummodell und Kontaktgesetz (b)
9 REIBGESETZ 123
Fur Ent- und Wiederbelastung gilt das abgewandelte Reibgesetz
τr = m · k · n2
√
tanh
(p · C2
H · αrc (phist)
)n2
· αrc (phist) . (9.2)
Der Parameter αrc(phist) ist der reale Kontaktflachenanteil der maximal in einem vorhe-
rigen Kontakt in der Oberflache aufgetreten ist. Die beiden Reibgesetze benotigen nur
sechs Parameter. C1, C2, n2 und H konnen durch Kontaktsimulationen identifiziert wer-
den. n1 beschreibt den Ubergang vom linearen Bereich der Erstbelasungskurve in den
stationaren Bereich und ist ebenso wie der Reibfaktor m experimentell zu identifizieren.
In Abb. 9.1 b ist zu erkennen, wie gut der Kontaktflachenanteil in Halbraumsimulation
und Kontaktgesetz ubereinstimmen. Die genutzten Parameter sind in Tab. 9.1 zusam-
mengefasst.
C1 1
C2 5, 6
n1 2
n2 0, 55
H 800MPa
Tabelle 9.1: Parameter des Kontaktgesetzes
9.2 Implementierung in Simufact.forming
Das Reibgesetz wurde als User-Subroutine in Simufact.forming implementiert, um das
entwickelte Reibgesetz in Umformsimulationen nutzbar zu machen. Simufact.forming ist
eine auf die Simulation von Fertigungsprozessen spezialisierte Finite-Elemente Software,
die auf dem Marc-Loser von MSC Software basiert. Der historische Kontaktdruck phistwird fur jeden Oberflachenknoten als Knotenzustandsvariable gespeichert. Ab Version
11.0.2 werden in Simufact.forming Knotenzustandsvariablen bei Neuvernetzung auf das
neue FE-Netz interpoliert. Somit kann das Reibgesetz auch in anspruchsvollen Umform-
simulationen genutzt werden, die eine Neuvernetzung der Geometrie erfordern.
Die Implementierung des Reibgesetzes umfasst die User-Subroutinen Ufric, Uedinc,
Ufninc und Upstno. Uedinc wird am Ende jedes Lastschritts aufgerufen. Im nullten
Lastschritt, also vor Beginn der FE-Simulation, pruft Uedinc, ob genugend Knoten-
zustandsvariablen definiert sind und initialisiert diese. In allen folgenden Lastschritten
pruft Uedinc, ob die Flachenpressung p in den einzelnen Oberflachenknoten im aktu-
ellen Lastschritt großer ist als in den vorherigen Lastschritten. Wenn dies zutrifft wird
phist mit p uberschrieben. Ufric ist die Reibsubroutine, sie wird in jeder Iteration an
jedem Oberflachenknoten aufgerufen. Sie erhalt die lokale Flachenpressung am Ober-
flachenknoten vom Solver und gibt einen Reibfaktor zuruck. Zusatzlich wird mittels
einer Utility-Routine phist geladen, damit Ufric entscheiden kann, ob Erstbelastung oder
Ent- bzw. Wiederbelastung vorliegt. Der Ruckgabewert entspricht τr aus (9.1) bzw. (9.2)
dividiert durch die Schubfestigkeit k, denn die Multiplikation mit k erfolgt im Solver.
124 9.3 Anwendung des Reibgesetzes in Umformsimulationen
0
60
120
180
240
300
360
420
480
540
600
660
Flächenpressung in N/mm²
Inc: 8
a)
0
60
120
180
240
300
360
420
480
540
600
660
Zustandsvariable phist in N/mm²
Inc: 9
b)
Abbildung 9.2: Flachenpressung p am Ende eines Lastschritts (a) und historische
Flachenpressung phist im darauffolgenden Lastschritt nach Neuvernetzung (b)
Die Funktionen Ufninc und Upstno werden dazu verwendet phist in die Ausgabedatei
von Simufact.forming zu schreiben, damit phist im Postprocessing graphisch dargestellt
werden kann.
Die Ubertragung der Flachenpressung von einem Netz auf ein neues Netz bei Neuver-
netzung wird an einem einfachen Beispiel getestet. Abb. 9.2 a zeigt die Flachenpressung
am Ende eines Lastschritts und Abb. 9.2 b zeigt die historische Flachenpressung phist zu
Beginn des darauffolgenden Lastschritts nach Neuvernetzung.
9.3 Anwendung des Reibgesetzes in Umformsimula-
tionen
Im Folgenden wird das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Reibgesetz und seine Im-
plementierung in Simufact.forming in Umformsimulationen angewandt. Zunachst wird
anhand eines Stauchprozesses zur Herstellung von Taylored Blanks der Reibfaktor nu-
merisch identifiziert. Taylored Blanks sind Bleche mit lokal angepassten Eigenschaften.
In diesem Fall handelt es sich um lokal aufgedickte Bleche, die in nachfolgenden Pro-
zessen zu Bauteilen mit Funktionselementen weiterverarbeitet werden sollen. Das zweite
Beispiel ist die Herstellung eines Napfes mit vergroßerter Wandstarke in der Zarge aus
einem am Außenrand aufgedickten Taylored Blank. Die vergroßerte Wandstarke in der
Zarge ermoglicht es Zahne in der Zarge auszupragen und somit ein Zahnrad herzustellen.
9 REIBGESETZ 125
9.3.1 Numerische Identifikation des Reibfaktors anhand eines
Stauchprozesses
Am Lehrstuhl fur Fertigungstechnologie der Universitat Erlangen-Nurnberg wird die
Herstellung von Taylored Blanks durch einen Stauchprozess untersucht [47, 48, 49].
Hierbei vorgenommene Messungen und aufgebaute Simulationsmodelle werden zur nu-
merischen Identifikation des Reibfaktors im neu entwickelten Reibgesetz genutzt. In
dem Stauchprozess wird eine DC04-Blechronde mit einem Radius von 50mm und einer
Starke von 2mm am Rand aufgedickt (Abb. 9.3 a). Die Pressenkraft betragt 6000 kN.
Dabei treten Flachenpressungen von uber 2000MPa auf, weshalb die elastische Defor-
mation der Werkzeuge im Simulationsmodell berucksichtigt wird. Aufgrund der Sym-
metrie des Versuchs wird ein achsensymmetrisches Simulationsmodell verwendet. Die
Ubereinstimmung zwischen den gemessenen Blechstarken nach dem Versuch und den
Simulationsergebnissen ist sehr gut (Abb. 9.3 b). Die Simulationsergebnisse mit dem
Reibfaktormodell und dem neuen Reibmodell sind nahezu identisch, weil in diesem Um-
formprozesse sehr große Flachenpressungen erreicht werden, die im neuen Reibgesetz zu
einem Kontaktflachenanteil von 100% fuhren. Der Reibfaktor m in beiden Reibmodellen
betragt 0,05.
a)
0 10 20 30 40 501,2
1,4
1,6
1,8
2
2,2
2,4
2,6
Radiale Position in mm
Blechdickein
mm
MessungReibfaktormodellNeues Reibgesetz
b)
Abbildung 9.3: Prinzipskizze des Stauchens von Taylored Blanks (a) und Vergleich der
Blechdicke in Experiment und Simulationen mit dem Reibfaktormodell und dem neu
entwickelten Reibgesetz (b) (m=0,05 in beiden Simulationsmodellen)
9.3.2 Simulation eines mehrstufigen Umformprozesses
Das zweite Umformbeispiel ist die Herstellung eines Napfes mit aufgedickter Zarge. Hier-
zu wird ein am Rand aufgedicktes Blech aus DC04 zunachst tiefgezogen (vgl. Abb 9.4 a),
bevor die Zarge gestaucht wird (vgl. Abb 9.4 b). Auch dieser Umformprozess wird am
126 9.3 Anwendung des Reibgesetzes in Umformsimulationen
Lehrstuhl fur Fertigungstechnologie an der Universitat Erlangen-Nurnberg untersucht
[47, 48, 49]. Aufgrund der großen Wandstarke der Zarge ist es moglich durch Wal-
zen Zahne in der Zarge auszupragen und somit ein Zahnrad herzustellen. Alternativ
konnen die Zahne direkt im Tiefzieh- und Stauchprozess des Napfes ausgeformt wer-
den [47, 48, 49]. Durch die Wandstarkenunterschiede zwischen Boden und Zarge ist
es moglich ein leichtes und belastungsgerechtes Zahnrad herzustellen. Die im Folgen-
den dargestellten Simulationsmodelle bilden diesen Prozess in einem zweidimensionalen
achsensymmetrischen Modell nach und dienen dem Test der Implementierung des Reib-
gesetzes in Simufact.forming und der Untersuchung der grundsatzlichen Einflusse des
neu entwickelten Reibgesetzes. Ein Abgleich mit experimentellen Untersuchungen findet
nicht statt.
Das Simulationsmodell wird einmal nur mit dem Reibgesetz fur Erstbelastung oh-
ne Berucksichtigung der Oberflacheneinglattung in vorherigen Lastschritten (9.1) und
einmal mit dem vollstandigen Reibgesetz fur Erst-, Ent- und Wiederbelastung ((9.1)
und (9.2)) berechnet. In beiden Fallen wird das Modell mehrfach neu vernetzt. In der
Simulation mit Reibgesetz ohne Geschichtsvariable ist die Reibschubspannung (Abb.
9.8) proportional zur Flachenpressung (Abb. 9.7). Obwohl das Werkstuck an zahlrei-
chen Knoten im Kontakt mit Matrize und Stempel ist (Abb. 9.6), treten nur an wenigen
Knoten hohe Reibschubspannungen auf. Bei zusatzlicher Berucksichtigung des histori-
schen Kontaktdrucks ist die Flachenpressung ahnlich verteilt (Abb. 9.9), jedoch treten
großere Reibschubspannungen auf (Abb. 9.10). Zudem ist die Anzahl der Knoten mit
hohen Reibschubspannungen großer. Ursachlich hierfur ist die Berucksichtigung von mo-
mentaner und historischer Flachenpressung (Abb. 9.11), die aus dem vorhergehenden
Stauchprozess herruhrt. Der Vergleich der beiden Reibgesetze findet nicht exakt im glei-
chen Moment statt, weil die Simulationen zu verschiedenen Zeitpunkten die maximalen
Reibschubspannungen aufweisen. Es werden jeweils die Zustande maximaler Reibung
verglichen.
In Abb. 9.12 - 9.14 sind die plastischen Vergleichsdehnungen, die Flachenpressung
und die historische Flachenpressung nach dem finalen Stauchen mit dem Modell mit
a) b)
Abbildung 9.4: Tiefziehen (a) und Stauchen (b) eines Taylored Blanks zu einem Napf
mit aufgedickter Zarge
9 REIBGESETZ 127
Berucksichtigung der Kontaktgeschichte dargestellt. Aufgrund einer Faltenbildung im
Ubergang von Napfboden zu Napfzarge sind in Abb. 9.14 historische Flachenpressungen
im Volumen zu erkennen. Im Rest des Bauteils sind nur auf der Oberflache histo-
rische Flachenpressungen sichtbar. Folglich funktioniert die Ubertragung der Ober-
flachengeschichtsvariable auch bei mehrfacher Neuvernetzung einwandfrei.
0,10
0,12
0,13
0,15
0,16
0,18
0,20
0,21
0,23
0,24
0,26
Plastische Vergleichsdehnung
X
Y Z
Abbildung 9.5: Plastische Vergleichsdehnung nach dem ersten Stauchen
0,0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
0,9
1,0
Kontaktzustand
Inc: 105
Time: 3.40
X
Y Z
Abbildung 9.6: Kontaktzustand an Matrize und Stempel im Tiefziehen mit dem Reib-
gesetz fur Erstbelastung
128 9.3 Anwendung des Reibgesetzes in Umformsimulationen
0
125
251
376
502
627
753
879
1004
1130
1255
Flächenpressung in N/mm²
Inc: 105
Time: 3.40
X
Y Z
Abbildung 9.7: Flachenpressung an Matrize und Stempel im Tiefziehen mit dem Reib-
gesetz fur Erstbelastung
0,00
1,34
2,68
4,02
5,37
6,71
8,05
9,39
10,73
12,07
13,41
Reibschubspannung in N/mm²
Inc: 105
Time: 3.40
X
Y Z
Abbildung 9.8: Reibschubspannung an Matrize und Stempel im Tiefziehen mit dem
Reibgesetz fur Erstbelastung
9 REIBGESETZ 129
0
100
200
300
400
500
600
701
801
901
1001
Flächenpressung in N/mm²
Inc: 94
Time: 3.38
X
Y Z
Abbildung 9.9: Flachenpressung an Matrize und Stempel im Tiefziehen mit dem Reib-
gesetz fur Erst-, Ent- und Wiederbelastung
0,00
1,59
3,19
4,78
6,37
7,97
9,56
11,16
12,75
14,34
15,94
Reibschubspannung in N/mm²
Inc: 94
Time: 3.38
X
Y Z
Abbildung 9.10: Reibschubspannung an Matrize und Stempel im Tiefziehen mit dem
Reibgesetz fur Erst-, Ent- und Wiederbelastung
130 9.3 Anwendung des Reibgesetzes in Umformsimulationen
0
239
478
717
957
1196
1435
1675
1914
2153
2393
Zustandsvariable phist
in N/mm²
Inc: 94
Time: 3.38
X
Y Z
Abbildung 9.11: Historische Flachenpressung phist an Matrize und Stempel im Tiefziehen
mit dem Reibgesetz fur Erst-, Ent- und Wiederbelastung
0,09
0,18
0,27
0,36
0,46
0,55
0,64
0,74
0,83
0,92
1,01
Plastische Vergleichsdehnung
X
Y Z
Abbildung 9.12: Plastische Vergleichsdehnung nach dem zweiten Stauchen
9 REIBGESETZ 131
0
177
355
533
710
888
1066
1244
1421
1599
1777
Flächenpressung in N/mm²
X
Y Z
Abbildung 9.13: Flachenpressung nach dem zweiten Stauchen
255
493
730
968
1205
1443
1680
1918
2155
2393
Zustandsvariable phist
in N/mm²
X
Y Z
Abbildung 9.14: Historische Flachenpressung nach dem zweiten Stauchen
132 9.3 Anwendung des Reibgesetzes in Umformsimulationen
Die Umformkraft im Stauchen der Platine zu einem Taylored Blank ist trotz des nied-
rigen Reibfaktors (m=0,05) stark reibungsabhangig (Abb. 9.15 a). Die Umformkraft ist
jedoch nahezu unabhangig von der Verwendung des Reibgesetzes mit Geschichtsvariable,
weil es sich um eine Erstbelastung mit stetig ansteigender Flachenpressung handelt. Im
Tiefziehprozess uberwiegt die Deformationsarbeit die Reibarbeit, so dass die Umform-
kraft nahezu unabhangig von der Reibung ist (Abb. 9.15 b). Auch beim Stauchen der
Zarge ist die Umformkraft naherungsweise reibungsunabhangig (Abb. 9.16).
Die Platine hat vor dem Umformprozess eine Blechstarke von 2mm und einen Durch-
messer von 50mm. Im ersten Stauchen wird das Blech in der Mitte auf 1,6mm verjungt
und am Rand auf 2,3mm aufgedickt. Das Stauchen wird in diesem Beispiel ebenso wie
die nachfolgenden Prozessschritte mit starren Werkzeugen modelliert. Nach dem Tief-
ziehen und abschließenden Stauchen hat der Napf einen Außenradius von 35mm, eine
Zargenhohe von 13mm und eine Blechstarke von 1,6mm im Boden bzw. 3,0mm in der
Zarge.
0 0,1 0,2 0,3 0,40
1250
2500
3750
5000
x in mm
Fin
kN
Ohne phistMit phistReibungsfrei
a)
0 5 10 15 200
40
80
120
160
x in mm
Fin
kN
Ohne phistMit phistReibungsfrei
b)
Abbildung 9.15: Kraft-Weg-Verlauf im Stauchen der Platine (a) und im Tiefziehen (b)
0 2 4 60
500
1000
1500
x in mm
Fin
kN
Ohne phistMit phistReibungsfrei
Abbildung 9.16: Kraft-Weg-Verlauf im Stauchen der Zarge
Kapitel 10
Zusammenfassung und Ausblick
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung des elasto-plastischen
Einglattungsverhaltens rauer Oberflachen und die Entwicklung eines Reibgesetzes fur die
Blechmassivumformung. Aufgrund der Fraktaleigenschaften rauer Oberflachen mussen
die Oberflachen in Kontaktsimulationen einerseits moglichst fein aufgelost werden, ande-
rerseits muss die untersuchte Oberflache ausreichend groß sein, um reprasentativ zu sein.
Wegen dieser Erfordernisse wird ein Halbraummodell zur numerischen Simulation des
Kontakts gewahlt. Der Vorteil des Halbraummodells gegenuber eines Finite-Elemente-
Modells liegt darin, dass kein Gleichungssystem fur eine Volumennetz, sondern nur ein
Gleichungssystem fur ein Oberflachennetz gelost werden muss, wodurch der numerische
Aufwand geringer ist.
Es werden zwei Halbraummodelle mit unterschiedlichen Plastizitsmodellen imple-
mentiert. Das vereinfachte plastische Halbraummodell limitiert die Flachenpressung auf
die Oberflachenharte. Dieses Modell basiert auf den theoretischen Untersuchungen von
Hencky [36] und den experimentellen Untersuchungen von Bowden und Tabor [22], die
im Kontakt eine maximale Flachenpressung von ca. 2,8 der Fließgrenze beobachten
konnten. Das aufwandigere Modell – dreidimensionales plastisches Halbraummodell ge-
nannt – berechnet Spannungen und Dehnungen auf einer Volumendiskretisierung unter
der Oberflache. Es basiert auf der Arbeit von Jacq [38] und berechnet die elastischen
Spannungen unter der Oberflache, die aus plastischen Dehnungen resultierenden Eigen-
spannungen und Oberflachendeformationen mittels analytischer Einflussfunktionen. Die
plastischen Dehnungen werden wie in der Finite-Elemente-Methode anhand des loka-
len Spannungszustandes berechnet, der sich aus den elastischen Spannungen und den
Eigenspannungen aufgrund plastischer Dehnungen ergibt.
Die Losung der Nachgiebigkeitsbeziehung zur Bestimmung der Flachenpressung und
elastischen Oberflachendeformation ist mit großem Aufwand verbunden und verursacht
im vereinfachten plastischen Halbraummodell einen Großteil der Rechenzeit. Neben
der Rechenzeit muss als weiteres Kriterium der Speicherbedarf beachtet werden, denn
die Systemmatrix des Kontaktgleichungssystems ist schon bei Auflosungen von 128
mal 128 Kontaktelementen mehrere Gigabyte groß. Aufgrund der Notwendigkeit große
Auflosungen in angemessener Zeit zu rechnen, wird untersucht, wie das Gleichungssystem
moglichst effizient gelost werden kann. Hierzu wird das Verfahren der konjugierten Gra-
133
134
dienten (CG-Verfahren) implementiert. Die Vorteile dieses Gleichungslosungsverfahrens
sind seine große Leistungsfahigkeit und sein geringer Speicherbedarf. Im CG-Verfahren
wird die Systemmatrix nur in Matrixmultiplikationen benotigt, die durch Faltungen mit
der Einzelnachgiebigkeitsmatrix deutlich kleinerer Große ersetzt werden konnen. So kann
das CG-Verfahren unter Verwendung des Faltungstheorems sowohl zeit- als auch spei-
chersparend implementiert werden. Somit konnte ein effizienter Gleichungsloser fur elas-
tische Simulationen und fur das dreidimensionale plastische Halbraummodell implemen-
tiert werden. Im vereinfachten plastischen Halbraummodell ist es notwendig einen proji-
zierten Gleichungsloser zu verwenden, um die Flachenpressung auf die Oberflachenharte
zu limitieren. Der hierzu geeignete SOR-Loser (Successive Over-Relaxation) ist jedoch
vergleichsweise langsam.
Die numerische Implementierung des Halbraummodells basiert auf dem Superpositi-
onsprinzip. Daher ist es moglich, das Flachenpressungsfeld im vereinfachten plastischen
Modell in Anteile im elastischen und plastischen Kontakt aufzuspalten. Auf dieser Er-
kenntnis aufbauend ist es im Rahmen dieser Arbeit gelungen, ein der Active-Set Strate-
gie ahnliches Verfahren zu entwickeln, das es erlaubt, nichtprojizierte Gleichungsloser im
vereinfachten plastischen Halbraummodell mit limitierter Flachenpressung zu verwen-
den. Durch dieses Verfahren und den konjugierte Gradienten Gleichungsloser kann die
Berechnungszeit im Vergleich zum SOR-Gleichungsloser um ca. 50 % reduziert werden.
Aufgrund der großen Bedeutung von Schmierstoffen in Umformprozessen wird das
vereinfachte plastische Halbraummodell um die Modellierung hydrostatischer Drucke
in geschlossenen Schmiertaschen erweitert. Geschlossene Schmiertaschen sind rund-
um von metallischer Kontaktflache umgeben, so dass der Schmierstoff eingeschlos-
sen ist und hydrostatische Drucke aufgebaut werden konnen. Im Vergleich zum
mechanisch-rheologischen Modell, das eine Oberflachencharakterisierung anhand der
Oberflachentopographie im unbelasteten Zustand vornimmt, kann das Halbraummo-
dell mit hydrostatischer Modellierung der Schmiertaschen zusatzlich Informationen
bezuglich der vom Schmierstoff getragenen Lasten liefern. Sowohl der Anteils geschlos-
sener Schmiertaschen, als auch die vom Schierstoff getragenen Last kann durch das
Halbraummodell berechnet werden.
Neben der hydrostatischen Modellierung von Schmierstoffen wird das vereinfachte
plastische Halbraummodell zudem um Volumenerhaltung und den Normalkontakt mit
rauen Oberflachen erweitert. Ublicherweise wird in Halbraummodellen mit limitierter
Flachenpressung das Material in den Kontaktsegmenten mit zu großer Flachenpressung
ersatzlos aus dem Modell entfernt. Der volumenerhaltende Kontaktalgorithmus hingegen
verteilt das verdrangte Material in der Nichtkontaktflache. Dieses Vorgehen ist durch die
experimentellen Untersuchungen von Pullen und Williamson [63] motiviert. Im Kontakt
rauer Oberflachen wird die Oberflachenrauheit des Werkzeugs in der Abstandsbezie-
hung zwischen Werkstuck und Werkzeug berucksichtigt, so dass die Werkzeugrauheit
die Flachenpressung und die Oberflachendeformation des Werkstucks beeinflusst.
Zur experimentellen Kalibrierung und Validierung des vereinfachten plastischen
Halbraummodells werden ein Hartetest und ein Einglattungsversuche durchgefuhrt.
Ziel des Hartetests ist es, durch Abgleich von Simulation und Experiment die Verfes-
10 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 135
tigung der Oberflache mit der Eindringtiefe zu untersuchen. Es zeigte sich eine sehr
gute Ubereinstimmung zwischen dem Experiment und einer Simulation ohne Verfesti-
gung. Es findet folglich keine messbare Verfestigung der Oberflache beim Eindringen des
Prufkorpers statt.
In den Einglattungsversuchen werden raue Oberflachen durch einen glatten Stempel
bei Flachenpressungen bis zu 600MPa in trockenem und beoltem Zustand eingeglattet.
Sowohl in den trockenen, als auch in den beolten Untersuchungen sagt die Simulation
die Veranderungen der arithmetischen und quadratischen Oberflachenrauheit sehr gut
voraus. Auch die simulierten und gemessenen Materialanteilkurven (Abbott-Kurven)
stimmen sehr gut uberein. Einen genaueren Einblick in die Oberflachengestalt als Ma-
terialanteilkurven erlauben Wahrscheinlichkeitsdichtekurven. Auch hier sind die Ergeb-
nisse von Messungen und Simulation sowohl fur trockenen, als auch beolten Kontakt im
Einklang. Zudem zeigen die Hohenverteilung in den Rauheitstalern, also außerhalb des
Kontaktgebiets, eine sehr gute Ubereinstimmung. Folglich gibt der volumenerhaltende
Kontaktalgorithmus die Verdrangung plastifizierten Materials sehr gut wieder.
Das dreidimensionale plastische Halbraummodell wird am Beispiel des elasto-
plastischen Kugelkontakts erfolgreich mit Finite-Elemente-Simulationen verifiziert.
Im Kontakt rauer Oberflachen wird eine signifikante Abnahme der maximalen
Flachenpressung und der hieraus folgenden elastischen Spannungen im Halbraum bei
kleinen plastischen Deformationen beobachtet. Leider ist das dreidimensionale plasti-
sche Halbraummodell instabil, wenn große Gebiete plastifizieren. Daher konnen sehr raue
Oberflachen nur bei geringen Flachenpressungen untersucht werden, weshalb aus den Si-
mulationen mit dem dreidimensionalen plastischen Halbraummodell keine wesentlichen
Erkenntnisse uber das Einglattungsverhalten rauer Oberflachen in der Umformtechnik
gewonnen werden konnen. Mit abnehmender Oberflachenrauheit ist der Kontakt zuneh-
mend elastisch und das Modell konvergiert bis zu immer großeren Flachenpressungen.
Folglich steht einer Anwendung des Modells auf Probleme mit geringen plastischen Kon-
taktanteilen, wie zum Beispiel dem Kontakt in Walzlagern, nichts im Wege.
Anhand von Simulationen mit dem vereinfachten plastischen Halbraummodell von
Be- und Entlastung kann der Anteil der realen Kontaktflache in Abhangigkeit von der
Flachenpressung und der Kontaktgeschichte bestimmt werden. Es wird eine einfache ma-
thematische Formulierung zur Abbildung der Simulationsergebnisse prasentiert. Somit
kann anhand von Halbraumsimulationen ein Kontaktgesetz parametrisiert werden, dass
den Anteil der realen Kontaktflache in Abhangigkeit von der momentanen Last und der
Lastgeschichte beschreibt. Weil die Reibung proportional zum Anteil der realen Kontakt-
flache ist, kann aus dem Kontaktgesetz ein Reibgesetz abgeleitet werden, dass die maxi-
male Reibkraft in Abhangigkeit eines Reibfaktors, der Schubfließgrenze des Werkstucks
und des numerisch identifizierten Kontaktgesetzes bestimmt. Dieses Reibgesetz ist zur
Simulation mehrstufiger Umformprozesse geeignet, weil es die Oberflacheneinglattung
in vorhergehenden Prozessschritten uber die Kontaktgeschichte abbildet. Weil das Reib-
gesetz zudem einen kontinuierlichen Anstieg der Reibungschubspannung von Lastfallen
kleiner Flachenpressung zu Lastfallen großer Flachenpressung modelliert, erfullt es die
Anforderungen der Blechmassivumformung an ein Reibgesetz.
136
In der Implementierung des Reibgesetzes in Simufact.forming wird die maximale
Flachenpressung in vorherigen Lastschritten als Oberflachenzustandsvariable am jewei-
ligen Knoten des FE-Netzes gespeichert. Diese Zustandsvariable wird bei einer Neuver-
netzung auf das neue FE-Netz ubertragen. Somit kann das Reibgesetz auch in anspruchs-
vollen Umformsimulationen verwendet werden, die eine Neuvernetzung der Geometrie
unumganglich machen. Am Beispiel eines mehrstufigen Prozesses zur Herstellung eines
Napfes mit aufgedickter Zarge zeigt sich eine lokale Erhohung der Reibschubspannung
an Orten, die in einem vorherigen Lastschritt sehr hoher Flachenpressung ausgesetzt
waren.
Das Reibgesetz wird anhand von Simulationen mit dem vereinfachten plastischen
Halbraummodell und dem Einglattungsversuch identifiziert. Interessante Ansatze fur
zukunftige Weiterentwicklungen des Reibgesetzes sind die Berucksichtigung des Span-
nungszustandes im Grundmaterial und des Einflusses von Tangentiallasten. Durch
Einglattungsversuche an vorgespannten Blechen kann die Oberflachenharte bei Span-
nungszustanden untersucht werden, die dem Spannungszustand im Blech in Umform-
prozessen ahneln. Wie in Kap. 3.2.4 dargestellt, nimmt die Oberflachenharte unter kom-
binierter Normal- und Tangentialbelastung ab. Bei einem Reibfaktor von m = 0,3 ist
die Oberflachenharte um ca. 5% reduziert. Folglich ist das Kontaktwachstum (Junction
growth) unter kombinierter Normal- und Tangentialbelastung nur bei großen Reibfak-
toren zu berucksichtigen.
Einen genaueren Einblick in das elasto-plastische Einglattungsverhalten rauer Ober-
flachen im Kontakt erlauben Finite-Elemente-Simulationen. Um den Kontakt bei feinen
Auflosungen und reprasentativen Oberflachen mit angemessenem Aufwand untersuchen
zu konnen, ist die Verwendung von zweidimensionalen Modellen oder Multiskalenmodel-
len ratsam.
Anhang A
Anhang
A.1 Mathematische Grundlagen
Vor der Herleitung der analytischen Losungen fur die Spannungs- und Verschiebungs-
felder fur Normal- und Tangentiallasten nach Boussinesq und Cerruti sollen zunachst
die hierfur erforderlichen mathematischen Grundlagen rekapituliert werden.
Nabla-Operator
Zur Darstellung der Differentialoperatoren Gradient, Divergenz und Rotation dient der
Nabla-Operator ∇, der durch
∇ =
∂
∂ x1
∂
∂ x2
∂
∂ x3
(A.1)
definiert ist, siehe z.B. [16, 83].
Gradient
Der Gradient ist das dyadische Produkt eines Tensors mit dem Nabla-Operator.
grad(f) = ∇⊗ f =
∂
∂ x1
∂
∂ x2
∂
∂ x3
(f1 f2 f3
)=
∂ f1∂ x1
∂ f2∂ x1
∂ f3∂ x1
∂ f1∂ x2
∂ f2∂ x2
∂ f3∂ x2
∂ f1∂ x3
∂ f2∂ x3
∂ f3∂ x3
(A.2)
grad(f) =∂ fi∂ xj
= fi,j (A.3)
Der Operator Gradient erhoht die Ordnung eines Tensors um Eins.
137
138 A.1 Mathematische Grundlagen
Divergenz
Die Divergenz ist das Skalarprodukt eines Tensors mit dem Nabla-Operator.
div(f) = ∇ · f =(
∂
∂ x1
∂
∂ x2
∂
∂ x3
)
f1f2f3
=∂ f1∂ x1
+∂ f2∂ x2
+∂ f3∂ x3
(A.4)
div(f) =∂ fi∂ xi
= fi,i (A.5)
Die Divergenz reduziert die Ordnung eines Tensors um Eins und ist folglich fur einen
Skalar nicht definiert.
Rotation
Die Rotation ist das Kreuzprodukt eines Tensors mit dem Nabla-Operator.
rot(f) = ∇× f =
∂
∂ x1
∂
∂ x2
∂
∂ x3
×
f1f2f3
=
∂ f3∂ x2
− ∂ f2∂ x3
∂ f1∂ x3
− ∂ f3∂ x1
∂ f2∂ x1
− ∂ f1∂ x2
(A.6)
rot(f) = −εijk∂ fi∂ xj
= εijk∂ fj∂ xi
(A.7)
Die Rotation belasst die Ordnung von Tensoren unverandert.
Levi-Civita-Symbol
In der Definition der Rotation wird das Levi-Civita-Symbol (auch Permutationssymbol
genannt) verwendet, es ist wie folgt definiert
eijk =
+1 fur ijk = 123, 231 oder 312
−1 fur ijk = 132, 213 oder 321
0 sonst
. (A.8)
Laplace-Operator
Ein weiterer bedeutender Differentialoperator ist der Laplace-Operator ∆, der eine zwei-
malige Differentiation unter Beibehaltung der Stufe eines Tensors bewirkt. Er ist als
die Divergenz des Gradienten definiert und entspricht dem Skalarprodukt des Nabla-
Operators mit sich selbst und ist daher in der englischsprachigen Literatur haufig als ∇2
dargestellt
∆ = div (grad(f)) = div
f1,1 f2,1 f3,1f1,2 f2,2 f3,2f1,3 f2,3 f3,3
= fi,jj . (A.9)
A ANHANG 139
Kronecker-Delta
Das Kronecker-Delta δij dient zur Darstellung der Einheitsheitsmatrix in Indexnotation
und zur Fallunterscheidung in Funktionen
δij =
1 fur i = j
0 fur i 6= j. (A.10)
Analytische Identitaten
Es gelten die folgenden Identitaten, die sich in der Potentialdarstellung der linearen
Kontinuumsmechanik als nutzlich erweisen
rot grad a = ~0 (A.11)
rot grad f = ~~0 (A.12)
div rot f = 0 (A.13)
rot rot f = grad div f − div grad f . (A.14)
Poisson- und Laplace-Gleichung
Die Differentialgleichung
div grad f = b (A.15)
heißt Poisson-Gleichung. Wenn die rechte Seite der Poisson-Gleichung gleich Null ist
wird sie Laplace-Gleichung genannt
div grad f = 0 . (A.16)
Dies ist der Fall, wenn die Anwendung des Laplace-Operators null ergibt.
Harmonische Funktion
Eine zweimal stetig differenzierbare Funktion heißt harmonisch, wenn sie die Laplace-
Gleichung erfullt. Partielle Ableitungen harmonischer Funktionen sind harmonisch.
Summen harmonischer Funktionen und skalare Vielfache harmonischer Funktionen sind
ebenfalls harmonisch.
Lamellares Vektorfeld
Ein Vektorfeld vlam heißt lamellar (auch wirbelfrei oder rotationsfrei genannt) wenn gilt
rotvlam = ~0 . (A.17)
Aufgrund der analytischen Identitat (A.11) kann vlam als Gradient eines skalaren Po-
tentialfeldes Φ beschrieben werden
vlam = gradΦ . (A.18)
Das skalare Potentialfeld Φ kann durch Losen folgender Poisson-Gleichung bestimmt
werden
div gradΦ = divvlam . (A.19)
140 A.1 Mathematische Grundlagen
Solenoidales Vektorfeld
Ein Vektorfeld vsol heißt solenoidal (auch quellenfrei oder divergenzfrei genannt) wenn
gilt
div vsol = ~0 . (A.20)
Aufgrund der analytischen Identitat (A.13) kann vsol als Rotation eines Vektorpotenti-
als Ψ dargestellt werden
vsol = rotΨ . (A.21)
Wenn auch Ψ divergenzfrei ist, kann das rotationsfreie Vektorfeld unter Verwendung der
analytischen Identitat (A.14) als Losung der Poisson-Gleichung dargestellt werden
div gradΨ = − rotvsol . (A.22)
Helmholtz-Zerlegung
Das Verschiebungsfeld u eines beliebigen elastostatischen Problems kann durch die Sum-
me eines lamellaren und eines solenoidalen Feldes dargestellt werden [16]
u = vlam + vsol . (A.23)
Mit (A.18) und (A.21) folgt
u = gradΦ + rotΨ . (A.24)
A ANHANG 141
A.2 Herleitungen und Berechnungen zum elasti-
schen Halbraum
A.2.1 Dehnung und Spannung in Papkovich-Neuber-
Darstellung
Verzerrungen in Papkovich-Neuber-Darstellung
Durch Einsetzen des Verschiebungsfeldes in Papkovich-Neuber-Darstellung (4.33) in die
Verzerrungs-Verschiebungs-Relation (4.34) ergeben sich die Verzerrungen in Papkovich-
Neuber-Darstellung
ε =1
2
(
gradu+ (gradu)T)
=1
2
[
grad ψ − 1
4(1− ν)grad grad
(
ϕ+ r · ψ)
+(
grad ψ)T
− 1
4(1− ν)
(
grad grad(
ϕ+ r · ψ))T
]
.
(A.25)
Weil ϕ+ r · ψ skalar ist, gilt
grad grad(
ϕ+ r · ψ)T
= grad grad(
ϕ+ r · ψ)
. (A.26)
Somit folgt aus (A.25)
ε =1
2
(
grad ψ +(
grad ψ)T)
− 1
4(1− ν)
(
grad grad(
ϕ+ r · ψ))
. (A.27)
142 A.2 Herleitungen und Berechnungen zum elastischen Halbraum
Die Spur des Verzerrungsfeldes in Papkovich-Neuber-Darstellung