Die Bedeutung des Transkriptionsfaktors Sox10 für die Schwann-Zell-Homöostase in adulten peripheren Nerven Der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades vorgelegt von Magdalena Bremer aus Würzburg
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Die Bedeutung des Transkriptionsfaktors Sox10
für die Schwann-Zell-Homöostase
in adulten peripheren Nerven
Der Naturwissenschaftlichen Fakultät
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
zur
Erlangung des Doktorgrades
vorgelegt von
Magdalena Bremer
aus Würzburg
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Als Dissertation genehmigt von der Naturwissenschaftlichen Fakultät der
Universität Erlangen-Nürnberg.
Tag der mündlichen Prüfung: 27.05.2011
Vorsitzender der Prüfungskommission: Prof. Dr. Rainer Fink
Erstberichterstatter: Prof. Dr. Michael Wegner
Zweitberichterstatter: Prof. Dr. Manfred Frasch
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For life. Because it tends to be beautiful.
IV
ERFOLG IST EIN GESETZ DER SERIE UND MISSERFOLGE SIND ZWISCHENERGEBNISSE.
WER WEITERMACHT, KANN GAR NICHT VERHINDERN, DASS ER IRGENDWANN ERFOLG HAT.
Abbildung 4.1: Myelinisierungs-Status von Schwann-Zellen............................................................................ 56
Zusammenfassung
IX
Zusammenfassung
Im Laufe der gesamten Schwann-Zellentwicklung ist der Transkriptionsfaktor Sox10 das
einzige Mitglied aus der Gruppe der SoxE-Proteine, das in dieser Zell-Population des
peripheren Nervensystems exprimiert wird. Sox10 ist von wandernden Neuralleistenzellen bis
hin zu ausgereiften Schwann-Zellen an jedem Entwicklungsstadium nachzuweisen. Während
über die Rolle von Sox10 im embryonalen, peripheren Nervensystem bereits weitreichende
Studien vorliegen, gibt es noch keine Daten über eine mögliche Funktion von Sox10 in
ausgereiften Schwann-Zellen im adulten Nerv.
In der vorliegenden Arbeit wurde erstmals die Rolle von Sox10 in peripheren Nerven
adulter Mäuse mit Hilfe einer Tamoxifen-induzierbaren Sox10-Deletion spezifisch in PLP
exprimierenden Schwann-Zellen untersucht. Tamoxifen-behandelte Mäuse entwickelten mit
zeitlicher Verzögerung eine periphere Neuropathie, gefolgt von einer fast vollständigen
Regeneration. Am Krankheitshöhepunkt waren drastischen Veränderungen in der Nerv-
struktur und -funktion nachzuweisen. Die Anzahl der Myelinscheiden war deutlich verringert
und es lagen viele demyelinisierte Axone sowie Axone mit strukturell verändertem Myelin
vor. Des Weiteren kam es zur Degeneration von Axonen und zum massiven Einstrom von T-
Lymphozyten und Makrophagen in den betroffenen Nerv. Elektrophysiologische Unter-
suchungen zeigten die für demyelinisierende Vorgänge charakteristischen Abweichungen in
der Nervenleitgeschwindigkeit. Der Verlust von Sox10 in Schwann-Zellen ging mit einer
reduzierten Expression weiterer Gene des myelinisierenden Schwann-Zellstadiums einher.
Sox10-defiziente Zellen verharrten im Nerv in einem Zustand, der dem unreifen Schwann-
Zellstadium gleicht. Tamoxifen-behandelte Mäuse wiesen eine erhöhte Zell-Proliferation in
ihren Nerven auf, die auch Schwann-Zellen betraf. Im Verlauf der Regeneration stieg die
Anzahl der reifen, myelinisierenden Schwann-Zellen wieder nahezu auf Wildtyp-Niveau an.
In elektronenmikroskopischen Aufnahmen waren deutliche Anzeichen einer Re-
myelinisierung sichtbar. Die überschießende Immunantwort normalisierte sich auf ein
unauffälliges Niveau.
Diese Studien weisen auf eine erhebliche Regenerationsfähigkeit und Plastizität im adulten
Nerv hin und zeigen, dass Sox10 in adulten Nerven für die Differenzierung und die Aufrecht-
erhaltung des differenzierten, myelinisierten Zustandes von Schwann-Zellen verantwortlich
ist.
Summary
X
Summary
During development of the Schwann cell lineage the transcription factor Sox10 is the only
member of the SoxE-proteins that is expressed in this cell population in the peripheral nerve.
Sox10 is expressed at every developmental stage from migrating neural crest cells to mature
Schwann cells. While there are extensive studies about the role of Sox10 in the embryonic
peripheral nervous system, little is known about the function of Sox10 in mature Schwann
cells of the adult nerve.
In this study the role of Sox10 in the peripheral nerve of adult mice was analyzed for the
first time, using a tamoxifen-inducible approach to delete Sox10 specifically in PLP
expressing Schwann cells. With delay tamoxifen-treated mice developed a peripheral neuro-
pathy, followed by an almost complete regeneration. At the peak of disease drastic changes in
the structure and function of the nerve were detected, with the number of myelin sheath being
considerably lower and many demyelinated axons visible as well as axons with structurally
altered myelin sheaths. Furthermore, degeneration of axons and a massive influx of T-
lymphocytes and macrophages into the affected nerve occurred. Electrophysiological
investigations showed alterations in nerve conduction velocity characteristic for
demyelinating processes. The loss of Sox10 was accompanied by a reduced expression of
other genes characteristic of the myelinating Schwann cell state. Sox10 deficient cells in the
nerve remained in a condition that resembled the immature Schwann cell state. Nerves of
tamoxifen-treated mice showed an increased proliferation of cells, some of which were
Schwann cells. During regeneration the number of mature, myelinating Schwann cells
increased and almost returned to wild type levels. Electron microscopic pictures exhibited
clear signs of remyelination. The excessive immune response was reduced to an
inconspicuous level.
These studies point to a remarkable regenerative capacity and plasticity of the adult nerve
and prove that Sox10 is responsible for the differentiation and the maintenance of the
differentiated, myelinated state of Schwann cells.
Einleitung
1
1 Einleitung
1.1 Sox-Protein-Familie
Die Sox-Proteine gehören zu einer Superfamilie von Transkriptionsfaktoren, deren
gemeinsames Merkmal die sogenannte HMG-Domäne (high-mobility-group domain) ist.
Diese Domäne besteht aus einer etwa 80 Aminosäuren langen Sequenz, die in drei α-Helices
angeordnet und für die Bindung der Transkriptionsfaktoren an die DNA verantwortlich ist.
Sox-Proteine gehören zusammen mit den TCF/LEF-Proteinen zu den HMG-Domänen
Proteinen, die nur über eine einzelne HMG-Domäne verfügen, mit der sie spezifisch an eine
bestimmte Sequenz der DNA binden. Neben dieser Gruppe gibt es die Gruppe der
UBF/HMGB-Proteine, welche mehrere HMG-Domänen besitzen und sequenzunspezifisch an
die DNA binden. (Grosschedl et al. 1994; Laudet et al. 1993). Die HMG-Domäne der Sox-
Proteine interagiert bevorzugt mit der heptameren Konsensussequenz 5’-
(A/T)(A/T)CAA(A/T)G-3’, welche in regulatorischen Regionen ihrer Zielgene zu finden ist
(Harley et al. 1994; Wegner 2010).
Transkriptionsfaktoren werden der Sox-Protein-Familie zugeordnet, wenn die Sequenz
ihrer HMG-Domäne eine Übereinstimmung von mindestens 50% mit der DNA-Bindedomäne
von Sry, dem ersten identifizierten Sox-Protein und Namensgeber (Sry-Box) der Familie,
besitzt (Wegner 1999). Des Weiteren werden sie in Abhängigkeit der Sequenzhomologie ihrer
HMG-Domänen in mehrere Untergruppen (A-H) eingeteilt, wobei die Homologie innerhalb
einer Gruppe mindestens 80% beträgt (Bowles et al. 2000). Vertreter einer Gruppe weisen
häufig auch eine Konservierung in anderen Domänen auf und ähneln sich in ihrer
genomischen Struktur.
Anders als die meisten Transkriptionsfaktoren binden Sox-Proteine mit ihrer HMG-
Domäne in der kleinen Furche der DNA, was zu einer Biegung der DNA-Doppelhelix um 70-
85° führt (Connor et al. 1994). Diese Änderung in der räumlichen Konformation der DNA
ermöglicht die Bindung weiterer Transkriptionsfaktoren und macht teilweise deren Interaktion
sterisch erst möglich, indem sie auf diese Weise in räumliche Nähe gebracht werden. Neben
der architektonischen Funktion und der DNA-Bindung vermittelt die HMG-Domäne auch
Protein-Protein-Interaktionen, welche Sox-Proteine untereinander aber auch mit anderen
Transkriptionsfaktoren sowie Chromatin-Remodelling-Komplexen eingehen (Bernard and
Harley 2010; Wißmüller et al. 2006). Protein-Protein-Interaktionen kommen jedoch nicht nur
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über die HMG-Domäne zustande, sondern auch über konservierte Dimerisierungs- und andere
Protein-Interaktions-Domänen. Auf diese Art werden die vielfältigen Funktionen ermöglicht,
die Sox-Proteine in Abhängigkeit von den koexprimierten Interaktionspartnern zu
verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichen Geweben ausüben und zu denen so diverse
Prozesse wie die Ausbildung der Keimblätter, die Entwicklung von Organen und die
Zellspezifizierung zählen.
Bisher sind mehr als 20 verschiedene Sox-Proteine bekannt, welche alle mehr oder
weniger über die klassische Topologie eines Transkriptionsfaktors verfügen. Neben der DNA-
Bindedomäne besitzen die meisten Mitglieder eine Transaktivierungsdomäne, wobei die
Fähigkeit zur Transaktivierung bei den Sox-Proteinen im Allgemeinen nur recht schwach
ausgeprägt ist und von weiteren Faktoren beeinflusst wird (Kamachi et al. 2000). Die
Mitglieder der Gruppe D und E verfügen des Weiteren über konservierte Dimerisierungs-
domänen. Im Falle der Gruppe D handelt es sich dabei um ein Leucin-Zipper-ähnliches
Motiv, das zusammen mit einer Glutamin-reichen Region eine coiled-coil-Domäne bildet, die
die Entstehung von Homo- und Heterodimeren vermittelt (Lefebvre 2010). Bei den
Mitgliedern der Gruppe E befindet sich die Dimerisierungsdomäne N-terminal von der HMG-
Box. Zwar konnte im Gegensatz zu SoxD-Proteinen für die SoxE-Proteine keine
Dimerisierung in Lösung nachgewiesen werden, es konnte allerdings gezeigt werden, dass die
Dimerisierungsdomäne zu einer kooperativen Bindung an die DNA führt, wenn dort
entsprechende Bindestellen in enger Nachbarschaft vorhanden sind (Peirano et al. 2000;
Schlierf et al. 2002).
Im Laufe der embryonalen Entwicklung wird in fast jedem Gewebe wenigstens ein Sox-
Protein zu irgendeinem Zeitpunkt exprimiert (Wegner 2005). Die dabei häufig überlappende
Expression lässt auf funktionelle Redundanz zwischen verschiedenen Sox- Proteinen einer
Untergruppe schließen. Die Tatsache, dass ein und derselbe Transkriptionsfaktor in
unterschiedlichen Geweben verschiedene Zielgene aktivieren kann, setzt eine Interaktion mit
wechselnden Kooperationspartnern voraus. Das wird deutlich am Beispiel von Sox10, das je
nach Kontext in Schwann-Zellen MPZ (myelin protein zero) (Peirano et al. 2000), in
Oligodendrozyten MBP (myelin basic protein) (Stolt et al. 2002) und in Melanozyten Dct
(Dopachrom-Tautomerase) (Ludwig et al. 2004) aktiviert.
Über die Rolle der Sox-Proteine im adulten Organismus ist bisher noch wenig bekannt.
Während einige Sox-Proteine nicht mehr nachweisbar sind, werden andere weiterhin stark
exprimiert, und/oder sind nach einem Gewebeschaden vermehrt vorzufinden, was darauf
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hindeutet, dass sie auch nach der Entwicklung noch eine essentielle Rolle in der Gewebs-
homöostase und Regeneration spielen.
1.1.1 Gruppe E der Sox-Proteine
In Invertebraten konnte nur ein SoxE-Gen (Sox100B) nachgewiesen werden (Hui Yong
Loh and Russell 2000), wohingegen in Vertebraten drei hochkonservierte Gene für Sox8,
Sox9 und Sox10 kodieren, die die Gruppe E der Sox-Proteine darstellen. Das lässt vermuten,
dass sie evolutionär wahrscheinlich sehr früh durch Genduplikation entstanden sind, was
wiederum ihr überlappendes Expressionsmuster sowie ihre teilweise Redundanz erklärt
(Bowles et al. 2000; Wegner 1999). Abgesehen davon haben die einzelnen Proteine jedoch im
Laufe der Evolution neue Eigenschaften erlangt, wodurch unabhängige, spezifische
Funktionen ermöglicht wurden (Cossais et al. 2010).
Die Transkriptionsfaktoren Sox8, Sox9 und Sox10 der Gruppe E besitzen neben der bereits
erwähnten HMG-Box und der Dimerisierungsdomäne weitere in ihrer Gruppe konservierte
Regionen. Im mittleren Abschnitt der Proteine befindet sich die 70-80 Aminosäuren lange
sogenannte K2-Domäne, für die im Sox8-Protein in vitro eine Transaktivierungsfähigkeit
nachgewiesen ist (Schepers et al. 2000) und die in Sox10 in vivo eine gewebsspezifische
Transaktivierung ermöglicht (Schreiner et al. 2007). Alle Vertreter der Gruppe E weisen an
ihrem C-terminalen Ende eine nur teilweise konservierte Transaktivierungsdomäne auf
(Abbildung 1.1) (Bowles et al. 2000).
Abbildung 1.1: Konservierte Domänen der Sox-Gruppe E. Die Mitglieder der Gruppe E verfügen über vier konservierte Domänen: die Dimerisierungs-domäne
(Dim), die DNA-bindende HMG-Box (HMG), die K2-Domäne (K2) und die C-terminale
Transaktivierungsdomäne (TA). (Modifiziert nach (Wegner and Stolt 2006)).
Außerdem verfügen die SoxE-Proteine in ihrer HMG-Domäne über zwei Kern-
lokalisierungssignale, welche ihnen die Translokalisierung in den Zellkern als Wirkort
ermöglichen. Daneben existiert eine Kernexportsequenz (Rehberg et al. 2002), die beispiels-
weise während der Muskeldifferenzierung zum Export von Sox8 und Sox9 aus dem Zellkern
führt (Schmidt et al. 2003). Kernimport und -export ermöglichen so eine kontrollierte
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Aktivierung der SoxE- Transkriptionsfaktoren. Der genaue Mechanismus hierbei ist jedoch
größtenteils noch unbekannt.
In Oligodendrozyten im zentralen Nervensystem (ZNS) sind die SoxE-Proteine zu
verschiedenen Zeitpunkten während der Entwicklung überlappend exprimiert und für die
gemeinsame Regulation von Proliferation und Differenzierung notwendig, wobei die
Funktion des einen Proteins nicht immer durch ein anderes ersetzt werden kann. In den
meisten Neuralleisten-Derivaten, wie z.B. dem enterischen Nervensystem (ENS) oder den
Cranial-Ganglien, nicht jedoch in den Schwann-Zellen, sind mehrere SoxE-Mitglieder
gemeinsam exprimiert und auch hier teilweise in der Lage, die Rolle des jeweils gleichzeitig
exprimierten, verwandten Proteins zu übernehmen (Kellerer et al. 2006; Stolt and Wegner
2010).
1.1.1.1 Sox8
Sox8, das als letzter Vertreter der SoxE-Proteine identifiziert wurde, zeigt das breiteste
Expressionsmuster der Gruppe (Pfeifer et al. 2000; Schepers et al. 2000). Trotz seiner weiten
Verbreitung in der Neuralleiste, in Oligodendrozyten, Melanozyten, im Muskel, in Osteo-
blasten, Adipozyten sowie den Sertoli-Zellen des Hodens zeigen Sox8-defiziente Mäuse
keinen erheblichen Entwicklungsdefekt und postnatal nur einen schwach ausgeprägten
Phänotyp (Sock et al. 2001). Dieser Befund ist dadurch zu erklären, dass in den meisten
Geweben Sox9 und/oder Sox10 koexprimiert sind und den Verlust von Sox8 zumindest
teilweise ausgleichen können, wie es für die Gliazellen des ZNS (Stolt et al. 2004; Stolt et al.
2005) und des ENS (Maka et al. 2005) gezeigt wurde. Der homozygote Mangel von Sox8 in
der Maus macht sich erst postnatal in einem reduzierten Körpergewicht bemerkbar, was
hauptsächlich durch eine progressive Degeneration des Fettgewebes verursacht wird (Guth et
al. 2009). Des Weiteren zeigen Sox8-defiziente Mäuse postnatal eine leichte Osteopenie und
eine progrediente Infertilität (Guth et al. 2009; Sock et al. 2001).
Während der Mangel von Sox8 durch Sox9 oder Sox10 oft ausgeglichen werden kann, ist
Sox8 nicht in allen Geweben fähig, das Fehlen eines der beiden anderen SoxE-Transkriptions-
faktoren vollständig zu ersetzen; auch dann nicht, wenn es unter der Kontrolle der
regulatorischen Elemente von Sox10 an dessen Stelle exprimiert wird. In diesem Fall verläuft
die Entwicklung der peripheren Neurone und Schwann-Zellen, die beim isolierten Verlust von
Sox10 stark gestört ist, normal. Im ENS und in Oligodendrozyten hingegen ist der Phänotyp
der Sox10-defizienten Maus nur teilweise abgeschwächt und in Melanozyten treten die
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gleichen Differenzierungs-Defekte wie beim Fehlen von Sox10 auf (Kellerer et al. 2006).
Dies zeigt die nur unvollständige Fähigkeit von Sox8, Sox10 zu ersetzten.
Untersuchungen an Xenopus zeigen, dass die Rolle von Sox8 nicht in allen Organismen
konserviert ist. In dieser Spezies wird Sox8 als erstes der drei SoxE-Proteine exprimiert und
sein Ausfall führt zu gravierenden Defekten in der Entwicklung der Neuralleistenderivate
(O'Donnell et al. 2006). In der Maus dagegen sind zuerst Sox9 und Sox10 in den prä- bzw.
migratorischen Neuralleistenzellen nachweisbar.
Im Menschen ist ein SOX8-Verlust mit dem ATR-X-Syndrom verbunden, das durch
Alpha-Thalassämie und geistige Retardierung gekennzeichnet ist, wobei jedoch keines der
Hauptsymptome dieser Patienten mit dem Fehlen von SOX8 in direktem Zusammenhang zu
stehen scheint (Gibson et al. 2008; Pfeifer et al. 2000).
1.1.1.2 Sox9
Wie Sox8 ist auch Sox9 in einer Vielzahl von Geweben exprimiert. Es konnte in
Chondrozyten, in Sertoli-Zellen des Hodens, in Gliazellen des ZNS sowie in Herz, Pankreas
und Niere nachgewiesen werden (Akiyama et al. 2002; Ng et al. 1997). Sox9-heterozygote
Mäuse sterben perinatal an einem Herzdefekt und zeigen starke Skelettmissbildungen.
Sox9 spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Neuralleiste. Es konnte gezeigt
werden, dass es für die Induktion der Neuralleisten-Differenzierung wichtig ist und bei Über-
expression im Hühnchen später die Differenzierung der auswandernden Neuralleistenzellen
zu nicht-neuralen Zelltypen lenkt (Cheung and Briscoe 2003).
Die Funktion von Sox9 wird durch posttranslationale Modifikationen wie z.B. eine
zweifache Phosphorylierung durch die Proteinkinase A beeinflusst, was zu einer Aktivitäts-
steigerung führt (Huang et al. 2000). Am Snail2-Promotor kommt es dadurch zum Beispiel zu
einer synergistischen Aktivierung durch Sox9 aber auch durch Snail2 selbst, die für die
Epithelial-Mesenchymale Transition (EMT) während der Entstehung der Neuralleiste wichtig
ist (Sakai et al. 2006).
Wie 2003 in der Arbeitsgruppe gezeigt werden konnte, ist das Vorhandensein des
Transkriptionsfaktors in neuroepithelialen Stammzellen des Rückenmarks wichtig für das
Umschalten von der Neurogenese zur Gliogenese in der p2- und pMN-Domäne. Der Verlust
von Sox9 führt hier zu einer starken Reduktion der Oligodendrozytenvorläufer- sowie zu
einer Erniedrigung der Astrozytenzahl, die jedoch im Gegensatz zu den Oligodendrozyten-
zahlen in späteren Stadien der Entwicklung nicht ausgeglichen werden kann. In Oligodendro-
zytenvorläufern erfolgt das Angleichen an die Wildtypzellzahlen wahrscheinlich durch
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kompensatorische Mechanismen der beiden anderen SoxE-Proteine, die dort ebenfalls
exprimiert sind (Stolt et al. 2003).
Die Rolle von Sox9 in der Chondrogenese und Geschlechtsdeterminierung ist weitreichend
untersucht, da SOX9 ursächlich bei der Entstehung der Campomelischen Dysplasie (CD),
einer schwerwiegenden humanen Erkrankung, gekennzeichnet durch gravierende Skelett-
deformationen und Zwergenwuchs, beteiligt ist. Bei betroffenen Männern kommt es
außerdem in ca. 60% der Fälle zu einer XY-Geschlechtsumkehr (Foster 1996; Wagner et al.
1994).
Sox9 ist für die Entwicklung von Chondrozyten und Knorpelgewebe entscheidend. Die
Kollagen-Gene Col2a1, Col11a2 und Aggrecan sind in diesem Gewebe direkte Zielgene von
Sox9. An regulatorische Elemente dieser Gene bindet es über mehrfache Sox-Bindestellen
immer als Oligomer, wie es zum Beispiel für die Kooperation mit Sox5 und Sox6 an einer
Enhancer-Sequenz des Col2a1-Gens nachgewiesen ist (Bi et al. 1999; Lefebvre et al. 2001;
Ng et al. 1997).
Im Hoden ist Sox9 an der Differenzierung der Sertoli-Zellen beteiligt und kann wie auch
Sry an Sox-Bindestellen des Promotors des Gens für das Anti-Müllersche Hormon (AMH)
binden und diesen aktivieren. Zusätzlich bindet es an den Promotor des Gens für den
Transkriptionsfaktor SF1 (steroidogener Faktor 1), welcher wiederum die Expression vom
AMH reguliert. Durch diese direkte und indirekte Aktivierung von AMH kommt es zur
Rückbildung des weiblichen Reproduktionstrakts und somit zur Ausbildung des männlichen
Geschlechts (De Santa Barbara et al. 1998; Kent et al. 1996; Wilhelm et al. 2007). Im
Gegensatz zu den Kollagen-Promotoren bindet Sox9 den Promotor des AMH-Gens als
Monomer, was auch erklärt, warum es bei Mutationen in der Dimerisierungsdomäne von
Sox9 zu schweren Knorpeldefekten, nicht aber zur Geschlechtsumkehr kommt (Bernard et al.
2003; Sock et al. 2003).
CD-Patienten weisen neben den bereits beschriebenen Symptomen weiterhin Fehl-
bildungen des Gehirns, der Niere oder des Herzens auf, d.h. in Geweben, in denen Sox9
ebenfalls exprimiert und von Bedeutung für eine geregelte Entwicklung ist. Für Sox9 konnten
evolutionär konservierte regulatorische Sequenzen identifiziert werden, welche je für einen
Teil des gesamten Expressionsmusters verantwortlich sind. Mutationen in diesen
regulatorischen, nicht-codierenden Bereichen können, ebenso wie Mutationen im SOX9-Gen
selbst, zur Campomelischen Dysplasie führen (Bagheri-Fam et al. 2001; Wagner et al. 1994;
Wunderle et al. 1998).
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1.1.1.3 Sox10
Das dritte Mitglied der SoxE-Gruppe ist Sox10, das u.a. im zentralen, peripheren (PNS)
und enterischen Nervensystem exprimiert wird (Britsch et al. 2001; Kapur 1999; Stolt et al.
2002).
Im Rückenmark der Maus kann Sox10 ab dem Embryonaltag 12.5 nahe der ventralen
Ventrikulärzone in Oligodendrozytenvorläufern nachgewiesen werden. In diesen Zellen ist
Sox10 für die terminale Differenzierung zu reifen Oligodendrozyten sowie für die direkte
Aktivierung der Myelingen-Expression erforderlich (Peirano et al. 2000; Stolt et al. 2002). Im
Vorläufer-Stadium wird es zusammen mit Sox9 exprimiert und zeigt mit diesem funktionelle
Redundanz, so dass hier ein Verlust von Sox10 durch Sox9 ausgeglichen werden kann, was
im differenzierten Stadium nicht mehr möglich ist, da hier Sox9 natürlicherweise abgeschaltet
ist (Stolt et al. 2003).
In Neuralleistenzellen spielt Sox10 eine zentrale Rolle und wird hier zum Zeitpunkt, wenn
sich die Neuralleistenzellen vom Neuralrohr ablösen, das erste Mal in der Entwicklung nach-
gewiesen. Allerdings ist es so früh noch nicht zwingend erforderlich, da die Ablösung und
Auswanderung der Zellen vom Neuralrohr von einem Sox10-Verlust nicht beeinträchtigt sind
(Paratore et al. 2001). Während der Migration wird Sox10 für das Überleben der Zellen
benötigt, da eine Deletion eine erhöhte Apoptoserate nach sich zieht (Paratore et al. 2001;
Sonnenberg-Riethmacher et al. 2001). In wandernden Neuralleistenzellen wird die Expression
von Sox10 daher zunächst aufrechterhalten und endet in einigen Derivaten, wie z.B.
Neuronen, mit deren Differenzierung. Ab diesem Zeitpunkt beschränkt sich das Vorkommen
von Sox10 auf Melanoblasten, Glia-Zellen des ENS, sowie Schwann-Zellen.
In Melanoblasten aktiviert es zunächst im Laufe der terminalen Differenzierung MITF
(microphthalmia-associated transcription factor), als direktes Zielgen und dann zusammen
mit diesem die Expression von Dct. Die Synthese von Melanin ist Dct-abhängig und für die
Pigmentierung der reifen Melanozyten erforderlich, in welchen Sox10 nicht weiter exprimiert
wird (Bondurand et al. 2000; Ludwig et al. 2004). Das bedeutet, dass Sox10 peripher im
adulten Stadium nur noch in Glia nachgewiesen werden kann (Kuhlbrodt et al. 1998a).
Die homozygote Deletion von Sox10 in der Maus führt zu schwerwiegenden Defekten im
ZNS, PNS und ENS und ist embryonal letal. Undifferenzierte Neuralleistenzellen siedeln sich
in den Regionen der zukünftigen Ganglien an und entwickeln sich zu Neuronen, während die
Differenzierung zu peripheren, glialen Zellen komplett unterbleibt, wodurch sich weder
Satellitenzellen noch Schwann-Zellvorläufer bilden. Aufgrund der fehlenden trophischen
Unterstützung durch Gliazellen degenerieren in der Folge sowohl die Neurone in sensorischen
Einleitung
8
und sympathischen Ganglien als auch die Axone der Spinalnerven (Britsch et al. 2001;
Sonnenberg-Riethmacher et al. 2001). Schon sehr früh ist eine Reduktion der Neuralleisten-
zellen festzustellen, was durch die erhöhte Apoptoserate während der Migration bedingt ist.
Als Folge unterbleibt die Entwicklung des ENS komplett, da die Neuralleistenzellen sterben,
bevor sie den Darm erreichen (Kapur 1999). Auch beim heterozygoten Verlust von Sox10
kommt es zu einem Migrationsdefekt der Neuralleistenzellen, so dass die distalen Regionen
des Magen-Darm-Trakts nicht innerviert werden. Diese Aganglionose und die damit
einhergehende verringerte Peristaltik, führen zur Aufblähung des gesunden Darmabschnitts
und somit zur Ausbildung eines Megacolons. Das führt in Abhängigkeit vom genetischen
Hintergrund zum postnatalen Tod der Mäuse. Des Weiteren kommt es in Sox10-hetero-
zygoten Tieren zu Pigmentierungsdefekten, welche sich in weißen Pfoten und einem
Bauchfleck äußern (Britsch et al. 2001).
Dieser Phänotyp wurde erstmals in einer spontanen heterozygoten Sox10-Mausmutante,
der sogenannten DOM-Maus (dominant megacolon), beobachtet und ist vergleichbar mit dem
kombinierten Waardenburg-Hirschsprung-Syndrom im Menschen (Herbarth et al. 1998;
Southard-Smith et al. 1998). Die Patienten zeigen partielle Pigmentierungsstörungen der
Haare und Haut und leiden unter Taubheit (Waardenburg-Syndrom) sowie enterischer
Aganglionose, die in einem Megacolon resultiert (Morbus Hirschsprung). Diese Befunde
werden auch als Shah-Waardenburg-Syndrom Typ 4 (WS4) klassifiziert, eine sehr heterogene
Erkrankung, der neben Mutationen im Sox10-Allel auch Mutationen im Endothelin-3 und
Endothelin-B-Rezeptor zugrunde liegen können (Herbarth et al. 1998; Kuhlbrodt et al. 1998b;
Pingault et al. 1998). Einige Patienten mit Sox10-Mutationen zeigen eine schwerwiegendere
Form der Erkrankung, die sogenannte PCWH (periphere demyelinisierende Neuropathie,
centrale dysmyelinisierende Leukodystrophie, Waardenburg-Hirschsprung-Syndrom), bei der
es zusätzlich zu peripheren und zentralen Myelinisierungsdefekten kommt und die mit einer
deutlichen Verschlechterung der Prognose verbunden ist (Inoue et al. 2002; Sham et al. 2001).
In Schwann-Zellen des PNS ist Sox10 als einziger Transkriptionsfaktor der Gruppe E vor-
handen und spielt bei deren Entwicklung eine essentielle Rolle. Es ist zu allen Entwicklungs-
stadien von den wandernden Neuralleistenzellen bis hin zu den reifen myelinisierenden und
nicht-myelinisierenden Schwann-Zellen exprimiert (Kuhlbrodt et al. 1998a). In Abwesenheit
von Sox10 unterbleibt die Spezifizierung von Schwann-Zellen und die gesamten Schwann-
Zellpopulationen fehlen (Britsch et al. 2001). Um eine eventuelle Funktion von Sox10 auch
zu späteren Zeitpunkten in der Schwann-Zellentwicklung zu untersuchen, wurden Sox10-
Mutanten mit schwächerem Phänotyp benötigt, in denen eine Entwicklung der Gliazellen über
Einleitung
9
die Spezifizierung hinaus möglich ist. Dies ist in den beiden hypomorphen Sox10-Mutanten
aa1 und ∆K2 der Fall (Schreiner et al. 2007). In der Sox10 aa1-Mutante wurde die DNA-
Sequenz so verändert, dass die Aminosäuren 71-73 in der Dimerisierungsdomäne des Proteins
durch drei Alanine substituiert werden, was dazu führt, dass die Dimerisierungsfähigkeit von
Sox10 verloren geht (Schlierf et al. 2002). Im Falle der ∆K2-Mutante wurden die zu den
Aminosäuren 233-306 korrespondierenden DNA-Basen deletiert, welche die K2-Domäne
umfassen und für die in Sox8 ein Transaktivierungsvermögen nachgewiesen ist. Beide
Mutanten zeigen im Gegensatz zum homozygoten Verlust von Sox10 eine Spezifizierung von
unreifen Schwann-Zellen. Schwann-Zellen der Sox10 aa1-Mutante entwickeln sich jedoch
nicht über das Vorläufer-Stadium hinaus, da sie nicht in der Lage sind, Oct6 zu exprimieren.
Im Gegensatz dazu sind Schwann-Zellen mit Sox10-∆K2-Mutation fähig, in das Pro-Myelin-
Stadium einzutreten und Oct6 zu exprimieren, beginnen dann aber dennoch keine
Myelinisierung, da die Expression von Myelin-Proteinen unterbleibt (Schreiner et al. 2007).
Auf molekularer Ebene konnte gezeigt werden, dass Sox10 im Synergismus mit Oct6 den
MSE-Enhancer (myelinating Schwann cell element) von Krox20, des wichtigsten peripheren
Myelin-Aktivators aktivieren kann (Ghislain and Charnay 2006; Reiprich et al. 2010). Des
Weiteren ist nachgewiesen, dass verschiedene Myelingene wie z.B. MPZ und MBP direkte
Zielgene von Sox10 sind. Im Falle von MPZ verfügt der Promotor über benachbarte Sox-
Bindestellen und wird über dimere Bindung von Sox10 aktiviert (Peirano et al. 2000). In
diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Unversehrtheit der funktionellen
Domänen von Sox10 für die Schwann-Zellentwicklung offensichtlich wichtiger ist, als der
Subtyp innerhalb der Mitglieder der Gruppe E. So ist Sox8, wenn es unter den gen-
regulatorischen Elementen von Sox10 exprimiert wird, in der Lage, dessen Funktion in
Schwann-Zellen vollständig zu übernehmen und eine komplette Entwicklung der Zellen bis in
das Myelin-Stadium zu ermöglichen (Kellerer et al. 2006). Gleiches zeigte sich bei dem
Versuch, das Sox10-Protein der Säuger durch das Drosophila-SoxE-Ortholog Sox100B zu
ersetzen (Cossais et al. 2010). Obwohl Sox100B eine wesentlich geringere Homologie zum
Sox10-Protein der Wirbeltiere aufweist als Sox8, deutet diese Beobachtung darauf hin, dass
die Funktionen der Dimerisierungs- und K2-Domäne zumindest teilweise in Sox100B aus
Drosophila konserviert sein müssen, was wiederum deren Rolle für eine geregelte Funktion
von Sox10 in Schwann-Zellen unterstreicht.
In einem weiteren Versuch, die Rolle von Sox10 im Verlauf der Schwann-Zellentwicklung
aufzuklären, wurde Sox10 konditional, gewebsspezifisch mittels des Cre/loxP-Systems in
Dhh (desert hedgehog)-positiven Zellen, im unreifen Schwann-Zellstadium ausgeschaltet
Einleitung
10
(Finzsch et al. 2010; Jaegle et al. 2003). In Ischias-Nerven dieser Mäuse konnten keine Oct6-
oder Krox20-positiven promyelinisierenden bzw. myelinisierenden Schwann-Zellen nach-
gewiesen werden. Die Schwann-Zellen verblieben hier eher in einem unreifen Sox2-positiven
Stadium, in welchem das sogenannte axonal sorting, eine Sortierung in groß- und
kleinkalibrige Axone durch die umgebenden Schwann-Zellen, unterblieb. Dadurch konnte es
nicht zu einer Auftrennung der Schwann-Zellvorläufer in nicht-myelinisierende und
myelinisierende Schwann-Zellen kommen. Des Weiteren waren die Sox2-positiven Schwann-
Zellen nicht in der Lage, ihre Identität komplett zu bewahren, sondern nahmen fibroblasten-
ähnliche Eigenschaften an (Finzsch et al. 2010).
All diese verschiedenen Sox10-Mutanten zeigen, dass ein intaktes Sox10-Protein nicht nur
für die Schwann-Zellspezifizierung benötigt wird, sondern auch zu späteren Stadien für die
weitere Entwicklung der Zellpopulation, sowie für die Aufrechterhaltung der Schwann-Zell-
identität von entscheidender Bedeutung ist.
1.2 Neuralleiste und Derivate
Die Neuralleiste kommt nur in Vertebraten vor und stellt eine transiente Population von
Zellen dar, die während einer frühen Phase in der embryonalen Entwicklung aus dem Gewebe
am Übergang vom epidermalen Ektoderm zum Neuroektoderm hervorgehen (Abbildung 1.2).
Nach der Herauslösung aus dem Ektoderm wandern sie großflächig in festgelegten Bahnen
durch den Embryo an ihre Bestimmungsorte, an welchen sie dann in die spezifischen
Zelltypen differenzieren und damit den Großteil der Zellpopulation des PNS bilden.
Neuralleistenzellen sind multipotent, haben die Fähigkeit zur Regeneration und besitzen daher
stammzell-ähnliche Eigenschaften. Die Regenerationsfähigkeit nimmt mit zunehmendem
Alter ab (Sauka-Spengler and Bronner 2010).
1.2.1 Neuralleistenentwicklung
Die Bildung der zukünftigen Neuralleiste wird an der Grenze zwischen künftigem
Neuralrohr und epidermalem Ektoderm durch verschiedene Signale des darunter liegenden
Mesoderms und/oder benachbarten epidermalen Ektoderms ausgelöst. Zu den Signal-
molekülen zählen FGF (fibroblast growth factor) und Wnt (wingless), die beide alleine oder
gemeinsam in Abhängigkeit von einer mittleren BMP (bone morphogenic protein)-
Konzentration die Expression weiterer Transkriptionsfaktoren wie z.B. Msx1 (Msh homeo
box gene 1), Pax3 (paired box gene 3) sowie Zic1 (Zic family member 1), spezifisch in den
Einleitung
11
Zellen an der Grenze zur Neuralplatte induzieren und so diese Region als Neuralplattengrenze
definieren (Crane and Trainor 2006). Diese Transkriptionsfaktoren wiederum aktivieren in
Abhängigkeit von Wnt-Signalen spezifische Neuralleistenproteine wie Snail2 (snail homolog
2), FoxD3 (forkhead box D3), c-Myc, AP2 (activator protein 2) und die SoxE-Mitglieder
Sox8, Sox9 und Sox10 in der Neuralfalte und dem dorsalen Teil des Neuralrohrs (Sauka-
Spengler and Bronner-Fraser 2006). Dabei führt die ektopische Expression von SoxE-
Proteinen im Hühnchen dazu, dass die Zellen des Neuralrohrs neuralleisten-ähnliche
Eigenschaften annehmen. Sie induziert damit die Differenzierung zu Neuralleistenzellen
(Cheung and Briscoe 2003).
Abbildung 1.2: Etablierung der Neuralplattengrenze bis zur Auswanderung der Neuralleistenzellen. Induktion der Neuralleiste kurz nach Beginn der Neurulation. Mit Beginn der Spezifizierung hebt sich die
Neuralplatte langsam an ihren beiden Grenzen, die sich aufeinander zu bewegen um miteinander zu
verschmelzen. Dabei entsteht das Neuralrohr, bei dessen Schluß sich die Epidermis und die
Neuralleistenzellen vom dorsalen Bereich ablösen. Die für den entsprechenden Schritt notwendigen
Transkriptionsfaktoren sind jeweils in den Kästchen angegeben. EMT = epitheliale-mesenchymale-
Transition. (Modifiziert nach Gilbert).
Einleitung
12
Frühe Neuralleisten-Faktoren wie c-Myc und sein direktes Zielgen Id3 (inhibitor of DNA
binding 3) spielen eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung eines multipotenten
Vorläuferpools und bei der Kontrolle des Zellzyklus (Bellmeyer et al. 2003; Kee and
Bronner-Fraser 2005). Sox9 reguliert die Anzahl der prä-migratorischen Neuralleistenzellen
über die Induktion des anti-apoptotischen Faktors Snail1 (Cheung et al. 2005; Yan et al.
2005). Spätere neuralleisten-spezifische Transkriptionsfaktoren wie FoxD3 und Sox10
werden in migrierenden Neuralleistenzellen exprimiert. Somit leiten die Neuralleistenfaktoren
eine komplexe Abfolge von Entwicklungsschritten ein, die zu erheblichen Veränderungen in
den adhäsiven Eigenschaften, der Form und der Beweglichkeit sowie der Expression von
charakteristischen Proteinen der extrazellulären Matrix führt. Das macht es möglich, dass die
Neuralleistenzellen sich aus dem Ektoderm herauslösen (sog. epitheliale-mesenchymale-
Transition (EMT)) und auf entsprechende lösliche Signale oder durch Zell-Zell- bzw. Zell-
Matrix-vermittelte Kontakte reagieren können, die ihr Migrationsverhalten beeinflussen.
Während der Schließung des Neuralrohrs beginnen die Neuralleistenzellen sich zwischen dem
dorsalen Teil des Neuralrohrs und der Epidermis herauszulösen und wandern entlang
definierter Pfade in die Peripherie, wobei ihr Bestimmungsort abhängig ist von ihrem
Ursprung entlang der rostro-caudalen Achse des Neuralrohrs. Entsprechend dem Austritts-
level unterscheidet man von anterior nach posterior zwischen cranialen, vagalen, trunkalen
und sakralen Neuralleistenzellen (Anderson 1997).
Die cranialen Neuralleistenzellen, die ventral auswandern, bilden u.a. die cranialen
Ganglien und das cranio-faziale Mesenchym, aus dem die Knochen- und Knorpelstrukturen
des Gesichts und des Schädels entstehen (Abbildung 1.3) (Saldivar et al. 1997). Zellen, die
aus dem vagalen oder auch cardialen Teil der Neuralleiste auswandern, tragen zu Teilen des
Herzens bei, wie dem Septum und der Ausstrombahn (Chan et al. 2004; Hutson and Kirby
2003; Kirby et al. 1983), sowie zu den Ganglien des ENS und besiedeln während der
Embryogenese von anterior nach posterior den gesamten Magen-Darm-Trakt (Gershon 1997;
Taraviras and Pachnis 1999; Young et al. 2001). Trunkale Neuralleistenzellen wie auch
andere Zellen entlang der gesamten Achse, die auf der dorso-lateralen Route wandern,
entwickeln sich zu Pigmentzellen der Haut. Die Mehrzahl der trunkalen Zellen migriert
entlang des ventralen Pfades in bzw. durch die Somiten, wobei sie die Spinalganglien und
autonomen Ganglien des Sympathikus und Parasympathikus bilden, sowie die Zellen des
sensorischen NS und die chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks (Abbildung 1.3). Eine
weitere wichtige Zellpopulation, die sich aus der trunkalen Neuralleiste entwickelt, ist die
Schwann-Zellpopulation (Jessen and Mirsky 2005; Le Douarin and Smith 1988; Sauka-
Einleitung
13
Spengler and Bronner-Fraser 2008). Sakrale Neuralleistenzellen wandern in den caudalen Teil
des Colons ein und sind v.a. für die Ausbildung des ENS im distalen Colon von Bedeutung
(Doyle et al. 2004; Pomeranz et al. 1991).
Abbildung 1.3: Derivate der cranialen und trunkalen Neuralleiste. Aus pluripotenten Neuralleistenzellen enstehen in Abhängigkeit vom Austritts-Level entlang der rostro-
caudalen Achse verschiedenste Zelltypen. Neuralleistenzellen aus der trunkalen Region differenzieren zu
Melanozyten, sensorischen Neuronen und Glia-Zellen sowie chromaffinen Zellen, während Zellen aus der
cranialen Neuralleiste neben Neuronen und Glia-Zellen auch mesenchymale Derivate bilden. (Modifiziert
nach (Knecht and Bronner-Fraser 2002)).
Während der Neuralleisten-Differenzierung regulieren Neuralleistenfaktoren verschiedene
Effektor-Gene, die den unterschiedlichen Derivaten ihre terminal differenzierte Charakteristik
verleihen. Hierbei spielen SoxE-Proteine eine entscheidende Rolle (Haldin and LaBonne
2010). Sox9 wird bereits in prä-migratorischen Neuralleistenzellen exprimiert, wohingegen
Sox10 sich erst in den frühen migratorischen Zellen, die sich gerade vom Neuralrohr
abtrennen, nachweisen lässt. Sox9 ist an der Differenzierung zu cranialem Knorpelgewebe
direkt beteiligt (Lefebvre et al. 1997; Mori-Akiyama et al. 2003). Während der Differen-
zierung von Melanozyten, reguliert Sox10 MITF, mit welchem es dann gemeinsam Dct als
essentielles Enzym für die Melaninsynthese induziert (Ludwig et al. 2004; Potterf et al. 2001).
Im autonomen NS kontrolliert Sox10 die Expression von Mash1 und Phox2b, welche eine
wichtige Rolle in sympathischen Neuronen spielen (Kim et al. 2003). Im ENS aktiviert Pax3,
Einleitung
14
im Synergismus mit Sox10, die Rezeptor-Tyrosinkinase c-Ret, welche das GDNF-Signal
(glial-cell-derived neurotrophic factor) überträgt (Lang and Epstein 2003). GDNF kontrolliert
die Anzahl der enterischen Neurone, indem es die Proliferation der ENS-Vorläufer regelt.
Außerdem koordiniert Sox10 zusammen mit Endothelin3 die ENS-Entwicklung, wahr-
scheinlich indem es dessen Rezeptor EDNRB (protein-coupled endothelin receptor-β) direkt
reguliert (Stanchina et al. 2006; Zhu et al. 2004). In peripheren Gliazellen spielt Sox10 eine
Schlüsselrolle und reguliert u.a. direkt die Expression von Myelinproteinen wie MPZ, MBP
und PLP, aber auch von strukturellen Elementen wie den Gap-Junction-Proteinen Connexin-
32 und Connexin-43 (Bondurand et al. 2001; Peirano et al. 2000; Schlierf et al. 2006).
Damit ist Sox10 durch die Interaktion mit jeweils anderen Kofaktoren in der Lage, im
jeweiligen zellulären Kontext die Differenzierung zu unterschiedlichen Zelltypen zu
ermöglichen.
Im Folgenden wird auf die Schwann-Zellpopulation genauer eingegangen, da sie als
Neuralleisten-Derivat und Expressionsort von Sox10 von besonderer Relevanz für die
vorliegende Arbeit ist.
1.2.2 Schwann-Zellen
Schwann-Zellen sind zusammen mit Satellitenzellen in Ganglien die Gliazellen des PNS
und entwickeln sich aus trunkalen Neuralleistenzellen, in welchen die Induktion neuronaler
Signale ausbleibt. Sie entstehen entlang der sich bildenden Axone und wandern an diesen in
die Peripherie aus.
Abbildung 1.4: Myelinisierende Schwann-Zellen. Myelinisierende Schwann-Zellen umhüllen großkalibrige Axone und isolieren sie elektrisch. Damit wird
eine schnellere, sog. saltatorische Erregungsleitung ermöglicht, wobei das Aktionspotential von
Schnürring zu Schnürring 'springt'. Jede Schwann-Zelle umhüllt nur ein Axon und bildet eine
charakteristische Basallamina aus. (Modifiziert nach (Poliak and Peles 2003)).
Einleitung
15
Axone, welche nicht von Gliazellen umgeben sind, degenerieren nach und nach, da sie für
ihr Überleben auf die trophische Unterstützung der Schwann-Zellen angewiesen sind.
Andererseits ist das Überleben von Schwann-Zellvorläufern wiederum abhängig von
Faktoren, die von Axonen sezerniert werden. Neuregulin1 (NRG1) gilt hierbei als das
wichtigste Überlebens-Signal für Schwann-Zellen (Woodhoo and Sommer 2008). Abgesehen
von einem kleinen Anteil an nicht-myelinisierenden Schwann-Zellen, entwickeln sich die
glialen Vorläufer zu myelinisierenden Schwann-Zellen, welche ihre myelinhaltigen Plasma-
membranen mehrfach um ein Axon wickeln und dieses damit unter anderem elektrisch
isolieren. Um eine Weiterleitung von Aktionspotentialen dennoch zu ermöglichen, sind die
einzelnen Myelin-Segmente durch sogenannte Ranviersche Schnürringe voneinander
getrennt, an welchen das Axon blank vorliegt (Abbildung 1.4). Das erlaubt eine saltatorische
Erregungsleitung, bei der die Aktionspotentiale von einem Schnürring zum nächsten
'springen', wodurch die Leitungsgeschwindigkeit des Nervs ohne Zunahme des Axon-
durchmessers signifikant erhöht wird.
Die Myelinschicht ist eine lipidreiche Membran, in der verschiedene Myelin-Proteine
verankert sind. Ihre große Bedeutung wird an den Folgen demyelinisierender Erkrankungen
erkennbar, welche meist zu starkem Tremor und Lähmungen führen, wie z.B. die Charcot-
Marie-Tooth Neuropathie Typ1 (CMT1).
Abbildung 1.5: Entwicklung der Schwann-Zellpopulation. Schwann-Zellen entstehen aus Sox10-positiven Neuralleistenzellen. Die Entwicklung erfolgt über
mehrere Zwischenschritte, die jeweils anhand charakteristischer Merkmale unterschieden werden
können. Einige der Entwicklungsschritte sind reversibel (gekennzeichnet durch gestrichelte Pfeile).
(Modifiziert nach (Jessen and Mirsky 2008)).
Einleitung
16
Eine Schwann-Zelle durchläuft in ihrer Entwicklung mehrere Entwicklungsstufen, welche
aufgrund des Expressionsmusters molekularer Marker, des Verhaltens gegenüber
Wachstumsfaktoren sowie der Morphologie der Zelle voneinander unterschieden werden
können.
1.2.2.1 Schwann-Zellvorläufer
Die Schwann-Zellvorläufer sind direkte Abkömmlinge der trunkalen Neuralleistenzellen
und es wird angenommen, dass sie sich standardmäßig entwickeln, wenn die Entstehung von
Neuronen oder anderen alternativen Zelltypen unterdrückt wird. Sie sind in der Maus ab dem
11. Embryonaltag nachweisbar. Zu diesem Zeitpunkt liegen im sich entwickelnden,
kompakten Nerv, ohne extrazelluläre Matrix, Bindegewebe und Blutgefäße, große Gruppen
von Axonen vor, die von Schwann-Zellvorläufern umgeben werden, welche über ihre
Fortsätze miteinander verbunden sind (Abbildung 1.5).
Sox10 ist sowohl in Neuralleisten- als auch in Schwann-Zellvorläufern exprimiert, ist
allein jedoch nicht ausreichend, das Umschalten von Neuro- zu Gliogenese zu vollziehen. Es
verändert vielmehr die zelluläre Kompetenz auf exogene Signale zu reagieren, indem es z.B.
die Expression des NRG1-Rezeptors ErbB3 reguliert (Britsch et al. 2001). Der Übergang von
Neuralleistenzellen zu Schwann-Zellvorläufern ist, zumindest in vitro, stark abhängig von
axonalen NRG1-Signalen, die über die beiden Rezeptoren ErbB2 und ErbB3 vermittelt
werden (Kim et al. 2003; Paratore et al. 2001). In Abwesenheit von Sox10, ErbB3 oder NRG1
entwickeln sich keine Schwann-Zellvorläufer, was eine Degeneration von Neuronen zur Folge
hat (Britsch et al. 2001; Riethmacher et al. 1997; Wolpowitz et al. 2000). Auch für Notch
wird eine aktive Funktion während der Gliogenese diskutiert, da es genauso wie NRG1 in
Neuralleistenzellkulturen die Bildung von Schwann-Zellen auf Kosten von Neuronen fördert
(Morrison et al. 2000).
Schwann-Zellvorläufer unterscheiden sich von Neuralleistenzellen unter anderem in der
Antwort auf Überlebensfaktoren. So kann NRG1 das Überleben von Neuralleistenzellen im
Gegensatz zu Schwann-Zellvorläufern nur fördern, wenn diese mit extrazellulärer Matrix in
Verbindung stehen (Woodhoo et al. 2004). Inwieweit dieser Befund auf die Situation in vivo
anwendbar ist, ist fraglich, da Neuralleistenzellen in NRG1-Maus-Mutanten vorhanden sind
und keine erhöhte Apoptose nachweisbar ist (Britsch et al. 1998). Auch FGF2 zusammen mit
IGF1 sowie Endothelin3 sind nur in der Lage gliale Vorläufer zu retten, nicht aber
Neuralleistenzellen (Woodhoo et al. 2004).
Einleitung
17
Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Zellpopulationen besteht in der Expression
verschiedener Differenzierungsfaktoren, wie z.B. B-FABP (brain fatty acid-binding protein),
MPZ und Dhh, welche nur in Schwann-Zellen vorkommen. Während diese Proteine auch in
späteren Stadien der Schwann-Zellentwicklung exprimiert werden, wird Cadherin19
ausschließlich in Vorläufern gebildet.
Die Entwicklung zu Schwann-Zellvorläufern ist zumindest in vitro reversibel und kann in
andere Neuralleisten-Derivate umgelenkt werden. So wurde gezeigt, dass sich endoneuriale
Fibroblasten aus Schwann-Zellvorläufern entwickeln, wenn diese den Kontakt mit Axonen
verlieren, was der Fall ist, wenn sich die Architektur des sich entwickelnden Nervs von einer
dicht gepackten in eine lockere Struktur mit extrazellulärem Raum, Bindegewebe und
Blutgefäßen wandelt (Joseph et al. 2004). Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat ergeben,
dass sich aus Schwann-Zellvorläufern entlang peripherer Nerven, welche Hautgewebe
innervieren, Melanozyten bilden können. Die NRG1-ErbB-Signalkaskade wirkt dieser
Entwicklung entgegen, da in ErbB3-defizienten Mäusen ein deutlicher Anstieg der
Melanoblasten sowie der MITF-Expression in den Bereichen der sich entwickelnden Nerven
beobachtet wurde. Zum Zeitpunkt des Übergangs vom Vorläufer- zum unreifen Schwann-
Zellstadium kommt es zur Kompetition um den Kontakt mit Nervenfasern und damit zur
Limitierung des NRG1-Signals, was die Entstehung von Melanozyten aus Schwann-
Zellvorläufern, die den Nervkontakt verloren haben, begünstigt. Des Weiteren wird die
Differenzierung zu Melanozyten durch IGF1- und PDGF-Signale gefördert, welche von
unreifen Schwann-Zellen produziert werden, so dass mit zunehmender Anzahl an unreifen
Schwann-Zellen die Balance des NRG1-Siganls und der IGF1-/PDGF-Signale zu Gunsten der
Melanozyten-Entwicklung verschoben wird (Adameyko et al. 2009).
1.2.2.2 Unreife Schwann-Zellen
Unreife Schwann-Zellen entwickeln sich aus Schwann-Zellvorläufern in der Maus
zwischen den Embryonaltagen 15 und 16. Zu diesem Zeitpunkt haben die Axone der
peripheren Nerven ihre Zielorgane erreicht und erste synaptische Verbindungen angelegt
(Wolpowitz et al. 2000). Der bis dahin sehr kompakte Nerv lockert sich auf und es entstehen
sogenannte 'Axon-Schwann-Zell-Familien', die aus Gruppen von Axonen bestehen, welche
von mehreren unreifen Schwann-Zellen umgeben sind (Abbildung 1.5). Die Auflockerung der
Nerv-Architektur erfolgt durch eine Verringerung der Expression von N-Cadherin, sowie des
ausschließlich in Schwann-Zellvorläufern exprimierten Cadherin19, welche den Schwann-
Zell-Schwann-Zell-Kontakt vermittelt haben (Takahashi and Osumi 2005; Wanner et al.
Einleitung
18
2006). Das Wissen über weitere Signale, die diese komplexen Veränderungen kontrollieren,
ist bisher relativ begrenzt. Der einzige bislang identifizierte Transkriptionsfaktor, der beim
Übergang vom Vorläufer- zum unreifen Schwann-Zellstadium eine Rolle spielt, ist AP2α
(activator protein 2α). Dabei handelt es sich um einen negativen Regulator, dessen
Expression abgeschaltet werden muss, um den Übergang in das unreife Schwann-Zellstadium
zu ermöglichen. Eine Überexpression von AP2α in Schwann-Zellvorläufern verzögert
dagegen die Schwann-Zellentwicklung (Stewart et al. 2001).
Unreife Schwann-Zellen unterscheiden sich von Vorläuferzellen u.a. in der Expression
bestimmter molekularer Marker. So beginnen sie z.B. Sox2, c-Jun, Laminin und S100β zu
bilden und es entwickelt sich eine Basal-Membran (Jessen and Mirsky 2005). Der wichtigste
Unterschied liegt jedoch in den autokrinen Überlebensmechanismen der unreifen Zellen. Sie
sind nicht mehr auf axonale Signale angewiesen um zu überleben, sondern sind in der Lage,
diese selbst zu produzieren. In vitro konnte gezeigt werden, dass zu diesen Faktoren IGF2
Um Sox10 in ausgereiften Schwann-Zellen in adulten Mäusen zu deletieren, wurde die
PLP::CreERT2-Maus verwendet. In dieser transgenen Maus ist eine Cre-Rekombinase mit der
Ligandenbindungsdomäne des humanen Estrogenrezeptors fusioniert. Aufgrund einer
Dreifach-Mutation, ist die Ligandenbindungsdomäne hochsensitiv für Tamoxifen bzw. 4-
Hydroxy-Tamoxifen (4-OH-T) (Feil et al. 1997). Tamoxifen und sein aktiver Metabolit 4-
OH-T sind sogenannte selektive Estrogenrezeptor-Modulatoren (SERM), welche in der
Hormon-Ersatz-Therapie eingesetzt werden und gewebsspezifisch und abhängig von der
vorliegenden Estrogenkonzentration die Estrogenaktivität modulieren. Durch die Dreifach-
Mutation im Fusionsprotein wird verhindert, dass es zur Beeinflussung durch den
physiologischen Hormonhaushalt in der Maus kommt. In Abwesenheit von Tamoxifen wird
Ergebnisse
25
das Fusionsprotein im Zytoplasma vom Hitzeschock-Protein Hsp90 gebunden. Dies hindert
die Cre-Rekombinase daran, in den Zellkern einzuwandern. Nach Tamoxifen- bzw. 4-OH-T-
Gabe binden diese Liganden an die ERT2-Domäne des Fusionsproteins, Hsp90 dissoziiert
vom Komplex und die Rekombinase kann in den Zellkern einwandern und dort die
Rekombination der loxP-Erkennungssequenzen herbeiführen (Abbildung 3.1) (Leone et al.
2003). Zur Generierung der PLP::CreERT2-Maus wurde der offene Leserahmen des
induzierbaren CreERT2-Fusionsproteins in eine PLP-Expressionskassette eingefügt. PLP ist
ein Myelinprotein, das in den myelinbildenden Gliazellen des ZNS und PNS exprimiert wird.
Das Konstrukt enthält etwa 15 kb der regulatorischen Region des PLP-Gens, die ausreichend
sind, um die Transgen-Expression in Oligodendrozyten und Schwann-Zellen zu lenken
(Leone et al. 2003).
Abbildung 3.1: Schema der Tamoxifen-induzierten Aktivierung der PLP::CreERT2-Rekombinase. In Zellen ohne Tamoxifen ist das Fusionsprotein aus Cre-Rekombinase und Ligandenbindungsdomäne
des Estrogenrezeptors an Hsp90 gebunden und liegt damit inaktiv im Zytoplasma vor. In Anwesenheit des
Liganden Tamoxifen wird Hsp90 vom ERT2-Rezeptor verdrängt (1.+2.) und die Cre-Rekombinase
wandert in den Zellkern ein (3.). Im Zellkern wird Sox10 spezifisch über die Rekombination der loxP-
Erkennungssequenzen deletiert (4.). (Nach (Leone et al. 2003)).
Für die vorliegende Arbeit wurden PLP::CreERT2-Mäuse mit Sox10fl/fl-Mäusen verpaart,
um Tiere zu erhalten, die transgen für die CreERT2-Rekombinase waren und zwei loxP-
flankierte Sox10-Allele besaßen. Um die CreERT2-Rekombinase im Zytoplasma PLP-
exprimierender Zellen zu aktivieren und so einen Sox10-Verlust in diesen Zellen zu
induzieren, wurden zunächst verschiedene Tamoxifen-Applikations-Schemata auf ihre
Rekombinationseffizienz hin getestet. Dabei stellte sich die intraperitoneale Applikation von
jeweils 1 mg Tamoxifen über fünf Tage als das geeignete Schema heraus.
Ergebnisse
26
3.3 Phänotypische Untersuchung der Tamoxifen-induzierten
Sox10-Deletion in reifen Gliazellen des PNS
Zur Untersuchung der Funktion von Sox10 im ausgereiften Nervensystem wurde die
Deletion von Sox10 in vier Monate alten Mäusen nach dem beschriebenen Tamoxifen-
Applikationsschema induziert. Zu diesem Zeitpunkt haben sich Myelinscheiden und Remak-
Bündel durch myelinisierende und nicht-myelinisierende Schwann-Zellen gebildet und es hat
sich ein steady state in den peripheren Nerven eingestellt. Als Kontrolle dienten Mock-
behandelte Mäuse, die nur mit einer 9:1 Mischung aus Sonnenblumenöl und Ethanol, dem
Trägerlösemittel des Tamoxifens, behandelt wurden.
Tamoxifen-behandelte Mäuse zeigten innerhalb der ersten vier Wochen nach Induktion
keine phänotypischen Auffälligkeiten. Etwa 30 Tage nach der Induktion (dpi, days post
induction) wurden erste neurologische Symptome an einer beginnenden Ataxie sichtbar.
Innerhalb der folgenden Tage verstärkten sich die Symptome und erreichten um 39 dpi ihr
Maximum, um sich dann allerdings im Laufe mehrerer Monate nach und nach wieder zu
verbessern. Zum Krankheitshöhepunkt waren die Tamoxifen-behandelten Tiere klar von den
Mock-behandelten Kontrollen zu unterscheiden, da sie offensichtlich krank waren und
Gewicht verloren hatten. Sie spreizten ihre Hinterläufe seitlich ab (Abbildung 3.2 A),
bewegten sich sehr unsicher und zittrig und waren im Vergleich zu den Kontrolltieren
wesentlich weniger agil. Wurden die Tamoxifen-behandelten Mäuse an ihrem Schwanz mit
dem Kopf nach unten hochgehalten, spreizten sie ihre Hinterläufe nicht wie normal seitlich
weg, sondern krampften sie vor ihrem Körper zusammen (Abbildung 3.2 B). Des Weiteren
waren sie nicht in der Lage, sich auf einem Käfiggitter koordiniert zu bewegen und ihr Halte-
vermögen, am Gitter hängend, war drastisch reduziert. Da diese Symptome überwiegend auf
Defekte im PNS hindeuteten, wurde der Nervus ischiadicus als größter Nerv des PNS aus dem
Oberschenkel der Mäuse entnommen und analysiert. Erste makroskopische Untersuchungen
zeigten zwar noch das typische Bandenmuster, das myelinisierte Nerven kennzeichnet, aber
die einzelnen Banden waren dünner und nicht so dicht gepackt wie in Kontrollnerven, so dass
Nerven erkrankter Tiere insgesamt einen durchsichtigeren Eindruck machten (Abbildung 3.2
C,D).
Außerdem konnte an den Tamoxifen-behandelten Mäusen ein Ergrauen des Fells
beobachtet werden (Abbildung 3.2 B). Dieser Pigmentierungsverlust breitete sich meist
ausgehend von Regionen um die Augen und an den Wangen in caudaler Richtung über den
gesamten Körper aus, bildete sich aber im Unterschied zu den neurologischen Symptomen
Ergebnisse
27
nicht wieder zurück, sondern verstärkte sich immer weiter. Dieser Befund deutet auf eine
Sox10-Deletion in Melanozyten hin, stand jedoch nicht im Fokus dieser Arbeit, so dass die
mögliche Ursache und der eventuelle Mechanismus hier nicht analysiert werden.
Abbildung 3.2: Phänotyp von Tamoxifen-behandelten Mäusen und Ischias-Nerven an 39 dpi. Sox10
fl/flPLP::CreERT2-Mäuse (+Tam) spreizen ihre Hinterläufe seitlich ab, wenn sie im Käfig laufen
(A) und krampfen sie vor dem Körper zusammen, wenn sie am Schwanz hochgehoben werden (B). Im
Wangenbereich ist bereits das Ergrauen des Fells sichtbar (B). Erhöhte Transparenz und dünnere
Myelinbanden im Nerv Tamoxifen-behandelter Mäuse im Vergleich zum Nerv Mock-behandelter (-Tam)
Kontroll-Mäuse (C,D).
3.4 Auswirkung der Sox10-Deletion auf die elektrophysiologischen
Eigenschaften der Nerven von Tamoxifen-behandelten Mäusen
Nerven zeigen in Abhängigkeit von Axondurchmesser und Myelinisierung
charakteristische Leitgeschwindigkeiten. Die Nervenleitgeschwindigkeit ist umso höher, je
größer der Axondurchmesser bzw. je dicker die Myelinschicht um das Axon herum ist. Nicht-
myelinisierte Axone, die sogenannten C-Fasern mit einem Durchmesser von maximal 1,5 µm,
zeigen nur eine relativ langsame Leitgeschwindigkeit von bis zu 2 m/s. Die sogenannte
saltatorische Erregungsleitung in myelinisierten A-Fasern ist signifikant schneller und liegt
bei über 20 m/s. Für diese drastische Erhöhung der Leitfähigkeit ohne die gleichzeitig
entsprechende Vergrößerung des Axonquerschnitts sind die Myelinscheiden verantwortlich.
Sie isolieren das Axon elektrisch, so dass die Aktionspotentiale von einem Ranvierschen
Schnürring zum nächsten springen, an welchen die Myelinschicht unterbrochen ist und das
Axon ohne Isolierung vorliegt.
Ergebnisse
28
Elektrophysiologische Untersuchungen an Ischias-Nerven von Tamoxifen- und Mock-
behandelten Tieren an 39 dpi zeigten deutliche Unterschiede im Elektroneurogramm, v.a. der
myelinisierten Fasern. Isolierte Nerven wurden in einer Perspex-Kammer in physiologischem
Puffer mit einer Goldelektrode stimuliert und die Aktionspotentiale monopolar aufgenommen.
Die Amplitude und damit die Anzahl der myelinisierten Fasern mit einer Leitgeschwindigkeit
von 27,5 m/s war in Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere sehr stark erniedrigt und zeigte
außerdem zusätzlich eine langsamere Komponente mit 11 m/s (Abbildung 3.3). Auch die
langsame Erregungsleitung der nicht-myelinisierten Fasern im Bereich von 0,77 m/s zeigte im
Vergleich zur Kontrolle eine verringerte Amplitude sowie eine leichte Verzögerung. Des
Weiteren wurde ein zusätzlicher Peak mit einer Leitgeschwindigkeit von 1,25 m/s im
Elektroneurogramm der Tamoxifen-behandelten Tiere sichtbar, der an Kontrollnerven nicht
nachgewiesen werden konnte (Abbildung 3.3 B,D).
Abbildung 3.3: Elektroneurogramm Tamoxifen- und Mock-behandelter Mäuse an 39 dpi. Monopolar aufgenommene Aktionspotentiale der Nerven von Tamoxifen- (+Tam, C,D) und Mock-
behandelten (-Tam, A,B) Mäusen zeigen charakteristische Unterschiede in der Amplitude und der
Leitgeschwindigkeit, sowohl in der schnellen Leitung der myelinisierten A-Fasern (A,C), als auch in der
langsamen Leitung der unmyelinisierten C-Fasern (B,D). Zu beachten ist die unterschiedliche Skalierung
von A und B im Vergleich zu C und D.
Ergebnisse
29
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Anzahl der myelinisierten Axone im
Tamoxifen-behandelten Ischias verringert hat und außerdem die Dicke oder die Struktur der
Myelinscheide verändert ist. Die zusätzliche Komponente mit einer Geschwindigkeit von 1,25
m/s kam vermutlich von relativ schnell leitenden unmyelinisierten Fasern mit größerem
Durchmesser die vorher myelinisiert waren, was als ein weiteres Zeichen für einen Myelin-
verlust gewertet werden konnte.
3.5 Histologische Analyse der Myelinisierung und der Axon-
Struktur in Sox10-deletierten peripheren Nerven
Um die bei makroskopischer und elektrophysiologischer Prüfung beobachteten
Veränderungen genauer zu analysieren, wurden detaillierte histologische Untersuchungen
durchgeführt. PPD-Färbungen (para-Phenylendiamin), zur Sichtbarmachung der Myelin-
Strukturen auf Semidünn-Schnitten von Nerven Tamoxifen-behandelten Tiere, zeigten an 7
dpi und 15 dpi keine Unterschiede zu Kontrollfärbungen und bestätigten damit den
unauffälligen Phänotyp zu diesen Zeitpunkten (Abbildung 3.4 A,E und Daten nicht gezeigt).
Dagegen wurden zum Zeitpunkt des Krankheitshöhepunktes an 39 dpi deutliche Unterschiede
in der PPD-Färbung sichtbar (Abbildung 3.4 B,F). Wie bereits aus den elektrophysiologischen
Daten abzuleiten war, zeigte sich eine starke Verringerung der Myelinscheiden in Nerven von
Sox10fl/fl PLP::CreERT2-Mäusen. Diese Nerven wiesen im Vergleich zu Kontrollfärbungen
ein recht ungeordnetes Bild auf, wobei einige Areale keinerlei Myelinstrukturen aufwiesen
und andere Regionen wiederum kaum von gesunden Nerven zu unterscheiden waren. Der
Eindruck bestätigte sich auf immunhistochemischen Färbungen mit einem Antikörper gegen
das Myelinprotein MBP (Abbildung 3.4 C,G). Da sich eine intakte Axon- und Schwann-Zell-
Homöostase durch vielfältige, wechselseitige Interaktionen gegenseitig bedingen, wurden
auch die Axone mit spezifischen, neuronalen Markern sichtbar gemacht. Die immunhisto-
chemische Analyse mit Hilfe von fluoreszenz-markierten Antikörpern zeigte ein dem glialen
Phänotyp analoges Bild, mit einer relativ ungeordneten Struktur und einer verringerten
Anzahl an Axonen. Eine repräsentative Färbung ist in Abbildung 3.4 D und H mit dem
neuronalen Marker Tuj1, einem Antikörper gegen βΙΙΙ-Tubulin, gezeigt.
Ergebnisse
30
Abbildung 3.4: Histologische Veränderungen in peripheren Nerven Tamoxifen-behandelter Mäuse. Histologische und immunhistochemische Anfärbung der Myelinscheiden mit PPD (A,B,E,F) bzw. mit
einem Antikörper gegen MBP (C,G) an 15 dpi (A,E) und 39 dpi (B,C,F,G). An 15 dpi ist zwischen
Kontroll- (-Tam) und Tamoxifen- behandelten (+Tam) Nerven kein Unterschied erkennbar (A,E). An 39
dpi zeigen sowohl die PPD- als auch die MBP-Färbung ein sehr ungeordnetes Bild mit weniger
Myelinstrukturen in Nerven mit Sox10-defizienten Schwann-Zellen (F,G) im Vergleich zu
Kontrollfärbungen (B,C). Die Anfärbung der Axone mit dem neuronalen Marker Tuj1 an 39 dpi zeigt ein
analoges Bild (D,H). Maßstabsbalken: 50 µm.
3.6 Elektronenmikroskopisches Erscheinungsbild der Ultrastruktur
von Ischias-Nerven mit reduzierter Sox10-Expression
In Kollaboration mit Prof. E. Tamm in Regensburg wurden elektronenmikroskopische
Aufnahmen von Ultradünn-Schnitten von Nerven Tamoxifen- und Mock-behandelter Tiere an
39 dpi angefertigt. Dies erlaubte eine noch detailliertere und weitreichendere Untersuchung
der Nerv-Struktur.
Mock-behandelte Mäuse zeigten die typische Ultrastruktur peripherer Nerven mit dicht ge-
packten, myelinisierten, großkalibrigen Axonen. Dazwischen waren Remak-Bündel zu finden,
bestehend aus jeweils einer nicht-myelinisierenden Schwann-Zelle, die mehrere kleinkalibrige
Axone umgibt (Abbildung 3.5 A). Die Nerven Tamoxifen-behandelter Mäuse wiesen
elektronenmikroskopisch dagegen die bereits in PPD- und immunhistochemischen Färbungen
beobachtete Reduktion der Myelinscheiden auf (Abbildung 3.5 B-F). Eine signifikante
Anzahl großkalibriger Axone, die gemäß ihrem Durchmesser von myelinisierenden Schwann-
Zellen umgeben sein sollten, lag unmyelinisiert im Nerv vor und war teilweise von
Abbildung 3.5: Ultrastruktur peripherer Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere an 39 dpi. (A) Ultrastruktur in Kontrollnerven (-Tam) mit dicht gepackten, myelinisierten, großkalibrigen Axonen
und zwischengelagerten Remak-Bündeln (weiße Pfeile). (B-F) Unorganisierte Ultrastruktur der Ischias-
Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere (+Tam) mit weniger Myelinscheiden und Axonen. Myelinscheiden
sind oft weniger kompakt, fragmentiert und besitzen manchmal kein intaktes Axon (weiße Pfeile in
B,D,F). Viele großkalibrige Axone besitzen keine Myelinscheide (Sternchen in D, E) und sind von
Schwann-Zellausläufern umgeben (schwarze Pfeile in D,E). Manchmal sind Axon-Gruppen (Sternchen in
F) gar nicht oder nur unvollständig von Schwann-Zellausläufern umgeben (schwarzer Pfeil in F). Viele
myelinisierende Schwann-Zellen besitzen ein stark angeschwollenes Zytoplasma mit vielen vesikulären
Strukturen (Sternchen in C). Zahlreiche Makrophagen sind im Nerv nachzuweisen (M in B,E).
Maßstabsbalken: A,B 2,5 µm, C-F 1 µm.
Ergebnisse
32
Dennoch war eine erhebliche Anzahl von Axonen von einer Myelinschicht umgeben, die
jedoch häufig weniger dicht gepackt war als in Kontrollnerven. Außerdem erschien ein großer
Teil der Myelinstrukturen morphologisch verändert und es waren reichlich Anzeichen von
fragmentiertem Myelin bzw. Myelin-Trümmern vorhanden. Einigen dieser andersartigen
Myelinstrukturen fehlte ein strukturell intaktes Axon, was wiederum die generell verringerte
Verteilungsdichte der Axone erklärte (Abbildung 3.5 B,D,F). Als weitere sehr auffällige
Folge der Tamoxifen-induzierten Sox10-Deletion in peripheren Nerven ließen sich einige
myelinbildende Schwann-Zellen mit äußerst stark angeschwollenem Zytoplasma, gefüllt mit
vesikulären Strukturen nachweisen. Die von diesen abnormen Schwann-Zellen gebildete
Myelinscheide erschien allerdings in der Regel normal, zeigte keine Auffälligkeiten und
umschloss ein intaktes, großkalibriges Axon (Abbildung 3.5 C). Des Weiteren waren kleine
Gruppen von Axonen mittleren Durchmessers nachweisbar, die nicht oder nur unvollständig
von Schwann-Zell-Ausläufern umgeben waren (Abbildung 3.5 F). Zusätzlich zu den
Veränderungen, welche die neuronalen und glialen Strukturen des Nervs betrafen, konnte eine
vermehrte Anzahl an Makrophagen im Nerv gefunden werden (Abbildung 3.5 B,E), was auf
eine entzündliche Reaktion hindeutet.
Die ultrastrukturelle Analyse der Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere ergab damit eine
von Kontrollnerven stark abweichende Morphologie, mit Zeichen von Demyelinisierung,
veränderten Myelinstrukturen, Axon-Degeneration und akuter Entzündung.
3.7 Morphometrische Untersuchung der Ultrastruktur von
peripheren Nerven mit Sox10-Deletion
Zusätzlich zur rein morphologischen Betrachtung der Struktur der Nerven, wurden auch
morphometrische und quantitative Analysen an elektronenmikroskopischen Aufnahmen von
Nerven Tamoxifen- und Mock-behandelter Tiere durchgeführt. Hierzu wurden der
Axondurchmesser und die G-Ratio an Aufnahmen von Nerven an 39 dpi bestimmt. Die G-
Ratio ist das Verhältnis vom Axondurchmesser zum äußeren Durchmesser der das Axon
umgebenden Myelinschicht und gibt somit Auskunft über eventuelle Veränderungen in der
Myelinisierung von Axonen. Die meisten myelinisierten Axone von Vertebraten haben eine
G-Ratio in einem Größenbereich von 0,6-0,7. Dabei variiert die Dicke der Myelinschicht je
nach Axondurchmesser: größere Axone haben eine dickere Myelinschicht und umgekehrt
(Sherman and Brophy 2005).
Ergebnisse
33
Die Sortierung der Axone entsprechend ihres Durchmessers ergab an 39 dpi in Ischias-
Nerven von Tamoxifen-behandelten Tieren eine deutliche Erhöhung des Anteils mit einem
Querschnitt von mehr als 2,5 µm im Vergleich zum Kontrollnerv. Damit gibt es mehr dicke
Axone, die gemäß ihrem Kaliber myelinisiert sein sollten (Abbildung 3.5 A). Etwa 20% der
Axone, die aufgrund ihres Durchmessers von einer Myelinschicht umgeben sein sollten, lagen
jedoch unmyelinisiert im Nerv vor und zeigten dadurch eine G-Ratio von 1 (Abbildung 3.5
B,C). Die G-Ratio und somit die Dicke der Myelinscheide der anderen großkalibrigen Axone
unterschied sich dagegen nicht wesentlich von der in Nerven Mock-behandelter Mäuse und
die Verteilung der G-Ratios war vergleichbar zwischen beiden Nerven (Abbildung 3.5 C).
Um zu überprüfen, ob eventuell Axone mit einem bestimmten Durchmesser stärker von der
Demyelinisierung im Nerv mit Sox10-Deletion betroffen waren als andere, wurden die Axone
in Gruppen mit definiertem Durchmesser eingeordnet. Wie jedoch aus Abbildung 3.5 D
ersichtlich, ist die mittlere G-Ratio in allen Gruppen vergleichbar und liegt im normalen
Rahmen zwischen 0,6 und 0,7.
Abbildung 3.6: Morphometrische Analyse der Ultrastruktur von Nerven mit Sox10-Deletion an 39 dpi. Bestimmung des Axondurchmessers und der G-Ratio in Nerven Tamoxifen- (+Tam, weiße Balken) und
Mock- (-Tam, schwarze Balken) behandelter Tiere. Erhöhter Anteil an Axonen mit einem Durchmesser
>2,5 µm (A) sowie an unmyelinisierten Axonen (G-Ratio =1; B,C) im Nerv mit Sox10-Deletion (weiße
Balken/Kästchen). Vergleichbare Verteilung und Größe der G-Ratio in Abhängigkeit vom
Axondurchmesser, dargestellt als Scatterplot (C) und nach Gruppierung gemäß Axondurchmesser (D).
Ergebnisse
34
Somit zeigten alle bisherigen Analysen eine verringerte Anzahl myelinisierter Axone und
einen erheblichen Anteil an demyelinisierten Axonen bei gleichzeitigem Vorhandensein von
Myelinscheiden mit völlig normaler Dicke und Morphologie. Axone mit dünner
Myelinschicht und somit verhältnismäßig großer G-Ratio waren nicht nachzuweisen, was
gegen eine aktive Remyelinisierung, zumindest an 39 dpi, spricht.
3.8 Charakterisierung der im Nerv Tamoxifen-behandelter Mäuse
vorhandenen Schwann-Zellen mit Hilfe subtyp-spezifischer
Marker
Schwann-Zellen sind Derivate der Neuralleiste und entwickeln sich zunächst aus
undifferenzierten Neuralleistenzellen über Schwann-Zellvorläufer zu unreifen Schwann-
Zellen, um dann in Abhängigkeit von der Größe der assoziierten Axone entweder in nicht-
myelinisierende oder zunächst in pro-myelinisierende und dann in myelinisierende Schwann-
Zellen auszureifen. Perinatal kommt es in myelinisierenden Schwann-Zellen zur Induktion der
Genexpression von Myelinproteinen. Jedes Schwann-Zellstadium lässt sich durch Anfärben
mit spezifischen Markern identifizieren, wobei Sox10 während der gesamten Entwicklung
von den Neuralleistenzellen bis hin zu den ausgereiften Schwann-Zellen nachzuweisen ist
(Jessen and Mirsky 2005) (siehe 1.1.1.3).
Um den molekularen Hintergrund der beobachteten Defekte im Nerv mit Sox10-Verlust zu
untersuchen, wurden immunhistochemische Färbungen auf Gefrierschnitten von Nerven
Tamoxifen- und Mock-behandelter Mäuse an 7 dpi und 39 dpi angefertigt und diese
quantifiziert.
An 7 dpi war die Anzahl der Sox10-positiven Schwann-Zellen im Nerv mit
PLP::CreERT2-vermittelter Sox10-Deletion im Vergleich zum Nerven ohne Rekombination
um 30% erniedrigt (Abbildung 3.7 A,B,Q). An 39 dpi war in weiteren 10% der Schwann-
Zellen die Sox10-Expression gestoppt, so dass am Krankheitshöhepunkt insgesamt etwa 40%
weniger Schwann-Zellen den Transkriptionsfaktor exprimierten (Abbildung 3.7 C,D,R). Zum
frühen Zeitpunkt, an 7 dpi, hatte der partielle Sox10-Verlust noch keine weitere Auswirkung
auf die Expression der anderen untersuchten Schwann-Zellgene (Abbildung 3.7
E,F,I,J,M,N,Q,R). Die Anzahl der Sox2-positiven Schwann-Zellvorläufer, der Oct6-positiven
pro-myelinisierenden, sowie der Krox20-positiven myelinisierenden Schwann-Zellen war in
allen Nerven vergleichbar.
Ergebnisse
35
Abbildung 3.7: Schwann-Zellmarker-Expression an 7 dpi und 39 dpi in peripheren Nerven von Tamoxifen- und Mock-behandelten Mäusen. Gefrierschnitte von Nerven Tamoxifen- (+Tam) und Mock- (-Tam)
behandelter Tiere wurden an 7 dpi (A,B,E,F,I,J,M,N) und 39 dpi
(C,D,G,H,K,L,O,P) mit Antikörpern gegen Sox10 (A-D), Sox2
(E-H), Oct6 (I-L) und Krox20 (M-P) angefärbt. Ko-Färbungen von
Sox10 (grün) und Sox2 oder Krox20 (rot) (R,S). Maßstabsbalken: 50
µm. Quantifizierung dieser Färbungen an 7 dpi (Q) und 39 dpi (T).
Die Anzahl der den jeweiligen Marker exprimierenden Zellen in Mock-behandelten Nerven wurde jeweils auf
100% gesetzt (schwarze Balken) und die Zahl der entsprechenden Zellen in Tamoxifen-behandelten Nerven in
Relation dazu gesetzt (weiße Balken). Für die Quantifizierung wurden jeweils mindestens vier Schnitte von fünf
Mäusen pro Genotyp gezählt. Daten sind dargestellt als Mittelwert ± SEM. Unterschiede zwischen Tamoxifen-
und Mock-behandelten Mäusen sind gemäß Student’s t-test statistisch signifikant (*, P ≤ 0,05; **, P ≤ 0,01; ***,
P ≤ 0,001).
Ergebnisse
36
Auch 15 Tage nach induzierter Cre-Rekombination ergab eine Quantifizierung keine
Unterschiede in der Anzahl der Schwann-Zellen des jeweiligen Stadiums, da in Nerven von
Mock- und Tamoxifen-behandelten Tieren jeweils vergleichbar viele Zellen Sox2, Oct6 oder
Krox20 exprimierten. Lediglich die Zahl der Sox10-positiven Zellen war im Tamoxifen-
behandelten Nerv wie bereits an 7 dpi um etwa 30% erniedrigt (Daten nicht gezeigt). 39 Tage
nach der Induktion, als die Tamoxifen-behandelten Mäuse bereits deutliche Krankheits-
zeichen aufwiesen, war die Anzahl der Oct6-positiven, pro-myelinisierenden Schwann-Zellen
immer noch unverändert (Abbildung 3.7 K,L,R). Allerdings war die Zahl der reifen Schwann-
Zellen, die den für die Myelinisierung notwendigen Zinkfinger-Transkriptionsfaktor Krox20
exprimierten, im gleichen Ausmaß wie die Zahl der Sox10-positiven Zellen - also um 40% -
reduziert (Abbildung 3.7 O,P,R). Die Anzahl der Sox2-exprimierenden Zellen war in Nerven
von Tamoxifen-behandelten Sox10fl/fl PLP::CreERT2-Tieren dagegen um das 2,7-fache
angestiegen (Abbildung 3.7 G,H,R). Während im Mock-behandelten Kontrollnerv alle Sox2-,
Oct6- und Krox20-positiven Schwann-Zellen auch gleichzeitig Sox10 exprimierten, waren
etwa 60% der Sox2-positiven Zellen im Tamoxifen-behandelten Nerv Sox10-negativ.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der partielle Verlust von Sox10 in adulten Nerven
eine Reduktion von reifen, Krox20-exprimierenden Schwann-Zellen nach sich zieht, was zu
einer Erhöhung der Zahlen der unreifen, Sox2-positiven Schwann-Zellen führt. Das bedeutet
folglich auch, dass adulte Schwann-Zellen nicht sterben wenn sie Sox10 verlieren, sondern im
Nerv bestehen bleiben.
3.9 Bestimmung der Transkriptionsrate spezifischer Gene der
verschiedenen Schwann-Zellstadien
Zusätzlich zur immunhistochemischen Analyse auf Proteinebene wurden die
Veränderungen in der Expression der Schwann-Zellgene auch auf RNA-Ebene untersucht.
Ischias-Nerven aus Mock- und Tamoxifen-behandelten Tieren wurden an 39 dpi isoliert und
die Gesamt-RNA extrahiert. Die RNA wurde durch reverse Transkription in cDNA
umgeschrieben und mit Hilfe spezifischer Primer für Sox10, Sox2, Oct6, Krox20 und MBP
wurden die jeweiligen Transkriptionslevel durch semiquantitative real time PCR (rt-PCR)
bestimmt.
Übereinstimmend mit den immunhistochemischen Daten von Nerven aus Tamoxifen-
behandelten Mäusen war der Transkriptlevel von Sox10 stark erniedrigt, von Oct6
unverändert und der von Sox2 signifikant erhöht. Überraschenderweise war jedoch die
Ergebnisse
37
Krox20-Expression unverändert, obwohl in immunhistochemischen Färbungen die Anzahl der
Krox20-positiven Zellen vermindert war (Abbildung 3.8 und Abbildung 3.7 O,P,R). Das
impliziert, dass die Transkriptionsraten in einigen oder in allen der verbleibenden Krox20-
exprimierenden Schwann-Zellen erhöht sein müssen. Der Mechanismus dahinter und der
Grund dafür sind jedoch bisher unbekannt.
Darüber hinaus wurde auch der Transkriptlevel des Myelingens MBP bestimmt. Wie die
bisherigen Untersuchungen der Myelinschicht gezeigt haben, war er in Nerven von
Tamoxifen-behandelten Mäusen im Vergleich zu Mock-behandelten stark erniedrigt
(Abbildung 3.8).
Abbildung 3.8: Semiquantitative rt-PCR von Nerven Tamoxifen- und Mock-behandelter Mäuse an 39dpi. Die relative Expression charakteristischer Schwann-Zellgene in Kontrollnerven (-Tam, schwarze Balken)
und Tamoxifen-behandelten Nerven (+Tam, weiße Balken) wurde mit spezifischen Primern für Sox10,
Sox2, Oct6, Krox10 und MBP mit Hilfe semiquantitativer rt-PCR auf cDNA bestimmt. Transkriptlevel der
einzelnen Proben wurden auf Rpl8 normalisiert und die des Kontrollnerven auf 1 gesetzt. Die
Experimente wurden mit cDNA aus zwei verschiedenen Präparationen pro Genotyp viermal wiederholt.
3.10 Einfluss des partiellen Sox10-Verlusts in peripheren Nerven
auf Proliferation und Apoptose von Schwann-Zellen
Die Quantifizierung der immunhistochemischen Färbungen der einzelnen Schwann-Zell-
stadien zeigte Veränderungen der jeweiligen Zellzahlen. Um dies genauer zu analysieren,
wurden die Proliferation und die Apoptose in Ischias-Nerven untersucht. Die Quantifizierung
der Gesamtzellzahl pro Nervquerschnitt ergab, dass an 39 dpi etwa 1,6-mal so viele Zellen im
Nerv Tamoxifen-behandelter Tiere wie im Nerv Mock-behandelter Mäuse bei vergleichbarem
Nervdurchmesser nachweisbar waren. Diese Zunahme der Gesamtzellzahl wurde mit Hilfe
immunhistochemischer Färbungen überprüft. Hierzu wurde den Mäusen das Thymidin-
Ergebnisse
38
Nukleosidanalogon 5-Brom-2'-Desoxyuridin (BrdU) intraperitoneal verabreicht. Da die
Proliferation in adulten Nerven generell sehr gering war, wurde BrdU an drei aufeinander
folgenden Tagen wiederholt appliziert. Mittels spezifischer anti-BrdU-Antikörper konnte pro
Gewebsschnitt von Nerven Mock-behandelter Mäuse weniger als eine BrdU-positive Zelle
nachgewiesen werden, wohingegen in Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere eine Zunahme
auf etwa 6 positive Zellen pro Schnitt beobachtet wurde (Abbildung 3.9 A,B,C). 7 und 15
Tage nach der Induktion war dagegen auch im Nerv Tamoxifen-behandelter Mäuse die
Proliferationsrate nur sehr gering und mit dem Kontrollnerv vergleichbar (Daten nicht
gezeigt). Übereinstimmende Ergebnisse wurden erzielt, wenn Zellen, welche sich aktiv im
Zellzyklus befanden, mit einem Antikörper gegen Ki67 sichtbar gemacht wurden (Abbildung
3.9 D). Folglich war eine Erhöhung der Proliferation in Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere
reproduzierbar nachzuweisen.
Abbildung 3.9: Proliferation und Apoptose an 39 dpi in Nerven Tamoxifen- und Mock-behandelter Mäuse. Immunhistochemische Färbungen mit einem Antikörper gegen BrdU (grüne Zellen) auf Nerv-
Querschnitten Mock- (-Tam, A) und Tamoxifen- (+Tam, B) behandelter Mäuse. Maßstabsbalken: 50 µm.
Bestimmung der Proliferationsrate durch Quantifizierung der BrdU-positiven Zellen (C) sowie der Ki67-
positiven Zellen (D) von Kontrollnerven (schwarze Balken) und von Nerven mit partiellem Sox10-Verlust
(weiße Balken). Quantifizierung der apoptotischen Zellen (E) von Nerven Tamoxifen-behandelter Mäuse
(weiße Balken) und Nerven Mock-behandelter Mäuse (schwarze Balken). Für die Quantifizierung wurden
jeweils mindestens vier Schnitte von fünf Mäusen pro Genotyp gezählt. Daten sind dargestellt als
Mittelwert ± SEM. Unterschiede zwischen Tamoxifen- und Mock-behandelten Mäusen sind gemäß
Student’s t-test statistisch signifikant (***, P ≤ 0,001).
Ergebnisse
39
Bei der Analyse der Apoptose durch TUNEL-Färbungen auf Nerven mit partiellem Sox10-
Verlust im Vergleich zu gesunden, adulten Ischias-Nerven konnte an 7 und 15 dpi kaum eine
sterbende Zelle detektiert werden. Auch 39 dpi, zum Zeitpunkt des Krankheitshöhepunktes,
war nur eine sehr geringe Erhöhung der Apoptoserate im Nerv Tamoxifen-behandelter Tiere
nachzuweisen (Abbildung 3.9 E).
Dieser leicht verstärkte Zelltod wird jedoch ausgeglichen, wenn man berücksichtigt dass
die Gesamtzellzahl stark angestiegen war. Dennoch kann der lediglich geringe Anstieg der
Proliferationsrate die deutliche, beobachtete Zunahme an Zellen nicht gänzlich erklären.
3.11 Identifizierung der proliferierenden Zelltypen im Nerv mit
Sox10-Deletion
Auch wenn die Proliferation im Nerv Tamoxifen-behandelter Tiere insgesamt betrachtet
relativ schwach war, war es dennoch wichtig, die Identität der sich verstärkt teilenden Zellen
zu bestimmen. Dazu wurden die BrdU-markierten Zellen an 39 dpi immunhistochemisch
zusätzlich mit Markern für verschiedene Zelltypen gefärbt.
Von den wenigen proliferierenden Zellen im Kontrollnerv waren an 39 dpi 60% Sox2- und
Sox10-doppelt-positive Schwann-Zellvorläufer (Abbildung 3.10 A,C,G) und 40% Iba1-
exprimierende Makrophagen (Abbildung 3.10 E,G). In Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere
setzte sich die auf das 6-fache erhöhte Population der proliferierenden Zellen ähnlich
zusammen. 50% der proliferierenden Zellen waren Sox2-positiv, wobei nur 30% Sox2- und
Sox10-doppelt-positiv waren, so dass etwa 20% ausschließlich Sox2 exprimierten (Abbildung
3.10 B,D,G). Diese Zellen sind demnach wahrscheinlich Schwann-Zellen, in welchen Sox10
PLP::CreERT2-vermittelt deletiert wurde. Makrophagen machten wiederum 40% der
proliferierenden Zellpopulation aus (Abbildung 3.10 F,G). In Anbetracht der allgemein
vermehrten Zellteilung in diesen Nerven bedeutet das, dass sich sowohl Makrophagen als
auch Schwann-Zellen im Vergleich zum Kontrollnerv verstärkt teilten (Abbildung 3.10 H).
Dabei sind nicht nur Schwann-Zellen, die Sox10 verloren haben, betroffen, sondern auch
solche, in denen keine Rekombination stattgefunden hat.
Obgleich die Gesamtzellzahl im Nerv mit Sox10-Deletion insgesamt stark erhöht war und
obwohl Schwann-Zellen die Zellpopulation mit der höchsten Proliferationsrate darstellten,
war der relative Anteil der Schwann-Zellen im Ischias-Nerv Tamoxifen-behandelter Mäuse
dennoch von 65% auf 47% reduziert. Daraus lässt sich schließen, dass Schwann-Zellen
wahrscheinlich auch die Zellen sind, welche am stärksten von der Apoptose betroffen sind.
Ergebnisse
40
Darüber hinaus können auch Zellen, welche von außen in den Nerv einwandern, an der
Erhöhung der Zellzahl beteiligt sein, so dass die Proliferation im Nerv-Inneren nicht allein für
den Zellzuwachs verantwortlich ist.
Abbildung 3.10: Proliferierende Zelltypen in Kontroll- und Ischias-Nerven mit partiellem Sox10-Verlust. Immunhistochemische Färbungen auf BrdU-markierten (grün) Gewebsschnitten von Ischias-Nerven
Mock- (-Tam) und Tamoxifen- (+Tam) behandelter Mäuse an 39 dpi mit Antikörpern gegen Sox10 (A,B,
blau), Sox2 (C,D, rot) und Iba1 (E,F, rot). Zellkerne in E und F sind mit Dapi (blau) gegengefärbt.
Maßstabsbalken: 50 µm. (G) Anteil der BrdU-positiven Zellen, die gleichzeitig Sox10 (schwarze Balken),
Sox2 (graue Balken) oder Iba1 (weiße Balken) exprimieren. Die Gesamtzahl der BrdU-positiven Zellen in
Nerven Mock- (-Tam) und Tamoxifen- (+Tam) behandelter Tiere wurde jeweils auf 100% gesetzt. (H)
Durchschnittliche absolute Zahlen der proliferierenden Sox10-, Sox2- und Iba1-positiven Zellen pro
Ischias-Querschnitt. Für die Quantifizierung wurden jeweils mindestens vier Schnitte von fünf Mäusen
pro Genotyp gezählt. Daten sind dargestellt als Mittelwert ± SEM. Unterschiede zwischen Tamoxifen-
und Mock-behandelten Mäusen sind gemäß Student’s t-test statistisch signifikant (***, P ≤ 0,001).
Ergebnisse
41
3.12 Untersuchung des nicht Schwann-Zell-bedingten Zell-
zuwachses in Ischias-Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere
Da die proliferierenden Schwann-Zellen nicht einzig für die Erhöhung der Zellzahl
verantwortlich sein konnten und auch die Gesamtproliferationsrate im Nerv eher gering war,
wurden weitere Zelltypen immunhistochemisch charakterisiert, die Bestandteil des Ischias
sind als auch solche, die physiologischer Weise nicht oder nur in sehr geringer Anzahl im
Nerv vorhanden sind.
Immunhistochemische Färbungen mit einem spezifischen Antikörper gegen den
Makrophagen-Marker Iba1 zeigten auf Querschnitten von Ischias-Nerven Tamoxifen-
behandelter Mäuse einen enormen Zuwachs an positiven Zellen an 39 dpi verglichen mit
Nerven aus Kontrolltieren (Abbildung 3.11 A,B). Berücksichtigt man jedoch, dass 40% aller
sich teilenden Zellen in Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere Iba1-positiv sind (Abbildung
3.10 G) und die Tatsache, dass es sich dabei im Mittel um weniger als drei Makrophagen
handelt (Abbildung 3.10 H), deutet dieses Ergebnis darauf hin, dass der Großteil der
Makrophagen von außen in den Nerv eingewandert sein muss. Auf ähnliche Weise, jedoch in
nicht ganz so ausgeprägter Form, wurde auch eine Zunahme in der Anzahl an CD3-positiven
T-Lymphozyten in Nerven mit verminderter Sox10-Dosis an 39 dpi beobachtet (Abbildung
3.11 C,D). Beide Ergebnisse deuten auf eine starke Aktivierung des Immunsystems hin.
Die Untersuchung der Ischias-Nerven einer anderen Sox10-Mutante, in welcher Sox10
embryonal im Schwann-Zellvorläuferstadium deletiert wurde, zeigte eine starke Zunahme der
Nerv-Vaskularisierung (Finzsch et al. 2010). Um zu überprüfen, inwieweit das auch für einen
Sox10-Verlust im adulten Stadium der Schwann-Zellen relevant ist, wurde die Anzahl der
NG2-positiven Perizyten (Abbildung 3.11 E,F) und der PECAM-positiven Endothelzellen
(Abbildung 3.11 G,H) bestimmt. Immunhistochemische Färbungen mit Antikörpern gegen
NG2 und PECAM ergaben jedoch vergleichbare Ergebnisse in Nerven Tamoxifen- und
Mock-behandelter Mäuse, so dass die Vaskularisierung des Nervs bei PLP::CreERT2-
vermittelter Deletion von Sox10 unverändert bleibt.
Ergebnisse
42
Abbildung 3.11: Vorkommen von Immunzellen und Blutgefäßen in Nerven von Sox10fl/fl PLP::CreERT2-Mäusen mit und ohne Tamoxifen-Behandlung. Anfärbung transverser Schnitte von Ischias-Nerven Mock- (-Tam) und Tamoxifen- (+Tam) behandelter
Mäuse an 39 dpi mit Antikörpern gegen Iba1 (A,B,) um Makrophagen zu markieren und gegen CD3
(C,D), um T-Lymphozyten zu detektieren. Darstellung von Perizyten und Endothelzellen mit Antikörpern
gegen NG2 (E,F) bzw. gegen PECAM (G,H). Inlays in E-H zeigen je ein einzelnes, gefärbtes Blutgefäß.
Maßstabsbalken: 50 µm, in Inlays 20 µm.
Ergebnisse
43
3.13 Analyse der Sox10-Deletion im peripheren Nerv im Verlauf der
Regeneration
Bei der makroskopischen Untersuchung des Phänotyps (siehe 3.3) war zu beobachten, dass
bei den Tamoxifen-behandelten Tieren etwa zweieinhalb Monate nach der Induktion der
Sox10-Deletion eine Regenerationsphase einsetzte, die jedoch nicht zu einer vollständigen
Erholung auf Wildtyp-Niveau führte. Die neurologischen Symptome schwächten sich mit der
Zeit ab, d.h. die Tiere zitterten nicht mehr so sehr und auch der Gang wurde nach und nach
wieder stabiler, allerdings blieb der Schwanztonus reduziert, so dass der Schwanz beim
Laufen am Boden schleifte. Das Krampfen der Hinterläufe vor dem Körper reduzierte sich im
Laufe der Erholung, wenn die Tiere am Schwanz mit dem Kopf nach unten hochgehalten
wurden.
Die Regeneration sollte mittels histologischer Methoden genauer charakterisiert werden.
Hierzu wurden Tamoxifen- und Mock-behandelten Mäusen fünf Monate (160 dpi) nach
Induktion die Ischias-Nerven zur Analyse entnommen.
3.13.1 Untersuchung der Myelinstruktur im Nerv mit Sox10-Deletion während
der Regeneration
Die elektrische Isolierung der einzelnen Axone durch eine Myelinscheide ist entscheidend
für die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit der Nerven. Die während des Krankheits-
höhepunktes beobachteten Symptome waren mit einem signifikanten Verlust an intaktem
Myelin verbunden (Abbildung 3.4). Um zu überprüfen, inwieweit es im Laufe der
Regeneration zu einer Remyelinisierung kam, wurden MBP- und PPD-Färbungen auf
transversalen Schnitten von Ischias-Nerven von Tamoxifen- und Mock-behandelten Tieren in
der Erholungsphase angefertigt, sowie elektronenmikroskopische Aufnahmen von Ultradünn-
Schnitten der Nerven gemacht. Alle Verfahren zeigten zwar eine sichtbare Zunahme der
Myelinstrukturen im Vergleich zu den Analysen an 39 dpi, jedoch noch keine vollständige
Wiederherstellung des Wildtyp-Niveaus (Abbildung 3.12). Die PPD-Färbungen und
insbesondere die elektronenmikroskopischen Aufnahmen, machten anhand der verhältnis-
mäßig dünnen Myelinscheiden um großkalibrige Axone (schwarze Pfeile in Abbildung 3.12)
deutlich, dass tatsächlich eine Remyelinisierung vorlag. Die Verteilungsdichte der Myelin-
scheiden auf den einzelnen Aufnahmen war im Vergleich zum Krankheitshöhepunkt stark
erhöht und entsprach eher einem Wildtyp-Nerv. Des Weiteren waren an 160 dpi in Nerven
Tamoxifen-behandelter Mäuse wie an 39 dpi weiterhin demyelinisierte Axone zu finden
Ergebnisse
44
(schwarzer Stern in Abbildung 3.12 F), deren Anzahl sich jedoch im Verlauf der Regeneration
wesentlich verringert hatte. Ein weiteres auffälliges Merkmal waren einzelne Myelin-
strukturen (schwarze Pfeilspitzen in Abbildung 3.12 F), die ohne Kontakt zu einem Axon im
interzellulären Raum vorgefunden wurden und wahrscheinlich Reste der defekten
Myelinscheiden der akuten Phase der Krankheit waren.
Abbildung 3.12: Myelinstruktur peripherer Nerven während der Regenerationsphase. Färbung mit einem Antikörper gegen MBP (A,B) und PPD-Färbung (B,E) der Myelinscheiden von
Nerven Mock- (-Tam, A-C) und Tamoxifen- (+Tam, D-F) behandelter Tiere in der Regenerationsphase.
Es sind Anzeichen einer Remyelinisierung anhand der charakteristischen dünnen Myelinscheiden
(schwarze Pfeile in E,F) sichtbar. Elektronenmikroskopische Aufnahmen des Kontrollnervs (C) zeigen
eine dicht gepackte, gleichmäßige Verteilung der Myelinscheiden mit Remak-Bündeln (weiße Sterne). In
Aufnahmen von Tamoxifen-behandelten Mäusen (F) sind weiterhin demyelinisierte Axone (schwarzer
Stern) sichtbar sowie Myelinstrukturen ohne Kontakt zu einem Axon (schwarze Pfeilspitzen),
3.13.2 Morphometrische Analyse der Ultrastruktur von Ischias-Nerven in der
Regenerationsphase
Wie bereits an 39 dpi wurden auch in der Regenerationsphase fünf Monate nach der
Induktion die G-Ratios und Axondurchmesser von Nerven Mock- und Tamoxifen-behandelter
Mäuse mit Hilfe der elektronenmikroskopischen Aufnahmen bestimmt. Wurden die Axone
entsprechend ihres Durchmessers sortiert, zeigten Ischias-Nerven Tamoxifen-behandelter
Tiere eine leichte Tendenz zu größeren Axondurchmessern, die jedoch bei weitem nicht so
ausgeprägt war wie am Krankheitshöhepunkt. Die Gesamtverteilung der Axondurchmesser an
160 dpi glich wesentlich mehr der eines gesunden Nerven (Abbildung 3.13 A). Bei der
Sortierung der Myelindicke gemäß der G-Ratio, ergab sich ein signifikant größerer Anteil
hoher G-Ratios in den Nerven Tamoxifen-behandelter Mäuse, was eine Reduktion der Dicke
der Myelinscheide bedeutet (Abbildung 3.13 B).
Abbildung 3.13: Morphometrische Analyse peripherer Nerven fünf Monate nach Induktion. Bestimmung des Axondurchmessers und der G-Ratio in Nerven Tamoxifen- (+Tam, weiße Balken) und
Mock- (-Tam, schwarze Balken) behandelter Tiere in der Regenerationsphase. Aufteilung der Axone in
Gruppen mit definiertem Durchmesser (A). Gruppierung der Axone gemäß ihrer G-Ratio (B). Verteilung
und Größe der G-Ratio in Abhängigkeit vom Axondurchmesser, dargestellt als Scatterplot (C) und nach
Gruppierung gemäß Axondurchmesser (D). Daten in D sind dargestellt als Mittelwert ± SEM.
Unterschiede zwischen Tamoxifen- und Mock-behandelten Mäusen sind gemäß Student’s t-test statistisch
signifikant (*, P ≤ 0,05).
Ergebnisse
46
Tatsächlich waren auch nach fünf Monaten immer noch 12% der Axone, die entsprechend
ihres Durchmessers über eine Myelinscheide verfügen sollten, unmyelinisiert. Weitere 5,5%
wiesen eine erhöhte G-Ratio von 0,9-0,8 und somit nur eine dünne Myelinschicht auf, was
charakteristisch für eine aktive Remyelinisierung ist und in der akuten Phase der Erkrankung
nicht zu sehen war. Bei der Einordnung der Axone in Gruppen definierter Durchmesser zeigte
sich an den resultierenden, durchschnittlichen G-Ratios, dass vorwiegend Axone mit einem
Durchmesser zwischen 1 und 4 µm von der Demyelinisierung bzw. Remyelinisierung
betroffen waren (Abbildung 3.13 C,D).
3.13.3 Charakterisierung der Schwann-Zellsubtypen und Untersuchung des
Immunsystems in Nerven von Mäusen in der Erholungsphase
Die Anteile der verschiedenen Schwann-Zellsubtypen an der gesamten Schwann-
Zellpopulation in peripheren Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere im Vergleich zu
Kontrolltieren waren am Krankheitshöhepunkt signifikant verändert. Es kam zu einer
Reduktion der Anzahl reifer, myelinisierender Schwann-Zellen bei gleichzeitiger Erhöhung
der Anzahl unreifer, Sox2-positiver Schwann-Zellen, die jedoch nicht mehr alle Sox10
koexprimierten. Um die Situation im Ischias-Nerv in der Regeneration zu charakterisieren,
wurden ebenfalls immunhistochemische Färbungen mit subtypspezifischen Antikörpern
durchgeführt und quantitativ ausgewertet.
Der Transkriptionsfaktor Sox10, der in allen Stadien der Schwann-Zellentwicklung
exprimiert wird, war in Nerven Tamoxifen-behandelter Mäuse an 160 dpi wieder in der
gleichen Anzahl an Schwann-Zellen nachzuweisen, wie in Wildtyp-Nerven (Abbildung 3.14
A,B,I). Der Anteil der Sox2-exprimierenden Zellen war wie an 39 dpi deutlich erhöht,
allerdings nicht mehr in ganz so großem Ausmaß (Abbildung 3.14 C,D,I). Auch in der
Regenerationsphase waren im Tamoxifen-behandelten Nerv weiterhin Sox2-positive Zellen
nachzuweisen, welche kein Sox10 exprimierten. Ähnlich wie schon am Krankheitshöhepunkt
war die Anzahl der pro-myelinisierenden, Oct6-exprimierenden Schwann-Zellen im Vergleich
zum Kontrollnerv unverändert (Abbildung 3.14 E,F,I). Wie man bereits aus den vorherigen
Untersuchungen der Myelinstrukturen fünf Monate nach Induktion vermuten konnte, war die
Anzahl der Schwann-Zellen, welche den für die Myelinisierung essentiellen Transkriptions-
faktor Krox20 exprimierten, im Vergleich zu 39 dpi wieder erhöht, lag allerdings noch nicht
wieder auf Wildtyp-Niveau (Abbildung 3.14 G,H,I). Die extreme Aktivierung des
Immunsystems, die in der akuten Phase der Erkrankung vorgefunden wurde, war im Laufe der
Ergebnisse
47
Regeneration abgeklungen, da die Anzahl der Makrophagen im Ischias-Nerv Tamoxifen-
behandelter Tiere wieder der im Kontrollnerv entsprach (Abbildung 3.14 J).
Abbildung 3.14: Immunhistochemische Färbungen der Schwann-Zellsubtypen und Makrophagen in regenerierten peripheren Nerven. Gefrierschnitte von Nerven Tamoxifen- (+Tam) und Mock- (-Tam) behandelter Mäuse fünf Monate nach
Induktion wurden mit Antikörpern gegen Sox10 (A,B), Sox2 (C,D), Oct6 (E,F), Krox20 (G,H) und Iba1
(J,K) angefärbt. Maßstabsbalken: 50 µm. Für die Quantifizierungen dieser Färbungen (I) wurde die
Anzahl der den jeweiligen Marker exprimierenden Zellen in Mock-behandelten Nerven jeweils auf 100%
gesetzt (schwarze Balken) und die Zahl der entsprechenden Zellen in Tamoxifen-behandelten Nerven in
Relation dazu gesetzt (weiße Balken). Für die Quantifizierungen wurden mindestens vier Schnitte pro
Genotyp gezählt. Daten sind dargestellt als Mittelwert ± SEM. Unterschiede zwischen Tamoxifen- und
Mock-behandelten Mäusen sind gemäß Student’s t-test signifikant (*, P ≤ 0,05).
Ergebnisse
48
Insgesamt zeigte sich im peripheren Nerv Tamoxifen-behandelter Mäuse fünf Monate nach
der Induktion wieder ein Bild, das einem Wildtypnerv wesentlich ähnlicher war als zum
Krankheitshöhepunkt, allerdings immer noch deutlich von diesem unterschieden werden
konnte. Das deutet daraufhin, dass Nerven adulter Mäuse in einem gewissen Rahmen zur
Regeneration fähig sind. Auch wenn diese nicht vollständig ist, so ist sie dennoch
ausreichend, um dem Tier wieder eine annähernd normale Lebensweise zu ermöglichen.
Diskussion
49
4 Diskussion
Während über die verschiedenen Funktionen von Sox10 im Laufe der embryonalen
Schwann-Zellentwicklung bereits weitreichende Studien vorliegen (Britsch et al. 2001;
Finzsch et al. 2010), wurde bisher noch nicht untersucht, inwieweit Sox10 auch in
ausgereiften, adulten Schwann-Zellen eine Rolle spielt. In der vorliegenden Arbeit wurde zum
ersten Mal gezeigt, dass Sox10 in der Tat auch benötigt wird, um die strukturelle und
funktionelle Intaktheit des adulten, peripheren Nerven aufrecht zu erhalten.
4.1 Die Rolle von Sox10 in der Entwicklung der Schwann-
Zellpopulation
Schwann-Zellen, die die größte Population der peripheren Glia-Zellen darstellen,
entwickeln sich embryonal aus wandernden Neuralleistenzellen. Diese exprimieren Sox10
und werden im Laufe der embryonalen Entwicklung teilweise zu Schwann-Zellen spezifiziert,
die im Gegensatz zu Neuronen weiterhin Sox10 exprimieren (Kuhlbrodt et al. 1998a). Sox10
ist in der Neuralleistenpopulation für das Überleben der Zellen notwendig, da wandernde
trunkale und vagale Neuralleistenzellen in Abwesenheit des Transkriptionsfaktors eine
erhöhte Apoptose zeigen (Maka et al. 2005; Reiprich et al. 2008). Der verstärkte Zelltod führt
dazu, dass die Zellen auf ihrem Weg in die Peripherie sterben, bevor sie ihre Zielorgane
erreicht haben, und ist somit die Ursache dafür, dass in Abwesenheit von Sox10 keinerlei
Schwann-Zellen gebildet werden (Britsch et al. 2001; Herbarth et al. 1998; Kapur 1999; Kim
et al. 2003). Diese Beobachtung unterscheidet sich jedoch von der Situation nach der
Spezifizierung der Neuralleistenzellen zu Schwann-Zellen. In der Schwann-Zellpopulation ist
der Verlust von Sox10 in unreifen Schwann-Zellen nicht mit einer verstärkten Apoptose der
betroffenen Zellen verbunden, da diese Zellen weiterhin im peripheren Nerv bestehen bleiben
(Finzsch et al. 2010). Die in der vorliegenden Studie durchgeführte Deletion von Sox10 in
adulten Schwann-Zellen zeigt, dass Sox10 auch in ausgereiften Schwann-Zellen nicht
essentiell für deren Überleben ist. Im Ischias-Nerv Tamoxifen-behandelter Tiere war zum
Krankheitshöhepunkt nur eine sehr unbedeutende Anzahl apoptotischer Zellen nachweisbar.
Dagegen waren zahlreiche Sox2-positive, Sox10-negative Zellen vorzufinden - eine Zell-
population, die im Kontrollnerv nicht vorhanden war. Das deutet darauf hin, dass diese
Zellpopulation zumindest zum Teil die Zellen sind, welche Sox10 verloren haben und die als
Diskussion
50
Sox2-positive Zellen weiterhin im Nerv bestehen. Diese Zellpopulation bedingt auch
überwiegend den Zuwachs in der Anzahl der Sox2-positiven Zellen. Die Sox2-positiven,
Sox10-negativen Zellen differenzieren nicht, aber proliferieren aktiv, wie es durch Ko-
Färbungen mit dem Thymidin-Analogon BrdU gezeigt werden konnte. Das spricht dafür, dass
Sox10 auch nicht entscheidend für die Schwann-Zellproliferation ist, sondern vielmehr für die
Aufrechterhaltung der Schwann-Zellidentität und die Progression der Entwicklung der
Schwann-Zellpopulation. Der Verlust von Sox10 in adulten, myelinisierenden Schwann-
Zellen führte zu einer deutlichen Reduktion dieser Schwann-Zellpopulation. Das zeigt, dass
Sox10 nicht nur für die Differenzierung zu myelinisierenden Schwann-Zellen benötigt wird,
sondern letztendlich auch, um den differenzierten Zustand aufrecht zu erhalten.
4.2 Die Bedeutung von Sox10 in myelinbildenden Zellen
Sox10 ist ein bedeutender Regulator der Myelinisierung von Axonen durch
Oligodendrozyten im ZNS und durch Schwann-Zellen im PNS. Die myelinbildenden Glia-
Zellen beider Systeme sind in großem Maße abhängig von der intakten Aktivität des Sox10-
Proteins, obwohl beide Zellpopulationen verschiedenen Ursprungs sind und sich über jeweils
spezifische Zwischenstufen und durch Interaktion mit anderen Faktoren auf sehr
unterschiedlichen Wegen zu myelinisierenden Zellen entwickeln. Da in Schwann-Zellen im
Gegensatz zu Oligodendrozytenvorläufern weder Sox8 noch Sox9 exprimiert sind, kann ein
Verlust von Sox10 nicht durch ein funktionell redundantes, gleichzeitig exprimiertes anderes
SoxE-Mitglied ausgeglichen werden (Stolt et al. 2002). In jeder bisher durchgeführten Studie
über die Funktion von Sox10 an verschiedenen Stadien in der Schwann-Zellentwicklung hat
sich gezeigt, dass die Funktion von Sox10 zu allen untersuchten Zeitpunkten intakt sein muss
(Britsch et al. 2001; Finzsch et al. 2010; Kuhlbrodt et al. 1998a; Schreiner et al. 2007). In der
vorliegenden Arbeit konnte das auch für das ausgereifte, adulte Schwann-Zellstadium
bestätigt werden.
In Schwann-Zellen wurde bereits gezeigt, dass Sox10 die Expression verschiedener Gene,
die an der Myelinisierung beteiligt sind, aktiviert. Dies erfolgt sowohl indirekt durch die
Aktivierung der Krox20-Expression, die ihrerseits die Myelingenexpression stimuliert, als
auch direkt, durch Sox10 alleine, sowie in Kooperation mit dem Zinkfinger-Protein Krox20
(Jones et al. 2007). So ist Sox10 in der Lage, die Expression des Myelingens MPZ über
Bindung an dessen Promotor direkt zu regulieren (LeBlanc et al. 2007; Peirano et al. 2000).
Gleiches gilt für das Myelingen MBP und das gap junction-Protein Cx32 (Bondurand et al.
2001; Stolt et al. 2002). In allen Fällen betsteht ein Synergismus mit dem Transkriptionsfaktor
Diskussion
51
Krox20, der als einer der entscheidenden Aktivatoren der Myelinbildung in Schwann-Zellen
angesehen wird. In Nerven Tamoxifen-behandelter Mäuse hatte der Verlust von Sox10 einen
Verlust von Krox20 zur Folge, da in diesen Nerven keine Schwann-Zellen gefunden wurden,
die Krox20 in Abwesenheit von Sox10 exprimierten. Das bedeutet, dass nicht nur der direkte
Einfluss von Sox10 auf die Myelingen-Expression verloren ging, sondern auch deren
synergistische Aktivierung im Zusammenspiel mit Krox20. Die beobachtete
Demyelinisierung deutet darauf hin, dass dieser Einfluss nicht nur in der aktiven Phase der
Myelinisierung eine Rolle spielt, sondern auch in ausgereiften, myelinisierenden Schwann-
Zellen fortbesteht und somit die stark verminderte oder fehlende Myelingen-Expression im
vorliegenden Phänotyp bedingt. Der Verlust von Krox20 erfolgte sekundär zur Deletion von
Sox10, da die Anzahl Krox20-positiver Zellen erst an 39 dpi reduziert war, die der Sox10-
positiven Zellen aber bereits an 7 dpi. Dies bestätigt bereits publizierte Daten, die zeigen, dass
Sox10 direkten Einfluss auf die Krox20-Expression besitzt und seine Effekte teils über
Krox20 ausübt (Ghislain and Charnay 2006; Reiprich et al. 2010). Die Regulation der
Krox20-Expression erfolgt wahrscheinlich zusammen mit Oct6 und NFAT über den MSE-
Enhancer, einem cis-regulatorischen Element, dessen Aktivierung durch die genannten
Faktoren in vitro und für Oct6 auch in vivo gezeigt ist (Ghislain and Charnay 2006; Kao et al.
2009; Reiprich et al. 2010). Während jedoch sowohl der Verlust der Oct6- als auch der
NFAT-Funktion in der Maus zu keinem kompletten Verlust von Krox20 führte, sondern eher
zu einer zeitlich verzögerten bzw. einer reduzierten Expression (Jaegle et al. 1996; Kao et al.
2009), ist Sox10 der einzige dieser Faktoren, dessen Deletion bzw. Mutation ein vollständiges
Fehlen von Krox20 bedingt (Finzsch et al. 2010; Schreiner et al. 2007).
4.3 Tamoxifen-induzierter Sox10-Verlust in PLP-exprimierenden
Glia-Zellen
Durch die gewählte Deletions-Strategie wurde Sox10 spezifisch in Glia-Zellen
ausgeschaltet, da die Cre-Rekombinase selektiv nur in Zellen exprimiert wird, in denen der
Promotor des Myelingens PLP aktiv ist (Leone et al. 2003). Durch die Tamoxifen-
Induzierbarkeit der Cre-Rekombinase und den angewandten Applikationszeitpunkt war der
Verlust von Sox10 auf das adulte Stadium beschränkt. Im untersuchten Gewebe, dem
peripheren Nerv, wird Sox10 nur in Glia-Zellen und nicht in Neuronen exprimiert (Kuhlbrodt
et al. 1998a). An 39 dpi war die Anzahl der Sox10-exprimierenden Zellen um 40% verringert,
was kein Versagen der Deletion per se bedeutet, da Sox10 physiologischer Weise nicht nur in
Schwann-Zellen, in denen der PLP-Promotor aktiv ist vorkommt, sondern vielmehr in der
Diskussion
52
gesamten Schwann-Zellpopulation. In Bezug auf die Sox10-Deletion in myelinisierenden
Schwann-Zellen kann man in der vorliegenden Studie dennoch nicht von einem vollständigen
Verlust sprechen, da nicht alle PLP- bzw. Krox20-exprimierenden Zellen Sox10 verloren
hatten. Die Anzahl der Krox20-exprimierenden, myelinisierenden Schwann-Zellen war
ebenfalls um 40% verringert, wobei alle Krox20-positiven Zellen auch weiterhin Sox10
exprimierten. Gemäß der gewählten Strategie sollten die Krox20-positiven Zellen komplett
von der Sox10-Deletion betroffen sein. Der Grund für die partielle Deletion liegt
wahrscheinlich an den Sox10-Allelen, da für die PLP::CreERT2-Rekombinase mit dem
angewandten Induktionsschema eine über 80%ige Rekombinationseffizienz mit Hilfe eines
R26-LacZ-Reportergens nachgewiesen ist (Leone et al. 2003). Es ist möglich, dass die gleiche
Cre-Rekombinase in Abhängigkeit des Gens, welches durch die loxP-Erkennungssequenzen
flankiert wird, unterschiedliche Rekombinationseffizienzen aufweist. Offensichtlich sind die
loxP-Erkennungssequenzen im Sox10-Lokus für die PLP::CreERT2-Rekombinase nur schwer
zugänglich. Auch das heterogene Erscheinungsbild der Nerven Tamoxifen-behandelter
Mäuse, das sich in den histologischen Analysen ergab - mit Bereichen, die sehr stark von der
Demyelinisierung betroffen waren, und Bereichen, die kaum vom Kontrollnerv zu
unterscheiden waren - deutet auf ein Mosaik hin. Dennoch war bereits ein partieller Verlust
von Sox10 ausreichend, um typische Symptome einer peripheren Neuropathie mit
Demyelinisierung und Funktionsverlust der betroffenen Nerven zu verursachen, wie es bei
Tamoxifen-behandelten Sox10fl/fl PLP::CreERT2-Mäusen beobachtet werden konnte. Hiermit
wird umso mehr verdeutlicht, dass auch im adulten Nerv der Erhalt der Myelinschicht ein
dynamischer Prozess ist und empfindlich gegenüber Veränderungen in der Expression
beteiligter Gene reagiert. Das wurde bereits erkennbar in einer Studie, in der in adulten
Mäusen Krox20 Schwann-Zellspezifisch deletiert wurde (Decker et al. 2006). In diesen
Nerven kam es zur akuten Demyelinisierung und Einwanderung von Makrophagen.
Allerdings war eine Remyelinisierung, wie sie auch in vorliegender Studie beobachtet wurde,
bereits nach vier Wochen nachzuweisen. Der vergleichbare, aber dennoch unterschiedliche
Phänotyp der beiden Maus-Mutanten macht deutlich, dass beide Transkriptionsfaktoren,
sowohl Sox10 als auch Krox20, eine entscheidende Rolle in der Aufrechterhaltung der
Myelinisierung spielen, weist aber auch auf funktionelle Unterschiede zwischen beiden hin.
So entsteht die verzögerte Remyelinisierung in der vorliegenden Studie vermutlich dadurch,
dass Sox10 im Gegensatz zu Krox20 nicht nur in ausgereiften, myelinisierenden Schwann-
Zellen essentiell ist, sondern auch in Schwann-Zellen früherer Stadien, die als Reservoir für
eine Regeneration dienen können.
Diskussion
53
Neben dem Verlust der Myelinscheiden wurden im Nerv Tamoxifen-behandelter Tiere
auch Anzeichen von axonaler Degeneration durch strukturelle Veränderung der betroffenen
Axone deutlich. Dieser Effekt ist wahrscheinlich sekundär zum Schwann-Zelldefekt bzw.
Myelinverlust, da - wie bereits erwähnt - Sox10 nur in Glia-Zellen der Nerven vorkommt und
die gewählte Deletions-Strategie spezifisch zu einem Verlust von Sox10 in Glia-Zellen führt.
Des Weiteren zeigten nur Axone strukturelle Veränderungen, deren Myelinscheiden nicht
intakt waren und denen daher die trophische Unterstützung durch die Schwann-Zellen
offensichtlich fehlte. Aufgrund des erhaltenen Mosaiks der Sox10-Deletion ist es hier mit den
vorliegenden Daten nicht möglich festzustellen, ob der Verlust von Sox10 generell zum
Zusammenbruch des intakten Myelins und damit zur Degeneration der betroffenen Axone
führt, oder ob auch einige der Schwann-Zellen mit weiterhin intaktem Myelin Sox10 verloren
haben. Hierfür wäre eine Reportergen-Analyse mit passendem Marker notwendig, bei der
Zellen, die Sox10 verloren haben, durch das Reportergen kenntlich gemacht werden.
In weitreichenderen Untersuchungen wäre es interessant, mit einer entsprechenden Maus-
Mutante oder einem entsprechenden Induktionsschema zu klären, ob der aus dem Mosaik
resultierende Phänotyp der gleiche ist wie bei einer kompletten Deletion von Sox10 in allen
myelinisierenden Schwann-Zellen.
4.4 Die verzögerte Ausprägung des Phänotyps
Bei der vorliegenden Strategie der Sox10-Deletion entwickelte sich der Phänotyp relativ
langsam, da erste Anzeichen einer Neuropathie erst etwa vier Wochen nach der Induktion der
Cre-Rekombinase mit Tamoxifen auftraten. Die erste Veränderung, die im Ischias-Nerv
Tamoxifen-behandelter Tiere zu beobachten war, war die Reduktion der Anzahl Sox10-
positiver Zellen um etwa 30% an 7 dpi. Die Expression aller anderen untersuchten Schwann-
Zellgene war zu diesem Zeitpunkt und auch an 15 dpi noch unverändert. Die
Charakterisierung der Rekombinationseffizienz der PLP::CreERT2-Rekombinase, die mit
Hilfe eines R26-LacZ-Reportergens durchgeführt wurde, zeigte, dass die CreERT2-
Rekombinase in peripheren Nerven generell weniger sensitiv gegenüber Tamoxifen reagiert
als im ZNS und somit die Rekombinationseffizienz an 15 dpi etwas geringer ist (82%
peripher vs. 91% zentral) (Leone et al. 2003). Des Weiteren wurde in einer Studie aus dem
Arbeitskreis gezeigt, dass das Sox10-Protein in peripheren Nerven so stabil ist, dass eine
Gendeletion auf Proteinebene erst mit etwa vier Tagen Verzögerung nachzuweisen ist
(Finzsch et al. 2010). Berücksichtigt man die Erkenntnisse aus diesen beiden Studien, ist es
sehr wahrscheinlich, dass die Aktivierung der Cre-Rekombinase und der anschließende
Diskussion
54
Verlust des Sox10-Proteins als auslösender Faktor für den beobachteten Phänotyp mehrere
Tage in Anspruch nehmen und auch an 15 dpi noch nicht komplett waren. Zudem dauerte es
etwa weitere zwei Wochen, bis sich der Phänotyp komplett ausgeprägt hatte. Das könnte seine
Ursache darin haben, dass der alleinige Verlust von Sox10 den Erhalt der Expression von
Myelingenen nur partiell störte und erst der zusätzliche Ausfall von Krox20, wie er an 39 dpi
nachgewiesen wurde, hinzukommen musste, um die vollständige Ausprägung des Phänotyps
zu bewirken. In einer Studie, in welcher Krox20 in adulten, myelinisierenden Schwann-Zellen
deletiert wurde, erfolgte die Demyelinisierung überraschend schnell (Decker et al. 2006).
Dieser Befund wurde u.a. mit einer aktiven Myelinzerstörung nach dem Verlust von Krox20
und dessen hemmendem Effekt auf die Dedifferenzierung interpretiert (siehe 4.5). Im
Gegensatz zu Krox20 konnte für Sox10 kein direkter Einfluss auf das Dedifferenzierungs-
programm, welches Schwann-Zellen nach einer Verletzung aktivieren, nachgewiesen werden
(Le et al. 2005; Parkinson et al. 2004). Somit kommt es bei einem Schwund von Sox10 zwar
zu einer abgeschwächten Aktivierung der Myelinisierung, nicht aber zu einer aktiven
Demyelinisierung. Diese erfolgt erst, wenn auch das Krox20-Protein nicht mehr vorhanden
ist. Der Untergang des Krox20-Proteins wiederum erfolgt wahrscheinlich erst mit einer
gewissen Verzögerung, da die Einbuße der synergistischen Aktivierung des Krox20-MSE
durch Sox10 und Oct6 eventuell zunächst noch durch Oct6 ausgeglichen werden kann, auch
wenn dies kein besonders starker Aktivator ist (Ghislain and Charnay 2006).
4.5 Die Regeneration peripherer Nerven
Das PNS unterscheidet sich vom ZNS enorm in seiner beachtlichen Regenerationsfähigkeit
selbst nach schwerwiegender Verletzung. Sowohl im ZNS als auch im PNS kommt es zur
Degeneration des betroffenen Axons, aber nur im PNS kann das Axon nachwachsen und
wieder mit seinem Zielorgan in Verbindung treten. Hierfür ist die große Plastizität und
regenerative Kapazität der peripheren Glia-Zellen verantwortlich (Parrinello et al. 2010).
Nach einer Verletzung tragen Schwann-Zellen signifikant zur Heilung bei, indem sie durch
Sekretion von Zytokinen eine Entzündungsreaktion auslösen, die zur Beseitigung des
geschädigten Gewebes durch die Aktivierung von Makrophagen führt. Makrophagen, aber
auch Schwann-Zellen selbst phagozytieren Axon- und Myelin-Trümmer und schaffen durch
diese restlose Entfernung des Zellschutts die Voraussetzung für eine vollkommene
Regeneration (Martini et al. 2008; Saada et al. 1996). Im Nerv Tamoxifen-behandelter Mäuse
war die Phagozytose durch die Makrophagen nur unvollständig, da Myelin-Trümmer auch
noch fünf Monate nach der Induktion im Nerv vorlagen. Zu einem Zeitpunkt also, als die
Diskussion
55
zwischenzeitlich stark angestiegene Anzahl der Makrophagen schon wieder auf das
Ausgangsniveau gesunken war und die Mäuse kaum noch Symptome einer Neuropathie
aufwiesen. Des Weiteren bilden Schwann-Zellen im Laufe der Regeneration das sogenannte
Büngner-Band, einen Kanal, der das nachwachsende Axon zurück zu seinen Zielorganen
leitet, und sezernieren verschiedene neurotrophe Faktoren wie NGF, um das Wachstum der
Nerven zu stimulieren (Parrinello et al. 2010). Wie auch in der vorliegenden Studie
beobachtet proliferieren die Schwann-Zellen dabei stark, um ihre Anzahl zu erhöhen und
verloren gegangene Zellen zu ersetzten, aber auch um in einen unreifen Zustand zu
dedifferenzieren, was die Voraussetzung für eine Remyelinisierung ist (Mirsky et al. 2008).
Nach einer Verletzung von adultem Gewebe scheint die Regeneration häufig eine
Rekapitulation von Entwicklungsprozessen zu sein. Allerdings sind oftmals auch andere
Zelltypen an der Heilung beteiligt und das gesamte Gewebsumfeld unterscheidet sich von der
Situation während der Entwicklung, was darauf hinweist, dass weitere Mechanismen beteiligt
sein müssen. Die Vorgänge während der schnellen Veränderungen in der molekularen
Zusammensetzung und damit der Expression verschiedener Proteine sowie der Anzahl der
Schwann-Zellen sind hierbei noch wenig verstanden. In der vorliegenden Studie waren in
Nerven Tamoxifen-behandelter Mäuse sowohl an 39 dpi als auch in der Erholungsphase
zahlreiche Sox2-positive, Sox10-negative Zellen vorzufinden. Diese Zellen stellen, wie
bereits erwähnt, wahrscheinlich die Schwann-Zellpopulation dar, welche Sox10 verloren hat
und dedifferenziert ist. Dedifferenzierte Schwann-Zellen sowie einzelne unreife Schwann-
Zellen, die im adulten Nerv vorhanden sind, bilden das Reservoir für eine Regeneration. In
Wildtyp-Nerven kommt es nach Demyelinisierung und anschließender Dedifferenzierung der
Schwann-Zellen zur Remyelinisierung und dabei zu einem Ablauf, der der Myelinisierung
während der Entwicklung ähnelt. Da allerdings in Nerven Tamoxifen-behandelter Tiere die
meisten Sox2-positiven Schwann-Zellen kein Sox10 mehr besitzen, unterbleiben die
wichtigen Sox10-abhängigen Aktivierungen von Oct6 und Krox20 und damit die Re-
expression der Myelingene in diesen Zellen. Dieses Defizit kann jedoch offensichtlich durch
die wenigen vorhandenen Sox2-/Sox10-positiven unreifen Schwann-Zellen, die gemäß dem
gewählten Deletions-Schema nicht von einem Sox10-Verlust betroffen waren, in erheblichem
Umfang ausgeglichen werden. Dennoch war die Regeneration v.a. auf histologischer Ebene
noch nicht komplett, da im Vergleich zu Wildtyp-Nerven u.a. noch dünnere Myelinscheiden
sichtbar waren. Die unvollständige Regeneration liegt möglicherweise daran, dass die geringe
Anzahl der vorhandenen, unreifen Schwann-Zellen nicht ausreichend ist, um den
entstandenen Verlust der myelinisierenden Schwann-Zellen komplett zu ersetzen.
Diskussion
56
Andererseits ist es aber auch denkbar, dass die unzureichende Beseitigung der Sox10-
defizienten, dedifferenzierten Zellen einer kompletten Remyelinisierung im Wege steht. Die
Anzahl der Sox2-positiven, Sox10-negativen Zellen war zwar nach fünf Monaten im
Vergleich zum Krankheitshöhepunkt stark reduziert, aber dennoch lagen weiterhin einige
dieser Zellen im Nerv vor, die das Resultat einer unvollständigen Apoptose oder einer
unvollständigen Phagozytose durch Makrophagen sein könnten.
4.6 Das Phänomen der Dedifferenzierung von Schwann-Zellen
Ein eindrucksvolles Merkmal von Schwann-Zellen ist ihre Plastizität, da die verschiedenen
Übergänge im Verlauf der Entwicklung der Zellpopulation mit Ausnahme des Schritts von
Schwann-Zellvorläufern zu unreifen Schwann-Zellen reversibel sind (Jessen and Mirsky
2005). Das bedeutet, dass myelinisierende und auch nicht-myelinisierende Schwann-Zellen
dedifferenzieren und den Charakter unreifer Schwann-Zellen annehmen können, wenn
periphere Nerven verletzt werden und dabei Schwann-Zellen den Kontakt mit Axonen
verlieren oder wenn sie in Zellkultur ohne Neurone gehalten werden (Mirsky et al. 2008).
Dedifferenzierung führt zur verminderten Expression myelin-assoziierter Moleküle und zur
Re-Expression von Zelladhäsionsmolekülen. Außerdem exprimieren dedifferenzierte
Schwann-Zellen Wachstumsfaktoren und Zytokine, welche die Axonregeneration fördern.
Abbildung 4.1: Myelinisierungs-Status von Schwann-Zellen. Der Myelinisierungs-Status von Schwann-Zellen kann als Gleichgewichtszustand zwischen zwei
entgegengesetzten Signalsystemen betrachtet werden. Positive Regulatoren (grün) überwiegen in
gesunden Nerven und die Balance verschiebt sich zu negativen Regulatoren (rot) in verletzten oder
pathologisch veränderten Nerven. Während der Entwicklung können die negativen Regulatoren auch den
zeitlichen Beginn und die Rate der Myelinisierung beeinflussen (Nach (Mirsky et al. 2008)).
Dieses Phänomen ist bisher noch nicht weitreichend untersucht, allerdings gibt es einzelne
Studien, die erste Hinweise darauf geben, welche Faktoren hierbei eine Rolle spielen
(Harrisingh et al. 2004; Le et al. 2005; Parkinson et al. 2008; Woodhoo et al. 2007). Entgegen
der bisherigen Annahme, dass Dedifferenzierung lediglich das Resultat verminderter Aktivität
der myelin-fördernden Signalwege sei, deuten einige dieser Studien darauf hin, dass hierfür
Diskussion
57
die Induktion von spezifischen, zell-intrinsischen Dedifferenzierungs-Signalen benötigt wird.
Folglich kann der Myelinisierungs-Status von Schwann-Zellen als eine Art Gleichgewicht aus
entgegengesetzten Signalsystemen betrachtet werden (Mirsky et al. 2008)(Abb. 4.1).
Zu den bisher bekannten negativen Regulatoren der Myelinisierung zählen u.a. Sox2, c-Jun
und Notch (Le et al. 2005; Parkinson et al. 2004; Woodhoo et al. 2007). All diese Faktoren
werden in unreifen Schwann-Zellen stark exprimiert und von Krox20 im Laufe der
Differenzierung unterdrückt. Sox2 und c-Jun wiederum sind in vitro in der Lage, die
Expression von Krox20 und MPZ zu verhindern, wenn sie in Schwann-Zellen exprimiert
werden und damit das Gleichgewicht auf die Seite der negativen Regulatoren der
Myelinisierung verschoben ist (Le et al. 2005; Parkinson et al. 2008). In der vorliegenden
Studie zog die Deletion von Sox10 in adulten Schwann-Zellen einen Verlust von Krox20
sowie eine signifikante Erhöhung der Anzahl Sox2-exprimierender Zellen nach sich.
Gleichzeitig wurde eine stark verminderte Myelinisierung festgestellt. Hierbei ist die
Reduktion von Krox20 jedoch eher die Folge der Sox10-Deletion und damit der fehlenden
Aktivierung des MSE, als die Folge einer verstärkten Reprimierung durch vermehrte Sox2-
Expression, da der Sox10-Verlust früher auftrat. Die Gruppe der Sox2-positiven Schwann-
Zellen, die kein Sox10 ko-exprimieren, stellt möglicherweise dedifferenzierte Zellen dar.
Diese Gruppe war auch am stärksten von der Proliferation betroffen, was ein weiteres Indiz
für die Dedifferenzierung ist, da Zellen, welche sich in einen undifferenzierten Zustand
zurückentwickeln, stark proliferieren (Mirsky et al. 2008). Auch wenn dies erst durch eine
Reportergenanalyse endgültig geklärt werden kann, lässt diese Beobachtung darauf schließen,
dass die Schwann-Zellen, welche Sox10 verloren haben, vermutlich zu Zellen mit dem
Charakter unreifer Schwann-Zellen dedifferenzieren.
4.7 Die Relevanz einer verstärkten Aktivierung des Immunsystems
Eine Aktivierung des Immunsystems, insbesondere von Makrophagen, ist ein
charakteristischer Befund in erblichen, peripheren demyelinisierenden Erkrankungen wie den
verschiedenen Charcot-Marie-Tooth (CMT)-Formen und auch in der verletzungs-induzierten
sogenannten Wallerschen Degeneration. Hierbei spielen komplexe, größtenteils noch
unverstandene, wechselseitige Interaktionen zwischen Schwann-Zellen und Makrophagen
eine entscheidende Rolle. Analysen von genetisch bedingter Demyelinisierung verglichen mit
Verletzungen peripherer Nerven zeigen, dass beide Prozesse gemeinsame Merkmale, aber
auch klare Unterschiede aufweisen (Martini et al. 2008) (vgl. Tabelle 4.1). Degeneration und
Entzündung sind eng miteinander verknüpft und degenerative Vorgänge im Nervensystem
Diskussion
58
können sowohl die Ursache für eine Entzündung sein, als auch deren Folge. Inwiefern die
beobachtete Aktivierung des Immunsystems zur peripheren Neuropathie in Tamoxifen-
behandelten Tieren ursächlich beiträgt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher sagen.
of laminin gamma1 causes apoptosis and prevents proliferation. J Neurosci
25(18):4463-72.
Yu WM, Yu H, Chen ZL, Strickland S. 2009. Disruption of laminin in the peripheral nervous
system impedes nonmyelinating Schwann cell development and impairs nociceptive
sensory function. Glia 57(8):850-9.
Zhu L, Lee HO, Jordan CS, Cantrell VA, Southard-Smith EM, Shin MK. 2004.
Spatiotemporal regulation of endothelin receptor-B by SOX10 in neural crest-derived
enteric neuron precursors. Nat Genet 36(7):732-7.
Publikationen
95
Publikationen
Magdalena Bremer, Franziska Fröb, Tatjana Kichko, Peter Reeh, Ernst R. Tamm, Ueli Suter,
Michael Wegner. 2011. Sox10 is required for Schwann cell homeostasis and myelin
maintenance in the adult peripheral nerve. Glia. 2011 Jul;59(7):1022-32.
Präsentationen
Markus Finzsch, Magdalena Bremer, C. Claus Stolt, Tobias Engelhorn, Arnd Dörfler, Ernst
R. Tamm, Michael Wegner. 2009. Timing of Sox10 deletion determines the resulting
disease phenotype in the nervous system. 3rd International IZKF-Symposium, Kloster
Banz, Bad Staffelstein, Poster.
Lebenslauf
96
Lebenslauf
Persönliche Daten: Magdalena Bremer Geboren am 28.01.1982 In Würzburg
Schulbildung: September 1988 - Juni 2001 Freie Waldorfschule Würzburg
September 1996 - Auslandsaufenthalt am Dominican College Sion Hill Februar 1997 in Blackrock, County Dublin, Irland
Juni 2001 Abitur an der Freien Waldorfschule Würzburg
September 2001 - März 2002 Berufsfachschule für PTA in Würzburg
Akademische Ausbildung: April 2002 - Mai 2006 Studium der Pharmazie an der Johann Wolfgang Goethe
Universität, Frankfurt/Main
August 2004 1. Pharmazeutisches Staatsexamen Mai 2006 2. Pharmazeutisches Staatsexamen
Juni 2006 - November 2006 Praktikum gem. § 4 der Approbationsordnung für Apotheker in der international ausgerichteten Struwwelpeter-Apotheke in Frankfurt/Main
Januar 2007 - Juni 2007 Praktikum gem. § 4 der Approbationsordnung für Apotheker bei Vertex Pharmaceuticals Inc. in
Cambridge/USA im Bereich Drug Innovation Pharmacokinetics
August 2007 3. Pharmazeutisches Staatsexamen
Oktober 2007- März 2011 Dissertation am Lehrstuhl für Biochemie und Pathobiochemie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Wegner
Thema: Die Bedeutung des Transkriptionsfaktors Sox10
für die Schwann-Zell-Homöostase in adulten
peripheren Nerven.
Danksagung
97
Danksagung
Herrn Prof. Dr. Michael Wegner danke ich für die regelmäßige und persönliche Betreuung, für die
Weitsicht und Überzeugung, dass aus meinem Projekt eine Doktorarbeit wird und dafür, dass er mir
als pharmazeutischer ‚Exotin‘ in der Arbeitsgruppe ein Chance gegeben hat.
Herrn Prof. Dr. Manfred Frasch danke ich für die freundliche und bereitwillige Übernahme der
Zweitberichterstattung.
Ganz besonders danke ich Simone Reiprich für das schnelle Korrekturlesen der Arbeit und die
vielen sehr hilfreichen Bemerkungen v.a. bezüglich des strukturellen Aufbaus. Merci beaucoup auch
für die geistige und seelische Unterstützung zu jeder Zeit und das entgegengebrachte Verständnis für
meine Situation, auch wenn diese nicht immer nachvollziehbar war.
Ich danke dem allzeit hilfreich, edel und guten Claus Stolt, der Unmengen seiner Zeit
und sicherlich auch Geduld für mich geopfert hat; für die sehr hilfreichen technischen Tipps,
das Fachsimpeln und Korrekturlesen. Dafür, dass er mich an den Rand meiner Geduld gebracht hat,
weil er nie zufrieden war und mir gezeigt hat, dass es immer auch noch besser geht. Auch wenn es
manchmal nicht so aussah, danke ich Claus ganz herzlich dafür, dass er einer der Menschen war,
wegen denen ich gerne ins Labor gekommen bin.
Ein besonderer Dank gilt meiner persönlichen ‚Hiwi‘ Franziska Fröb, die mich in der letzten Phase
meiner Doktorarbeit unterstützt hat und mir gezeigt hat, was Ordnung eigentlich ist; für die sehr
sorgsame Arbeit und dafür, dass ich mir immer sicher sein konnte, dass sie mitdenkt.
Vielen Dank an alle meine Kollegen aus Labor 4. Danke für die gute Atmosphäre und den Spaß
während der Arbeit. Wir waren zu jeder Zeit ein tolles Team!
Ich danke allen ehemaligen Laborkollegen, die mir auch über die Zeit im Labor hinaus ans Herz
gewachsen sind für ihre Freundschaft, Unterstützung und die vielen tollen, gemeinsamen Momente im
Labor, aber v.a. auch außerhalb des Labors, die mir gezeigt haben, dass es auch ein Leben neben der
Doktorarbeit gibt. Danke Agaber, Sabine, Markus und Andrea!
Meiner Schwester Catinka Bremer danke ich dafür, dass sie innerhalb eines Tages die gesamte Arbeit
auf Schreibfehler überprüft hat, auch wenn sie mit der Hälfte der Wörter nichts anfangen konnte.
Last but not least möchte ich meiner Familie und allen nicht-Labor zugehörigen Freunden dafür
danken, dass sie sich die Mühe gemacht haben zumindest so zu tun, als würden sie verstehen was ich