1 „Ach, wie gut, dass niemand weiß, ...“ : Die Bedeutung des geheimen Namens in der islamischen Magie Dorothee Pielow, Göttingen Vorbemerkung Der Name ist mehr als nur eine Bezeichnung, „nomen est omen“, „der Name ist ein Zeichen“ heißt es in einem lateinischen Sprichwort; er ist ein geheimnisvolles, unsichtbares Bindeglied zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, was besonders deutlich in dem bekannten biblischen Ausspruch von Jesaja zum Ausdruck „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ kommt. 1 Diese wichtige Feststellung unterstreicht die unheimliche Vorstellung, dass das Aussprechen eines Namens das Ergreifen einer ganzen Person zulässt. Dass die Bezeichnung für ein Einzelwesen, der (Personen-)Name, eine magische Kraft in sich birgt, ist eine uralte Vorstellung, die so alt ist, wie das Bewusstsein eines menschlichen Geschöpfes für seine Individualität und Identität. Der Name ist für seinen Träger ein lebenslanges, bestimmendes Bindeglied seines ureigenen Selbst zu seiner Außenwelt. Was die bloße Nennung eines Namens für Emotionen hervorrufen kann, wurde uns erst in jüngster Zeit literarisch auch in den Harry Potter-Büchern sehr anschaulich vermittelt: Lord Voldemort, der darin skizzierte Magier, gilt als so gefährlich, dass man sich darauf einigt, ihn gemeinhin nur mit einem zu flüsternden „du-weißt-schon-wer“ oder „der, dessen Namen nicht genannt werden darf“ zu bezeichnen, da die Sorge besteht, diesen Handlanger des Teufels durch alleinige Nennung seines Namens herbeizurufen. In allen drei abrahamitischen Religionen wird in den Heiligen Schriften das tiefe Mysterium der Bedeutung von Namen, insbesondere aber des Namen Gottes, eindringlich hervorgehoben. Schon in der Thora, genauer im Zweiten Buch Mose, spricht Gott Moses mit den Worten an: „Ich will meine ganze Schönheit vor dir vorüberziehen lassen und den Namen des Herrn vor dir ausrufen.“ 2 Im Neuen Testament führt Johannes bezüglich der Worte Gottes aus: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir und du hast sie mir gegeben, und sie haben an deinem Wort festgehalten.“ 3 Den Auftakt aller göttlichen Offenbarungen an Muḥammad, den Propheten des Islams, bildet die Sure 96 mit den Worten Gottes: „Trag vor im Namen deines 1 Alle Zitate aus der Bibel: Einheitsübersetzung, hier: Jesaja 43:2. 2 Exodus 33:19. 3 Johannes 17:6.
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Die Bedeutung des geheimen Namens in der islamischen Magie
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„Ach, wie gut, dass niemand weiß, ...“ : Die Bedeutung des geheimen Namens in der
islamischen Magie
Dorothee Pielow, Göttingen
Vorbemerkung
Der Name ist mehr als nur eine Bezeichnung, „nomen est omen“, „der Name ist ein Zeichen“
heißt es in einem lateinischen Sprichwort; er ist ein geheimnisvolles, unsichtbares
Bindeglied zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, was besonders deutlich in dem
bekannten biblischen Ausspruch von Jesaja zum Ausdruck „Fürchte dich nicht, denn ich
habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ kommt.1 Diese
wichtige Feststellung unterstreicht die unheimliche Vorstellung, dass das Aussprechen
eines Namens das Ergreifen einer ganzen Person zulässt.
Dass die Bezeichnung für ein Einzelwesen, der (Personen-)Name, eine magische Kraft in sich
birgt, ist eine uralte Vorstellung, die so alt ist, wie das Bewusstsein eines menschlichen
Geschöpfes für seine Individualität und Identität. Der Name ist für seinen Träger ein
lebenslanges, bestimmendes Bindeglied seines ureigenen Selbst zu seiner Außenwelt.
Was die bloße Nennung eines Namens für Emotionen hervorrufen kann, wurde uns erst in
jüngster Zeit literarisch auch in den Harry Potter-Büchern sehr anschaulich vermittelt: Lord
Voldemort, der darin skizzierte Magier, gilt als so gefährlich, dass man sich darauf einigt,
ihn gemeinhin nur mit einem zu flüsternden „du-weißt-schon-wer“ oder „der, dessen
Namen nicht genannt werden darf“ zu bezeichnen, da die Sorge besteht, diesen Handlanger
des Teufels durch alleinige Nennung seines Namens herbeizurufen.
In allen drei abrahamitischen Religionen wird in den Heiligen Schriften das tiefe Mysterium
der Bedeutung von Namen, insbesondere aber des Namen Gottes, eindringlich
hervorgehoben. Schon in der Thora, genauer im Zweiten Buch Mose, spricht Gott Moses mit
den Worten an: „Ich will meine ganze Schönheit vor dir vorüberziehen lassen und den
Namen des Herrn vor dir ausrufen.“2 Im Neuen Testament führt Johannes bezüglich der
Worte Gottes aus: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der
Welt gegeben hast. Sie gehörten dir und du hast sie mir gegeben, und sie haben an deinem
Wort festgehalten.“3 Den Auftakt aller göttlichen Offenbarungen an Muḥammad, den
Propheten des Islams, bildet die Sure 96 mit den Worten Gottes: „Trag vor im Namen deines
1 Alle Zitate aus der Bibel: Einheitsübersetzung, hier: Jesaja 43:2. 2 Exodus 33:19. 3 Johannes 17:6.
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Herrn, der erschaffen hat“; mit der Eröffnungsformel „Im Namen des barmherzigen und
gnädigen Gottes“, das heißt der basmala, werden 113 von insgesamt 114 Suren eingeleitet.4
*
Dieser Beitrag zum Thema der geheimen Namen in der islamischen Magie gliedert sich in
zwei Hauptkapitel mit insgesamt vier Fragestellungen:
Erstens: Zunächst werden die Anschauungen über den schönsten sowie den geheimnisvollen
größten Gottesnamen, der insbesondere in der islamischen Mystik von Bedeutung ist,
dargestellt.
Mit einer Ausführung über die metaphysische Bedeutung des Namens sowie über die
theologische Deutung von Wort und Laut, in der insbesondere die theosophischen
Vorstellungen über den Namen verankert sind, soll beleuchtet werden, warum diese Namen
Gottes von derart herausragendem Interesse für die theologische und mystische Sichtweise
im Islam sind.
Zweitens: Hieran anschließend soll das Augenmerk auf einen ganz eigenen Zweig innerhalb
der islamischen Magie gerichtet werden, der ‘ilm as-sīmiyāʾ, die sich in ihrem
philosophischen Verständnis eng an die zuvor beschriebene Wort- und Lautmystik anlehnt.
Anhand ausgewählter Schriften des populären islamischen Magiers Aḥmad ibn ʿAlī al-Būnī
(gest. 1225) soll die Technik dieser speziellen Magie der Namen mit einigen Beispielen
dargelegt werden.
Die abschließende Betrachtung wird nach einem Resümee des Dargestellten insbesondere
auf die Wissenslücken zur Theorie der Buchstabenmystik und dem der Magie zugeordneten
Bereich der sīmiyāʾ hinweisen.
1. Der schönste, der höchste und der geheime Name Gottes und die metaphysische
Bedeutung des Namens: zur Bedeutung einer Theologie von Wort und Laut
„Allāh“ ist der Eigenname des Einen Gottes und es gilt, dass kein anderes Wesen außer ihm
mit diesem Namen bezeichnet werden kann. Der Name „Allāh“ hat grammatikalisch
gesehen weder eine Mehrzahl noch ein Geschlecht, es ist der Eigenname für die als einzig
und absolut aufgefasste Gottheit, der nur ihm vorbehalten ist.
Was es in der islamischen Religion heißt, einen Namen zu kennen, wird in besonders
eindrucksvoller Weise in Sure 2 des Korans (Q 2:30-3) geschildert. Berichtet wird, wie Gott
den Engeln erklärt, dass er auf der Erde einen „Nachfolger“ einsetzen wird, doch die Engel
weisen Gott skeptisch darauf hin, dass der Mensch auf der Erde „Unheil anrichten und Blut
vergießen werde.“ Gott demonstriert nun gegenüber den Engeln, dass sie trotz ihrer
Weitsichtigkeit bei weitem nicht alles wissen und dass er dem neuen Geschöpf, dem
Menschen, ein Wissen mit auf den Weg gibt, das ihn in seiner Stellung den Engeln überlegen
macht, denn er lehrt Adam, nicht aber sie, die Namen der Tiere. Anschließend fragt Er die
Engel nach den Namen der Tiere, doch diese müssen, ihre Unkenntnis einsehend,
4 Alle Koranzitate nach der Übersetzung von Paret (Übers.), Der Koran. Die basmala fehlt vor Sure 9.
3
antworten: „Gelobt seist du! Wir haben nur das Wissen, das du uns vermittelt hast. Du bist
der, der alles weiß und Weisheit besitzt.“ Von Anfang an, so verdeutlicht es diese Sure, stellt
die Kenntnis der Namen ein herausragendes Wissen dar.5
Mehrfach wird im Koran von den „schönsten Namen Gottes“, den asmāʾ Allāh al-ḥusnā
gesprochen, die besonders hervorgehoben werden: „Und Gott stehen die schönen Namen
zu. Ruft Ihn damit an“6 oder „Ihr mögt zu Gott beten oder zum Barmherzigen. Wie ihr Ihn
auch nennt, Ihm stehen die schönen Namen zu.“7
Nach einer bekannten, von al-Buḫārī überlieferten Tradition heißt es in einem ḥadīṯ:
„Wahrlich, Gott hat neunundneunzig Namen, einen weniger als hundert. Wer sie aufzählt,
geht ins Paradies“8 – eine bemerkenswerte Feststellung, die die enorme Wichtigkeit der
Kenntnis der Namen Gottes für die Muslime veranschaulicht.
Obgleich Gott einzigartig ist und ihm nichts gleicht,9 tragen fast alle seine Benennungen
welthafte, anthropomorphistische Züge. Alle schönsten Namen Gottes, die im Koran
genannt werden, stellen jeweils für sich genommen ein Synonym für Gott dar, sie sind
adjektivische Bezeichnungen, mit denen Er sich selbst bezeichnet. Q 59:23-4 enthält die
umfangreichste Auflistung attributiver Namen Gottes, darin heißt es: „Er ist Allah, außer
dem es keinen Gott gibt. Er ist der hochheilige König, dem das Heil innewohnt. Er ist es, der
Sicherheit und Gewissheit gibt, der Mächtige, Gewaltige und Stolze (…), er ist der Schöpfer,
der Bildner und der Gestalter (…). Er ist der Mächtige und Weise.“
Der berühmte andalusische Mystiker und Philosoph Muḥyī ad-Dīn Ibn ʿArabī (1165-1240),
zugleich einer der bekanntesten islamischen Mystiker, hat in einer Abhandlung mit dem
Titel Inšāʾ ad-dawāʾir die Gottesnamen nach Eigenschaften der Essenz, des Wesens,
prinzipielle oder verständliche Kennzeichen, Attribute der Aktivität, der Majestät, der
Perfektion und der Schönheit kategorisiert.10 Andere teilten die Namen Gottes zweifach in
solche ein, die sich auf „Gottes Schönheit und Güte“ beziehen und in solche, „die auf Gottes
5 Der vollständige Wortlaut von Q 2:31-33 lautet: „Und er lehrte Adam alle Namen. Hierauf legte er sie den
Engeln vor und sagte: ,Tut mir ihre Namen kund, wenn (anders) ihr die Wahrheit sagt!‘ Sie sagten: ,Gepriesen
seist du! Wir haben kein Wissen außer dem, was du uns (vorher) vermittelt hast. Du bist der, der Bescheid
weiß und Weisheit besitzt.‘ Er sagte: ,Adam! Nenne ihnen ihre Namen!‘ Als er sie ihnen kundgetan hatte, sagte
Allah: ,Habe ich euch nicht gesagt, dass ich die Geheimnisse von Himmel und Erde kenne? Ich weiß
(gleichermaßen), was ihr kundgebt, und was ihr (in euch) verborgen haltet.‘“ 6 Q 7:180. 7 Q 17:110; ebenso Q 20:8: „Gott! Es gibt keinen Gott außer Ihm. Ihm stehen die schönen Namen zu“ oder Sure 59:24: „Er ist Gott, der Schöpfer, Erschaffer und Gestalter. Ihm stehen die schönen Namen zu.“ „Ihr mögt zu Allah beten oder zum Barmherzigen. Wie ihr ihn auch nennt, ihm stehen die schönsten Namen zu.“ 8 Wenn man alle im Koran genannten Bezeichnungen für Gott aufzählt, so kommt man auf über hundert Namen. Daher gibt es verschiedene Listen dieser 99 Namen, die voneinander abweichen. So wird z. B. auch Allāh selbst in manchen Listen mitgezählt, in anderen aber nicht. Saḥīḥ Band 3, Seite 198, Hadith-Nr. 2736; Band 9, Seite 119, Hadith-Nr. 7392
ر ح ة :أ ن ير نأ بيهر ج،ع ناأل عر اد،ع ن اأ بوالز ن ث د يب،ح اشع ن ر ان،أ خب م اأ بوالي ن ث :د ق ال لم س ل يهو لىللاع ص للا »سول تسعين ةو تسع لل إن
Gewalt und Majestät“ bezogen sind.11 Es gab und gibt dabei unter den islamischen Gelehrten
diverse Meinungen darüber, welcher innerhalb der koranischen Gottesnamen neben dem
„schönsten“ der „höchste“ sein könnte12, so dass Ibn ʿArabī beispielsweise mit Bezug auf
Sure 87:1: „Preise den Namen deines (aller) höchsten Herrn“ in dem Namen „der
Allerhöchste“ den höchsten Namen sah.13 As-Sayyid aš-Šarīf al-Ǧurǧānī (gest. 1413)
definierte den höchsten Namen als Wesen und Eigenschaft in dem schlichten Namen
„Allāh“14 und Zakariyyā al-Anṣārī (gest. 1488) unterstützt diese Vermutung mit den Worten
„der größte Name ist etwas, womit man Gott im Zustand höchster Verehrung und bei
absoluter Zugewandtheit des Herzens anruft. Solange man ihn damit in diesem Zustand
anruft, wird man erhört nach dem klaren Wortlaut des Korans (...). Die meisten Gelehrten
sind der Ansicht, der Größte Name ist Allah.“15
Interessanterweise gibt es auch hinsichtlich des Namens des Propheten, Muḥammad, Listen
mit v. a. attributiven Namen, die ihn beschreiben und gleichfalls auf neunundneunzig
beziffert werden. Ihnen wird eine ganz spezielle Segenskraft, baraka, beigemessen, so dass
sie sich großer Beliebtheit bei der Namensgebung von Knaben mit Bezug auf ihre schutz-
und glückspendenden Kraft - erfreuen denn anders als die Namen Gottes, die nur ihm allein
gebühren, dürfen die Namen Muḥammads auch von anderen Menschen getragen werden.16
Die Kenntnis dieser Namen ist ausdrücklich kein Geheimnis, sondern sie sind jedem
Gläubigen bekannt und es gilt als segensbringend, diese beispielsweise mit Hilfe einer
Gebetskette,17 die mit neunundneunzig Perlen, für jeden Namen eine, bestückt ist, zu
rezitieren.
In den Namen Gottes wird das Unaussprechliche, nur schwer zu bestimmende Wesen seiner
selbst aussprechbar, da sie mit ihm identisch sind. Aufgrund dessen ist ein großes
Faszinosum mit den Namen verbunden. In der islamischen Mystik18 wurde aufgrund ihrer
im Koran deutlich hervorgehobenen Nennung die Frage, wie und zu welcher Gelegenheit
die Namen zu gebrauchen sind, zu einem überaus wichtigen Thema, dessen gemeinsamer
Ausgangspunkt der Gedanke ist, Gott habe sich, da sein Wesen jenseits aller Qualitäten ist,
vermittels der Namen manifestiert.19 Auch die besondere Frage nach dem „größten“ Namen
Gottes, der die Vorstellung eines geheimnisvollen hundertsten und verborgenen Namens
einschließt und der im Gegensatz zu allen anderen Namen als großes Mysterium gilt, wurde
hier intensiv diskutiert. Dieser sei aber weder für den einfachen Menschen aussprechbar
noch zugänglich, denn seine Kenntnis ist ein überaus machtvolles Instrument, mit dem man
11 Schimmel, Dimensionen 252. 12 Dass dies einer von den aus dem Koran bekannten Gottesnamen sein kann, geht auf eine Überlieferung von Ibn Māǧa (gest. 886) zurück, vgl. die Übersetzung dieses hochangesehenen ḥadīṯ bei Doutté Magie et religion 204-5. 13 Vgl. Afiffi, Mystical 74. 14 Vgl. Meier, Kubrā 41. 15 Vgl. Meier, Kubrā 43. 16 Vgl. Schimmel, Dimensionen 310. 17 Ausführlich hierzu siehe Venzlaff, Rosenkranz 1985. 18 Über den Ursprung der hohen Bedeutung des höchsten Namens in der islamischen Mystik gibt es verschiedene Ansätze, die hier nicht im Einzelnen diskutiert werden können. Tor Andrae sieht ihren Ursprung in der hellenistischen Gnosis, siehe Andrae: Die Person Muhammeds. Für weitere Überlegungen siehe Meier, Kubrā 147-8. 19 Schimmel, Dimensionen 380.
5
wahre Wunder bewirken kann.20 Eine umfassende Übersicht der gelehrten Auffassungen
über den größten Namen innerhalb der Mystik hat der bekannte Traditionsgelehrte, Jurist
und Historiker Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī (gest. 1505) in seiner Schrift ad-Durr al-munaẓẓam fī ism
Allāh al-aʿẓam zusammengestellt, in der er immerhin zwanzig verschiedene etablierte
Ansichten darüber, was der höchste Name Gottes sein könnte, auflistet.21 Ungeachtet der
Frage, welches der schönste oder höchste Name denn sei, bestand aber allseits Einigkeit
darüber, dass es unter allen diesen Namen keinen „kleinsten“ Namen gibt.
Der Gläubige sieht sich aufgefordert, die Nähe zu Gott insbesondere durch die Namen zu
suchen und so wurden bestimmte, in der Praxis anzuwendende Techniken entwickelt, die
Anleitungen dazu geben, welcher der Namen zu welchem Anlass und welcher Gelegenheit
besonders geeignet ist. Ist der Betende zum Beispiel hungrig, so ist der Name „der
Ernährer“ als der geeignetste in das Bittgebet einzuschließen; befindet sich der Betende in
einem Rechtsstreit, so wäre der Name „der Gerechte“ zu empfehlen um so den Bitten an
Gott Nachdruck zu verleihen. Zudem wurden Methoden wie die vielfachte Wiederholung
des Namens, der ḏikr, entwickelt, der typisch für das intensive Gebetsritual der Mystiker ist.
Der tiefen Bedeutsamkeit des Namens im Spiegel der Mystik liegt ein komplexes
metaphysisches Modell zugrunde, welches zur Idee der „Sprachmystik“22 leitet und das zum
tieferen Verständnis an dieser Stelle skizziert werden soll:23
Der Islam ist, ebenso wie das Judentum und Christentum, eine Schriftreligion. Mit der
Aufforderung an Muḥammad „vorzulesen“ bzw. „vorzutragen“24 werden die für den Islam
so wichtige Bedeutung vom Wort und Schrift und deren enge Verbundenheit von Beginn
des Islams an nachhaltig hervorgehoben. Die Sure weist in ihrer Ausdrücklichkeit zur
Geltung von Wort und Schrift Parallelen zu den ebenso eindrucksvollen Worten aus dem
Johannesevangelium auf, in dem es heißt: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei
Gott, und Gott war das Wort“,25 mit denen das Wort, bzw. die Sprache, zum Beginn allen
Seins erklärt wird.
So bezeugen Bibel und Koran, dass Gott Kommunikation stiftet: einmal zwischen den
Menschen und einmal zwischen sich und ihnen. Gott lässt die Menschen daher nach
Aussage des Korans wissen: „Und wenn dich meine Diener nach mir fragen, so bin ich
(ihnen) nahe und erhöre, wenn einer zu mir betet, sein Gebet“ (Q 2:186).
20 Vgl. Schimmel, Dimensionen 251: „Im Allgemeinen zählt man 99 dieser rühmenden Namen. Der „Größte
Name“ ist verborgen; aber manche Mystiker behaupteten, ihn zu besitzen, was ihn zu allen Arten von
Wundertaten befähigte.“ 21 Vgl. Schimmel, Dimensionen 143. 22 Dieser Begriff wurde von dem herausragenden Kenner und Spezialisten Gershom Scholem (1897-1982), dessen Untersuchungen zum Verständnis der Kabbala weit über den Kreis der Judaistik in der Religions-, Geschichts- und Sprachphilosophie wie auch in der Literaturwissenschaft eine beachtliche Resonanz erfuhren, geprägt, der ihn speziell auf die jüdische Kabbala anwendet. Vgl. hierzu insbesondere Scholem, Sprachtheorie 243-99. Ebenso hat ihn Walter Benjamin ab 1915 in seinen sprachtheoretischen Ausführungen geprägt. 23 Die detaillierte Beschreibung der Sprachmystik sowie ein Vergleich der islamischen mit der jüdischen Mystik sind an dieser Stelle und in diesem Rahmen nicht möglich. Ausführlich zur Sprachmystik in der Kabbala siehe Scholem, Sprachtheorie. 24
Vgl. S. 1, Sure 96. 25
Johannes 1:1-2.
6
Die Offenbarung, so die Botschaft von Bibel und Koran, geschieht mittels der Sprache. Dass
diese auch einen symbolischen Charakter haben müsse, ist eine Schlussfolgerung, die sich
ganz logisch anknüpft, denn die offenbarten Worte Gottes stellen ja für den Menschen die
innigste Verbindung zu Gott dar, so dass die Sprache als die Offenbarung aller Geheimnisse
alles Seienden verstanden werden kann. Der Koran stellt diesbezüglich ganz explizit die
überragende Bedeutung von Gottes Wort, das in seiner Dimension unendlich ist, dar.
Besonders schön illustriertwird die Unendlichkeit der Worte in Q 31:27 mit dem Zitat:
Und wenn alles, was es auf der Erde an Bäumen gibt, Schreibrohre wären, und das
Meer Tinte und, nachdem es erschöpft ist, sieben weitere Meere als Nachschub
erhielte, damit die Worte Gottes alle niedergeschrieben werden können, würden
die Worte Gottes nicht zu Ende gehen.
In der theologisch-mystischen Interpretation wird daraus nun gefolgert, dass in alle
Momente der Schöpfung Momente des Göttlichen eingehen; dass das Wesen der Welt
Sprache und dass dabei der Name Gottes der metaphysische Ursprung aller Sprache sei. In
der Verschiedenheit der Gottesnamen, mit denen sich Gott in seiner Heiligen Schrift selbst
beschreibt, wird dabei eine Vielheit seiner Offenbarungsweisheiten erblickt. Die besondere
Hervorhebung der schöpferischen Kraft und Wesenhaftigkeit der Laute wird in diesem
mystischen Verständnis explizit hervorgehoben, die phonetische Spezifizierung der Laute,
welche in den Gottesnamen ihren Anfang nimmt, bezeichnet demnach verschiedene
Etappen des Schöpfungswerkes selbst.26
Entsprechend dieser Vorstellung steht im Zentrum dieser Theologie der Sprache also
konkret der Name Gottes, der von Beginn an unter allen Worten als Ausdruck Gottes für
sich selbst über allen anderen Worten steht, da Er sich in diesen Namen emaniert hat. Die
Kenntnis der Namens, denen entsprechend ein Teil des Göttlichen innewohnt, so die
weiterführende Idee, führt zu der Vorstellung eines Erkennens und einer größtmöglichen
Annährung desjenigen, der diesen Namen anruft, also einer Identifikation von
Namensträger und Namenskenner. Diese Vorstellung erklärt schließlich die überaus hohe
Bedeutung der Spekulationen über die Gottesnamen in der historischen Entwicklung der
islamischen Mystik.
Wir erkennen in dieser Anschauungen deutlich Parallelen insbesondere zur zentralen
Stellung der Gottesnamen in der jüdischen Kabbala, die als mystischer Ansatz in der
europäischen Forschung wesentlich bekannter ist als der islamische, besonders aber mit
Blick auf die Buchstabenmystik im Sefer Jezira27, in der der Name Gottes sowohl als Symbol
als auch als Bindeglied verstanden und interpretiert wurde, und bei der die Buchstaben, aus
denen diese gebildet werden, als Bausteine der Schöpfung aufgefasst werden.
26 Vgl. hierzu den Artikel: Kabbala, in Herlitz, Jüdisches Lexikon III, 515. 27 Das zentrale Referenzwerk der jüdischen Sprachmystik ist das Buch Jezira. Ausgangspunkt sind 32 Pfade der Weisheit Gottes, die aus den zehn Urzahlen (den Sefiroth), die als Grundmächte der Schöpfung angeführt werden, und aus den 22 Buchstaben, die als Grundmächte alles Geschaffenen gedacht werden. Die Schöpfung der Spekulation des Buches Jezira vollzieht sich derart, dass Gott durch gewisse Prozeduren der Kombination dieser 22 Buchstaben mit den zehn Sefiroth alle Schöpfung hervorrief. Dies erzeugt ein göttliches Alphabet, das den Ursprung der Sprache, die Schöpfung, markiert. Im magischen Gebrauch des Namen Gottes wird versucht, durch umständliche Kombinatorik, den Namen Gottes aus den Buchstaben von religiösen Texten zu extrahieren. Schöpfung bedeutet so gesehen Sprachbewegung. Vgl. hierzu Scholem, Name Gottes, 256.
7
Die Grundlage aller kabbalistischen Traditionen ist die Suche nach der Erfahrung einer
unmittelbaren Beziehung zu Gott, welche mit dieser Sichtweise der Namen als bindendes
Glied von Gott zu Mensch gut entsprochen werden konnte, ein Ansatz, der ebenso in der
islamischen Mystik formuliert wird. Die absolute Ehrfurcht vor dem numinosen
vierbuchstabigen Namen Gottes Jahwe, der im Tanach stets als Tetragramm mit den
Buchstaben JWHW dargestellt wird und in dem der Name als direkter Mittler der
Offenbarung, als Ausdruck von der unendlichen Größe und Erhabenheit Gottes erscheint,
führte in der jüdischen Theologie schließlich dazu, dass er als „unaussprechbar“ befunden
wurde. Er wurde daher in der gesprochenen Sprache durch „HaSchem“ (der Name) oder
schlicht mit dem Begriff „Adonai“ (mein Herr) ersetzt. Gott, so die Botschaft, ist einzigartig
und absolut. Er darf nicht bildlich dargestellt werden, eine direkte Anrede muss vermieden
werden, denn der Name Gottes ist so unergründlich wie Gott selbst. Eine direkte Benennung
würde sein Wesen einschränken. Diese streng ehrfürchtige Meidung des Namen Gottes gibt
es in dieser extremen Sichtweise in der islamischen Theologie nicht, dennoch wird auch
hier betont, dass der höchste Name Gottes nur wenigen Auserwählten vorbehalten und im
Allgemeinen als großes geheimnisvolles Mysterium zu betrachten sei.28
Die Sichtweise, im geoffenbarten Namen Gottes innerhalb der Heiligen Schrift den
eigentlichen Schöpfungsakt zu sehen und in diesem die gebündelte, konzentrierte Kraft
Gottes zu erkennen, ließ folgenden Leitgedanken in der sich daraus formierenden Wort-
und Lautmystik zu, die zugleich, wie wir sehen werden, großen Eindruck auf bestimmte
magische Praktiken im Islam machte:
Zuerst gab es Gott und seinen Namen. Im Namen entfaltet sich die Sprache Gottes, die sich
dann in der Schöpfung mitteilt. Hieraus leitete sich folgerichtig die Vorstellung ab, die
Gottesnamen in ihre Bestandteile, nämlich in ihre Buchstaben, zu zerlegen, denn der
unmittelbare Niederschlag der Laute sind ja die Buchstaben, die als diejenigen Elemente
verstanden werden. Durch deren Kombination schuf Gott alles, so dass dem Alphabet selbst
eine hohe Bedeutung zugemessen wird, sind es doch die Buchstaben, die nach diesem
Verständnis die Urelemente des Seins und Werdens sind, die sich in den Sprachlauten
manifestieren und aus deren Kombinationen Worte hervorgehen.
Die Wissenschaft, Deutung und Interpretation der Buchstaben, der „ʿilm al-ḥurūf“, stellt
eigenen wichtigen Zweig innerhalb der islamischen Mystik und Magie dar, gelten die
Buchstaben doch als die unmittelbaren Träger der göttlichen Wahrheit und die einzelnen
Laute als Träger des göttlichen Urwortes. Die einzelnen Buchstaben sind insofern die
unmittelbaren Emanationen des Göttlichen, jedem von ihnen wohnt daher eine bestimmte
Segenskraft inne, so dass insbesondere den Namen Gottes, die aus ihnen gebildet werden,
diese Kraft inhärent sein soll. Insofern fühlen die Mystiker, dass es nicht einen Buchstaben
gäbe, der nicht Gott in irgendeiner Weise preisen würde. Die arabischen Buchstaben zu
lernen ist daher für jeden Muslim notwendig, denn sie sind die „Gefäße der Offenbarung.“29
Daraus leitet sich nun für die Praxis der Gedanke ab, dass die über die Wortbedeutung
28 Vgl. Schimmel, Dimensionen 250-1. 29
Schimmel, Dimensionen 578.
8
hinausgehende geistige Urbedeutung der Wortelemente durch mannigfache Kombinatorik
der Buchstaben ergründet werden kann, mehr noch, dass man die gesamte Schöpfung und
die Geschehnisse in dieser Welt wie einen Code mithilfe der Buchstaben mit diesem
„himmlischen Scrabble“30 interpretieren und dechiffrieren kann.
Der frühe Ursprung der Buchstabenmystik ist bereits in den altorientalischen
babylonischen gematrischen Schriften und in den voces mysticae der ägyptischen Priester
und Magier31 zu finden, welche wiederum die griechische pythagoreische Zahlenmystik
inspirierten.
Mit der Buchstabenmystik eng verknüpft ist die Zahlenmystik, die Gematria, bei der den
einzelnen 28 Buchstaben nach unterschiedlichen Schlüsseln Zahlenwerte beigemessen
werden und nach denen jedes Wort auch als eine Gruppe von Zahlzeichen gelesen werden
kann. Die altorientalische Zahlensymbolik sowie das alphabetische Zahlensystem der
Griechen32 wurde in die islamische Buchstabenmystik mit einbezogen.
Annemarie Schimmel weist in ihrem Werk Mystische Dimensionen des Islams in einem
gesonderten Exkurs auf die Bedeutung des Buchstabensymbolismus in der Sufi-Literatur hin
und listet hier eine Reihe von erstaunlichen wie auch amüsanten Vorstellungen über die
hohe Symbolkraft der einzelnen Buchstaben auf.33 So verweist sie u. a. darauf, dass die
meisten Mystiker ihre Meditationen auf den Buchstaben Alif richteten, den ersten
Buchstaben des Alphabets, der sich als schlanke aufrechte Linie von den anderen
Buchstaben optisch unterscheidet. Dieser Buchstabe symbolisiert Einheit und Einzigkeit, er
ist der stolz aufrechtstehende Buchstabe der aḥadiyya, alle anderen Buchstaben wurden
dann aus dieser schlanken Linie geformt, was ebenfalls als großes Wunder angesehen wird.
Doch zugleich wird vor der anmutigen aufrechten Gestalt des Alif gewarnt, denn er ähnelt
darin dem Satan und seiner hochmütigen Weigerung, sich von Gott zu verneigen und zu
krümmen. Der Buchtstabe Bāʾ hingegen, der zweite im Alphabet, symbolisiert sogar den
ganzen Schöpfungsakt, denn er steht zu Beginn der basmala und anders als das Alif warf sich
das Bāʾ bei der Schöpfung demütig der Länge nach nieder. Dieser Buchstabe demonstriert
hingebungsvolle Demut. In dem Buchstaben Hāʾ sehen andere Mystiker nicht nur das
allergrößte Geheimnis der Schöpfung, sondern auch den größten aller Gottesnamen, denn
er ist der letzte Buchstabe im Namen Allāh und der erste in dem Wort: huwa, „Er“.
In diesem Zusammenhang sei auch die mystische Gruppierung der Ḥurūfīs genannt, eine
Bewegung, deren Namen direkt auf die Buchstaben (der Plural von arab. ḥarf, Buchstabe, ist
ḥurūf) anspielt und die auf ihren im Iran geborenen Begründer Faḍallāh Astarābādī (1340–
1394) zurückgeht. In dem einzelnen Wort sehen die Ḥurūfīs die höchste Manifestation
Gottes, wobei insbesondere die Interpretation des Alphabets und das Studium des
numerischen Wertes der Buchstaben die Erkenntnisse der heiligen Texte und damit eine
Erlösung ermöglichen sollen. Astarābādī glaubte sogar, die Offenbarung Gottes direkt im
30 So tituliert von A. Kilcher am 07. 05. 1998 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezension-sachbuch-das-himmlische-scrabble-11300168.html. 31 Ausführlich zur altorientalischen Buchstabenmystik siehe Dornseiff, Alphabet 52ff. 32 Dornseiff, Alphabet 11ff. 33 Schimmel, Dimensionen 602.
Gesicht des Menschen zu erkennen, welches er mit Buchstaben gleichsetzte: Die Nase wäre
demnach der Buchstabe Alif, die beiden Nasenflügel sind jeweils der Buchstabe Lām und die
Augen der Buchstabe Hāʾ. Mit dieser Sichtweise der Buchstaben im Antlitz des Menschen
wird auf die besondere Beziehung von Gott zu seinem Geschöpf verwiesen, die dergestalt
wie ein Spiegel in seinem Ebenbild zum Ausdruck kommen. Astarābādī lehrt auch, dass
Adam neun, Abraham vierzehn, Muḥammad achtundzwanzig und ihm selbst
zweiunddreißig Buchtstaben zuteilwurden; eine Feststellung, für die er schließlich mit
seinem Leben bezahlen musste.
Um es zusammenzufassen: Die Nennung der Gottesnamen im religiösen Gebrauch und die
sich hieran anknüpfenden Techniken und Spekulationen im mystischen Bereich dienen
vorrangig der Annäherung an Gott, da die Namen Gottes das für den Menschen wichtigste
Bindeglied zu Gott selbst darstellen. Dies ist sowohl für den einfachen Gläubigen, für
Mystiker, als auch für einen bestimmten theosophischen Bereich innerhalb des magischen
Gebrauchs, den ich im Folgenden erörtere, richtunggebend.
2. Auf den Flügel Gabriels geschrieben: ʻIlm as-sīmiyāʾ und die Bedeutung des Namens in der
islamischen Magie
In der Magie ist der sogenannte „Namens-Zauber“34, mit dem unter Nennung eines
bestimmten Namens im Guten wie im Bösen durch bestimmte magische Praktiken
selbstbestimmend Einfluss auf den Lauf der Dinge ausgeübt werden soll, als besondere
Technik allgemein bekannt. Die Kenntnis von Engel-, Geister- oder Gottesnamen ist mit
Blick auf die Dienstbarmachung der Geistwesen oder aber speziell zum Schutz vor ihnen
von entscheidender Bedeutung. Damit ist die Vorstellung verbunden, dass der Mensch in
die oberen Welten bzw. in jene ihm nicht sichtbaren Sphären hinein wirken und sich der
Kräfte geistiger Wesenheiten versichern kann.
Das Bedürfnis nach einem magischen Handeln wird speziell bei zentralen Bedürfnissen und
Lebenssituationen der Menschen wie beispielsweise Krankheit, Armut, unglückliche Liebe,
Tyrannei und Erfolglosigkeit im Beruf als Mittel angewendet, um diese abzuwehren35,
weshalb gegen diese Übel bzw. zum Erlangen dieser Bedürfnisse mannigfache Rezepte in
magischen Schriften dargelegt werden.
Im islamischen Volksglauben besteht die lebendige Vorstellung der Existenz von Engeln
und Geistern. Engel, Malāʾika, werden im Koran genau beschrieben, sie sind, nur um einige
Beispiele zu nennen, Überbringer göttlicher Botschaften (Q 2:98-9; Q 22:76), die die Aufgabe
haben, die Menschen dahingehend zu beeinflussen, dass sie rechtschaffen werden (Q 91:9),
auch sollen sie den Propheten und den Gläubigen helfen (Q 15:30; 4:167), Bestrafung über
solche, die den Propheten zuwiderhandeln, bringen (Q 6:159), Feinde mit Furcht erfüllen (Q
3:125, 126) und Naturgesetze durchsetzen (Q 40:8). Alle Engel haben individuelle Namen, die
34
Müller, Wortzauber 16. 35 Siehe zu der umfangreichen Diskussion über eine entsprechende Definition von Magie und Religion u. a. Thiel, Religionsethnologie 65, zum Unterschied zwischen Religion und Magie allgemein u. a. Beth, Religion 368-97.
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in der Regel (wie die hebräischen Engelnamen) mit der Silbenendung „-īl“ gebildet werden,
also z. B. Mīkāʾīl der „Engel der Gerechtigkeit“, Ǧibrīl, der „Übermittler der göttlichen
Weisheit“ ʿAzrāʾīl, der „Todesengel“ oder Isrāfīl, der „Engel des Jüngsten Gerichts“.
Neben den Engeln wird im Islam auch ausdrücklich in der Heiligen Schrift die Existenz von
72). Ihnen wird innerhalb der Dämonenangst im Volksglauben viel Beachtung geschenkt, da
sie als Verursacher mannigfacher Krankheiten und Missgeschicke gelten, von denen ein
Mensch geplagt werden kann. Auch diese Wesen sind Träger individueller Namen, die
oftmals auf „-iš“, „-ūš“ oder -āš36 enden, wie etwa Tarjūš oder Māriš.
In der islamischen Magie, insbesondere aber in der Schriftmagie, werden Engel und Geister
vielfach namentlich angerufen, so dass ihre Namen in diesem Bereich eine ganz besondere
Bedeutung haben.
ʿIlm as-sīmiyāʾ oder auch ʿilm ar-ruḥāniyya wird ein Zweig innerhalb der islamischen Magie
genannt, welcher sich konkret der Beschäftigung mit den Buchstaben sowie den Namen und
der ihnen innewohnenden geheimen Kraft widmet. Der Begriff sīmiyāʾ steht gelegentlich für
zahlreiche Sparten der Magie, wobei er dann in der Fügung al-kīmiyāʾ wa-s-sīmiyāʼ die
Gesamtheit der Geheimwissenschaften bezeichnet. Die Etymologie des Begriffs „sīmiyāʾ“
wird von Dozy37 von dem griechischen σημειον bzw. Pl. σημεια (Zeichen, Buchstabe)
abgeleitet; die Wortbildung über einen syrischen Plural wird allgemein akzeptiert. Ebenso
wird die Herleitung vom hebräischen „Shem“, „der Name“ beschrieben,38 doch sei auch auf
eine von manchen Autoren diskutierte direkte Ableitung von dem arabischen Begriff für
Name, ism, hingewiesen.
Ibn Ḫaldūn (gest. 1406) hat den Begriff sīmiyāʾ in seiner Muqaddima angeführt und erklärt
ihn als eine Form der okkulten Praxis innerhalb der Magie, siḥr. Er selbst sieht den
Ursprung des Wortes in der arabischsprachigen Sufiterminologie und der hier praktizierten
ʿilm asrār al-ḥurūf, der geheimen Wissenschaft der Buchstaben, was unter dem zuvor
erörterten Aspekt der Bedeutung der Buchstaben besonders interessant ist. Ibn Ḫaldūn
führt ganz im Sinne dieses mystischen Ansatzes aus:
Die Wissenschaft von den Geheimnissen der Buchstaben: Sie wird in der
Gegenwart sīmiyāʾ genannt. Diese Bezeichnung wurde von der Kunde der
Talismane in den Sprachgebrauch derjenigen Sufis übertragen, die [in der Magie]
aktiv sind. Hierdurch wurde ein Begriff für etwas Allgemeines auf etwas Spezielles
verlegt. Diese Wissenschaft kam in der islamischen Religionsgemeinschaft erst auf,
nachdem diese schon eine Zeitlang existiert hatte. Als die extremen Sufis
auftraten, machten sie sich daran, den Schleier der Sinneswahrnehmung zu lüften.
Sie bewerkstelligten Wunder und handelten in der Welt der Elemente nach
Gutdünken. Sie verfassten Bücher und schufen eine spezielle Fachsprache. Sie
glaubten an die schrittweise Emanation des Existierenden aus dem Einen. Sie 36 Vgl. Peterson, Engel und Dämonennamen 394 ff. und Winkler, Siegel 30. 37 Dozy, Supplément 708b. 38 Ibn Ḫaldūn, Muqaddima 319.
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behaupteten, dass die Vollendung der Namen darin liegt, die Geister der
Gestirnsphären und Sterne zu unterstützen. Die Eigenschaften und Geheimnisse
der Buchstaben seien ferner in die Namen eingedrungen. Diese aber seien in den
Dingen der Welt. Die Dinge aber seien seit der ersten Schöpfung im stetigen
Wandel der Zustände und würden ihre Geheimnisse preisgeben. Auf diese Weise
entstand die Lehre von den Geheimnissen der Buchstaben. Sie ist ein Teil der
sīmiyāʾ (…). Ibn ʿArabī und andere, die ihnen nachfolgten, haben darüber viel
geschrieben. Ihnen zufolge lägen der Nutzen dieser Wissenschaft und die Früchte,
die sie erbringt, im Tätigwerden der göttlichen Seelen in der Welt der Natur. Dies
geschehe vermittels der „schönen Namen“ und der Worte Gottes, die sich aus
denjenigen Buchstaben zusammensetzen, die auch die Geheimnisse der Dinge
umfassen. 39
40
Wegweisend für die sīmiyāʾ ist demnach die Konzentration auf die Buchstaben: das
Geschriebene ist als Abbild des Beschriebenen mit diesem identisch. Obgleich Ibn Ḫaldūn
die sīmiyāʾ etwas skeptisch als Methode extremer Sufis beschreibt, wird sie dennoch von
ihm dem Gebiet der erlaubten Magie, der siḥr ḥalāl, zugeordnet, deren Ziele Schutz und
Heilung sind. Der Magier hat innerhalb der erlaubten Magie eher die Funktion eines
Theurgen, denn er sucht die Nähe und Hilfe von Gott und der ihm näherstehenden Wesen
und agiert mithilfe religiöser Praktiken, die es ermöglichen sollen, mit anderen Wesen in
Verbindung zu treten um von ihnen Hilfe zu erlangen. Sein Handeln ist darauf gerichtet,
auf mystisch-magischem Wege mit den Engeln und Geistern in Kontakt zu treten und sich
ihrer Hilfe zu versichern. Die Theurgie fand insbesondere Beachtung im hermetischen
Schrifttum und in gnostisch-neuplatonischen Schriften der Spätantike.41 Sie beruht
insbesondere auf der Kenntnis der Namen der übernatürlichen Wesen, zudem bezieht sie
die Astralmagie mit ein, bei der die geeignete Stunde für eine Beschwörung, die richtige
Wahl von Kleidung und Räucherwerk, der richtig gewählte Name Gottes, der Engel oder der
Geister für das Gelingen einer Handlung Voraussetzung sind.
Zum eigentlichen theurgischen Wissen des Magiers reihen sich umfassende religiöse
Kenntnisse, wie beispielsweise der genaue Inhalt des Korans, die Gottesnamen, die
Eigenschaften und Charakteristika bestimmter Suren sowie religiöse Vorschriften, die von
39 Vgl. auch die Übersetzung von Rosenthal, Muqaddimah iii, 171-2. 40
Ibn Ḫaldūn, Muqaddima, 76. 41 Hierzu Luck, Theurgy 110–52.
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dem Theurgen zu beachten sind. Die Wirkkraft der Magie, die nun bezüglich der Namen
eingesetzt wird, ergibt sich durch die kunstfertige Komposition der Buchstaben und Laute,
in denen die verborgenen Potenzen und Qualitäten ruhen sollen und aus denen sich ja die
Namen zusammensetzen. Die besondere Technik der sīmiyāʾ findet als praktische
Anwendung ihren großen Niederschlag in der Herstellung von Schriftamuletten, in
Beschwörungen oder Kombinationen beider.
Abū l-ʿAbbās Aḥmad ibn ʿAlī ibn Yūsuf al-Qurašī al-Būnī42 gilt bis in heutige Zeit als äußerst
populärer Verfasser magischer Schriften. Būnī, über dessen Leben nur wenig bekannt ist, da
er in der biographischen Literatur kaum erwähnt wird, wurde in Algerien geboren und ist
vermutlich 1225 in Kairo verstorben. Noah Gardiner konnte gut 300 Manuskripte ausfindig
machen, die ihm zugeschrieben werden und den sogenannten „Corpus Būnīanum“
beschreiben.43
Sein bekanntestes Grimoire ist das Werk Šams al-maʿārif al-kubrā44, ein „Zauberbuch“ mit
astrologischen Regeln, Listen von Engeln und Dämonen, Zaubersprüchen, Anleitungen zum
Herbeirufen von magischen Wesen oder zur Herstellung von Talismanen und
Zaubertränken. Ebenso ist das gleichfalls beliebte Manbaʿ uṣūl al-ḥikma45 hier zu nennen. Die
Verwendung der Namen von Engeln und Geistern sowie speziell der Namen Gottes und die
zahlreichen Erörterungen darüber, was man mit dem geeigneten Namen bewirken kann
und welchen Zwang man mit dem gefundenen Namen auf Engel oder Geister ausüben kann,
zeichnen die „būnischen“ Schriften aus, so dass die Namensmagie als das Charakteristikum
seiner Schriften prominent hervorgehoben werden kann.
Ein tragender Gedanke, der die Magie Būnīs mit dem Gebrauch des Namens in der Mystik in
auffallender Weise verbindet, durchzieht dabei die Schriften Būnīs: es ist die Frage, welcher
der höchste und damit geheime Name Gottes ist, denn wer ihn kennt, dem werden alle
Wünsche auf der Stelle erfüllt. Welcher nun konkret der höchste Name Gottes ist, darüber
gibt es auch bei Būnī verschiedene Theorien, doch zunächst lässt er seine Schüler wissen,
dass das generelle Wissen bezüglich der neunundneunzig schönsten Namen Gottes die erste
Voraussetzung für alle weiteren Spekulationen ist und dass sich mit jedem einzelnen dieser
Namen eine besondere Kraft verbindet, die sich der Magier zu Nutze machen kann.46
Kapitel, die sich ganz explizit mit der Namenssuche befassen, sind in Būnīs Werk Uṣūl mit
Barhatiyya47 oder dem Šarḥ al-ǧalǧalūtiyya48 übertitelt. Būnīs Suche nach dem geheimen und
höchsten Namen, der den höchsten Namen in einzelnen Buchstaben49 oder Zeichen
42 Ausführlich zur Biographie Būnīs siehe Gardiner, Forbidden Knowledge 86-94 und Gawhary, Gottesnamen 14ff. 43 Siehe z. B. http://www.occultaislamica.com/2012/03/corpus-bunianum-lecture-cambridge-university-july-9th-to-11th-2012/ (Stand: 12.06.2012) und Gardiner Forbidden Knowledge 86. 44
Im Folgenden abgekürzt: Šams. 45
Im Folgenden abgekürzt: Uṣūl. 46 Im Šams 159, siehe auch Šams, Kapitel 12 des ersten Teils, im zweiten Teil 159-99, in dem er jeden einzelnen der 99 Namen behandelt. 47 Im Uṣūl, 294-9. 48 Im Uṣūl, 95-7 und 183-95. 49 Ausführlich hat dies M. Gawhary 1968 dargestellt, ich verweise im Folgenden bei Zitaten aus dem Šams auf seine Ausführungen.
verborgen sieht, sei hier kurz mit sieben besonders markanten ausgewählten Beispielen
skizziert:
Erstens: Der Höchste Name wird aus Buchstaben gebildet, und zwar aus denjenigen
Buchstaben, die in der Eröffnungssure nicht genannt werden. Diese werden die „sieben
Sawāqiṭ“ genannt; es sind die Buchstaben Fāʾ, Ǧīm, Šīn, Ṯāʾ, Ẓāʾ, Ḥāʾ und Zāyn.50
Zweitens: Der höchste Name kann aber auch aus den geheimnisvollen vierzehn Buchstaben,
die am Anfang von 29 Suren des Korans stehen, gebildet werden.51 Būnī erklärt hierzu: „Der
Koran enthält das Wissen aller Dinge und die Buchstaben, die anfangs der Suren
vorkommen, sie enthalten das gesamte Wissen des Korans.“52
An dieser Stelle sei angemerkt, dass es über diese geheimnisvollen Buchstaben ausgiebige
Diskussionen und Interpretationen gibt und es ist sehr interessant, dass beispielsweise der
Verfasser des wichtigsten Korankommentars Abū Ǧaʿfar aṭ-Ṭabarī (gest. 923) in seinem
Werk Ǧāmiʿ al-bayān fī taʾwīl āy al-Qurʾān immerhin vierzehn verschiedene seinerzeit gängige
Theorien über diese Buchstaben aufführt. Sie zeigen, zu welch frühem Zeitpunkt hierüber
spekuliert wurde und wie früh den Buchstaben des arabischen Alphabets hierbei ein hoher
Stellenwert zugemessen wurde. Ṭabarī fasst darin u. a. zusammen, dass (1) die Buchstaben
stellvertretend für einen Namen des Koran stehen, dass sie (2) schlicht den Namen einer
Sure bezeichnen, dass sie (3) einen Namen des erhabenen Gottes meinen, dass es sich
hierbei um (4) Schwurformeln handelt, mit denen Gott schwört und die zu seinen Namen
gehören, dass es sich um (5) Buchstaben handelt, die einen Satz beinhalten (ohne weitere
Erklärung), dass (6) jede Heilige Schrift ein Geheimnis bewahrt und das Geheimnis des
Korans seine Anfangsbuchstaben (daher die geheimnisvollen Buchstaben) sind.53
Möglich ist drittens auch eine Bildung des höchsten Namens aus Koranversen, wobei Būnī
verschiedene Möglichkeiten präferiert. Zum einen sieht er sie in der Formel: „Es gibt keinen
Gott, außer Gott“ enthalten (z.B. Q 3:6; Q 6:102; Q 7:158).54 Daneben hebt er aber auch die
Eröffnungssure, die Fātiḥa hervor, denn
die Fātiḥa ist der Kopf und die Stütze des Korans. Sie enthält fünf Gottesnamen,
womit Gott, erhaben ist er, sie vor den anderen Suren des Korans auszeichnete. Sie
enthält den höchsten Namen Gottes, auf den Er antwortet, wenn man ihn mit ihm
bittet ... Ihre Wörter enthalten zum größten Teil die Buchstaben des Alphabets und
die, die anfangs der Suren vorkommen.55
Das arabische Wort tasmiya bedeutet das „Aussprechen des göttlichen Namens durch die
basmala“. Auch in der basmala sieht er einen Hinweis auf den höchsten Namen und so führt
Būnī aus:
Sie erhält den höchsten Gottesnamen. Sie stand auf der Stirn Adams fünfhundert
Jahre vor seiner Schöpfung. Sie stand auf einem Flügel Gabriels, als er zu Abraham
50 Gawhary, Gottesnamen 133 und Uṣūl u, a. 18, 35, 111-3. 51 Gawhary, Gottesnamen 135-8. 52 Gawhary, Gottesnamen 135. 53 Diese Auflistung stammt Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī: Ǧāmiʿ al-bayān Kairo 19683, I, 86-96. 54 Gawhary, Gottesnamen 138-44. 55 Gawhary, Gottesnamen 142.
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ins Feuer hinab kam. Sie stand auf dem Stock Moses in syrischer Sprache, und
ohne sie hätte das Meer nicht gespalten werden können. Jesus sprach sie, als er in
der Wiege gesprochen hat, und sie stand auf dem Ring Salomos.56
Viertens: Der höchste Name wird aus syrischen und hebräischen Namen gebildet: hier zitiert
Būnī 58 „syrische“ Namen57 und einige „hebräische“ Namen, mit Bezug auf das Alte
Testament und den biblischen Namen von Moses oder Salomon.58
Fünftens: Der höchste Name ist in den sogenannten sieben Siegeln Salomos verborgen. Dabei
handelt es sich um sieben magische Zeichen, die üblicherweise wie folgt beschrieben
werden: (1) ein Pentagramm gefolgt von (2) drei Strichen mit einer darüber schwebenden
Querlinie, (3) der unverbundene Buchstaben Mīm, (4) eine Art Leiter mit zwei, drei oder
auch mehr Sprossen, (5) vier senkrechte Striche, (6) der etwas veränderte arabische
Buchstabe Hāʾ – der auch gelegentlich durch einen achteckigen Stern oder durch ein
Hexagramm ersetzt wird und (7) das unverbundene Wāw, dessen Ende sich über dem
Buchstabenkörper wölbt.59
Sechstens: Der höchste Name liegt in den Brillenbuchstaben60 verborgen, jenen Buchstaben,
die in Verbindung mit Linien und Kreisen der Darstellung von bestimmten Zaubersprüchen
dienen.
Siebtens: Der höchste Name ist eine Kombination des Gesagten.61
Būnī bettet nun die Spekulationen nach den Gottesnamen in ein komplexes astralmagisches
Gefüge ein, das von der Idee einer „sympathetischen Magie“ durchzogen ist und bei der der
Gedanke tragend ist, dass die gesamte Schöpfung in einer Art Stufenleiter miteinander
durch Emanationen verbunden ist. Bestimmte Geistwesen beherrschen die Welten
innerhalb dieses stufenförmigen Weltbildes, von denen der Magier nun annimmt, dass er
diese Wesen mit Hilfe ihrer Namen anrufen und zum Zwecke ihrer Dienstbarmachung
beschwören kann.62 Im Zusammenhang mit der Astralmagie empfiehlt Būnī sogenannte
ǧadāwil zu fertigen, jene markanten Buchstaben und Zahlenquadrate, viereckige, aber auch
vielwinkelige mitunter kreisförmige Darstellungen, in die bestimmte Namen, Buchstaben,
Zahlen oder Zeichen eingetragen werden. Kombiniert werden diese mit den Namen von
Engeln oder Geistern, mit Gottesnamen, Planetennamen, Wochentagen etc.
Dem astralmagischen Denken entsprechend ordnet Būnī in den Rezepten seiner Bücher die
Planeten den Elementen zu, diese den Wochentagen und diese wiederum den Namen und
Buchstaben: alle 28 Buchstaben des Alphabets werden demnach in je vier Gruppen von
sieben Buchstaben unterteilt und je zwei qualitativen Elementen zugeordnet, so dass
56 Gawhary, Gottesnamen 143. 57 Ibid, 146 und zwar im Uṣūl in dem Gedicht „Ǧalğalūtiyya“. 58 Die Verwendung von syrischen oder hebräischen Namen und Schriftzeichen findet hierbei vor allem eine Faszination durch das fremdländisch Klingende. Siehe zur Verwendung des Hebräischen v. a. Goldziher, Hebräische Elemente 348-50. 59 Vgl. Winkler, Siegel 56. 60 Zu diesen Sigillen, ibid, 159. 61 Z. B. Uṣūl, 5; 19; 57; 83 und Šams 9; 48f, 105. 62 Das bekannteste astralmagische und in diesem Zusammenhang oft zitierte Werk ist das Ġāyat al-ḥakīm wa-aḥaqq al-natīǧatain bi-l-taqdīm, „Das Ziel des Weisen und die des Vorrangs würdigere der beiden Künste“ das unter dem lateinischen Namen Picatrix bekannt ist. Siehe Ritter und Plessner, Picatrix.
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beispielsweise die Buchstabengruppe Alif, Ḥāʾ, Tāʾ, Mīm, Fāʾ und Ẓāʾ dem Element Feuer mit
den Eigenschaften erdig und feurig zugeordnet werden.
Auch Räuchermittel werden einbezogen, so dass beispielsweise der Sonne der Weihrauch,
das Aloeholz, der weiße Pfeffer, Schwarzkümmel, Kardamom, Moschus und Kümmel
zugeordnet werden, dem Mond der Rauch von Ambra, Majoran und grüne Bohnen. Da
jedem Gottesnamen, jedem Koranvers, Buchstaben, ja sogar jedem Tag, jeder Stunde und
jeder Jahreszeit auch ein bestimmter Engel mit einem ganz bestimmten Namen zugeordnet
wird63, zeichnen sich Būnīs Schriften durch eine komplexe Angelologie und Dämonologie
aus.
In der von Būnī beschriebenen theurgischen Vorgehensweise werden die Engel, wie auch
die Geister, nicht nur um Hilfe gebeten, sondern sie sollen durch den magischen Zwang zu
einer Handlung verpflichtet werden. Būnī lässt bei allen seinen Rezepten jedoch ganz im
Sinne der Theurgie seine „Schüler“ wissen, dass für das Gelingen der von ihm dargestellten
Rezepte beispielsweise die rituelle Reinigung, das Gebet sowie die Orientierung nach Mekka
eine wichtige Voraussetzung ist für das Gelingen des jeweiligen Handlung ist und dass es
gelegentlich sinnvoll ist, zu fasten und sich bestimmter Speisen oder Getränke zu enthalten
oder aber auch, dass für bestimmte Rezepte Orte der Einsamkeit aufzusuchen sind.64
Die Kenntnis des Gottesnamens, um es abschließend zusammenzufassen, ist für den
magischen Gebrauch, insbesondere aber im Bereich der sīmiyāʾ, ein überaus wichtiges
Instrument, denn die Zitation des richtigen Namens zur richtigen Stunde und in Einbindung
aller astralmagischen Fertigkeiten ermöglicht es nach Meinung des Magiers,
Beschwörungen oder Talismane herzustellen, deren Wirkkraft die Kräfte des Kosmos derart
bündelt, dass ihre Wirksamkeit gleich einer physikalischen Gesetzmäßigkeit gewiss ist.
Zusammenfassung und Ausblick
1972 schrieb Manfred Ullman in seinem Werk Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam,
dass für Būnī „das Universum mit einem dichten Netz geheimnisvoller Fäden durchzogen“
ist und dass es „ein Netz subtiler Wunder“ sei, das er paradoxerweise durch eine subtile
formalistische Arithmetik, beherrschen zu können glaubt.“ Būnī, so Ullmann, akzeptiere
mit einer kolossalen Leichtgläubigkeit dies „blutleere“ und „geistlose“ Zeug.65
Die dialektische Beziehung von Magie und Mystik in der Kunde der Namen und Buchstaben
sowie der sich hieraus formierenden Vorstellung der Macht, die dem menschlichen Wort als
Bindeglied zuerkannt wird, konnte mit diesem Beitrag verdeutlicht und veranschaulicht
werden.
Um den ausführlichen Gebrauch der Namen in der Magie Būnīs zu erklären und auf seine
Bedeutsamkeit als spezieller, mystisch-magischer Zweig in der islamischen Magie
vorzudringen, war es notwendig, auf den philosophischen Gedanken zu Wort und Laut, der
insbesondere in der mystischen Richtung Interesse fand, hinzuweisen. Dies ist bislang in
63 Vgl. hierzu Gawhary, Gottesnamen 196 mit entsprechenden Textverweisen zum Šams. 64 Vgl. Gawhary, Gottesnamen 72-9. 65
Ullmann , Natur- und Geheimwissenschaften 391.
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der Forschung nahezu unbeachtet geblieben: Wie der Name Wort wird, sich in der Sprache
Gottes, die sich in der Schöpfung mitteilt, entfaltet und der Doppelcharakter der Sprache,
einerseits als Mitteilung Gottes, andererseits als Medium der Schöpfung, ist ein kaum
beachteter Aspekt innerhalb der Überlegungen zur islamischen Mystik und Magie.
Die überragende Bedeutung des Namens entfaltet zudem in der islamischen Mystik und
Magie eine zweifache Komponente: einmal für den Mystiker, um durch die Nennung des
Gottesnamen sich Gott religiös und in intensiver Verbundenheit anzunähern, zum anderen
für den Magier, um mit Hilfe des geeigneten Namens direkt Einfluss auf Dinge nehmen zu
können.
*
Für das Verständnis der jüdischen Kabbala sind die Schriften Gershom Scholems (1897–
1982) von eminenter Bedeutung; insbesondere für die hierin beschriebene Wort- und
Lautmystik; sie sind weit über den Kreis der Judaistik hinaus rezipiert worden und haben in
ihrer grundlegenden philologischen und historischen Bedeutung in der Religions-,
Geschichts- und Sprachphilosophie wie auch in der Literaturwissenschaft eine beachtliche
Resonanz erfahren.
Innerhalb der Erforschung der Wort- und Lautmystik des Islams und der sich hieran
anknüpfenden Namensmystik finden wir trotz hervorragender Spezialisten der islamischen
Mystik keinen Kenner, der dieses besondere Kapitel innerhalb des mystischen Denkens in
gleicher Weise untersucht hat. So bleibt für mich nach intensiver Durchsicht der
Sekundärliteratur zur Bedeutung der Namen in Mystik und Magie festzuhalten, dass eine
befriedigende Deutung über den Ursprung und die Praxis dieses Zweiges bislang nicht
vorliegt und eine kritische Bewertung des Bereichs der sīmiyāʾ sogar noch gänzlich aussteht.
Es ist augenfällig und bemerkenswert, dass Annemarie Schimmel in ihrem Standardwerk
zur islamischen Mystik (Mystische Dimensionen) und dem Exkurs über
Buchstabensymbolismus, deren Darstellung sie sich eigens widmete, die sīmiyāʾ gar nicht
erwähnt.
Toufic Fahd befasste sich 1966 mit der Zukunftsprognostik, schrieb aber auch einen Beitrag
zur Wissenschaft der Buchstaben und zur sīmiyāʾ, ohne aber auf ihre formativen Ideen
einzugehen.66 1968 legte Mohamed Gawhary eine Dissertation mit dem Titel: Die Gottesnamen
im magischen Gebrauch in den al-Būnī zugeschriebenen Werken vor. Gawahry fiel damals zum
ersten Mal auf, dass es einen markanten Unterschied zwischen den verschiedenen Personen
gibt, die sich mit Magie befassen, so dass er eine Unterteilung in „Berufszauberer“ und
„Volkszauberer“ vornahm: die „Berufszauberer“ zeichnen sich durch umfassende
Kenntnisse auf dem Gebiet der Gottesnamen aus und durch Praktiken, die stark an gängige
Methoden aus dem Bereich der islamischen Mystik erinnern, doch beließ er es bei dieser
Feststellung, ohne auf eine mögliche Verbindung zu einer speziellen mystischen Haltung
hinzuweisen. Auch Fritz Meier, 1957, weist bei den Kapiteln über den Größten Namen und
seiner Verwendung durch den Mystiker Kubrā lediglich auf die Verwendung des Namens in
40 Fahd, Divination arabe, 1966.
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der Mystik hin. Interessant ist ebenso, dass Heinz Halm in seinem Werk Kosmologie und
Heilslehre der frühen Ismāʿīlīya in einem ganzen Kapitel die Buchstabenlehre der Ismailiyya in
dem Kapitel: „Der Thron und die Buchstaben“ beschreibt. In dieser Ausführung wird eine
komplexe Buchstabenmythologie dargelegt, die stark an die kabbalistische Buchstabenlehre
erinnert, die jedoch auf ihren tieferen theologischen bzw. philosophischen Sinn hin nicht
erörtert, denn obgleich auch Heinz Halm hierbei eine offenkundige Nähe zu kabbalistischen
Praktiken – im Sinne der methodischen Suche und Erfahrung einer Beziehung zu Gott –
auffiel, schreibt er gleich eingangs fast warnend: „,Kabbalistisch‘ wird hier nur in
Anführungszeichen verwendet.“67
Neueste Untersuchungen wie die von John Martin (2011) und Jan Witkam (2007) vertiefen
die Frage nach dem Ursprung der religiösen Bedeutsamkeit von Namen in der magischen
Praxis nicht. Dennoch kam es in den vergangenen Jahren zu einer Veränderung in der
Beurteilung der sīmiyāʾ im Islam, so dass Aḥmad ibn ʿAlī al-Būnī jüngst etwas unglücklich als
„quasi-kabbalistischer Sufi Sheikh“68 tituliert wird. Ein eingehender Vergleich der jüdischen
Kabbala, in der die Theologie der Sprache und des Lauts insbesondere eine Rolle spielt, mit
der islamischen sīmiyāʾ steht noch gänzlich aus.
Aufgrund der vielfachen mystischen Praktiken bei Būnī, habe ich Būnī bereits 1994 als
„mystischen Magier“69 tituliert, eine Bezeichnung, die dem Umstand gerecht werden wollte,
dass es sich bei dem von ihm dargestellten Wissen nicht um reine Magie, sondern um eine
Verquickung magischer Handlungen mit mystisch-theosophischen Ideen handelt. Dies
konnte, so die Hoffnung der Autorin, mit diesem Beitrag weiterhin bekräftigt werden.
67 Halm, Kosmologie und Heilslehre 38. 68 Siehe Artikel Ahmad ibn ‘Ali al-Buni, in Wikipedia.org, http://en.wikipedia.org/wiki/Ahmad_al-Buni, (Stand: 20. 05.2012). 69