Deutungsmuster des Populismus Eine vergleichende Analyse des Framings populistischer Parteien in der Regierungsverantwortung in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1985 - 2013 Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors (Dr. phil.) an der Fakultät für Kultur und Sozialwissenschaften der FernUniversität Hagen vorgelegt von Armin Zaak aus Bad Kissingen Betreuer Priv. - Doz. Stephan Bröchler im Promotionsfach: Politikwissenschaft
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Deutungsmuster des Populismus
Eine vergleichende Analyse des Framings populistischer Parteien in der Regierungsverantwortung in Deutschland,
Im Laufe der letzten dreißig Jahre haben sich in zahlreichen Ländern Euro-
pas vielfältige Ausprägungen des Populismus entwickelt. Diese können ganz
verschiedenen Akteuren zugeordnet werden, z.B. Parteien, Neuen Sozialen
Bewegungen, großen Interessengruppen und vor allem auch Regierungen.
Sie nutzen dabei gezielt die sich rapid ausweitenden Kommunikationsmög-
lichkeiten der modernen Medienlandschaft.
Besonders auffällig ist die Entstehung von populistischen Parteien an den
linken, vor allem aber an den rechten Rändern des politischen Systems, die
durch die Professionalisierung der Parteiorganisationen und die Ausrichtung
auf charismatische Führungspersönlichkeiten große Erfolge erzielen konnten
und immer häufiger an den Regierungen ihrer Länder beteiligt sind.
Die Entwicklung dieser Parteien und ihre Auswirkung auf die Parteiensyste-
me waren Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen, doch die
unterschiedliche Deutung dieser Entwicklung durch verschiedene Akteurs-
gruppen, die direkt oder indirekt mit dem Phänomen des Parteienpopulismus
befasst sind, wurde bislang noch nicht betrachtet und erforscht.
Die vorliegende Arbeit will daher überprüfen, ob sich die Deutungsmuster der
verschiedenen Funktionsgruppen, also der Politologen, Journalisten und Po-
litiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Bezug auf das popu-
listische Verhalten der LINKEN von Berlin, der FPÖ in Österreich und der
SVP in der Schweiz, vor, während und nach einer Regierungsbeteiligung
decken oder aber sich in wichtigen Punkten unterscheiden.
Außerdem sollen die Ursachen für diese länderspezifischen Unterschiede
der Deutungsmuster, der sogenannten Frames, sorgfältig untersucht werden.
Die entsprechende Grundlage hierfür sind die Interviews, die mit den einzel-
nen Funktionsgruppen, Professoren, Journalisten und Politikern der jeweili-
gen Parteien, geführt und von diesen autorisiert wurden.
1.1 Rechtspopulistische Parteien
Bemerkenswert ist der schnelle Aufstieg von rechtspopulistischen Parteien in
den Ländern Europas, die mitunter schon bald wieder zerfielen, sich aber oft
auch längerfristig etablierten. Teilweise reichen die Anfänge dieser populisti-
schen Parteien, wie das Beispiel der FPÖ zeigt, bis in die 50er Jahre zurück,
10
aber erst mit Beginn der 80er Jahre wird dieser Populismus zu einer wichti-
gen politischen Kraft (Pelinka 2005: 87 ff).
Der Front National erzielte in Frankreich seit 1984 Stimmenanteile um die
15%. Bei den Präsidentschaftswahlen des Jahres 2002 gelang es deren Vor-
sitzendem Jean-Marie Le Pen, mehr Stimmen als der Kandidat der sozialisti-
schen Partei, Lionel Jospin, zu erzielen und in eine Stichwahl mit dem amtie-
renden Präsidenten Jacques Chirac einzuziehen. Unter seiner Nachfolgerin
Marine Le Pen, die Mitte Januar 2011 von ihrem Vater den Parteivorsitz
übernahm, zeichnet sich trotz mancher innerparteilicher Querelen eine inhalt-
liche Neupositionierung der Partei ab. Diese hat den Front National gesell-
schaftsfähig gemacht und durch sein Aufgreifen aktueller Probleme für neue
Wählerschichten geöffnet1.
Im benachbarten Belgien haben sich sogar zwei rechtspopulistische Parteien
herausgebildet, der belgische Front National und der Vlaams Blok, der seit
2004 unter der Bezeichnung Flames Belang auftritt. Der belgische Front Na-
tional ist im französischsprachigen Teil des Landes beheimatet und kämpft
vor allem für eine größere Autonomie des wallonischen Landesteils, während
der Vlaams Belang als Regionalpartei in Flandern agiert, die die Unabhän-
gigkeit der niederländischsprachigen Region Belgiens anstrebt. Im Gegen-
satz zum belgischen Front National tritt dieser offen für eine Teilung des
Landes ein. Trotz spektakulärer Erfolge des Vlaams Belang, der seit den
90er Jahren eine der drei stärksten Parteien in Flandern ist und vor allem in
der Region von Antwerpen eine ausgesprochene Hochburg besitzt, wird die
Partei von den etablierten Parteien Belgiens nicht als Koalitionspartner ak-
zeptiert, obwohl sie mit ihrem zentralen Motto „Eigen Volk erst― bei den Wäh-
lern viel Rückhalt findet2.
Blickt man in die Niederlande, kann man feststellen, dass es auch dort mit
Pim Fortuyn eine rechtspopulistische Partei gab, die nach 2000 beachtliche
1 Zu den jüngsten Erfolgen der Front National siehe vor allem:
Rechtsextreme wählen Le Pen zur Chefin, Der Spiegel 27/2011, Papierausgabe Seite 96-97, bei
Spiegel Online, 16. Januar 2011 (aufgerufen am 16. Januar 2011) , 19.12.2013, und http://www.spiegel.de/thema/jean_marie_le_pen/,06.12.2012. Frankreichs Rechtsextreme rütteln an Sarkozys Thron bei Spiegel Online, 7. März 2011 aufgerufen
09.03.2011, 19.12.2013. http://www.spiegel.de/politik/ausland/wahlumfrage-frankreichs-rechtsextreme-ruetteln-an-sarkozys-thron-a-749302.html, 02.01.2014. 2 Ivaldi,Gilles, Swyngedouw, Marc, Rechtsextremismus in populistischer Gestalt: Front National und
Erfolge vorweisen konnte und nach den Parlamentswahlen vom 6. Mai 2002,
aus denen sie mit einem Stimmenanteil von 17% als zweitstärkste Kraft her-
vorging, sogar an der Regierung beteiligt wurde, trotz der Ermordung ihres
Vorsitzenden Pim Fortuyn wenige Tage vor der Wahl3.
Seitdem hat diese Partei eine schwere Krise durchlaufen, die nicht nur zu
ihrem Ausscheiden aus dem Kabinett führte und dramatische Verluste an
Wählerstimmen bei der Neuwahl von 2003 mit sich brachte, sondern letztlich
auch die Auflösung der Partei im Januar 2008 zur Folge hatte. Als eine der
Nachfolgeparteien hat bislang nur die Partij voor de Vrijheid von Geert Wil-
ders bei den Wählern punkten können. Sie erhielt bei den Parlamentswahlen
2010 15,5% der Stimmen und errang 24 Sitze im Parlament. Obwohl der
Parteivorsitzende für diese Partei nicht direkt an der Regierung beteiligt war,
stieg sein Einfluss auf die Politik des Königreichs, da das neue Minderheiten-
kabinett auf die Stimmen der PVV angewiesen war, mit der sie eine Dul-
dungsvereinbarung abschloss. Allerdings musste die PVV bei den Parla-
mentswahlen von 2012 erhebliche Einbußen an Stimmen hinnehmen und fiel
in der Wählergunst von 15,4% auf 10,1%.
Eine Hochburg des Rechtspopulismus ist seit dem Anfang der 90er Jahre
auch Italien. Dort gründete der Mailänder Unternehmer Silvio Berlusconi im
Jahre 1994 die Forza Italia, eine rechtspopulistische Partei, die schon bei
den Parlamentswahlen von 1994 21% erreichte, damit die stärkste Gruppie-
rung im Parlament wurde und Berlusconi den Aufstieg zum Ministerpräsiden-
ten ebnete4. Die Wahl zum Ministerpräsidenten war allerdings nur mit der
Unterstützung der regionalistischen Lega Nord unter Umberto Bossi, der
Allianza Nationale, und der ehemaligen Neofaschisten möglich. Auch wenn
dieses Bündnis wegen Differenzen mit der Lega Nord nach kurzer Zeit zer-
brach, gelang es Berlusconi immer wieder in der 12.14. und 16. Legislatur,
gemeinsam mit anderen Mitte- und Rechtsparteien, z.B. der Allianza Natio-
nale, Koalitionen zu bilden und selbst das Amt des Ministerpräsidenten zu
3 Folgende Studien geben einen Einblick in den Aufstieg dieser Partei:
Eckardt, Frank, Pim Fortuyn und die Niederlande. Populismus als Reaktion auf die Globalisierung,
Tectum Verlag, 2003 Zum aktuellen Wahlprogramm der Partei siehe auch: Krause, André, Geert Wilders' Wahlprogramm 2010. Systemfrage und Kulturkampf. Berlin 2010, S. 5. van Herwaarden, Clemens: Fortuyn, Chaos en Charisma. Bert Bakker 2005. 4 Siehe dazu die Website der Partei:
Forza Italia, http://www.pagesinventory.com/domain/www.forzaitalia.it.html, 17.01.2012. 4
Falkenberg, Susanne, Populismus und Populistischer Moment im Vergleich zwischen Frankreich,
Italien und Österreich, Dis, Duisburg 1997.
12
bekleiden. Dieses Amt übte er trotz vieler Querelen bis zum 13. November
2011 aus. Auf seine Initiative ist es auch zurückzuführen, dass die Forza Ita-
lia in der neuen „Partei Popolo della Liberta― aufging, die im März 2009 in
Rom gegründet wurde und der sich auch sämtliche Mitglieder der Allianza
Nationale anschlossen5.
Dass der Parteienpopulismus in Italien weiter im Aufwind ist, zeigten die Par-
lamentswahlen vom 25.02.2013, bei denen Berlusconi trotz seiner anhängi-
gen Gerichtsverfahren 29,18% der Stimmen für sein Mitte-Rechtsbündnis
und bei den Wahlen zum Senat sogar 30,72% Stimmen erhielt. Dabei gelang
es ihm in nur vier Wochen Wahlkampf, mit populistischen Parolen, z.B. dem
Versprechen, die unpopuläre Grundsteuer zurückzuzahlen, viele Bürger für
seine Partei zu gewinnen6. Allerdings ist mehr als fraglich, ob der frühere
italienische Regierungschef auch weiterhin so starken Einfluss auf die italie-
nische Politik nehmen kann, denn nach seiner rechtskräftigen Verurteilung
wegen Steuerbetrugs im Jahr 2013 und seinem Ausschluss aus dem italieni-
schen Senat als Chef der Forza Italia, darf er laut Gerichtsbeschluss nach
italienischem Recht kein politisches Amt in Italien mehr ausüben und sich
sechs Jahre lang nicht mehr für öffentliche Ämter bewerben. Der Versuch
des Siebenundsiebzigjährigen bei der Europawahl im Mai 2014 zu kandidie-
ren und damit ins politische Geschäft zurückzukehren ist auch gescheitert7.
Stärkste Einzelpartei wurde bei den Parlamentswahlen vom Februar 2013
die populistische Antiestablishment-Bewegung des Komikers Beppe Grillo,
5 Zur Selbstdarstellung der Partei Partei Popolo della Liberta siehe:
http://www.ilpopolodellaliberta.it/ 6 Zur Entwicklung der Forza Italia und ihrem Aufgehen in der neuen Partei Popolo della Liberta ver-
gleiche: Wahlen in Italien 24/25.02.2013 tagesschau.de,Infografiken, Ergebnisse und Sitzvertei-
lung,http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/crbilderstrecke442.html, 30.10.2013 Ergebnisse und Kommentare zur Wahl am 25.02.2013: Italien hat gewählt
http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/155475/italien-hat-gewaehlt, 14.11. 2013. FAQ zu den italienischen Wahlergebnissen, Warum schon wieder Berlusconi?
http://www.sueddeutsche.de/politik/faq-zu-den-italienischen-wahlergebnissen-warum-schon-wieder-berlusconi-1.1610036,30.10.2013. Wahlergebnis führt zum Stillstand
http://www.dw.de/wahlergebnis-f%C3%BChrt-zu-stillstand/a-16627974,07.01.2014. 7 Siehe und vergleiche:
ZEIT ONLINE, 14.03.2014, Berlusconi will bei Europawahl antreten.
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-03/berlusconi-europawahl-kandidatur, 09.04.2014 Frankfurter Allgemeine Politik, 19.03.2014.
Berlusconi darf weiter kein Amt ausüben,. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/berlusconi-darf-weiter-kein-amt-ausueben-12853283.html Frankfurter Allgemeine Politik,04.03.2014.
Europawahl, Berlusconi darf nicht zum EVP-Kongress, 04.03.2014. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/europawahl-berlusconi-darf-nicht-zum-evp
13
die im Abgeordnetenhaus 23,79 und im Senat 25,35 % der Wählerstimmen
erhielt8. Vor allem die von der EU enttäuschten Menschen und Teile der jun-
gen Generation konnte Grillo für sich und seine Bewegung mobilisieren.
Auch in den skandinavischen Ländern haben sich rechtspopulistische Partei-
en fest etabliert, z.B. die Norwegische Fortschrittspartei unter ihrem Vorsit-
zenden Carl Hagen, die bei den Wahlen des Jahres 2001 14,6% der Stim-
men erreichte und durch ihre Tolerierung der Mitte-Rechts-Minder-
heitsregierung unter Kjel Magne Bondevic großen Einfluss gewann. Bei der
Storting-Wahl 2005 legte die Partei nochmals kräftig zu, wurde mit 22,1% der
Stimmen die zweitgrößte Partei im norwegischen Parlament und konnte bei
den Wahlen 2009 mit 22,9% mit dem neuen Vorsitzenden Siv Jensen ihre
Stellung eindrucksvoll bestätigen9.
In Dänemark hat die rechtspopulistische Dänische Volkspartei, die 1995 ge-
gründet wurde, als Mehrheitsbeschafferin der liberal- konservativen Regie-
rung seit 2001 einen stabilen Stimmenanteil bei den Folketing-Wahlen, der
stets zwischen 12% und 14% lag und die Dänische Volkspartei zur dritt-
stärksten Partei des Landes machte.
Weniger ausgeprägt ist der Rechtspopulismus in Schweden, wo die rechts-
populistische Neue Demokratie nur kurzfristige Erfolge erzielen konnte und
dann in der Bedeutungslosigkeit versank.
Dabei profitierte sie in besonderer Weise von den antimuslimischen Ressen-
timents, die nach den Morddrohungen gegen die Verfasser der Mohammed-
Karikaturen in Dänemark entstanden10.
Der Rechtspopulismus ist auch bei den Parteien in Ostmitteleuropa auf dem
Vormarsch (Frölich-Steffen/Rensmann 2005: 147-225). Allerdings hat dieser
rechte Parteienpopulismus in den osteuropäischen Ländern andere Wurzeln
als im übrigen Europa und er ist vor allem durch die autoritäre Vergangenheit
geprägt und die zahlreichen Probleme, die sich aus der Transformationskrise
seit der Wende von1989/1990 ergaben (Hartleb 2011: 61ff), (Lochoki 2012:
http://www.tagesschau.de/ausland/grillo-interview100.html, 30.10.2013. 9 Zum Profil der Norwegischen Fortschrittspartei vergleiche die Web Seite der Partei,
http://www.frp.no/, 17.12.2013. 10
Zur Selbstdarstellung der Partei und ihrer aktuellen Programmatik siehe ihre Internet Webseite: Danskfolkeparti,
Ein spektakulärer Aufstieg rechtspopulistischer Parteien lässt sich seit meh-
reren Jahrzehnten in Österreich und in der Schweiz beobachten.
So erlebt die Schweizerische Volkspartei seit den 80er Jahren einen unge-
ahnten Höhenflug und entwickelte sich von einer traditionellen Bauernpartei,
die rechtskonservativ ausgerichtet war, zu einer rechts-populistischen Partei.
Maßgeblich beteiligt an den großen Erfolgen der Partei ist bis heute der
Schweizer Unternehmer C. Blocher, der die SVP nicht nur sehr stark finanzi-
ell unterstützt, sondern der sie auch von einer konservativen, der politischen
Mitte angehörigen, eher regional ausgerichteten Partei zu einer landesweiten
rechtspopulistischen Kraft machte, die gemessen an der Mitgliederzahl die
drittgrößte Partei des Landes ist. Im Nationalrat verfügte sie von 2003 bis
2007 über 55 Sitze und stellte damit die größte Fraktion dar. Diese großen
Erfolge der SVP führten auch dazu, dass C. Blocher im Jahr 2003 als Mit-
glied des Bundesrates die seit 1959 unumstößlich geltende Zauberformel
erschüttern konnte, die den Parteienproporz im Bundesrat de facto festlegte
und den vier großen Parteien eine feste Zahl an Sitzen in der Schweizer Re-
gierung sicherte. Auf Grund seiner massiven Forderungen erhielt die SVP
einen zweiten Sitz im Bundesrat und Blocher selbst wurde am 10. Dezember
2003, zusätzlich zu dem bisherigen Vertreter Samuel Schmid, in den Bun-
desrat gewählt, in dem er freilich gemäß den Vorgaben der Schweizer
Konkordanzdemokratie nach außen den Kurs und die Entscheidungen der
Regierung mittragen musste.
Im Jahr 2007 konnte die SVP bei den Wahlen zum Nationalrat noch einmal
kräftig zulegen und ihren Anteil an Sitzen von 55 auf 62 steigern, was vor
allem auf ihre Stimmengewinne in der französischsprachigen Schweiz zu-
rückzuführen war. Trotz innerparteilicher Spannungen, die durch die überra-
schende Nichtwiederwahl von C. Blocher bei den Bundesratswahlen 2007
verschärft wurden und zur Spaltung der SVP in zwei Flügel führten, in den
gemäßigten Berner Flügel, dessen Vertreter aus den Kantonen Bern und
Graubünden stammten und auf Kooperation setzten, und den Züricher Flü-
gel, der die programmatischen Vorgaben der Partei kompromisslos durchzu-
setzen suchte, spricht vieles dafür, dass C. Blochers Züricher Flügel, dessen
Wähleranteile in allen Kantonen kontinuierlich ansteigen, sich durchsetzen
wird. Dies bestätigten auch die Nationalratswahlen vom 23. Oktober 2011,
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bei denen die Wähler eindeutig für die Züricher Linie votierten und C. Blocher
wieder in den Nationalrat wählten. Allerdings musste die SVP leichte Verlus-
te, nämlich 2,4%, hinnehmen11.
In Österreich gelang es der Freiheitlichen Partei Österreichs unter Jörg Hai-
der, sich seit 1986 als Vertreterin des „Dritten Lagers― als ernstzunehmender
Rivale der etablierten großen Volksparteien SPÖ und ÖVP zu profilieren.
Dabei veränderte die Partei, die bis zu diesem Zeitpunkt eine relativ unbe-
deutende Rolle gespielt hatte und zwischenzeitlich als bürgerlich konservati-
ve Partei mit liberalen Elementen auftrat, unter dem Einfluss des neuen Par-
teivorsitzenden Jörg Haider ihr Profil grundlegend und erschloss dabei völlig
neue Wählerklientele außerhalb ihres bisherigen Milieus, die sich wohl auch
aus Enttäuschung über das Versagen der etablierten Parteien SPÖ und ÖVP
durch die aggressiven populistischen Forderungen der FPÖ angesprochen
fühlten.
Die logische Folge dieser Entwicklung war die Wahl vom Februar 2000, bei
der die FPÖ mit 26,9 % zweitstärkste Partei in Österreich wurde12.
Die anschließende Regierungsbeteiligung der FPÖ, der heftige innerparteili-
che Kontroversen vorausgingen und die von den Vertretern eines Oppositi-
onskurses unter Jörg Haider energisch bekämpft wurde, führte zu einer
schweren Koalitionskrise und vorgezogenen Neuwahlen zum Nationalrat im
November 2002, bei denen die FPÖ schwere Stimmenverluste hinnehmen
Vergleiche dazu: 11
Geden, Oliver 2006: Diskursstrategien im Rechtspopulismus. Freiheitliche Partei Österreichs und
Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Kriesi, Hanspeter, 2005: Der Aufstieg der SVP. Acht Kantone im Vergleich, Zürich: NZZ-Verlag,
Mazzoleni, Oscar: Nationalisme et populisme en Suisse. La radica-lisation de la ‗nouvelle‘ UDC. Lau-sanne 2003. 11
Betz, Hans-Georg, 2001: Exclusionary Populism in Austria, Italy, and Switzerland, in: International
Journal 56: 393-420.. 11
Hartleb, Florian, Rechts- und Linkspopulismus - Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS,
Phil. Diss. Univ. Chemnitz, Wiesbaden 2004, S. 17, S. 18 – 19. 11
Vergleiche dazu die offizelle Übersicht über die Wahlergebnisse unter: Parlamentswahlen, Das Schweizer Parlament / CH - 3003 Bern,
Die Entwicklung der FPÖ seit Beginn der 80er Jahre: Piringer, Kurt, Die Geschichte der Freiheitlichen. Beitrag der Dritten Kraft zur österreichischen Politik.
Wien 1982. Pelinka, Anton, Die FPÖ in der vergleichenden Parteienforschung. Zur typologischen Einordnung der
Freiheitlichen Partei Österreichs. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 3/2002: 281-299. http://www.oezp.at/pdfs/2002-3-03.pdf, 07.01.2014. Pelinka, Anton, (Hrsg.), Populismus in Österreich, Wien 1987. Minich, Oliver, Die freiheitliche Partei Österreichs als Oppositionspartei in der Ära Haider. Strategie,
Programmatik, innere Struktur, von Gollenstein 2003. Obszerninks, Britta, A, Nachbarn am rechten Rand: Republikaner und Freiheitliche Partei Österreichs
im Vergleich. Münster 1999.
16
musste und nur noch einen zehnprozentigen Stimmenanteil erreichte. Die
innerparteilichen Spannungen wurden durch die Entscheidung eines Teils
der Partei unter Führung von Herbert Haupt, erneut eine Koalition mit der
ÖVP einzugehen und dabei sehr große Zugeständnisse an den Koalitions-
partner zu machen, massiv verschärft. Die Wahlen zum Europaparlament im
Jahre 2004, bei denen die Partei einen Einbruch von 23,4% (1999) auf
6,31% erlebte, war der Höhepunkt der Talfahrt der FPÖ.
Mit der Abspaltung einer neu gegründeten Partei, die unter dem Namen
Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) firmierte und von ihrem Gründer Jörg Hai-
der geführt wurde, schien der weitere Niedergang der FPÖ vorprogrammiert
zu sein. Durch die Wahl des neuen Parteivorsitzenden Hans-Christian
Strache auf dem Parteitag der FPÖ in Salzburg am 23. April 2005 wurde der
Abwärtstrend der FPÖ jedoch gestoppt. Mit Parolen wie „Wien darf nicht Is-
tanbul werden― und „Deutsch statt nix verstehn― mobilisierte er schnell neue
Anhänger für die Freiheitlichen, und es gelang ihm auch, die meisten Lan-
desverbände mit Ausnahme der Kärntner FPÖ hinter sich zu bringen13.
Das Wiedererstarken der FPÖ unter ihrem neuen Vorsitzenden Hans-
Christian Strache spiegelte sich auch in den Ergebnissen der Nationalrats-
wahlen von 2008 und den Wahlen zum Europaparlament von 2009 sowie
allen Landtagswahlen in Österreich seit 2008, bei denen die FPÖ überall
kräftig zuzulegen vermochte.
Der außergewöhnliche Einbruch der FPÖ bei den Kärntner Landtagswahlen
im Jahre 2009 ist durch die Abspaltung des BZÖ, dessen Hochburg Kärnten
ist, bedingt. Mittlerweile hat sich das Kärntner BZÖ von der Bundespartei
abgespalten und bildet seitdem als „Die Freiheitlichen― in Kärnten-FPK die
„Schwesterpartei― zu Straches FPÖ (Hartleb 2011: 41ff)14.
13
Zum kritischen Presseecho auf diese Parolen vergleiche: Standard der, Wien darf nicht Istanbul werden, http://derstandard.at/1966831, 17.12.2013. 14
Siehe dazu: Wahlergebnisse Österreich
http://www.fpoe-Parlamentsklub.at/parlamentsklub/nationalrat/ wahlergebnisse/ 10.10.2011 Nationalrat 2008: 17,54 % (+6,5 Prozentpunkte gegenüber 2006), Mandate (total 183): 57 / -11 Europaparlament 2009: 12,71 % (+6,40 Prozentpunkte gegenüber 2004) Mandate (total 736, Österreich 17): 2 / + 1 Landtagswahlen Tirol 2008: 12,41 % (+4,44 Prozentpunkte gegenüber 2003) Landtagswahlen Niederösterreich 2008: 10,47 % (+ 5,98 Prozentpunkte gegenüber 2003) Landtagswahlen Wien 2010: 25,77 % (+ 10,94 Prozentpunkte gegenüber 2005) Landtagswahlen Burgenland 2010: 8,98 % (+ 3,23 Prozentpunkte gegenüber 2005) Landtagswahlen Steiermark 2010: 10,66 % (+6,10 Prozentpunkte gegenüber 2005) Landtagswahlen Salzburg 2009: 13,02 % (+4,33 Prozentpunkte gegenüber 2004)
17
Demgegenüber verlor das BZÖ immer stärker an Bedeutung, was sich in den
Wahlergebnissen spiegelte. Nach einem kurzen Aufschwung der Partei im
Jahr 2008, in dem Haider als Spitzenkandidat und Parteivorsitzender die Par-
tei in den Nationalrat führte und mit 10,7% das beste bundesweite Wahler-
gebnis des BZÖ erzielte, verlor die Partei wieder stark an Boden, was einer-
seits mit dem Tod von J. Haider am 15.Oktober 2008 zusammenhing und
andererseits durch den umstrittenen neoliberalen Kurs seines Nachfolgers
als BZÖ- Obmann, Josef Bucher, bedingt war15.
Die Nationalratswahlen vom 29.09.2013 bedeuteten den bisherigen Tiefpunkt
der Partei. Das BZÖ – Liste Josef Bucher, kam nur noch auf 3,5% der Wäh-
lerstimmen und blieb damit deutlich unter den 4%, die in Österreich für den
Einzug ins Parlament erforderlich sind. In den letzten Jahren hat sich mit
dem „Team Stronach für Österreich― eine neue politische Kraft etabliert.
Diese wirbt gezielt Politiker anderer Parteien ab und wurde am 25.09.2012
offiziell als Partei gegründet. Der Obmann der Partei ist der Milliardär Frank
Stronach, der nach Kanada ausgewandert war, dort seine Milliarden verdien-
te und jetzt als politischer „Heilsbringer― nach Österreich zurückgekehrt ist.
Die Erfolge des „Teams Stronach― bei den Landtagswahlen in Kärnten und
Niederösterreich, wo die Partei auf Anhieb 11,3% bzw. 9,8% der Wähler-
stimmen gewann, könnten für die FPÖ bzw. die FPK in Kärnten zu einem
Problem werden, zumal das „Team Stronach― unter dem Motto, „Neue Werte
für Österreich― mit öffentlichkeitswirksamen populistischen Parolen immer
mehr Zulauf erhält. Auf nationaler Ebene ist die Partei von Frank Stronach
zwar nicht so erfolgreich wie in den Bundesländern, aber auch hier konnte
sie bei den Nationalratswahlen vom September 2013 mit 5,7% der Wähler-
stimmen ein beachtliches Ergebnis erzielen und zog mit 11 Abgeordneten in
den neuen Nationalrat ein16.
Landtagswahlen Kärnten 2009: 3,76 % (-38,67 Prozentpunkte gegenüber 2004) Landtagswahl in Vorarlberg 2009: 25,12 % (+12,94 Prozentpunkte gegenüber 2004) Landtagswahlen Oberösterreich 2009: 15,29 % (+6,89 Prozentpunkte gegenüber 2003) 15
Vergleiche dazu: Tabellen und Wahlergebnisse der FPÖ,
http://www.fpoe-parlamentsklub.at/parlamentsklub/nationalrat/wahlergebnisse/ 17.12.2013. Tabellen der FPÖ,
http://www.fpoe-wien.at/ index .php? id =1019, 22.12.2011. 16
Siehe dazu:
Team Stronach,
http://www.teamstronach.at/de/ .19.03.2013. Frank Stronach Institut,
http://www.stronachinstitut.at/frank-stronach19.03.2013. Die grosse Frank Stronach Story,
18
Allerdings ist die Zukunft des Teams Stronach nach dem überraschenden
Rückzug von Frank Stronach aus dem Nationalrat Ende Januar 2014 mehr
als ungewiss. Der austro-kanadische Milliardär bleibt zwar zunächst Vorsit-
zender der Partei, doch der Verzicht des Teams Stronach auf eine Kandida-
tur bei den Europawahlen im Mai 2014 ist bereits ein Hinweis darauf, dass
sich das Team Stronach in einer schweren Krise befindet und Auflösungser-
scheinungen und Spaltungstendenzen unverkennbar sind, sogar eine Umbe-
nennung wird bereits ins Auge gefasst17.
Im Nationalrat ist auch das Wahlbündnis, „das Neue Österreich-Liberales
Forum― (NEOS) mit 9 Abgeordneten vertreten, das völlig überraschend 5%
der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, obwohl die Partei das Neue
Österreich erst am 27. Oktober 2012 in der Wiener Urania gegründet wurde
und das Bündnis mit dem Liberalen Forum sogar noch einige Monate später
angeschlossen wurde. Unter dem populistischen Motto „Pläne für ein neues
Österreich im Jahr 2018― und mit den thematischen Schwerpunkten Bildung,
Europa und direkte Demokratie konnte sie in kürzester Zeit bei den Wahlen
punkten und 9 Abgeordnetensitze im neu gewählten Parlament gewinnen18.
Durch den Einzug von Team Stronach und den NEOS ins österreichische
Parlament, die immerhin über 10% der Wählerstimmen erhielten, hat sich die
politische Landschaft in Österreich verändert und es ergeben sich ganz neue
politische Konstellationen und Koalitionsmöglichkeiten.
Allerdings verfügen die beiden großen Parteien (SPÖ und ÖVP) über eine http://www.puls4.com/highlights/Die-grosse-Frank-Stronach-Story/artikel/11368, 17.12.2013.
Spiegel online Politik, Hengst, Björn, Stronach-Rückzug aus Wiener Nationalrat: Ende des
Frankschämens, Wien 29.01.2014. http://www.spiegel.de/politik/ausland/frank-stronach-haelt-abschiedsrede-in-oesterreichs-nationalrat-a-946242.html, 09.04.2014. Ortner, Michael, Sempelmann, Peter, Frank Stronach und sein Rückzug: Ein Milliardär auf Irrwegen,
in Format at, 27.01.2014. http://www.format.at/articles/1404/930/371798/frank-stronach-rueckzug-ein-milliardaer-irrwegen, 11.04.2014. Baumann, Meret, Das Missverständnis Frank Stronach, Rückzug aus Österreichs Politik, Wien,
Dienstag 28. Januar 2014, 13 : 13, http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/das-missverstaendnis-frank-stronach-1.18230739, 11.04.2014. 18
NEOS, Das neue Österreich
http://neos.eu/.10.10.2013.
19
absolute Mehrheit von fast 52% und werden, wie schon so oft in Österreich,
eine große Koalition eingehen.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine Reihe von rechtspopulisti-
schen Parteien und rechtsextremistischen Parteien, die jedoch, sieht man
von der NPD ab, zur Zeit nur noch mit acht Abgeordneten im sächsischen
Landtag vertreten, stark an Bedeutung verloren haben.
So hat die DVU nach sporadischen Wahlerfolgen in Schleswig-Holstein
(1992 6,3%), in Sachsen-Anhalt (1998 12,9%) sowie in den Jahren 1999 und
2004 in Brandenburg (5,3% und 6,1%) große Einbußen an Wählern und
Mitgliedern zu verzeichnen und ist zurzeit genauso wenig wie „Die Republi-
kaner― eine ernstzunehmende politische Kraft19.
Der neu gegründeten Partei „Die Rechte― mit ihrem Vorsitzenden Christian
Worch werden von der „Zeit – Online― auch keine großen Erfolgschancen
eingeräumt, denn sie steht programmatisch im Wesentlichen auf der Linie
der zerfallenden DVU20 (Decker 2012: 21ff).
Auch wenn das Gewicht der rechtspopulistischen Parteien in der Bundesre-
publik Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern Europas auf
Grund der historischen Vorbelastungen deutlich geringer ist, lässt sich doch
nicht bestreiten, dass die rechtspopulistischen Parteien im demokratischen
Europa in den letzten Jahren stark an Bedeutung und Einfluss gewonnen
haben, und dass es zahlreiche Parallelen zwischen diesen Parteien gibt, was
ihre Feindbilder und ihre Problemlösungsstrategien, ihre politische Grundein-
stellung, ihren Kommunikationsstil sowie ihre innerparteiliche Organisations-
form anbetrifft.
Diese Parallelen werden in dem folgenden Schaubild der im Dezember 2013
erschienen Studie „Europa Nein Danke― von Karsten Grabow und Florian
Hartleb sehr klar herausgearbeitet. (Grabow/Hartleb 2013: 19)
19
Neu, Viola, DVU – NPD: Perspektiven und Entwicklungen
http://www.kas.de/wf/doc/kas_5749-544-1-30.pdf?041130155856, 05.12.2012. Zu den Wahlergebnisse von NPD und DVU ab 1990,
Feindbilder (i) (muslimische) Einwanderer, Asylsuchende, ethnische/religiöse Minderheiten (ii) politische, wirtschaftliche und kulturelle Eliten (iii) EU-Verfahren, Strukturen und Bürokraten
„Abhilfe”
(i) Einwanderungsstopp, striktere Anwendung der Einwanderungsgesetze und Maß-nahmen des Wohlfahrtstaats, Ausweisung von kriminellen oder nicht integrationswilli-gen Einwanderern (ii) Aufbrechen des „Elitenkartells‖ (iii) Ende weiterer EU-Integration und weiterer Finanztransfers
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bizarrer-brief-linken-parteivorstand-lobt-fidel-castro/4522996.html, 30.10.2013. Chronik der PDS, Zur Geschichte der Linkspartei. PDS,
http://archiv2007.sozialisten.de/partei/geschichte/view_html?zid=28370&bs=1&n=4, 30.10.2013 Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 2011,
https://www.wahlen-berlin.de/wahlen/BE2011/Ergebnis/Karten/ Zweitstim-men/Ergebnisueberblick.asp?sel1=1052&sel2=0651, 17.12.2013. Programmdebatte: Linke-Chefin erklärt Kommunismus zum Ziel der Partei,
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/programmdebatte-linke-chefin-erklaert-kommunismus-zum-ziel-der-partei-a-737780.html, 30.10.2013. Eine genauere Analyse der LINKEN von Berlin findet sich im Kapitel 3.
25
der Stadt, wo sie mit Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg ihre Hochburgen
hat. Aber auch hier, im Osten der Stadt, musste sie bei den letzten Wahlen
zum Abgeordnetenhaus mit einem Stimmenanteil von nur noch 22 % Verlus-
te hinnehmen. Sie konnte in der Vergangenheit beachtliche Wahlergebnisse
erzielen und sich zweimal an der Regierung beteiligen.
Dies ist auch der Grund dafür, dass die LINKE von Berlin wesentlich pragma-
tischer ausgerichtet ist als die Bundes-LINKE.
Allerdings hat ihr diese pragmatische Anpassung an den Koalitionspartner
auch immer wieder Kritik vom orthodoxen Flügel der Partei eingebracht.
1.3 Politikwissenschaftliche Desiderate und zu erwartende
Forschungsergebnisse
Die Politikwissenschaft hat die Entwicklung von populistischen Parteien
schon seit langer Zeit mit unterschiedlichen Ansätzen untersucht.
So wurden bereits in den achtziger Jahren von Margaret Canovan grundle-
gende Forschungen zum Phänomen des Populismus vorgelegt. Ausgehend
von einer Typologie verschiedener Erscheinungsformen des Populismus in
Vergangenheit und Gegenwart unterschied sie einen agrarischen und einen
politischen Populismus, die beide die Berufung auf das idealisierte Volk und
eine antielitäre Haltung gemeinsam haben.
Bei ihrer Betrachtung des politischen Populismus verweist sie vor allem auf
das Phänomen der populistischen Demokratie und den Populismus von Par-
teien und Politikern, die den Populismus als strategisches Mittel einsetzen
(Canovan 1981).
Ein wichtiger Ansatz bei der Betrachtung des Parteienpopulismus ist die Par-
teienforschung. Sie konzentriert sich auf die Auswirkungen populistischer
Parteien auf die Parteiensysteme in demokratischen Ländern, die Verschie-
bung der traditionellen Konfliktlinien sowie die neuen Koalitionsmöglichkei-
ten, die sich durch den Aufstieg populistischer Parteien ergeben (Pelinka
1987). Ein zweiter Ansatz ist die Untersuchung des Spannungsverhältnisses
zwischen populistischen Parteien und den Anforderungen eines demokrati-
schen Systems (Decker 2006). Ein dritter Schwerpunkt der Forschung liegt
auf der Analyse der Diskursstrategien populistischer Parteien wobei aller-
dings die Strategien rechtspopulistischer Parteien vorrangig behandelt wur-
26
den (Geden 2006), (Keller 2003, 2004). Ein weiterer Ansatz, mit dem man
sich an das Phänomen der populistischen Parteien annähert, ist die Analyse
des Wählerpotentials dieser Parteien, wobei die soziale Herkunft und die Al-
tersstruktur der Wählerschaft dieser Parteien näher betrachtet werden (Plas-
ser/Ulram, 1995, 2002, 2007). Außerdem ist der Vergleich zwischen populis-
tischen Parteien, vor allem rechtspopulistischer Ausrichtung, seit längerer
Zeit ein wichtiges Aufgabenfeld der Politikwissenschaft. Doch dabei wurde
die oben schon angesprochene Rolle populistischer Parteien in der Regie-
rungsverantwortung kaum thematisiert und auch die Entwicklungslinien po-
pulistischen Verhaltens vor, während und nach einer Regierungsbeteiligung
nicht oder nur am Rande erfasst. Hinzu kommt, dass in der komparativen
politikwissenschaftlichen Forschung ganz offensichtlich die Untersuchung
rechtspopulistischer Parteien lange Zeit im Vordergrund stand und der Links-
populismus entweder völlig ignoriert oder aber als unerheblich abgetan wur-
de.
Erst die Arbeit von Hartleb, der den Populismus der Schill-Partei und der
PDS verglich, setzte hier neue Akzente. Er bezog damit den Linkspopulismus
in Deutschland in die Betrachtung mit ein und stellte zudem zwei politische
Ebenen gegenüber, die Ebene des Stadtstaates Hamburg sowie die von der
PDS geprägte politische Landschaft der neuen Bundesländer (Hartleb 2004).
Die vorliegende Arbeit will diesen von Hartleb eingeschlagenen Weg weiter-
verfolgen, aber den Blick über die Bundesrepublik Deutschland hinaus auf
Österreich und die Schweiz richten und neue Dimensionen der Bewertung
populistischer Parteien erschließen. Zu diesem Zweck wurde eine Befragung
von drei Funktionsgruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
durchgeführt, die die Entwicklungslinien populistischen Verhaltens der Par-
teien dieser Länder vor, während und nach einer Regierungsbeteiligung zum
Gegenstand hatte.
Dabei wurde der Frage nachgegangen, ob und ggf. wie sich die Deutungs-
muster der befragten Funktionsgruppen, also die Frames, voneinander un-
terscheiden. Durch die standardisierte Form des Fragenkatalogs, der den
Politikwissenschaftlern, Journalisten und Politikern in Deutschland, Öster-
reich und der Schweiz vorgelegt wurde, ergeben sich nicht nur zahlreiche
neue Vergleichsmöglichkeiten, sondern auch wichtige Einsichten, was die
27
Bewertung des neuen Parteienpopulismus betrifft.
Eine interessante Frage, die sich dabei stellt und die die Arbeit beantworten
will, ist, warum sich diese Deutungsmuster zum Teil so stark unterscheiden
und welche länderspezifischen Hintergründe dabei eine Rolle spielen. Eine
zweite Frage ist, warum sich das Selbst-Framing der Politiker links- und
rechtpopulistischer Parteien so grundlegend unterscheidet und welche Be-
deutung dabei die politische Ebene und der länderspezifische Kontext haben.
Das folgende Schaubild, das das Selbst-Framing der Politiker links- und
rechtspopulistischer Parteien und das Fremd-Framing der Wissenschaftler
und Journalisten gegenüberstellt, veranschaulicht diese zentrale Zielsetzung
der Arbeit.
Quelle: Eigene Darstellung
Auf diese Weise soll die Problematik aus der Sicht von drei Funktionsgrup-
pen beleuchtet werden, die in völlig unterschiedlicher Weise mit dem Phä-
nomen des Populismus zu tun haben.
Die erste Gruppe sind Politikwissenschaftler, die das Phänomen Populismus
wissenschaftlich untersuchen, um eine gesicherte Grundlage für ein besse-
28
res Verständnis der Verhaltensmuster populistischer Politiker und Parteien
zu schaffen und eine Bewertung des Populismus als Element der modernen
Demokratie vorzunehmen.
Die zweite Gruppe sind Journalisten, die für verschiedene Zeitungen schrei-
ben und ihren Lesern im schnelllebigen Ablauf des politischen Tages-
geschehens das Phänomen des Parteienpopulismus näherbringen wollen
und dabei auf die Ergebnisse der Politikwissenschaft achten und gegebenen-
falls auf sie zurückgreifen. Natürlich gibt es auch Zeitungen, die selbst popu-
listisch agieren und somit dem Objektivitätsanspruch der Qualitätszeitungen
nicht gerecht werden.
Die dritte Gruppe sind Politiker, die den Populismus gezielt nutzen, um Mit-
glieder und Wähler ihrer Partei anzusprechen sowie neue Anhänger zu mobi-
lisieren. Sie wollen im Rahmen des demokratischen Systems Macht und Ein-
fluss gewinnen und eine Regierungsbeteiligung realisieren.
Diesen drei Personengruppen wurde ein Fragenkatalog vorgelegt, der ihnen
die Möglichkeit gab, ihre grundsätzliche Einstellung zum Parteienpopulismus,
ihre Sicht des populistischen Agierens der Partei im Vorfeld der Regierungs-
beteiligung, ihre Einschätzung der Auswirkungen der Regierungsbeteiligung
auf das populistische Profil der Partei darzulegen und darüber hinaus mögli-
che Zukunftsperspektiven populistischer Parteien aufzuzeigen.
Die Antworten der befragten Funktionsgruppen auf diesen Fragenkatalog
bildeten die empirische Basis der Arbeit und wurden sorgfältig ausgewertet.
Dabei wurden die Deutungsmuster bzw. Frames innerhalb der verschiede-
nen Gruppen herausgearbeitet, bewertet und verglichen. Bei der verglei-
chenden Betrachtung der Deutungsmuster boten sich verschiedene Ebenen
an, die regionale, die nationale und die länderübergreifende mitteleuropäi-
sche Ebene. Möglicherweise lassen sich auch verschiedene wechselseitige
Beeinflussungen der Deutungsmuster der drei Personengruppen feststellen,
so dass insgesamt ein differenzierteres Bild des populistischen Phänomens
und der Auswirkungen einer Regierungsbeteiligung auf das populistische
Profil von Parteien entsteht.
29
1.4 Relevanz der Arbeit
Die politikwissenschaftliche Relevanz der Arbeit besteht darin, dass die bis-
herigen wissenschaftlichen Ansätze bei der Erfassung des neuen Parteien-
populismus nach 1980 durch Sichtweisen und Methoden ergänzt und erwei-
tert werden, die neue Erkenntnisse versprechen und ein differenzierteres Bild
von der Rezeption des neuen Parteienpopulismus in unterschiedlichen Län-
dern entstehen lassen. Bisher hatte die politikwissenschaftliche Erforschung
des neuen Parteienpopulismus in Europa mehrere Schwerpunkte. So wurden
länderspezifische Untersuchungen vorgenommen, die die Entwicklung popu-
listischer Parteien in einzelnen Ländern in den Mittelpunkt der Betrachtung
stellten. Dieser Ansatz wurde vor allem von Pelinka initiiert, der in dem von
ihm herausgegebenen Sammelband den Aufstieg der FPÖ wissenschaftlich
untersuchte und ihn im Kontext zahlreicher anderer Erscheinungsformen des
Populismus in Österreich darstellte (Pelinka 1987), (Decker 2013).
Die Fragen nach den mögliche Ursachen für den Aufstieg so vieler rechtspo-
pulistischer Parteien in Europa, den Auswirkungen dieser Entwicklung sowie
ihren eventuellen positiven und negativen Folgen für die Demokratie wurde
vor allem von Frank Decker und in einer neuen Studie von Grabow/Hartleb
untersucht und thematisiert28.
Die wissenschaftliche Betrachtung der Entwicklung des linken Parteienpopu-
lismus wurde dagegen vernachlässigt und nur von wenigen Politikwissen-
schaftlern in Angriff genommen, wie z.B. von J.P. Lang, der sich auf die Rolle
der PDS und der LINKEN in Deutschland konzentrierte29.
Die vergleichende Analyse von populistischen Parteien in Europa ist bislang
28
Siehe dazu die Studien von: Decker Der neue Rechtspopulismus, Opladen 2004, sowie den von ihm
herausgegebenen Sammelband , Decker (Hrsg.) Populismus, Gefahr für die Demokratie oder nützli-ches Korrektiv?, Wiesbaden 2006. Grabow, Karsten, Hartleb, Florian, EUROPA – NEIN DANKE? Studie zum Aufstieg rechts- und nati-
onalpopulistischer Parteien in Europa, 2. Dez. 2013, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., ISBN 978-3-944015-99-6 http://www.kas.de/wf/de/33.36200/ ,05.01.2014. 29
Siehe dazu: Lang, Jürgen, P, Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersu-
chung, Baden-Baden 2003. Lang, Jürgen P., 15 Jahre PDS — eine zwiespältige Bilanz, in: Deutschland Archiv, 6/ S. 963 – 969,
2004. Lang, Jürgen P., Die doppelte Linke. Eine Analyse der Kooperation von PDS und WASG, in: Deutsch-
land Archiv 2, S.208 – 216, 2006. Lang, Jürgen P., Im Sog der Revolution. Die SED/PDS und die Auflösung der Staatssicherheit
1989/90, in: Deutschland Archiv 1, S. 97 – 105, 2007. Lang, Jürgen P.: Die Fusion von PDS und WASG aus extremismustheoretischer Sicht, in: Politische
Studien 1, 2007, S. 54 – 63. Jesse, Eckhard, Lang, Jürgen P, Der smarte Extremismus einer deutschen Partei, München 2008.
30
noch selten, sieht man einmal von den Arbeiten von Falkenberg und Decker
ab (Falkenberg 1997),(Decker 2000), und auch die Auswirkungen von Regie-
rungsbeteiligungen populistischer Parteien auf ihr populistisches Profil, wur-
den kaum untersucht (Frölich-Steffen/Rensmann 2005: VII).
Die vorliegende Arbeit will auf dem Hintergrund dieser Forschungslage in
mehrfacher Hinsicht eine neue Herangehensweise versuchen.
Sie strebt zum einen eine multiperspektivische Sicht des neuen Parteienpo-
pulismus im deutschsprachigen Mitteleuropa an, die auf Interviews mit drei
verschiedenen Personengruppen beruht: Politikwissenschaftlern, Journalis-
ten und Politikern populistischer Parteien. Dabei wird die konzeptionelle Vor-
gehensweise des Framing mit der vergleichenden Betrachtung kombiniert.
Um ein klar abgegrenztes Beobachtungsfeld zu haben, wurde der Fokus der
Arbeit auf eine ganz bestimmte Phase der Entwicklung dieser populistischen
Parteien nach 1980 gerichtet.
Die zentrale Fragestellung lautet dabei, inwieweit die Regierungsbeteiligung
populistischer Parteien aus der Sicht der befragten Personengruppen ihr po-
pulistisches Agieren verändert und welche länderspezifischen Unterschiede
dabei festzustellen sind.
Folgende Aspekte stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung:
1. Wie schätzen die Abgeordneten der verschiedenen Länder die Entwick-
lung des populistischen Profils ihrer Parteien vor und während der Regie-
rungsbeteiligung ein und wie werden von ihnen die Zukunftsaussichten ihrer
Parteien nach einer Regierungsbeteiligung beurteilt?
2. Wie schätzen Politikwissenschaftler und Journalisten dieser Länder die
Entwicklung des populistischen Profils der behandelten Parteien vor und
während der Regierungsbeteiligung ein? Welche Zukunftsperspektiven erge-
ben sich aus ihrer Sicht nach einer Regierungsbeteiligung?
Diese multiperspektivische Betrachtung bietet nicht nur die Möglichkeit, ver-
schiedene Sichtweisen von wichtigen Funktionsgruppen gegenüberzustellen,
sondern sie hat auch eine offene Annäherung an das Phänomen des neuen
Populismus zur Folge. Durch den Fragenkatalog, der bis auf leichte länder-
bedingte Abweichungen in Aufbau und Inhalt gleich oder ähnlich ist, haben
die befragten Akteure bzw. Funktionsgruppen genügend Spielraum für eine
individuelle und offene Beantwortung der Fragen.
31
Dadurch soll ein differenzierter Einblick in die vorherrschenden Deutungs-
muster der interviewten Funktionsgruppen entstehen, die zunächst deskriptiv
erfasst und anschließend einer Bewertung unterzogen werden, die auf dem
Hintergrund der länderspezifischen Bedingungen vorgenommen wird. Diese
Deutungsmuster können durchaus unterschiedlich ausfallen, ohne dass der
neue Parteienpopulismus nach 1980 a priori als eine Fehlentwicklung der
Demokratie erscheint. Somit werden vorschnelle Vorverurteilungen des neu-
en Populismus vermieden und eine objektive Annäherung an das
Methoden der vergleichenden Politik- und Sozialwissenschaft: Neue Entwicklungen und Anwendun-gen, VS Verlag Wiesbaden, 2009. Berg-Schlosser, Dirk, Cronqvist, Lasse, Aktuelle Methoden der Vergleichenden Politikwissenschaft,
Einführung in konfigurationelle (QCA) und makro-quantitative Verfahren, UTB Verlag 2011, Kap 2-8.3. Priester, Karin: Rechter und linker Populismus - Annäherung an ein Chamäleon.
Campus Verlag, Frankfurt/M. 2012. D’Amato, Gianni und Skenderovic, Damir, Rechtspopulistische Parteien und Migrationspolitik
Kriterien erfüllen, deren Einordnung ins populistische Lager aber nicht ein-
deutig und in der Politikwissenschaft umstritten ist32.
So stellt Hartleb zahlreiche populistische Züge bei der PDS bis 2004 fest
(Hartleb 2004: 280-286), während andere Politikwissenschaftler eine Einord-
nung der PDS ins linkspopulistische Lager nicht für angemessen halten. Bei
der Auswahl der Fallstudien wurden bewusst rechts- und linkspopulistische
Parteitypen gegenübergestellt, um ein umfassenderes Bild des Parteienpo-
pulismus zu schaffen.
Die Erkenntnisse, die durch die Fallstudien gewonnen werden, lassen sich
auf Grund der unterschiedlichen historischen, politischen und systemischen
Bedingungen nicht verallgemeinern und auf andere populistische Parteitypen
übertragen, können aber die Grundlage von Hypothesen sein, die bei be-
stimmten Aspekten allgemeine Aussagen zulassen.
So kann z.B., ausgehend von der Analyse der Auswirkung der Regierungs-
beteiligungen auf das populistische Profil der FPÖ, die Hypothese aufgestellt
werden, dass eine Regierungsbeteiligung dieses Profil in der Regel auch in
anderen Ländern mit ähnlichen Rahmenbedingungen merklich abschwächt.
Die Fallstudienmethode konzentriert sich in der vorliegenden Arbeit in erster
Linie auf Interviews, d.h. eine Befragung von Vertretern bestimmter Perso-
nengruppen, die in verschiedener Weise mit dem Problem des Parteienpopu-
lismus zu tun haben, dabei aber unterschiedliche Intentionen verfolgen. Bei
der Auswahl der Interviewpartner, die im Laufe eines ganzen Jahres im Re-
gelfall mündlich befragt wurden und nur in ganz wenigen Ausnahmefällen
eine schriftliche Beantwortung der Fragen vornahmen, wurde besonderer
Wert auf Repräsentativität, Ansehen und Einfluss der Persönlichkeiten ge-
legt33. So wurden z.B. Parteienvertreter befragt, die zum engsten Kreis der
32
Siehe dazu: Schmidt, Leo-Hendrik, Technologie als Prozess, 2006,
Kap. 4, Fallstudienansatz als Forschungsstrategie, http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_ derivae_000000002221/04_kap4.pdf?hosts=, 19.03.2013. Ein Überblick ausgewählter Fallstudienforschung mit induktiver theoriebildender Zielsetzung Eisenhardt, K.M.(1989). Building theories from case study research. Academy of Management Re-
view, 14(4), S.532-550. Speier-Werner. Petra, Die Einzelfallstudie, Einführung in die Comparative Politics,2006, Oldenbourg
Verlag. Siehe auch dazu im Anhang die Aussage von Prof. Lauth im Interview vom 22.03.2010. 33
Vergleiche die verschiedenen Interviewverfahren: Mayerhofer, W. Ludwig, Qualitative Interviewverfahren,
Beitrag zur Vorlesung, Allgemeine Wissenschaftsmethodik, S.3 http://www.phil.uni-greifswald.de/fileadmin/mediapool/general_ studies/Skript_Hiemisch_Methoden.pdf, 20.03.2013. Legewie, Heiner, Interviewformen in der Forschung,
Qualitative Methoden –Auswertung von Interviews mit MaxQDA, f-bb Ringvorlesung am 04.07.2008, http://www.f-bb.de/fileadmin/Materialien/Ringvorlesung/080704- qualitative_Methoden_fbb.pdf, 20.03.2013. 34
Die Ergebnisse der Auswertung werden in Tabellen im Kapitel 5 dargestellt. 35
Folgende Studien zur vergleichenden Politikwissenschaft und zum „Most different case design― und „most similar case design― sind besonders wichtig: Jahn, Detlef, Was ist Vergleichende Politikwissenschaft?, Standpunkte und Kontroversen,
http://www.phil.uni-greifswald.de/fileadmin/mediapool/ipk/publikationen/Jahn_Was_ist_VP.pdf, 03.12.2012. Bernauer, Thomas, Jahn, Detlef, Kuhn, Patrick, Walter, Stefanie, Einführung in die Politikwissen-
tungsmuster der drei Funktionsgruppen in Bezug auf rechts- und linkspopu-
listische Parteien ähneln oder ob sie sich in wesentlichen Punkten voneinan-
der unterscheiden.
Dabei ist die Frage interessant, warum zum Beispiel die Abgeordneten der
Linken von Berlin eine Einstufung ins populistische Lager zurückweisen und
die Abgeordneten der FPÖ und der SVP sogar stolz auf ihren sogenannten
positiven Populismus sind.
Das zentrale Erkenntnisziel der Arbeit besteht darin zu ermitteln, wie sich aus
Sicht der drei Akteursgruppen das populistische Profil der drei Parteien in
den jeweiligen Ländern in der Zeit vor, während und nach einer Regierungs-
beteiligung entwickelt. Dadurch ist auch ein Urteil darüber möglich, welches
dieser nebeneinander bestehenden und vielleicht konkurrierenden Deu-
tungsmuster sich in der Realität durchzusetzen vermag.
Der Vergleich der Auswirkungen der Regierungsbeteiligung auf das populis-
tische Profil der drei Parteien ist aber nur sinnvoll, wenn man auch die Rah-
menbedingungen und Hintergründe für ihre Entfaltung in die Betrachtung mit
einbezieht. Dabei müssen die unterschiedlichen historischen Bedingungsfak-
toren sichtbar gemacht werden, auf deren Hintergrund sich populistische
Parteien entfalten.
So ist z.B. für die PDS/LINKE und ihr Verhältnis zum Populismus die SED-
Vergangenheit von Bedeutung, in der die Bevölkerung der DDR auf vielfälti-
ge Weise mit populistischen Parolen gelenkt und manipuliert wurde.
Ähnliche Vorbelastungen prägen die Entwicklung der FPÖ, deren lange an-
dauerndes zwiespältiges Verhältnis zur NS-Vergangenheit und deren Ver-
wurzelung im konservativen Milieu, vor allem in der Burschenschaftbewe-
gung, nicht unbeachtet bleiben dürfen, eine historische Hypothek, die zwar
Stimmengewinne im rechten politischen Lager gebracht hat, aber anderer-
seits auch Angriffspunkte für die politischen Gegner geschaffen hat. Solche
Vorbelastungen historischer Art gibt es bei der Schweizer SVP weniger, denn
als Partei in einem neutralen Land, dessen Verflechtungen mit der NS-
Diktatur viel geringer waren und das auf eine lange Demokratietradition zu-
rückblicken kann, ist sie in einer besseren Situation als die LINKE in Berlin
oder die FPÖ in Österreich, die den Ballast der Vergangenheit nicht abwer-
fen können.
39
Nicht weniger wichtig ist die Bedeutung des politischen Systems, in dem die-
se populistischen Parteien agieren, für ihre Entfaltung und die unterschiedli-
che Auswirkung einer Regierungsbeteiligung auf ihr populistisches Profil. So
kann die SVP in der Schweiz gleichzeitig Bundesräte stellen, die sich dem
Konsensgebot fügen müssen und auch ihnen nicht genehme Entscheidun-
gen mitzutragen haben und die Partei gleichzeitig im öffentlichen Diskurs
populistisch gegen Entscheidungen der Bundesräte Sturm laufen, ohne dass
ihr das Wählerverluste bringt, auch wenn dies dem Gedanken des Kollegial-
prinzips widerspricht. Dies wäre bei einer Demokratie, die konkurrenzdemo-
kratische Züge aufweist, wie sie z.B. in Berlin vorliegt, völlig undenkbar, al-
lein schon wegen der koalitionsbedingten Kompromisse, die populistische
Parteien dort eingehen müssen und die auch ihren Spielraum für eine öffent-
liche populistische Polemik gegen die Regierung stark einengen.
Auf diese Weise ist dann ein Einblick in die unterschiedliche Bewertung der
Auswirkung einer Regierungsbeteiligung auf das populistische Profil der drei
Parteien eher möglich und es wird klar, dass der Populismus unter diesen
unterschiedlichen Bedingungen von den drei Funktionsgruppen anders beur-
teilt wird. Durch die vergleichende Analyse wird auch der Blick auf bestimmte
Gemeinsamkeiten rechts- und linkspopulistischer Parteien in Mitteleuropa
gelenkt, die nicht nur den politischen Diskurs, das taktisch-strategische Vor-
gehen, sondern auch die inhaltliche Ausrichtung betreffen. Gleichzeitig wer-
den signifikante Unterschiede sichtbar, was die grundsätzliche Einstellung
zum Populismus und die Einstufung der eigenen Partei als populistisch an-
geht. Die vorliegende Arbeit kann auch Impulse für weitere Vergleiche von
Ländergruppen geben, in denen populistische Parteien eine Regierungsbe-
teiligung erreicht haben und die bislang noch nicht politikwissenschaftlich
untersucht wurden und zudem als Basis und Vergleichsmaßstab für künftige
empirische Arbeiten dienen, die die gleiche konzeptionelle Vorgehensweise
und Methodik verwenden und dadurch vielleicht weitere interessante Ver-
gleichsmöglichkeiten eröffnen.
Die Einbeziehung der Partei die LINKE von Berlin in die vergleichende Ana-
lyse, einer Partei, die nicht nur dem linkspopulistischen Lager zuzuordnen ist,
sondern auch auf Länderebene agiert, war aus verschiedenen Gründen
sinnvoll. Zum einen hat die LINKE in der Bundesrepublik Deutschland bisher
40
nur auf Länderebene Regierungsbeteiligungen erreichen können, z.B. in
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, und eine Regierungsbeteiligung der
Partei auf Bundesebene erscheint auf absehbare Zeit nicht möglich. Daher
kommt ohnehin nur eine Linkspartei, die auf Länderebene agiert, für den vor-
liegenden Vergleich in Frage. Zum anderen ist Berlin das politische Zentrum
der Bundesrepublik und nirgends wird das Spannungsverhältnis zwischen
der Bundes-LINKEN und der Berliner LINKEN direkter spürbar als hier, wie
die Vergangenheit immer wieder gezeigt hat. Das „most different case de-
sign― soll zudem sichtbar machen, dass das populistische Agieren der LIN-
KEN von Berlin zwar anderen politischen Gesetzmäßigkeiten folgt als das
populistische Agieren der LINKEN auf Bundesebene und sich teilweise auf
andere Themenkomplexe konzentriert, z. B. kommunale Fragen, aber von
der Grundstruktur und von der Stoßrichtung her ähnlich ist, wie das Erfurter
Grundsatzprogramm vom 23. Oktober 2011 belegt36. Der Vergleich mit der
LINKEN in Berlin ist auch deshalb besonders interessant, weil die Bundes-
hauptstadt einen verhältnismäßig hohen Migrationsanteil von ca. 25% auf-
weist und das ehemalige Spannungsverhältnis zwischen Ost und West Berlin
noch nachwirkt, was zu einer Polarisierung des politischen Lebens beiträgt
und die populistische Konfrontation der Parteien verstärkt.
Zum Schluss der Arbeit soll auf dem Hintergrund der sorgfältigen verglei-
chenden Analyse der Eigenperspektive der Parteien und der Fremdperspek-
tive der Wissenschaftler und Journalisten die Frage geklärt werden, ob sich
das populistische Profil von Parteien auf Grund von Regierungsbeteiligungen
und den dabei häufig erforderlichen Kompromissen generell abschwächt und
ob nach einer Regierungsbeteiligung grundsätzlich eine Rückkehr zum op-
positionellen Populismus zu beobachten ist. Diese kann unter den jeweiligen
konkreten Bedingungen der drei untersuchten Parteien verschieden intensiv
ausfallen. Anschließend sollen die gewonnenen Ergebnisse im Lichte der
Forschung reflektiert und ein möglicher weiterer Forschungsbedarf formuliert
werden.
36
Programm der Partei DIE LINKE, Beschluss des Parteitags der Partei DIE LINKE vom 21./22./23.
Oktober 2011 in Erfurt.
41
2. Populismus in der politikwissenschaftlichen Analyse
Seit mehreren Jahrzehnten ist das Phänomen des Populismus zum Gegen-
stand einer breit gefächerten wissenschaftlichen Analyse geworden. Ver-
schiedene Wissenschaftsbereiche, vor allem die Soziologie, die Medienwis-
senschaft, die Psychologie, die Geschichtswissenschaft und die Politikwis-
senschaft, haben sich mit diesem Phänomen befasst und dabei vollkommen
unterschiedliche Untersuchungsansätze und Zielprojektionen entwickelt. Der
Medienwissenschaft geht es dabei um Wirkungsmechanismen der Kommu-
nikationsstrukturen in unserer modernen Mediengesellschaft. Sie untersu-
chen Kommunikationstechniken, mit denen populistische Inhalte an Men-
schen herangetragen werden und zeigen wie die revolutionären Entwicklun-
gen unseres Mediensystems diese Vermittlung populistischer Inhalte prägen
und möglicherweise begünstigen37.
Die Soziologie betrachtet zum Beispiel Deutungsmuster ganzer Gruppen und
beleuchtet deren Spannungsverhältnis, während die Psychologie den Blick
vor allem auf die Rezipienten populistischer Botschaften richtet und Motive,
Verhaltensmuster und Vorurteilsstrukturen analysiert, die den einzelnen Bür-
ger anfällig für populistische Beeinflussung machen38.
Die historische Forschung blickt zurück auf Formen des Populismus die es
seit der Antike gegeben hat und die auf dem Hintergrund historischer Rah-
menbedingungen und Systemverhältnisse zu sehen sind39. Die politikwis-
37
Diehl, Paula, Populismus und Massenmedien. APuZ5-6/2012, S. 16-22.
http://www.bpb.de/apuz/75854/populismus-und-massenmedien?p=all, 22.3.13. Siehe weitere Untersuchungen zu Populismus und Mediengesellschaft: Meyer, Thomas, (2006): „Populismus und Medien―. In: Frank Decker (Hrsg.): Populismus in Europa,
Wiesbaden 2006, S. 81-96. Gartmann, Fabian, Populismus und Pressefreiheit
Veranstaltungsbeiträge, Berlin, 12. Juni 2008 Hrsg.: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. http://www.kas.de/wf/de/33.13954/,30.10.2013. Misik, Robert, Rechtspopulismus und Medien - eine nicht immer widerwillige Symbiose, 07.08.12..
Priester, Karin, Wesensmerkmale des Populismus, APuZ 5-6/2012 S.3-8
http://www.bpb.de/apuz/75848/wesensmerkmale-des-populismus?p=all, 07.01.2014. D’Amato, Gianni, Skenderovic, Damir, Rechtspopulistische Parteien und Migrationspolitik
06.03.2005, www.migration-population.ch/?sozio-zh., 26.12.2913 Olbrich, Andreas und Viechtbauer , Karin, Psychologische Determinanten des Populismus,
Pilotstudie, http://homepage.univie.ac.at/Andreas.Olbrich/forschungpopulismus.htm, 23.03.2013. Dorna, Alexandre, Wer ist Populist, Annäherung an ein politisches Phänomen, Le Monde
Siehe auch historische Liteartur: Faber, Richard; Unger, Frank, Populismus in Geschichte und Gegenwart, Königshausen &Neumann,
Würzburg 2008.
42
senschaftliche Annäherung an den Populismus setzt wieder ganz andere
Schwerpunkte. Sie konzentriert sich stärker auf Ausprägungen des Populis-
mus in der Gegenwart (Priester 2012: 3ff). Sie zeigt z.B. auf, wie der Popu-
lismus von politischen Akteuren verschiedenster Art genutzt wird. Dabei
reicht die Palette von Einzelpersonen über organisierte Interessengruppen
und Parteien bis hin zu Neuen Sozialen Bewegungen. Die Art und Weise,
wie der Populismus von rechten und linken Parteien bzw. auch von etablier-
ten Parteien moderner Demokratien als politisches Instrument genutzt wird,
sowie die Ähnlichkeiten und Unterschiede in ihrem strategischen populisti-
schen Verhalten sind ein weiterer wichtiger Aspekt, der von der politikwis-
senschaftlichen Forschung thematisiert wird. In diesem Zusammenhang wird
auch die Abhängigkeit des populistischen Agierens von der Art des demokra-
tischen Systems, z.B. der Wettbewerbsdemokratie oder der Konsensdemo-
kratie, bzw. vom Ausmaß seiner plebiszitären Elemente näher analysiert und
unter die Lupe genommen.
Eine weitere wichtige Fragen, die die Politikwissenschaft im Zusammenhang
mit dem Populismus aufwirft, sind die Vereinbarkeit populistischen Agierens
mit der Demokratie (Decker 2006: 24-28). Der Wandel des Populismus unter
dem Einfluss des sich dynamisch entfaltenden Kommunikations- und Medi-
ensystems findet aus politikwissenschaftlicher Sicht wachsendes Interesse
und schafft zahlreiche Berührungspunkte der Politikwissenschaft mit Nach-
bardisziplinen wie der Soziologie und der Sozialpsychologie, die neue Sicht-
weisen eröffnen und neue Untersuchungsansätze mit sich bringen (Diehl
2012: 6ff).
Im Folgenden soll nun diese breitgefächerte politikwissenschaftliche Ausei-
nandersetzung mit einem Aspekt des Populismus, nämlich dem neuen Par-
teienpopulismus in Europa nach 1980, die als konzeptionelle Bezugsrahmen
der vorliegenden Arbeit dient, dargestellt werden.
Anschließend sollen Forschungslücken bei der politikwissenschaftlichen Ana-
lyse des Parteienpopulismus in Europa sichtbar gemacht werden und die
Forschungsperspektive der vorliegenden Dissertation in Bezug auf den neu-
en Populismus in einem Teilbereich Europas, und zwar Deutschland, Öster-
Priester, Karin, Populismus: Historische und aktuelle Erscheinungsformen, Campus Studium, 2007. Thommen, Lukas, Populus, plebs und populares in der römischen Republik, in: Populismus in Ge-
schichte und Gegenwart, (Hrsg). von R. Faber und F. Unger, Würzburg 2008, S.31–41
43
reich und der Schweiz, aufgezeigt werden. Zu diesem Zweck ist es allerdings
notwendig, sich zunächst einmal mit dem Begriff Populismus zu befassen,
seine Eignung als politikwissenschaftliche Kategorie zu überprüfen und ge-
gebenenfalls einen tragfähigen engeren Populismusbegriff zu entwickeln, der
als Grundlage der vorliegenden Arbeit dienen kann (Priester 2012: 3ff).
2.1 Verwendung des Begriffs Populismus
Wenn man die Verwendung des Begriffs Populismus näher betrachtet, fällt
sofort auf, dass der Begriff auf verschiedenen Ebenen verwendet wird. Eine
erste Ebene ist dabei die historische Ebene. Hier wird sichtbar, dass es in
der Vergangenheit durchaus ein sehr positives Populismusverständnis gege-
ben hat (Hartleb 2012: 22ff), z.B. in der Anfangsphase und in verschiedenen
späteren Phasen der US-Geschichte, als der Populismus zum Instrument
wurde, „sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen, ohne das System
selbst in Frage zu stellen―40.
Im Gegensatz zu dieser positiven Sicht des Populismus als historische Er-
scheinung in den USA steht die kritische Einstellung zum Populismus in der
Gegenwart, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt
ist, vor allem aber in Staaten mit einer faschistischen Vergangenheit zu be-
obachten ist. Dies kann also, wie Frank Decker betont (Decker 2000: 23-24),
als Reflex auf die Verführung der Menschen mit populistischen Mitteln, z.B.
in Deutschland nach 1933 und Österreich nach 1938, gesehen werden und
hat dort zu einer ganz anderen Sicht des Plebiszitgedankens beigetragen als
etwa in der Schweiz, in der die direkte Demokratie auf der Grundlage einer
langen demokratischen Tradition steht. Trotz der ambivalenten Verwendung
des Begriffs Populismus auf der historischen Ebene wird er im aktuellen poli-
tischen Diskurs, der zweiten Ebene, wo er häufig benutzt wird, noch viel ein-
seitiger eingesetzt und mit allen möglichen negativen Attributen in Verbin-
dung gebracht. Dabei schwingen Vorstellungen mit, wie z.B. die billige An-
biederung an populäre Vorurteile, Unredlichkeit und die opportunistische
Verbreitung von Halbwahrheiten, und keiner käme auf den Gedanken, dem
Phänomen des Populismus positive Aspekte abzugewinnen. Allerdings ist
diese Sicht, die auch durch die Populismusschelte der Medien in einigen
40
Einen guten Überblick über diese Phase des amerikanischen Populismus gibt: Kazin, Michael, The Populist Persuasion: An American History, Cornell University Press, 1995.
44
Ländern mit bedingt ist, nicht überall vorherrschend. So kann sich z.B. ein
Politiker in der Schweiz mit breiter Brust hinstellen und sich als Populist ou-
ten. Diese Tatsache zeigt deutlich, dass eine länderspezifische Analyse des
Populismusbegriffs dringend notwendig ist.
Die dritte Ebene, auf der der Begriff Populismus seit mehr als vier Jahrzehn-
ten Einzug gehalten hat, ist die der Wissenschaft, auf der sich die verschie-
densten Disziplinen, z.B. die Sozialwissenschaft, die Politikwissenschaft oder
auch die psychologische Forschung, mit diesem Phänomen beschäftigen
und manche Politologen sogar einen neuen Populismus registrieren, der
aber fast ausschließlich im rechten Parteienspektrum verortet wird (Decker
2000: 25-27). Dabei ist das Bemühen unverkennbar, trotz unbestreitbarer
Störwirkungen des öffentlichen Diskurses über Populismus eine Versachli-
chung der Betrachtung dieses Phänomens anzubahnen und eine Neubewer-
tung bzw. Präzisierung des Begriffs zu bewirken. Außerdem wird der Blick
über das rechte Parteienspektrum hinaus geweitet und neben den Linkspar-
teien werden verstärkt auch soziale Bewegungen und etablierte Parteien, ja
sogar die Medien ins Visier genommen.
Zusammenfassend kann man daher sagen, dass der Begriff Populismus per
se unscharf und vieldeutig ist, auf den verschiedensten Ebenen verwendet
wird und durch negative Konnotationen sehr stark vorbelastet ist, so dass
eine wissenschaftlich fundierte Nutzung des Begriffs fast unmöglich er-
scheint.
2.2 Forschungsansätze
Da die Notwendigkeit eines tragfähigen Populismusbegriffs, der als Grundla-
ge einer sorgfältigen politikwissenschaftlichen Analyse dienen kann, auf der
Hand liegt, haben Politologen verschiedener Länder schon seit Anfang der
80er Jahre begonnen, verschiedene Forschungsansätze zur Klärung des
Populismusbegriffs zu entwickeln.
In der vorliegenden Arbeit wird die Beschäftigung mit der Begrifflichkeit des
Populismus erfasst und im Folgenden sollen vier der wichtigsten For-
schungsansätze herausgegriffen und überblicksartig dargestellt werden.
45
2.2.1 Margaret Canovan: Phänomelogischer Ansatz
Ein bahnbrechender erster Ansatz stammt aus dem angelsächsischen
Raum, wo Margaret Canovan die unscharfe und inflationäre Verwendung des
Begriffs Populismus in den Sozialwissenschaften beklagte (Canovan 1981:
301). Sie schlug daher eine neue Annäherung an den Begriff vor, die man als
phänomenologische Methode charakterisieren kann. Dabei sammelte sie in
einem offenen Verfahren verschiedene populistische Phänomene aus dem
19. und 20. Jahrhundert, die vom Populismus der radikalen Bauern in den
Vereinigten Staaten, der sogenannten „populist movement― von 1890, bis hin
zu aktuellen Formen des Populismus aus der Gegenwart reichen, ohne dabei
irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Mit diesem methodi-
schen Ansatz wollte sie nicht nur den Fehler vieler Wissenschaftler vermei-
den, alle Formen des Populismus unter ein theoretisches Dach zu zwängen,
sondern auch die Vielgestaltigkeit des Populismus seit dem 19. Jahrhundert
sichtbar machen. Im Einzelnen gelangte M. Canovan zu folgender Typologie:
Agrarian Populisms
1. farmer´s radicalism (e.g., the U.S. People´s Party )
2. peasant movements (e.g., the East European Green Rising)
3. intellectual agrarian socialism (e.g., the Narodniki )
Political Populisms
4. populist dictatorship (e.g., Peron)
5. populist democracy (i.e., for referendums and ― participation ―)
6. reactionary populism (e.g., George Wallace and his followers)
7.politician´spopulism (i.e., broad, nonideological coalition-building that draws
on the unificatory appeal of ― the people‖ (Canovan 1981: 13).
Dabei fällt auf, dass Margaret Canovan einerseits zwischen agrarischen
Populismusformen und politischen Populismusformen unterscheidet und an-
dererseits zwischen einem reaktionären Populismus und einem demokrati-
schen Populismus (Canovan 1981: 225 ff). Der reaktionäre Populismus mo-
bilisiert die Massen durch die Nutzung der Vorurteile der ungebildeten Bevöl-
kerung, wie dies George Wallace in den 60er Jahren tat. Der demokratische
Populismus hingegen stellt die engste nur mögliche Beziehung zwischen der
Regierung und der Bevölkerung eines demokratischen Staates her (Canovan
1981: 172-173).
46
Diese populistische Demokratie und ihre ideale Form umschreibt sie treffend
mit der rhetorischen Frage:„Since democracy is widely supposed to mean
government by the people, how could a genuine democracy be other than
populist?― (Canovan 1981: 173). Sie ist sich aber gleichzeitig bewusst, dass
die Praxis einer Demokratie häufig von diesem Ideal abweicht.
Mit ihrem neuen methodischen Ansatz und ihrer Typologie populistischer
Phänomene hat Margaret Canovan eine erste grobe Vorsortierung populisti-
scher Erscheinungsformen vorgenommen und interessante Kategorien auf-
gezeigt, die die Möglichkeit eröffnen, den Fokus auf bestimmte Formen des
Populismus zu richten, z.B. den demokratischen Populismus. Sie hat gleich-
zeitig durch ihren Hinweis auf positive und negative Formen des Populismus
die Gefahr vermieden, das Phänomen Populismus von vorneherein mit nega-
tiven Konnotationen zu belasten und dadurch den Begriff sofort mit einem
negativen Beigeschmack zu verbinden.41 Allerdings ist ihre Typologie sehr
weit gefasst, sowohl was die räumliche als auch die zeitliche Dimension an-
geht, und gibt zudem den historischen Erscheinungsformen so viel Raum,
dass die aktuellen Erscheinungsformen des Populismus, wie sie sich schon
zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres Buches abzeichneten, zu wenig
berücksichtigt werden. So werden z. B. die Neuen Sozialen Bewegungen, die
es ja bereits seit den 60er Jahren gab und die mit spektakulären populisti-
schen Mitteln arbeiteten, z.B. die Frauenbewegung, die Friedensbewegung
und die Ökologiebewegung diesseits und jenseits des Atlantik, mit keiner
Silbe erwähnt42. Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist der methodische
Ansatz von Margaret Canovan sehr wertvoll, da er sich ohne weiteres auf
geographisch begrenzte Räume, z.B. Mitteleuropa, die Bundesrepublik
Deutschland oder aber das Bundesland Berlin sowie jeden anderen geogra-
phischen Bereich, übertragen lässt und eine Vorsortierung von populisti-
schen Phänomenen in diesen Gebieten ermöglicht, ohne bereits eine zu en-
ge Festlegung der Träger des Populismus und eine voreilige Bewertung des
41
Einen guten Überblick über diese Phase des amerikanischen Populismus gibt, Kazin, Michael, The Populist Persuasion: An American History, Cornell University Press, 1995. 42
Neue soziale Bewegungen, Forschungsjournal, Protest und Gewalt,
Mit Beiträgen von: Lamla, Jörn, S.9, Hellmann, Kai-Uwe, S.20, Eder, Klaus, S.29, Kreissl, Reinhard, Sack, Fritz, S.41,Zimmermann, Ekkart, S.55,Brandl, Ulrich, Görg, Christoph, S.107, Saiger, Helmut S.98, Roth, Roland S.95, Winter, Martin S.68, Schwendter, Rolf S.82, http://www.forschungsjournal.de/sites/default/files/archiv/FJNSB_1998_4.pdf, 31.03.2013. Neue soziale Bewegungen, Begriff und allgemeine Merkmale, Bundeszentrale für politische Bildung,
http://www.bpb.de/politik, 31.03.2013.
47
Phänomens vorzunehmen.
2.2.2 Anton Pelinka: Länderspezifischer Ansatz
Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Klärung des Populismusbegriffs leistete
Anton Pelinka, der in dem Sammelband „Populismus in Österreich― den offe-
nen methodischen Ansatz von Margaret Canovan übernahm und auf einen
engeren Bereich anwandte. Im Gegensatz zu Margaret Canovan widmete er
sich dem Populismus und seinen Erscheinungsformen im eigenen Land.
Ausgehend von der Unschärfe des Begriffs Populismus und dem negativen
Beigeschmack, den der Begriff vor allem nach dem Ende der Ära Kreisky
aufwies (Pelinka 1987: 7), strebte er eine möglichst objektive Theorie des
Populismus an.
Dabei erarbeitete Werner W. Ernst im Sammelband von Pelinka nach einer
allgemeinen Analyse der gemeinsamen Merkmale des Populismussyndroms
eine neuartige Typologie des Populismus, die geographische, strukturelle,
soziale und institutionelle Kriterien verwendet und sehr viel gezielter als die
Typologie von Margaret Canovan auf den eng begrenzten geographischen
Raum Österreichs, den Zeitraum zwischen 1950 und 1985 sowie ganz be-
stimmte Träger des Populismus eingeht43.
Die allgemeine Annäherung an das Populismusphänomen in Österreich wird
in dem Sammelband durch Fallstudien vertieft44.
Dieses methodische Vorgehen beruht auf einem klaren Analyseraster, 45 das
sich ohne weiteres auch auf andere Länder anwenden lässt, auch wenn dort
die geographischen, strukturellen, sozialen und institutionellen Bedingungen
anders sein mögen, geht Hand in Hand mit der Einführung neuer Kriterien
der Populismusanalyse, z.B. der Unterscheidung zwischen einem Populis-
mus von oben und unten46 oder aber der Unterscheidung zwischen populisti-
43
Ernst, Werner W., Zu einer Theorie des Populismus, in: Pelinka, Anton (Hrsg.), Populismus in Ös-
terreich, Wien 1987, S. 10-13. 44
Keller Fritz, Fallstudie im politischen System, Stalinistischer Populismus - Die Nationale Liga, in:
Pelinka Anton (Hrsg.), Populismus in Österreich, Wien 1987, S. 110 – 122. Karlhofer, Ferdinand / Lichtenberger, Eva, Fallstudie im politischen System, Franz Olah - eine ana-
chronistische Karriere, in: Pelinka, Anton (Hrsg.), Populismus in Österreich, Wien 1987, S. 123 – 137. Maislinger, Andreas, Fallstudie im politischen System, Anti – Bundesheer – Volksbegehren: Volksbe-
gehren oder Spielwiese verstreuter 68er?, in: Pelinka, Anton (Hrsg.), Populismus in Österreich, Wien 1987, S. 138 – 150. 45
Natter, Bernhard, Fallstudie im politischen System, Die „ Bürger― versus die „Mächtigen― – Populis-
tischer Protest an den Beispielen Zwentendorf und Hainburg, in: Pelinka, Anton, (Hrsg.) Populismus in Österreich, Wien 1987, S. 151 – 171. 46
Morass,Michael / Reischenböck, Helmut, Parteien und Populismus in Österreich, in: Pelinka,
48
schen Strategien und populistischen Inhalten47, wie sie später auch in den
Arbeiten von Decker eine wichtige Rolle spielt. Der methodische Ansatz von
Pelinka weist allerdings gewisse Defizite auf.
So wird z. B. das Phänomen des Linkspopulismus in Österreich vollkommen
ignoriert, obwohl die Neuen Sozialen Bewegungen auch in Österreich zum
großen Teil im linken Spektrum wurzeln. Außerdem ist der Beobachtungs-
zeitraum sehr weit gefasst, so dass die unterschiedlichsten populistischen
Phänomene in die Betrachtung mit eingehen. Hier wäre möglicherweise eine
stärkere Spezialisierung sinnvoll gewesen, z.B. eine Konzentration auf den
Populismus der Parteien, der ja zum Zeitpunkt des Erscheinens des Sam-
melbandes durch den Aufstieg von J. Haider starken Auftrieb erhielt48.
An manchen Punkten würde man sich auch Querverbindungen zu anderen
Ländern wünschen, z.B. zur Schweiz, einem Land mit einer ähnlichen geo-
graphischen Struktur, in dem etwa zur gleichen Zeit der Aufstieg einer gro-
ßen populistischen Partei erfolgte.
Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist die in dem Sammelband von Anton
Pelinka vorgenommene äußerst sorgfältige Sichtung von empirischem Mate-
rial zu einzelnen populistischen Phänomenen in Österreich sehr wichtig und
richtungsweisend für die Zukunft, denn eine vergleichende Betrachtung des
Populismus in verschiedenen Ländern ist nur auf der Grundlage einer sol-
chen festen empirischen Basis möglich.
2.2.3 Frank Decker: Typologie des Rechtspopulismus in Europa
Eine andere Art der Annäherung an den Populismusbegriff finden wir bei
Frank Decker. Dieser setzt in mehrfacher Hinsicht neue Akzente und richtet
den Blick verstärkt auf das Populismusphänomen in verschiedenen Teilen
Anton (Hrsg.), Populismus in Österreich, Wien 1987, S. 36 – 39. 47
Ebd., S. 36-59. 48
Siehe weitere Literatur von Pelinka die seine wissenschaftliche Forschung belegen: Pelinka, Anton, Demokratie: Österreich 1900 – Österreich 2000, Onlinequelle: Demokratiezentrum
Wien - www.demokratiezentrum.org, Printquelle: Gärtner, Reinhold (Hg.): Blitzlichter, Innsbruck/Wien 1999. Pelinka, Anton, Zur österreichischen Identität, zwischen deutscher Vereinigung und Mitteleuropa,
Wien 1990. Pelinka, Anton, Die FPÖ in der vergleichenden Parteienforschung. Zur typologischen Einordnung der
Freiheitlichen Partei Österreichs, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft: 2002/3. Pelinka, Anton, Die kleine Koalition, SPÖ-FPÖ 1983 – 1986, Wien 1993 Pelinka, Anton, (Hg), EU-Referendum, Zur Praxis direkter Demokratie in Österreich, Wien 1994. Pelinka, Anton, Wodak, Ruth (Hg), Dreck am Stecken, Politik der Ausgrenzung, Wien, 2004. Pelinka, Anton, Die FPÖ - Eine rechtspopulistische Regierungspartei zwischen Adaption und Opposi-
tion, in: Frölich-Steffen, Susanne / Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005.
49
Europas. Auch wenn sich Decker hauptsächlich auf den Rechtspopulismus
konzentriert, entwickelt er eine Typologie, die sich ohne Schwierigkeiten auf
die verschiedenen demokratischen Länder Europas anwenden lässt. Die vier
Schwerpunkte dieser Typologie sind der Entstehungshintergrund des Popu-
lismus, seine Ideologie, sein Auftreten und seine Wirkung. Ausgangspunkt
von Deckers Betrachtung des Populismusbegriffs ist dabei wie schon bei
Canovan und Pelinka die Unschärfe und inhaltliche Beliebigkeit des Popu-
lismus. So erklärt er: „Das eigentliche Problem liegt in der Unschärfe und
scheinbaren Beliebigkeit des Populismus, der historisch und gegenwärtig auf
ganz unterschiedliche Gruppen, Personen, Ideologien, Verhaltensweisen und
Äußerungsformen angewandt worden ist. Selbst bei einer Reduzierung des
Begriffs auf ein zentrales Populismussyndrom, das die Berufung auf das ein-
fache Volk und seine angeblichen Feinde, z.B. Konzerne, Banken, Parteien,
Regierungen usw., beinhaltet und damit die etablierten Eliten anklagt, bringt
noch keine Klarheit, da immer noch zu viele Phänomene unter diese Katego-
rie fallen―(Decker 2006: 12). Aus diesem Grund befürwortet Decker eine zeit-
liche, räumliche und sachliche Eingrenzung des Populismusphänomens und
führt als Beispiel den neuen Rechtspopulismus an, der etwa um die Mitte der
80er Jahre in verschiedenen Ländern Europas entsteht und der offensichtlich
gemeinsame länderübergreifende Ursachen hat. Diesen Rechtspopulismus
kann man durch die Begriffe Radikalismus und Extremismus nicht erfassen,
da neben eindeutig extremistischen Gruppierungen auch andere Varianten
des Rechtspopulismus auftreten und die Bandbreite der Erscheinungen groß
ist, wie z.B. der gemäßigte Populismus von Berlusconi in Italien, eine Art Un-
ternehmerpopulismus, zeigt. Um sich diesem zeitlich, räumlich und sachlich
genau eingegrenzten Rechtspopulismus zu nähern, entwickelt Decker einen
Raster für die genaue Erfassung des Phänomens, mit dem er Ursachen und
Entstehungshintergründe, Ideologie, Auftreten und Organisation sowie die
Wirkung des Rechtspopulismus erfasst und an verschiedene Formen des
Rechtspopulismus in unterschiedlichen Ländern anlegt. Bei der Betrachtung
der Ideologie, des Auftretens, der Organisation sowie der Wirkung populisti-
scher Parteien und Bewegungen setzt Decker auch ganz klare Schwerpunk-
te, die aber bewusst so allgemein gehalten sind, dass sie sich ohne weiteres
auf verschiedene Länder übertragen lassen. Auffällig ist auch, dass er sich
50
im Gegensatz zu Canovan und Pelinka viel stärker auf Parteien als Träger
des Populismus fokussiert und mit seiner Formel vom neuen Rechtspopulis-
mus in Europa die länderübergreifende Dimension dieses Populismus sicht-
bar macht.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Decker die wissenschaftliche
Verwendung des Begriffs Populismus keineswegs ablehnt, sondern ihn bei
einer entsprechenden Präzisierung auch in Zukunft durchaus für treffend und
praktikabel hält. Die Annäherung von Decker an das Populismusphänomen
ist nicht nur deshalb äußerst fruchtbar, weil er den Populismus räumlich, zeit-
lich und materiell eingrenzt, sondern auch, weil er einen Kriterienkatalog
entwickelt, den er zwar vornehmlich auf den neuen Rechtspopulismus der
europäischen Parteien anwendet, der aber genauso auf den Linkspopulis-
mus der Parteien in Europa übertragbar ist. Außerdem erkennt er klar, dass
das Phänomen Populismus auch länderübergreifend erfasst werden muss
und dass dabei natürlich die jeweiligen historischen Hintergründe sowie die
jeweiligen System- und Kontextbedingungen eine wichtige Rolle spielen und
trotz verschiedener offensichtlicher Gemeinsamkeiten des Rechtspopulismus
ein Grund für dessen Sonderentwicklung in den einzelnen Ländern sein kön-
nen. Im Zusammenhang mit der Systembedingtheit des Populismus trifft De-
cker die wichtige Unterscheidung zwischen einem Protestpopulismus in den
Konsensdemokratien, der in erster Linie von außen an das System herange-
tragen werden muss, und einem eingebauten Populismus in den Konkur-
renzdemokratien, der eher von innen wirkt, indem die etablierten Parteien
sich seiner bedienen. Das bedeutet, dass dieser eingebaute Populismus na-
türlich auch von den jeweils Regierenden als Mittel der Wähleransprache und
Wählermobilisierung genutzt wird― (Decker 2006: 25). Dass die Bedeutung
des Populismusbegriffs durchaus ambivalent ist, zeigt Decker am Beispiel
verschiedener Länder. So wurde der Populismus in den USA zeitweise sehr
positiv bewertet, z.B. in den 30er und 40er Jahren, als der Populismus als
wichtiger Faktor für die demokratische Entwicklung der USA angesehen wur-
de, oder in den 60er Jahren, als mit der Bürgerrechtsbewegung eine große
Massenbewegung entstand, die populistische Akzente setzte und großes
Ansehen gewann. Wenig später wurde der Populismus jedoch zum Mittel
einer reaktionären Kampagne, die gegen die Errungenschaften der Bürger-
51
rechtsbewegung kämpfte und von dem Senator G. Wallace angeführt wurde.
In Deutschland wurde der Populismusbegriff in der wissenschaftlichen Dis-
kussion nie so positiv gesehen, was Decker einerseits auf die „Diskreditie-
rung des Volksgedankens durch die Nationalsozialisten― (Decker 2006: 31)
und andererseits auf das Fehlen einer basisdemokratischen Tradition zurück-
führt. Dort wurde der Populismus nach der Katastrophe des Nationalsozia-
lismus „unter permanenten Ideologieverdacht―(Decker 2006: 31) gestellt und
war dennoch nichts weiter als eine „zynische Instrumentalisierung unaufge-
klärter Bewusstseinspotentiale― (Dubiel 1986: 32), eine Sichtweise, die De-
cker ablehnt, weil sie eine pauschale Vorverurteilung des Populismus dar-
stellt und eine vorurteilsfreie Annäherung an das Phänomen unmöglich
macht (Decker 2000: 32). Trotz seiner vielen gedanklichen Ansätze zur ob-
jektiven Erfassung des Populismusphänomens fällt auf, dass Decker den
Populismus sehr stark im rechten Parteienspektrum verortet und sogar eine
generelle Affinität des Populismus nach rechts konstatiert (Decker 2000: 40).
Die Existenz des Linkspopulismus wird zwar wahrgenommen, aber seine
konkreten Ausformungen, z.B. in den Parteien oder den Neuen Sozialen Be-
wegungen, die ein wichtiger Teil des populistischen Protestpotentials sind,
das von außen auf die Demokratien einwirkt, werden zu stark ausgeblendet.
Dabei würde es sich anbieten, die heterogenen Formen des Linkspopulismus
erst einmal zu ordnen und zu klassifizieren und dann den oben angeführten
Kriterienkatalog von Decker an die einzelnen linkspopulistischen Phänomene
anzulegen, wobei natürlich der historisch-politische Kontext und die System-
bedingungen berücksichtigt werden müssen. Dass Decker in letzter Zeit von
dieser starken Fixierung abweicht, zeigt ein neuerer Aufsatz im Aktionsheft
der Juso-Hochschulgruppen, der im Jahr 2009 erschienen ist. Der Text wur-
de zunächst im Arbeitsheft 108 der Juso-Hochschulgruppen „Was ist heute
rechts―? Die politische Rechte zwischen Konservatismus und Rechtsextre-
mismus―49 veröffentlicht. Hier heißt es: „Es wäre also zu einfach, Populismus
von vornherein mit dem Präfix Rechts zu versehen. Dass die Klaviatur der
latenten Fremdenfeindlichkeit auch von links gespielt werden kann, bewies
49
Decker, Frank/Lewandowsky, Marcel, Was ist heute rechts? Die politische Rechte zwischen Kon-
servatismus und Rechtsextremismus, 2009, Arbeitsheft 108 der Juso Hochschulgruppen, S. 54 – 65. oder Decker, Frank/Lewandowsky Marcel, Rechtspopulismus als neue Strategie der politischen Rech-
Auf der Grundlage der verschiedenen Forschungsansätze, die zur Klärung
des Populismusbegriffs beigetragen haben, soll in der vorliegenden Arbeit
eine Annäherung an den Begriff Populismus vollzogen werden. Dabei soll
zunächst einmal die offene phänomenologische Annäherung an den Popu-
lismus im Vordergrund stehen, wie sie Margret Canovan in ihrer Arbeit, aller-
dings ohne zeitliche und räumliche Eingrenzung, vorgenommen hat
56
(Canovan 1981: 3-5). Zudem soll im Gegensatz zu der Einschätzung von
Paul Taggart, der in seiner Studie „Populism― von der Grundannahme eines
populistischen Wertedefizits ausgeht und den Populismus als „an ideology
lacking core values― (Taggart 2000: 2) bezeichnet, eine analytische Betrach-
tung des Phänomens angestrebt werden, die auch Raum für positivere Ein-
schätzungen des Populismus lässt und diesen nicht von vornherein als Fehl-
entwicklung ansieht, wie dies in der bisherigen Literatur häufig der Fall war,
z. B in Hartlebs Studie „Populismus- ein Hindernis für politische Sozialisati-
on?―. Dort wird betont, dass der Populismus Klischees verstärkt, Feindbilder
erzeugt, Fremdgruppen ausgrenzt und damit nicht nur zur Bildung von Vorur-
teilen führt, sondern im negativsten Fall auch in nationalistische Gewalt um-
schlagen kann51. Die offene phänomenologische Annäherung, die Voraus-
setzung für eine wertfreie Betrachtung des Populismus ist, wird in der Praxis
durch die Erstellung eines Fragenkatalogs umgesetzt, der Raum für unter-
schiedliche Sichtweisen des Phänomens Populismus eröffnet und explizit
auch positive Aspekte anspricht. Die Antworten verschiedener Personen-
gruppen auf diese Fragen werden dann als empirische Grundlage der Arbeit
zunächst deskriptiv erfasst, anschließend ausgewertet und dienen als Beleg
für das unterschiedliche Verständnis des Begriffs Populismus.
Dabei soll der Bereich des Populismus, der in dieser Arbeit untersucht wird,
von vornherein stark eingegrenzt werden.
Die materielle Eingrenzung dieses Populismus ist dadurch gegeben, dass
nur drei Parteien betrachtet werden, die die etablierten politischen Kräfte
herausfordern, die bereits beachtliche Wahlerfolge vorweisen können und
somit Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erheben konnten. Andere
Erscheinungsformen des Populismus, z.B. der eingebaute Populismus der
regierenden Parteien oder der Populismus sozialer Bewegungen, werden
dabei von vornherein ausgegliedert. Bei der Auswahl der Parteien wird so-
wohl das rechtspopulistische als auch das linkspopulistische Parteienspekt-
rum verschiedener demokratischer Länder berücksichtigt.
Die räumliche Eingrenzung wird dadurch erreicht, dass Parteien aus drei mit-
teleuropäischen und deutschsprachigen Ländern betrachtet werden, die di-
rekte Nachbarn sind, aber unter unterschiedlichen Systembedingungen und
51
Hartleb, Florian, Populismus,ein Hindernis für politische Sozialisation?, in: Aus Politik und Zeitge-
schichte (APuZ 41/2005), Seite 4 – 5.
57
auf unterschiedlichen politischen Ebenen agieren und zudem auf unter-
schiedlichen historischen Grundlagen stehen. Dies eröffnet wichtige Einsich-
ten in die Zusammenhänge zwischen Populismus und geschichtlicher Ver-
gangenheit und zeigt auch, welchen Einfluss Systembedingungen auf den
Populismus von Parteien haben.
Die zeitliche Eingrenzung des Populismus ist dadurch verwirklicht, dass nur
Parteien untersucht werden, die seit den 80er Jahren ein ausgeprägtes po-
pulistisches Profil entwickelt haben und damit Vertreter des neuen Populis-
mus in Europa sind, der sich unter dem Eindruck der weltgeschichtlichen
Veränderungen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts sowie infolge der
schnellen europäischen Integration und der rasanten Globalisierung in fast
allen Ländern Europas kraftvoll entfaltet und nicht nur auf das rechte Partei-
enspektrum begrenzt ist. Dieser Populismus wird zu Recht als neuer Popu-
lismus bezeichnet, da er sich in vielfacher Hinsicht von früheren Formen des
Populismus unterscheidet. Dieser engere räumlich, materiell und zeitlich ein-
gegrenzte Populismusbegriff ist als wissenschaftliche Kategorie wieder an-
wendbar und hat den Vorteil, dass er wesentlich besser als alle anderen Be-
griffe, z.B. Extremismus oder Radikalismus, das Neuartige, aber auch das
Unverwechselbare und Typische am neuen Parteienpopulismus erfasst. Die-
se Auffassung vertritt auch Decker, wenn er sagt: „Der Populismus mag zwar
eine disparate Erscheinung sein, doch schließt das die Verständigung auf
einen gemeinsamen Begriffskern nicht aus. Im Übrigen verbindet sich der
Begriff, soweit er zur Kennzeichnung von Parteien dient, in der Regel mit zu-
sätzlichen Ideologie- oder Richtungsmerkmalen, die ihn als analytische Ka-
tegorie spezifizieren―. (Decker 2000: 14)
2.4 Die Schwerpunkte der politikwissenschaftlichen Analyse
Neben der Auseinandersetzung mit dem Begriff Populismus gibt es zahlrei-
che andere Schwerpunkte der politikwissenschaftlichen Populismusanalyse.
2.4.1 Länderspezfische Analyse
Auffällig ist das Bemühen, das Phänomen des Populismus zunächst einmal
länderspezifisch zu betrachten. Einer der Hauptvertreter dieser Forschungs-
richtung ist Pelinka, der in seinem Sammelband „Populismus in Österreich―
58
verschiedene Aspekte des Populismus in Österreich untersucht hat (Pelinka
1987). Ausgehend von Überlegungen zur Theorie und zum Begriff des Popu-
lismus (Pelinka 1987: 10-34) werden hier verschiedene Träger des Populis-
mus, die sich als politische Akteure dieses Instruments bedienen, vorgestellt,
z.B. Parteien, Wirtschaftsverbände oder Neue Soziale Bewegungen und
Massenmedien (Pelinka 1987: 35-108) sowie einzelne Fallstudien vorge-
nommen, die ganz konkrete Träger des Populismus, z.B. die Nationale Liga
als Exponent des stalinistischen Populismus oder aber Persönlichkeiten wie
den Populisten Franz Olah, näher betrachten (Pelinka 1987: 109-170). Ein
Ausblick auf die plebiszitären Tendenzen in der österreichischen Demokratie
rundet die vielschichtige Bestandsaufnahme ab (Pelinka 1987: 172-186).
Auffällig bei dieser länderspezifischen Analyse des Populismusphänomens
ist, dass der Parteienpopulismus nur relativ knapp abgehandelt wird (Pelinka
1987: 36-59), so dass eine differenzierte Sicht des Phänomens, z.B. Erklä-
rungsansätze für den Aufstieg des österreichischen Parteienpopulismus, nur
ansatzweise möglich ist. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Parteienpo-
pulismus nicht nur im rechten politischen Spektrum, also bei der neuen FPÖ
unter Haider, verortet wird (Pelinka 1987: 39-50) sondern auch im linken Par-
teienspektrum, wo die populistischen Züge der Grünen Alternativen Liste ins
Blickfeld gerückt werden (Pelinka 1987: 50-55), auch wenn eine generelle
Differenzierung zwischen Rechts- und Linkspopulismus vermieden wird
(Pelinka 1987: 39).
Diese länderspezifische Analyse des Parteienpopulismus in Österreich hat
Pelinka in weiteren Beiträgen vertieft, wobei er sich besonders auf die FPÖ
konzentrierte52 und diese im Jahr 2005 in einer überarbeiteten und erweiter-
ten Fassung des Artikels von 2002 aktualisierte53. Eine länderspezifische
Analyse des Populismusphänomens, die sich allerdings in geraffter Form auf
den Parteienpopulismus in einzelnen Ländern konzentriert, wurde auch in
„Parteien unter Druck― von Decker vorgenommen (Decker 2000: 75-196).
Diese wurde vier Jahre später erweitert und umfasst neben Italien, Frank-
reich, Österreich, der Schweiz und Deutschland auch zwei Ländergruppen,
52
Pelinka, Anton, Die FPÖ in der vergleichenden Parteienforschung. Zur typologischen Einordnung
der Freiheitlichen Partei Österreichs, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft: 2002/3, S. 281 – 290. 53
Pelinka, Anton, Die FPÖ - Eine rechtspopulistische Regierungspartei zwischen Adaption und Op-
position, in: Frölich-Steffen/Rensmann, (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 87 – 104.
59
nämlich Skandinavien, die Beneluxstaaten und Nordamerika (Decker 2004:
39-160). Diese Bestandsaufnahme dient sodann als Grundlage eines Ver-
gleichs rechtspopulistischer Parteien in Europa, der Theorien und Erklä-
rungsansätze für den Aufstieg populistischer Parteien bietet (Decker 2004:
161-270). In dem 2005 erschienenen Sammelband „Populisten an der
Macht―, der von Susanne Frölich-Steffen und Lars Rensmann herausgege-
ben wurde, wird der länderspezifische Fokus verengt und es werden nur po-
pulistische Parteien betrachtet, die eine Regierungsbeteiligung erreichen
konnten. Dabei wird zwischen populistischen Regierungsparteien in Westeu-
ropa (Frölich-Steffen/Rensmann 2005: 85-146) und populistischen Regie-
rungsparteien in Osteuropa unterschieden (Frölich-Steffen/Rensmann 2005:
147-225).
2.4.2 Rechts- und linkspopulistische Parteien
Die politikwissenschaftliche Literatur zum neuen Parteienpopulismus nach
1980 befasst sich überwiegend mit rechtspopulistischen Parteien. Dabei
wurden vielfältige Forschungsschwerpunkte entwickelt. So nahm die Diskus-
sion über den Begriff Rechtspopulismus, deren wesentliche Ergebnisse
Hartleb in seiner Dissertation knapp und treffend zusammenfasst (Hartleb
204: 31-33), einen sehr breiten Raum ein. Die Frage nach den Ursachen für
den Aufstieg so vieler rechtspopulistischer Parteien in Europa und nach den
Gemeinsamkeiten verschiedener rechtspopulistischer Parteien wurde dann
ein ergiebiges Feld der politikwissenschaftlichen Analyse. Vor allem Decker
hat mit seinen Studien „Parteien unter Druck―, „Der neue Rechtspopulismus
in den westlichen Demokratien― 2000, „Der neue Rechtspopulismus― (2004)
und „Populismus, Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?―
(2006) wichtige Grundlagenarbeit geleistet und Theorien und Erklärungsan-
sätze für den Aufstieg so vieler rechtspopulistischer Parteien geliefert54. Eine
Vielzahl von Studien befasste sich in der Folge mit Aspekten des Rechtspo-
pulismus, z.B. parteisoziologischen, institutionellen und systemischen Fakto-
ren, politisch-kulturellen Kontextvariablen, der Bedeutung des personellen
54
Siehe dazu vor allem: Decker, Frank, Parteien unter Druck, Der neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien,
Opladen 2000, S. 197 – 328. Decker, Frank (Hrsg.), Populismus, Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden
2006, S. 9 – 32.
60
Elements, situativen Gelegenheitsstrukturen, Diskursstrategien des Rechts-
populismus, neuen Konfliktlinien im Parteiensystem als Folge des Aufstiegs
der Rechtspopulisten sowie der Bedeutung der Medien für das Agieren der
rechtspopulistischen Parteien55.
Auf diese Weise entstand ein sehr differenziertes Bild der rechtspopulisti-
schen Parteienlandschaft in Europa, das gekennzeichnet war durch eine
starke Versachlichung und das auf einer immer breiteren Basis stand.
Im Gegensatz zur intensiven Erforschung der rechtspopulistischen Parteien
lässt sich eine weit weniger intensive Auseinandersetzung mit linkspopulisti-
schen Parteien feststellen, wie auch Hartleb in seinem Buch „Rechts- und
Linkspopulismus - Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS― be-
merkt, in dem er erklärt: „Eine wissenschaftliche Untersuchung des Linkspo-
pulismus existiert nicht. Insbesondere in Deutschland bietet sich jedoch dafür
mit der in sich widersprüchlichen und buntscheckigen Partei des demokrati-
schen Sozialismus eigentlich ein idealer Anknüpfungspunkt für eine Anwen-
dung der Populismuskonzeption― (Hartleb 2004: 36). Die Vernachlässigung
der Untersuchungen des linken Parteienpopulismus, die sich auch in ande-
ren Ländern beobachten lässt, ist teilweise dadurch bedingt, dass die linken
populistischen Parteien rein quantitativ gesehen weniger Gewicht haben als
die rechtspopulistischen, und auch dadurch, dass der Linkspopulismus in
vielen Ländern Europas durch soziale Bewegungen artikuliert wird. Hinzu
kommt, dass linke Parteien, die man als populistisch einstufen könnte, sich
gegen ein solches Etikett wehren und dass es auch in der Forschung Mei-
nungsverschiedenheiten über die Zuordnung linker Parteien zum linken po-
pulistischen Lager gibt. So betrachtet Hartleb die PDS als populistisch
(Hartleb 2004: 36) und Decker bezeichnet sie als „eine Kombination von lin-
kem und regionalistischem Populismus― (Decker 2000: 159), während Neu,
die den Politikstil der PDS untersucht, eine solche Einstufung wegen der He-
terogenität und des sozialistischen und ideologischen Erbes der Partei ab-
lehnt (Neu 2003: 263ff). Es ist allerdings zu erwarten, dass der Linkspopu-
lismus und insbesondere die Rolle der linkspopulistischen Parteien künftig in
Deutschland in der Forschung mehr Beachtung finden wird, da die Partei die
55
Frölich-Steffen/Rensmann, (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 11 – 19. Geden, Oliver, Diskursstrategien im Rechtspopulismus, Freiheitliche Partei Österreichs und Schweize-
rische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung, Berlin 2006.
61
LINKE in letzter Zeit beachtliche Wahlerfolge zu verzeichnen hatte und vor
allem da die Linken mittlerweile in einigen Landesparlamenten vertreten sind.
Dieser Aufstieg von neuen Linksparteien jenseits der Sozialdemokratie ist
keine bundesdeutsche Sonderentwicklung, sondern lässt sich auch in zahl-
reichen anderen europäischen Ländern beobachten, wo linke Parteien mit
populistischen Mitteln um mehr politischen Einfluss kämpfen56.
2.4.3 „Eingebauter“ Populismus
Ein wichtiger Schwerpunkt der Populismusforschung ist seit den 80er Jahren
der „eingebaute― Populismus der etablierten Regierungsparteien (Decker
2006: 25). Schon in den Veröffentlichungen von Pelinka wird neben den po-
pulistischen Formen und Inhalten zwischen einem Populismus als Bewe-
gungsferment (einem Populismus von „Unten―) und einem Populismus als
machtstrategisch relevantes Herrschaftselement (einem Populismus von
„Oben―)― unterschieden (Pelinka 1987: 38). Dieser Populismus von oben
kann natürlich auch als Instrument von nichtdemokratischen Systemen ein-
gesetzt werden, ist aber auch in der modernen Demokratie weit verbreitet,
wie Uwe Jun im Sammelband von Frank Decker sehr anschaulich erläutert.
Dort heißt es: „Politische Führung in modernen repräsentativen Parteiende-
mokratien kann auf ein bestimmtes Maß an Populismus zur Herstellung von
Legitimation ebenso wenig verzichten wie eine politische Partei im Wettbe-
werb um die Gunst der Wählerschaft. Insofern ist es angemessen zu sagen,
dass dort „wo Demokratie ist, immer auch Populismus ist― (Jun 2006: 233)
Jun unterstreicht diese Auffassung wenn er bemerkt: „Der Appell an das
Wahlvolk und die Berufung auf dessen (vermeintlichen) Willen sind unzwei-
felhaft Stilelemente, die zum Populismus gehören, wie auch personalisierte
Führung oder medienwirksame Symbolik zur Außendarstellung der Einheit
von Regierenden und Regierten. Nimmt man allein diese Aspekte, so kann
man davon sprechen, dass Populismus als Politik- und Regierungsstil in mo-
dernen Demokratien weit verbreitet ist, ohne ihn gleich zum „dominanten Po-
litikstil der Epoche zu erheben― (Jun 2006: 233-234). Er erklärt diese Ten-
denz zum Populismus der regierenden Parteien in doppelter Weise. Einer-
56
Vergleiche dazu. Decker, Frank , Lewandowsky, Marcel, Heuschrecken und Hartz IV - Populismus
von Links, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 29-30/2009), S.1.
62
seits setzen die Regierungen populistische Versatzstücke ein, um „den Ero-
sionsprozessen der Parteiendemokratien entgegenzuwirken― und anderer-
seits um „die gestiegenen Anforderungen des Regierens durch Vereinfa-
chungen zu überspielen― (Jun 2006: 234).
Weiterhin erklärt Jun: „Während nämlich die Entscheidungsprozesse durch
zunehmende Komplexität und Informalität - auch im Zuge der steigenden
Internationalisierung der Politik - für die Wahlbürger immer undurchschauba-
rer werden, soll mit populistischen Elementen der Eindruck entstehen, die
Regierung handele im Auftrag von und im Einverständnis mit der Wähler-
schaft; dieser soll also das Gefühl gegeben werden, sie habe einen direkten
Einfluss auf das Regierungsgeschehen― (Jun 2006: 234).
Eine andere weit verbreitete Spielart des Populismus der etablierten Parteien
ist die populistische Wahlkampfmobilisierung durch die etablierten Oppositi-
onsparteien, wie sie z.B. im nordrheinwestfälischen Landtagswahlkampf des
Jahres 2000 von der damaligen Oppositionspartei, der CDU, praktiziert wur-
de, die mit dem Slogan „Kinder statt Inder― operierte und dadurch bei den
Wählern punktete. (Rensmann 2006: 72) Ein weiteres Beispiel für ein ausge-
sprochen populistisches Agieren der wichtigsten Oppositionspartei war das
Taktieren der SPD im Bundestagswahlkampf von 2002, als sie die Kriegs-
angst der Menschen sehr geschickt mit antiamerikanischen Ressentiments
verknüpfte. (Rensmann 2006: 72) Des Öfteren wurde der Populismus in den
letzten Jahren auch von einzelnen etablierten Politikern eingesetzt, die im
Alleingang öffentliche Stimmungen schürten und damit eine breite Debatte
über bestimmte politische Themen auslösten. So veröffentlichte der ehemali-
ge Berliner SPD-Senator T. Sarrazin das Buch „Deutschland schafft sich ab―
und bahnte damit eine heftige Kontroverse über Migrationsfragen an, die
fremdenfeindliche Tendenzen in der Bevölkerung verstärkte. Die Tatsache,
dass renommierte etablierte Kräfte sich des Instruments des Populismus in
zunehmendem Maß bedienen und dies noch als völlig legitim ansehen, hat
natürlich auch einen Einfluss auf die Bewertung des Parteienpopulismus.
Dieser kann nicht mehr als fragwürdiges Mittel von Protestparteien diffamiert
werden, die vom Rand des politischen Systems her Stimmung gegen die
Regierenden machen, sondern wird zum alltäglichen Instrument demokrati-
scher Politiker aller Schattierungen, die mit populistischen Stilelementen, wie
63
z.B. charismatischen Führungspersönlichkeiten, medienwirksamen Auftritten,
ausgeprägten Vereinfachungen und Schwarz-Weißmalerei, Anklang finden
wollen. So gesehen kann man den Parteienpopulismus nicht mehr von vorn-
herein verdammen, wenn er immer mehr zum gängigen Mittel des politischen
Diskurses wird.
2.4.4 Diskursstrategien
Ein weiteres wichtiges politikwissenschaftliches Analysefeld sind auch seit
längerer Zeit die Diskursstrategien populistischer Parteien, also das Bemü-
hen, ganz bestimmte Deutungsmuster und Deutungsangebote, nicht nur be-
stimmte Themen, in den Vordergrund zu rücken (Geden 2006: 13), sondern
damit den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinn zu lenken. Diese Diskursstrate-
gien werden besonders in Bezug auf den Rechtspopulismus untersucht, las-
sen sich aber genauso beim Linkspopulismus und bei etablierten Parteien
beobachten. Eine solche Untersuchung der kalkulierten Diskursproduktion
lenkt auch den Blick auf bestimmte Personengruppen, die außerhalb von
Parteien durch bestimmte Deutungsmuster zu aktuellen Themen hervortreten
und damit die öffentliche Diskussion dieser Fragen beeinflussen bzw. versu-
chen auf die Deutungsmuster der Parteien einzuwirken, z.B. Journalisten,
Wissenschaftler oder auch soziale Bewegungen. Insofern ist die Diskursana-
lyse eng mit der Erforschung von sogenannten Frames verbunden, also vor-
herrschenden Deutungsmustern, die sich im Rahmen bestimmter Personen-
kreise beobachten lassen und Thema der vorliegenden Arbeit sind. Pionier
der Diskursanalyse ist Reiner Keller, der sich seit den späten 90er Jahren in
zahlreichen Beiträgen mit Aspekten der wissenschaftlich - soziologischen
Diskursanalyse befasst hat und von dem folgende grundlegende Definition
des Diskursbegriffs stammt. Er definiert Diskurse als „abgrenzbare, struktu-
rierte Ensembles von sprach, bild– und handlungsförmig vorliegenden sinn-
stiftenden Einheiten, die in einem spezifischen Set von Praktiken produziert,
reproduziert und transformiert werden. Sie verleihen physikalischen und so-
zialen Phänomenen Bedeutung und konstituieren dadurch deren Realität.
Diskurse sind themenbezogene disziplin-, bereichs-, oder ebenenspezifi-
sche Arrangements von (Be)Deutungen, in denen Welt- bzw. Wirklichkeits-
ordnungen und spezifische Handlungsvoraussetzungen und –folgen (Institu-
64
tionen, Praktiken) impliziert sind. Sie stellen spezifische Bündelungen von
Deutungen auf Dauer dar (Institutionalisierungsaspekt) und tragen zur Ver-
flüssigung und Auflösung institutionalisierter Deutungen und scheinbarer
Konkrete Untersuchungen zu Diskursstrategien des mitteleuropäischen Po-
pulismus hat vor allem O. Geden vorgelegt, der die Diskursstrategien der
FPÖ und der SVP zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung näher
betrachtet hat und bei der Sondierung des Materials nicht nur auf die wissen-
schaftliche Literatur und journalistische Darstellungen zurückgegriffen hat,
sondern auch Interviews mit externen Experten für die FPÖ und die SVP,
darunter Wissenschaftler, Journalisten, ehemalige Politiker der FPÖ und
SVP sowie Politiker konkurrierender Parteien geführt hat. Durch die Be-
obachtung von öffentlichen Veranstaltungen der FPÖ und der SVP, durch
wiederholte mehrwöchige Aufenthalte in Österreich und der Schweiz, durch
tägliches Verfolgen der politischen Ereignisverläufe in Online-Diensten, Ta-
geszeitungen und Fernsehsendungen sowie die Beschaffung von Informati-
onsmaterial der FPÖ und der SVP (Parteien- und Wahlprogramme, Positi-
onspapiere, Pressemitteilungen, Newsletter, Internetauftritte) wurde die em-
pirische Basis der Diskursanalyse gezielt erweitert (Geden 2006: 55-56). Al-
lerdings fällt auf, dass bislang die Diskursproduktion von Parteien, sieht man
einmal von der Studie von Hartleb ab58, der sich intensiv mit den Diskursstra-
tegien der PDS befasst, stärker auf das rechte Spektrum fokussiert ist. Be-
sonders interessant bei der konkreten Diskursanalyse von populistischen
Parteien ist auch die Frage, wie sich die Strategien bei einer Regierungsbe-
teiligung verändern und ob nach dem Ausscheiden aus der Regierung eine
Rückkehr zu den Diskursstrategien der Opposition erfolgt. Eine Frage, die in
dem Sammelband von Fröhlich-Steffen und Rensmann bereits aufgegriffen
wurde, wobei allerdings das Spektrum der Fallstudien auf einige wenige
Länder in Westeuropa beschränkt blieb bzw. der Blick auf osteuropäische
57
Siehe auch die wichtigsten Standadardwerke zur Diskursforschung: Keller, Reiner et al. (Hrsg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 2: Forschungs-
praxis. Opladen 2003. Keller, Reiner Diskursforschung. Eine Einführung für Sozialwissenschaftler/ lnnen. Opladen 2004:
Keller, Reiner Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. Wiesbaden 2005. 58
Hartleb, Florian, Rechts- und Linkspopulismus - Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS,
Phil. Diss. Univ. Chemnitz, Wiesbaden 2004, S. 145 – 172 und vor allem S.170 – 172.
65
Länder mit völlig anderen Rahmenbedingungen gerichtet wurde59.
2.4.5 Vergleichende Betrachtung
Last not least in der politikwissenschaftlichen Analyse des neuen Populismus
nach 1980 ist die vergleichende Betrachtung populistischer Parteien, die auf
verschiedenen Ebenen erfolgen kann. Auf der nationalen Ebene, auf der das
Agieren populistischer Parteien in den Kommunen, den Bundesländern und
auf Bundesebene verglichen werden kann, auf europäischer Ebene, auf wel-
cher populistische Parteien aus verschiedenen Ländern oder bestimmten
Ländergruppen betrachtet werden können. Natürlich auch auf globaler Ebe-
ne, auf der durch die Einbeziehung außereuropäischer Parteien, z.B. aus
Süd- und Nordamerika, wertvolle Einsichten gewonnen werden können.
Eine Untersuchung, die den komparativen Ansatz auf nationaler Ebene an-
wendet, ist die Dissertation von Hartleb aus dem Jahre 2004, der den Popu-
lismus der Schill-Partei und der PDS vergleicht, sich also auf die Länderebe-
ne konzentriert. Dabei wird der Populismus der beiden Parteien zunächst
gesondert betrachtet (Hartleb 2004: 173-286) und dann in einem eigenen
Teil verglichen, wobei die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von rechts-
und linkspopulistischen Parteien herausgearbeitet werden (Hartleb 2004:
304-314). Das Interessante an diesem Vergleich ist, dass eine rechtspopulis-
tische und eine linkspopulistische Partei betrachtet werden, also das „most
different case design― eingesetzt wird, das, wie später in der Arbeit noch ge-
zeigt wird, wichtige Einsichten eröffnet.
Seit dem Aufstieg zahlreicher populistischer Parteien in den 80er und 90er
Jahren in verschiedenen Ländern Europas, aber auch in Amerika, hat die
länderübergreifende vergleichende Betrachtung populistischer Parteien einen
schnellen Aufschwung erlebt. Vor allem Decker befasste sich schon seit
1990 mit dem Populismus in einzelnen Ländern Europas und leitete aus die-
59
Pelinka, Anton, Die FPÖ - Eine rechtspopulistische Regierungspartei zwischen Adaption und Op-
position, in: Frölich-Steffen/Rensmann, (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 87 -146. Zur Situation des osteuropäischen Parteienpopulismus siehe: Kneuer, Marianne ,Die Stabilität populistischer Regierungen am Beispiel der slowakischen HZDS:
Wechselwirkungen innen- und außenpolitischer Prozesse in: Frölich-Steffen/Rensmann, (Hrsg.), Popu-listen an der Macht, Wien 2005, S. 149 – 189. Segert, Dieter, Der tschechische Allparteienpopulismus: Post-sozialistische Instabilität als Grundlage
für eine populistische Versuchung in Parlament und Regierung, in: Frölich-Steffen,/Rensmann, (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 191 – 208. Kostrzebski, Karol, Die Mobilisierung von Euroskepsis: Basis des Populismus, in Ostmitteleuropa am
Beispiel Polens in: Frölich-Steffen/Rensmann, (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 209 – 225.
66
ser vergleichenden Betrachtung populistischer Parteien Theorien und Erklä-
rungsansätze für das Populismusphänomen auf Parteienebene ab, die er in
der erweiterten Fassung seiner Habilitationsschrift zusammenfasste (Decker
2000: 197-328). Dabei konzentrierte er sich ausschließlich auf den neuen
Rechtspopulismus demokratischer Staaten in verschiedenen Teilen Europas
sowie der USA, klammerte aber ganz Osteuropa aus. Die Theorien und Er-
klärungsansätze Deckers konzentrieren sich auf folgende sieben Aspekte,
nämlich Vorgehensweise und Typologie, (Decker 2000: 161-181), Protest
temporär oder dauerhaft (Decker 2000: 181-195), Aufstand gegen die Mo-
2000: 233-248), Verbesserung der Gelegenheitsstrukturen (Decker 2000:
248-263) und Parteiensystemwandel (Decker 2000: 264–270). Diese verglei-
chende Betrachtung geht von der Grundannahme aus, dass der neue
Rechtspopulismus ein länderübergreifendes Phänomen ist und dass folglich
allgemeine Aussagen über die Ursachen und Hintergründe des rechten Par-
teienpopulismus möglich sind (Decker 2000: 161). Die von Decker vergliche-
nen Parteien haben drei Gemeinsamkeiten. Sie gehören alle dem rechten
Parteienspektrum an, sind in demokratischen Ländern beheimatet und agie-
ren auf nationaler Ebene. Die Kontextbedingungen, unter denen diese Par-
teien agieren, sind jedoch unterschiedlich. Sie stammen aus Konkurrenzde-
mokratien, repräsentativen bzw. direkten Demokratien, Präsidialdemokratien
bzw. parlamentarischen Demokratien, großen und kleinen Demokratien so-
wie Demokratien mit völlig unterschiedlichen geographischen, historischen
und soziostrukturellen Kontextbedingungen sowie verschiedenen politischen
Kulturen. Decker vergleicht also Parteien, die klare Gemeinsamkeiten haben,
sich aber andererseits sehr stark unterscheiden, was ihre Rahmenbedingun-
gen angeht. Insofern verbindet sein methodischer Ansatz die „similar case
design― Methode mit der „different case design― Methode. Auffällig ist, dass
Decker nicht nur die rechtspopulistischen Parteien aus Osteuropa unberück-
sichtigt lässt, sondern auch die rechtspopulistischen Parteien in anderen
Ländern, z.B. in Süd- und Südosteuropa, also in Spanien, Portugal, Grie-
chenland und den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Die poli-
tikwissenschaftliche Komparatistik nimmt aber auch Einengungen der Zahl
der untersuchten Länder vor, wie z.B. Falkenberg, die in ihrer Dissertation
67
„Populismus und populistischer Moment im Vergleich zwischen Frankreich,
Italien und Österreich― die Front National in Frankreich, die Lega Nord in Ita-
lien und die FPÖ in Österreich auf dem Hintergrund der historischen Entwick-
lungen in diesen Ländern vergleicht (Falkenberg 1997: 54ff) und dabei die
Gründe für den Durchbruch der Parteien und ihre großen Erfolge analysiert
(Falkenberg 1997: 116ff). Ein ganz anderer Vergleichsansatz findet sich in
dem Sammelband „Populisten an der Macht―60, wo die Performance populis-
tischer Regierungsparteien in Westeuropa am Beispiel der FPÖ61, der Schill-
Partei62und der Forza Italia63 betrachtet wird, wobei die Rahmenbedingungen
in den verschiedenen Ländern gut sichtbar werden.
Im gleichen Sammelband wird auch der Blick auf die osteuropäische Partei-
enlandschaft gerichtet, von der nicht nur die populistische Regierungsmacht
der HZDS in der Slowakei64 und der FIDESZ in Ungarn65 untersucht wird,
sondern auch der tschechische Allparteienpopulismus66. Interessant ist auch
der Ansatz von Kostrzebski, der am Beispiel von Polen zeigt, wie die Euro-
skepsis von verschiedenen Akteuren gezielt zur Mobilisierung von Wählern
eingesetzt wird67.
Insgesamt ist unverkennbar, dass die politikwissenschaftliche Komparatistik
einen stürmischen Aufschwung erlebt hat und dass sich gerade hier viele
neue Forschungsfelder eröffnen.
2.5 Methodenvielfalt in der politikwissenschaftlichen Analyse
60
Frölich-Steffen, Susanne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005 61
Pelinka, Anton, Die FPÖ - Eine rechtspopulistische Regierungspartei zwischen Adaption und Op-
position, in: Frölich-Steffen, Susanne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 87 – 104. 62
Siehe auch und vergleiche: Decker, Frank, Hartleb, Florian, Das Scheitern der Schill Partei als regionaler Machtfaktor:Typisch
für Rechtspopulismus in Deutschland, in:Frölich-Steffen,Susanne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 105 – 120. 63
Grassi, Mauro, Rensmann, Lars, Die Forza Italia: Erfolgsmodell einer populistischen Regierungs-
partei oder temporäres Phänomen des italienischen Parteiensystems?, in:Frölich-Steffen, Susan-ne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 121 – 146. 64
Kneuer, Marianne, Die Stabilität populistischer Regierungen am Beispiel der slowakischen HZDS:
Wechselwirkungen innen- und außenpolitischer Prozesse, in:.Frölich-Steffen, Susanne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 149 – 172. 65
Bayer, Jozsef, Die FIDESZ im Wechsel zwischen Opposition und Regierungspartei: Populistische
Politik in der ungarischen Demokratie, in: Frölich-Steffen, Susanne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 173 – 190. 66
Segert, Dieter, Der tschechische Allparteienpopulismus: Post-sozialistische Instabilität als Grundla-
ge für eine populistische Versuchung in Parlament und Regierung, in:.Frölich-Steffen, Susan-ne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 191 – 208. 67
Kostrzebski, Karol, Mobilisierung von Euroskepsis: Popilismus in Ostmitteleuropa am Beispiel
Polens, in: Frölich-Steffen, Susanne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S. 227 – 233.
68
Selbst wenn, wie Hartleb im Methodikteil seiner Arbeit feststellt, eine ange-
messene Methodik für die wissenschaftliche Analyse des Populismus bzw.
seiner populistischen Erscheinungsformen noch nicht entwickelt wurde
(Hartleb 2004: 41), gibt es doch eine ganze Reihe von methodischen Ansät-
zen, mit denen die verschiedensten Politikwissenschaftler sich an das Phä-
nomen des Parteienpopulismus angenähert haben, von denen in der vorlie-
genden Arbeit die wichtigsten herausgegriffen werden sollen.
2.5.1 Empirisch analytische Ansatz
Ein Ansatz, der in der Politikwissenschaft weit verbreitet ist, ist der empirisch-
analytische Ansatz.
Bei diesem lassen sich folgende vier deutlich getrennte methodische Schritte
unterscheiden, die in der Studie von Geden (Geden 2006: 55-62) aufgezählt
werden68:
1. die kontinuierliche Sondierung der Untersuchungsfelder
2. die Datenerhebung und Datenauswahl
3. die Feinanalyse der ausgewählten Daten
4. die kontexttualisierte Interpretation
Dieser Ansatz lässt sich auf ganz spezielle Untersuchungsfelder des Partei-
enpopulismus anwenden, wie z.B. die Diskursstrategien populistischer Par-
teien, die im Mittelpunkt der Untersuchung von Geden stehen, oder aber
auch auf eine populistische Partei als Ganzes, deren Bild durch eine sorgfäl-
tige, methodisch klar strukturierte Analyse von umfassendem empirischen
Material entsteht und als gesicherte Grundlage der Politikwissenschaft die-
nen kann.
68
Zu den politikwissenschaftlichen Ansätzen siehe: Kreisky, Eva, Politikwissenschaft, Relevante Theorien, 2003/2004
http://evakreisky.at/2003-2004/einfuehrung/folie07.pdf, 01.04.2013. Schmitz, Sven-Uwe / Schubert, Klaus ,Politikwissenschaftliche Theorie und Methodenlehre, in (Hg.)
Einführung in die Politische Theorie und Methodenlehre, Opladen, 2006. Alemann, Ulrich von, Grundlagen der Politikwissenschaft. Ein Wegweiser, Opladen 1995, siehe be-
sonders Kapitel 4 und 5. Beyme, Klaus von, Die politischen Theorien der Gegenwart,
Eine Einführung,8., neubearbeitete und erweiterte Auflage, 2000. Zum empirischen Ansatz siehe auch: Behnke, Joachim , Bauer, Nina und Behnke, Nathalie, Empirische Methoden der Politikwissen-
schaft, Stuttgart, 2006, die eine differenzierte Systematik für den empirischen Forschungsprozess entwickelt haben, die aber für die vorliegende Problematik nur bedingt anwendbar ist und eher für Arbeiten mit einem statistischen Charakter geeignet ist, z.B. die Auswertung von Meinungsumfragen.
69
So haben z.B. Pelinka und Decker ein scharf umrissenes Bild der FPÖ bzw.
der wichtigsten rechtspopulistischen Parteien Europas entstehen lassen.
Ausgangspunkt für diese empirische Methode ist in jedem Fall die genaue
Sondierung des Untersuchungsfeldes, bei der die verschiedensten Informati-
onsquellen genutzt werden, z.B. wissenschaftliche Darstellungen, journalisti-
sche Analysen und mediale Auftritte, Beobachtungen der parteiinternen Me-
dien (Parteizeitungen, Internetauftritte, Websites) und der Parteitage, Aus-
wertung von Parteiprogrammen (Grundsatzprogramme, Wahlprogramme),
Interviews von externen Experten und Beobachtungen von emotional ge-
prägten Wahlkampfveranstaltungen.
Auf Grund dieser Sondierung entsteht ein umfangreicher Fundus von Daten
verschiedenster Art, aus denen eine gezielte Auswahl vorgenommen werden
muss. Natürlich muss diese Auswahl auf die Zielsetzung und Fragestellung
der Arbeit ausgerichtet sein.
Mit dem so gewonnenen Material ist eine Feinanalyse über entsprechende
Leitfragen möglich, die zu einem konkreten, möglichst objektiven Ergebnis
führt, das dann Gegenstand einer kontextua-lisierenden Interpretation sein
kann und die eingangs aufgestellten Hypothesen entweder bestätigt oder
widerlegt.
2.5.2 Fallstudie
Eng verbunden mit der empirisch-analytischen Methode ist die Fallstudie. Sie
bietet sich bei einem politikwissenschaftlichen Phänomen wie dem Parteien-
populismus, das so schwer fassbar ist und aus den verschiedensten Blick-
winkeln völlig unterschiedlich beurteilt wird, förmlich an, da erst durch eine
Erstellung von möglichst vielen Fallstudien ein ganzheitliches Bild des Phä-
nomens Populismus entsteht und gewisse Ähnlichkeiten und Unterschiede
populistischer Parteien ins Auge fallen, die vor allem bei einer entsprechen-
den Vorsortierung und Eingrenzung der Fallstudien sehr ergiebig sein kön-
nen.
So war z.B. Deckers Zusammenstellung von Fallstudien rechtspopulistischer
Parteien der Ausgangspunkt für eine tieferreichende Analyse der Entste-
hungsbedingungen, der Ideologie, des Auftretens und der Organisation so-
wie der Wirkung solcher rechtspopulistischer Parteien, die durch die Be-
70
schränkung der Fallbeispiele auf einen bestimmten europäischen Bereich
sowie demokratische Systeme westeuropäischen Zuschnitts ein höheres
Maß an objektiver Erkenntnis brachte.
Die sorgfältige Fallstudie ist somit ein Schritt zu einem Mosaik des europäi-
schen Parteienpopulismus, das aber längst noch nicht abgeschlossen ist und
in vielfältiger Hinsicht der Ergänzung bedarf. Auffällig ist dabei auch, dass
dieses Mosaik im Wesentlichen aus rechtspopulistischen Parteien besteht,
die noch dazu vornehmlich im west- und mitteleuropäischen Raum angesie-
delt sind.
Der osteuropäische Bereich, hat bislang, sieht man einmal von der Studie
von Frölich/Rensmann ab, in der ein ganzer Abschnitt dem osteuropäischen
Parteienpopulismus gewidmet ist69, vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit
in der deutschsprachigen politikwissenschaftlichen Forschung gefunden. Al-
lerdings lassen sich solche Fallstudien nicht ohne Weiteres verallgemeinern
und man muss sich im Klaren sein, dass trotz der von Decker beobachteten
Parallelen der unterschiedliche Kontext, sei es nun der historische, politische,
systemische oder wirtschaftliche, nicht außer Acht gelassen werden darf.
2.5.3 Rastermethode
Neben der Fallstudie ist in den letzten Jahren auch die Rastermethode als
Mittel zur theoretischen Durchdringung des Parteienpopulismus mit Erfolg
eingesetzt worden.
Dabei lassen sich zwei Formen von Rastern unterscheiden, Grobraster, die
sich auf wenige Kriterien beschränken, und sehr stark differenzierte Feinras-
ter, die eine umfassende Liste von Kriterien vorgeben und diese an populisti-
sche Parteien anlegen. Ein Beispiel für ein solches Grobraster findet sich in
der von Decker herausgegebenen Studie (Decker 2006: 22).
69
Frölich-Steffen, Susanne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005, S147–
Hier werden eine horizontale Rasterebene mit vier allgemeinen Kriterien und
eine vertikale Rasterebene kombiniert und allgemeine Aussagen zum euro-
päischen Rechtspopulismus gemacht, die unabhängig von den oben erwähn-
ten Unterschieden in den Kontextbedingungen repräsentativ für die rechts-
populistischen Parteien in West und Mitteleuropa sind, die zuvor durch sorg-
fältige Fallstudien einzeln beleuchtet wurden.
Ein noch einfacheres Raster, das sich nur auf zwei Aspekte beschränkt, fin-
det sich in dem Aufsatz von Rensmann im gleichen Sammelband, in dem die
vertikalen und horizontalen Orientierungen populistischer Ideologie in folgen-
der Weise gegenübergestellt werden. (Rensmann 2006: 65).
Diese Gegenüberstellung eröffnet interessante Perspektiven und Einblicke in
die internen und externen Stoßrichtungen des Parteienpopulismus bzw. des
Populismusphänomens im Allgemeinen, doch sind die bei der horizontalen
Orientierung gemachten Beobachtungen nicht repräsentativ und müssen für
jedes Land einzeln überprüft werden, da sich z.B. die Einstellung zur EU bei
rechtspopulistischen Parteien verschiedener Länder deutlich unterscheidet.
Die zweite wichtige Variante der Rastermethode ist das Feinraster, das eine
größere Zahl von Kriterien zusammenstellt, diese an die populistischen Par-
teien anlegt und auf Grund umfangreicher empirischer Befunde überprüft,
inwiefern diese Kriterien auf die jeweilige Partei zutreffen.
72
Vertikale und horizontale Orientierungen populistischer Ideologie
Vertikale Orientierung (gegen „die oben“)
Horizontale Orientierung (gegen „außen“)
Anti-Parteien- Orientierung Anti-Parteienpartei
Anti-EU-Positionen
Anti-Establishment Anti-Globalisierung
Betonung kollektiver Identität (,unten‗) und Ge-meinschaft gegenüber individuellen Interessen
(,oben‗) Antiamerikanismus
Vertretung eines homogenisierten „Volkwillens― bzw. der „ schweigenden Mehrheit―
Sozialprotektionismus
soziokulturelle Modernisierungsabwehr / gegen Modernisierung als „ Eliten Projekt―
Fremdenabwehr (vor allem bei rechten Varianten)
anti-pluralistische Elemente anti- pluralistische Elemente
Quelle: Decker (Hrsg)/ Rensmann 2006: 65
Ein anschauliches Beispiel für diesen differenzierten Feinrasteransatz findet
sich bei Hartleb, der für seine Fallstudie acht allgemeine Kriterien verwendet
(Hartleb 2004: 46).
Diese acht allgemeinen Kriterien werden also, wie man im nachfolgenden
Schaubild erkennen kann, durch jeweils fünf zusätzliche Kriterien ergänzt,
die einerseits auf rechtspopulistische und andererseits auf linkspopulistische
Parteien ausgerichtet sind. Diese Kriterien werden im Laufe der Arbeit nicht
nur genau erklärt (Hartleb 2004: 69), sondern auch konkret auf die beiden
behandelten Parteien, die PDS und die Schill-Partei, angewendet, so dass
ein anschauliches Bild bestimmter Gemeinsamkeiten rechts- und linkspopu-
listischer Parteien entsteht, das deutlich macht, wie sehr sich Links- und
Rechtspopulismus trotz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung in zent-
ralen Aspekten ähneln. Insofern gab dieser methodische Ansatz der
Linkspopulismusforschung wertvolle Impulse und lässt sich auch auf weitere
linkspopulistische Parteien im demokratischen Europa übertragen, deren Er-
forschung noch teilweise in den Kinderschuhen steckt. Allerdings muss die
Formulierung der Rasterkriterien neutral und objektiv sein, damit eine vorur-
teilsfreie Annäherung an die jeweilige populistische Partei gewährleistet ist,
die im Mittelpunkt der Fallstudien steht.
73
Fallstudie Hartleb acht allgemeine Kriterien
- Anti-Partei-Partei;
- anti-Establishment-Partei;
- Partei des Tabubruchs;
- Stark medienfokussierte Partei;
- Partei einer charismatischen Führungspersöhnlichkeit
- Partei einer abgrenzbaren Wir-Gruppe;
- Plebiszitär ausgerichtete Partei;
- „One-issue“- Partei.
zusätzliche Auflistung von Kriterien für die „rechte“ Variante;
- Anti-Imimigrationspartei;
- Anti-Globalisierungspartei;
-Law-and-order-Partei;
- Anti-EU (EG)-Partei;
- Partei des Antiamerikanismus;
- Partei der sozialen Gratifikationen.
zusätzliche Auflistung von Kriterien für die „linke“ Variante;
- Pazifistisch ausgerichtete Partei;
- Anti-Globalisierungspartei;
- Partei des Antiamerikanismus;
- Partei des Antifaschismus und -rassismus;
- Partei der sozialen Gratifikationen.
Quelle: Fallstudie Hartleb: 2004: 46
Ein methodischer Ansatz, der in der letzten Zeit verstärkt auf die Analyse des
Parteienpopulismus angewandt wird, ist die vergleichende Methode. Wie in
der nachfolgenden Tabelle erklärt, lassen sich zwei verschiedene Vorge-
hensweisen unterscheiden, das ideographische Vorgehen und das
nomothetische Vorgehen70. Beim ideographischen Vorgehen steht die Kon-
zentration auf wenige Fälle im Vordergrund. Die Untersuchung des Einzel-
falls zielt typischer Weise darauf ab, warum ein Ereignis eingetreten ist. Die
Erklärung kann dabei verschiedene Faktoren mit einbeziehen, die unter-
schiedlich wirken können, und auch dem Zufall wird ein Erklärungswert zu
geschrieben. Erst ganz am Schluss wird der Blick über den Einzelfall hinaus
gerichtet und ein Vergleich von Fall zu Fall vorgenommen der zum Ziel hat
auf das Allgemeine und Besondere aufmerksam zu machen. 70
Franzmann, Simon, Das Regierungssystem der Schweiz in vgl. Perspektive SS 2005, in Anlehnung an Lauth/ Winkler, Methoden der vergleichenden Regierungslehre, in:Lauth,.Hans-Joachim (Hrsg.), Vergleichende Regierungslehre, Wiesbaden 2002, S. 41-80. Verfah-ren des Vergleichs in der Politikwissenschaft: www.vergl-polwiss.uni-koeln.de/fileadmin/wiso. Jahn, Detlef, Vergleichende Politikwissenschaft Elemente der Politik, Wiebaden 2011 Jahn, Detlef, Was ist vergleichende Politikwissenschaft, Standpunkte und Kontroversen, pdf S
Landes durchzusetzen, während Professoren und Wissenschaftler eine sol-
che strategisch ausgerichtete Auswirkung, sieht man einmal von gelegentli-
chen öffentlichen Stellungnahmen ab, nicht unbedingt anstreben.
Eine Sonderrolle fällt den Journalisten zu, die, ausgehend von einem kogniti-
ven Erwartungsrahmen und einem durch die politische Richtung und die Art
des Mediums geprägten Diskursverhalten, zu einem Diskursprodukt gelan-
gen, das nicht selten andere Deutungsmuster, z.B. die der regierenden Par-
teien, in Frage stellt.
Die wissenschaftliche Anwendung des Begriffs Framing geht auf die frühen
70er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück und hat sich im Verlauf der letzten
Jahrzehnte auf die unterschiedlichsten akademischen Disziplinen ausgebrei-
tet74. Der erste Wissenschaftler, der diesen Begriff benutzte, war der Psychi-
ater Gregory Bateson, der ihn in der Psychotherapie einsetzte und ihm fol-
gende Funktion zuschrieb: „Frames sind exklusiv, d.h. sie schließen gewisse 74
Einen guten Überblicküber die Verwendung des Begriffs Framing gibt: Dahinden, Urs, Framing, Eine integrative Theorie der Massenkommunikation, Konstanz 2006, S. 27 -
58.
78
Nachrichten aus, indem sie nur eine bestimmte Anzahl von Nachrichten ein-
schließen. Frames sind inklusiv, indem sie gewisse Nachrichten einschlie-
ßen.― (Dahinden 2006: 29)
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen von Bateson griffen zunächst Nachbar-
disziplinen, wie z.B. die Kognitionspsychologie, die Soziologie und die Infor-
matik, den Framingansatz auf und verfolgten dabei ganz unterschiedliche
Zielsetzungen (Dahinden 2006: 30). Vor allem der Soziologe Goffman entwi-
ckelte in seinem Werk „Frame Analysis―, das im Jahre 1980 in einer deut-
schen Übersetzung unter dem Titel „Rahmenanalyse― veröffentlicht wurde,
eine komplexe Theorie des Framing. Die empirische Grundlage seiner Ana-
lyse war nicht ein bestimmter Bereich, sondern die zwischenmenschliche,
direkte Alltagskommunikation (Dahinden 2006: 38). Seine Auseinanderset-
zung mit Rahmungsprozessen führte zu einer recht unterschiedlichen Reso-
nanz und teilweise warf man dem Autor, der seine Darstellung mit zahlrei-
chen konkreten Beispielen aus dem Alltag veranschaulichte, Effekthascherei
vor. Selbst die Kommunikations- und Medienwissenschaftler beanstandeten
vielfach die sehr subjektive Auswahl von Fällen und entwickelten eigene An-
sätze des Framings, die von Urs Dahinden ausführlich erläutert werden
(Dahinden 2006: 59-225). Dort wird z.B. das Problem der Darstellung der
Gentechnologie in den Medien aufgegriffen und in einem dreischrittigen Ver-
fahren (Inhaltsanalyse, Befragung und Auswertung) überprüft, wie die Bevöl-
kerungseinstellungen gegenüber der Gentechnologie durch die Mediennut-
zung beeinflusst werden und wie sich dadurch bestimmte Deutungsmuster
durchsetzen und die Deutungshoheit gewinnen (Dahinden 2006: 227-237).
Der Framingansatz hat aber auch noch in weiteren Bereichen Eingang ge-
funden, die nicht so stark sozialwissenschaftlich ausgerichtet sind, sondern
„sich an der Theorie der rationalen Wahl und der individuellen Nutzenmaxi-
mierung orientieren― (Dahinden 2006: 54-55), z.B. in der Wirtschaftswissen-
schaft. Es ist anzunehmen, dass dieser methodische Ansatz in Zukunft in
weiteren wissenschaftlichen Fachdisziplinen Einzug halten wird.
Die Bedeutung des Framingansatzes für die Politikwissenschaft wurde erst-
mals Anfang der 90er Jahre erkannt, als Jürgen Gerhards und Dieter Rucht
in einem Aufsatz im American Journal of Sociology der Frage nachgingen,
welche Rolle Frames für die politische Mobilisierung von Menschen bzw. von
79
Menschengruppen, sozialen Bewegungen, Interessengruppen und Parteien
spielen75. Dadurch wurde das Augenmerk verstärkt auf Deutungsmuster und
Gegendeutungsmuster in der politischen Realität der verschiedenen Länder
gelegt.
Ein klassisches Beispiel für solche Framings bzw. Reframings wird von
Christoph Bärenreuter in seinem Aufsatz „Politische Kommunikation und
Framing― beschrieben76. So lancierte die republikanische Regierung der USA
nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf sehr energische
Weise den „war on terror-frame― und vermochte sowohl in den USA als auch
in Europa Anhänger für dieses Deutungsmuster zu mobilisieren, obwohl es
zur gleichen Zeit auch viele Menschen in den USA und Europa gab, die aus
den verschiedensten Motiven einen so weitgehenden Kampf gegen den Ter-
ror ablehnten.
Die republikanische Regierung konnte aber nur erfolgreich sein, da sie die-
sen „war on terror-frame― ständig wiederholte und da sie sich auf einen so-
genannten „deep frame― stützen konnte, also ein Deutungsmuster, das bei
den amerikanischen Bürgern sehr tief verwurzelt war und das nun durch die
geschickte republikanische Rhetorik sehr schnell aktiviert werden konnte.
Dieses Deutungsmuster beruhte auf der Vorstellung, „dass die Armee der
Vereinigten Staaten dazu dient, amerikanische Interessen auch außerhalb
der eigenen Grenzen durchzusetzen – eine Auffassung, die in anderen Län-
dern, wie etwa Deutschland, kaum eine Chance auf eine hegemoniale
Durchsetzung hätte―. (Bärenreuter 2007: 13). Hinzu kam natürlich in dieser
Situation, dass die Vermittlung dieses Deutungsmusters durch gezielte politi-
sche Kommunikation von Regierungsseite und durch die innere Gespalten-
heit des politischen Gegners in ihrer Haltung zum Krieg begünstigt wurde.
(Bärenreuter 2007: 12).
Als eindrucksvolles Gegenbeispiel zum Erfolg des „war on terror frame― in
den USA verweist Bärenreuter auf den Versuch der ÖVP/FPÖ Koalition in
Österreich unter Wolfgang Schüssel, ihr Land in die Nato zu führen. Dabei
forderte Bundeskanzler Schüssel, „die alten Schablonen Lipizzaner, Mozart-
kugeln oder Neutralität― zu überwinden― (Bärenreuter 2007: 13), und sich mit
75
Gerhards, Jürgen/ Rucht, Dieter: Mesomobilization, 1992, Organizing and Framing in Two Protest
Campaigns in West Germany, In: American Journal of Sociology 98, S. 555 – 595. 76
Bärenreuter, Christoph, Politische Kommunikation und >> Framing<<,
Zur Arbeit der Rockridge Institute, S. 12-14,International I/2007.
80
dem Nato-Beitritt auf die neue Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts einzustel-
len77. Er rechnete aber nicht mit dem deep frame vieler seiner Landsleute,
die gerade in solchen scheinbar überholten Attributen Österreichs einen
wichtigen Teil der österreichischen Identität sahen und dadurch eine soforti-
ge Abwehrhaltung gegenüber diesem Regierungsframe einnahmen, der
Schüssel schon bald zur Aufgabe seiner Nato-Beitrittspläne veranlasste.
Wie einflussreich solche Deep Frames als tiefverwurzelte Deutungsmuster
eines Landes sein können, zeigt die Ohnmacht der Großen Koalition Öster-
reich angesichts der fremdenfeindlichen Hetze der FPÖ und der Kronenzei-
tung in den neunziger Jahren (Bärenreuter 2007: 13). Sie war zu keinem
Zeitpunkt in der Lage, dem xenophoben Diskurs dieser Akteure ein ein-
drucksvolles Reframing entgegenzusetzen, das der Bevölkerung positive
Aspekte der Gewährung von Asyl und der Migration nach Österreich vor Au-
gen führte78. Damit erwies sich das Deutungsmuster, dass alles Fremde ge-
fährlich für Österreich ist, als stärker als humanitäre Erwägungen.
Die Parteien der großen Koalition waren schließlich sogar gezwungen, dem
lautstarken fremdenfeindlichen Diskurs, der alle Asylanten mit Kriminellen,
Drogensüchtigen und Afrikanern gleichsetzte, dadurch Rechnung zu tragen,
dass das Asyl- und Fremdenrecht ständig verschärft wurde79 (Bärenreuter
2007: 13). Insofern unterstützte die große Koalition sogar noch den Kriminali-
täts- und Fremdenfeindlichkeitsframe ihrer politischen Gegner, auch wenn
sie gelegentlich deren aggressive Rhetorik kritisierte (Bärenreuter 2007: 14)
Diese Beobachtungen zeigen, dass der Kampf verschiedener Frames der
maßgeblichen politischen Akteure demokratischer Länder, der im Regelfall
zwischen der Regierung und der Opposition bzw. ihren Verbündeten bei den
Medien ausgetragen wird, ein ganz wichtiges, neues Forschungsfeld gewor-
77
.Vgl. dazu auch: Roithner, Thomas, Konturen einer friedensfähigen europäischen Sicherheitspolitik und der mögliche Beitrag Österreichs, http://www.thomasroithner.at/cms/images/publikationen/roithner_konturen_friedensfaehige_e Rechtspopulismus plus Rassismus, 15.01.2000, politik.pdf, 27.02.2012. 78
Gstettner, Peter, Die gefährliche Mischung des Jörg Haider: Rechtspopulismus plus Rassismus,
15.01.2000, http://www.beigewum. at/wordpress/wp-content/uploads/097_ peter_gstettner.pdf, 27.02.2012. Dolezal, Martin (München)/Helbling Marc (Zürich)/Hutter Swen (München), Zwischen Gipfelkreuz und
Halbmond, Die Auseinandersetzung um den Islam in Österreich und der Schweiz, 1998–2007 http://www.oezp.at/pdfs/2008_4-2-Dolezal_Helbling_Hutter.pdf,08.01.2013. Bauer, Werner T, Zuwanderung in Österreich, Wien, Januar 2008
den ist, wobei man nie vergessen darf, dass es in jedem Land Deep Frames,
weit in die Vergangenheit zurückreichende Deutungsmuster, gibt, die auch
bei aktuellen politischen Themen und Streitfragen eine nicht zu unterschät-
zende Rolle spielen. Allerdings wäre es falsch, die Analyse solcher Frames
nur auf die dominierenden politischen Akteure zu reduzieren, denn es gibt zu
vielen politischen Fragen zahlreiche weitere Deutungsmuster von Personen-
gruppen, die in verschiedener Weise mit diesen Problemen befasst sind.
Dies zeigte erst kürzlich die öffentliche Auseinandersetzung über das Buch
und die Migrationsthesen von Thilo Sarrazin, die von verschiedenen Perso-
nengruppen völlig unterschiedlich geframt wurde, wobei die verschiedenen
Personengruppen Journalisten, Kirchenvertreter, Menschenrechtler, Politiker
usw. in die Diskussion eingegriffen haben und sich bislang noch keine klare
Deutungshoheit abzeichnet, wie z.B. in Österreich.
Sieht man einmal von den tief verwurzelten Deutungsmustern einzelner Län-
der ab, die sich aus deren geschichtlicher Entwicklung, Nationalcharakter
und geographischen Gegebenheiten ergeben, fällt auf, dass sich Frames im
Zuge der radikalen Veränderung des Medien- und Kommunikationssystems
kurzfristig viel schneller bilden, verändern und abbauen können und oft sogar
häufig nationale Grenzen sprengen, wie der Antiglobalisierungsframe zahl-
reicher Parteien und gesellschaftlicher Bewegungen in Europa belegt80.
In der vorliegenden Arbeit wird der Framing-Ansatz erweitert. Es werden
nicht nur die Deutungsmuster von politischen Akteuren im engeren Sinn un-
tersucht, sondern auch die Deutungsmuster von zwei wichtigen gesellschaft-
lichen Gruppen, die außerhalb der Parteien stehen und sich in verschiedener
Weise mit dem Problem des Parteienpopulismus auseinandersetzen. Durch
diese Ausweitung des Framing-Ansatzes ist es möglich, das Selbst-Framing
der behandelten Parteien in den drei Ländern und das Fremd-Framing durch
Dolezal, Martin (München)/Helbling Marc (Zürich)/Hutter Swen (München), Zwischen Gipfelkreuz und
Halbmond, Die Auseinandersetzung um den Islam in Österreich und der Schweiz, 1998–2007 http://www.oezp.at/pdfs/2008_4-2-Dolezal_Helbling_Hutter.pdf,08.01.2013. Bauer, Werner T, Zuwanderung in Österreich, Wien, Januar 2008
Fraas, Claudia/ Meier, Stefan/ Pentzold, Christian Konvergenz an den Schnittstellen unterschied-
licher Kommunikationsformen, – Ein Frame‐basierter analytischer Zugriff,
http://www.medkom.tu-chemnitz.de/mk/online- diskurse/pdf/meier_ konvergenz_ausdifferenzierung-1.pdf, 27.02.2012. Scheufele, Dietram. A., Framing as a Theory of Media Effects,
außenstehende Gruppen gegenüberzustellen, zu vergleichen und zu bewer-
ten.
Dabei wurde das empirische Material durch einen standardisierten und län-
derspezifisch leicht modifizierten Fragenkatalog beschafft, der von den be-
fragten Personen im Regelfall mündlich beantwortet und nur in Ausnahmefäl-
len in Form einer schriftlichen Stellungnahme bearbeitet wurde. Diese Form
des Framing-Ansatzes eröffnet eine Reihe von interessanten Vergleichsmög-
lichkeiten. So kann einerseits das subjektivere Selbst-Framing der Politiker
mit dem distanzierteren Fremd-Framing der Journalisten und Politikwissen-
schaftler verglichen werden und andererseits das Framing der drei interview-
ten Gruppen in Österreich, der Schweiz und Deutschland zum Problem des
Populismus gegenübergestellt und in seiner Unterschiedlichkeit sichtbar ge-
macht werden. Somit stellt dieser methodische Weg eine wertvolle Ergän-
zung zu den bisher in der Politikwissenschaft angewandten Framingansätzen
dar, da durch die Einbeziehung neuer Sichtweisen von hochkarätigen Vertre-
tern der Medienwelt und der Politikwissenschaft ein umfassenderes und ob-
jektiveres Bild des Populismus entsteht.
2.7 Forschungsdesiderate bei der politikwissenschaftlichen Analyse
Trotz dieser Fortschritte bei der politikwissenschaftlichen Analyse des Partei-
enpopulismus darf man nicht übersehen, dass die bisherige Forschung einen
wichtigen Aspekt weitgehend ausgeklammert hat, nämlich die Auswirkung
von Regierungsbeteiligungen auf die Entwicklung populistischer Parteien.
Dadurch werden die Entwicklungslinien populistischen Verhaltens von Par-
teien vor, während und nach einer Regierungsbeteiligung nicht klar genug
sichtbar und Unterschiede zwischen den kurz-, mittel-, und langfristigen Fol-
gen solcher Regierungsbeteiligungen zwischen den einzelnen Ländern mit
spezifischen Rahmenbedingungen werden somit kaum erfassbar.
Bei der Auswahl populistischer Parteien, die zum Gegenstand von Verglei-
chen wurden, fällt auch auf, dass bislang bestimmte Bereiche des demokrati-
schen Europas noch nicht berücksichtigt wurden und auch ein direkter Ver-
gleich zwischen dem Parteienpopulismus in Österreich, der Schweiz und
Deutschland nicht vorgenommen wurde. Gerade ein Vergleich zwischen
Deutschland und Österreich ist aufgrund bestimmter Parallelentwicklungen in
83
der Vergangenheit äußerst interessant und ergiebig. Auch ein Vergleich zwi-
schen Österreich und der Schweiz ist trotz der zahlreichen Arbeiten, die sich
mit dem alpenländischen Populismus befassen, wichtig, wenn er noch stär-
ker als bisher auf den Aspekt der Regierungsbeteiligung ausgerichtet wird
und noch mehr die Zukunftsperspektiven des Parteienpopulismus in diesen
beiden Ländern, aber auch in Deutschland ins Blickfeld rückt81.
Obwohl sich die Politikwissenschaft zahlreicher methodischer Ansätze be-
dient hat, um das Phänomen des neuen Parteienpopulismus objektiv zu er-
fassen, könnten diese Ansätze doch an verschiedenen Punkten ergänzt wer-
den. So wurde bislang noch keine Sammlung von empirischem Material
wichtiger, mit dem Populismus befasster Personengruppen mit Hilfe eines
vorgegebenen Fragenkatalogs vorgenommen, der sich auf einen entschei-
denden konkreten Aspekt in der Entwicklung populistischer Parteien, die Zeit
vor, während und nach einer Regierungsbeteiligung dieser Parteien, konzen-
triert. Dieser methodische Weg bietet auch die Möglichkeit, die Deutungs-
muster der unterschiedlichen Personengruppen herauszuarbeiten und zu
bewerten und den aus der Soziologie stammenden neuartigen methodischen
Ansatz des Framing auf das Forschungsfeld des neuen Populismus anzu-
wenden.
Dabei kann man zwei Formen des Framing unterscheiden, das Selbst-
framing der Vertreter populistischer Parteien und das wissenschaftliche und
journalistische Fremd-Framing in Bezug auf die untersuchten populistischen
Parteien.
Besonders interessant ist das Selbst-Framing populistischer Parteien, die
sich möglicherweise dagegen wehren, als populistisch eingestuft zu werden,
Siehe und vergleiche diese wichtige Literatur 81
D´Damato, Gianni Skendorovic, Damir, Rechtspopulistische und Migrationspolitik in der Schweiz,
http://www.snf.ch/Site Collection Documents /nfp/nfp40p/NFP40p_Projekt_7_Rechtspopulistisch_d.pdf, 26.12.2013. Geden, Oliver, Österreich und die Schweiz- Alpiner Rechtspopulis-mus, 8. August
2008,http://www.faz.net/aktuell/politik/ ausland/ oesterreich-und-die-schweiz-alpiner-rechtspopulismus-1678986.htm, 03.12.2011. Bauer, Werner T., Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa, Wien, August 2011,
Ursachen und Gegenmacht, Ad.B Forum, 01.2011, http://www.adb.de/-dokumente /AB1_2011.pdf, 03.12.2011. Probst, Lothar, Studien zum Populismus in Europa - politische Erfolgsbedingungen, Strukturen, dis-
Links zur Wahl, http://www.wahlrecht.de/landtage/berlin.htm,22.01.2013. 94
Koalitionsvereinbarung, zwischen SPD und Linkspartei.PDS 2006-2011. 20. NOVEMBER 2006,
http://www.die-linke-berlin.de/politik/positionen/politik_fuer_berlin/rot _rotes_regieren/koalitionsvereinbarung/, 22.01.2013. Törne, Lars von, Klausurtagung der Berliner LinksparteiLinke wollen schärfer werden, Berliner Tages-
fusionierte und sich wenig später auf ihrem 1.Landesparteitag vom 30.06. bis
01.07.2007 zur Partei die LINKE von Berlin umbenannte95, mit ihren ver-
schiedenen sozialen Initiativen durchaus eigene Akzente, konnte aber den
Wählern die offensichtlichen Erfolge ihrer Regierungsarbeit in der zweiten
Rot-Roten Regierungsperiode nur unzureichend vermitteln.
Das Bemühen der pragmatischen Führung der Partei in den folgenden Jah-
ren, die Zukunft Berlins konstruktiv mitzugestalten und sich dabei von starren
dogmatischen Positionen zu lösen, die in der Realität nicht umsetzbar waren,
wurde von einem Teil der Mitglieder und Wähler nicht honoriert. Dennoch
gelang es der Partei mit diesem gemäßigten programmatischen Profil bei
den Wahlumfragen von 2010/11 bis zu 17% Wählerstimmen zu erreichen
und sie blickte daher den Wahlen des Jahres 2011 sehr optimistisch entge-
gen96.
Es gelang der Partei nicht, das Vertrauen auf ihre Glaubwürdigkeit und ihre
Durchsetzungsfähigkeit, das durch die Jahre 2001 bis 2006 erschüttert war,
wieder zurückzugewinnen. Diese kritische Einschätzung der Rolle der LIN-
KEN wird auch durch eine Erklärung des Landesvorstands vom 1. November
2011 bestätigt, die nicht nur die eben erwähnten Defizite offen anspricht97,
sondern auch strukturelle und parteipolitische Aspekte98.
Aufgrund des ernüchternden Wahlergebnisses der Landtagswahlen im Sep-
tember 2011, als die Berliner Linke trotz der günstigen Umfragewerte der
Jahre 2008 bis 2010, nur 11,7% erreichte und wieder einen Stimmenverlust
von 1,7% hinnehmen musste99 und der Tatsache, dass die LINKE von Berlin
nicht mehr an der Regierung beteiligt ist, bleibt abzuwarten, wie die künftige
Entwicklung der Partei sich gestaltet. Sie kann einerseits ihr populistisches
95
Die Linke Zukunft Berlin,
Zu den Ursachen unserer Wahlniederlage und Perspektiven der Linken, http://linke-zukunft-berlin.de/?p=170, 22.01.2013. Tagung des 1. Landesparteitags, 30.Juni/1. Juli, Gründung der Partei die LINKE von Berlin, S1,
Umfragen Berlin, wenn am nächsten Sonntag Abgeordneten-
hauswahl wäre, S. 3 – 4, http://www.wahlrecht.de/ umfragen/landtage/berlin.htm, 24.01.2013. 97
Kurzeinschätzung zum Wahlergebnis der LINKEN Berlin am 18.9.2011
Publiziert am 2. November 2011 von Hans, Erklärung des Landesvorstandes, Beschluss vom 1.11.2011, S 1-5, http://www.die-linke-berlin.de/_wkblog/?p=2740, 07.02.2012,22.01.2013. Ebd., S. 1 – 2, 22.01.2013. 98
Umfragen Berlin, wenn am nächsten Sonntag Abgeordneten-hauswahl wäre, S. 3 – 4.
Reichtums und der politischen Macht von oben nach unten eingeleitet wer-
den. Eine Idee, die doch stark an sozialistische Zeiten erinnert104. Mit diesem
inhaltlichen Profil war die Partei zunächst nicht koalitionsfähig, denn sie stell-
te feste Weichenstellungen in Frage, z.B. den Hauptstadtvertrag von 1992105.
Allerdings gelang es ihr, mit diesem Programm den Wähleranteil gegenüber
1990 von 9,2% auf 14,6% Wählerstimmen zu steigern.
Hauptgewinner bei dieser Wahl war die PDS, denn sie konnte sich ein weite-
res Mal als drittstärkste Kraft in der Bundeshauptstadt etablieren. Im Osten
der Stadt wurde sie mit 36,3% sogar stärkste Partei. Besonders erfolgreich
war die PDS bei den Angestellten und Beamten im Osten, wo sie 40% der
Stimmen erhielt. Weitere hervorragende Werte wurden bei der Gruppe der
Konfessionslosen (44%), bei den unter 25jährigen sowie bei über 60jährigen
Männern mit 43% erreicht. Bei gleichaltrigen Frauen waren es allerdings nur
(34% bzw 29%).
Abgesehen von diesen berlinspezifischen programmatischen Zielsetzungen
der Partei war die Berliner PDS natürlich an die Vorgaben der Bundes- PDS
gebunden, die in deren Parteiprogramm von 1990 klar festgelegt und durch
fünf grundlegende Neuorientierungen gekennzeichnet waren. Dort sollte ein
radikaler Bruch mit dem Stalinismus als System sowie die Abkehr vom Bild
der Klassenpartei vollzogen werden. Außerdem wurde eine Öffnung hin zum
sozialdemokratischen Erbe und das Bekenntnis zur Rolle als Oppositionspar-
tei in einem pluralistischen System festgelegt. Die Marktwirtschaft wurde
nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber mit der Forderung nach sozialer
Gerechtigkeit und ökologischer Vertretbarkeit verknüpft106.
Die Situation veränderte sich aus zwei Gründen. Zum einen musste die SPD
1999 dramatische Stimmenverluste107 hinnehmen und fasste aus diesem
Siehe auch: 104
Landeswahlbüro der PDS, Analysegruppe, Analyse der Wahlprogramme von PDS, SPD, Grünen
und CDU, Berlin August 1995, S. 6-7), Erhalten per E-Mail von: Gerhard Zschau, Rosa Luxemburg Stiftung | Bereich Archiv und Bibliothek, 09.04.2013. 105
Bömermann ,Hartmut, Die Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin am 10. Oktober 1999, Ergeb-
nisse der repräsentativen Wahlstatistik, http://www.statistik-berlin.de/Statistiken/statistik_arti.asp?, 22.01.2013. Parteitage der PDS, 6.Parteitag / 1.Tagung - 16. und 17. Januar 1999 in Berlin,6. Parteitag / 2. Ta-
gung - 6. März 1999 in Suhl,6. Parteitag / 3. Tagung - 7. bis 9. April 2000 in Münster, http://www.die-linke.de/partei/organe/parteitage/parteitags-beschluessevonlinks parteipdsundwasg/parteitagsbeschluessederlinksparteipdsvon1989bis2007/, 22.01.2013. 107
7. Parteitag / 1.Tagung - 14. und 15. Oktober 2000 in Cottbus,
97
Grund einen grundlegenden Strategiewechsel ins Auge, bei dem auch die
Option einer Koalition mit der PDS in Erwägung gezogen wurde. Diese Ent-
wicklung wurde auch durch die Abkehr vom Dogma der Nichtkoalitionsfähig-
keit der PDS gefördert, die bereits im Jahr 1998 durch die erste Rot/Rote
Koalition in Mecklenburg - Vorpommern eingeleitet wurde.
Mit der dramatischen Zuspitzung der Krise der großen Koalition von CDU
und SPD in Berlin veränderte sich die politische Gesamtlage in der Bundes-
hauptstadt und dies fand auch seinen Niederschlag im nächsten Wahlpro-
gramm von 1999, in dem die Partei eine Abrechnung mit der großen Koaliti-
on vollzog 108, die fast alle Politikbereiche umfasste und vor allem die drama-
tische Gesamtverschuldung Berlins anprangerte. Weitere Kritikpunkte waren
unter anderem die wachsende Zahl von Arbeitslosen, die Verarmung großer
Teile der Stadt, der soziale Abstieg von ganzen Bezirken, die starke Zunah-
me von sozialen Gegensätzen, die Verschwendung von Geldern sowie die
verfehlten Weichenstellungen des Berliner Senats von 1999.
In dieser Situation forderte die PDS eine grundlegende Politikwende in Ber-
lin, erklärte ihre Bereitschaft bei dieser Wende aktiv mitzuwirken und signali-
sierte ihre grundsätzliche Offenheit für ein linkes Reformbündnis an der Seite
der SPD und der Bündnis-Grünen109. Damit wurde auch eine Koalition der
SPD mit der PDS in Berlin zu einer realistischen Perspektive, auch wenn die
innere Gespaltenheit der Partei in Berlin und das damit verbundene wider-
sprüchliche Profil zunächst einer solchen Koalition im Wege standen.
Unter dem Motto „der Wechsel ist möglich― legte sie ein umfassendes Alter-
nativprogramm für Berlin vor, das nicht nur klare Schwerpunkte setzte, son-
dern auch an die Berliner in Ost und West appellierte, zehn Jahre nach Ende
des Kalten Krieges die Ressentiments der Vergangenheit zu überwinden und
im Zeichen dieser linken Politikwende einen Neuanfang zu wagen, der die
Siehe auch: Parteiprogramm 1999, S.3 Berlin für alle Politik für die ganze Stadt, Programm der PDS Berlin zu den
Abgeordnetenhauswahlen 1999, Erhalten per E-Mail von: Gerhard Zschau, Rosa Luxemburg Stiftung | Bereich Archiv und Bibliothek, 09.04.2013. 109
Siehe dazu: Parteiprogramm 1999,S.4ff, Berlin für alle, Politik für die ganze Stadt, Programm der PDS Berlin zu
den Abgeordnetenhauswahlen 1999, www.die-linke-berlin.de, 13.03.2013. Erhalten per E-Mail von: Gerhard Zschau, Rosa Luxemburg Stiftung | Bereich Archiv und Bibliothek, 09.04.2013.
98
dringend notwendige innere Einheit Berlins anbahnt. Das Programm war viel
stärker durch positive Leitbilder geprägt, mit denen sich viele Bürger der
Hauptstadt identifizieren konnten, z.B. das Leitbild einer sozialen Stadtent-
wicklung oder das Leitbild einer toleranten Stadt. Hinzu kam die Forderung,
eine Politikwende in allen Bereichen einzuleiten, die Umverteilung von Arbeit
und Einkommen zu fördern und einen öffentlichen Beschäftigungssektor zu
schaffen, der produktive Arbeitsplätze bringt. Im Zentrum des Programms
stand natürlich die Verbesserung der Finanzlage Berlins, die durch den Ab-
bau der Verschwendung öffentlicher Gelder und gezielte Einsparungen bzw.
die Vermeidung von Fehlausgaben erreicht werden sollte.
Mit diesem Programm rückte die Partei von inhaltlichen Positionen ab, die
ihre Koalitionsfähigkeit in Frage stellen mussten, ohne dabei grundlegende
sozialistische Positionen aufzugeben. Folgende Zusammenfassung der For-
schungsgruppe Wahlen erklärt die Situation nach der Wahl in Berlin: „Die
Gewinne der PDS waren auch in Berlin nicht auf deren Spitzenkandidaten
oder eine überzeugende Sachpolitik zurückzuführen, sondern auf ihre Fähig-
keit, unzufriedene Wähler zu binden. Darüber hinaus kamen ihr im Osten
nach wie vor die Strukturen der alten Hauptstadt der DDR zugute. Zudem
konnte sie in den an den Osten angrenzenden Bezirken im Zentrum - vor
allem in Kreuzberg - deutliche Gewinne verzeichnen. Die PDS wurde dabei
gewählt, obwohl ihr kaum Kompetenz bei der Lösung der wichtigsten Fragen
zugeordnet wurden. Dies galt auch für den Ostteil der Stadt, obwohl sie dort
die absolut dominierende Kraft war. Hier glaubt eine deutliche Mehrheit
(67%) dass die Bundesregierung für den Osten zu wenig tue, obwohl gleich-
zeitig nur 14% ihre eigene Wirtschaftslage als schlecht bezeichneten. Ähnlich
wie bei den vorausgegangenen Landtagswahlen im Osten hatte die PDS ihre
Zuwächse vor allem bei den älteren Wählern, bei den unter 30jährigen Wäh-
lern verlor sie (8 Prozentpunkte)110.
Doch die Hoffnungen auf eine Wende erfüllten sich 1999 noch nicht und die
große Koalition konnte erneut die Regierung stellen. Allerdings kam es schon
bald zu einer schweren Krise in dieser Koalition, sodass die SPD, Bündnis
90/Die Grünen und die PDS mit einem Misstrauensantrag den Regierenden
Osten. Nicht nur bei den Popularitätswerten sondern auch bei der Frage
nach den wichtigsten politischen Führungseigenschaften lag Gysi durchweg
weit vor dem CDU-Spitzenkandidaten Steffel. In zwei Punkten ist es ihm so-
gar gelungen, Wowereit zu übertrumpfen.
34 Prozent der Berliner hielten Gysi am ehesten für einen Siegertyp (Wowe-
reit: 27 Prozent; Steffel: 13 Prozent) und ebenfalls 35 Prozent attestierten
ihm den größten Sachverstand (Wowereit: 22 Prozent; Steffel: 7 Prozent).
Der amtierende Regierende Bürgermeister galt hingegen als der glaubwür-
digste und tatkräftigste der drei Spitzenkandidaten. Nach wie vor ist die
Hauptstadt politisch und mental geteilt: Dass die Unterschiede zwischen dem
ehemaligen West- und Ostteil noch immer überwiegen, meinen 66 Prozent
aller Befragten. Zumindest in diesem Urteil sind sich der Osten und Westen
Berlins einig. Am deutlichsten werden die Unterschiede, wenn es um die Be-
teiligung der PDS an der Regierung geht. Im Westen fänden dies nur 19 Pro-
zent gut, im Osten dagegen 57 Prozent, 15 Prozent sind hier jeweils indiffe-
rent. Der Wählerwille zeigt sich zwar bei der Abstrafung der CDU, doch ein
Auftrag für die Bildung einer Regierung wird nicht mit gleicher Schärfe er-
kennbar. Die Koalitionsfrage ist deshalb noch offen. Im Hinblick auf die bei-
den diskutierten Möglichkeiten gibt es jedoch eine eindeutige Präferenz der
Berliner: Vor die Alternative Ampel-Koalition oder SPD/PDS-Regierung ge-
stellt, sprachen sich 60 Prozent für die Ampel und 31 Prozent für die rot-rote
Koalition aus. Innerhalb der SPD-Wähler fällt das Urteil mit 75:21 noch deut-
licher aus113.
Durch den Sieg der Pragmatiker, die ein Wahlprogramm entwarfen, das ge-
prägt war vom Anspruch der PDS, ein soziales Korrektiv zu sein und für
mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, wurde der Weg zur ersten Rot/Roten
Koalition geebnet (Neu 2002: 18).
Allerdings gelang es der PDS als Juniorpartner nicht, ihre Vorgaben aus dem
Wahlprogramm im Koalitionsvertrag mit der SPD verbindlich genug umzuset-
zen und in diesem Vertrag wurden nur wenige klare Weichenstellungen, da-
runter die Ablehnung einer Olympiabewerbung sowie die Fusion von Berlin
und Brandenburg festgeschrieben (Neu 2002: 18-22)
113
Forschungsgruppe Wahlen e. V. Wahl zum Abgeordnetenhaus Berlin, Zusammenfassung S. 2,
http://www.forschungsgruppe.de/Wahlen/Wahlanalysen/Berlin01,pdf, 09.01.2014. Eine weitere wichtige Wahlanalyse von 2001 findet sich bei Infratest dimap, Software by gess. 22.10.2001
101
Schon nach zweieinhalb Jahren wurde von den innerparteilichen Kritikern die
ernüchternde Halbzeitbilanz des Rot/Roten Senats scharf angeprangert und
der Verlust des traditionellen sozialistischen Profils als Folge eines zu ange-
passten Regierungshandelns beklagt. So hieß es in dem Positionspapier
„Zweieinhalb Jahre Rot/Roter Senat―: „Im Berliner Alltag wird die PDS als
politische Kraft wahrgenommen, die den rigorosen, unsozialen Sparkurs fort-
setzt und mit umsetzt, den trotz Abfederung wieder die Beschäftigten und
sozial Schwachen zu tragen haben―114.
Verbunden mit dieser Kritik war die Forderung nach einer sozialistisch ge-
prägten Neupositionierung der LINKEN in Berlin und einer Umsetzung dieses
neuen Profils im nächsten Wahlprogramm des Jahres 2006.
Das Wahlprogramm der LINKEN/PDS von Berlin für die Wahlen zum Abge-
ordnetenhaus am 17.09.2006, das am 6. Mai 2006 vom Landesverband ver-
abschiedet worden war, widmete dem Rückblick auf die Leistungen der Par-
tei von 2001 bis 2006 einen sehr breiten Raum und war gekennzeichnet
durch das Bemühen die Leistungen der Partei beim Kampf gegen Filz und
Korruption bei der Sanierung des Landeshaushalts und bei der Anbahnung
von Strukturveränderungen in einem möglichst positiven Licht erscheinen zu
lassen. Außerdem wurde die Rolle der Linkspartei als soziales Gewissen der
Stadt und ihr Einsatz als die neoliberale Privatisierungswelle besonders be-
tont und die Einführung neuer Elemente der direkten Demokratie z.B. auf
Initiative der LINKEN hin, lobend erwähnt. Damit habe die LINKE/ PDS von
Berlin im wahrsten Sinne des Wortes etwas bewegt und die wachsende Ak-
zeptanz der Partei auch im Westen der Stadt sei ein Beleg für ihre erfolgrei-
che Arbeit im Dienste des Zusammenwachsens der einst geteilten Stadt. Al-
lerdings war der Hinweis auf die Grenzen, die der Landespolitik gesetzt sind,
ein indirektes Eingeständnis der Tatsache, dass die Partei in vielen Berei-
chen die im Jahr 2001 gesetzten Ziele nicht erreicht hatte.
Die Perspektiven und Zielsetzungen der Partei für die nächste Legislaturpe-
riode werden in der Präambel knapp umrissen, wo es heißt: „Mit diesem
Wahlprogramm stellen wir Ihnen die zentralen politischen Projekte der Links-
partei PDS vor, mit denen wir Berlin in den nächsten Jahren voranbringen
114
Die LINKE. Landesverband Berlin, Bezirksvorstand der PDS Tempelhof-Schöneberg, 2½ Jahre Rot-Roter Senat – was hat es bisher gebracht?
Die Tabelle zeigt, dass die Linke von Berlin 2006 nur im Bereich der Ost-Westprobleme stark ge-fragt ist und mit der SPD und CDU mithalten kann. In den Bereichen Familie und Bildung nimmt sie nur eine mittlere Position einnimmt und bei Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Ausländer, Kriminalität und Zukunft der Partei kaum Kompetenz von den Befragten zugetraut wird.
Die Tendenz zur Nivellierung des pragmatischen Profils der LINKEN von
Berlin setzte sich auch in ihrem nächsten Wahlprogramm zur Berliner Abge-
ordnetenhauswahl am 18.09.2011 fort, das unter dem Motto „Das soziale
Berlin― stand. In diesem Programm wird zwar auf die Erfolge der rot-roten
Koalition seit 2006, z.B. die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Bindung gro-
ßer Firmen an die Hauptstadt, die Entstehung neuer Kreativbranchen sowie
die relativ gute Meisterung der Weltwirtschaftskrise hingewiesen, doch
gleichzeitig werden die immer noch sehr starken sozialen Unterschiede und
die Ausgrenzung großer Teile der Bevölkerung auf Grund verschiedener
Faktoren wie Herkunft, Arbeitslosigkeit, Gesundheitsprobleme und Religion
beklagt. Allerdings werden diese sozialen Probleme vor allem auf die un-
günstigen bundespolitischen Rahmenbedingungen zurückgeführt, vor allem
das Hartz IV Gesetz oder den Widerstand gegen einen gesetzlichen Mindest-
lohn. Aber trotz dieser äußerst ungünstigen politischen Rahmenbedingungen
ist Berlin unter aktiver Mitwirkung der LINKEN zu einer sozialen Stadt gewor-
den. Diesen Weg gilt es nach Meinung der Partei weiterzugehen. Dabei soll-
ten folgende Schwerpunkte gesetzt werden.
104
1. Die Schaffung von Beschäftigung
2. Die Stärkung der öffentlichen Unternehmen
3. Förderung eines gerechten Bildungssystems
4. Eine soziale Wohnungspolitik
5. Eine soziale und ökologische Stadtentwicklung
6. Berlin eine Stadt für den Bürger
7. Berlin eine offene demokratische Stadt
Insgesamt ist dieses Profil sehr stark auf Berlin ausgerichtet, auch wenn die
bundespolitische Zielsetzung der Partei eine Umverteilung des Reichtums
von oben nach unten wiederholt anklingt.
Auffällig an dem Programm ist auch, dass den einzelnen Schlagworten des
Programms alle möglichen Inhalte zugeordnet werden und dass diese oft
nicht klar abgegrenzt werden, was für den Wähler sicher äußerst verwirrend
war.
Dennoch spürt man bei der Lektüre des Wahlprogramms den Optimismus
der Partei, die sich trotz des ernüchternden Wahlergebnisses von 2006 gro-
ße Hoffnungen auf eine erneute Regierungsbeteiligung machte, eine Hoff-
nung, die auf Grund von Meinungsumfragen, im Vorfeld der Wahlen nicht
unberechtigt erschien117. Eine Wahlumfrage der Forschungsgruppe Wahlen
im September 2011 zeigt aber, dass die Berliner Bürger nur in geringem Maß
Vertrauen in die LINKE gesetzt haben. Die Forschungsgruppe Wahlen
kommt zu folgendem Ergebnis: „Dass Grüne oder CDU als Junior mehr Zu-
stimmung bekommen als die LINKE, begründet sich auch mit den Sachkom-
petenzen der Parteien: beim Top-Thema Bildung vertrauen 23% der SPD,
20% den Grünen und 20% der CDU, aber nur 11% der LINKEN, die auch in
anderen städtischen Problemfeldern Jobs, Kriminalität, Finanzen
117
Umfragen Berlin, Wenn nächsten Sonntag Abgeordnetenhauswahl wäre ,
Forschungsgruppe Wahlen: Umfrage vor der Wahl 09.11 http://www.forschungsgruppe.de/Wahlen/Wahlanalysen/Newsl_Berl11.pdf, 13.01.2014. Siehe auch: Infratest Dimap 19.09.2011
Auch bei den Umfragen 2009 hat sich die Parteikompetenz gegenüber der SPD und der CDU nicht verbessert. Lediglich bei Sozialpolitik, Schule, Ausländer, und Arbeitsplätze kann sie mittlere bis niedrige Werte erzielen.
oder Ausländerpolitik blass bleibt und nur im Sozialbereich – weit hinter der
SPD- das Niveau von CDU und Grünen erreicht―. Umso ernüchternder war
dann das Ergebnis der Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September
2011, der Partei die LINKE, so große Verluste brachten, dass eine Weiterfüh-
rung der Rot-Roten Koalition rein rechnerisch unmöglich war118. Auch wenn
die Partei auf ihrem dritten Landesparteitag vom 26.11. 2011 konstatierte,
dass mehr als zwei Drittel der Berliner Bürger für Parteien links von der CDU
gestimmt hatten und somit den konservativen Vorstellungen für die künftige
Gestaltung in Berlin eine Absage erteilt hatten 119, zeigte sie sich enttäuscht
darüber, dass ihr Anteil am linken Wählerspektrum so stark geschrumpft war.
Sie nahm diese Situation zum Anlass, sich nicht nur entschlossen zu einer
Oppositionsrolle zu bekennen, sondern auch eine grundlegende Verände-
rung ihres Profils vorzunehmen, das nicht mehr durch die Rücksichtnahme
118
Berlin de. Die Landeswahlleiterin für Berlin, Wahlergebnis,
Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin 2011, http://www.wahlen-berlin.de/, 02.05.2013. 119
Die LINKE, Landesverband Berlin, Offensiv in die Opposition,
Mit einer starken LINKEN das soziale Berlin gestalten.I. Strategische Ausgangslage nach den Wahlen, http://www.die-linke-berlin.de/die_linke/parteitage/3_ landesparteitag/3_ ta-gung/beschluss/1/,22.01.2013.
106
auf einen Koalitionspartner beeinträchtigt würde120.
Auf Grund einer sorgfältigen Analyse der Ursachen des schlechten Wahler-
gebnisses, die bereits in einer Erklärung des Landesvorstands vom 1. No-
vember 2011 vorgenommen wurde, entschloss man sich, klare Schwerpunk-
te zu setzen und zwar die Weiterentwicklung des sozialen Profils von Berlin
und eine organisatorische Neuaufstellung der Partei121. Insgesamt lässt sich
bei der Entwicklung des Profils der PDS/ LINKEN von Berlin seit 1990 eine
klare Tendenz erkennen. In der Zeit, als die Partei noch nicht koalitionsfähig,
bzw. nicht bereit für eine Koalition war, überwiegt das oppositionelle populis-
tische Profil. Dabei werden sozialistische Grundforderungen noch stärker
betont und die Interessen der Wähler im Ostteil der Stadt stehen stärker im
Vordergrund. Das änderte sich mit der beginnenden Krise der großen Koali-
tion von CDU und SPD, die eine massive Verschuldung der Stadt zur Folge
hatte, und mit der realistischen Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung. Nun
machte sich die PDS stärker als zuvor zum Sprecher aller Berliner und ent-
wickelte Vorstellungen für die Zukunft der Hauptstadt, die von verschiedenen
Leitbildern geprägt waren, dem Leitbild der toleranten Stadt, der ökologi-
schen Stadt und dem Leitbild des mitgestaltenden Berliner Bürgers. In dieser
Zeit agierte die LINKE von Berlin kaum populistisch. Dies änderte sich mit
der Übernahme der Oppositionsrolle. Jetzt wurden wieder populistische sozi-
alistische Forderungen erhoben sowie Veränderungen in der Stadt Berlin
verlangt, die weder finanzierbar noch in der Praxis durchführbar waren122.
120
Die LINKE, Landesverband Berlin, Kurzeinschätzung zum Wahlergebnis der LINKEN Berlin am
18.9.2011, S. 1- 4, http://www.die-linke-berlin.de/_wkblog/?p=2740, 22.01.2013. 121
Die LINKE, Landesverband Berlin, Offensiv in die Opposition,
Mit einer starken LINKEN das soziale Berlin gestalten, I. Strategische Ausgangslage nach den Wahlen, s. 1 – 6, http://www.die-linke-berlin.de/die_linke/parteitage/3_ landespartei-tag/3_tagung/beschluss/1/,22.01.2013 22.01.2013. 122
Populismus-Vorwürfe, Linke entdeckt ihre neue Liebe zu alten Hausbesetzern,
http://www.morgenpost.de/berlin/article108464605/Linke-entdeckt-ihre-neue-Liebe-zu-alten-Hausbesetzern.html, 29.05.2013. Siehe dazu und vergleiche: Katina Schubert, n UmFAIRteilen!!!, 13.April 2013,
http://www.katina-schubert.de/, 25.10.2013. Die LINKE, Landesverband Berlin Arbeits- und Interessengemeinschaften,
http://www.die-linke-berlin.de/die_linke/partei/lag_und_ig_plattformen/29.05.2013. Die LINKE, Landesverband Berlin, Positionen, Leitbilder,
http://www.die-linke-berlin.de/, 29.05.2013.
107
3.2. FPÖ in Österreich
3.2.1 Genese der FPÖ
Die Anfänge der FPÖ reichen zurück in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts.
Die Partei wurde am 3. November 1955 gegründet und war zunächst ein
Sammelbecken der unterschiedlichsten nationalkonservativen Gruppen, da-
runter zahlreiche ehemalige Nationalsozialisten und Vertreter der österreichi-
schen Studentenverbindungen123.
Eine wichtige Vorgängerpartei der FPÖ war der VDU, der Verband der Un-
abhängigen, der 1949 in Salzburg entstand und seine Wurzeln in der „Vater-
ländischen Front― der dreißiger Jahre hatte124. Diese Partei wurde von der
SPÖ unterstützt, während sie von der ÖVP abgelehnt wurde, die eine Auf-
spaltung des bürgerlichen Lagers befürchtete. Der VDU verstand sich als
Interessenvertreter ehemaliger Nationalsozialisten, Heimatvertriebener und
Heimkehrer und politisch Unzufriedener und profilierte sich auch als Partei
der Arbeiter und Bauern (Höbelt 1980: 117-138). Bei den Nationalratswahlen
von 1949 kandidierte der VDU als Wahlpartei der Unabhängigen (WDU) und
konnte auf Anhieb 11,7% der Stimmen auf sich vereinigen. Ihre Rolle als
neue dritte Kraft im österreichischen Parteiensystem behauptete sie auch bei
den Nationalratswahlen von 1953, als sie gemeinsam mit der „Aktion zur poli-
tischen Erneuerung―, einer Abspaltung von der ÖVP, kandidierte und 10,9%
der Stimmen erreichte.
Im Lauf der Jahre 1953 – 1954 vollzog sich der allmähliche Niedergang des
VDU, der durch innere Querelen der Parteiführung bedingt war, so dass sich
der VDU nicht zu einer offenen Volkspartei entwickeln konnte, sondern im-
mer mehr von national gesinnten Kräften dominiert wurde. Dies führte dazu,
dass sich der VDU auflöste und von der neugegründeten FPÖ absorbiert
wurde. Als Sammelpartei des dritten Lagers präsentierte sich die FPÖ als
antiklerikale, antisozialistische, liberale und deutschnationale Kraft, blieb aber
auf Grund ihrer unzureichenden Organisation und ihrer einseitigen deutsch-
nationalen Orientierung zunächst isoliert (Pelinka 1994: 9ff).
Siehe: Bärnthaler 1971, Die Vaterländische Front, Geschichte und Organisation, Reimann, Wien 1980, Höbelt Lothar, Die dritte Kraft in Österreich, Von der Vierten Partei zur dritten Kraft, Die Geschichte
des VDU, Graz1999.
108
3.2.2. Entwicklung der FPÖ
Um die Mitte der 60er Jahre gelang es dem Bundesparteiobmann F. Peter,
die Partei vom Makel der „Ghetto-Partei― zu befreien und sie auch aus ihrer
Isolation herauszuführen. Sie unterstützte 1970/71 die SPÖ-Minderheitsre-
gierung. Anschließend tendierte sie bis Ende der 70er Jahre unter A. Götz
programmatisch zur ÖVP hin, näherte sich aber dann wieder unter N. Steger
an die SPÖ an125 (Pelinka 1987: 7). Für lange Jahre musste sie sich mit 6%
der Wählerstimmen begnügen. Als sich zu Beginn der 80er Jahre eine Libe-
ralisierung der Partei abzeichnete, führte dies zunächst zu einer weiteren
Einbuße von Wählerstimmen und die FPÖ musste bei den Nationalratswah-
len von 1983 mit 5% das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte hinnehmen
(Pelinka 1993: 27-33). Dennoch konnte sie nach diesen Wahlen unter N.
Steger zum ersten Mal eine Regierungsbeteiligung an der Seite der SPÖ
erreichen, die aber von Bundeskanzler Vranitzky abrupt beendet wurde, als
Jörg Haider auf dem Parteitag in Innsbruck im Jahr 1986 die Führung der
Partei übernahm und sich die Struktur der Wählerschaft der FPÖ grundle-
gend veränderte (Pelinka 1993: 89-96)126.
So konnte der neue Vorsitzende vor allem im Arbeitermilieu neue Wähler
gewinnen und auch sonst die Wählerbasis der FPÖ erweitern, auch wenn
seine Parolen in Österreich und im europäischen Ausland sehr umstritten
waren und er schon bald als Rechtspopulist verschrien war (Pelinka 1994:
185-197). Spannungen mit den liberalen Kräften der Partei, die durch das
Volksbegehren „Österreich zuerst― verstärkt wurden 127 und zum Austritt von
fünf Abgeordneten führten, konnten nicht verhindern, dass die FPÖ mit ihren
nationalistischen, antieuropäischen und fremdenfeindlichen Parolen wach-
senden Rückhalt bei den Wählern fand und bei den Nationalratswahlen von
1999 mit 26,9% die zweitstärkste Partei wurde (Pelinka 1990: 8).
Allerdings führte die folgende Regierungsbeteiligung an der Seite der ÖVP
zu heftigen Protesten sowohl in Österreich als auch in anderen EU-Ländern,
125
Siehe:(Austria Forum Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ,
http://www.oe24.at/oesterreich/politik/OeSTERREICH-Umfrage-Affaeren-lassen-FPOe-zurueckfallen/36374613, 23.01.2013. Die FPÖ bekommt die Affären Scheuch und Königshofer deutlich zu spüren,
Siehe: Freiheitliche Partei Österreich, Kurzprogramm 17.10.1955, Endfassung 02.06.1957,
Ergänzung 13.09.1958, Gründung der FPÖ – Eckdaten, Erhalten per E-Mail von: Dr. Gerhard Staudinger, FPÖ-Bildungsinstitut – Archiv, A-1080 Wien, 29.04.2013.
112
80er Jahre hatte die Freiheitliche Partei Österreichs ein doppeltes Profil. Die
Partei zerfiel in zwei Flügel, den liberalen Flügel unter Norbert Steger und
den deutschnational ausgerichteten Flügel unter dem Obmann der FPÖ-
Landesgruppe Kärnten Jörg Haider. Das Salzburger Programm konnte also
als ein Versuch interpretiert werden, diese Gegensätze zu überbrücken. Dies
gelang jedoch nicht140.
Nach einer Kampfabstimmung löste Jörg Haider 1986 den bisherigen Vorsit-
zenden Norbert Steger ab und bahnte eine grundlegende Wende im Profil
der Freiheitlichen an, das bis zu diesem Zeitpunkt durch eine Mischung von
nationalkonservativen und liberalen Elementen gekennzeichnet war141.
Nach seinem Sieg über den liberalen Parteiobmann Steger differenzierte
Haider wiederum in der „Aula―: „Die freiheitliche Partei war sicherlich von ih-
rer Grundstruktur, aber auch von ihren wesentlichen Führungsorganisationen
aus gesehen, niemals eine linke politische Bewegung. Daher war es notwen-
dig, Tendenzen, die sich in der Führungsspitze breit gemacht haben, allzu
konziliant gegenüber einem linken Koalitionspartner zu sein und damit auch
grundsätzliche Positionen aufzugeben, zu korrigieren und die FPÖ wieder
auf einen Standort zurückzuführen, der jener des gemeinsamen Parteipro-
gramms ist, in dem sowohl nationale als auch liberale als auch national-
liberale Menschen Platz haben― (Pelinka 2002: 61-75)142.
Haider machte die FPÖ in kürzester Zeit zu einer rechtspopulistischen Partei,
die nicht nur heftig gegen den rot-schwarzen Proporz zu Felde zog, sondern
teilweise auch rechtsextreme und antisemitische Parolen verwendete, die
sowohl im In- und Ausland zu sehr kritischen Reaktionen führten143.
140
Siehe auch: Bailer-Galanda, Brigitte, Neugebauer, Wolfgang, Haider und die Freiheitlichen in Österreich, Berlin
1997, S. 33-41. Bailer-Galanda, Brigitte, Haider wörtlich, Wien 1995, S.43-46. 141
Jörg Haider - Ein Politiker der anderen Art
http://www.demokratiezentrum.org/bildstrategien/personen.html?index=16&dimension=, 22.01.2013. Die Aula 10/1986, aus Bailer-Galanda, Brigitte, Haider wörtlich, Wien 1995, S.43. Biografie von Dr. Jörg Haider,
http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_00490/22.01.2013. Siehe und vergleiche die von Haider persönlich verfasste Literatur: Haider, Jörg, Die Freiheit die ich meine, Frankfurt Berlin 1993 Haider, Jörg, Befreite Zukunft jenseits von links und rechts, Menschliche Alternativen für eine Brücke
ins neue Jahrtausend, Wien 1997. Haider, Jörg, Zu Gast bei Saddam, Im „Reich des Bösen―, Wien 2003. 142
Pelinka, Anton, Die FPÖ im internationalen Vergleich, Zwischen Rechtspopulismus, Deutschnatio-
nalismus und Österreich-Patriotismus, S. 1–11, http://www.cco.regener-online.de/2002_1/pdf_2002_1/pelinka.pdf, 21.01.2013.
113
Ein sehr wichtiges Thema war daneben von Anfang an die Ausländerfrage,
die auf Grund der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien besonders aktuell
war. Haider hörte nicht auf, vor dem Zustrom von Asylanten, illegalen Ein-
wanderern und Arbeitsmigranten zu warnen, und stellte einen direkten Zu-
sammenhang zwischen zahlreichen sozialen Problemen Österreichs, z.B.
der Arbeitslosigkeit, der Kriminalität, der wachsenden Gewalt und dem hohen
Ausländeranteil in Österreich, her (Luther 2005: 18-20). Eng verbunden mit
diesem bedrohlichen Szenario war der FPÖ Slogan „Österreich zuerst―144,
der die Abwehrhaltung der einheimischen österreichischen Bevölkerung ge-
gen die politischen, rechtlichen Bedrohungen ihrer materiellen und kulturellen
Identität verstärkte (Plasser/Ulram 2000: 229) und vor allem bei den Leidtra-
genden der Modernisierung immer mehr Gehör fand. Gleichzeitig protestierte
die FPÖ gegen die Europäisierung und Internationalisierung, ein Protest, der
vor allem im Widerstand gegen Österreichs EU-Beitritt, gegen Österreichs
Beteiligung an der europäischen Währungsunion und gegen die Osterweite-
rung der EU zum Ausdruck kam (Pelinka 2002: 10).
Trotz dieser neuen Schwerpunkte des Profils der FPÖ, die in der Öffentlich-
keit lautstark vorgetragen wurden, blieben die wirtschaftsliberalen Bestre-
bungen nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des programmatischen Profils
der Partei. So wurden z.B. die obligatorische Kammermitgliedschaft und die
Sozialpartnerschaft abgelehnt und eine Aufwertung des Parlaments und
mehr direkte Mitgliedschaft gefordert (Luther 2005: 18). Das Linzer Pro-
gramm knüpfte zwar mit dem Slogan „Freiheit als höchstes Gut― an die libe-
ralen Traditionen der Partei an, setzte aber in vielfacher Weise neue Akzen-
te. So wurde der Österreich-Patriotismus noch stärker betont als zuvor, ein
klares Bekenntnis der Partei zum Christentum abgegeben, durch den Appell
zur Bewahrung der geistigen Grundlagen des Abendlandes (Luther 2005: 19)
indirekt von einer Überfremdung des Landes durch den Ausländerzustrom
Siehe und vergleiche auch: Bröchler, Stephan Informales Regieren auf österreichisch, Formales und informales Regieren als
wechselseitiger Prozess, in:Bröchler, Stephan, Grunden, Timo, Hrsg.Informelle Politik, Konzepte, Ak-teure und Prozesse, Springer VS, 2014, SW. 129–154. Heinisch, Reinhard, (Pittsburgh), Die FPÖ im internationalen Vergleich, Erfolg und Misserfolg des
identitären Rechtspopulismus, S 1–15, http://www.oezp.at/pdfs/2004-3-01.pdf, 22.01.2013. 144
Demokratiezentrum Wien, Stop dem Asylmißbrauch, Wahlplakat der FPÖ für die Nationalratswahl
vom 3. Oktober 1999, http://www. demo -kratiezentrum.org/bildstrategien/oesterreich.html?index=20&dimension=, 22.01.2013.
114
gewarnt und ein alternatives, breitgefasstes Europakonzept entwickelt (Lu-
ther 2005: 19). Dieses Konzept gründete sich auf die Idee der „christlich
abendländischen Wertegemeinschaft― und lehnte die Maastricht-Politik und
ihre Weichenstellungen in verschiedenen Teilen ab. Auf der anderen Seite
wurden eine Abkehr von der überholten Neutralität der Vergangenheit sowie
eine Nato-Mitgliedschaft gefordert.
Dieses oppositionelle Profil der FPÖ hatte zur Folge, dass die Partei ganz
neue soziale Gruppen ansprechen konnte, nicht nur die Modernisierungsver-
lierer, deren Ängste sie geschickt thematisierte, sondern auch andere soziale
Gruppen, die sich aus den verschiedensten Gründen an die FPÖ annäher-
ten, z.B. traditionelle ÖVP-Wähler, die sich durch das klare Bekenntnis der
Partei zum Christentum nur zur FPÖ hingezogen fühlten, oder aber EU- Kriti-
ker aller Parteien.
Somit führte dieses populistische Profil der FPÖ zur Entstehung eines dritten
Lagers und zu einer ganz neuen Konfliktlinie im Parteiensystem, die nicht
mehr durch die traditionellen Kriterien der Religion oder der gesellschaftli-
chen Klasse bestimmt war (Pelinka 2002: 9-11).
Dieses äußerst erfolgreiche oppositionelle populistische Profil, das der Partei
im Jahre 1999 ein sehr gutes Wahlergebnis mit 26,9% bescherte und zur
Regierungsbeteiligung mit der FPÖ führte, konnte jedoch in der Koalition mit
der ÖVP nicht aufrecht erhalten werden145.
Die folgenden Wahlanalysen von Sora zeigen, wie die Wähler auf die Partei-
und Wahlprogramme, das populistische Verhalten und die Leistungen wäh-
rend der Regierungsbeteiligung bei der Nationalratswahl 2002 reagiert ha-
ben.
145
Plasser, Fritz, Ulram, Peter A., Analyse der Nationalratswahl 2002, Muster, Trends und Entschei-
dungsmotive, Wien, am 25. November 2002, ttp://members.chello.at/zap-forschung/download/NRW2002.pdf13.01.2014.
115
Tabelle und Text Sora Nationalratswahl 2002
Die FPÖ hat die Hälfte ihrer WählerInnen an die ÖVP verloren, weitere 11% an die SPÖ, 7% der FPÖ WählerInnen von 1999 sind dieses Mal nicht zur Wahl gegangen. Die Behalterate der FPÖ ist mit 30% die niedrigste der im Parlament vertretenen Parteien.
Tabelle und Text Sora Nationalratswahl 2002
Die Wahlergebnisse in Österreich bei der Nationalratswahl 2002 zeigen erschreckende Defizite im Bereich Bildung für die FPÖ und können so auch den großen Wählerverlust erklären.
Tabelle und Text Sora Nationalratswahl 2002 Tabelle und Text Sora Nationalratswahl 2002
Die FPÖ kann im Gegensatz zu SPÖ und ÖVP eher bei Personen mit niedrigerem Schulab-schluss Stimmen erzielen.
Die FPÖ weist bei den „sonstigen Erwerbstäti-gen“ ein für sie überdurchschnittliches gutes Ergebnis auf (18%), weiters bei Pensionistinnen (15%). In der Zielgruppe der ArbeiterInnen hat die FPÖ hingegen keinen überdurchschnittlich hohen Zulauf mehr (10%).
116
Die FPÖ versuchte zwar ihr oppositionelles Profil zur Geltung zu bringen,
z.B. mit dem Vorschlag der Begrenzung der jährlichen Zahl der Nieder-
lassungsbewilligungen für ausländische Arbeitnehmer (Geden 2006: 153-
154), aber meistens musste sie starke Einschränkungen bei den meisten
ihrer oppositionellen Diskurse in Kauf nehmen. Dies führte zu einem erhebli-
chen Verlust an Glaubwürdigkeit und einer schweren inneren Zerreißprobe
für die Partei, deren gesamtes öffentlichkeitswirksames Profil in Frage ge-
stellt wurde (Frölich/Steffen 2004: 1-15)146.
Noch größere Zugeständnisse, die mit dem oppositionellen populistischen
Profil unvereinbar waren, musste die FPÖ 2002 bei den Verhandlungen zur
Neuauflage der schwarz-blauen Koalition machen, als sie vom künftigen
Koalitionspartner ÖVP gezwungen wurde, auf jedwede Polemik gegen die
Osterweiterung der EU zu verzichten und auch auf anderen Gebieten erheb-
liche Abstriche von ihrem bisherigen Profil und ihrer Programmatik in Kauf zu
nehmen.
Dieser kontinuierliche Prozess der Abschwächung des rechtspopulistischen
Profils der Partei hatte eine schwere innere Krise und eine Spaltung der FPÖ
zur Folge. Sie verschärfte sich noch „auf Grund in der Partei vorhandenen
latenten Konflikte struktureller, ideologischer und strategischer Art― (Luther
2005: 23). Diese „Selbstzerfleischung der Partei in den Jahren 2000 -2005―
(Luther 2005: 23) ging Hand in Hand mit einer zunehmenden Zersplitterung
des innerparteiliche Meinungsspektrums, das von liberalen Positionen über
klerikal-konservative Gedanken bis hin zu rechtsradikalen Ideen reichte. (Lu-
ther 2005: 20). Daher konnte von einem einheitlichen Profil, wie es vor den
Wahlen von 1999, zumindest nach außen hin präsentiert wurde, nicht mehr
gesprochen werden (Luther 2005: 20). Erschwerend kam hinzu, dass Jörg
Haider sich immer stärker von der Koalition distanzierte, obwohl er zunächst
Mitglied im Koalitionsausschuss war. Seine ständige Kritik an der Regie-
146
Vergleiche: Chronologie des Niedergangs der FPÖ, Mitte August 2002, Oktober 2002. November 2002 bis
Wahltag, November 2002, ab dem Wahltag, Dezember 2002, http://www.nlp.at/hl/medien/chrono0902.htm., 08.05.2013. Ogris, Günther, Hofinger, Christoph, Picker, Ruth, Ortner Georg, Thalhammer, Eva,
Sora, Nationalratswahl 2002,Analyse des Wahlergebnisses und des Wahlkampfes http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/2002_nrw_wahltagsbefragung_wahlanalyse.pdf, 29.05.2013. Österreich Journal, Was blieb von der Wende, Ausg. NR. 81 26.Feber 2010,
rungslinie schwächte die FPÖ weiter, statt der Regierungsarbeit mehr Rück-
halt zugeben forcierte er die Gründung des BZÖ. Diese Abspaltung rechtfer-
tigte er vor allem durch die Notwendigkeit einer scharfen Abgrenzung von
den deutschnational orientierten Funktionären der FPÖ, die die Koalition mit
der ÖVP nie richtig akzeptiert hatten.
Das neugegründete BZÖ übernahm zahlreiche Positionen der FPÖ, z.B. in
der Ausländerfrage, entwickelte aber andererseits durchaus ein eigenständi-
ges Profil durch die Forderung nach der Tobin-Steuer (Finanztransaktions-
steuer) oder aber den Vorschlag ein Kerneuropa innerhalb der EU zu schaf-
fen, zu dem auch Österreich gehören sollte. Im Gegensatz zur FPÖ bekann-
te sich das BZÖ unmissverständlich zur Fortführung der Koalition mit der
ÖVP und das BZÖ übernahm alle der ehemaligen FPÖ zustehenden Minis-
terposten und die Schwester des damaligen Bundesobmann Jörg Haider,
Frau Haubner, kam neu als Ministerin in die Regierung.
Der Aufstieg des BZÖ wurde erst durch H. C. Strache und dessen Konsoli-
dierung der FPÖ aufgehalten (Luther 2005: 22)147.
Strache gelang es in relativ kurzer Zeit das rechtspopulistische Profil der
FPÖ zu schärfen und vor allem durch seine aggressive Thematisierung der
Ausländerfrage bei den Nationalratswahlen 2006 (Teplak 2008: 62) Wähler
zu mobilisieren und sich gegenüber dem BZÖ zu behaupten. Mit Parolen wie
der „Patriot – er für Euch―, „Sozialstaat statt Zuwanderung― (Teplak 2008:
62), knüpfte er an den „Österreich zuerst― Diskurs an und mit der Parole:
„Heimat statt Schüssel und Brüssel― zeigte er seine kritische Haltung zur EU-
Politik (Teplak 2008: 64-65).
Besonders auffällig war die antiislamische Stoßrichtung von Straches Wahl-
programm des Jahres 2006, die auch mit einer entschiedenen Ablehnung
des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union Hand in Hand ging (Teplak
2008: 65).
Die nachfolgenden Tabellen von Sora zeigen auch hier wieder die Reaktion
der Wähler auf die Programmatik und auf die Wahlversprechungen der FPÖ
bzw. des BZÖ.
147
Salzmann, Markus und Rippert, Ulrich, 13. April 2005 Österreich: Was steckt hinter der Spaltung
der FPÖ? http://www.wsws.org/de/2005/apr2005/haid-a13.shtml, 23.01.2013. der Standard/ FPÖ-Spaltung perfekt, Jörg Haider führt neue Partei „ BZÖ― an, Redaktion, 05 April
2005, http://derstandard.at/2003289, 24.01.2013.
118
Quelle: SORA in Kooperation mit IFES, n=110 FPÖ-WählerInnen http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/2006_nrw_wahltagsbefragung_presseunterlage.pdf
Quelle: SORA in Kooperation mit IFES, Achtung, kleine Fallzahl! n=45 BZÖ-WählerInnen http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/2006_nrw_wahltagsbefragung_presseunterlage.pdf
Ausländerthemen waren im Jahr 2006 bei den FPÖ-Wählern im Vergleich mit den BZÖ-Wählern ein stärkeres Wahlmotiv. Haider vom BZÖ wurde von den Wählern höher einschätzt als Strache von der FPÖ. Die Qualität des Wahlprogramms der beiden Parteien war mit 15 % (FPÖ) und 19 % (BZÖ) annähernd gleich.
Quelle: SORA in Kooperation mit IFES, n=1.500 http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/ 2006_nrw_wahltagsbefragung_presseunterlage.pdf
Quelle: SORA in Kooperation mit IFES, n=1.500 http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/ 2006_nrw_wahltagsbefragung_presseunterlage.pdf
Der Unterschied nach Erwerbsstatus ist wie die Tabelle zeigt zwischen SPÖ und ÖVP auf der einen Seite und FPÖ auf der anderen Seite sehr deutlich. Einzig bei den ArbeiterInnen und bei den Pensionisten kommt die FPÖ über 11 %. Im Gesamtergebnis kommt die FPÖ nur auf 10 % und zieht so mit den Grünen gleich.
Der Unterschied nach Bildungsniveau ist genau wie beim Erwerbsstatus gravierend. Die auffäl-ligsten Abweichungen vom Gesamtergebnis mit 10 % sind bei Lehre mit 13 % und Matura mit 6 %.
Für Strache und seine FPÖ war kein Platz für den Islam in einer vorwiegend
österreichisch geprägten Leitkultur und durch entsprechende Forderungen,
z.B. ein Kopftuchverbot in öffentlichen Räumen oder Religionsunterricht in
islamischen Schulen in deutscher Sprache, erteilte er der Idee eines multikul-
turellen Österreichs eine eindeutige Absage (Teplak 2008: 67). Die immer
stärkere Akzentuierung solcher Kernthemen der Partei, der Kampf gegen
den Ausländerzustrom und Asylmissbrauch, das Eintreten für öffentliche Si-
cherheit und das patriotische Bekenntnis zu den Interessen des eigenen
Landes, die auch durch die negative Entwicklung der Europäischen Union
119
nach Auffassung der FPÖ immer stärker bedroht waren, verstärkten wieder
die neue Konfliktlinie zwischen der FPÖ als Vertreterin der österreich-
patriotischen Zielsetzungen und den übrigen Parteien, vor allem der SPÖ
und der ÖVP (Pelinka 2002: 1).
Der große Wahlerfolg der FPÖ bei den vorgezogenen Nationalratswahlen
2008, als Straches Partei kräftig zulegte und einen Stimmenanteil von 17,5%
erreichte148, war ein deutlicher Beleg dafür, dass das geschärfte oppositionel-
le populistische Profil der Partei bei der Wählerschaft großen Anklang fand,
das schon in ihrem Wahlprogramm vor diesen Nationalratswahlen unmiss-
verständlich und ungewöhnlich klar zum Ausdruck gebracht worden war149.
Auch hier erklären die Tabellen von Sora, von denen natürlich nur ein Teil
hier in der Arbeit aufgelistet istr, inwieweit die Wahl- und Parteiprogramme
sowie das populistische Verhalten der FPÖ in der Opposition die Wähler bei
der Nationalratswahl 2008 beeinflusst haben.
Quelle: Basis: Wahltagsbefragung im Auftrag des ORF, n= 1200 http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/2008_nrw_wahlanalyse.pdf Der höchste Wähleranteil liegt bei den unter 30jährigen Männern. (Männer 28 %, Frauen 21 %). Bei den unter 60jährigen nimmt der Wähleranteil (Männer 14 %, Frauen 16 %) ab. Bei den über 60jährigen nimmt der Wähleranteil bei den Frauen weiter ab, steigt dagegen bei den Männern wieder auf 22 % an.
148
Republik Österreich Bundesministerium für Inneres, Nationalratswahlen 2008,
http://wahl08.bmi.gv.at/23.01.2013 149
Wahlprogramme: Das Wahlprogramm der FPÖ,
geposted von Dominik Leitner am 23. September 2008 – 09:00 http://neuwal.com/index.php/2008/09/23/wahlprogramme-das-wahlprogramm-der-fpo/, 24.01.2013.
120
Quelle: Basis: Wahltagsbefragung im Auftrag des ORF, n= 1200 http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/2008_nrw_wahlanalyse.pdf Beim Wahlverhalten nach Erwerb hat die FPÖ ihren stärksten Wähleranteil mit 18 % bei den Arbei-tern. Dagegen haben Angestellte im öffentlichen Dienst nur 7 % die FPÖ gewählt.
Quelle: Basis: Wahltagsbefragung im Auftrag des ORF, n= 1200 http://www.sora.at/fileadmin/downloads/wahlen/2008_nrw_wahlanalyse.pdf Bei der Bildungsmobilität zeigt sich wie auch in den Jahren zuvor, dass die FPÖ vorwiegend von Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau gewählt werden.
121
Quelle: Basis: Wahltagsbefragung im Auftrag des ORF, n= 1200 http://www.sora.at/fileadmin/downloads/ wahlen/2008_nrw_wahlanalyse.pdf
Quelle: Basis: Wahltagsbefragung im Auftrag des ORF, n= 1200 http://www.sora.at/fileadmin/downloads/ wahlen/2008_nrw_wahlanalyse.pdf
Bei der Analyse der Wahlbefragung 2008 zeigt sich, dass die Wähler ihrer Motive unterschiedlich gewichten. Den Anhängern beider Parteien war „frischer Wind“ besonders wichtig. „Spitzenkandidat/in“ und „Kontrolle gegen Missstände“ war den Wählern der BZÖ wichtiger, die Vertretung eigener Interessen und ein Protest gegen die Regierung dagegen den Wählern der FPÖ.
Die unbestreitbare Nähe von Strache zu nationalsozialistischen Ideen konnte
dabei seine Stellung nicht schwächen und seine Partei wurde mit diesem
Profil bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen in Wien mit 26,2% und 28
Mandaten die zweitstärkste Partei in der österreichischen Hauptstadt150.
Meinungsumfragen von 2010 zufolge hatte die FPÖ sogar die Chance, mit
diesem Profil, das im Parteiprogramm von Graz in einer etwas weniger direk-
ten Form zum Ausdruck kam, die 30%-Grenze zu erreichen und damit viel-
leicht sogar stärkste Partei zu werden und erneut den Anspruch auf eine Re-
gierungsbeteiligung, vielleicht sogar Anspruch auf das Amt des Bundeskanz-
lers zu erheben. Diese Einschätzung der Entwicklung der FPÖ wurde auch in
dem Artikel „Österreich, Rechtsradikale FPÖ in Umfragen stärkste Kraft― von
Markus Salzmann und Ulrich Rippert geteilt: „Die Freiheitliche Partei Öster-
reichs (FPÖ) unter Parteichef Heinz-Christian Strache ist laut einer Umfrage
von Ende Mai zur stärksten österreichischen Partei geworden. Sie liegt
knapp vor den Sozialdemokraten (SPÖ) und der konservativen Volkspartei
(ÖVP). Derart hohe Werte hatte die FPÖ zuletzt Ende der neunziger Jahre
unter ihrem damaligen Vorsitzenden Jörg Haider erreicht, bevor sie sich im
Jahr 2000 an der Regierung beteiligte. Laut Zahlen des Meinungsfor-
schungsinstitutes OGM würden bei Parlamentswahlen 29 Prozent der Be-
fragten den Freiheitlichen ihre Stimme geben. Die SPÖ kommt in dieser Um-
frage auf 28 Prozent, die ÖVP auf 23, die Grünen auf 13 und die FPÖ-
150
Wahlergebnis zur Wien Wahl 2010
http://www.wien-wahl-2010.at/, 24.01.2013.
122
Abspaltung Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) auf 5 Prozent. Allerdings hat
die FPÖ in der letzten Zeit größere Wählereinbußen in den Ländern hinneh-
men müssen. So haben sie 2013 in Kärnten 27,8% in Niederösterreich 2,3%
und in Tirol 2,6%.der Stimmen verloren. Die Gründe hierfür sind neben der
Führungsschwäche der Partei und der neuen Konkurrenz durch das Team
Stronach und andere politische Gruppierungen die Unfähigkeit der FPÖ, sich
klar zu profilieren und programmatisch auf neue Herausforderungen zu rea-
gieren.
Trotz dieser Stimmeneinbußen in einigen österreichischen Bundesländern
gelang es der FPÖ, sich auf Landesebene inhaltlich besser zu positionieren
und durch ihr Wahlprogramm für die Nationalratswahl 2013, das am 14. Au-
gust veröffentlicht wurde, Wähler zurückzugewinnen. Diese Entwicklung
wurde auch durch die Ergebnisse der Nationalratswahl vom 29.09.2013 be-
stätigt bei der die FPÖ gegenüber der Nationalratswahl von 2008 deutlich um
3% zulegen konnte. Welche Rolle dabei das Wahlverhalten der Bürger Ös-
terreichs gespielt hat geht aus den folgenden Blockdiagrammen von SORA
hervor151:
Bei den Männern ist die FPÖ mit 29 % stärkste Partei. Bei den Frauen liegt sie dagegen mit 16 % nur an dritter Stelle hinter SPÖ und ÖVP.
151
Der Standard Inland Nationalratswahl 2013 Wahlergebnisse, Infografik | 29. September 2013,
Beim Wahlveralten nach Erwerb ist die FPÖ bei den Arbeitern mit 34 % am stärksten vertreten. Bei den Angestellten nimmt sie mit 25 % den zweiten Platz ein. Bei den Selbstständigen und Pensionisten rangiert sie mit 18 % und 17 % auf dem zweiten und dritten Platz.
Bei den Wählern mit Lehre ist die FPÖ mit 36 % führend, dagegen mit Universitätsbildung mit 4 % am Ende der Tabelle. Bei den anderen Bildungsbereichen befindet sie sich in einer mittleren Position: Pflichtschule 15 %, BMS 24 %, Matura 19 %.
124
Die Zustimmung der FPÖ-Wähler nimmt mit fortschreitendem Alter ab. Dies zeigt sich sowohl in der Rangfolge auch Anteil der Wähler.
Männer bis 59 Jahre sind eine starke Wählergruppe der FPÖ. Die Zustimmung bei den Männern ab 60 nimmt ab, obwohl sie dort immer noch an zweiter Stelle liegt. Dagegen nehmen die Frauen nur den dritten und vierten Platz in der Wählertabelle ein. 152
152
Der Standard Inland Nationalratswahl 2013 Wahlergebnisse, Infografik | 29. September 2013,
Die beiden neuen Parteien „Team Stronach“ und „Neos“ schafften auf Anhieb den Einzug in den Natio-nalrat, während das BZÖ mit 3,5 % den Einzug ins Parlament verpasste. In den einzelnen Ländern Österreichs lag der Wähleranteil der FPÖ relativ gleichmäßig zwischen 17 % und 24 %.
127
Die Auswertungen der Blockdiagramme und Tabellen zeigen eindeutig, dass
die FPÖ vor allem von Männern und Vertretern der Arbeiterschaft gewählt
wurde, während der Anteil der Frauen und der älteren Menschen, die sich für
die FPÖ entschieden, relativ gering war.
Insgesamt ist festzuhalten, dass sich das Profil der FPÖ um die Mitte der
80er-Jahre wandelte und einen ausgeprägten rechtspopulistischen Charakter
annahm, der die FPÖ zum Kern eines neuen politischen Lagers machte und
die traditionellen Konfliktlinien im österreichischen Parteiensystem von Grund
auf veränderte.
Nach einer zeitweisen Abschwächung des rechtspopulistischen Profils im
Zuge der Regierungsbeteiligung nach dem Jahre 2000 bahnte sich eine Er-
neuerung des oppositionellen rechtspopulistischen Profils nach der Ära Hai-
der an, bei der die Kernthemen gleich blieben, aber ein deutlich schärferer
antiislamistischer Akzent, sowie eine größere Skepsis gegen-über der Euro-
päischen Union zu beobachten war. Die grundlegenden Veränderungen des
inhaltlichen Profils der FPÖ hatten auch nachhaltige Auswirkungen auf das
Sozialprofil der Partei, das im Laufe der 1990er Jahre bedeutend vielfältiger
wurde. Neben den Teilen der traditionellen Wählerschaft, die der Partei die
Treue hielten, stimmten nun auch Wähler aus den verschiedensten sozialen
Schichten und Bereichen, darunter auch viele Jungwähler, für die FPÖ, die
sich allerdings während der Regierungsbeteiligung zum Teil wieder von der
Partei abwendeten. Erst durch H. C. Strache konnten diese Wähler wieder
mobilisiert werden, der durch die geschickte Nutzung der Themen der euro-
päischen Integration eine Konfliktlinie (Cleavage) erneuerte, die schon unter
Haider maßgeblich zu einer völlig neuen Polarisierung des österreichischen
Parteiensystems geführt hat. Diese Kernthemen gehen Hand in Hand mit
einem ständigen Anti-Establishment-Diskurs.
Den etablierten Parteien wird vorgeworfen, diese für Österreich so wichtigen
Fragen zu vernachlässigen und damit die Zukunft Österreichs aufs Spiel zu
setzen153.
153
Hartleb, Florian, Berliner Republik, das Debatten Magazin, 6, 2008, Ist nach Haider vor Haider?,
Im Schweizer Nationalrat waren die Demokraten der Kantone Graubünden,
Glarus und Zürich dann mit drei Nationalräten und zwei Ständeräten vertre-
ten und bildeten dort mit der EVP bis Ende der Legislaturperiode 1971 eine
Fraktion.
Die Vereinigung der BGB und der Demokratischen Parteien von Graubünden
und Glarus erfolgte 1971 und war vor allem durch das Bestreben geprägt,
der wachsenden Zersplitterung der Schweizer Parteien Einhalt zu gebieten
und mit dem neuen Bündnis die Möglichkeit einer besseren Durchsetzung
der eigenen Interessen zu schaffen156. Mit dem neuen Namen der Partei ver-
band man auch die Hoffnung auf die Entwicklung einer gesamtschweizeri-
schen Volkspartei und eine Abkehr von einer zu engen Bindung an bestimm-
te Klientele, wie z.B. die Landwirtschaft, die Gewerbetreibenden oder die
Selbstständigen, und dass in Zukunft auch Arbeitnehmer und weitere Bevöl-
kerungskreise die neue Partei wählen und ihren politischen Kurs mitbestim-
men 157. Zur Vervollständigung der Genese sind auch die Sitze und die Stär-
ke der BGB bei nationalen Wahlen aufschlussreich.
Jahr Ständerat Nationalrat Wähleranteil in %
1919 1 30 15,3
1922 1 34 16,1
1925 1 30 15,3
1928 3 31 15,8
1931 3 30 15,3
1935 3 21 11
1939 4 22 14,7
1943 4 22 11,6
1947 4 21 12,1
1951 3 23 12,6
1955 3 22 12,1
1959 4 23 11,6
1963 4 22 11,4
1967 3 21 11
Quellen: BFS, Die Geschichte der SVP, Von der BGB zur Schweizerischen Volkspartei Die Geschich-te der SVP, Von der BGB zur Schweizerischen Volkspartei, http://www.udc.ch/g3.cms/s_page /78800/s_name/geschichte, 22.01.2013
Die Gewerbepartei BGB konnte im Zeitraum von 1919 bis 1967 Sitze im Ständerat hinzugewinnen. Die Sitze im Nationalrat und der Wähleranteil haben abgenommen.
156
Die Geschichte der SVP, Von der BGB zur Schweizerischen Volkspartei,
weitung der Parteiauftritte, usw.), was die Grundlage für die zentrale Rolle
bildete, welche die Zürcher Kantonalpartei für die Entwicklung der nationalen
SVP in den 1990er-Jahren spielen sollte―.(Skenderovic 2013: 3)
Sitze und Stärke der BGB/SVP bei nationalen Wahlen
Jahr Ständerat Nationalrat Wähleranteil in %
1971 23 11,1
1975 5 21 9,9
1979 5 23 11,6
1983 5 23 11,1
1987 4 25 11
1991 4 25 11,9
1995 5 29 14,9
1999 7 44 22,5
2003 8 55 26,7
2007 7 62 28,9
2011 5 54 26,6
Quelle: Die Geschichte der SVP, Von der BGB zur Schweizerischen Volkspartei,2008. Quelle: BSF Austritt von 1 Ständerat und 4 Nationalräten aus der SVP und Übertritt in die BDP
Mit der Ära Blocher nahm der Wähleranteil und die Zahl der Sitze im Stände- und Nationalrat zu. Nach einem kleinen Verlust von 2,3% erhielt die SVP bei den Nationalratswahlen 2011 aber immer noch 26,6% Wählerstimmen und ist weiterhin stärkste Partei in der Schweiz
Der Zusammenhalt der Partei wurde dadurch beeinträchtigt, dass sie in zwei
dominante Flügel gespalten war, den Züricher Flügel und den Berner Flügel,
der deutlich liberaler war und bis zu Beginn der 90er-Jahre das ideologische
Bild der SVP prägte. Der Züricher Flügel war stark nationalistisch ausgerich-
tet und konnte sich aber durchsetzen und nach einem Machtkampf zwischen
deren Führern C. Blocher, einem einflussreichen Großunternehmer, und dem
Berner Bundesrat A. Ogi bahnte sich ein schneller Wandel der SVP von einer
Sammlungspartei der politischen Mitte zu einer rechtspopulistischen Partei
an159.
159
Nationalratswahlen 1971–2011,
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/17/02/blank/key/national_rat/mandatsverteilung.html, 23.01.2013. Skenderovic, Damir, The Radical Right in Switzerland, Continuity and Change, 1945-2000, Oxford
2009, Rezensiert für H-Soz-u-Kult von: Kreis, Georg, Historisches Seminar/Europainstitut, Universität Basel, 01.04.2011,
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-2-002, 22.01.2013. Luginbühl, Martin, Die Schweizerische Volkspartei (SVP)- ein linguistischer Streifzug,Papers by
Quelle. Lutz, Georg Select/Fors Eidgenössische Wahlen 2007, Lausanne 2008
Von den SVP-Wählenden 2007 gaben 34% an, sich an den Wahlen beteiligt zu haben, weil sie mit-bestimmen wollen, 17% wählten aus Tradition oder und Pflichtbewusstsein, 8% aus politischem Interesse, 24% weil sie eine bestimmte Partei oder einen Kandidierenden unterstützen
Dieser bis dahin größte Erfolg der Partei, der vor allem durch die Ausrichtung
des Wahlkampfes auf die charismatische Persönlichkeit von C. Blocher be-
dingt war164, erfüllte die anderen Parteien mit Sorge. Bei den Bundesrats-
wahlen vom 12. Dezember 2007 verlor C. Blocher, der sich durch sein
selbstherrliches Auftreten im Bundesrat sowie sein Gängeln und Bevormun-
den der anderen Bundesratsmitglieder165 wenig Freunde in der Schweizer
Regierung gemacht hatte, sein Amt als Bundesrat an Frau E. Widmer-
Schlumpf, die daraufhin postwendend aus der Partei ausgeschlossen wurde.
Da auch der von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit gewählte S.
Schmid am 12. November 2008 im Zusammenhang mit der NEF-Affäre zu-
rücktrat, gab es für kurze Zeit keinen Bundesrat der SVP in der Schweizer
Regierung166.
Die Krise in der SVP in den Jahren 2007 und 2008 fand auch ihren Ausdruck
in der Abspaltung mehrerer Kantonalparteien. Zuerst wurde die Bündner
Kantonal Partei ausgeschlossen, die sich kurz darauf als bürgerlich-
Siehe Interview Frau Nationalrätin Rickli, Frage 10, 15.09.2010.
Blocher war nach allgemeiner Einschätzung eine starke Persönlichkeit, der auch sehr entschlossen in die anderen Departements der Bundesräte hinein wirkte. 166
drs.ch – das Onlineportal der SRF-Radioprogramme,
Die Affäre Nef im Zeitraffer http://www.drs.ch/www/de/drs/84618.die-affaere-nef-im-zeitraffer.html,22.01.2013.
135
demokratische Partei Graubünden B D P formierte167.
Auch in den Kantonen Bern und Glarus kam es zu ähnlichen Abspaltungen,
die im November 2008 in der Gründung der landesweiten BDP Schweiz gip-
felten168.
Auch wenn die SVP im Dezember 2008 mit der Wahl von Uerli Maurer einen
Bundesratssitz zurückerhielt, musste sie doch bei den Wahlen zum National-
rat und zum Ständerat am 23. Oktober 2011 leichte Einbußen hinnehmen169.
Ihr Versuch, einen zweiten Bundesratssitz zurückzugewinnen scheiterte, da
ihr erfolgversprechender Kandidat Bruno Zuppiger im Zusammenhang mit
einer Erbschaftsangelegenheit seine Kandidatur zurückzog, sodass nur Bun-
desrat U. Mauerer mit einer klaren Mehrheit in den Bundesrat gewählt wur-
de170. Trotz solcher Rückschläge, die auch zu einer Zunahme der parteiinter-
nen Kritik der amtierenden Parteispitze führten und bei Teilen der SVP die
Forderung nach einer Rückkehr zu einer reinen Oppositionsrolle aufkommen
ließen, ist die Führungsrolle C. Blochers nach wie vor unumstritten. Ein Aus-
zug aus dem Bundesrat U. Maurers wird auch von den meisten
Nationalratsabgeordneten der Partei abgelehnt171.
Zeit Online, Politik, Schweizer Altbundesrat Schmid "Keiner ist ein Übermensch", Drei Jahre nach
seinem Rücktritt spricht Altbundesrat Samuel Schmid erstmals über das schlimmste Jahr seines Le-bens. http://www.zeit.de/2011/50/CH-Samuel-Schmid, 24.01.2013. S R DRS, BDP – Bürgerlich-demokratische Partei,
Am 1. November 2008 gründen die Kantonalparteien Bern, Glarus und Graubünden die BDP Schweiz. Der Gründungsversammlung im Kanton Glarus werden die Statuten und die Wahlvorschläge für die Organe vorgelegt. Weiter steht ein erstes Schwerpunkteprogramm zur Diskussion. http://bdp-gl.info/images/content/Medienmitteilung_BDP_Schweiz.pdf, 22.01.2013. BDP Schweiz, Parteiprogramm
NZZ Online, 20.02.2012, Bruno Zuppiger tritt als SGV-Präsident zurück, SVP-Nationalrat will nach
Erbschaftsaffäre nicht an der Spitze des Gewerbeverbands bleiben, Die vor den Bundesratswahlen publik gewordene Erbschaftsaffäre hat für Bruno Zuppiger Konsequen-zen. Der Zürcher SVP-Nationalrat tritt mit sofortiger Wirkung vom Präsidium des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) zurück, http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/zuppiger_nationalrat_svp_ruecktritt_sgv_1.13708893.html, 30.10.2013. Nummer 1 der Schweizer KMU, Der wegen einer Erbschaftsaffäre gescheiterte SVP-
Bundesratskandidat zieht die Konsequenzen. Bruno Zuppiger hat seinen sofortigen Rücktritt als Ge-werbeverbandspräsident (sgv) erklärt, http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Bruno-Zuppiger-tritt-als-Gewerbeverbandsprsident-zurck-/story/27523636, 30.10.2013. 171
Zu den jüngsten Entwicklungen in der SVP siehe auch den Artikel in: Tages Anzeiger Zürich,
20.12.2011, Die SVP kommt nicht von Blocher los,
136
Aufgrund dieser Sachlage sieht es so aus, als ob die SVP sich in naher Zu-
kunft wieder stärker konsolidieren dürfte und ihr vorrangiges Ziel darin sieht,
durch spektakuläre, populistische Initiativen noch mehr Rückhalt bei der Be-
völkerung zu finden und eventuell doch noch einen Anspruch auf einen zwei-
ten Bundesratssitz durchzusetzen.
3.3.3 Wandel des Profils der SVP
Seit Ende der 70er-Jahre war das politische Profil der SVP, wie sie seit 1971
hieß, von zwei unterschiedlichen Kräften bestimmt, der Berner Kantonalpar-
tei und der Züricher Kantonalpartei. Während die Berner Kantonalpartei im
Parteiprogramm von 1977, das maßgeblich von ihr geprägt wurde, Themen
wie Ökologie, Konsumentenschutz und Menschenrechte favorisierte und ei-
nen eher Mitte-Rechts-Kurs betrieb, ging die Züricher SVP einen ganz ande-
ren Weg: In ihren Kampagnen konzentrierte sich die Zürcher SVP vermehrt
auf Themen wie Asyl-, Drogen- und Sicherheitspolitik und setzte dabei auf
einen konfrontativen Politstil. Sie investierte auch in die Verbesserung der
Ausweitung der Parteiauftritte, usw.), was die Grundlage für die zentrale Rol-
le bildete, welche die Zürcher Kantonalpartei für die Entwicklung der nationa-
len SVP in den 1990er-Jahren spielen sollte172.
Außerdem gelang es der Partei unter Führung von C. Blocher, der seit 1977
Kantonalparteipräsident der Züricher SVP war, auch auf nationaler Ebene
Aufmerksamkeit zu erregen und verstärkten Rückhalt zu finden. So führte sie
1986 eine erfolgreiche Kampagne gegen die UNO-Mitgliedschaft der
Schweiz durch und konnte damit ihr patriotisch-nationales Profil öffentlich zur
Geltung bringen173. Dies gelang ihr noch eindrucksvoller bei der Kampagne
gegen den Europäischen Wirtschaftsraum im Jahre 1992, als sie sich als
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/gemeinde/Die-SVP-kommt-nicht-von-Blocher-los/story/23716418, 22.01.2013. NZZ Online , Rene Zeller, Bereit zur Opposition?,16.12.2011,
http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/bereit_zur_opposition_1.13668923.html, 23.01.2013 Schweizer Fernsehen, 26.11.2011, SVP droht mit Rückzug aus dem Bundesrat,
Skenderovic, Damir, Schweizerische Volkspartei (SVP), Wandel zur rechtspopulistischen Partei
und Aufstieg (seit 1992), S.3 E:\SVP profil\Schweizerische Volkspartei (SVP).mht, 24.01.2013.
137
einzige Regierungspartei gegen den Beitritt der Schweiz zum EWR einsetzte.
Diese Abstimmung festigte das Image der Partei als Bewahrer der Identität
der Schweiz gegenüber jeder Vereinnahmung durch supranationale Struktu-
ren, wie im Sammelband: „Der Aufstieg der SVP. Acht Kantone im Ver-
gleich―, hervorgehoben wird (Bornschier/Helbling 2005: 14-15).
Am Ende der längsten und intensivsten Abstimmungskampagne, die die
Schweiz je erlebt hatte, gewann die Partei einen knappen Sieg gegen die
vereinte politische Elite des Landes und blockierte damit den vorgezeichne-
ten Weg zur Integration der Schweiz in die EU― (Bornschier/Helbling 2005:
11-15).
Mit diesem entschlossenen Eintreten für eine neutrale Schweiz leitete der
Züricher Flügel der Partei unter Federführung von C. Blocher einen grundle-
genden Wandel des politischen Profils ein, der die SVP innerhalb kürzester
Zeit zu einer rechtspopulistischen Kraft werden ließ, die die Konfliktlinien im
Schweizer Parteiensystem von Grund auf erschütterte.
„Wie andere rechtspopulistische Parteien Westeuropas setzte die SVP fortan
auf eine Politik, die nationalistische und identitätspolitische Forderungen in
Migrations- und Europafragen und neoliberale Positionen in der Wirtschafts-
und Steuerpolitik mit einer populistischen Antiestablishment – Rhetorik ver-
band.― (Skenderovic 2012: 3)
Diese inhaltliche Neuorientierung ging Hand in Hand mit einer Nationalisie-
rung der SVP und einer Erschließung umfangreicher finanzieller Ressourcen,
z.B. durch Spendenaktionen, die eine schnelle Professionalisierung der Par-
teistruktur und eine völlig neue öffentlichkeits-wirksame Form der Selbstdar-
stellung ermöglichte. Diese fand bei den Schweizer Bürgern durch ihre pro-
vokativen Parolen große Beachtung (Skenderovic 2012: 3). Dieser neue Kurs
des Züricher Flügels war zwar in der Partei nicht unumstritten. Vor allem in
den Kantonen Bern und Graubünden erhob man Einwände gegen den neuen
populistischen Politikstil, doch auf Grund ihrer geschickten Verknüpfung von
Feindbildern und die überaus neuen wirksamen kommunikativen Strategien
gelang es C. Blocher und seinen Anhängern in der Partei, das neue politi-
sche Profil immer stärker zur Geltung zu bringen. Auf diese Weise profilierte
er sich als Anwalt der Schweizer Interessen im Angesicht einer wachsenden
Überfremdung des Landes durch den Zustrom von Ausländern und Asylan-
138
ten. Gleichzeitig nahm die SVP für sich in Anspruch, die Bevölkerung vor
gefährlichen Straftätern zu schützen, die ihrer Meinung nach fast alle aus
dem Ausland kamen. Bemerkenswert ist hier ein Zitat aus dem Werk von
Hans Henning „Diebstahl, Einbruch und Gewalt auf der Straße, in öffentli-
chen Verkehrsmitteln und sogar an den Schulen sind trauriger Alltag gewor-
den. Kriminaltouristen nützen unsere löcherigen Grenzen und Drogendealer
aus aller Herren Länder missbrauchen unser Asylrecht― (Scharsach 2002:
76). Dieser ausländerfeindliche Diskurs war einer der wichtigsten Gründe für
die starke Erhöhung des Wähleranteils der SVP bis 2003, als die SVP bei
den Nationalratswahlen mit 26,7% stark zulegte174. Er wurde auch durch die
plebiszitären Elemente der Schweiz begünstigt, die der SVP immer wieder
die Möglichkeit gaben, ihre plebiszitäre „Vetomacht― zu demonstrieren (D'A-
mato/Skendero- vic 2008: 2). Außerdem war C. Blocher seit 2003 Mitglied
des Bundesrats und versuchte auch dort gezielt in seiner „exekutiv- administ-
rativen Schlüsselrolle― (D'Amato/Skenderovic 2008: 2), die Position seiner
Partei in der Ausländerfrage, z.B. beim neuen Ausländergesetz und der
Asylgesetzrevision 2006, zur Geltung zu bringen (D'Amato/Skenderovic
2008: 2). Gleichzeitig wurde der Anti-EU-Diskurs der SVP erheblich ver-
schärft und C. Blocher ging sogar soweit, die EU als eine intellektuelle Fehl-
konstruktion zu bezeichnen (Mettauer 2008: 91). Einen Beitritt der Schweiz in
die EU lehnte er daher rundweg ab, da er seiner Meinung nach nicht nur die
Autonomie der Schweiz bedrohen, sondern auch dem Land schwerwiegende
wirtschaftliche Nachteile bringen würde. Nach dem Ausscheiden von C. Blo-
cher aus dem Bundesrat änderte sich in der folgenden inneren Krise der Par-
tei nichts am inhaltlichen und strategischen Profil der SVP, die nunmehr die
bisherigen Kernthemen noch entschlossener als zuvor vertrat. Sie nutzte da-
bei gezielt ihre Oppositionsrolle als Sammelpartei der rechten Ränder und
der bürgerlichen Mitte, ohne dabei mit anderen Parteien zu kooperieren.
Im Jahre 2008 erklärte C. Blocher, der seine Führungsrolle in der Partei trotz
vereinzelter kritischer Stimmen eindrucksvoll behaupten konnte, im Züricher
Albisgütli, dass er als Oppositionsführer bestrebt sei:
„Licht ins Dunkel der Unfähigkeit und Misswirtschaft zu bringen. Denn wo
174
D'Amato, Gianni, Skenderovic, Damir, Rechtspopulistische Parteien und Migrationspolitik in der
Schweiz, Zusammenfassung der wichtigsten Studienergebnisse, 2008, http://www.snf.ch/SiteCollectionDocuments/ hfp/nfp40p/NFP40p_Projekt_ 7_Rechtspopulistisch_d.pdf, 22.01.2013.
139
dieses Licht fehle, entstehe „Vetterliwirtschaft, Sauhäfeli-Saudeckeli- Mentali-
tät, Korruption― (Zeller, NZZ Online 2012:4).
Außerdem ließ er keinen Zweifel darüber, dass eine Zusammenarbeit mit der
EU unvereinbar sei mit der Unabhängigkeit der Schweiz. In fünf Feststellun-
gen lieferte er konkrete Begründungen dafür, die die Haltung der SVP wider-
spiegeln:
„1. Nach dem Nein zum EWR im Jahre 1992 wurde mit dem Volk der bilate-
rale Weg beschritten, so wie wir Gegner das damals vorgeschlagen haben.
2. Keines der zurzeit in Verhandlung stehenden oder zur Verhandlung anste-
henden Dossiers ist von großer vitaler Bedeutung für unser Land.
3. Bei wichtigen Dossiers ist die Interessenlage klar und eindeutig zugunsten
der EU. Die Verwaltung würde sagen: Die EU ist der „Demandeur―.
4. Mit der Forderung der EU, der Schweiz und ihren Kantonen die volle
Steuersouveränität abzusprechen, hat die EU eine ernsthafte und gefährliche
Situation für die Schweiz geschaffen.
5. Im Kampf um ihre Steuersouveränität wird die Schweiz Druck auf die EU
ausüben müssen, damit sie zu einem befriedigenden Ergebnis kommt―175.
Auszug aus der Rede C. Blochers im Zürcher Boten 25. Januar 2008.
Trotz dieser Verschärfung des inhaltlichen Profils und des verstärkten Eintre-
tens für eine härtere Asyl- und Ausländerpolitik und gegen jegliche Annähe-
rung an die EU, die auch in einem Interview mit Toni Brunner, dem Präsiden-
ten der Partei. Iim Vorfeld der Parlamentswahlen von 2011 unterstrichen
wurde, musste die SVP bei den Nationalratswahlen leichte Stimmenverluste
hinnehmen.
Quelle: Georg Lutz Fors/Selects Eidgenössische Wahlen, Wahlteilnahme Wahlentscheid, 2011. http://www2.unil.ch/selects/IMG/pdf/Selects_2011_Brochure_D.pdf Unabhängig vom Wahlverhalten gaben alle Befragten an, dass die SVP den besten Wahlkampf mache und am besten in den Medien dargestellt werde.
175
Zürcher Bote, Auf der Seite des Volkes, 25.Januar 2008,
Diese Stimmenverluste sind insofern überraschend als die SVP bei Mei-
nungsumfragen nach der Wahl von 2011 sehr gut abschnitten hat und nach
Meinung der Befragten die Partei mit der positivsten Berichterstattung im
Vorfeld der Wahlen und dem besten Wahlkampf war, wie die oben zwei Gra-
phiken deutlich belegen.
Der leichte Rückgang der Zahl der SVP Wähler ist trotz dieser günstigen
Ausgangsposition vor allem darauf zurückzuführen, dass die Partei sich viel
zu stark auf die Migrations- und Europapolitik konzentriert und andere aktuel-
le Politikfelder vernachlässigt hat. Dies bestätigt auch die folgende Graphik,
die zudem sichtbar macht, dass die Partei ungeachtet ihres intensiven Anti-
migrationsdiskurses keine entsprechenden Lösungen anbieten konnte. Au-
ßerdem spielte sicher auch die Tatsache eine Rolle dass die SVP durch die
Abspaltung der BDP 2008 geschwächt wurde.
Quelle: Georg Lutz Fors/Selects Eidgenössische Wahlen, Wahlteilnahme Wahlentscheid, 2011. http://www2.unil.ch/selects/IMG/pdf/Selects_2011_Brochure_D.pdf Bei der Frage, welche Partei sich am meisten um Migrationspolitik kümmerte, gaben 52% SVP an, 3% FDP, 4% CVP und 30% SP. Bei der Frage, welche Partei die besten Lösungen in der Migrationspolitik hatet, nannten 28% SVP, 12% FDP, 11% CVP und 30% SP.
141
Wie sich die weitere Entwicklung des inhaltlichen Profils der SVP gestalten
und ob der zweiundsiebzigjährige C. Blocher weiterhin im Hintergrund die
politischen Fäden ziehen wird oder ob jüngere politische Kräfte in der Partei
eine etwas andere politische Richtung anschlagen werden, ist eine offene
Frage. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die SVP mit ihrem derzeiti-
gen Profil - trotz geringfügiger Verluste - nach wie vor die stärkste Partei ge-
blieben ist und über ein breitgefächertes Wählerpotential verfügt, das aus
den verschiedensten Schichten und Altersstufen kommt. Nach Aussagen der
SVP setzen sich die Mitglieder wie folgt zusammen: Etwa ein Fünftel der Mit-
glieder stammt aus der Land- und Forstwirtschaft, ein weiteres Fünftel aus
den freien Berufen (Gewerbe, Ärzte, Juristen etc.). Die restlichen drei Fünftel
der Mitglieder sind zu den Arbeitnehmern (Angestellte, Arbeiter, Beamte,
Lehrer etc.) zu zählen. Die SVP verfügt damit im Vergleich zu allen übrigen
Parteien über die wohl breiteste und ausgewogenste Zusammensetzung der
Basis176.
Insgesamt ist festzuhalten, dass sich die SVP in den 70er-Jahren neu orien-
tiert, aber erst in den 90er Jahren konsequent den Wandel zu einer rechts-
populistischen Partei vollzogen hat, der entscheidend von C. Blocher geprägt
wurde.
Seit dieser Zeit hat sie ihr rechtspopulistisches Profil mit typischen Kernthe-
men konsequent beibehalten, obwohl sie bis 2007 sogar zeitweise mit zwei
Bundesräten in der Schweizer Regierung vertreten war. Die Bedingungen für
eine weitere Schärfung des rechtspopulistischen Profils haben sich in den
letzten Jahren sogar noch verbessert, da sich die SVP durch den verstärkten
Zustrom von Ausländern, darunter auch zahlreicher Muslime, und der be-
sorgniserregenden Krise der Europäischen Union in ihrer kritischen Haltung
in der Migrations- und Europafrage bestätigt sehen kann.
Deshalb verwundert es nicht, dass die SVP in ihrem neuen Parteiprogramm
von 2011 – 2015, das den Titel „So wollen wir die Schweiz― trägt, den rechts-
populistischen Diskurs, neben ganz normalen allgemeinen Forderungen,
noch aggressiver formuliert, mit Parolen wie:
„Schutz vor linkem Raubzug, Kriminelle härter anpacken, Schluss mit
Scheinasylanten und Zuwanderung bremsen― wirbt sie um die Gunst der Mit-
176
Die Geschichte der SVP, Von der BGB zur Schweizerischen Volkspartei, S. 4.
Neue Mitte gewinnt laut Umfrage auf Kosten der SVP, http://www.blick.ch/news/schweiz/neue-mitte-gewinnt-laut-umfrage-auf-kosten-der-svp-id2074964.html, 29.05.2013.
143
4. Populismus der drei untersuchten Parteien im Lichte des
Framingansatzes
Obwohl der neue Parteienpopulismus trotz der vorgenommenen Eingren-
zung, ein außerordentlich schillerndes Phänomen ist und es eine Vielfalt von
Deutungsmustern gibt, konzentriert sich die folgende Analyse ausschließlich
auf die Deutungsmuster von drei Funktionsgruppen, nämlich der Politiker,
der Politikwissenschaftler und der Journalisten in der Bundesrepublik
Deutschland, in der Schweiz und in Österreich, die in unterschiedlicher Wei-
se mit dem Problem des Parteienpopulismus befasst sind. Diesen wurde
trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen ein standardisierter Fragenkata-
log zur Beantwortung vorgelegt. Die Interviews wurden in den meisten Fällen
in mündlicher Form vorgenommen und nur in Ausnahmefällen schriftlich ab-
gefragt.
Bei der Auswahl der befragten Persönlichkeiten wurde großer Wert darauf
gelegt, dass Vertreter aus den einzelnen Bereichen für Interviews gewonnen
werden konnten, Dies waren Mitglieder der Parteiführung, hochrangige Jour-
nalisten und angesehene Politikwissenschaftler, die sich alle eingehend mit
dem Parteienpopulismus beschäftigt haben auch wenn es nicht immer mög-
lich war, die Parteivorsitzenden oder Chefredakteure für ein Interview zu ge-
winnen.
Obwohl die zentrale Fragestellung der Arbeit auf die Auswirkungen der
Übernahme von Regierungsverantwortung auf das populistische Profil dieser
drei Parteien ausgerichtet war, wurde das Fragenraster bewusst so angelegt,
dass zunächst die grundsätzlichen Positionen der Befragten zum Problem
des Parteienpopulismus und dann ihre Einschätzung der Entwicklung des
populistischen Profils der Parteien vor, während und nach ihrer Regierungs-
beteiligung erfasst wurden.
4.1. Interviews als Mittel zur Erhebung des empirischen Materials
Die Durchführung der 30 Interviews erstreckte sich über einen Zeitraum von
knapp zwei Jahren und war mit einem erheblichen organisatorischen Auf-
wand verbunden, da viele der Interviewpartner nur zu ganz bestimmten Zei-
ten erreichbar waren und immer wieder Terminverschiebungen notwendig
wurden. Dies war bei den Politikern auch dadurch bedingt, dass z.B. in der
144
Schweiz die Abgeordneten nur zu Sitzungsperioden im Parlament anzutref-
fen waren.
Insgesamt waren alle Interviewpartner sehr aufgeschlossen und interessiert
an dem Framing-Projekt der vorliegenden Arbeit, und stellten sich bereitwillig
für die erforderlichen längeren Interviews zur Verfügung. Der Wortlaut der
Interviews wurde abgeschrieben und den befragten Persönlichkeiten zur Be-
gutachtung und Korrektur zugeschickt.
Um ein noch genaueres Bild der interviewten Persönlichkeiten zu erzielen
und aufzuzeigen, wurden die soziologischen Daten dieser Interviewten in
folgenden Blockdiagrammen in übersichtlicher Form dargestellt.
Befragte Politologen, Journalisten und Politiker
Alter
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
50,0%
10,0%30,0%
10,0%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Alter der Politologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Älter als60 Jahre
51 -60 Jahre
41 -50 Jahre
31 -40 Jahre
11,1%44,4%
33,3% 11,1%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Alter der Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Älter als60 Jahre
51 -60 Jahre
41 -50 Jahre
31 -40 Jahre
16,7% 16,7%33,3% 33,3%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Alter der Politiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Älter als60 Jahre
51 -60 Jahre
41 -50 Jahre
31 -40 Jahre
145
Quelle: Eigene Darstellung Die Alterstruktur der befragten Funktionsgruppen verteilt sich folgendermaßen: Bei den Politologen sind 50 % über 60 Jahre alt. Bei den Journalisten ist die größte Gruppe der 41- bis 50jäghrigen mit 44 %. Die Politiker sind vom Alter her gleichmäßiger verteilt, die Gruppen liegen etwa bei 20 % bis 30 %.
Befragte Politologen, Journalisten und Politiker
Geschlecht
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
25,8% 22,6% 32,2% 19,4%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Gesamt Alter der Befragten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Älter als60 Jahre
51 -60 Jahre
41 -50 Jahre
31 -40 Jahre
90,0%
10,0%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Geschlecht der Politologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
männlich
weiblich
77,8%
22,2%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Geschlecht der Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
männlich
weiblich
66,7%
33,3%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Geschlecht der Politiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
männlich
weiblich
146
Quelle: Eigene Darstellung Außer bei den Politologen wurden jeweils über zwei Drittel Männer befragt.
Befragte Politologen, Journalisten und Politiker
Ausbildung
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
77,4%
22,6%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Gesamt Geschlecht der Befragten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
männlich
weiblich
90,0%
10,0% 0,0% 0,0%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Ausbildung der Politologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Habilitation
Promotion
Studium
Schule
22,2% 33,3% 22,2% 22,2%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Ausbildung der Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Habilitation
Promotion
Studium
Schule
8,3% 16,7%
58,3%
16,7%0%
20%
40%
60%
80%
100%
Ausbildung der Politiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Habilitation
Promotion
Studium
Schule
147
Quelle: Eigene Darstellung
Bei den Politologen ist klar, dass sie alle ein Hochschulstudium abgeschlossen haben und promo-viert haben. Alle,außer Frau Dr. Neu haben habilitiert. Bei den Journalisten überwiegt die Promotion und mit 80 % das Hochschulstudium. Bei den Politikern haben 16,7 % der Befragten keine Hochschulausbildung. Insgesamt wurden 38 % habilitierte Persönlichkeiten befragt, 49 % mit Hochschulstudium und 13 % mit Schulbildung.
Obwohl der thematische Schwerpunkt der Arbeit die Auswirkungen der Re-
gierungsbeteiligung auf das populistische Profil von Parteien in verschiede-
nen Ländern ist, wurde der zeitliche Rahmen des Fragenkatalogs so abge-
steckt, dass auch die Zeit vor der Regierungsbeteiligung und die Zeit nach
der Regierungsbeteiligung mit ins Blickfeld rückte.
Der Fragenkatalog wurde sodann inhaltlich strukturiert und in folgende unter-
schiedliche Blöcke zerlegt:
1. Allgemeine Fragen zum neuen Populismus in Europa
2. Die Bedeutung der personellen Komponente für eine populistische Partei
3. Der Weg der populistischen Parteien zur Regierungsbeteiligung bzw. zur
Erlangung eines zweiten Bundesratsitzes
4. Die Auswirkungen der Regierungsbeteiligung auf die Parteien und ihr
populistisches Agieren
5. Zukunftsaussichten der behandelten populistischen Parteien
Der Fragenkatalog wurde einheitlich gestaltet und soweit wie möglich stan-
dardisiert, um dadurch einen späteren Vergleich der Aussagen der interview-
ten Personengruppen durchführen zu können. Doch bei der Ausarbeitung der
Fragen wurden kleine länderspezifische bzw. zielgruppen-spezifische Verän-
derungen vorgenommen.(Der genaue Wortlaut der neun Fragenkataloge befindet sich im
Anhang der vorliegenden Arbeit).
Da die Antworten der befragten Funktionsgruppen zu den verschiedenen
Fragen sich sowohl in ihrer Ausführlichkeit als auch in ihrer inhaltlichen
Struktur stark unterscheiden, erwies es sich nicht als sinnvoll, vor den Inter-
38,8%19,3% 29,0% 12,9%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Gesamt Ausbildung der Befragten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Habilitation
Promotion
Studium
Schule
148
views ein festes Raster für die fünf verschiedenen Themenbereiche auszuar-
beiten. Stattdessen wurde das Raster flexibel an die in den Interviews ge-
machten Aussagen angepasst und Wert darauf gelegt, dass es auf alle Fra-
mes gleichermaßen anwendbar war.
Die Interpretation und Bewertung der Deutungsmuster wurde jeweils am En-
de der fünf Blöcke vorgenommen.
4.2. Fremd-Framing der deutschen Politologen
4.2.1 Neuer Populismus
Die grundsätzliche Bewertung des neuen Populismus durch die vier befrag-
ten Politologen ist überwiegend ambivalent. So sieht die Mehrheit der Poli-
tikwissenschaftler durchaus dessen positive Seiten.
Decker verweist bei seiner Einschätzung der Auswirkungen des neuen Popu-
lismus auf das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, vor allem
auf die Korrektivfunktion des von außen einwirkenden Populismus der Pro-
testparteien, ohne dabei einen Unterschied zwischen rechtem und linkem
Populismus zu machen. Der neue Populismus greift nach Auffassung von
Decker aktuelle Themen auf, die die etablierten Parteien vernachlässigen,
und spiegelt vielfach die Stimmung in der Bevölkerung wider.
So entlarvt der neue Populismus die Schwächen der etablierten politischen
Kräfte, die den Bezug zu den Bürgern verloren haben und ihre Wünsche und
Bedürfnisse somit auch nicht vertreten können. Auf diese Weise ist er, wie
schon seine historischen Vorgänger, durchaus in der Lage, positive Verände-
rungen im politischen System anzustoßen.
Ähnlich positiv ist die Einschätzung durch Lauth, der diesen als ein positives,
belebendes Element und als Träger berechtigter Kritik betrachtet, der die
zunehmende Verkrustung des alten Parteiensystems anprangert. Dies ver-
anschaulicht Lauth am Beispiel Österreichs, wo die FPÖ die Vetternwirt-
schaft zwischen ÖVP und SPÖ aufdeckte.
Die grundsätzlich positiven Auswirkungen des neuen Populismus sieht
Hartleb in der Belebung des politischen Wettbewerbs in der Parteienland-
schaft sowie dem notwendigen Aufgreifen von Tabuthemen. Er ist überzeugt,
dass die Partei der LINKEN, auch wenn sie nur durch die Schwäche der SPD
und die Krise der Volksparteien erstarkt ist, sehr gute Zukunftsaussichten in
149
der Bundesrepublik Deutschland und in den einzelnen Bundesländern hat,
wo sie ja auch zum Teil an der Regierung beteiligt ist.
Er bescheinigt der LINKEN eine positive Korrektivfunktion, wie sie auch De-
cker dem neuen Populismus zuspricht, allerdings mit dem Hinweis auf ge-
sellschaftliche Spaltungstendenzen als Schattenseite dieser Korrektivfunk-
tion.
Im Gegensatz zu Decker, Lauth und Hartleb sieht Neu keine günstige Aus-
gangsposition für populistische Parteien in der Bundesrepublik Deutschland,
auch wenn sie die Existenz einer stärkeren rechts- oder linkspopulistischen
Partei grundsätzlich bejaht. Allerdings haben ihrer Meinung nach linkspopu-
listische Parteien wesentlich bessere Zukunftschancen als der Rechtspopu-
lismus, weil sie über ein stabileres, leichter mobilisierbares Wählerpotential
verfügen, wie z.B. die Partei die LINKE, die sie aber nicht als voll populistisch
bezeichnet.
Trotz dieser teilweise recht positiven Bewertung des neuen Populismus se-
hen die vier Politologen durchaus auch dessen potentielle Gefahren, wobei
sie unterschiedliche Akzente setzen. So befürchten beide Professoren eine
Missachtung der Rechte von Minderheiten, sehen also die Toleranz als ent-
scheidenden Wert der Demokratie gefährdet sowie und eine zu starke Emo-
tionalisierung und Personalisierung der Politik, die eine sachliche Auseinan-
dersetzung mit politischen Fragen nicht zulässt. Nach Decker sind eine Ba-
nalisierung und Vereinfachung des politischen Diskurses sowie ein Hang
zum schwarz weiß-Denken die zwangsläufige Folge.
Lauth sieht sogar die Gefahr, dass der populistische Dialog immer größeren
Einfluss auf den Politikstil und die Inhalte der nationalen Agenda nimmt und
letztlich auch eine übersteigerte Polarisierung herbeiführt. Hartleb konzen-
triert sich bei seiner Antwort auf strukturelle Aspekte des Parteiensystems,
vor allem auf die Weichenstellung in Richtung Fünfparteiensystem, die sich
durch den Erfolg der Partei die LINKE abzeichnet und eine reibungslose Re-
gierungsbildung erschwert oder unmöglich macht. Noch bedenklicher ist sei-
ner Meinung nach die von den neuen populistischen Parteien praktizierte
Taktik, die Wähler durch nicht erfüllbare Versprechungen zu ködern, z.B.
durch die zum jetzigen Zeitpunkt völlig unrealistische Forderung nach noch
mehr Sozialstaat oder die Forderung nach einem sofortigen Rückzug aus
150
Afghanistan und einem Austritt aus der Nato, der aber zur Zeit überhaupt
nicht in Frage kommt.
Neu warnt im Gegensatz zu ihren Kollegen vor einer Überschätzung der Ge-
fahren des neuen Populismus. Sie sieht vor allem im Rechtspopulismus der
Bundesrepublik Deutschland keine Bedrohung, da dieser trotz der geplanten
Fusion von DVU und NPD kein ernstzunehmender Machtfaktor ist. Sie be-
merkt treffend: „Wenn zwei Kranke fusionieren, dann wird immer noch kein
Gesunder daraus―. Die eigentliche Herausforderung sieht Neu in den szene-
populistischen Parteien, die eigentlich aus dem Extremismus kommen.
Bei der Einschätzung der historischen Verwurzelung des neuen Populismus
ergeben sich deutliche Unterschiede. Decker weist darauf hin, dass ein Teil
der populistischen Parteien in Europa seine Wurzeln in alteingesessenen
Parteien hat, die schon lange vor den 80er-Jahren gegründet wurden und die
eine regelrechte Transformation in rechtspopulistischer Richtung durchlie-
fen. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die SVP in der Schweiz, die
schon in den 20er Jahren entstand, und die FPÖ in Österreich, die Mitte der
50er-Jahre gegründet wurde. Diese weit zurückreichende historische Ver-
wurzelung der heutigen populistischen Parteien in West- und Mitteleuropa
wird von den anderen Politologen nicht in die Betrachtung mit einbezogen.
Trotz dieser unterschiedlichen Gewichtung der historischen Wurzeln der
neuen populistischen Parteien besteht bei der Mehrheit der befragten Polito-
logen weitgehend Einigkeit über die zeitliche Fixierung des neuen Populis-
mus, dessen Geburtsstunde Decker, Lauth und Hartleb in den 80er-Jahren
sehen. Während aber Decker darauf hinweist, dass eine ganz genaue zeitli-
che Abgrenzung dieses neuen, meist rechten Parteienpopulismus schwierig
ist, da sowohl Vorläufer als auch Nachzügler, z.B. in den Niederlanden, auf-
getreten sind, bekennt sich Hartleb zu der Auffassung, dass der eigentliche
Durchbruch des neuen Populismus durch die Transformation der FPÖ im
Jahr 1986 markiert wird. Neu lehnt als Einzige diese These vom neuen Po-
pulismus ab und betont, dass die Politik allenfalls durch eine Abfolge von
weniger und stärker populistischen Phasen gekennzeichnet und die Politik im
Allgemeinen nicht populistischer geworden ist.
Decker umreißt in seiner Antwort die Zielgruppe des neuen Populismus nicht
konkret, deutet aber indirekt an, dass der neue Populismus sich vor allem an
151
die Schichten der Bevölkerung richtet, welche nur über eine Banalisierung
und Vereinfachung des politischen Diskurses sowie einen Hang zum
Schwarzweißdenken erreichbar sind.
Lauth engt die Zielgruppe des neuen Populismus auf die unteren Mittel-
schichten ein und zwar auf die objektiven und subjektiven Modernisierungs-
verlierer.
Hartleb sieht die zentrale Zielgruppe des neuen Populismus in der unteren
Mittelschicht, weitet sie aber nach unten aus und schließt auch das Segment
der Arbeitslosen mit ein.
Der neue Populismus hat aus Sicht der befragten Professoren durchaus eine
positive kurz- und langfristige Wirkung. Wie bereits erwähnt, führt er dazu,
dass aktuelle Themen aufgegriffen werden, die von den etablierten Parteien
nicht ausreichend thematisiert werden, und er erweist sich somit als positi-
ves, belebendes Element, das der immer stärker werdenden Verkrustung
des Parteiensystems entgegenwirkt und wieder eine größere Nähe zu den
Bürgern und deren Bedürfnissen herstellt. Allerdings birgt der neue Populis-
mus nach Auffassung der Politologen auf Dauer auch zahlreiche Gefahren,
z.B. eine zu starke Emotionalisierung der Politik, einen neuen, weniger sach-
lich ausgerichteten Politikstil sowie das Ködern der Wähler mit völlig unrealis-
tischen Versprechungen und Forderungen, zumal diese Art des politischen
Diskurses zwangsläufig auf die etablierten Parteien übergreift.
Decker, Lauth und Hartleb sind sich einig, dass ein eindeutiger Zusammen-
hang zwischen dem neuen Populismus und den Phänomenen der Globalisie-
rung und der europäischen Integration besteht. So stellt Decker einen Bezug
zwischen Denationalisierung und neuem Populismus her. Diese Denational-
isierung hat seiner Meinung nach eine wesentlich höhere Komplexität der
Regierungsprozesse zur Folge, die die Politik für den Bürger immer unüber-
schaubarer macht, und verändert auch die demographische Struktur der Ge-
sellschaft, die zunehmend multikultureller und multiethnischer wird, was von
den neuen Populisten durch eine raffinierte Darstellungspolitik ohne inhaltli-
che Substanz ausgenutzt wird.
Auch für Lauth ist die stark gewachsene Komplexität der modernen Politik
der entscheidende Grund für den Aufstieg des neuen Populismus.
Hartleb dagegen richtet den Blick vor allem auf das Mehrebenensystem der
152
heutigen Politik, die auf kommunaler, überregionaler, nationaler, europäi-
scher und globaler Ebene betrieben wird. Dadurch ist die Bevölkerung aber
nicht mehr in der Lage, Zuständigkeiten, geschweige denn Verantwortlichkei-
ten, zu erkennen. Durch diese Undurchschaubarkeit der heutigen Politik wird
eine Hinwendung zum neuen Populismus begünstigt, der eine einfache Ur-
sachendiagnose sowie entsprechend leicht verständliche Lösungen bietet,
obwohl diese kaum realisierbar sind.
Neu unterscheidet sich deutlich von der Auffassung der anderen Politologen,
da sie die durch die Globalisierung mitbedingte Komplexität der Politik nicht
als auslösenden Faktor für die Zunahme des neuen Populismus sieht. Das
Phänomen der Globalisierung ist für die Mehrheit der Bevölkerung nur
schwer fassbar und verschwimmt mitunter in einem diffusen Elitebegriff. Die
Globalisierung wird von der Bevölkerung also nicht so sehr als Feindbild an-
gesehen, sondern eher passiv als gegebene Tatsache hingenommen.
Die befragten Politikwissenschaftler sehen einen deutlichen Zusammen-
hang zwischen dem Erstarken des Populismus und einer Verschlechterung
der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Teilen der Bevölkerung, die mit
ihrer Existenzangst in Krisensituationen leichter als Wähler und Parteimit-
glieder mobilisiert werden können.
Das trifft in besonderem Maße, wie Hartleb betont, für die LINKE in Deutsch-
land zu, die immer gezielter in den Bereich der Leidtragenden von wirtschaft-
lichen und sozialen Krisen vorstößt und als Klientel nicht nur die untere Mit-
telschicht, sondern verstärkt auch Arbeitslose, Rentner und Hartz-IV-Em-
pfänger anspricht und den Leuten nach dem Gießkannenprinzip soziale Gra-
tifikationen verspricht.
4.2.1.1 Interpretation
Die genaue Betrachtung der Interviews zeigt deutlich, dass Decker, Lauth
und Hartleb von einem einheitlichen Begriff des neuen Populismus ausge-
hen, während Neu dies verneint. Dieser Populismus wird vor allem von De-
cker als übernationales Phänomen angesehen. Auffällig ist die Tatsache,
dass alle Politologen die positiven Impulse betonen, die dieser neue Popu-
lismus den Demokratien in West- und Mitteleuropa geben kann, auch wenn
sie dessen Schattenseiten nicht ignorieren. Hier ist vor allem Neu skeptisch
153
und verweist auf den besorgniserregenden Aufstieg der szenenpopulisti-
schen Parteien, die aus dem extremistischen Lager kommen.
Bei der zeitlichen Fixierung des neuen Populismus ergeben sich allerdings
signifikante Unterschiede. Während ein Teil der Politologen eine zeitliche
Abgrenzung des neuen Parteienpopulismus im Bereich der 80er-Jahre vor-
nimmt, sieht Neu eher eine Abfolge weniger und stärker populistischer Pha-
sen, die nicht fest verortet werden können und die es bereits in der Vergan-
genheit gegeben hat.
Die unterschiedliche Sicht der Zielgruppen dürfte damit zusammenhängen,
dass Hartleb sich eher auf die Situation in Berlin bezieht, während die ande-
ren Politologen von einer weiter gefassten Zielgruppe ausgehen, nämlich der
unteren Mittelschicht, die sich auf alle betrachteten Länder bzw. Städte an-
wenden lässt. Im Einzelfall ist es aber notwendig, ausgehend von dem jewei-
ligen Land und der wirtschaftlichen und sozialen Lage, die Zielgruppe neu zu
definieren, da sie naturgemäß starken Schwankungen unterworfen ist. Der
Zusammenhang zwischen dem neuen Populismus der europäischen Integra-
tion und der Globalisierung wird von allen Professoren außer Neu hervorge-
hoben, wobei die wachsende Komplexität der modernen Politik als entschei-
dender Aspekt angesehen wird. Allerdings hat Neu nicht unrecht, wenn sie
erklärt, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Komplexität nicht wahr-
nimmt, sondern passiv hinnimmt. Dies erklärt vielleicht auch die steigende
Wahlmüdigkeit vieler Bürger, die sagen: „Warum soll ich wählen? Die da in
Brüssel oder in Berlin machen ja doch, was sie wollen―.
4.2.2 Personelle Komponente
Die befragten Politologen bewerten die personelle Komponente durchwegs
sehr hoch. Dies gilt sowohl für rechts- als auch für linkspopulistische Partei-
en, wie Decker besonders hervorhebt. Für ihn sind die erreichten Erfolge der
Partei die LINKE in der Bundesrepublik Deutschland vor allem auf das Auf-
treten charismatischer Politiker wie Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, zu-
rückzuführen. Lauth geht sogar so weit zu behaupten, dass eine populisti-
sche Partei ohne eine charismatische Führungspersönlichkeit nicht überle-
ben kann. Das Gewicht der personellen Komponente kommt laut Hartleb
auch dadurch zum Ausdruck, dass viele populistische Parteien nach ihren
154
Führern benannt werden.
Zwischen der wachsenden Bedeutung der personellen Komponente und den
Anforderungen der Demokratie, vor allem der innerparteilichen Demokratie,
besteht ein deutliches Spannungsverhältnis. Dies zeigt sich in der Tatsache,
dass die charismatischen Führer aus Furcht vor einer Erschütterung ihrer
Machtstellung keine innerparteilichen Widerstände dulden und vor allem kei-
nen durch die Parteibasis legitimierten Nachfolger aufzubauen bereit sind.
Dies bringen die Decker und Lauth klar zum Ausdruck.
Der Zusammenhang zwischen der personellen Komponente und ihrer Dar-
stellung in den Medien wird von den Professoren nicht direkt thematisiert.
Doch es ist unbestreitbar, dass der Zugang zu den Mediensystemen, die öf-
fentlichkeitswirksame Präsentation der Rhetorik und die persönliche Aus-
strahlung der Führungspersönlichkeiten unverzichtbare Voraussetzungen für
den Erfolg einer populistischen Partei sind. Typische Beispiele hierfür sind
nach Meinung der befragten Professoren Oskar Lafontaine und Jörg Haider.
Wie stark der Erfolg einer Partei von der personellen Komponente abhängig
ist, lässt sich nach Meinung der Politologen an zahlreichen Beispielen in Mit-
teleuropa belegen. Doch auch solche Führungspersönlichkeiten können sich
im Laufe der Zeit abnützen, wie das Beispiel Jean Marie Le Pen zeigt. Natür-
lich kann auch der plötzliche Tod eines charismatischen Führers, wie z.B. der
Unfalltod von Jörg Haider zeigt, zu einem Vakuum führen, dass den weiteren
Erfolg der Partei in Frage stellt. Auch der gesundheitlich bedingte Rückzug
von Oskar Lafontaine ist nach Hartleb nicht spurlos an seiner Partei vorbei-
gegangen und es bleibt abzuwarten, wie sich die LINKE mit den neuen Füh-
rungspersönlichkeiten weiter entwickeln wird. Die Tatsache, dass die perso-
nelle Komponente maßgeblich zum Erfolg der neuen populistischen Parteien
beiträgt, wird auch durch die Schwäche der rechtspopulistischen Parteien in
Deutschland erhärtet, denn diese verfügen nach Aussage von Decker über
keine charismatische Führungspersönlichkeit.
Das Wegfallen dieser Führungspersönlichkeit stellt nach Meinung der Pro-
fessoren immer einen sehr kritischen Augenblick für die Entwicklung einer
populistischen Partei dar, da populistische Parteien, wie Lauth betont, ein
schwerwiegendes Funktions- und Konstruktionsdefizit haben, das darin be-
steht, dass die charismatischen Führer, die auf Grund von Tod oder Krank-
155
heit ausscheiden, in der Regel keinen Nachfolger aufgebaut haben, der die
Führungsrolle übernehmen kann. Die dadurch bedingte Schwächung der
populistischen Parteien sowie das entstandene Vakuum verlangen eine
grundsätzliche Antwort, die bei den Statements der Politologen nicht konkre-
tisiert wird.
Die personelle Komponente kann an Bedeutung verlieren, wenn sich das
Charisma der Führungspersönlichkeit im Laufe der Zeit abnützt. Dies kann
eine altersbedingte Entwicklung sein, wie Decker am Beispiel von Jean Marie
Le Pen zeigt, oder aber auch krankheitsbedingt sein, wie das Beispiel von
Oskar Lafontaine zeigt. Eine besondere Abnützung von Führungspersönlich-
keiten kann auch durch eine Regierungsbeteiligung ausgelöst werden, wenn
die in der Opposition geweckten Erwartungen auf Grund eines Koalitionsver-
trages nicht erfüllt werden können und sich die Gefolgschaft des charismati-
schen Führers dadurch aufspaltet.
4.2.2.1 Interpretation
Auffällig an den Aussagen der Politikwissenschaftler über die personelle
Komponente ist, dass sie keinerlei Unterschied zwischen rechts- und links-
populistischen Parteien machen, doch zugleich darauf hinweisen, dass das
Fehlen einer charismatischen Führungspersönlichkeit bei den rechtspopulis-
tischen Parteien in Deutschland diese zur Bedeutungslosigkeit verurteilt.
Dies wirft natürlich die Frage auf, warum bestimmte rechtspopulistische Par-
teien in Deutschland über keine charismatische Führungspersönlichkeit ver-
fügen. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass der historisch politische
Hintergrund in Deutschland hier eine wichtige Rolle spielt. Die Tatsache,
dass die rechtspopulistische Szene stärker zersplittert ist, könnte mitent-
scheidend für diese unterschiedliche Situation in Deutschland sein. Bei der
Bewertung des Gewichts der personellen Komponente wird zwar angedeutet,
dass die Existenz einer charismatischen Führungspersönlichkeit mit Abstri-
chen in der innerparteilichen Demokratie verbunden ist, doch eine nähere
Erklärung des Spannungsverhältnisses zwischen der Führungspersönlichkeit
und der Parteibasis wird häufig stillschweigend ignoriert. Der Auffassung,
dass die Tendenz der charismatischen Führer keinen Nachfolger aufzubauen
oder sogar potentielle Führungspersönlichkeiten regelrecht intern zu be-
156
kämpfen oder mit Ämtern abzuspeisen bzw. wegzuloben die Kontinuität sol-
cher Parteien in Frage stellt, kann ich nur zustimmen. Dies zeigt deutlich das
Beispiel H.C. Strache in Österreich, der 2005 Jörg Haider zwang, das BZÖ
zu gründen. Allerdings ist ein solches Verhaltensmuster der charismatischen
Führungspersönlichkeiten keineswegs nur typisch für populistische Parteien
der rechten und linken Szene, sondern wird auch immer wieder von den
Chefs etablierter Parteien praktiziert, deren Führer sich unliebsamer Wider-
sacher und Emporkömmlinge entledigen wollen.
Dies bestätigt, dass populistische Parteien häufig ein schwerwiegendes
Funktions- und Konstruktionsdefizit haben. Wenn z.B. eine solche Persön-
lichkeit wie Haider durch einen Unfalltod plötzlich ausscheidet, ist das eine
große Schwächung für diese Partei, wie man am Niedergang des BZÖ in
Österreich feststellen kann.
Ein weiterer Punkt, der in jedem Fall zu Image- und Wählerverlusten führt,
ist, dass die Führungspersönlichkeit einer populistischen Partei an Bedeu-
tung verliert, wenn sich ihr Charisma im Laufe der Zeit abnützt. Dies ist häu-
fig dann der Fall, wenn diese während der Regierungsbeteiligung die in sie
gesetzten Erwartungen nicht erfüllen kann, sei es durch den Regierungsstil
oder durch Abstriche bei den Koalitionsverhandlungen oder wenn aus Alters-
gründen gewisse Abnützungserscheinungen auftreten (Le Pen) oder wenn
ein krankheitsbedingtes Ausscheiden (Lafontaine) gegeben ist.
Unverkennbar ist der offensichtliche Zusammenhang zwischen der charisma-
tischen Führungspersönlichkeit und dem Mediensystem, das sich in den letz-
ten Jahren in kaum vorstellbarer Weise verändert hat und das den Füh-
rungspersönlichkeiten aller Parteien, vor allem den populistischen Politikern,
völlig neue Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Wählerwerbung ermög-
licht.
Typische Beispiele hierfür sind für Deutschland Lafontaine und Gysi, für Ös-
terreich Haider, für die Schweiz Blocher und Berlusconi für Italien.
Ein Bedeutungsverlust der Führungspersönlichkeit einer populistischen Par-
tei ist häufig dann gegeben, wenn diese während der Regierungsbeteiligung
die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen kann oder wenn aus Alters-
gründen gewisse Abnützungserscheinungen auftreten oder wenn ein krank-
heitsbedingtes Ausscheiden vorliegt. Dies führt natürlich in jedem Fall zu Be-
157
deutungs- und Wählerverlusten.
Als Fazit lässt sich hier klar erkennen, dass eine populistische Partei nicht
ohne eine entsprechende Führungspersönlichkeit auskommen kann, um die
gesteckten politischen Ziele zu erreichen.
4.2.3 Weg der Linken/PDS von Berlin zur Regierungsbeteiligung
Decker hält den historisch politischen Hintergrund für außerordentlich wichtig
und erklärt: „Es war eine, aber nicht die wichtigste Voraussetzung. Die Berli-
ner Situation ist ja deshalb eine besondere, weil der Erfolg der Linkspartei im
Ostteil der Stadt zunächst einmal darauf basiert, dass diese Partei das Erbe
der SED angetreten hat. In dem Maße wie der deutsche Einigungsprozess
zu Enttäuschungen geführt hat, konnte sich die PDS erfolgreich als Interes-
senvertreterin der Ostdeutschen darstellen, und das nicht nur in einem vor-
dergründig ökonomischen Sinne, sondern auch kulturell, indem sie eine Art
Post-DDR-Identität kultivierte. Für sich genommen hätte das schon ausge-
reicht, um einen stabilen Erfolg zu ermöglichen―. Diese Meinung teilt auch
Neu, die der Auffassung ist, dass die LINKE immer noch im klassischen Sin-
ne „Klientel-Politik― betreibt, d.h. dass sie noch für die ehemaligen Mitglieder
und Anhänger der SED sowie die früheren Stasi-Leute eintritt, auch wenn sie
insgesamt pragmatischer geworden ist und bereits unter Gregor Gysi von
ideologischen Positionen, die dem Extremismus zugeordnet wurden, abge-
rückt ist.
Einen Schritt weiter geht Hartleb, der der Auffassung ist, dass die Partei die
LINKE sich bereits ziemlich stark vom Bekenntnis zum Sozialismus gelöst
hat, so dass dieser historisch politische Hintergrund keine entscheidende
Rolle mehr spielt.
Lauth geht als Einziger auf den historischen Hintergrund nicht direkt ein,
sieht aber die eigentliche Initialzündung für die Partei die LINKE in der Ära
Gerhard Schröder und seiner Hartz-IV- Politik.
Bei der Bewertung des strategischen Vorgehens lassen sich deutliche Ge-
meinsamkeiten der befragten Politikwissenschaftler erkennen.
Alle bewerten das Gewicht des populistischen Elements als Mittel für den
Aufstieg der Partei die LINKE im Berliner Parlament als relativ gering und
Lauth geht sogar so weit, das populistische Element der LINKEN von Berlin
158
in Frage zu stellen. Die Stärke der LINKEN von Berlin beruht also nach ein-
helliger Meinung weniger auf populistischen Elementen als auf anderen Fak-
toren wie einer gewachsenen historisch-politischen Identität (Decker), dem
Status einer Volkspartei in Berlin (Hartleb), dem Persönlichkeitsbonus von
Gregor Gysi (Neu) und programmatischen Fehlorientierungen der politischen
Gegner (Lauth).
Decker betrachtet das populistische Element nicht als die entscheidende Vo-
raussetzung für den Aufstieg der Partei die LINKE im Berliner Parlament,
räumt allerdings ein, dass der Populismus der Partei bzw. der PDS zu deren
Erfolgen in der Hauptstadt als Interessenvertreterin der Ostdeutschen mit
beigetragen hat, besonders nachdem der deutsche Einigungsprozess zu Ent-
täuschungen vieler Bürger in der ehemaligen DDR und in Ostberlin geführt
hat.
Lauth führt den Aufstieg der Partei die LINKE im Berliner Parlament eher auf
die Tatsache zurück, dass die LINKE durch die Hartz-IV- und Rechtsruckpoli-
tik Schröders ein willkommenes Feindbild erhielt, das sie vor dem Untergang
bewahrte und ihr die Möglichkeit zu einem publikumswirksamen Gegenpro-
gramm eröffnete.
Hartleb ist der Meinung, dass die PDS bzw. die LINKE in Berlin als ausge-
sprochene Volkspartei gar keine populistische Strategie nötig hatte, weil sie
ohnehin eine breite, feste politische Basis in der Hauptstadt besaß und die-
ser abgeschwächte Populismus wurde durch die Sachzwänge der Regie-
rungsbeteiligung sogar noch geringer, z.B. durch die Zustimmung zu Sozial-
kürzungen.
Neu sieht den entscheidenden Grund für den Aufstieg der Partei die LINKE
im Berliner Parlament nicht im populistischen Element, sondern im Persön-
lichkeitsbonus von Gregor Gysi, der im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt
eine unglaubliche Sympathie auf sich gezogen hatte und gleichzeitig durch
sein geschicktes Verhandeln mit der SPD verhinderte, dass seine Partei in
Berlin dem extremistischen Lager zugeordnet wurde. Dadurch ermöglichte er
erst den Einzug seiner Partei in den Senat, der allerdings auch durch die
Schwäche der CDU begünstigt wurde. Der verhältnismäßig starke Pragma-
tismus der Berliner LINKEN, bereits im Vorfeld der Regierungsbeteiligung,
spricht nach Viola Neu eindeutig gegen die These, dass das populistische
159
Element eine entscheidende Rolle für den Aufstieg der Berliner LINKEN im
Parlament gespielt hat.
Insgesamt kommt die Mehrheit der befragten Politologen zu dem Ergebnis,
dass das populistische Element eine eher sekundäre Rolle für den Aufstieg
der Partei die LINKE im Berliner Parlament gespielt hat.
Das personelle Element wird von den befragten Politologen in zweifacher
Hinsicht als wichtig erachtet. Zum einen verweisen Decker und Lauth auf die
indirekte Wirkung der populistischen Ausstrahlungskraft von Oskar Lafontai-
ne, die hauptsächlich auf Bundesebene zum Tragen kam, aber indirekt auch
dem Aufstieg der Partei die LINKE im Berliner Parlament mit zugutekam.
Neu hingegen betrachtet den Persönlichkeitsbonus von Gregor Gysi als den
entscheidenden Faktor, wie bereits oben differenziert erläutert wurde.
Für Decker ist das populistische Profil keineswegs nur ein rein taktisches
Mittel, also ein formales Element bzw. Stilmittel, sondern auch Ausdruck ide-
ologischer Grundpositionen der populistischen Parteien, eine Sichtweise, die
sich in der politikwissenschaftlichen Forschung weithin durchgesetzt hat. In
diesem gleichrangigen Nebeneinander von formalen und ideologischen Ele-
menten sieht Decker auch eine der wichtigsten Parallelen zwischen dem
rechten und linken Populismus. Außerdem weist er darauf hin, dass die LIN-
KE von Berlin im Vorfeld der Regierungsbeteiligung einer offenen Programm-
diskussion aus dem Weg gegangen ist.
Lauth stellt zunächst die Einschätzung der LINKEN als populistische Partei
grundsätzlich in Frage, betrachtet aber durchaus die Forderungen der Partei
als taktisches Mittel und Ausdruck inhaltlicher Grundpositionen, wobei das
Bemühen um medienwirksame Präsentation sehr effizient war. Dies ist aber
aus seiner Sicht ein legitimes Bestreben aller Parteien, unabhängig davon,
ob sie populistisch sind oder nicht.
Hartleb hält ein populistisches Profil für unvereinbar mit dem Streben der
LINKEN nach Regierungsverantwortung, da der Populismus ja eigentlich ge-
gen die Regierung gerichtet und damit oppositionell ausgerichtet ist.
Somit müsste die Regierungsverantwortung zwangsläufig noch existierende
populistische Elemente der LINKEN abschwächen. Genauso wenig war das
populistische Profil nach Meinung von Hartleb Ausdruck von inhaltlichen
Grundpositionen, da das Bekenntnis zum Sozialismus als ideologischer Kern
160
der Partei zu Gunsten von ganz klaren populistischen Forderungen, z.B. ei-
ner Politik nach dem Gießkannenprinzip, die mehr soziale Wohlfahrt schaffen
will, in den Hintergrund trat, so dass sich ein Spannungsverhältnis zwischen
den theoretischen ideologischen Orientierungen und der Praxis ergab.
Neu warnt vor einer Überbewertung der populistischen Elemente der LIN-
KEN in Berlin, die in ihren Augen bis auf einige ideologischen Positionen eine
relativ pragmatische Partei ist und dabei immer noch für ihr altes Klientel,
nämlich die ehemaligen Mitglieder und Anhänger des SED sowie die frühe-
ren Stasi-Leute eintritt.
Populistische Züge trägt allenfalls ihr Einsatz und Kampf für die sozial Be-
nachteiligten.
4.2.3.1 Interpretation
Bei der Einschätzung der Bedeutung der Rolle des historisch-politischen Hin-
tergrundes des Weges der Partei die LINKE von Berlin zur Regierungsbetei-
ligung lässt sich kein eigentliches Deutungsmuster erkennen. Ein Teil der
deutschen Politologen misst dem historisch politischen Hintergrund eine gro-
ße Bedeutung zu und sieht darin den entscheidenden Grund für die Erfolge
der Partei, die als Grundlage für eine Regierungsbeteiligung dienten.waren.
Diese Bewertung ist durchaus nachvollziehbar, da in der Partei immer noch
zahlreiche Mitglieder und Anhänger der ehemaligen SED vertreten sind, vor
allem aus dem Ostteil von Berlin. Aber man muss bedenken, dass die Alters-
struktur der jetzigen Mitglieder sich von Jahr zu Jahr ändert und immer mehr
Menschen, die nichts mit der DDR-Vergangenheit zu tun haben, Einfluss ge-
winnen und damit die Macht des alten „SED-Klientels― schwächen. Allerdings
gibt es auch in der jüngeren Generation durchaus Kräfte, die eine Rückkehr
zu einer stärkeren sozialistischen Ausrichtung der Partei die LINKE befürwor-
ten, wie z.B. die Vorsitzende Frau Gesine Lötzsch, die zur jüngeren Genera-
tion gehört und umstrittene Kommunismusthesen aufgestellt hat. So erklärte
sie im Januar 2011: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden,
wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Oppositi-
on oder in der Regierung―. Solche Aussagen zeigen deutlich, dass man den
historisch politischen Hintergrund und seine Bedeutung nicht ignorieren darf
und dass die Rückwendung zu einer kommunistischen Position auch in einer
161
denkbaren künftigen Regierung durchaus vorstellbar ist vor allem, wenn die
wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen der Bevölkerung sich
entscheidend verschlechtern sollten. Damit ist aber auch eine Spaltung der
Partei möglich und zwar in das Lager der stärker ideologisch ausgerichteten
Mitglieder und das Lager der Pragmatiker, die langfristig den Einfluss der
Partei auf die Berliner Politik sowie deren Akzeptanz in der Öffentlichkeit be-
einflussen kann. Die Auffassung von Hartleb und Lauth, dass der historische
Hintergrund keine große Rolle spielt und erst Ereignisse der jüngeren Ver-
gangenheit, wie z.B. die Hartz-IV-Politik Schröders, den Aufschwung der
LINKEN in Berlin und auf Bundesebene bewirkt haben, ist durchaus plausi-
bel. Denn die Partei kann nur durch einen verstärkten Pragmatismus und
offenkundiges Abrücken von extremistischen Positionen langfristig erfolg-
reich sein, da die Vorbehalte gegenüber dem Kommunismus in Deutschland
nach wie vor sehr stark sind. Die Bewertung des strategischen Vorgehens
der LINKEN in Berlin macht deutlich, dass alle Politologen das populistische
Element nicht als entscheidende Voraussetzung für den Aufstieg der Partei
die LINKE im Berliner Parlament ansehen, der nicht monokausal erklärt wer-
den kann, sondern auf verschiedenen Faktoren beruht, z.B. einer historisch
gewachsenen politischen Identität, dem Status einer Volkspartei in Berlin,
programmatischen Fehlorientierungen der politischen Gegner und die Miss-
wirtschaft der CDU in Berlin sowie dem Bemühen um eine sachgerechte,
bürgernahe Politik, die vor allem auf den „kleinen Mann― abgestimmt ist.
Dass die personelle Komponente letztlich vielleicht sogar der wichtigste Fak-
tor für den Aufstieg der LINKEN im Berliner Parlament war, wurde bereits im
Kapitel über die personelle Komponente angesprochen.
4.2.4 Auswirkungen der Regierungsbeteiligung
Decker kommt zu dem Ergebnis, dass das populistische Profil der Partei die
LINKE in Berlin durch die Regierungsbeteiligung abgeschwächt worden ist,
was zu Konflikten mit der Bundespartei und ihren Führungspersönlichkeiten,
vor allem aber mit Oskar Lafontaine führte, dem viele Kompromisse der LIN-
KEN in Berlin zu weit gingen.
Lauth kommt zu dem gleichen Ergebnis und vergleicht die Abschwächung
des Profils der LINKEN in Berlin mit der Entwicklung der Grünen auf Bun-
162
desebene, die auch durch die Regierungsbeteiligung mit der SPD von ihren
radikal- pazifistischen Positionen abrückten und damit ihr populistisches Pro-
fil stark abschwächten. Lauth differenziert auch zwischen der Entwicklung
der Berliner LINKEN, bei der er keinen ausgeprägten Populismus feststellen
kann, und der LINKEN auf Bundesebene, die zahlreiche populistische Ele-
mente, vor allem eine eindeutige ideologische Positionierung, aufweist.
Hartleb ist der Meinung, dass das populistische Profil der LINKEN in Berlin
durch die Regierungsbeteiligung stark abgeschwächt wurde.
Die Einschätzung der LINKEN durch Lauth deckt sich mit der von Neu, die
die LINKE in Berlin nur für bedingt populistisch hält.
Decker ist der Auffassung, dass die LINKE durch die Regierungsbeteiligung
gezwungen war, einige politische Grundsätze aufzugeben bzw. zu modifizie-
ren. Sie präsentierte sich als programmatische Partei, deren Führung zur
Übernahme der Regierungsverantwortung bereit war, was zwangsläufig zu
Abstrichen bei ihrer antikapitalistischen Programmatik führen musste bzw. in
Zukunft führen wird.
Lauth stellt in der Praxis einen gewissen Anpassungsprozess der LINKEN
von Berlin fest, der auch eine Abschwächung des antikapitalistischen Pro-
gramms und ein Bekenntnis zu einem stark gebändigten Kapitalismus bein-
haltet. Diese Entwicklung führt bei der LINKEN in Berlin zu einem pragmati-
scheren Kurs, auch wenn in der Bundeshauptstadt andere Fragen zu ent-
scheiden sind als auf Bundesebene.
Hartleb weist darauf hin, dass die LINKE in Berlin durch die Regierungsbetei-
ligung ihre ausgeprägte antikapitalistische Haltung aufgeben musste, und
dass dies zu einer schweren Belastungsprobe für die Partei wurde, deren
Mitglieder sehr große Konflikte und Kämpfe austrugen, da sich für einen Teil
der Partei der neue Kurs in der Regierung nicht mit der eigenen Programma-
tik vereinbaren ließ und die Glaubwürdigkeit der Berliner LINKEN in Frage
gestellt wurde.
Neu betont, dass die Frage der Regierungsbeteiligung zu einer starken Pola-
risierung der LINKEN in Berlin führte und dass das Regierungshandeln von
großen Teilen der Partei sehr kritisch gesehen wird, die befürchten, dass der
innere Kompass ihrer Partei durch die pragmatische Regierungspolitik verlo-
ren geht. Dabei ergeben sich nach Auffassung von Neu zwei große Konflikt-
163
linien innerhalb der LINKEN in Berlin. Eine Gruppe der Partei ist der Ansicht,
dass man das System mit Hilfe von Regierungsbeteiligungen schrittweise
überwinden kann. Ein anderer Flügel sieht in Regierungsbeteiligungen ein
Anbiedern an die Macht, also eine Art Korruptionsprozess, der dazu führt,
dass man das eigentliche Ziel der Partei, den Sozialismus, aus den Augen
verliert.
Decker ist der Auffassung, dass die Anpassung an den Koalitionspartner den
Zusammenhalt innerhalb der Partei beeinflusst hat, da nun die Richtungskon-
flikte in der Partei deutlicher hervortreten. Außerdem kam es zu einem kata-
strophalen Einbruch in der Stammwählerschaft, denn die Partei verlor bei
den letzten Abgeordnetenhauswahlen rund die Hälfte ihrer Wähler. Dadurch
wurde das Image der Partei in der Öffentlichkeit negativ belastet.
Hartleb teilt die Auffassung von Decker, dass die Anpassung an den Koaliti-
onspartner den Zusammenhalt innerhalb der Partei der LINKEN in Berlin ge-
schwächt hat, und die Stammwählerschaft, die sich stets klar zum Sozialis-
mus und Antikapitalismus bekannt hat, vor den Kopf gestoßen hat. Dennoch
konstatiert er einen deutlichen Imagegewinn der Partei in der symbolträchti-
gen Bundeshauptstadt, wo sie im Gegensatz zum Bund, trotz vieler Proble-
me bereit war und ist, Verantwortung zu übernehmen.
Neu räumt ein, dass die Stammwählerschaft in Berlin, wenn man sie auf das
DDR-Klientel reduziert, über die Regierungsbeteiligung und die dadurch be-
dingte Anpassung enttäuscht war, doch sie verweist auf die Tatsache, dass
die Partei bei einer guten Politik neue Wähler, z.B. Wechselwähler, für sich
zusätzlich gewinnen kann.
Decker sieht einen deutlichen Unterschied zwischen den Konsequenzen der
österreichischen FPÖ und der Schweizer SVP und der LINKEN in der Bun-
desrepublik Deutschland. Die Reaktion der FPÖ auf den massiven Wähler-
einbruch war eine Rückkehr zu einer fundamental oppositionellen Haltung.
Dies gilt auch mit gewissen Abstrichen für die SVP, nachdem diese kurzzeitig
aus dem Bundesrat ausgeschieden war. Bei den LINKEN in der Bundesre-
publik stellt Decker eher eine gegenläufige Entwicklung fest. Dort nehmen
die Regierungsbeteiligungen auf Länderebene zu, was zwangsläufig ein Ab-
rücken von fundamental- oppositionellen Programmen und eine pragmati-
sche Anpassung mit sich bringt.
164
Lauth betrachtet als wichtigste Konsequenz die Ausweitung der Zielgruppe
der LINKEN von Berlin. Die Partei hat im Jahr 2010, also ein Jahr vor den
nächsten Wahlen, mit der SPD und der CDU gleichgezogen, obwohl sie ei-
nen unpopulären Sparkurs mitgetragen hat. Lauth führt dies auf Veränderun-
gen in den Zielgruppen der Partei zurück, die neben Parteifunktionären, Ar-
beitern und Bauern aus der ehemaligen DDR bzw. aus Ostberlin nun auch
Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger und Rentner umfasst, so dass sich die So-
zialstruktur der Wähler grundlegend geändert hat.
Hartleb vertritt die Auffassung, dass die populistischen Parteien in Holland
und Österreich, aber auch die LINKE in Berlin und Mecklenburg-Vorpom-
mern im Rahmen der Regierungsbeteiligung zu der schmerzlichen Einsicht
gelangen, dass sie als Juniorpartner einer Regierung ihre Forderungen kaum
realisieren können und daher versuchen, noch mehr Wählerstimmen zu ge-
winnen und eine hauptverantwortliche Rolle in der Regierung zu spielen.
Neu sieht hoffnungsvolle Perspektiven für die LINKE in Berlin, die trotz der
Verstimmung der Stammwähler durch ihren gesunden Pragmatismus bei den
Wählern gepunktet hat und diesen aufrecht erhält, auch wenn sie von einem
Machtanspruch, wie ihn die LINKE in Mecklenburg Vorpommern stellt, noch
entfernt ist.
4.2.4.1 Interpretation
Bei der Bewertung der Auswirkungen der Regierungsbeteiligung auf die Par-
tei die LINKE von Berlin und ihr populistisches Agieren decken sich die Ein-
schätzungen der befragten Politologen. Sie kommen zum Ergebnis, dass das
populistische Profil der Partei die LINKE von Berlin, wenn es überhaupt je-
mals populistisch gewesen ist, abgeschwächt wurde. Durch Vergleiche mit
der Bundes-LINKEN und der Entwicklung der Grünen auf Bundesebene wird
die Berliner Sonderstellung anschaulicher und klarer, denn man erkennt
deutlich die Situation der LINKEN von Berlin, die sich in der Regierungsver-
antwortung befindet, und der Situation der Bundes- LINKEN, die in der Op-
position ist, eine weit größere Bewegungsfreiheit genießt und ganz gezielt
populistisch agieren kann. Was die Auswirkung der Regierungsbeteiligung
auf die politischen Grundsätze der Partei angeht, ist auch ein mehr oder we-
niger einheitliches Deutungsmuster zu erkennen. So wird die Abschwächung
des antikapitalistischen Programms und damit eine weniger ideologische ra-
165
dikale Positionierung betont, doch die Folgen dieser innerparteilichen Ent-
wicklung für den Zusammenhalt der LINKEN von Berlin und das Wählerver-
halten werden unterschiedlich beurteilt. Die Situation der Partei im Frühjahr
2011 scheint darauf hinzudeuten, dass die Befürchtungen von Neu, dass die
Partei auf Grund ihrer durch die Regierungsbeteiligung veränderten Pro-
grammatik gespalten werden könnte, nicht gerechtfertigt sind, denn die LIN-
KE in Berlin erzielte durch ihre pragmatische und bürgernahe Politik bei Um-
fragen erhebliche Gewinne in der Wählergunst, die zur Zeit bei etwa 20%
liegen. Dies lässt vermuten, dass sie neben ihrer traditionellen Wählerklientel
neue Zielgruppen ansprechen konnte und dass die generelle These, dass die
Regierungsbeteiligung grundsätzlich zur Schwächung populistischer Parteien
führt, sorgfältig überprüft werden muss. Offensichtlich wurden hier von der
Berliner LINKEN genau die richtigen Konsequenzen aus der ersten Regie-
rungsbeteiligung gezogen, als sie vom Wähler abgestraft wurde, z.B. durch
das Streben nach mehr Bürgernähe, den Verzicht auf nicht realisierbare po-
pulistische Versprechungen und das Geben einzelner „kleiner Zuckerstück-
chen―, wie das Sozialticket, was die Abgeordnete Wawzyniak treffend be-
merkte.
Die entscheidende Frage der Zukunft dürfte sein, ob dieser neue Pragmatis-
mus der LINKEN in Berlin und ihr engagierter Einsatz für die Stadt von einem
breiten Wählerspektrum honoriert wird, das nicht nur aus dem traditionellen
DDR-Klientel der Partei und der unteren Mittelschicht besteht, sondern auch
neue Wähler aus der Mittel- und Oberschicht mobilisiert.
4.2.5 Zukunftsperspektiven der linkspopulistischen Partei die Linke von
Berlin
Decker erwartet eine mittel- bis langfristige Kontinuität des Populismus in den
westlichen Demokratien, sowohl was den Populismus radikal oppositioneller
Außenseitergruppen als auch was den eingebauten Populismus etablierter
Regierungsparteien angeht. Er begründet seine Auffassung mit der Ver-
schärfung der gesellschaftlichen Unterschiede, die zu einem Anwachsen der
Zahl der Modernisierungsverlierer führt, mit der zunehmenden Bedeutung
der kulturellen Identität in einer komplexer werdenden multikulturellen Ge-
sellschaft und mit Strukturmängeln des politischen Systems in einigen Län-
166
dern, z.B. in Österreich, wo ein Kartell etablierter Parteien und die jahrelange
Vetternwirtschaft einer großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP, oder der
CDU im Berliner Senat den Aufstieg einer populistischen Gegenkraft begüns-
tigt haben.
Decker sieht keine Trendwende hin zu einer neuen, vom populistischen Mo-
ment geprägten politischen Kultur, auch wenn er eine mittel- und langfristige
Kontinuität des Populismus in den westlichen Demokratien erwartet, ohne
dabei ausdrücklich auf die Partei die LINKE in Berlin Bezug zu nehmen.
Lauth ist nicht der Meinung, dass die LINKE Wegbereiter einer neuen popu-
listischen Kultur ist, denn er stuft sie ohnehin nicht als populistische Partei
ein.
Neu warnt vor einer Überschätzung der Rolle der LINKEN als Wegbereiter
einer neuen politischen Kultur und stuft die Partei die LINKE trotz strategisch
bedingter populistischer Äußerungen einzelner Persönlichkeiten ohnehin als
nicht populistisch ein.
Hartleb betrachtet die LINKE als Wegbereiter einer neuen politischen Kultur,
in der die Parteienverdrossenheit der Wähler durch mehr Versprechungen
und mehr Glaubwürdigkeit überwunden werden soll. Doch er stellt fest, dass
ihr dies selbst in der Finanzmarktkrise nicht in dem Maße gelungen ist, wie
sie es erhofft hatte. Die traditionellen Formen der Demokratie, also die Kon-
sensdemokratie und die Verhandlungsdemokratie, sowie das Treffen von
konsensualen Entscheidungen werden seiner Meinung nach nicht durch das
Auftreten der LINKEN in Frage gestellt, sondern durch die Komplexität vieler
Entscheidungen und die Verlagerung von Entscheidungen auf die europäi-
sche Ebene, z.B. bei der Finanzkrise und der Griechenlandkrise.
Decker sieht eine stabile Erfolgsgrundlage der LINKEN in Berlin trotz der
Stimmenverluste bei der letzten Wahl des Berliner Senats, weil die Partei in
den neuen Bundesländern den Status einer Volkspartei hat. Allerdings hängt
der Erfolg der Partei nach Auffassung von Decker davon ab, ob ihr die
schwierige Gratwanderung zwischen Opposition und Regierungsrolle gelingt
und ob sie über entsprechende Führungspersönlichkeiten verfügt, die diese
Gratwanderung meistern können, die durch das Zusammenwachsen der Par-
tei in Ost und West noch schwieriger geworden ist, und ob sich die Partei-
ungeachtet der bestehenden innerparteilichen Gegensätze- nach außen hin
167
geschlossen präsentieren kann.
Lauth macht den Erfolg der Partei der LINKEN in Berlin vor allem von zwei
Faktoren abhängig. Seiner Meinung nach wird die Partei ihre starke Stellung
behaupten, wenn die gegenwärtigen sozialen Probleme bestehen bleiben
und es den eingesessenen Parteien nicht gelingt, in ihren Programmen Ant-
worten auf diese soziale Fragen zu finden. Unabhängig davon betont Lauth
die starke Verankerung der Partei im ostdeutschen Raum und die sozial
strukturell günstigen Bedingungen für die LINKE, die sich im Gegensatz zu
Westdeutschland auf ein zweifaches Klientel stützen kann, nämlich die alten
SED/PDS-Wähler, darunter vor allem die objektiven und subjektiven Wieder-
vereinigungsverlierer und Hartz-IV- Empfänger, Rentner und andere soziale
Randgruppen. Voraussetzung ist natürlich, dass sich diese sozialen Rand-
gruppen weiter für Politik interessieren und wie bisher die LINKE wählen, weil
sie ihre Belange trotz der neuen sozialen Vorschläge der anderen Parteien
durch die LINKE am besten vertreten sehen.
Hartleb glaubt, dass die LINKE ihren Anteil an Sitzen im Parlament stabil hal-
ten kann, doch er erwartet, dass die Probleme der Partei im Rahmen der ge-
genwärtigen Regierungsbeteiligung dazu führen werden, dass die Partei die
LINKE nach der nächsten Wahl ungeachtet ihres nach wie vor hohen Anteils
an Wählerstimmen mit der Oppositionsrolle vorlieb nehmen muss, da durch
das relative Gleichgewicht der Kräfte auch andere Koalitionsoptionen mög-
lich sind.
Im Gegensatz zur Bundespartei, bei der der Persönlichkeitsbonus von Oskar
Lafontaine weggefallen ist und bei der noch unklar ist, ob die Nachfolger Ge-
sine Lötzsch und Klaus Ernst die Beliebtheit ihres Vorgängers erreichen kön-
nen, sieht Frau Neu die Zukunft der LINKEN in Berlin, aber auch in den an-
deren Bundesländern in einem positiveren Licht, weil in der Hauptstadt der
Persönlichkeitsbonus der Führung eine geringere Rolle spielt und die LINKE
eher als Ganzes auftritt. Sie weist aber auch auf den Unsicherheitsfaktor aller
Prognosen hin, der durch die Unberechenbarkeit der heutigen Wählerschaf-
ten bedingt ist. Diese sind zum Teil völlig unideologisch und treffen Entschei-
dungen für oder gegen Parteien, die nach rationalen Kriterien nicht nachvoll-
ziehbar sind. Diese wachsende Unberechenbarkeit der ständig zunehmen-
den Zahl der Wechselwähler kann jede Partei treffen und z.B. der LINKEN
168
von heute auf morgen zweistellige Gewinne oder Verluste bringen. Diese
Tatsache lässt nach Meinung von Neu allenfalls vage mittelfristige Progno-
sen für die Zukunft der LINKEN in den Bundesländern, z.B. in Berlin, zu.
4.2.5.1 Interpretation
Bei der Bewertung der Zukunftsperspektiven populistischer Parteien in Mit-
teleuropa erwarten die Politologen eine Kontinuität des Populismus solcher
Parteien, aber allgemein auch ein immer stärkeres Übergreifen des Populis-
mus auf etablierte Regierungsparteien, die sich in der Vergangenheit nicht so
intensiv populistischer Strategien bedient und diese mitunter sogar verteufelt
haben. Dabei werden die möglichen Gründe für eine solche Kontinuität sehr
differenziert herausgearbeitet, aber unterschiedlich gewichtet. Während De-
cker die Ursachen für den Aufstieg des Parteienpopulismus sehr konkret er-
fasst und auch Parallelen zwischen scheinbar völlig unterschiedlichen politi-
schen Systemen aufzeigt, sieht Hartleb die Wurzel des Anwachsens populis-
tischer Parteien und Gruppierungen eher in dem Mangel an Glaubwürdigkeit
der etablierten Parteien und der dadurch zunehmenden Parteienverdrossen-
heit der Wähler. Die Aussage von Decker, dass der Populismus immer stär-
ker auf die etablierten Kräfte übergreift und von diesen gezielt als strategi-
sches Mittel genutzt wird, kann man nur unterstreichen. Wenn man z.B. auf
Tony Blairs populistisches Agieren oder auf Schröders gezieltes populisti-
sches Taktieren blickt, muss man sich im Klaren sein, dass der Umfang des
populistischen Agierens der heutigen Parteien dramatisch zunehmen wird.
Dies hängt sicherlich auch mit dem grundlegenden Strukturwandel des Me-
diensystems zusammen, der die Parteien zu einer noch nie da gewesenen
Selbstdarstellung zwingt. Möglicherweise wird dies dazu führen, dass die
etablierten Parteien mit ihrem eingebauten Populismus versuchen, den op-
positionellen Parteien an den politischen Rändern den Wind aus den Segeln
zu nehmen, wie die Reaktionen auf den japanischen Reaktorunfall in einigen
Ländern eindrucksvoll belegen. Was die Rolle der LINKEN von Berlin als
Wegbereiter einer neuen populistischen Kultur angeht, ist die Mehrheit der
Politikwissenschaftler der Überzeugung, dass die LINKE in Berlin trotz gele-
gentlicher populistischer Äußerungen eigentlich kaum als populistisch be-
zeichnet und dadurch schwerlich zum Wegbereiter einer populistisch gepräg-
169
ten Zukunft werden kann.
Allerdings sollte man trotz dieser Einschätzung nicht vergessen, dass die
Bundes-LINKE im Vergleich zur Berliner LINKEN sehr wohl einen massiven
Oppositionspopulismus praktiziert und daher in Zukunft die Weichenstellung
zu einer neuen populistischen Kultur mit anbahnen kann, wobei sie sich im
Anbetracht der Schwäche des Rechtspopulismus in der Bundesrepublik
Deutschland sehr gut positionieren kann. Bei der näheren Betrachtung der
Aussagen der Politikwissenschaftler zu den Bedingungsfaktoren für einen
dauerhaften Erfolg der Partei die LINKE von Berlin lässt sich klar erkennen,
dass diese die Zukunftsaussichten der LINKEN von Berlin sehr positiv beur-
teilen. Allerdings sieht jeder der vier interviewten Politologen die Zukunft der
Berliner LINKEN von einer anderen Warte aus und weist auch auf mögliche
Unwägbarkeiten hin, die eine gesicherte Prognose unmöglich machen. Da-
durch entsteht ein sehr vielschichtiges Bild von der heutigen Situation der
Partei und ihren künftigen Entwicklungsmöglichkeiten. Die Auffassung von
Hartleb, dass die LINKE trotz ihres Aufschwungs eventuell zu einer Oppositi-
onsrolle zurückkehren wird, ist gut nachvollziehbar, da sich in den letzten
Monaten ein relatives Gleichgewicht der politischen Kräfte in Berlin entwickelt
hat und die künftige Zusammensetzung der Regierung völlig offen ist. Jedoch
ist es durchaus vorstellbar, dass die LINKE durch ihr ausgeprägtes soziales
Engagement zahlreiche neue Wähler aus den unteren Schichten für sich ge-
winnen kann und sich mit ihrem zweiten Standbein, dem traditionellen DDR-
SED-Klientel, in der Zukunft eine dominierende Rolle in der politischen Land-
schaft Berlins spielen kann. Vielleicht gelingt es ihr sogar durch ihre pragma-
tische und bürgernahe Politik in ganz neue Wählerschichten vorzudringen.
4.3. Das Fremd-Framing der österreichischen Politologen
4.3.1 Neuer Populismus
Pelinka bezeichnet den Populismus als ein unvermeidliches immanentes
Merkmal einer auf Parteienwettbewerb bauenden Demokratie, hält es jedoch
für legitim, von einem neuen Populismus seit Ende der 80er Jahre, der viel-
leicht auch durch das Ende des Ost-West Konflikts mitbedingt ist, zu spre-
chen.
Nach Ansicht von Ucakar ist es angemessen, von einem neuen Populismus
170
der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuropa zu sprechen, der sich
seit Ende der 80er Jahren stark entfaltet hat. Allerdings muss heute jede Par-
tei bestimmte populistische Strategien anwenden, um Wähler zu aktivieren
und ihre Stimmen für sich zu gewinnen.
Dachs beantwortet diese Frage, ob es legitim ist, von einem neuen Populis-
mus der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuropa zu sprechen,
der sich seit Ende der 80er Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung
neuer Wähler völlig neuer Strategien bedient, mit gewissen Abstrichen mit
Ja, fügt aber erklärend hinzu, dass das Ende des Ost- West-Gegensatzes,
der natürlich sehr viele interne Diskussionen verhindert, und Widersprüche
niedrig gehalten hat, das Entstehen dieses neuen Populismus begünstigte.
Pelinka geht davon aus, dass dieser neue Populismus zunächst eine öster-
reichische Besonderheit war. Dort war die politische Einstellung sehr stark
geprägt von der Lagermentalität und vom Denken in Traditionen. Dabei stan-
den sich politischer Katholizismus versus Austromarxismus und versus
Deutschnationalismus gegenüber. Allerdings ist der neue Populismus in Ös-
terreich sicherlich sehr eng verbunden mit dem Strategiewechsel der Frei-
heitlichen Partei 1986 auf dem Parteitag in Innsbruck, als die Freiheitliche
Partei von einer deutschnationalen Honoratiorenpartei, die um Anerkennung
und Respektabilität im österreichischen Parteiensystem bemüht war, zu einer
des Parteienpopulismus auf die politische Kultur von den Professoren der
anderen Länder nicht als Gefahr gesehen wird. Diese stärkere Ambivalenz in
der Beurteilung des Parteienpopulismus durch deutsche Wissenschaftler hat
vor allem historische und systemische Gründe.
Bei der Einschätzung der zeitlichen Fixierung des neuen Populismus besteht
weitgehende Einigkeit zwischen den Politologen der drei Länder, die den
Aufstieg populistischer Parteien alle in den 80er bzw. 90er Jahren verorten.
Einzig Neu vertritt hier eine andere Meinung und geht eher von einer Abfolge
weniger und stärker populistischer Phasen aus. Interessant ist, dass die ös-
terreichischen Politikwissenschaftler das Ende des Ost-West-Konflikts als die
historische Weichenstellung betrachten, die erst richtig zur Entfaltung dieses
neuen Parteienpopulismus beigetragen hat, während die Schweizer Profes-
soren diese Abhängigkeit von den gesamtpolitischen Rahmenbedingungen
305
überhaupt nicht für wesentlich halten.
Die Beurteilung der Zusammensetzung der Personengruppen bzw. Wähler-
segmente, die von den neuen populistischen Parteien angesprochen werden,
unterscheidet sich grundlegend. Während die deutschen Politikwissenschaft-
ler die zentrale Zielgruppe in der unteren Mittelschicht und zum Teil auch in
der Unterschicht sehen, gehen die österreichischen und Schweizer Professo-
ren davon aus, dass die populistischen Parteien Anhänger in allen gesell-
schaftlichen Gruppen finden und dass durch das sogenannte „free floating―
und die Abschwächung der Lagermentalität eine Situation entstanden ist, in
der traditionelle geschlossene Zielgruppen nicht mehr vorhanden sind, was
den populistischen Parteien zugutekommt.
Der Zusammenhang zwischen dem Phänomen des neuen Populismus, der
europäischen Integration und der Globalisierung wird von den Professoren,
sieht man von der Meinung der Politologin Neu ab, gesehen, doch erscheint
der antieuropäische Reflex als Antriebskraft des neuen Populismus in Öster-
reich und vor allem in der Schweiz ungleich stärker zu sein, da die SVP in
der Schweiz einen breiten Konsens in der Bevölkerung in dieser Frage nut-
zen kann.
4.11.1.2 Personellen Komponente
Die Politologen halten fast durchweg die personelle Komponente für äußerst
wichtig und machen dies an Beispielen der drei untersuchten Länder deut-
lich.
Das Charisma und die integrative Kraft von dominanten Persönlichkeiten
wird geradezu als Strukturmerkmal populistischer Parteien betrachtet, wie die
Beispiele von C. Blocher in der Schweiz, Jörg Haider in Österreich, Gregor
Gysi und Oskar Lafontaine in Deutschland zeigen. Ohne solche Männer an
der Spitze könnten die innerlich gespaltenen populistischen Parteien auf die
Dauer nicht überleben. Allerdings ist deren Dominanz nach Auffassung eines
Teils der Professoren auch der Schwachpunkt dieser populistischen Partei-
en, da dadurch nicht nur die innerparteiliche Demokratie bedroht wird, son-
dern auch der rechtzeitige Aufbau eines geeigneten Nachfolgers unmöglich
gemacht wird.
Die Folgen eines Wegfalls der charismatischen Persönlichkeit an der Spitze
306
werden aber nicht von allen Politologen so negativ beurteilt. So weist Vatter
darauf hin, dass der Prozentsatz der Schweizer Bürger, die die SVP nur we-
gen C. Blocher wählen, relativ gering ist, etwa 5%, und dass andere Aspekte,
wie z.B. die Programmatik, nicht unterschätzt werden dürfen. Die professio-
nelle Organisationsstruktur der SVP sowie ihr bürgernahes Programm sind
unabhängig von der Person des Parteivorsitzenden Garanten für einen lang-
fristigen und dauerhaften Erfolg der Partei. Die enge Verknüpfung zwischen
der personellen Komponente und den tiefgreifenden Veränderungen des
Mediensystems wird immer wieder hervorgehoben, wobei die verstärkte Per-
sonalisierung der Präsentation von Spitzenpolitikern den populistischen Par-
teien mehr zugutekommt als den sachlich argumentierenden Parteien. Vor
allem das Internet bietet den populistischen Parteien zuvor nie dagewesene
Entfaltungs-und Präsentationsmöglichkeiten. Ein typisches Beispiel hierfür ist
die in den letzten Jahren aufkommende Piraten-Partei, die sogar ohne Par-
teiprogramm bei den Wahlen punktet186.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die personelle Komponente unabhängig
von den politischen Rahmenbedingungen der drei untersuchten Parteien,
nach Auffassung aller Politologen, ein großes, ständig steigendes Gewicht
erhält.
4.11.1.3 Weg zur Regierungsbeteiligung
Bei den deutschen Politikwissenschaftlern wird das Gewicht des historisch-
politischen Hintergrunds am stärksten betont. Die Kontinuität von der SED
zur PDS und zur LINKEN ist noch spürbar, sowohl was einen Teil der Mit-
glieder und Wähler der Partei als auch was die programmatische Ausrichtung
anbetrifft, doch diese historische Kontinuität hat sich im Laufe der letzten
Jahre stark abgeschwächt.
Auch für die österreichischen Politologen ist die Vorkriegsvergangenheit
noch präsent, doch der historisch- politische Hintergrund mit seiner deutsch-
nationalen Ausrichtung und seiner Nähe zu NS-Traditionen spielt keine so
entscheidende Rolle mehr, seitdem Haider mit seinem Austro-Nationalismus
186
Vergleiche dazu das Ergebnis der letzten Senatswahlen von Berlin vom 18. September 2011 als die Piraten Partei 8,9 % der Wählerstimmen erhielt: Berlin de. Die Landeswahlleiterin für Berlin, Wahlergebnis,
Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin 2011, http://www.wahlen-berlin.de/, 22.01.2013.
307
das Wählerpotential der Partei stark ausgeweitet hat und die integrative Wir-
kung des Heimatgefühls der Österreicher erfolgreich für seine Partei genutzt
hat.
Ähnlich bewerten auch die Schweizer Professoren das Gewicht des histo-
risch- politischen Hintergrunds. Auch wenn die SVP schon seit 80 Jahren an
der Regierung beteiligt ist, wurde sie von Blocher so grundlegend transfor-
miert, dass sie ein völlig neues Gesicht bekam und nicht mehr mit der alten
SVP gleichgesetzt werden kann.
Bei der Beurteilung des strategischen Vorgehens sind sich alle deutschen
Politologen einig, dass das populistische Element nur eine sekundäre Bedeu-
tung für den Aufstieg der Partei die LINKE in Berlin hatte, die sich eher auf
Grund ihrer historisch bedingten Rolle als Volkspartei in der ehemaligen
DDR, des Charismas von G. Gysi sowie der Schwäche der etablierten Regie-
rungsparteien gut in Szene setzen konnte.
Im Gegensatz dazu sehen die österreichischen und Schweizer Professoren
in dem Strategiewechsel der FPÖ und der SVP in der Ära Haider bzw. Blo-
cher den mit Abstand wichtigsten Grund für den schnellen Aufstieg der Par-
teien in den beiden Alpenländern. Dies kommt deutlich in den stark wach-
senden Wähleranteilen in der Zeit vor der Regierungsbeteiligung in Öster-
reich bzw. der Gewinnung des zweiten Bundesratsitzes in der Schweiz zum
Ausdruck.
Eine stärkere Übereinstimmung zwischen den Politologen der drei Länder
wird auch bei der Bewertung des Gewichts des personellen Elements sicht-
bar. Auch wenn die deutschen Wissenschaftler zahlreiche unterschiedliche
Gründe für den Erfolg der LINKEN in Berlin anführen, messen sie dem Per-
sönlichkeitsbonus von G. Gysi und O. Lafontaine eine relativ große Bedeu-
tung bei.
Die österreichischen und Schweizer Politologen gewichten allerdings das
personelle Element wesentlich stärker und lassen keinen Zweifel daran, dass
der schnelle Aufstieg der FPÖ und der SVP untrennbar mit den beiden Füh-
rungspersönlichkeiten Haider und Blocher verbunden ist und andere Aspek-
te, wie z.B. die Schwäche der politischen Gegner, lediglich eine untergeord-
nete Rolle spielen.
Die deutschen Politikwissenschaftler sind teilweise der Meinung, dass die
308
PDS bzw. die LINKE von Berlin, wenn man bei ihr überhaupt von einem po-
pulistischen Profil sprechen kann, noch gar kein echtes Profil entwickelt hat
und zwischen einer Orientierung an traditionellen ideologischen Positionen
und einem Pragmatismus hin und her schwankt, der sich allerdings mitunter
unrealistischer Versprechungen an die sozial Benachteiligten bedient187
Dieses Verhalten trägt durchaus populistische Züge und lässt sich oft nicht
mehr mit den traditionellen Grundpositionen der Partei vereinbaren.
Die österreichischen Professoren vertreten die Auffassung, dass das populis-
tische Agieren der FPÖ eher taktisch geprägt ist und dass dabei inhaltliche
Grundpositionen dem Streben nach einem schnellen Wahlerfolg geopfert
werden, wie die Kehrwendung der Partei in der EU- Frage deutlich zeigte.
Solche taktischen Überlegungen sind für die Schweizer Professoren beim
populistischen Agieren der SVP vor der Erlangung des zweiten Bundesrat
Sitzes nicht zu beobachten. Die SVP hat seit ihrer Transformation zu einer
rechtspopulistischen Partei konsequent ihre inhaltlichen Grundpositionen
vertreten und diese populistisch sehr wirkungsvoll an die Bevölkerung vermit-
telt, obwohl sie damit die Regeln der Schweizer Konkordanzdemokratie häu-
fig verletzte und die eigenen Chancen auf einen weiteren Bundesratsitz ge-
fährdete, den dann auch Blocher nur für eine Sitzungsperiode innehatte.
Insgesamt ergeben sich also deutliche Unterschiede zwischen den Deu-
tungsmustern der deutschen Politikwissenschaftler, was den Weg der LIN-
KEN von Berlin zur Regierungsbeteiligung angeht, und denen ihrer Fachkol-
legen aus Österreich und der Schweiz, die das populistische Element für
sehr bedeutsam für den Aufstieg der FPÖ und der SVP halten, aber das
Ausmaß der taktisch- strategischen Ausrichtung dieses populistischen Agie-
rens unterschiedlich beurteilen.
4.11.1.4 Regierungsbeteiligung
Die Mehrheit der befragten deutschen Politologen ist der Auffassung, dass
die Regierungsbeteiligung der PDS/die LINKE von Berlin zu einer deutlichen
Abschwächung des populistischen Profils geführt hat.
Dieser Meinung sind auch die österreichischen Professoren, die darauf hin-
weisen, dass die Regierungsbeteiligung der FPÖ der Partei sehr geschadet
187
Vergl. Interview Lauth, Neu
309
und ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt hat. Dachs geht sogar noch einen
Schritt weiter und stellt die Hypothese auf, dass jede Regierungsbeteiligung
unter den in Österreich gegebenen Systembedingungen eine populistische
Angriffspartei wie die FPÖ zwangsläufig stark schwächt und ihre Existenz
bedroht. Im Gegensatz dazu sehen die Schweizer Politologen keinerlei
Schwächung des populistischen Profils der SVP nach der Wahl Blochers
zum zweiten Bundesrat und merken kritisch an, dass dieser trotz seiner Ein-
bindung in das Konkordanz System im Bundesrat als Oppositionsführer so-
wohl im Nationalrat als auch in der Öffentlichkeit genauso populistisch agiert
habe wie vor seiner Wahl zum Regierungsmitglied.
Die Auswirkungen der Regierungsbeteiligung auf die politischen Grundsätze
der LINKEN von Berlin werden von den Politikwissenschaftlern aus Deutsch-
land durchweg als sehr schwerwiegend angesehen. Neben den starken Ab-
strichen bei der antikapitalistischen Programmatik musste die PDS/ Linke
von Berlin eine schwere innere Belastungsprobe in Kauf nehmen, die eine
dauerhafte Polarisierung zur Folge hatte und die Bereitschaft für künftige
Regierungsbeteiligungen bei großen Teilen der Mitglieder der Partei dämpfte.
Noch weitgehender war die Preisgabe von inhaltlichen Grundpositionen in-
folge der Regierungsbeteiligung nach Meinung der österreichischen Politolo-
gen bei der FPÖ. Diese musste sich in entscheidenden Sachfragen an die
ÖVP als den stärkeren Partner in der Koalition anpassen und verlor dadurch
erheblich an Kredit bei der Bevölkerung.
Die Einschätzung der Auswirkungen der Regierungsbeteiligung auf die politi-
schen Grundsätze der SVP durch die Schweizer Professoren unterscheidet
sich grundlegend von der der Kollegen aus Deutschland und Österreich in
Bezug auf die LINKE von Berlin und die FPÖ. Bedingt durch das Schweizer
Konkordanzsystem188ist und war die SVP nie gezwungen, irgendwelche pro-
grammatischen Einschnitte vorzunehmen, und kann in vollem Umfang an
ihren populistischen Grundsätzen festhalten. Auch die Bundesräte können
bei Abstimmungen innerhalb der Regierung die inhaltlichen Positionen ihrer
Partei vertreten, auch wenn sie sich damit nicht durchsetzen können, und
müssen lediglich die am Ende gefallene Mehrheitsentscheidung der Regie-
rung mittragen.
188
Eine nähere Erläuterung zum Schweizer Konkordanz System findet sich im Kapitel 3.1
310
Die Anpassung der PDS/Linke von Berlin an den Koalitionspartner SPD wird
von den deutschen Politikwissenschaftlern ambivalent beurteilt. Einerseits
werden die negativen Folgen, z.B. die Polarisierung in der Partei, der Verlust
von Stammwählern sowie der Imageverlust in der Öffentlichkeit betont, ande-
rerseits wird aber auch das teilweise positive Echo auf die Bereitschaft der
Partei, Verantwortung zu übernehmen, und die dadurch bedingte Gewinnung
neuer Wähler und Mitglieder hervorgehoben, die Ausdruck eines öffentlichen
Imagegewinns ist.
Im Gegensatz dazu steht das Fazit der österreichischen Politologen in Bezug
auf die Auswirkungen der Anpassung der FPÖ an die ÖVP. Diese hat nicht
nur die Stammwählerschaft entfremdet, sondern auch das Bild der FPÖ in
der Öffentlichkeit getrübt, das ohnehin schon durch die Korruptionsskandale
und die mangelnde Professionalität der Regierungsmitglieder Schaden ge-
nommen hatte. Diese offensichtlichen Schwachpunkte wurden zusätzlich von
den Medien entsprechend ausgeschlachtet.
Solche Anpassungszwänge gibt es in der Schweiz nach Auffassung der
Schweizer Professoren nicht. So konnte sowohl die SVP trotz der Präsenz
von zwei SVP Bundesräten in der Schweizer Regierung ihr populistisches
Agieren unvermindert fortsetzen oder sogar noch steigern als auch der Bun-
desrat Blocher selbst seine Rolle als populistischer Oppositionsführer trotz
seines Bundesratsitzes wahrnehmen. Allerdings ist der Realisierbarkeit sol-
cher Forderungen im Bundesrat eine deutliche Grenze gesetzt, wie Blochers
Einlenken in der Einwanderungsfrage zeigt. In dem Lob der Professoren für
das sachliche Auftreten von Samuel Schmid, dem zweiten Bundesrat der
SVP, ist allerdings eine indirekte Kritik an Blocher spürbar, der sich an dem
gemäßigten Verhalten seines Kollegen ein Beispiel nehmen sollte.
Die deutschen Politologen sind überwiegend der Meinung, dass die LINKE
von Berlin durch die Regierungsbeteiligung pragmatischer geworden ist und
trotz des Wählereinbruchs keine generelle Rückkehr zu einer fundamentalen
oppositionellen Strategie vollzogen hat, auch wenn Teile der Partei eine sol-
che Neuorientierung fordern.
Die Konsequenzen aus den Erfahrungen der Regierungsbeteiligung der FPÖ
waren nicht einheitlich. Teile der Partei unter Haider, die sich im BZÖ for-
mierten, zeigten sich pragmatisch und blieben mit ihren Vertretern weiter an
311
der Regierung. Der verbliebene Teil der Partei kehrte nach einer kurzzeitigen
Lähmung unter Strache zu einem aggressiven Populismus zurück, der schon
bald bei Teilen der Bevölkerung Anklang fand z.B. bei den männlichen Ar-
beitnehmern und den Burschenschaften.
Solche Konsequenzen aus den Erfahrungen im Rahmen der Regierungsbe-
teiligung halten die Schweizer Professoren nicht für erforderlich, da die SVP
mit ihren Bundesräten zwar Kompromisse eingehen musste und nicht alle
ihre Ziele in der Regierung zu realisieren vermochte, aber in der politischen
Kultur der Schweiz mit ihren großen plebiszitären Möglichkeiten über genü-
gend Entfaltungsmöglichkeiten für ihr populistisches Agieren verfügt, selbst
wenn sie glaubt, im Bundesrat unterrepräsentiert zu sein bzw. wenn sie kei-
nen Bundesratsitz hat.
4.11.1.5 Zukunftsaussichten der Linken von Berlin, der FPÖ, der SVP
Auch wenn die deutschen Politologen im Bezug auf die Einstufung der LIN-
KEN von Berlin ins populistische Lager unterschiedlicher Meinung sind, beur-
teilen sie die Zukunftsaussichten des Populismus in West- und Mitteleuropa
unter den gegenwärtigen Bedingungen recht positiv, ohne allerdings der
LINKEN von Berlin durchweg eine Rolle als Wegbereiter einer neuen politi-
schen Kultur zuzutrauen. Die verbesserten Zukunftsaussichten des Populis-
mus sind eher eine Folge aktueller Defizite der etablierten Parteien sowie
konkreter Krisensituationen, wie sie in den letzten Jahren in Europa allent-
halben zu beobachten waren.
Die österreichischen Politikwissenschaftler halten es für unmöglich, eine all-
gemeine Aussage über die Zukunftsaussichten des Populismus zu machen,
die ganz entscheidend von den jeweiligen Rahmenbedingungen abhängig
sind. Allerdings sind sie der Meinung, dass die FPÖ sich eher durch einen
oppositionellen Populismus profilieren und neue Anhänger gewinnen kann,
da sie als Juniorpartner in einer Regierung bisher nur Nachteile in Kauf neh-
men musste. Das Liebäugeln Straches mit einer erneuten Regierungsbeteili-
gung ist daher unter den momentanen Rahmenbedingungen wenig erfolg-
versprechend und die FPÖ sollte eine Regierungsbeteiligung erst dann ins
Auge fassen, wenn sie die beiden großen Parteien, was die prozentuale
Stärke angeht, übertrifft.
312
Die Schweizer Professoren betonen auch die Abhängigkeit der Zukunftsaus-
sichten des Populismus von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und der
Existenz einer charismatischen Führungspersönlichkeit. Aber bei der Ein-
schätzung der Rolle der SVP als Wegbereiter einer neuen populistischen
Kultur stehen sich zwei Auffassungen gegenüber, einmal die Meinung, dass
die Schweizer politische Kultur immer schon populistisch war, zum anderen
die These, dass der ausgeprägte „Blochersche― Populismus etwas Neues ist,
das allerdings mit dem Schweizer Konkordanzgedanken unvereinbar ist.
Die konkreten Bedingungsfaktoren für dauerhaften Erfolg der Partei die LIN-
KE von Berlin sind nach Meinung der deutschen Politologen durchaus gege-
ben. Die LINKE ist in Berlin eine Volkspartei und profitiert von den sozialen
Problemen der Bundeshauptstadt, z.B. der zunehmenden Verarmung vieler
Bürger, auch wenn sie auf Grund der Verschiebung der prozentualen Anteile
der Parteien kaum noch mit einer Regierungsbeteiligung rechnen kann. Eine
sachorientierte und rationale Oppositionsrolle kann der LINKEN von Berlin
auf die Dauer Vorteile bringen und hebt sie deutlich von der Bundes- LINKEN
ab, die stärker populistisch und persönlichkeitsorientiert ist.
Die Einschätzung der österreichischen Professoren in dieser Hinsicht ist et-
was skeptischer. Sie betonen die starke Unberechenbarkeit der Wähler, vor
allem der Wechselwähler, und das oben bereits angesprochene Dilemma der
FPÖ, sich zwischen einer problembehafteten Regierungsbeteiligung, die bis-
her nur Rückschläge gebracht hat, und einem Oppositionspopulismus ent-
scheiden zu müssen. In den Augen der österreichischen Professoren ist all-
gemein eine stärkere Distanz zum Populismus der FPÖ spürbar, den Dachs
geradezu als Gefahr sieht und gegen den er eine sachorientierte Offensive
der etablierten Parteien wünscht.
Die Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg der SVP in der Schweiz
sind nach Ansicht der Schweizer Professoren sehr positiv, da ihre Wähler-
klientele stabiler sind und da es ihr bislang immer gelungen ist, die richtigen
Themen zu besetzen, z.B. das EU- oder das Ausländerthema, und vor allem
weil die Partei auf allen Ebenen professionell organisiert ist.
Die SVP hat in der Schweiz auch einen stärkeren bürgerlichen Charakter und
wird auch in Zukunft sehr stark von ihrem Image als heimatverbundene Kraft
profitieren.
313
4.11.1.6 Zwischenfazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Deutungsmuster der Poli-
tologen der drei Länder in Bezug auf die behandelten populistischen Parteien
in mehrfacher Hinsicht unterscheiden. So besteht bei den deutschen Polito-
logen kein Konsens darüber, was die Einstufung der Partei die LINKE von
Berlin als populistisch angeht, während die österreichischen und Schweizer
Politikwissenschaftler die Verortung der FPÖ bzw. der SVP im rechtspopulis-
tischen Lager nie in Frage stellen.
Auffällig ist auch, dass die deutschen und österreichischen Politikwissen-
schaftler die negativen Seiten des Parteienpopulismus wesentlich stärker
akzentuieren als die Schweizer Professoren, die trotz einzelner kritischer
Anmerkungen den Populismus der SVP gelassener betrachten.
Signifikante Unterschiede lassen sich auch bei der Beschreibung der Ziel-
gruppen erkennen, die in Berlin stärker in der unteren Mittelschicht und der
Unterschicht verortet werden, während die Zielgruppen der rechtspopulisti-
schen Parteien in Österreich und vor allem in der Schweiz in allen gesell-
schaftlichen Gruppen zu finden sind, was, wie die Politikwissenschaftler die-
ser Länder betonen, mit der Abschwächung der Lagermentalität und dem
„free floating― zusammenhängt. Der markanteste Unterschied zwischen den
drei Deutungsmustern wird bei der Bewertung der Auswirkungen der Regie-
rungsbeteiligung auf die drei behandelten Parteien sichtbar.
Während die LINKE von Berlin durch die Regierungsbeteiligung zwar Wähler
verloren, aber andererseits durch ihr programmatisches Auftreten neue An-
hänger in der Bevölkerung gefunden und ein verbessertes Image gewonnen
hat, kann die FPÖ nach Meinung der österreichischen Politologen durch eine
Regierungsbeteiligung nur an Ansehen und Einfluss verlieren, eine Situation,
die sich in absehbarer Zukunft nicht ändern dürfte.
Dagegen ist der Populismus der SVP nicht an solche Rücksichten gebunden.
Ganz gleich, ob die Partei über Bundesräte verfügt oder nicht, sie kann frei
und ungehindert populistisch agieren und sogar noch mit der Rückende-
ckung eines Bundesrates wie Blocher rechnen, eine Tatsache, die die
Schweizer Professoren für unvereinbar mit dem Konkordanzsystem halten.
Weitgehende Übereinstimmung besteht bei den Politologen der drei Länder
hinsichtlich der zeitlichen Fixierung des neuen Parteienpopulismus in Mittel-
314
europa und der durchweg starken Gewichtung der personellen Komponente
als Erfolgsgarant sowohl links-, als auch rechtspopulistischer Parteien.
Bei der Einschätzung der Zukunftsaussichten der drei Parteien überwiegt
eher die Auffassung, dass ein massiver Oppositionspopulismus wesentlich
erfolgversprechender ist als eine krampfhafte Anpassung an Regierungskoa-
litionen, in denen man als Juniorpartner einer etablierten Partei ausgeliefert
ist und politische Entscheidungen mittragen muss, die die Glaubwürdigkeit
der Partei erschüttern müssen und die mit den Grundsatz- und Wahlpro-
grammen völlig unvereinbar sind.
Die wesentlichen Ergebnisse des Vergleichs des Fremd-Framings der Poli-
tikwissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden in
der folgenden Tabelle in übersichtlicher Form dargestellt.
Quelle: Eigene Darstellung
4.11.2 Vergleich des Fremd-Framings der Journalisten
4.11.2.1 Bewertung des neuen Populismus
Die Journalisten der drei Länder halten es überwiegend für legitim, von ei-
nem neuen Populismus in Mitteleuropa zu sprechen, doch sie verorten die-
sen neuen Populismus nicht nur an den rechten Rändern, sondern auch bei
den etablierten Parteien, die schon seit längerer Zeit Elemente des populisti-
schen Diskurses benützen, z.B. in der Asyl- und Ausländerfrage. Die Ursa-
chen dieses neuen Populismus werden dabei vor allem in der Krise der
Volksparteien und der grundlegenden Veränderung des Mediensystems ge-
315
sehen. Allerdings grenzen die Schweizer Journalisten den Populismus der
SVP, einer nationalkonservativen und wirtschaftsliberalen Partei, deutlich von
dem der meisten rechtspopulistischen Parteien in Europa ab.
Bei der Bewertung des neuen Populismus fällt auf, dass die deutschen und
österreichischen Journalisten den Parteienpopulismus sehr ambivalent beur-
teilen und seine negativen Auswirkungen mitunter noch stärker betonen, dies
ist vor allem bei Frau Salomon unverkennbar189.
Die Schweizer Journalisten sehen zwar auch die negativen Seiten des neuen
Parteienpopulismus, aber sie weisen darauf hin, dass dieser Populismus
entscheidend zu einem neuen Interesse vieler Bürger an der Politik beigetra-
gen und langjährige Verkrustungen der Parteisysteme aufgebrochen hat.
Der Zusammenhang des neuen Populismus mit der Komplexität der moder-
nen Welt wird allgemein gesehen, doch verschieden interpretiert.
Während ein Teil der Journalisten aller drei Länder von der Unfähigkeit der
Bevölkerung spricht, die komplexe moderne Welt zu verstehen, betonen an-
dere, dass die Bürger gar nicht gewillt sind, diese Komplexität zu entschlüs-
seln und lieber die Vereinfachungen der Populisten vorziehen. Dies ist vor
allem durch Ängste vor einer unsicheren, nicht fassbaren Zukunft bedingt.
Diese unterschiedliche Bewertung des Zusammenhangs zwischen Populis-
mus und komplexer Welt zieht sich quer durch die Aussagen der befragten
Journalisten hindurch und kann nicht als ein typisches nationales Deutungs-
muster angesehen werden. Allerdings warnt ein Teil der Schweizer Journalis-
ten davor, die Bürger zu unterschätzen, die instinktiv sehr wohl die Zusam-
menhänge erfassen und keineswegs als ohnmächtige Opfer böser Populis-
ten betrachtet werden dürfen.
4.11.2.2 Personelle Komponente
Die deutschen Journalisten schätzen das Gewicht der personellen Kompo-
nente bei allen Parteien hoch ein, doch bei den populistischen Parteien spielt
es ihrer Meinung nach eine viel größere Rolle.
Ohne die integrative Wirkung von Persönlichkeiten wie Oskar Lafontaine und
Gregor Gysi hätte die PDS bzw. die LINKE von Berlin niemals so schnell so
viele Wähler für sich mobilisieren können. Diese Auffassung deckt sich auch
189
Siehe und vergleiche Interview Frau Dr. Salomon im Anhang.
316
mit der Meinung der österreichischen Journalisten, die das personelle Ele-
ment als die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg populistischer Par-
teien betrachten.
Die Schweizer Journalisten unterstreichen diese Auffassung, weisen aber
darauf hin, dass die personelle Komponente schon in der Vergangenheit eine
wichtige Rolle in der Schweiz gespielt hat, aber durch die schillernde Persön-
lichkeit von C. Blocher eine neue Dimension erreicht hat. Die Verbindung von
persönlichem Charisma, finanzieller Stärke und besten Medienkontakten ist
dabei von entscheidender Bedeutung190.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich bei der Einschätzung des
personellen Elements die weitgehendste Übereinstimmung zwischen den
Journalisten der drei Länder beobachten lässt, sieht man einmal von kleinen
Unterschieden, z.B. bei der Gewichtung der charismatischen Rolle von Gysi
und Lafontaine, ab.
4.11.2.3 Weg zur Regierungsbeteiligung
Nach Auffassung der deutschen Journalisten ist der Weg zur Regierungsbe-
teiligung weniger vom populistischen Element bestimmt als von günstigen
Konstellationen und Gelegenheitsstrukturen, z. B. der Schwäche der etablier-
ten Regierungsparteien, während in Österreich und der Schweiz das populis-
tische Element ein sehr viel stärkeres Eigengewicht hatte und das strategi-
sche Vorgehen der FPÖ und der SVP viel stärker prägte als in Berlin.
Diese Bewertung wird auch in der Frage, ob das populistische Profil takti-
sches Mittel oder Ausdruck inhaltlicher Grundpositionen ist, klar sichtbar, bei
der die deutschen Journalisten die Priorität des Festhaltens an inhaltlichen
Grundpositionen vor strategischen Überlegungen betonen, während die ös-
terreichischen Journalisten das öffentlichkeitswirksame populistische Profil
viel stärker als taktisches Mittel der FPÖ betrachten, mit dem das Fehlen ver-
lässlicher inhaltlicher Grundpositionen überdeckt wird.
Die Schweizer Journalisten betonen auch die Bedeutung des populistischen
Profils als Mittel, Wähler zu gewinnen. Sie machen aber gleichzeitig deutlich,
dass dieses Profil der SVP identisch ist mit den inhaltlichen Grundpositionen
der Partei und seit der Wendung der SVP zum Populismus im Wesentlichen
190
Siehe und vergleiche Interview Dr. Senti im Anhang.
317
gleich geblieben ist, was zur Glaubwürdigkeit bei den Wählern beigetragen
hat. Allerdings war das nur möglich, weil die SVP im Rahmen des Schweizer
Konkordanz-Systems nicht zur Anpassung an andere Parteien gezwungen
war.
Auffällig bei den österreichischen und Schweizer Journalisten ist auch, dass
sie den Weg der FPÖ und der SVP zur Regierungsbeteiligung bzw. zur Er-
langung eines zweiten Bundesrat-Sitzes viel stärker in die historischen Zu-
sammenhänge einbetten und dabei die plötzliche Transformation der Partei-
en als radikalen Bruch mit dieser historischen Vergangenheit darstellen. Ins-
gesamt kann man feststellen, dass sich klare Unterschiede im Deutungsmus-
ter der Journalisten und in der Beurteilung des Stellenwerts des populisti-
schen Elements auf dem Weg zur Regierungsbeteiligung zeigen.
4.11.2.4 Regierungsbeteiligung
Die Journalisten in Deutschland und Österreich gehen davon aus, dass das
populistische Profil der LINKEN von Berlin bzw. der FPÖ in Österreich durch
die Regierungsbeteiligung deutlich abgeschwächt wurde. Allerdings unter-
scheidet sich die Ursachenanalyse dieser Journalisten. Während die deut-
schen Journalisten nur auf die Tatsache eingehen, dass die LINKE von Ber-
lin Versprechungen aus der Zeit vor der Regierungsbeteiligung nicht einhal-
ten konnte, betonen die Österreicher vor allem die negativen Auswirkungen
der „Vetternwirtschaft― der FPÖ und die mangelnde Kompetenz der FPÖ-
Minister und deren zu starke Anpassung an den Koalitionspartner.
Dagegen überwiegt bei den Schweizer Journalisten die Auffassung, dass die
Regierungsbeteiligung bzw. der zweite Bundesratsitz das populistische Profil
keineswegs abgeschwächt, sondern teilweise sogar noch verstärkt hat. Ein-
zig Vogel sieht eine leichte Abschwächung in Folge der schwierigen Doppel-
rolle der Partei im Bundesrat und im Parlament.
Bei ihrer Einschätzung der Auswirkungen der Regierungsbeteiligung auf die
Grundsätze der Partei die LINKE von Berlin lassen die deutschen Journalis-
ten keinen Zweifel daran, dass die LINKE von Berlin durch ihre pragmatische
Politik in der Regierung gewisse Abstriche von ihrer bislang noch unfertigen
Programmatik in Kauf nehmen musste, aber durch diese vorübergehende
Anpassung an den Koalitionspartner keineswegs ihre grundsätzlichen inhalt-
318
lichen Positionen auf Dauer aufopferte.
Viel weitgehender war nach Ansicht der österreichischen Journalisten das
Abweichen der FPÖ von ihren inhaltlichen Grundsätzen aus der Zeit vor der
Regierungsbeteiligung. Zentrale Grundsätze wurden aufgegeben oder abge-
schwächt, z.B. die antieuropäische Stoßrichtung oder das Feindbild der etab-
lierten Parteien.
Ein solches Antasten entscheidender politischer Grundsätze gab es nach
Meinung der Schweizer Journalisten bei der SVP nicht, die sowohl in der Öf-
fentlichkeit als auch im Parlament ihre Positionen beibehielt, obwohl ihre
Bundesräte gegensätzliche Positionen mittragen mussten, von denen sich
z.B. Blocher nicht selten öffentlich distanziert hat.
Die Auswirkung der Anpassung an den Koalitionspartner auf den Zusam-
menhalt der Partei, die Stammwählerschaft und das Bild der Berliner Linken
in der Öffentlichkeit werden von den deutschen Journalisten völlig konträr
beurteilt und teilweise sogar bestritten. Während teilweise eine Polarisierung
und Schwächung der Partei und ihrer Stammwählerschaft befürchtet wird,
erwarten andere Journalisten eine relativ schnelle Konsolidierung der Partei,
die aus ihrer Stärke im Osten und in Berlin heraus begründet wird und die zur
Zurückgewinnung der meisten Stammwähler führen dürfte.
Die österreichischen Journalisten beurteilen die Anpassung an den Koaliti-
onspartner überwiegend sehr negativ, da dadurch das inhaltliche Profil der
FPÖ beschädigt wurde und da die Partei als Juniorpartner in der Koalition
niemals die Chance hatte, ihre Prinzipien entsprechend zur Geltung zu brin-
gen. Dies hatte verheerende Auswirkungen auf den Zusammenhalt innerhalb
der Partei und führte zu einer wachsenden Entfremdung. Der Versuch mit
der ÖVP eng zusammenzuarbeiten und einen kooperativen Regierungsstil zu
demonstrieren, der sich deutlich von dem der rot–schwarzen Regierung bis
1999 abhob, war daher von Anfang an zum Scheitern verurteilt und es war
eine Frage der Zeit, wann die Polarisierung der FPÖ zu einer Spaltung der
Partei führen würde, wie sie dann durch den eigenen Weg des BZÖ Realität
wurde.
Die durch das Schweizer Konkordanzsystem notwendige Anpassung der
SVP-Bundesräte, die von Bundesräten S. Schmid und U. Maurer konsequent
und von C. Blocher weniger nachdrücklich vollzogen wurde, hat nach Auffas-
319
sung der Schweizer Journalisten zwar zu leichten Spannungen innerhalb der
Partei beigetragen, aber nicht zu einem Verlust von Stammwählern und ei-
nem Imageschaden in der Schweizer Öffentlichkeit geführt, die die Anpas-
sungszwänge im Bundesrat als selbstverständlich betrachten.
Nach Meinung der deutschen Journalisten ist es sehr schwierig für die LINKE
von Berlin, Konsequenzen aus den Erfahrungen im Rahmen der Regie-
rungsbeteiligung zu ziehen, da die Partei innerlich gespalten ist. Es ist näm-
lich nicht sicher, ob sich die Pragmatiker oder die stärker ideologisch ausge-
richteten Programmatiker durchsetzen werden. Trotzdem halten es die Jour-
nalisten für notwendig, die eigene Leistung in der Koalition mit der SPD in
der Öffentlichkeit besser darzustellen und dadurch von manchen unpopulä-
ren Entscheidungen abzulenken, die während der Koalition mitgetragen wur-
den, die aber auf Grund der Misswirtschaft in Berlin vor ihrer Regierungsbe-
teiligung unumgänglich waren.
Die österreichischen Journalisten sind teilweise überzeugt, dass die FPÖ aus
den Erfahrungen der Regierungsbeteiligung gelernt hat und bei einer mögli-
chen neuen Regierungsbeteiligung entschlossen ist, mit einem kompetenten
Team anzutreten und durch ein moralisch vorbildliches Verhalten von Anfang
an, allen möglichen Korruptionsvorwürfen entgegenzuwirken.
Dieser Optimismus wird jedoch von einigen Journalisten nicht geteilt, die be-
fürchten, dass die FPÖ ihren eigenen Maßstäben aus der Wahlkampfzeit
nicht gerecht werden kann und bei einer möglichen künftigen Regierungsbe-
teiligung wieder opportunistisch agiert und in die gleichen Fehler wie 2002
verfällt.
Die Schweizer Journalisten sind sich einig, dass die SVP im Gegensatz zur
FPÖ und der LINKEN in Berlin keinerlei Konsequenzen aus ihrer Beteiligung
im Bundesrat ziehen muss und ohne jede Rücksichtnahme auf ihre amtie-
renden Bundesräte populistisch agieren kann und ihre öffentlichkeitswirksa-
men Positionen lautstark verbreiten kann.
4.11.2.5 Zukunftsaussichten der Linken von Berlin, der FPÖ, der SVP
Die deutschen Journalisten wenden sich einstimmig gegen die Auffassung,
dass die LINKE Wegbereiter einer neuen populistischen Kultur ist und be-
gründen dies mit der Tatsache, dass populistische Elemente in allen Parteien
320
zu beobachten sind und die LINKE auf Landesebene, z.B. in Berlin, oftmals
eher pragmatisch agiert, vor allem wenn sie an einer Regierung beteiligt ist.
Impulse für eine neue politische Basiskultur werden in Zukunft stärker von
den neuen Bürgerbewegungen kommen, die spontan gegen Missstände pro-
testieren.
Die Beurteilung der Rolle der FPÖ durch die österreichischen Journalisten ist
zwiespältig. Einige Journalisten glauben, dass die FPÖ gegenüber den etab-
lierten Parteien den Vorteil hat, dass sie sich als Sprecherin des kleinen
Mannes darstellen kann und diesem das Gefühl gibt, dass eine Partei seine
Probleme erkennt und Lösungen dafür sucht. Auf diese Weise kann sich die
FPÖ auch in Zukunft als Vertreter einer bürgernahen politischen Kultur profi-
lieren und dadurch mit den etablierten Parteien gleichziehen. Ganz anders
schätzt der Journalist Hermann die Rolle der FPÖ ein und bezeichnet diese
als Wegbereiterin einer neuen politischen Unkultur, die auf leeren Verspre-
chungen, Bereicherung und Vetternwirtschaft aufgebaut ist191.
Die Schweizer Journalisten sind der Auffassung, dass man die SVP nicht als
Wegbereiterin einer neuen populistischen Kultur betrachten kann, da das
Erstarken des populistischen Moments eine Entwicklung ist, die bei allen
Parteien, nicht nur bei der SVP, zu beobachten ist.
Allerdings ist der Populismus der SVP deutlich aggressiver und radikaler als
der der meisten anderen Parteien in der Schweiz, was Rückwirkungen auf
den Stil der politischen Kultur hat und auch in der Schweiz zu einer stärkeren
Polarisierung geführt hat.
Die LINKE in Berlin wird nach Meinung der Journalisten eine feste Größe in
der politischen Landschaft der Bundeshauptstadt bleiben, da sie dort als
Volkspartei fest etabliert ist, doch sie wird wohl kaum ihren Wähleranteil stei-
gern können. Ob sie ihren derzeitigen Stimmenanteil halten kann, ist unsi-
cher und ist von mehreren unwägbaren Faktoren abhängig, z.B. dem Vor-
handensein von einer charismatischen Persönlichkeit, die den Popularitäts-
bonus von Gysi erreicht, und vor allem von einer weiteren programmatischen
Öffnung.
Für die österreichischen Journalisten ist der Erfolg der FPÖ garantiert, so-
lange sich die Partei in der Opposition befindet und diese Rolle dazu nutzt,
191
Siehe und vergleiche Interview Dr. Hermmann im Anhang.
321
die Regierungskoalition anzugreifen und gezielt Feindbilder zu schaffen und
auszuschlachten. Dies ist für den Erfolg der Partei wichtiger als eine charis-
matische Führungspersönlichkeit, die natürlich auch zum Erfolg der Partei
beiträgt, wie z.B. Strache.
Die Schweizer Journalisten sind überzeugt von einem dauerhaften Erfolg der
SVP, die ohne Rücksicht auf irgendwelche Koalitionen ihre inhaltlichen
Grundpositionen aufrecht erhalten und verschärfen kann, weisen aber gleich-
zeitig daraufhin, dass der Partei im Schweizer Konkordanzsystem automa-
tisch natürliche Grenzen gesetzt sind, die eine Realisierung ihrer gesamten
inhaltlichen Positionen unmöglich machen und immer wieder von Neuem ein
Ringen um sachpolitische Lösungen erforderlich machen.
4.11.2.6 Zwischenfazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Deutungsmuster der deut-
schen und österreichischen Journalisten sich in manchen Punkten decken,
doch dass sich auch signifikante Unterschiede beobachten lassen.
So wird allgemein die Auffassung vertreten, dass es einen neuen Populismus
in Mitteleuropa gibt, doch bei der Verortung dieses neuen Populismus lassen
sich unterschiedliche Sichtweisen feststellen.
Die Bewertung des neuen Populismus durch die deutschen und österreichi-
schen Journalisten unterscheidet sich außerordentlich stark, wobei der eher
negativen Sicht der deutschen und österreichischen Journalisten das positive
Populismusbild der Schweizer Journalisten gegenüber steht.
Die größte Übereinstimmung ergibt sich bei der Bedeutung des Gewichts der
persönlichen Komponente, das allgemein sehr hoch veranschlagt wird.
Der Stellenwert des populistischen Elements auf dem Weg zur Regierungs-
beteiligung wird in Berlin und in den Alpenländern völlig unterschiedlich ge-
deutet. Während in Berlin der Weg zur Regierungsbeteiligung als Folge von
günstigen Gelegenheitsstrukturen interpretiert wird, betonen die Journalisten
aus Österreich und der Schweiz die Bedeutung des populistischen Elements
für den Aufstieg der FPÖ zur Regierungspartei bzw. der SVP zur Erlangung
eines zweiten Bundesratsitzes.
Die Auswirkung der Regierungsbeteiligung auf das populistische Profil wird
dagegen in Berlin und Österreich deutlich negativer und kritischer beurteilt
322
als in der Schweiz, wo die Regierungsbeteiligung bzw. die Erlangung eines
zweiten Bundesratsitzes Hand in Hand ging mit einer deutlichen Verschär-
fung des populistischen Profils.
Die Zukunftsperspektiven der drei Parteien werden von den Journalisten
überwiegend positiv beurteilt, doch der dauerhafte Erfolg der Parteien wird
an ganz bestimmte Voraussetzungen geknüpft.
Die LINKE von Berlin sollte weiter programmatisch und sachorientiert agie-
ren, der FPÖ trauen die Journalisten eher eine starke Oppositionsrolle zu
und die SVP muss auch weiterhin an ihren langjährigen öffentlichkeitswirk-
samen inhaltlichen Positionen festhalten.
Insgesamt fällt auf, dass die Schweizer Journalisten den Populismus der
SVP viel gelassener betrachten als ihre Kollegen in Deutschland und Öster-
reich, wohl wissend, dass die SVP mit ihrer populistischen Ausrichtung in
eine über Jahrhunderte gewachsene Demokratie und ein bewährtes Konkor-
danz-System eingebettet ist.
Die wesentlichen Ergebnisse des Vergleichs des Fremd-Framings der Jour-
nalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden in der folgen-
den Tabelle in übersichtlicher Form dargestellt.
Quelle: Eigene Darstellung
4.11.3. Vergleich des Selbst-Framings der Politiker
4.11.3.1 Die Bewertung des neuen Populismus
Bei der Frage, ob es einen neuen Populismus bei den demokratischen Par-
teien in West- und Mitteleuropa gibt, unterscheiden sich die Deutungsmuster
323
der befragten Politiker. Während Dr. Lederer von den LINKEN in Berlin und
die Nationalräte aus Österreich es durchaus für legitim halten, von einem
neuen Populismus zu sprechen, und auch auf die Ursachen dieses Phäno-
mens eingehen, befassen sich die Schweizer Abgeordneten der SVP nur am
Rande mit diesem Aspekt.
Die grundsätzliche Bewertung des neuen Populismus durch die Abgeordne-
ten der drei Länder ist sehr unterschiedlich. Die Berliner Abgeordneten beur-
teilen den neuen Parteienpopulismus überwiegend negativ und werfen ihm
sogar eine Irreführung der Wähler vor. Dagegen sehen die österreichischen
Abgeordneten den neuen Populismus sehr positiv und setzen ihn fast durch-
weg mit Bürgernähe, Orientierung an den Wünschen der Bevölkerung und
ehrlichem Bemühen um langfristige Lösungen der politischen Probleme
gleich.
Die Schweizer Abgeordneten differenzieren zwischen einem konstruktiven,
bürgernahen Populismus, wie sie ihn in ihrer eigenen Partei verwirklicht se-
hen, und dem eher negativ gefärbten neuen Populismus in anderen Ländern
Europas, ohne näher auf problematische Aspekte dieses nichtschweizeri-
schen Parteienpopulismus einzugehen.
Dem positiven Populismus ihres Landes gelingt es, die Bürger wieder an die
Politik heranzuführen und zur Partizipation zu ermutigen.
Aus dieser unterschiedlichen Einschätzung des Populismus ergibt sich auch
ein unterschiedliches Selbstbild.
Alle Abgeordneten der LINKEN wehren sich energisch gegen eine Einstu-
fung ihrer Partei ins populistische Lager und sehen stattdessen in der Berli-
ner CDU und der Berliner FDP typische Vertreter einer populistischen Stra-
tegie.
Die österreichischen Nationalräte bekennen sich stolz zum neuen Populis-
mus ihrer Partei und betrachten ihn als eine zukunftsgerichtete Form der Po-
litikvermittlung, die die drängenden Themen der Zeit aufgreift und die Bürger
aktiviert und politisch sensibilisiert.
Die Schweizer Abgeordneten teilen im Grund die Auffassung ihrer österrei-
chischen Kollegen, umgehen aber teilweise den Begriff Populismus und defi-
nieren die SVP als bürgernahe Bewegung, die auch in der modernen Zeit
grundlegende Schweizer Werte aufrecht erhält und in den politischen Pro-
324
zess einbringt.
Die politische Kultur Österreichs bzw. der Schweiz wird nach Auffassung der
Abgeordneten der SVP bzw. der FPÖ durch den neuen konstruktiven Popu-
lismus bereichert und erneuert, da traditionelle Verkrustungen aufgebrochen
werden und der Parteienverdrossenheit vieler Bürger entgegengewirkt wird,
eine Entwicklung, die die Abgeordneten der LINKEN nicht für möglich halten,
solange Parteien der verschiedensten Schattierungen die Bürger mit unrea-
listischen populistischen Versprechungen ködern und dadurch sachgerechte
Problemlösungen erschweren.
Der Zusammenhang des neuen Parteienpopulismus mit der Globalisierung
wird von den Abgeordneten der LINKEN und der FPÖ ganz anders gedeutet.
Die populistische Antwort auf die externe Herausforderung, die in Vereinfa-
chungen und scheinbaren Problemlösungen besteht, wird von den Abgeord-
neten der LINKEN abgelehnt, während die österreichischen Abgeordneten es
begrüßen, wenn die FPÖ energisch gegen negative Auswirkungen von Glo-
balisierung und Europäisierung kämpft und sich dabei auch direkt an die
Bürger wendet, also im positiven Sinne populistisch agiert.
Noch stärker ist dieser Reflex gegen die Bevormundung und Überfremdung
des eigenen Landes bei den SVP Abgeordneten zu spüren, die sich in dieser
Frage als Sprachrohr der großen Mehrheit der Schweizer Bevölkerung se-
hen192.
Insgesamt fällt auf, dass der Begriff Populismus in den Alpenländern weniger
vorbelastet ist und dass dort Populismus als konstruktives Element der Politik
viel unbefangener von den Politikern gesehen wird als in Deutschland, wo
eine Gleichsetzung von konstruktivem Populismus und Bürgernähe nicht oh-
ne weiteres denkbar ist.
4.11.3.2 Personelle Komponente
Das Gewicht der personellen Komponente wird von den Abgeordneten der
drei Länder überwiegend sehr hoch eingeschätzt, auch wenn gewisse Nach-
teile dieser Personalisierung durchaus gesehen werden, z.B. die zu geringe
Fokussierung der Mitglieder und Wähler auf die Programmatik der Partei.
Die Schweizer Abgeordneten weisen jedoch darauf hin, dass der personellen
192
Vergl.die Aussagen von Rickli Interview im Anhang.
325
Komponente in ihrem Land engere Grenzen gesetzt sind, da der Konkor-
danz-Gedanke als Grundlage des politischen Systems der Schweiz unver-
einbar ist mit der zu starken Dominanz einer einzelnen Persönlichkeit.
Die Bedeutung der personellen Komponente für die Entwicklung der drei be-
trachteten Parteien vor ihrer Regierungsbeteiligung bzw. der Gewinnung ei-
nes zweiten Bundesratssitzes wird von allen Politikern betont, doch wird da-
bei auf das besondere Charisma einzelner Persönlichkeiten, wie z.B. Gysi,
Haider und Blocher, hingewiesen und auf die Tatsache, dass neben der per-
sönlichen Komponente auch andere Faktoren zum Erfolg der Partei beige-
tragen haben, z.B. die klare programmatische Orientierung oder das effektive
Teamwork der Führungsgruppe. Die Bedeutung des Teamworks wird aller-
dings von den deutschen Abgeordneten stärker betont und durch konkrete
Beispiele veranschaulicht. So wurde der Erfolg der PDS bei den Wahlen in
Mecklenburg-Vorpommern nach deren Auffassung ohne eine herausragende
Führungspersönlichkeit erreicht.
Die Abgeordneten aus Österreich und der Schweiz machen zwar deutlich,
dass das personelle Element wichtiger ist als der Teamaspekt, doch das
Charisma der Führungspersönlichkeiten muss getragen sein von Überzeu-
gungskraft und guter und glaubwürdiger Argumentation.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Einschätzung der Be-
deutung des personellen Elements durch die Abgeordneten der drei Länder
weitgehend deckt, aber der Spielraum für ein alternatives partnerschaftliches
Führungskonzept von den deutschen Abgeordneten für größer und wichtiger
gehalten wird.
4.11.3.3 Weg zur Regierungsbeteiligung
Die Abgeordneten aus Deutschland und Österreich beklagen die Tatsache,
dass ihre Parteien auf Grund ihrer kommunistischen bzw. deutschnationalen
Vergangenheit zur Zielscheibe von Angriffen politischer Gegner geworden
sind, die heute nicht mehr gerechtfertigt sind. Eine solche Vorbelastung
durch den historisch-politischen Hintergrund sehen die Schweizer Abgeord-
neten nicht, die auf eine lange ungebrochene Präsenz im Bundesrat zurück-
blicken können und keinerlei historischen Vorbelastungen ausgesetzt sind.
Die deutschen Abgeordneten wenden sich auch energisch gegen die Auffas-
326
sung, dass die Regierungsbeteiligung der PDS/LINKEN von Berlin teilweise
ein Ergebnis der populistischen Strategie der Partei war.
Die Abgeordneten aus Österreich und der Schweiz vertreten dagegen die
Auffassung, dass die FPÖ bzw. die SVP im Vorfeld der Wahlen populistisch
agiert haben, aber dass diese populistische Element zu keinem Zeitpunkt ein
taktisches Mittel war, sondern dazu diente, den Wählern die aufrichtigen
Überzeugungen und die tatsächlichen programmatischen Grundpositionen
zu vermitteln. Dabei habe die Partei stets ausschließlich das Wohl der ge-
samten Bevölkerung ihrer Länder im Auge gehabt.
Die Priorität eines bürgernahen Profils wird von den Vertretern aller drei Par-
teien einhellig hervorgehoben. Doch die Einschätzung des richtigen Weges
zu einem solchen Profil unterscheidet sich:
Die Politiker der LINKEN erklären, dass sie vor der Regierungsbeteiligung
ganz auf populistische Mittel verzichtet haben und auch heikle Themen an-
gesprochen haben, während die Abgeordneten aus Österreich und der
Schweiz einräumen, dass sie diese Bürgernähe durch den Einsatz populisti-
scher Mittel angebahnt haben und dadurch eine offene und ehrliche Diskus-
sion über wichtige Sachfragen ausgelöst haben, die ihnen bei der Bevölke-
rung viel Ansehen gebracht hat.
Die deutschen und österreichischen Abgeordneten sind sich einig, dass eine
Beschränkung auf eine Oppositionsrolle für ihre Partei nicht in Frage kommt
und dass ein Einfluss auf die wichtigen politischen Entscheidungen nur durch
eine Regierungsbeteiligung realisiert werden kann, auch wenn diese zu Wäh-
lerverlusten führt.
Die Schweizer Abgeordneten begründen dagegen die Forderung nach einem
zweiten Bundesrat-Sitz und die damit verbundene stärkere Präsenz in der
Schweizer Regierung mit der Tatsache, dass die SVP mit Abstand die stärks-
te Partei des Landes ist und daher bestrebt sein muss, ihren Einfluss im
Bundesrat stärker zur Geltung zu bringen.
Die Reaktion der Wähler und Mitglieder der Partei die LINKE von Berlin auf
eine sich abzeichnende Regierungsbeteiligung war in den Augen der deut-
schen Abgeordneten zunächst überwiegend positiv und getragen von einer
Aufbruchstimmung, auch wenn eine Minderheit die Partei lieber weiterhin in
der Opposition gesehen hätte.
327
Eine solche positive Stimmung gab es auch bei großen Teilen der FPÖ und
der österreichischen Bevölkerung, in der man das jahrelange Kartell der bei-
den Großparteien SPÖ und ÖVP und die damit verbundene Vetternwirtschaft
satt hatte und sich von einer Regierungsbeteiligung der FPÖ frischen Wind
in der österreichischen Landespolitik versprach.
Die Schweizer Abgeordneten betonen, dass sowohl die Mitglieder als auch
die Wähler der Partei die Gewinnung eines zweiten Bundesrat-Sitzes und
damit eine stärkere Rolle im Bundesrat einhellig begrüßten, machen aber
zugleich deutlich, dass die politischen Gegner mit ihrer Zustimmung zur Wahl
C. Blochers ganz andere Erwartungen verbanden als die SVP selbst. Sie
erhofften sich von dessen Wahl eine Abschwächung seiner spektakulären
politischen Aktivitäten, eine Erwartung, die sich aber nicht erfüllen sollte,
denn der Schweizer Unternehmer betrieb auch als Bundesrat eine sehr akti-
ve Politik.
4.11.3.4 Regierungsbeteiligung
Natürlich wird die Auswirkung der Regierungsbeteiligung der LINKEN von
Berlin von den Abgeordneten der LINKEN überwiegend positiv beurteilt, da
dadurch das Bild einer reinen Protestpartei revidiert wurde. Man gewinnt je-
doch den Eindruck, dass die Abgeordneten die negativen Seiten der Regie-
rungsbeteiligung, die schon bald offenbar wurden, verdrängen oder beschö-
nigen. Der Schritt zu einer Regierungsbeteiligung war für die Partei nicht
leicht, da es innerhalb der damaligen PDS sehr große Unterschiede zwi-
schen Pragmatikern und den ultra-linken Flügeln gab. Daraus ergaben sich
vorübergehende Verluste von Wählern und Mitgliedern, vor allem aus dem
linken Umfeld der Partei, als unvermeidliche Begleiterscheinung der Regie-
rungsbeteiligung.
Dahinter steht die Überzeugung, dass der Pragmatismus derjenigen Kräfte
der Partei, die sich von einer reinen Oppositionsrolle abgewandt haben, sich
trotz vermeintlicher Rückschläge während der Regierungsbeteiligung auch in
Zukunft als richtig erweisen wird, ganz gleich ob das im Rahmen einer Regie-
rungsbeteiligung oder einer konstruktiven Oppositionsrolle geschieht.
Auch die österreichischen Abgeordneten sind überzeugt, dass die Regie-
rungsbeteiligung der Partei, zwar kurzfristig große Probleme bereitet hat und
328
sogar zur Spaltung der Partei führte, aber auf Dauer die feste Wertorientie-
rung der FPÖ nicht erschüttern konnte, und in der Zukunft durchaus die Mög-
lichkeit besteht, dass eine erneuerte FPÖ im Rahmen einer künftigen Regie-
rung eine viel aktivere und dominantere Rolle spielen kann. Diese Einschät-
zung ist auch dadurch mit bedingt, dass die Abgeordneten der FPÖ im Ge-
gensatz zu Ebner vom BZÖ der Partei auch in schwierigen Zeiten treu ge-
blieben sind und sie konsolidiert haben.
Die Auswirkungen des zweiten Bundesratsitzes auf die SVP werden von al-
len Abgeordneten überwiegend positiv beurteilt, weil durch die beiden Bun-
desräte eine größere Nähe zur Regierung und den politischen Entscheidun-
gen gegeben war und vor allem Blocher durch sein entschlossenes Auftreten
im Bundesrat wichtige Impulse gab, was auch von den Wählern entspre-
chend honoriert wurde. Die stärkere Präsenz im Bundesrat hatte nach Auf-
fassung der Abgeordneten keinerlei Auswirkungen auf die Programmatik der
Partei, die außerhalb des Bundesrates, also im Nationalrat und in der Öffent-
lichkeit bei Plebisziten, stets konsequent und kompromisslos aufrechterhal-
ten wurde.
Die Reaktionen der Mitglieder und Wähler auf die Regierungsbeteiligung und
das politische Agieren der PDS/Linken von Berlin bzw. der FPÖ waren zu-
nächst sehr negativ und die Mitglieder und Wähler wandten sich von der Par-
tei ab, wie die Wahlergebnisse nach der ersten Regierungsbeteiligung zei-
gen. Doch im Laufe der Zeit kam es bei beiden Parteien zu einer Rückge-
winnung von Mitgliedern und Wählern, die bei der LINKEN von Berlin durch
die erfolgreiche programmatische Regierungsarbeit bedingt war und bei der
FPÖ in Österreich durch den freiwilligen Rückzug in eine neue aggressive
Oppositionsrolle mit dem Parteivorsitzenden Strache.
Im Gegensatz dazu kam es nach Einschätzung der Schweizer Abgeordneten
durch die Gewinnung des zweiten Bundesratsitzes durch die SVP zu keiner-
lei Verlusten an Wählern und Mitgliedern, sondern sogar zu einem Zuwachs
an Wählern und Mitgliedern, der sich nach der Abwahl Blochers noch ver-
stärkte.
Die deutschen Abgeordneten räumen zwar ein, dass in der Regierungskoali-
tion mit der SPD gewisse Anpassungen an den Koalitionspartner unumgäng-
lich waren, die auch von der Mehrheit der Mitglieder mitgetragen wurden,
329
doch dass dies keineswegs zum Verzicht auf die eigenen politischen Grund-
sätze führte. Im Gegensatz zu den deutschen Abgeordneten war die FPÖ
nach Meinung der österreichischen Politiker zu recht weitgehenden Zuge-
ständnissen an den Koalitionspartner gezwungen und konnte damit bestimm-
te programmatische Positionen nicht aufrechterhalten, trotz vereinzelter posi-
tiver Impulse und Initiativen wie z.B. der Durchsetzung des Kindergelds. Die-
se negative Sicht wird auch durch die Entschlossenheit bestätigt, bei künfti-
gen Regierungsbeteiligungen stärker auf den eigenen Positionen zu behar-
ren.
Eine solche Aufopferung der eigenen politischen Grundsätze ist für die
Schweizer Abgeordneten auch nach der Gewinnung eines zweiten Bundes-
rat-Sitzes nie erforderlich gewesen, da die SVP im Nationalrat und in der öf-
fentlichen Diskussion keinerlei Rücksichten auf die Entscheidungen des
Bundesrates nehmen musste und sich, zumindest was C. Blocher anbetraf,
dessen vollen Rückhalts sicher sein konnte, wie seine öffentlichen State-
ments zeigten.
Die deutschen Abgeordneten sprechen sich dagegen aus, dass die LINKE
von Berlin weitere Regierungsbeteiligungen um jeden Preis anstreben sollte,
und empfehlen der Partei, den bisherigen ehrlichen und pragmatischen Kurs
mutig fortzuführen und mehr und mehr Berliner Bürger von der Richtigkeit
dieses Kurses zu überzeugen, ohne dabei ständig mit einer Regierungsbetei-
ligung zu liebäugeln.
Dieses Bemühen um Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit hat auch für die öster-
reichischen Abgeordneten oberste Priorität gegenüber einer möglichen Re-
gierungsbeteiligung und kann nur dadurch erreicht werden, dass die FPÖ
ihre grundsätzlichen programmatischen Orientierungen bei einer künftigen
Regierungsbeteiligung aufrechterhält und nicht aus kurzsichtigen Machter-
wägungen heraus zu große Zugeständnisse an den Koalitionspartner macht.
Die wichtigste Konsequenz aus den Erfahrungen im Rahmen der Regie-
rungsbeteiligung ist die Einsicht in die Notwendigkeit von mehr fachlicher
Kompetenz beim Führungspersonal der Partei. Diese selbstkritische Ein-
schätzung der Kompetenzdefizite der FPÖ, die bei der Regierungsbeteili-
gung offenbar wurden, hebt sich deutlich ab von der selbstgerechten Bewer-
tung der eigenen Regierungsarbeit durch die LINKE von Berlin, die solche
330
Defizite vollkommen ausblendet. Im Gegensatz zu ihren österreichischen
Kollegen halten es die Schweizer Abgeordneten nicht für nötig irgendwelche
Konsequenzen aus dem Verlust des zweiten Bundesratsitzes zu ziehen, und
empfehlen lediglich der Partei, ihre seit Jahren konsequent vertretenen Posi-
tionen in der Ausländer- und EU-Frage noch nachdrücklicher zur Geltung zu
bringen. Dies, so der Tenor der Aussagen der Schweizer Abgeordneten, wird
zu einem weiteren Erstarken der SVP führen und ihren Anspruch auf einen
zweiten Bundesratsitz untermauern.
4.11.3.5 Zukunftsaussichten der Linken von Berlin, der FPÖ, der SVP
Die Abgeordneten der LINKEN distanzieren sich energisch von der Auffas-
sung, dass die LINKE von Berlin der Wegbereiter einer neuen populistischen
Kultur ist, befürworten aber grundsätzlich den Ausbau plebiszitärer Elemente
auf allen politischen Ebenen. Allerdings machen sie die Bejahung der Plebis-
zite von bestimmten Voraussetzungen abhängig, die deren Missbrauch durch
Populisten verhindern und den Gesetzgeber zur Umsetzung dieser Volksent-
scheide verpflichten.
Für die österreichischen Abgeordneten spielen solche grundsätzlichen Be-
denken im Bezug auf Plebiszite eine geringere Rolle und sie halten plebiszi-
täre Elemente für eine wichtige und notwendige Ergänzung der modernen
Demokratie, die immer mehr in Gefahr ist, den Kontakt zu den Bürgern zu
verlieren und damit einer Entfremdung der Menschen von der Politik Vor-
schub zu leisten.
Die Schweizer Abgeordneten betonen selbstbewusst, dass ihr Land keinen
Nachhilfeunterricht in Sachen Bürgernähe braucht und mit seinen plebiszitä-
ren Elementen eher als Vorbild für das übrige Europa gelten kann und damit
eine europaweite Trendwende hin zu mehr Bürgerbeteiligung mit begünstigt
hat. Die Abgeordneten aller drei Länder betonen die positiven Impulse, die
ihre Partei für das Parteiensystem und die politische Kultur gebracht hat, z.B.
die Schaffung einer bürgernahen politischen Kultur, das Aufbrechen der tra-
ditionellen Lagerbildung sowie die alternativen Lösungskonzepte für drän-
gende Sachfragen der Gegenwart.
Insofern sind die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg
dieser Parteien sehr günstig, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Die
331
LINKE von Berlin hat sich nach Meinung ihrer Abgeordneten eine Nische
links von der SPD erkämpft und sich dort als Anwalt der sozial schwächeren
Menschen etabliert, eine Rolle, die sie nicht durch Koalitionen mit Parteien
gefährden darf, die ganz andere politische Ziele verfolgen, z.B. die CDU und
die FDP.
Die FPÖ hat sich im Gegensatz zur LINKEN von Berlin als entscheidende
politische Kraft rechts von der Mitte fest etabliert, wie auch die jüngsten
Wahlergebnisse auf Länder- und Gemeindeebene zeigen193.
Sie hat durch ihren neuen Parteivorsitzenden Strache und ihre konsequente
Thematisierung von Themenfeldern wie Heimat, Identität und Nation auch
verstärkten Zulauf von der bürgerlichen Mitte, zumal auch das BZÖ nach
Haiders Tod stark an Bedeutung verloren hat. Ein dauerhafter Erfolg der
FPÖ ist nach Ansicht der Abgeordneten dieser Partei aber nur dann möglich,
wenn sie ihre politischen Grundsätze aufrecht erhält und keine Versprechun-
gen macht, die sie als Partner in einer Regierung nicht einhalten kann.
Noch positiver sehen die Schweizer Abgeordneten die Zukunftsperspektiven
der SVP, die ihrer Meinung nach den bisher beschrittenen Weg weitergehen
muss und die Unabhängigkeit der Schweiz gegen jede Vereinnahmung durch
internationale Kräfte verteidigen muss. Eine leichte Selbstkritik, wie sie bei
den Abgeordneten in Berlin und Österreich zu beobachten ist, finden wir bei
den Schweizer Abgeordneten kaum.
4.11.3.6 Zwischenfazit
Sehr auffällig ist die völlig unterschiedliche Bewertung des neuen Populismus
durch die deutschen Abgeordneten auf der einen Seite und die Abgeordne-
ten der Alpenländer auf der anderen Seite. Für die deutschen Abgeordneten
ist der neue Populismus etwas sehr Negatives, ja sogar eine Bedrohung der
politischen Kultur, während die österreichischen und Schweizer Abgeordne-
ten sich als Vertreter eines konstruktiven, positiven und bürgernahen Popu-
lismus sehen, der die Demokratie ihrer Länder bereichert. Die Bedeutung der
personellen Komponente für den Aufstieg der drei behandelten Parteien wird
von den Parlamentariern der drei Länder allgemein betont, doch wird deut-
lich, dass einer Personalisierung in der Schweiz engere systembedingte
193
Siehe: österreichische Wahlergebnisse des Bundesministeriums des Inneren. http://www. bmi.gv. at/cms/bmi_wahlen/, 10.10.2013.
332
Grenzen gesetzt sind und dass die deutschen Abgeordneten ein effizienteres
Führungsteam für wichtiger halten als die Dominanz einer Persönlichkeit,
deren Charisma sich allzu leicht abnutzen kann.
Bei der Frage, ob der Weg zur Regierungsbeteiligung bzw. der Weg zum
zweiten Bundesratsitz entscheidend vom populistischen Agieren der Parteien
bestimmt war, weichen die Deutungsmuster der Abgeordneten am stärksten
voneinander ab.
Während die Berliner Parlamentarier sich entschieden gegen die Auffassung
wehren, dass die Regierungsbeteiligung durch eine populistische Strategie
erreicht wurde, sehen die Abgeordneten der FPÖ und der SVP im populisti-
schen Agieren den entscheidenden Schlüssel zum Erfolg, betonen aber
gleichzeitig, dass sich die im Vorfeld der Wahlen populistisch vorgetragenen
Positionen ihrer Partei stets mit deren programmatischen Orientierungen ge-
deckt haben.
Die überwiegend positive Reaktion der Wähler und Mitglieder auf die sich
anbahnende Regierungsbeteiligung wird einhellig hervorgehoben, allerdings
als euphorische Aufbruchstimmung gekennzeichnet, die letztlich in Berlin und
Österreich nicht von Dauer sein sollte.
Die Entscheidung für eine Regierungsbeteiligung wird trotz der anstehenden
Probleme von allen Abgeordneten im Nachhinein grundsätzlich gebilligt,
doch die Auswirkungen der Regierungsbeteiligung auf das populistische
Agieren werden völlig unterschiedlich beurteilt.
Während die deutschen Abgeordneten sich energisch von jedem populisti-
schen Agieren distanzieren und die Österreicher eine deutliche Abschwä-
chung des populistischen Profils ihrer Partei infolge der koalitionsbedingten
Anpassungszwänge einräumen, konstatieren die Schweizer Abgeordneten
eine deutliche Zunahme des populistischen Agierens ihrer Partei nach deren
Gewinnung eines zweiten Bundesratsitzes.
Die Zukunftsaussichten der LINKEN von Berlin, der FPÖ und der SVP wer-
den von den Abgeordneten im Allgemeinen sehr positiv beurteilt, wenn die
Parteien ihren langjährigen Grundsätzen treu bleiben, ganz gleich ob sie an
der Regierung oder in der Opposition sind.
Die Deutungsmuster der Abgeordneten aus Deutschland, Österreich und der
Schweiz decken sich zwar nicht in allen Punkten, doch insgesamt fällt auf,
333
dass sie ein geschöntes Bild von der eigenen Partei entwerfen und viele
Probleme und Schwierigkeiten entweder mit keinem Wort erwähnen oder nur
versteckt andeuten.
Eine solche subjektive und teilweise unkritische Sicht ergibt sich aus dem
verständlichen Bestreben, das Bild der eigenen Partei nicht zu beschädigen
und diese in der Öffentlichkeit nicht in Misskredit zu bringen.
Zum Beispiel wurde bei den Interviews der Absturz der LINKEN von Berlin
von 22% (2001) auf 13,4% (2006) nur am Rande erwähnt, genau wie der
Absturz der FPÖ bei den Nationalratswahlen von 26,9% (1999) auf 10%
(2002) sowie die zwielichtige Rolle der Burschenschaften, die ein starkes
Klientel der FPÖ sind. Auch der innerparteiliche Eklat der SVP um Frau
Widmer-Schlumpf mit der Abspaltung der SVP-Graubünden und der Grün-
dung der BDP 2008, die bei den letzten Nationalratswahlen 2011 immerhin
5,4% der Wählerstimmen erreichte, ebenso wie den Abspaltungen in den
Kantonen Glarus und Bern wurden von den Schweizer Abgeordneten nicht
erwähnt.
Die wesentlichen Ergebnisse des Vergleichs des Selbst-Framing der Politiker
aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden in der folgenden Ta-
belle in übersichtlicher Form dargestellt.
Quelle: Eigene Darstellung
4.11.4. Unterschiedliche Gruppen- und länderspezifische Rezeption des
neuen Populismus
Die Analyse der drei Frames zeigt deutlich, dass die Bewertung des neuen
Parteienpopulismus weder in den einzelnen Ländern noch im länder-
334
übergreifenden Kontext einheitlich ist.
Der negativen Sicht des Phänomens des Parteienpopulismus steht die Auf-
fassung gegenüber, dass Populismus auch fast deckungsgleich mit Bürger-
nähe ist. Dies wird hauptsächlich von den Politikern in Österreich und der
Schweiz vertreten, während die deutschen Politiker ganz offensichtlich ein
anderes Populismusverständnis haben und sich immer wieder energisch ge-
gen die Einstufung ihrer Partei als populistisch zur Wehr setzen.
Beim Fremd-Framing der Politikwissenschaftler und Journalisten in den drei
Ländern ist oft keine klare Abgrenzung der Deutungsmuster erkennbar, doch
auch hier fällt sofort auf, dass ein Teil der Politologen und Journalisten aus
Deutschland die Auffassung der Politiker teilen, dass die LINKE von Berlin
nicht als populistisch angesehen werden kann.
Interessant ist auch, dass die interviewten Politikwissenschaftler und Journa-
listen dem neuen Parteienpopulismus gute Zukunftsperspektiven einräumen,
unabhängig davon, ob sie den Parteienpopulismus grundsätzlich billigen.
Dabei ist jedoch die Tendenz unverkennbar, dass die Zukunftsaussichten der
populistischen Parteien wesentlich besser sind, wenn diese eine aktive und
konfrontative Oppositionsrolle bevorzugen, statt um jeden Preis nach einer
neuerlichen Regierungsbeteiligung oder aber einem weiteren Bundesrat-Sitz
zu streben.
Insgesamt wird auch deutlich, dass der Parteienpopulismus in den drei ver-
glichenen Ländern ein außerordentlich schillerndes Phänomen darstellt und
viele unterschiedliche Facetten aufweist, die durch die jeweiligen histori-
schen, politischen, soziostrukturellen und geographischen Gegebenheiten
mitgeprägt wird.
Eine Sonderrolle spielt auf jeden Fall die Schweiz, die den Parteienpopulis-
mus, vielleicht auch auf Grund der selbstverständlichen plebiszitären Traditi-
on des Landes viel unbefangener sehen kann. Dabei darf man nicht verges-
sen, dass das Schweizer Konkordanz-System, in das auch die SVP einge-
bunden ist, stets die Gewähr bietet, dass eine einzelne Partei selbst wenn sie
spektakulär populistisch agiert, nie so viel Macht erlangen kann,194
194
Um die gesamten Ergebnisse noch zu festigen und zu untermauern wurden die Antworten und Ergeb-nisse auf acht wichtige gleichen Fragen, die den interviewten Politikern, den Journalisten und den Politologen gestellt wurden, computergestützt im Anhang der Arbeit dargestellt. Ergebnisse des Vergleichs des Fremd-Framings der Politikwissenschaftler aus Deutschland, Öster-
335
dass es zu einer Erschütterung oder gar Gefährdung des demokratischen
Systems kommt. Ein Beleg für die Kraft des Systems ist die völlig unerwarte-
te Abwahl Blochers aus dem Bundesrat auf dem Höhepunkt seiner Macht.
reich und der Schweiz. Ergebnisse des Vergleichs des Fremd-Framings der Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ergebnisse des Vergleichs des Selbst-Framings der Politiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
336
5. Zusammenfassung und Ausblick
Auf den ersten Blick ist das Ergebnis ein scheinbar heterogenes, fragmenta-
risches Bild von Deutungsmustern einzelner Personen.
Doch dieser Eindruck täuscht, denn diese Deutungsmuster sind keine sub-
jektiven Einzeläußerungen, sondern sie repräsentieren auf Grund der inter-
viewten Gruppen, also der Politikwissenschaftler, Journalisten und Politiker,
und der Auswahl der interviewten Personen bzw. der Länder, aus denen sie
kommen, ganz bestimmte unterschiedliche Expertisen.
Auf diese Weise werden klare Tendenzen und Konturen bei der allgemeinen
Bewertung des Parteienpopulismus und des populistischen Agierens der je-
weiligen Parteien vor, während und nach einer Regierungsbeteiligung er-
kennbar. Gleichzeitig wird ausgehend von dem recht unterschiedlichen Bild
des Parteienpopulismus in den drei Ländern, der sich in den letzten Jahr-
zehnten grundlegend gewandelt hat, eine völlig neue Qualität besitzt und mit
neuartigen Strategien und Parolen immer mehr Menschen zu mobilisieren
vermag, der Blick auf die politischen Kontextbedingungen gelenkt werden,
die zu einer solch unterschiedlichen Bewertung beitragen und zwar die histo-
rischen, systemischen und plebiszitären Rahmenbedingungen. Anschließend
wird dargestellt, wie das populistische Agieren der LINKEN von Berlin, der
FPÖ und der SVP vor, während und nach der Regierungsbeteiligung aus der
Sicht der Fremd-Frames und der Selbst-Frames beurteilt wird, wobei jeweils
die unterschiedlichen Positionen in kurzer und prägnanter Form gegenüber-
gestellt werden. Ein Vergleich der Deutungsmuster der nationalen Personen-
gruppen ergänzt den Vergleich zwischen den Fremd-Frames und den Selbst-
Frames und rückt eine neue Vergleichsebene in den Mittelpunkt der Betrach-
tung, die die länderspezifische Rezeption des neuen Populismus herausar-
beitet.
Ein Blick auf die konkreten Erkenntnisse, die das Forschungsdesign der Ar-
beit das „most different case design― und das „most similar case design― er-
öffnet, rundet die Zusammenfassung ab. Abschließend wird festgestellt, dass
der traditionelle Begriff Populismus auf Grund der empirischen Befunde der
Arbeit fragwürdig geworden ist und einer Neubewertung bedarf, die Raum für
positive und negative Sichtweisen und Bewertungen schafft.
Außerdem lassen sich Gemeinsamkeiten, aber auch signifikante länderspezi-
337
fische Unterschiede in der Beurteilung der verschiedenen Frames feststellen.
Die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, die in einen
umfassenden theoretischen Bezugsrahmen eingebettet ist, der die neuesten
Erkenntnisse der Populismusforschung mit einarbeitet, sollen im Folgenden
zusammengefasst werden.
5.1. Bild des neuen Populismus
Durch die vorliegende Untersuchung entsteht ein umfassenderes und viel-
schichtigeres Bild des neuen Parteienpopulismus. Die Einbeziehung von drei
verschiedenen deutschsprachigen Ländern und die Erfassung von rechts-
und linkspopulistischen Parteien, die auf verschiedenen Ebenen agieren, auf
der nationalen Ebene, der Länderebene und kommunalen Ebene, sind die
Grundlage für eine multiperspektivische Darstellung des neuen Populismus.
Dabei werden die Perspektiven von verschiedenen Personengruppen, die
auf Grund ihrer politikwissenschaftlichen, journalistischen und politischen
Tätigkeit direkt oder indirekt mit dem neuen Populismus befasst sind, sowie
unterschiedliche länderspezifische Perspektiven, sichtbar. Das Nebeneinan-
der von teilweise recht unterschiedlichen Bewertungen des neuen Populis-
mus, der von einem Teil der Politologen und Journalisten und den Abgeord-
neten der Linken als Bedrohung der Demokratie und von zahlreichen Abge-
ordneten der FPÖ und der SVP als ein Schritt zu mehr Bürgernähe interpre-
tiert wird, lenkt den Blick verstärkt auf die Bedingungsfaktoren und Rahmen-
bedingungen, in die der neue Populismus in Deutschland, Österreich und der
Schweiz eingebettet ist.
5.2. Einstufung des Populismus
Bei der Betrachtung der Rahmenbedingungen des neuen Parteienpopulis-
mus in den drei verschiedenen deutschsprachigen Ländern lassen sich auf
Grund der Auswertung der Interviews drei Aspekte feststellen, die für die
Entwicklung und Entfaltung des Populismus in den jeweiligen Ländern eine
wichtige Rolle spielen, die historischen Rahmenbedingungen, die systemi-
schen Rahmenbedingungen, sowie das Ausmaß der plebiszitären Elemen-
te195.
195
Zu den Rahmenbedingungen des neuen Parteienpopulismus in Deutschland vergleiche:
338
5.3. Historische Rahmenbedingungen
5.3.1 Berlin starke historische Vorbelastung
In Deutschland und besonders in Berlin sieht sich der neue Parteienpopulis-
mus einer doppelten historischen Hypothek gegenüber. Obwohl das NS-
System schon seit mehr als 60 Jahren nicht mehr existiert, ist die Erinnerung
an die NS-Vergangenheit immer noch präsent, in welcher der rechte Popu-
lismus als Mittel zur Errichtung einer Diktatur und zur Bestätigung der Ent-
scheidungen des Diktators Hitler missbraucht wurde.
Gleichzeitig muss die Partei die LINKE von Berlin ihre SED Vergangenheit
bewältigen, in der der Populismus unter gegensätzlichen Vorzeichen zum
Instrument einer sozialistischen Unrechtspolitik des DDR-Systems wurde.
Die logische Folge dieser historischen Vorbelastung ist eine absolut negative
Einstellung zum neuen Parteienpopulismus, und das krampfhafte Bemühen
der politischen Mandatsträger, sich von jeder Form des Populismus zu dis-
tanzieren. Diese negative Sicht des Populismus wird auch dadurch deutlich,
dass die Vertreter der Partei die LINKE von Berlin sich trotz erkennbarer po-
pulistischer Diskursstrategien dagegen wehren, als populistisch bezeichnet
zu werden und sich stattdessen als Träger einer pragmatischen bürgernahen
Politik sehen196.
Decker, Frank, Neu, Viola, Handbuch der deutschen ParteienVS Verlag Wiesbaden 2007. Daiber, Birgit, Hildebrandt,Cornelia , Striethorst, Anna (Hgs.), Von Revolution bis Koalition. Linke
Parteien in Europa, Berlin 2010. Hartleb, Florian, Rechts- und Linkspopulismus - Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS,
Phil. Diss. Univ. Chemnitz, Wiesbaden 2004. Hartleb, Florian, Nach ihrer Etablierung – Rechtspopulistische Parteien in Europa, KAS, 107/2011. Gerth, Michael, Die PDS und die ostdeutsche Gesellschaft im Transformationsprozess, Wahlerfolge
und politisch-kulturelle Kontinuität, Hamburg 2003. Zu den Rahmenbedingungen des neuen Parteienpopulismus in Österreich vergleiche: Pelinka, Anton, Sickinger, Hubert, Stögner, Karin, Kreisky-Haider, Wien 2008. Pelinka, Anton, Die FPÖ in der vergleichenden Parteienforschung. Zur typologischen Einordnung der
Freiheitlichen Partei Österreichs, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft: 2002/3. Pelinka, Anton,(Hrsg.),Populismus in Österreich, Wien 1987. Decker, Frank, Parteien unter Druck, Der neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien,
Opladen 2000. Zu den Rahmenbedingungen des neuen Parteienpopulismus in der Schweiz vergleiche: Geden, Oliver 2006: Diskursstrategien im Rechtspopulismus. Freiheitliche Partei Österreichs und
Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung, Wiesbaden: VS Ver-lag.Franzmann, Simon, Das Regierungssystem der Schweiz in vgl. Perspektive, SS 2005, in Anleh-
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2009, Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:Kreis, Georg, Historisches Seminar/Europainstitut, Universität Basel, 01.04.2011, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-2-002, 24.01.2013. 196
Siehe und vergleiche: Die Geschichte der PDS/ Linken
339
5.3.2 Österreich - historische Vorbelastung
Obwohl in Österreich ebenfalls eine historische Vorbelastung durch die NS-
Vergangenheit gegeben ist, distanziert sich die große Mehrheit der Bevölke-
rung von den Untaten dieser Vergangenheit und bekennt sich zu einem de-
mokratischen Rechtsstaat und einer offenen multikulturellen Gesellschaft.
Die FPÖ aber knüpft noch an diese NS-Vergangenheit an und übernimmt
eine Reihe von Denkmustern, die typisch für die NS-Zeit waren, z.B. die
massive Ausgrenzung von Minderheiten aus anderen Kulturkreisen.
Allerdings überdeckt sie diese Tatsache, indem sie populistisch eine neue
Identität Österreichs propagiert, die sich auf das Wir-Gefühl der Menschen
des Landes, ihrer Heimatverbundenheit und ihre Pflege zu typischen Landes-
traditionen gründete.
So war es nicht verwunderlich, dass die populistische Vermittlung dieses so-
genannten Austro-Nationalismus durch die FPÖ, von einem Teil der Bevölke-
rung begrüßt wurde197.
5.3.3 Schweiz - geringe historische Vorbelastung
Solche historischen Vorbelastungen gibt es in der Schweiz nicht, die auf eine
lange, ungebrochene demokratische Tradition zurückblicken kann, und deren
Bürger, getragen von einem ausgeprägten Nationalstolz, die Bewahrung der
eigenen Unabhängigkeit und der eigenen Identität als wichtigste Priorität be-
trachten. Diese populistische Propagierung dieser nationalen Werte, wie sie
vor allem durch die SVP betrieben wird, wird daher von großen Teilen der
Bevölkerung gebilligt und von den Abgeordneten dieser Partei dezidiert vom
Parteienpopulismus in anderen europäischen Ländern abgegrenzt, der sich
Decker, Frank, Neu, Viola, Handbuch der deutschen ParteienVS Verlag Wiesbaden 2007. Moreau, Patrik. PDS: Anatomie einer postkommunistischen Partei, Bonn und Berlin 1992. Neugebauer, Gero, Stöss, Richard, Die PDS: Geschichte, Organisation, Wähler, Konkurrenten,
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http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.f/f746164.htm, 28.05.2013. Pelinka, Anton, Die kleine Koalition, SPÖ-FPÖ 1983 – 1986, Wien 1993.
340
nicht im gleichen Maße auf positive Werte, wie Heimatverbundenheit und
Stolz auf die eigene Nation berufen kann. Insofern definiert sich die Schweiz
als Vorreiter einer bürgernahen Zivilgesellschaft in Europa, die große Spiel-
räume für populistisches Agieren besitzt und weniger durch historische Hypo-
theken eingeengt ist198.
5.4. Systemische Rahmenbedingungen
5.4.1 Berlin - Kokurrenzdemokratie
Eine weitere wichtige Rahmenbedingung, die einen großen Einfluss auf die
Entfaltung des Parteienpopulismus hat, ist das politische System.
So finden wir in Berlin eine typische Mehrheits- bzw. Konkurrenzdemokratie,
in der große Parteien bzw. Parteiblöcke miteinander konkurrieren. Durch den
Wandel der Struktur des Parteiensystems seit den 80er Jahren, der durch
den Aufstieg neuer Parteien, z.B. Bündnis90/die Grünen, der PDS/ LINKEN
von Berlin, sowie der Piratenpartei bedingt war und den Machtverlust der
etablierten Parteien, gab es Ende der 90er Jahre nur noch zwei Alternativen,
entweder die Fortführung der großen Koalition oder die Bildung von Koalitio-
nen der großen Parteien mit verschiedenen Bündnispartnern.
Dabei wurde allerdings anfänglich eine Koalition mit der PDS wegen ihrer
SED Vergangenheit kategorisch ausgeschlossen. Doch durch die schwere
finanzielle Krise in Berlin, die zum schnellen Zerbrechen der erst 2001 er-
neuerten großen Koalition führte, vollzog die SPD einen Kurswandel und die
PDS wurde plötzlich als möglicher Koalitionspartner salonfähig.
Dies hatte starke Auswirkungen auf das populistische Agieren der PDS, die
unter Führung des Vorsitzenden der PDS Bundestagsfraktion Gregor Gysi im
Vorfeld der Wahl von 2001 ihre populistischen Angriffe gegen die große Koa-
lition verschärfte und sich dabei hauptsächlich gegen die CDU und den regie-
renden Bürgermeister Diepgen richtete, was zu einem starken Anwachsen
ihres Wähleranteils auf 22,6% führte. Das populistische Agieren der PDS
198
Geschichte der SVP Die Geschichte der SVP, Von der BGB zur Schweizerischen Volkspartei,
http://www.udc.ch/g3.cms/s_page /78800/s_ name/ geschichte, 22.01.2013 Ladner, Andreas, Das Schweizer Parteiensystem in Bewegung
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Kropp, Sabine: Koalitionen, Verhandeln und Wettbewerb in der Regierungspraxis von Länderkoali-
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342
Der Konsenscharakter des politischen Systems kommt dadurch zum Aus-
druck, dass es seit 1945 zahlreiche große Koalitionen zwischen der konser-
vativen ÖVP und sozialdemokratischen SPÖ gab und lediglich zwischen den
Jahren 1966 – 1987, sowie 2000 bis 2007 andere Koalitionen auf nationaler
Ebene geschlossen wurden. In diesen Koalitionen stellten die zwei großen
Parteien einen Konsens her, holten andere Akteure ins Boot, z.B. Verbände
und gesellschaftliche Gruppen und bestimmten damit die Entscheidungsfin-
dung in Österreich. Der Konsenscharakter kam auch dadurch zum Ausdruck,
dass immer die notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament zum Beschluss
von Verfassungsgesetzen vorhanden war.
Mit dem Aufstieg der FPÖ unter Haider zu einer maßgeblichen dritten politi-
schen Kraft im Laufe der 90er Jahre wurde dieses konsensdemokratische
System erschüttert und es entstand eine neue Koalitionsmöglichkeit als Al-
ternative zur großen Koalition. Die FPÖ war in dieser Zeit kontinuierlich er-
starkt und die seit 1987 in Österreich bestehende große Koalition bot ihr eine
Fülle von attraktiven Angriffszielen, die sie durch massive populistische
Kampagnen nutzte.
So wurde die Vetternwirtschaft angeprangert und die Warnung vor einer
Überfremdung Österreichs zum zentralen Themenfeld gemacht. Dieses po-
pulistische Agieren war auch die Grundlage für den spektakulären Wahlerfolg
der FPÖ im Jahr 1999, als die Partei mit 26,91% den gleichen Stimmenanteil
gewann wie die ÖVP und damit ihr bestes Wahlergebnis der Nachkriegszeit
erreichte202.
Nach der Krise der FPÖ und der Abspaltung des BZÖ, kam es unter dem
neuen Parteivorsitzenden H.C. Strache zu einer schnellen Konsolidierung
der Partei, die zurzeit fast wieder an die Erfolge des Jahres 1999 anknüpft
und bei Umfragen auf nahezu 24% der Wählerstimmen kommt203. Dies
macht deutlich, dass eine populistische Partei wie die FPÖ, ähnlich der
deutscher Verlag Wiesbaden 2003 Pelinka, Anton, Das politische System Österreichs, in Ismayr, Wolfgang (Hrsg), Die politischen Sys-
teme Westeuropas, VS Verlag, Wiesbaden 2009. 202
SORA Institute for Social Research and Consulting, Wahlergebnisse und Wählerstromanalysen
PDS/Linken in Berlin, die besten Erfolgsaussichten hat, wenn sie aus der
Opposition heraus populistisch agieren kann. Ab dem Augenblick der Regie-
rungsbeteiligung muss sie Kompromisse eingehen, ihr populistisches Agie-
ren stark einschränken, was zwangsläufig zu Wählerverlusten führt. Es bleibt
abzuwarten, ob der gegenwärtige Mitgliederzuwachs anhält und die Partei
sich möglicherweise nach einem entsprechenden Wahlerfolg als Koalitions-
partner unter veränderten Vorzeichen zur Mitarbeit in einer Regierung bereit
erklärt.
Damit zeichnete sich eine Wende von der Konsensdemokratie zur Konkur-
renzdemokratie ab, die im Abschluss einer Koalition zwischen der konserva-
tiven ÖVP und der FPÖ zum Ausdruck kam. Die Regierungsbeteiligung führ-
te schnell zu einer Abschwächung des populistischen Agierens der FPÖ,
denn sie musste sich an ihren Koalitionspartner ÖVP anpassen, war zu
Kompromissen gezwungen und damit nicht in der Lage war, die populisti-
schen Versprechungen vor der nächsten Wahl umzusetzen.
Die logische Folge waren dramatische Wähler- und Mitgliederverluste. Bei
der zweiten Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2002, die nun nur noch
einen Wähleranteil von 10,16% hatte, war die Partei zu noch stärkeren Zu-
geständnissen an den Koalitionspartner ÖVP gezwungen. Dies verschärfte
auch die innere schwere Krise der Partei, die dann in der Abspaltung des
BZÖ zum Ausdruck kam.
5.4.3 Die Schweiz – Konkordanzdemokratie
Die Schweiz ist eine typische Konkordanzdemokratie, in der gesellschaftliche
und politische Konflikte in erster Linie durch Verhandlungen und Kompro-
misse gelöst werden204.
Alle wichtigen nationalen Entscheidungen fallen im Bundesrat oder durch
Plebiszite, bedürfen aber der Zustimmung vom National-Ständerat.
Der Bundesrat, die Exekutive der Schweiz besteht aus sieben Mitgliedern,
204
Köppl/Kranenpohl,( Hrsg), Konkordanzdemokratie, ein Demokratietyp der Vergangenheit?, Nomos
2012. Lehmbruch, Gerhard, Proporzdemokratie, Politisches System und politische Kultur in der Schweiz
und Österreich, Mohr Siebeck, Tübingen, 1967. Lijphart, Arend, Patterns of Democracy, Government Forms and Performance in Thirty-Six Countries,
Yale University Press 1999 Vatter, Adrian, Vom Prototyp zum Normalfall? Die schweizerische Konsensusdemokratie im Wandel,
in: Köppl / Kranenpohl,( Hrsg), Konkordanzdemokratie, ein Demokratietyp der Vergangenheit?, Nomos 2012.
344
die von der Vereinigten Bundesversammlung für eine vierjährige Amtsdauer
gewählt sind. Die Mitglieder des Bundesrats können während der Legislatur-
periode nicht abgesetzt werden, da ein Misstrauensvotum in der Schweizer
Verfassung nicht vorgesehen ist. Bislang gab es auch ein gutes Funktionie-
ren der Schweizer Konkordanzdemokratie, seit 1848 wurden nur vier Bun-
desräte kein zweites Mal gewählt. Dies hat natürlich Auswirkungen auf das
populistische Agieren von Parteien wie der SVP, da sie im Gegensatz zu
Wettbewerbsdemokratien keine Rücksicht auf Koalitionen nehmen müssen.
Für den Parteienpopulismus eröffnen sich dadurch wichtige Aktionsfelder,
auf denen eine Partei wie z.B. die SVP intensiv populistisch handeln kann,
einmal im Nationalrat und Ständerat, dann in der Öffentlichkeit, in den Medi-
en und bei Plebisziten und Volksinitiativen205.
Diese günstigen systemischen Voraussetzungen in der Schweiz für ein popu-
listisches Handeln hat auch der ehemalige Bundesrat Blocher genutzt, indem
er als Mitglied des Bundesrates seine Partei populistisch stark unterstützt
hat. Mit diesem übertriebenen populistischen Agieren hat sich C. Blocher als
Bundesrat selbst ins Abseits gestellt, denn er wurde kein zweites Mal wie-
dergewählt. Dies zeigt das Funktionieren der Konsensdemokratie, denn ob-
wohl die SVP, die zu diesem Zeitpunkt stärkste Partei im Land war, über
zwei Bundesräte verfügte und ihr populistisches Handeln sogar noch ver-
stärkt hat, wurde statt C. Blocher Frau Widmer-Schlumpf gewählt.
Als Fazit lässt sich – aufgezeigt am Beispiel der SVP – feststellen, dass das
populistische Agieren einer Partei bei entsprechenden systemischen Bedin-
gungen von entscheidender Bedeutung ist, ohne dass die Partei große Wäh-
ler- und Mitgliederverluste hinnehmen muss.
5.5 Die plebiszitären Rahmenbedingungen
Neben den historischen und systemischen Rahmenbedingungen spielt auch
das Ausmaß der plebiszitären Elemente eine wichtige Rolle für die Entfaltung
205
Selects – FORS, Universite´de Lausanne)
Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften FORS C/O Université de Lausanne - Bâtiment Vidy – CH, http://www2.unil.ch/fors/?lang=de, 06.02.2013. Selects – FORS, Universite´de Lausanne),Schweizer Wahlstudie – Selects,
http://www2.unil.ch/selects/?lang=de, 06.02.2013. Schweizer Wahlstudie – Selects, Universitäres Forschungsprojekt mit Präsentationen der Einzelpro-
jekte anlässlich der Schweizer National- und Ständeratswahlen 1995, 1999 und 2003, Publikationen und Zugang zu Wahl- und Wählerdaten.. http://suche.t-online.de/fast-cgi/tsc?sr=ptoweb&q=+http%3A%2F%2Fonlinestreet.de%2F343016-selects-wahlstudie%29%2C, http://onlinestreet.de/343016-selects-wahlstudie, 06.02.2013.
345
von populistischen Parteien, da Plebiszite die Möglichkeit eröffnen, neben
den Wahlen die eigenen Standpunkte in politischen Sachfragen öffentlich-
keitswirksam zu vertreten.
5.5.1 Berlin – Elemente der direkte Demokratie
In Berlin gibt es seit 1997 eine differenzierte Plebiszitregelung, die ein drei-
stufiges Verfahren vorsieht, das über eine Volksinitiative, einen Antrag auf
Zulassung eines Volksbegehrens und die Durchführung dieses Volksbegeh-
rens zu einem Volksentscheid führt 206. Da jedoch die Hürden für die Zulas-
sung eines Volksbegehrens zu hoch waren und es trotz zahlreicher Anläufe
für Volksbegehren nur wenig Volksentscheide gab, wurden 2006 durch eine
Verfassungsänderung die Bedingungen für die Zulassung von Volksbegeh-
ren erleichtert und durch weitere Reformen des Volksabstimmungsgesetzes
in den Jahren 2008 und 2010 ergänzt. Seitdem hat Berlin nach Bayern die
fortschrittlichste Regelung der Plebiszite, was natürlich auch Ansatzmöglich-
keiten für Parteien bietet, während einer Legislaturperiode Stellung zu The-
men zu nehmen, die Gegenstand solcher Plebiszite sind und populistisch
dafür oder dagegen zu argumentieren.
Dies erweist sich als ein wichtiger Vorteil für Parteien, die sich in der Opposi-
tion befinden und bestimmte Sachfragen anstoßen wollen, um diese auf die
Agenda der Regierung zu bringen207.
5.5.2 Österreich – Elemente der direkten Demokratie
In Österreich gibt es seit Anfang der 70er Jahre mit der Volksabstimmung,
der Volksbefragung und dem Volksbegehren drei wichtige plebiszitäre Ele-
mente. Eine Volksabstimmung eröffnet dem österreichischen Parlament die
Möglichkeit, den Bürgern des Landes eine Sachfrage zur Entscheidung vor-
zulegen. So wurde im Jahr 1994 eine Volksabstimmung über den Beitritt Ös-
terreichs zur europäischen Union durchgeführt, die den Rückhalt der Bevöl-
206
Die Landeswahlleiterin Berlin,
Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen, http://www.wahlen- berlin.de/wahlinfos/info_Rechtsgrundlagen. asp?sel1=1300&sel2=1300, 05.02.2013. Die Landesabstimmungsleiterin Berlin, Direkte Demokratie
http://www.wahlen-berlin. de/wahlinfos / recht/ abstimmungsordnung.pdf), 05.02.2013. Festschrift "20 Jahre Mehr Demokratie",Zum 20. Geburtstag von "Mehr Demokratie", Marianne
kerung für diese wichtige Weichenstellung sicherte. Die Volksbefragung hat
nur beratenden Charakter und wurde z.B. am 20.01.2013 genutzt, als die
Bevölkerung über die Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung eines
Berufsheers abstimmte, während das österreichische Volksbegehren, in dem
immer wieder bestimmte Fragen zur Beratung und Abstimmung in den Nati-
onalrat eingebracht werden, sich durchaus bewährt hat. Trotz dieser drei
plebiszitären Elemente gibt es in Österreich massive Forderungen, die vor
allem von der FPÖ unterstützt werden, nach einem Ausbau der plebiszitären
Demokratie und nach Möglichkeiten dem Wahlvolk Entscheidungen vorzule-
gen, ohne dass der Nationalrat dazu seine Einwilligung geben muss.
Die FPÖ würde gerne die direkte Demokratie für ihr populistisches Agieren
nutzen. ist aber bislang noch gezwungen, andere Wege für die Verbreitung
ihrer populistischen Botschaften zu nutzen, z.B. die Medien oder aber Auftrit-
te bei Wahlkämpfen auf nationaler und kommunaler Ebene. Das liegt vor al-
lem daran, dass es bis jetzt noch keine bindenden Verpflichtung zu Volksbe-
fragungen und zur Umsetzung ihrer Ergebnisse durch die Bundesregierung
gibt208.
5.5.3 Die Schweiz – traditionelle direkte Demokratie
Die Schweiz ist aufgrund ihrer langjährigen Tradition das Land, in dem schon
seit Jahrhunderten Volksbefragungen abgehalten wurden, denn schon
Zwingli hat 1521 in Zürich das Volk befragt209.
Ein Großteil aller Volksabstimmungen auf der ganzen Welt findet in der
Schweiz statt, die sehr weitreichende direkt-demokratische Elemente hat.
Bei diesen Volksabstimmungen gibt es kein Quorum, sondern es entscheidet
immer die einfache Mehrheit der Stimmen über die Annahme oder Ableh-
208
Strache will direkte Demokratie, Verpflichtung zu Volksbefragungen und Umsetzung durch
Regierung http://www.news.at/a/fpoe-plaene-strache-demokratie-311181,29.01.2013. Müller-Funk, Wolfgang, , Stärken Plebiszite die Demokratie?
http://derstandard.at/1324501461499/Partizipation-Staerken-Plebiszite-die-Demokratie, 06.02.2013. Teuwsen, Peer, Zeit Online, Direkte Demokratie, Alle Macht dem Volk, 31.05.2012 - 08:00 Uhr,
. Moser, Christian, Fuhrer, Hans Rudolf, der lange Schatten Zwinglis , Institut für Schweizerische
Reformationsgeschichte, Theologische Fakultät der Universität Zürich, http://www.irg.uzh.ch/personen/moser/zwingli.html, 06.02.2013.
347
nung einer Vorlage. Diese Volksabstimmungen finden auf allen politischen
Ebenen der Schweiz statt.
In der Schweizer Verfassung sind klar die obligatorischen oder fakultativen
Referenden definiert. wenn dies mindestens 50000 Stimmberechtigte oder
acht Kantone innerhalb von 100 Tagen nach Veröffentlichung wünschen.
Weiterhin gibt es die Volksinitiative, in der 100000 stimmberechtigte Bürger
eine Verfassungsänderung verlangen können.
Aber auch in den Kantonsverfassungen und in den Kommunen sind die obli-
gatorischen Gesetzesreferenden verankert210.
Dies bietet natürlich vielfältige Möglichkeiten für populistische Parteien wie
die SVP, Referenden und Volksinitiativen für ihre Zwecke zu nutzen. Dabei
spielt es keine Rolle, ob diese von Bundesräten, Parteien oder Interessen-
gruppen initiiert werden.
Im Lauf der Jahre gab es eine ganze Reihe von Volksinitiativen, Volksbefra-
gungen und Referenden.Ich möchte hier nur als Beispiel die international
stark beachteten Volksinitiativen gegen den Bau von Minaretten vom
29.11.2009, und für die Einwanderungsbegrenzung aus der EU vom
09.02.2014 nennen211.
Bei diesen Volksabstimmungen, Initiativen und Referenden wurde nicht nur
über spektakuläre populistische Programme abgestimmt, sondern es fanden
auch ganz normale Abstimmungen, z.B. über das Epidemiegesetz oder die
Wehrpflicht in der Schweiz, statt212.
Natürlich kann eine populistische Partei wie die SVP, die nahezu 30% Wäh-
leranteil besitzt, sehr viele Gesetzesänderungen anstoßen und durch ge-
schicktes Ausnutzen der Medien und durch ein öffentlichkeitswirksames Ver-
halten Einfluss auf die Meinungsbildung der Bevölkerung und Einfluss auf ein
210
Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft, Volk und Stände,
http://www.admin.ch/ch/d/sr/101/index.html#id-4, 02.05.2013. Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft, Initiative und Referendum,
http://www.admin.ch/ch/d/sr/101/index.html#id-4-2, 02.05.2013. Schweizer Eidgenossenschaft, Abstimmungen – Indikatoren, Volksinitiativen und Referenden,
Während bei den Politologen und Journalisten eine kritische Sicht des neuen
Parteienpopulismus überwiegt, wird dieser neue Populismus, sieht man ein-
mal von Berlin ab, generell positiver gesehen und mit Bürgernähe gleichge-
stellt. Die Verknüpfung des künftigen Erfolgs der Parteien mit einer Oppositi-
onsrolle durch die Journalisten und Politologen in Berlin und Österreich wird
von den Abgeordneten nicht geteilt, die an den künftigen Erfolg ihrer Partei
glauben, unabhängig davon, ob sie aus der Opposition heraus agieren oder
an der Regierung beteiligt sind.
Entscheidend für die Abgeordneten ist, dass die Parteien an ihren Grundsät-
zen konsequent festhalten, bei den Wählern glaubwürdig bleiben und eine
pragmatische Politik betreiben.
Allerdings sehen die Politologen und Journalisten eine Priorität von populisti-
schem Agieren gegenüber programmatischem Handeln, die Politiker dage-
gen eine Priorität von programmatischem Handeln gegenüber populistischem
Agieren, sofern dies nach deren Überzeugung überhaupt vorliegt.
5.7 Vergleich der Deutungsmuster der Politologen, Journalisten und
Politiker
5.7.1 Bild des neuen Populismus
Bei einem länderspezifischen Vergleich der Einstufung des neuen Populis-
mus durch die nationalen Personengruppen fällt auf, dass der neue Populis-
mus in Deutschland überwiegend skeptisch und negativ beurteilt wird, und
dass der Begriff Populismus fast eine Art Feindvokabel geworden ist. Diese
Abwehrhaltung gegenüber dem neuen Populismus ist am stärksten ausge-
prägt bei den Abgeordneten der Berliner LINKEN, die sich ständig vom Po-
pulismus und populistischem Handeln distanzieren.
In Österreich vertreten die Politologen und die Mehrheit der Journalisten eine
ähnlich kritische Sicht, doch die Abgeordneten der FPÖ sehen den Populis-
mus und ihr eigenes populistisches Agieren in einem sehr positiven Licht und
betrachten ihren Populismus als Synonym für Bürgernähe.
Diese positive Beurteilung des eigenen bürgernahen Populismus finden wir
auch bei den Abgeordneten der SVP, die allerdings den Schweizer Populis-
mus scharf vom neuen Populismus in anderen Ländern abgrenzen und in
ihm keine Gefahr für die Demokratie sehen, da er in ein lang existierendes
352
und bewährtes Konkordanz-System eingebettet ist.
Ein Teil der Schweizer Professoren ist anderer Meinung und kritisiert vor al-
lem die Tatsache, dass das zwar legitime, aber vollkommen übertriebene
populistische Handeln der SVP von C. Blocher in seiner Zeit als Bundesrat
unterstützt wurde, was unvereinbar mit dem Konkordanz-Gedanken ist, aber
letztlich doch zur Abwahl Blochers führte.
5.7.2 Verhalten vor der Regierungsbeteiligung
Bei den befragten Personengruppen aus Deutschland ist der Tenor vorherr-
schend, dass die LINKE/PDS von Berlin auf dem Weg zur Regierungsbeteili-
gung nicht oder kaum populistisch agiert hat.
In Österreich sind die Professoren, Journalisten und Abgeordneten einhellig
der Meinung, dass die FPÖ vor der Regierungsbeteiligung populistisch agiert
hat.
Die Politologen und Journalisten rücken dieses populistische Handeln in ein
negatives Licht, während die Abgeordneten sich als Vertreter eines bürger-
nahen Populismus sehen, der aber die programmatischen Zielrichtungen der
Partei stets im Auge hat und politisch umsetzt. Sie wehren sich dagegen, mit
einem negativen Populismus in Verbindung gebracht zu werden, der mit
Vereinfachungen und unredlichen Versprechungen arbeitet. Die Auswertung
der Interviews mit den drei Personengruppen in der Schweiz ergibt ein ähnli-
ches Bild wie in Österreich. Die Politologen, Journalisten und Abgeordneten
sind alle der Auffassung, dass die SVP schon vor der Gewinnung des zwei-
ten Bundesrat-Sitzes populistisch agiert hat.
Doch auch hier wird der Populismus von den Abgeordneten deutlich positiver
beurteilt, da er von dem Streben nach Bürgernähe und einem Gefühl der
Verantwortung für die Zukunft des eigenen Landes geprägt ist.
5.7.3 Verhalten während der Regierungsbeteiligung
Die Mehrheit der befragten Personengruppen aus Deutschland betont, dass
die LINKE/PDS von Berlin während der Regierungsbeteiligung nicht oder
kaum populistisch gehandelt hat, während die Politologen Hartleb und De-
cker auch während der Regierungsbeteiligung eine Kontinuität des populisti-
schen Handelns konstatieren.
353
Bei den Professoren, Journalisten und Abgeordneten in Österreich überwiegt
fast durchweg die Ansicht, dass das populistische Handeln der FPÖ während
der Regierungsbeteiligung abgeschwächt wurde, wohingegen die drei inter-
viewten Personengruppen in der Schweiz die Tatsache hervorheben, dass
die SVP nach der Gewinnung des zweiten Bundesratsitzes verstärkt populis-
tisch agiert hat und dabei die Rückendeckung von C. Blocher erhielt, der als
Bundesrat selbst stark populistisch gehandelt hat.
5.7.4 Zukunftsaussichten der behandelten populistischen Parteien
In allen drei Ländern werden den jeweiligen Parteien, also der Berliner LIN-
KEN, der FPÖ und der SVP von allen interviewten Personengruppen gute
Zukunftsaussichten bescheinigt, auch wenn diese in unterschiedliche Sys-
tembedingungen eingebettet sind.
5.7.5 Zwischenfazit - nationale Deutungsmuster
Der Vergleich zwischen den befragten Personengruppen aus allen drei Län-
dern zeigt deutlich, dass die SVP unter den populistischen Parteien im
deutschsprachigen Mitteleuropa eine Sonderstellung einnimmt.
Sie kann dort relativ ungehindert populistisch handeln, ohne dass sie ständig
mit einem negativen Populismus in Verbindung gebracht wird.
Auch kann sie mit größter Selbstverständlichkeit populistisch agieren, ohne
durch Koalitionszwänge eingeengt zu sein. Dies führte dazu, dass sich ihr
Populismus auch bei einer Gewinnung von zwei Bundesrat-Sitzen nicht ab-
schwächte, sondern sich sogar noch verstärkt hat.
Ganz anders ist die Situation in Berlin und Österreich, wo das populistische
Agieren der LINKEN von Berlin, bzw. der FPÖ nach überwiegender Auffas-
sung der befragten Persönlichkeiten während einer Regierungsbeteiligung
abgeschwächt wird, und sich nach einer Regierungsbeteiligung die Frage
stellt, ob die Partei wieder zu einem verstärkten Oppositionspopulismus zu-
rückkehren soll, anstatt eine Regierungsbeteiligung um jeden Preis anzu-
streben.
354
5.8 Konkrete Erkenntnisse durch das „most different case design“ und
das „most similar case design“
Die Forschungsdesigns, die in der vorliegenden Arbeit kombiniert werden,
das „most different case design― und das „most similar case design―, eröffnen
zahlreiche neue Erkenntnisse in Bezug auf den Rechts- und Linkspopulismus
in Mitteleuropa, sowie in Bezug auf die unterschiedliche Verortung des Popu-
lismus im Mehrebenensystem.
5.8.1 Gemeinsamkeiten der untersuchten links- und rechtspopulisti-
schen Parteien
Alle behandelten populistischen Parteien sind gekennzeichnet durch eine
deutliche Frontstellung gegen die etablierten Parteien, denen Vetternwirt-
schaft, Filzokratie und die Vernachlässigung der Belange der Bevölkerung
vorgeworfen wird. Mit dieser Kritik an den etablierten Kräften ist der An-
spruch verbunden, eine größere Bürgernähe zu verwirklichen und viel stärker
auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet zu sein. Die Parteien sind
bemüht mit dieser Strategie, neue Zielgruppen anzusprechen, damit ihr Wäh-
lerpotential zu erweitern und mehr Einfluss auf die Politik zu gewinnen. Zu
diesem Zweck bauen sie auch extreme ideologische Positionen ab und ge-
hen zu mehr pragmatischem Handeln über, ohne allerdings grundlegende
programmatische Orientierungen aus dem Auge zu verlieren. Das Bekennt-
nis zur Notwendigkeit einer charismatischen Führungspersönlichkeit ist bei
den rechts- und linkspopulistischen Parteien stärker ausgeprägt als bei den
traditionellen Parteien, die natürlich auch nicht ohne eine starke Persönlich-
keit auskommen können.
5.8.2 Unterschiede zwischen den untersuchten links- und rechtspopu-
listischen Parteien
Trotz dieser Gemeinsamkeiten der interviewten populistischen Parteien
überwiegen jedoch die Unterschiede.
So ist das Bild des Populismus bei der linkspopulistischen LINKEN von Berlin
deutlich negativer als bei der FPÖ oder der SVP, was vor allem auf die un-
terschiedlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist. Die Zielgruppen der
355
rechtspopulistischen Parteien in den beiden Alpenländern sind eher konser-
vative, nationaldenkende Wählersegmente, die der Mittelschicht und zum
Teil sogar der Oberschicht zuzuordnen sind, während die LINKE in Berlin,
neben den ehemaligen SED Mitgliedern, stärker die untere Mittelschicht so-
wie Teile der Unterschicht der Bevölkerung anspricht.
Eine Folge dieser unterschiedlichen Zielgruppen sind auffällige Unterschiede
in der programmatischen Ausrichtung. Die LINKE von Berlin setzt in ihrer
Programmatik viel stärker auf soziale Aspekte, während die FPÖ und die
SVP sich auf andere Themenfelder konzentrieren, z.B. die Bewahrung der
Identität des eigenen Landes und die Ausländerthemen, die als Bedrohung
angesehen werden. Solche ausgeprägten xenophoben Tendenzen, wie sie
bei den rechtspopulistischen Parteien in Österreich und der Schweiz zu be-
obachten sind, gibt es bei der LINKEN von Berlin nicht.
Dies liegt vor allem daran, dass Berlin eine multikulturelle Stadt mit einem
hohen Ausländeranteil ist und die LINKE von Berlin es sich nicht leisten
kann, diese Ethnien auszugrenzen, die potentielle Wähler der Partei darstel-
len.
Das Gewicht des personellen Elements ist bei den rechtspopulistischen Par-
teien in Österreich und der Schweiz wesentlich stärker als bei den LINKEN
von Berlin, wo der Gedanke eines Führungsteams stärker ausgeprägt ist und
als alternatives Konzept offen diskutiert wird.
Das populistische Agieren im Vorfeld der Regierungsbeteiligung bzw. der
Erlangung eines zweiten Bundesrat-Sitzes, war bei den rechtspopulistischen
Parteien in Österreich und der Schweiz viel intensiver als bei der LINKEN in
Berlin, die sich im Gegensatz zur stärker agierenden Bundes- LINKEN mehr
auf Sachfragen konzentriert hat und auf eine allzu aggressive populistische
Strategie verzichtet hat.
Die Gründe für die Abschwächung des populistischen Agierens der FPÖ in
Österreich und der LINKEN von Berlin während der Regierungsbeteiligung
waren unterschiedlich.
In Berlin sah sich die PDS/LINKE mit der Notwendigkeit konfrontiert, eine
sparsame Haushaltspolitik als Juniorpartner in der Koalition mit der SPD mit-
zutragen, die sogar Entlassungen notwendig machte und durch eine sachori-
entierte, pragmatische Politik Impulse für die künftige Stadtentwicklung zu
356
geben. Die FPÖ in Österreich musste zahlreiche koalitionsbedingte Kom-
promisse eingehen, die weder mit ihrer Programmatik noch mit den Verspre-
chungen im Vorfeld der Wahl vereinbar waren.
Dabei spielte sicher das negative Echo der EU auf die Regierungsbeteiligung
der FPÖ eine Rolle.
Die Zunahme des populistischen Agierens der SVP nach Gewinnung des
zweiten Bundesrat-Sitzes war zum einen durch die völlig anderen Systembe-
dingungen in der Schweiz und zum anderen durch die starken populistischen
Aktivitäten von C. Blocher bedingt.
5.8.3 Unterschiede des Populismus auf verschiedenen Ebenen
Durch die Auswahl von zwei Ländern, für die das populistische Agieren von
Parteien auf nationaler Ebene untersucht wird und der Stadt Berlin, für die
das populistische Handeln einer Partei auf Landesebene, bzw. auf kommu-
naler Ebene analysiert wird, ist es möglich, Aussagen über die unterschiedli-
chen Spielräume für populistisches Agieren auf diesen verschiedenen Ebe-
nen zu machen. Dabei fällt auf, dass der Spielraum für den Populismus auf
nationaler Ebene größer ist.
Dies liegt nicht nur daran, dass die Bürger eine größere Distanz zu vielen
Problemen haben, sondern auch daran, dass zahlreiche Sachfragen, die auf
der nationalen Agenda stehen, z.B. die Zukunft der EU oder die Auswirkung
der Globalisierung auf das eigene Land, (z. B. was sind Hedgefonds), den
normalen Bürger überfordern. Diese Komplexität und Unüberschaubarkeit
der politischen und wirtschaftlichen Problemfelder eines ganzen Landes, stel-
len eine ideale Voraussetzung für populistische Agitation dar.
Diese kann mit Vereinfachungen arbeiten, die dem verunsicherten Bürger
wieder eine neue Orientierung geben, oder mit Feindbildern, die als Sünden-
böcke herhalten müssen, z.B. die Ausländer, die sich in einem Land nieder-
lassen und dort arbeiten wollen. Auf diese Weise ist das Schüren von Stim-
mungen viel leichter möglich und es kommt zu einer wachsenden Emotiona-
lisierung der politischen Diskussion, die eine sachliche Annäherung an Prob-
lemfelder erschwert. Dass der Spielraum auf nationaler Ebene größer ist,
zeigt das Beispiel der Bundes LINKEN der Bundesrepublik Deutschland, die
in der Vergangenheit viel stärker populistisch agiert hat als z.B. die LINKE
357
von Berlin.
Der geringere Spielraum für populistisches Agieren auf Landesebene und vor
allem auf kommunaler Ebene, sieht man einmal von extremistischen Exzes-
sen radikaler linker und rechter Gruppierungen ab215, ist durch die größere
Nähe der Bürger zu den aktuellen Problemen, z.B. dem Ausbau eines Flug-
hafens oder aber der Einrichtung von sozialen Institutionen, bedingt. Durch
die bessere Informiertheit der Bürger, die oft sogar direkt von solchen Prob-
lemen betroffen sind, können die Parteien Sachverhalte nicht ohne weiteres
vereinfachen bzw. manipulativ verzerren. Auf diese Weise bleibt die Diskus-
sion trotz emotionaler Konfrontation auf einer relativ sachlichen und für alle
Beteiligten nachvollziehbaren Ebene. Die Politiker werden durch die Bürger
sehr viel stärker kontrolliert, die deren politisches Handeln kritisch
mitverfolgen und auf Grund ihres besseren Kenntnisstandes auch leichter
bewerten können.
Dadurch sind die Politiker automatisch gezwungen, Probleme sachlicher zu
behandeln, das Gespräch mit den Bürgern zu suchen und Lösungen anzu-
bahnen, die von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden.
Allerdings bedeutet dies nicht, dass das populistische Agieren auf Landes-
und kommunaler Ebene ganz unmöglich ist, da es auch Themen gibt, bei
denen eine klare, sachlich fundierte Stellungnahme schwieriger ist und emo-
tionale Argumentationsstrukturen aufeinanderprallen, oder wenn diese The-
men von nationalen Parteien aus egoistischen Gründen instrumentalisiert
werden. Ein gutes Beispiel für ein solches Thema war „Stuttgart 21―, wo all
diese Verhaltensmuster zu beobachten waren.
215
Spiegel Online Politik, Sachsen: Neues Asylbewerberheim in Hoyerswerda eröffnet, Donnerstag,
30.01.2014, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/hoyerswerda-neues-asylbewerberheim-in-sachsen-eroeffnet-a-950226.html, 13.04.2014. Neue Züricher Zeitung, Der Tag der Schande für Hoyerswerda,
Wie eine sächsische Stadt gegen ihr Image kämpft, 11.februar 2005, 14:18. http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/articleA25CD-1.351246, 13.04.2014. Tagesspiegel Berlin, Buntrock, Tanja, Hasselmann, Jörn, Leimstoll, Susanne,
Brennende Barrikaden Ausschreitungen bei Linken-Demo in Kreuzberg, 16.02.2013. http://www.tagesspiegel.de/berlin/brennende-barrikaden-ausschreitungen-bei-linken-demo-in-kreuzberg/7795594.html Frankfurter Allgemeine Politik, Randale in Hamburg Autonome verletzen 120 Polizisten
5.9 Unterschiedlicher Umgang mit dem Begriff Populismus
5.9.1 Unterschiedliche Bewertung des Populismus
Die Auswertung der Interviews zeigt, dass der Begriff Populismus von den
verschiedenen Personengruppen, trotz der zu Beginn der Arbeit vorgenom-
menen materiellen, räumlichen und zeitlichen Angrenzung in seiner Kenn-
zeichnung als neuer Populismus ganz anders verstanden und interpretiert
wird.
So überwiegen bei der Mehrheit der Politologen und Journalisten aus den
drei Ländern und bei allen interviewten Abgeordneten aus Deutschland eher
die negativen Assoziationen, z.B. das Aufhetzen der Bevölkerung, die Schaf-
fung von internationalen Feindbildern, sowie die starke Vereinfachung und
manipulative Verzerrung komplexer Sachverhalte.
Dagegen überwiegen bei den Abgeordneten in Österreich und der Schweiz
eher positive Assoziationen. Für sie ist populistisches Agieren gleichbedeu-
tend mit bürgernahem Eintreten für die Belange des eigenen Volkes, dessen
Identität vor negativen Einflüssen von außen geschützt wird.
Populistisches Handeln ist in ihren Augen ein völlig legitimes Mittel der De-
mokratie und trägt zur Erneuerung einer verkrusteten Demokratie bei, in der
viele der etablierten Parteien den Kontakt zum Bürger verloren haben, oft
über dessen Kopf hinweg entscheiden.
Dabei fällt auf, dass vor allem die Schweizer Abgeordneten den eigenen Po-
pulismus von dem neuen Populismus in anderen europäischen Ländern ab-
grenzen, dem sie ähnliche negative Attribute zuschreiben wie Teile der Poli-
tologen und Journalisten.
Auf Grund dieser sehr unterschiedlichen Bewertung des Begriffs Populismus,
der sowohl negative als auch positive Assoziationen auslösen kann, er-
scheint seine Verwendung als objektive wissenschaftliche Kategorie proble-
matisch.
Mögliche Auswege aus diesem Dilemma wären die Vermeidung des auch im
öffentlichen und medialen Diskurs stark negativ konnotierten Begriffs wie
dies einige Interviewte machen oder der Versuch, eine differenzierte Sicht
des Begriffs Populismus zu entwickeln. So könnte man eine Unterscheidung
vornehmen zwischen einem konstruktiven, positiven Populismus, der vorran-
gig um mehr Bürgernähe bemüht ist und auf diese Weise die Politikverdros-
359
senheit vieler Menschen bekämpfen und abbauen will, und einem destrukti-
ven bzw. negativen Populismus, der ein rein taktisch-strategisches Mittel ist,
um Wähler zu ködern und der eigenen Partei zu Macht und Einfluss zu ver-
helfen und dabei das Gemeinwohl und die Belange der Bevölkerung aus
dem Auge verliert.
5.9.2 Unterschiedliche länderspezifische Verwendung des Begriffs Po-
pulismus
Ein weiteres Problem ist die unterschiedliche länderspezifische Verwendung
des Begriffs Populismus. So wird der Begriff in Deutschland auf Grund der
NS-Vergangenheit des Landes fast ausschließlich rechts angesiedelt und
generell negativ gesehen. Dies erstaunt insofern, als die Erfahrung von fast
50 Jahren DDR-Diktatur und linkem Populismus offenbar ignoriert wird.
In Österreich wird der Begriff Populismus trotz einer ähnlichen historischen
Vorbelastung durch die NS-Zeit nicht so stark tabuisiert und von den Abge-
ordneten der FPÖ sogar in die Nähe von Bürgernähe und als legitimes Mittel
eines neuen Austro-Nationalismus deklariert.
In der Schweiz, in der nur eine relativ geringe historische Vorbelastung ge-
geben ist216, wird der Begriff Populismus als bürgernahes Eintreten für die
Belange des eigenen Volkes interpretiert, aber auch oft durch andere positive
Formeln ersetzt.
5.9.3 Tendenz der Zuordnung zum echten Parteienspektrum
Das nächste Problem, das den Umgang mit dem Populismus erschwert, ist
die auffällige Tendenz zur Verortung des Populismus im rechten Parteien-
spektrum, die auch bei einem Teil der Interviewpartner sichtbar ist.
Dabei wird oft übersehen, dass die Anwendung populistischer Strategien und
Denkmuster auch bei vielen Linksparteien in Europa weit verbreitet ist, z.B.
bei der LINKEN von Berlin, die durch unrealistische Versprechungen und
Forderungen, z.B. das Eintreten für soziale Maßnahmen, die nicht finanzier-
bar sind, Wähler zu mobilisieren sucht217.
216 Ziegler, Jean, Die Schweiz, das Gold und die Toten, München 1997. 217
Siehe und vergl.: Die LINKE, Marxistisches Forum, http://www.die-linke.de/partei/weiterestrukturen/ weiterezusam menschluesse/marxistischesforum/, 06.02.2013.
360
Genauso wenig typisch für rechtspopulistische Parteien sind auch die pau-
schalen Feindbilder, die in den verschiedenen Ausprägungen auch in den
politischen Diskursen der linken Parteien sichtbar werden. Diese haben zwar
insgesamt eine ganz andere Stoßrichtung und prangern, z.B. den Kapitalis-
mus als Wurzel allen Übels an, decken sich teilweise aber auch mit den
Feindbildern rechtspopulistischer Parteien z.B. durch die Frontstellung gegen
die etablierten Parteien, die angeblich in vielfacher Hinsicht versagt haben
und durch politischen Filz und Korruption gekennzeichnet sind.
Eine weitere bedenkliche Folge dieser einseitigen Zuordnung des Populis-
mus zum rechten Parteienspektrum ist auch, dass die vielfältigen Varianten
und Erscheinungsformen des Populismus bei den etablierten Parteien der
demokratischen Mitte ignoriert werden und diese Tatsache zu wenig Beach-
tung findet, dass auch die Regierungsparteien immer gezielter zu populisti-
schen Mitteln greifen.
Der Begriff Populismus in dieser auf das rechte Parteienspektrum eingeeng-
ten Form ist auch deshalb nicht brauchbar, da er als Mittel der Abwertung
rechter Parteien eingesetzt wird und die Tatsache ausblendet, dass linke
Parteien oder etablierte Parteien ganz ähnliche oder vergleichbare Strategien
einsetzen, um möglichst viele Bürger im demokratischen System für sich zu
mobilisieren218.
Partei die LINKE, Berliner Ostermarsch-Forderungen 2012, http://www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplatt form derparteidielinke/mitteilungenderkommunistischenplattform/ detail/archiv/2012/mai/zurueck/archiv-2/artikel/berliner-ostermarsch-forderungen-2012/, 06.02.2013. Die LINKE, Aktionstag am 29. September, http://www.die-linke.de/politik/aktionen/umfairteilen/ 06.02.2013. Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, presse, http://www.linksfraktion-berlin.de/politik/presse/browse/2/ 06.02.2013. 218
http://m.faz.net/aktuell/wirtschaft/strompreis-gruener-populismus-11867076.html, 06.02.2013. Die Welt, 05.08.2012, Gabriel verlangt "sozialen Patriotismus
http://www.welt.de/newsticker/news3/article108485342/Gabriel-verlangt-sozialen-Patriotismus.html, 06.02.2013. Focus online, Thesenpapier ist „billiger Populismus―, Schäuble geißelt Gabriels Angriff auf die Ban-
ken, 23.07.2012 http://www.focus.de/politik/deutschland/thesenpapier-ist-billiger-populismus-schaeuble-geisselt-gabriels-angriff-auf-die-banken_aid_785756.html, 06.02.2013. Vates, Daniela, Populismus aus Angst,, Frankfurter Rundschau , 09. Oktober 2011, http://www.fr-
Siehe: Stögner, Karin, Bruno Kreisky, Antisemitismus und der österreichische Umgang mit dem Nationalso-
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dem schweizerischen Regierungssystem, 2008
365
2. Das Selbst-Framing der Politiker der rechtspopulistischen Parteien in Ös-
terreich und der Schweiz unterscheidet sich auf auffällige Weise vom Selbst-
Framing der linkspopulistischen Politiker aus Deutschland/Berlin. Während
für die Politiker der Alpenländer der neue Populismus fast deckungsgleich
mit Bürgernähe ist, lehnen die deutschen Politiker eine Einstufung ihrer Par-
tei ins linkspopulistische Lager entschieden ab und machen damit deutlich,
dass der neue Populismus bei den rechtspopulistischen Parteien anzusie-
deln und etwas Negatives ist.
Eine so klare Abgrenzung zum neuen Parteienpopulismus lässt sich bei den
Deutungsmustern der Politologen und Journalisten der drei Länder nicht
feststellen. Es fällt auf, dass die Politologen und Journalisten aus Deutsch-
land und Österreich den Populismus kritischer sehen und teilweise die Auf-
fassung der Politiker teilen, dass die Linke von Berlin nicht als populistisch
betrachtet werden kann222.
3. Was die Auswirkungen einer Regierungsbeteiligung auf das populistische
Profil der untersuchten Parteien anbetrifft, überwiegt bei den Politologen und
Journalisten die Auffassung, dass diese das populistische Profil stark ab-
schwächt und dass deshalb das Streben nach einer Regierungsbeteiligung
nicht sinnvoll ist. Eine aktive und konfrontative populistisch geprägte Opposi-
tionsrolle ist demnach besser für die Parteien, da sie keine Kompromisse
eingehen müssen, die ihre Glaubwürdigkeit erschüttern. Diese Auffassung
wird von den Abgeordneten der drei Länder nicht geteilt, die die Regierungs-
beteiligung ihrer Parteien auch im Nachhinein grundsätzlich billigen und eine
deutliche Abschwächung des populistischen Profils auf Grund der koalitions-
bedingten Anpassungszwänge als unvermeidlich in Kauf nehmen. Allerdings
war diese Abschwächung des populistischen Profils in der Schweiz nicht ge-
geben. Hier ließ sich sogar eine deutliche Zunahme des populistischen Agie-
rens nach der Gewinnung des zweiten Bundesratsitzes und der damit ver-
bundenen stärkeren Präsenz der SVP in der Schweizer Regierung beobach-
. Decker, Frank (Hrsg.) Populismus, Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesba-
den 2006. 225
Wahlergebnisse Linke von Berlin, Die Landeswahlleiterin Berlin, Wahlen 2006, 2011.
http://www.wahlen-berlin.de/wahlen/be2011/ergebnis/Karten/Erststimmen/erst.asp? sel1=1052&sel2=065,02.01.2014. Der Landeswahlleiter (Hrsg.), Wahlen in Berlin am 21. Oktober 2001
ohne Einschränkung fortführen kann. Die Konsequenzen, die die befragten
Personengruppen aus diesen Tatsachen ziehen, sehen allerdings verschie-
den aus. Während die Abgeordneten in Berlin und in Österreich mehrheitlich
aus verschiedenen Gründen eine neuerliche Regierungsbeteiligung befür-
worten, obwohl ihre Partei durch die Regierungsbeteiligung erhebliche Stim-
menverluste hinnehmen musste, sehen Teile der Journalisten und Politikwis-
senschaftler nur eine Möglichkeit, das langfristige Überleben von populisti-
schen Parteien zu sichern, das populistische Agieren aus der Opposition
heraus gegen Bündnisse der etablierten Parteien226. So bemerkte die öster-
reichische Journalistin Dr. Salomon bei ihrem Interview treffend: „Populisten
werden durch eine Regierungsbeteiligung in der Regel entzaubert―227.
5.11 Der Forschungsansatz der Arbeit und seine mögliche Weiterfüh-
rung
Der Forschungsansatz der vorliegenden Arbeit, die vergleichende Betrach-
tung von Deutungsmustern einer Ländergruppe des demokratischen Europa,
sollte systematisch weitergeführt werden. Deutschland, Österreich und die
Schweiz stellen ja nur einen kleinen Ausschnitt aus der demokratischen eu-
ropäischen Staatenwelt dar. So bieten sich zahlreiche andere Ländergruppen
für einen Vergleich an, z.B. die skandinavischen Länder Dänemark, Norwe-
gen, Schweden und Finnland oder die Benelux – Staaten Belgien, Holland,
Luxemburg, Länder mit lange etablierten Demokratien, oder Spanien, Portu-
gal, Griechenland, die erst vor einigen Jahrzehnten den mühsamen Weg zur
Demokratie beschritten haben. Natürlich kommen auch Ländergruppen Ost-
europas für einen solchen Vergleich in Frage, z.B. die baltischen Staaten
Litauen, Lettland und Estland oder Polen, Tschechien und Ungarn, um nur
einige zu nennen. Dabei sollte die gleiche Methodik wie in der vorliegenden
Demokratiezentrum Wien, Wahlergebnisse der FPÖ
Ergebnisse der Nationalratswahlen 1945-2008, Quelle: http://www.bmi.gv.at/wahlen, 14.11.2013. 226
Vgl. Dr. Lederer Interview, Frage 8, Anhang. Pelinka, Anton, Die FPÖ: Eine rechtspopulistische Regierungspartei zwischen Adaption und Oppositi-
on, in: Frölich-Steffen, Susanne/Rensmann, Lars (Hrsg.), Populisten an der Macht, Wien 2005. S. 87 -102. Pelinka, Anton,(Hrsg.),Populismus in Österreich, Wien 1987, S.7. 227
Vgl. Interview Dr. Salomon Antwort auf Frage 8, Anhang. Grabow, Karsten, Hartleb, Florian, EUROPA – NEIN DANKE? Studie zum Aufstieg rechts- und
nationalpopulistischer Parteien in Europa, S. 1-10/ 19-27, 2. Dez. 2013, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., ISBN 978-3-944015-99-6 http://www.kas.de/wf/de/33.36200/, 02.01.2014.
369
Arbeit angewendet werden, also das „most different case design―, das links-
und rechtspopulistische Parteien in die Untersuchung mit einbezieht, die auf
verschiedenen Ebenen ihrer Länder verortet sind, sowie die Framing-
Methode, die eine multiperspektivische Sicht des jeweiligen Parteienpopu-
lismus und zahlreiche weitere Vergleichsansätze ermöglicht. Allerdings gibt
es bei den Vergleichen dieser Staatengruppen mit Sicherheit Sprachproble-
me, die eine Untersuchung erschweren und die in der vorliegenden Arbeit
nicht auftraten.
Die Betrachtung des Parteienpopulismus in diesen Ländergruppen sollte un-
ter dem gleichen thematischen Aspekt durchgeführt werden und die Auswir-
kungen einer Regierungsbeteiligung auf populistische Parteien und ihr Agie-
ren zum Gegenstand haben. Dabei müsste die Analyse wie in der vorliegen-
den Arbeit in drei Phasen zerlegt werden, die Entwicklung des populistischen
Profils vor der Regierungsbeteiligung, den Einfluss der Regierungsbeteili-
gung auf das populistische Profil, sowie mögliche Veränderungen des popu-
listischen Profils, die durch die Erfahrungen während der Regierungsbeteili-
gung bedingt sind.
Die Untersuchung unter diesem klar definierten Aspekt muss natürlich auf
einen zeitlich begrenzten, überschaubaren Zeitraum konzentriert sein und
sollte nicht mehr als zwei Regierungsbeteiligungen umfassen.
Das Ergebnis dieser Studien wird ein tieferer und genauerer Einblick in die
langfristigen Entwicklungsstudien des Parteienpopulismus im demokrati-
schen Mitteleuropa sein, der die Auswirkungen länderspezifischer Besonder-
heiten auf diesen neuen Parteienpopulismus berücksichtigt.
Eine entscheidende Frage wird dabei auch in Zukunft sein, ob der neue Po-
pulismus von Parteien, der vor allem in Deutschland noch sehr negativ gese-
hen wird, sich immer stärker als legitimes Mittel der Politik durchsetzen wird.
Kapitel 5.12 Abschließendes Fazit
Natürlich tauchen in einer Dissertation immer wieder Fragen auf, warum der
eine oder andere Punkt der Arbeit nicht vertieft oder warum der eine oder
andere Punkt nicht noch intensiver erarbeitet wurde.
So gibt es auch in dieser Arbeit einige Punkte, die man scheinbar hätte stär-
ker ausarbeiten oder intensiver vertiefen müssen.
370
In Anbetracht des sehr aufwendigen Interviewverfahrens und der dadurch
gegebenen Menge des empirischen Materials war es in der vorliegenden
Arbeit nicht möglich, bestimmte Aspekte zu vertiefen bzw. in die Analyse mit
einzubeziehen. So war der Ausgangspunkt das Problem der Unschärfe des
Populismus-Begriffs. Bisher scheiterten alle Versuche der Politikwissen-
schaft, eine überzeugende Präzisierung dieses schwammigen Begriffs
durchzuführen. Aber mit der Unterscheidung zwischen einem positiven und
negativen Populismus wurde eine Teilpräzisierung vorgenommen, die das
weit verbreitete Feindbild des Populismus im öffentlichen und politischen
Diskurs in Frage stellt und den Blick auf positive Seiten populistischen Agie-
rens lenkt.
Die Unterscheidung zwischen einem positiven und negativen Populismus,
zwischen dem es zahlreiche Abstufungen gibt, ist auch eine Chance sich mit
dem anderen Populismus-Verständnis in Nachbarländern auseinanderzuset-
zen und daraus Erkenntnisse zu ziehen.
Vorrangiges Ziel war neben dem Vergleich zwischen den Deutungsmustern
verschiedener Länder- und Personengruppen zum populistischen Agieren
vor, während und nach einer Regierungsbeteiligung die genaue Analyse der
Selbsteinschätzung rechts- und linkspopulistischer Politiker und die Gründe
für diese Selbsteinschätzung. Eine Einschätzung von Politikern anderer Par-
teien wäre nicht nur ungeheuer aufwendig gewesen, sondern hätte auch das
Problem einer sinnvollen Auswahl der Interview-Partner aufgeworfen, die
repräsentativ für das jeweilige Land gewesen wären.
Auch die Einbeziehung von Parteiprogrammen der drei behandelten Parteien
hätte zusätzlichen Ertrag versprochen, aber eine systematische Auswertung
der Programme hätte den Rahmen der ganzen Arbeit gesprengt. Durch die
Einarbeitung der Wahlprogramme und deren Auswertung wird in der Arbeit
dennoch ein anschauliches Bild vom Wandel des Profils der drei untersuch-
ten Parteien vermittelt, das durch zahlreiche Wahlanalysen und Wahlbefra-
gungstabellen ergänzt wird, die die Haltung und Reaktion der Wählerschaft
371
zu diesen Parteien und deren Partei- und Wahlprogrammen reflektieren.
In der vorliegenden Arbeit wurde auch bewusst darauf verzichtet, die beson-
dere Qualität der Frames der Wissenschaftler und zum Teil auch der Journa-
listen noch ausdifferenzierter als geschehen darzulegen. Die Expertise der
befragten Persönlichkeiten wurde bei ihrer Vorstellung im Anhang der Arbeit
kurz erläutert.
Die besondere Qualität dieser Frames wird aber auch durch die Art der Ar-
gumentation der interviewten Persönlichkeiten sichtbar. Allerdings können
Journalisten und Politiker, auf Grund ihrer beruflichen Expertise bzw. die In-
nensicht zu den untersuchten Parteien vergleichbar kompetente Aussagen
zum Neopopulismus formulieren. Dies galt es in der Arbeit darzustellen.
Eine Binnenreflexion der Frames der befragten Funktionsgruppen, z.B. der
Politologen nach dem politikwissenschaftlichen Ansatz, oder der Journalisten
nach ihrer Stellung im politischen Lager wurde nicht vorgenommen. Statt-
dessen konzentrierte sich die Arbeit auf international anerkannte
Populismusforscher der drei Länder, auf wichtige Persönlichkeiten der Pres-
selandschaft, die für renommierte Zeitungen in Deutschland, Österreich und
der Schweiz tätig sind, sowie auf Politiker, die der Parteiführung angehören
oder ihr nahe stehen.
Die Einstufung der Partei die LINKE von Berlin ins neopopulistische Lager
erfolgte, weil die Partei vor ihrer Regierungsbeteiligung eindeutig populistisch
agierte, was auch die Aussagen der Mehrheit der Politologen und Journalis-
ten bestätigen.
Das populistische Agieren der Partei in dieser Zeit spiegelt sich auch in den
Wahlprogrammen der Partei und den Reden ihrer Spitzenpolitiker in der Zeit
vor der Regierungsbeteiligung. Allerdings schwächte sich das populistische
Verhalten während der Regierungsbeteiligung deutlich ab.
372
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation: Deutungsmus-
ter des Populismus, eine vergleichende Analyse des Framings populistischer
Parteien in der Regierungsverantwortung in Deutschland, Österreich und der
Schweiz 1985 – 2013, selbständig und ohne unerlaubte fremde Hilfe ange-
fertigt und andere als die in der Dissertation angegebenen Hilfsmittel nicht
benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten
oder nicht veröffentlichten Schriften entnommen sind, habe ich als solche
kenntlich gemacht. Die vorliegende Dissertation hat zuvor keiner anderen
Stelle zur Prüfung vorgelegen. Es ist mir bekannt, dass wegen einer falschen
Versicherung bereits erfolgte Promotionsleistungen für ungültig erklärt wer-
den und eine bereits verliehene Doktorwürde entzogen wird.
Bad Kissingen, den___________________ Unterschrift __________________________________
18.12.2014
373
6. Literaturverzeichnis
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Eine Einführung 8., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden 2000.
Odermatt erklärt die Zurückhaltung der SVP zu Beginn der 90er Jahre mit
ihrer stärkeren Konsensorientierung, die Unterschiede zu den anderen Par-
teien waren geringer.
Erst nach 1992, als die Möglichkeit eines EU-Beitritts der Schweiz aktuell war
und Gegenstand einer Volksabstimmung wurde, hat sich die SVP stärker
abgekapselt und vermehrt populistische Strategien eingesetzt. Ein weiterer
541
Grund für den Verzicht auf populistisches Agieren war die Tatsache, dass in
der Zeit des Kalten Krieges die Fronten in Europa klar gezogen waren und
die Schweiz dabei eine Sonderstellung genoss. Die Politik der Schweiz war
irgendwie homogener einfacher und überschaubarer, wobei die SVP, zwar
schon immer Rechts orientiert war, aber viel stärker in das bürgerliche Par-
teiensystem eingebunden war.
Vogel weist darauf hin, dass die SVP schon seit Ende der 20er Jahre immer
an der Regierung beteiligt war, und da ihre Regierungsbeteiligung immer als
etwas selbstverständliches betrachtet wurde, hatte sie keine besondere
Wahlkampfstrategie nötig.
Dies änderte sich vor der letzten Bundesratswahl 2007, als eine sehr stark
Personen bezogene Kampagne von der SVP zu Gunsten von Dr. Blocher
durchgeführt wurde, die aber genau das Gegenteil bewirkte und zur Abwahl
von C. Blocher führte. Artur Vogel erklärt dieses Ergebnis auch damit, dass
in der direkten Demokratie der Schweiz, ein Politiker, der sich zu stark in den
Vordergrund rückt, suspekt erscheint und deshalb nicht gewählt wird.
Dr. Senti betont ebenfalls, dass die SVP schon immer Regierungspartei war.
Sie war allerdings ursprünglich eine bäuerlich, gewerbliche Abspaltung vom
alles bestimmenden Freisinn (FDP) und hieß daher auch Bauern, Gewerbe
und Bürgerpartei (BGB).
Diese Ausrichtung auf ganz bestimmte Zielgruppen änderte sich auch nicht
als der BGB Anfang der 70er Jahre, durch den Zusammenschluss mit den
Demokraten, einer bürgerlichen Partei, zur SVP wurde. Zu dieser Zeit agierte
die SVP noch nicht populistisch, da sie über ein festes und klar umrissenes
Klientel verfügte, nämlich die Bauern und das Kleingewerbe. Ihre national –
konservative Prägung erhielt die SVP erst nach 1990 im Zuge der EWR-
Abstimmung, als Dr. Blocher, der Präsident der Züricher Kantonalpartei der
SVP, es erreichte, dass die Landespartei der SVP über Jahre hinweg The-
men und Stil der Züricher Sektion übernahm.
Dies so Senti, hatte überhaupt nichts mit der Regierungsbeteiligung zu tun,
sondern war bedingt durch das Konkordanz-System der Schweiz, welches
einer Partei die Möglichkeit gibt gleichzeitig Regierung und Opposition zu
spielen.
542
7. Welche Rolle spielt nach Ihrer Auffassung die personelle Komponen-
te, also die Existenz einer Führerfigur, für die Erfolgschancen einer po-
pulistischen Partei?
Odermatt schätzt die Bedeutung der personellen Komponente, also die Exis-
tenz einer Führungspersönlichkeit im speziellen Fall der Schweiz, sehr hoch
ein. Die für Schweizer Verhältnisse unglaublichen Wahlerfolge der SVP, wä-
ren ohne Dr. Blocher und das Charisma seiner Persönlichkeit unmöglich ge-
wesen und die Partei hat ihm sehr viel zu verdanken. Er hält daher einen
Vergleich C. Blochers mit Jörg Haider und Silvio Berlusconi für absolut ge-
rechtfertigt.
Vogel unterstreicht diese Sichtweise und verdeutlicht die Bedeutung von
Führungspersönlichkeiten durch Beispiele aus ganz Europa, z.B. Jörg Hai-
der, Franz Josef Straus und Le Pen, die alle eine sehr wichtige Rolle bei den
populistischen Parteien spielen oder gespielt haben.
Dr. Senti betont, dass Dr. Blocher nicht der erste charismatische Führer einer
populistischen Partei in der Schweiz war und erwähnt, dass bereits die
rechtspopulistische Nationale Aktion für Volk und Heimat, Anfang der 70er
Jahre, einen charismatischen Rechtsintellektuellen hatte. Aber die Bedeu-
tung von C. Blocher für die SVP ist in den Augen von Senti ungleich größer,
ohne seine Person ist das Erstarken als konservative Kraft kaum vorstellbar
und er charakterisiert mit einem sehr treffenden Satz die Fähigkeiten von Dr.
Blocher: „Ein milliardenschwerer, international tätiger Unternehmer und
gleichzeitig ein konsequent national-konservativer Heidi-Politiker, diesen
Spagat muss man erst einmal vollbringen können―.
8. War das populistische Profil der SVP ein taktisches Mittel zur Etablie-
rung der Partei in der Regierungsverantwortung oder Ausdruck inhaltli-
cher Grundpositionen?
Odermatt betrachtet das populistische Profil der SVP als taktisches Mittel um
die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Person von C. Blocher zu len-
ken, andererseits aber auch als inhaltlichen Ausdruck seiner wesentlichen
Anliegen. Dr. Blocher geht es darum, dass die Schweiz ihre Traditionen, ih-
ren Wohlstand, ihre Sicherheit und die Unabhängigkeit besser ins 21. Jahr-
hundert hinüber retten und auf die Dauer bewahren kann, wenn sie außer-
543
halb der EU bleibt. Durch dieses EU- feindliche Profil, aber auch durch das
Eingehen auf die Ängste der Bevölkerung vor dem Ausländerzustrom und
seinen bedenklichen Folgen, z.B. die hohe Kriminalität und die schlechte In-
tegration, hat die Partei ihre Erfolgschancen verbessert. Mittlerweile gibt es in
der Schweiz einen Ausländeranteil von über 20% und das ist natürlich ein
idealer Nährboden für eine rechtspopulistische Partei.
Vogel sieht in dem populistischen Profil ein Mittel, um schnell große Wähler-
anteile für die SVP zu gewinnen und damit die SVP von einer kleinen Partei
mit etwa 10% Wähleranteil zur größten Partei der Schweiz mit etwa 30% zu
machen.
Dr. Senti betont, wie bereits oben erwähnt, dass das Schweizer Konkordanz-
System einer Partei, die in der Regierung vertreten ist, die Möglichkeit bietet,
trotzdem gegen Maßnahmen der Regierung zu opponieren. Seiner Meinung
nach war das vorrangige Ziel des Populismus der SVP ihr Wählerpotential
auszubauen und einen Sitz mehr in der Allparteienregierung zu erhalten,
aber dabei brauchten sie ihre inhaltlichen Positionen nicht zu verändern.
Über die Frage, welche Themen eher Mittel zum Zweck oder Ausdruck in-
haltlicher Grundpositionen sind, gibt es aber keinen festen innerparteilichen
Konsens, so dass die Kompromissfindung innerhalb der SVP in dieser Frage
schwierig geworden ist.
9. Welche Auswirkungen hatte die Regierungsbeteiligung auf das popu-
listische Profil der SVP? Wurde dadurch das populistische Profil ge-
schärft oder abgeschwächt?
Odermatt erklärt, dass sich die Erwartungen der Schweizer Parteien nicht
erfüllt haben, die Blocher 2003 in den Bundesrat gewählt haben, um seine
Wahlerfolge zu stoppen und die SVP wieder in das Schweizer Konsens-
System einzubetten. Aber Dr. Blocher, der als Bundesrat erst recht eine
Wahlkampflokomotive war, profilierte sich nach wie vor als der starke Mann
in der Partei. Dadurch wurde das populistische Profil der SVP sogar noch
gestärkt und ein Vergleich mit dem blassen, jetzigen Bundesrat Ueli Maurer,
der niemals die Stärke und die Persönlichkeit von Dr. Blocher auch nur an-
nähernd erreichen konnte, zeigt, dass die Schärfung des populistischen Pro-
fils nicht durch die Regierungsbeteiligung der SVP bedingt war, sondern ein-
544
zig und allein durch das Charisma von Dr. Blocher.
Vogel vertritt eine andere Meinung und glaubt, dass die Regierungsbeteili-
gung eher dazu geführt hat, das populistische Profil etwas abzuschleifen.
Durch die Doppelrolle der Partei von Regierungsbeteiligung und Opposition
war die SVP gezwungen immer hin und her zu lavieren. Sie konnte in der
Regierung nicht die gleichen extremen Positionen vertreten, wie dies in der
Opposition verlangt wird, zumal sie trotz ihrer beachtlichen Wahlergebnisse
von 27% noch keine Mehrheitspartei war.
Dr. Senti registriert, dass nach der Erringung von zwei Sitzen im Bundesrat
durch die SVP, keine wesentlichen Veränderungen ihrer Politik und damit
ihres populistischen Profils erfolgte. Nach der Abwahl von Dr. Blocher sind
seiner Meinung nach, die Themen und der Stil der Partei gleich geblieben.
Kleine Unterschiede gab es allenfalls im Ausmaß der Kompromissbereit-
schaft der Partei.
10. War die SVP gezwungen, als Partner im Bundesrat, einige politische
Grundsätze aufzugeben? Wie vertrug sich dies mit den Leitlinien der
Grundsatzprogramme, die doch zum Teil populistisch geprägt sind?
Odermatt sieht bei dieser Frage kein Problem für die SVP, die er nicht mehr
als Partei im traditionellen Sinn betrachtet, sondern fast schon als eine Be-
wegung. Die Leute, die heute SVP wählen, haben gleichsam einen Vertrag
mit dieser Partei, der auch dadurch nicht in Frage gestellt werden kann, dass
ein SVP-Bundesrat Ueli Maurer als Mitglied des kollegialen Bundesrats Posi-
tionen vertreten muss, die mit den Leitlinien der Partei unvereinbar sind. Sie
wissen, dass der SVP Bundesrat seine eigene Position nicht aufgegeben hat,
und sich gegen die Mehrheitspositionen im Bundesrat zur Wehr gesetzt hat.
Vogel weist darauf hin, dass alle SVP-Mitglieder in der Landesregierung au-
ßer C. Blocher als Bundesratsmitglieder von dem prinzipiellen Grundsatzpo-
sitionen ihrer eigenen Partei abweichen mussten, was zu Spannungen mit
der eigenen Partei führte. Dabei ist die Partei von ihren politischen Grundsät-
zen nicht abgewichen, während der SVP- Bundesrat Ueli Maurer durch den
Zwang zum Konsens im Bundesrat von den Grundpositionen seiner Partei
abrücken musste. Als Beispiel für dieses unterschiedliche Agieren des SVP
Bundesrates und seiner Partei, führt Vogel die Frage der zukünftigen Rolle
545
der Schweizer Armee an, bei der der SVP Verteidigungsminister mit Rück-
sicht auf das Regierungskollektiv notgedrungen zu anderen Antworten kom-
men muss als seine Parteibasis und seine Parteiführung, die auch weiterhin
populistisch agieren kann.
Dr. Senti betont, dass eine Partei, die im Bundesrat vertreten ist, ihre Grund-
sätze nicht aufgeben muss, und erläutert das an einem Beispiel, nämlich der
Haltung der SP zur Abschaffung der Armee. Das Schweizer Konkordanz-
System ist grundsätzlich auf Kooperation ausgelegt, allerdings, so Dr. Senti,
bedarf es einer starken Mehrheit, um eine populistische Minderheit im Zaum
zu halten. Eine solche Mehrheit fehlt aber zurzeit in der Schweiz.
11. Wie hat sich Ihrer Auffassung nach die stärkere Anpassung an die
Partner im Bundesrat auf den Zusammenhalt innerhalb der SVP, die
Stammwählerschaft und das Image der Partei in der Öffentlichkeit aus-
gewirkt?
Odermatt betont, dass die Wahl eines Bundesrates, der nicht auf der Blo-
cher-Linie war, so z.B. Adolf Ogi oder Samuel Schmid, selbstverständlich von
der Partei akzeptiert wurde. Dies änderte sich aber mit der Wahl, aber vor
allen Dingen der Abwahl von C. Blocher. Ueli Maurer wurde nicht akzeptiert,
weil er den Blocher-Kurs innerhalb der SVP nicht zur Geltung bringen konn-
te, und Frau Widmer-Schlumpf wurde sogar aus der Partei ausgeschlossen,
weil sie sich an Stelle von C. Blocher in den Bundesrat wählen ließ. Dies
zeigt deutlich, dass die SVP nun sehr viel stärker noch einen Vertreter der
Blocher-Linie im Bundesrat möchte.
Nach Auffassung von Vogel orientiert sich die Stammwählerschaft vorrangig
an den Prinzipien der Partei und sieht in den Abweichungen von diesen
Grundsätzen, die ja im Bundesrat notwendig sind, kein größeres Problem. Ihr
geht es vorrangig darum, sich an den Vorgaben einer klar definierten Führer-
figur wie Dr. Blocher zu orientieren, die allerdings auch aus biologischen
Gründen sich aus der Politik zurück ziehen kann.
Dr. Senti vertritt die Auffassung, dass eine solche Anpassung an die Partner
im Bundesrat nie stattgefunden hat, da es in der Schweiz im Gegensatz zu
den Konkurrenzdemokratien anderer europäischer Staaten, keinerlei Koaliti-
onsvereinbarungen und auch keine Fraktionsdisziplin im Parlament gibt.
546
Dies bedeutet, dass das SVP Programm nicht mit Rücksicht auf irgendwel-
che Partner verändert werden muss, so dass das Image der Partei nicht be-
einträchtigt wird und glaubwürdig bleibt.
12. Glauben Sie, dass die populistischen Parteien Konsequenzen aus
den Erfahrungen, die sie im Rahmen der Regierungsbeteiligung ihrer
Partei gewonnen haben, für die künftige Gestaltung des populistischen
Profils ziehen?
Nach einhelliger Meinung der drei Journalisten stellt sich diese Frage für die
Schweiz nicht, weil die SVP, wie Vogel erklärt, in einer für die Schweiz typi-
schen Zwittersituation ist und gleichzeitig Regierung und Opposition ist. Inso-
fern hat die Regierungsbeteiligung der SVP keine Auswirkungen auf die Par-
teipolitik und auf das populistische Profil der Partei.
13. Sehen Sie die SVP als Wegbereiter einer neuen politischen Kultur,
in der das populistische Moment sehr stark an Gewicht gewinnt und
traditionelle Formen der Demokratie überlagert?
Odermatt räumt ein, dass die SVP sicher populistisch ist, sich aber in der
Vergangenheit stets an die Spielregeln der Demokratie gehalten hat und
deshalb als eine Partei angesehen werden muss, die sich innerhalb des de-
mokratischen Spektrums bewegt, auch wenn sie populistische Züge trägt.
Die SVP ist also kein Wegbereiter einer neuen politischen Kultur.
Vogel konstatiert eine allgemeine Tendenz vieler Schweizer Parteien mehr
auf populistische Elemente zurück zu greifen und vor allem auch in ihrer
Wahlpropaganda populistisch zu agieren um in der Wählergunst zuzulegen.
Dieses Erstarken des populistischen Moments, das andere traditionelle For-
mender Demokratie überlagert muss aber nicht unbedingt schlecht sein und
kann auch nicht als Indiz für eine politische Krise der politischen Kultur in der
Schweiz und auch anderswo betrachtet werden.
Dr. Senti vergleicht die neue SVP und ihr Auftreten mit dem Aufstieg d er
Schweizer Grünen, Diese haben auch einst bewirkt, dass die Parteien etwas
grüner wurden. In gleicher Weise hat die SVP dafür gesorgt dass alle Partei-
en etwas stärker nach rechts gerückt sind, was z.B. ihre Positionen in der
Ausländerpolitik oder der Frage der inneren Sicherheit anbelangt. Dieses
547
Auftreten der SVP hatte auch Rückwirkungen auf den Stil der politischen Kul-
tur, der nun stärker durch markiges Auftreten, gezielte Provokation bei Par-
teikampagnen sowie einer abnehmenden Kompromissbereitschaft, gekenn-
zeichnet war. Dies hat aus Sicht von Senti zu einer stärkeren Annäherung
der Schweizer politischen Kultur an das politökonomische Stimmenmaximie-
rungsmodell geführt, wie es Joseph Schumpeter einst trefflich skizziert hat:
„Sachpolitik wird nun stärker im Hinblick auf die Profilierung für bevorstehen-
de Wahlen eingesetzt, das war in der Schweiz früher weniger ausgeprägt der
Fall―.
14. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dau-
erhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten SVP, wenn Sie die his-
torischen und politischen Aspekte in die Betrachtung mit einbeziehen?
Odermatt glaubt, dass die SVP sich einerseits ganz konsequent auf ihren
inhaltlichen politischen Kern konzentrieren und sich als einige Partei präsen-
tieren muss, die einen EU-Beitritt kategorisch ausschließt. Andererseits muss
sie aber Sorge dafür tragen, dass nach dem altersbedingten Ausscheiden
von Dr. Blocher, der am 1. Oktober 2010 siebzig Jahre wurde, eine Nachfol-
gekrise vermieden wird, die der SVP schaden würde. Die entscheidende
Frage ist daher für Marcel Odermatt, wie lange Dr. C. Blocher in der Partei
noch den Ton angibt, denn ohne diese charismatische Führungspersönlich-
keit von C. Blocher könnte ein Vakuum entstehen und es könnten Konflikte
um die Nachfolge ausbrechen.
Vogel ist der Meinung, dass die SVP mit knapp 30% Wähleranteil ihr maxi-
males Wählerpotential ausgeschöpft hat, und er traut der SVP nicht zu, die
absolute Mehrheit zu gewinnen, zumal dies seit Mitte des 19. Jahrhunderts
keiner Partei mehr gelungen ist. Er hält es aber für das große Verdienst der
Partei, wieder Themen in den politischen Diskurs eingebracht zu haben, die
durch den „ Terror der politischen Korrektheit― tabuisiert waren. Die Diskussi-
on dieser Fragen zwingt die anderen Parteien sich auch mit diesen Themen
zu beschäftigen und zu versuchen Lösungen zu finden. Diese könnten natür-
lich dem populistischen Anspruch der SVP nicht genügen, aber in die richtige
Richtung führen und vor allem mehrheitsfähig sein.
548
Dr. Senti entwirft ein ambivalentes Bild vom Schweizer Konkordanzsystem,
das die populistischen Parteien gleichzeitig beflügelt und hemmt. Durch die
Direktdemokratie beflügelt es auch die die populistisch ausgerichteten Par-
teien und bietet auch kleineren Oppositionsparteien die Chance sich in Sze-
ne zu setzen, sich durch Themen zu profilieren, regelrechte Kampagnen auf-
zubauen und bestimmte Themen dauerhaft zu bewirtschaften. Die Konkor-
danz ermöglicht aber auch das unmögliche zu verlangen und sogar durchzu-
setzen, ohne direkt die Verantwortung übernehmen zu müsse. Treffend be-
merkt
Dr. Senti: „Die Allparteienregierung wurde nicht ohne Grund schon als Sys-
tem der institutionalisierten Verantwortungslosigkeit bezeichnet―. Umgekehrt
wirkt die Konkordanz nach Meinung von Dr. Senti aber sicher auch brem-
send für den Populismus in jeder Ausprägung, vor allem für den Populismus
der SVP, obwohl diese heute die wählerstärkste Partei ist, kann sie weder
die Regierung selber bilden, noch kann sie im Parlament politisch viel errei-
chen. Mit knapp 30 Prozent ist die SVP immer auf Unterstützung aus ande-
ren Lagern angewiesen, und je radikaler sie politisiert, desto weniger kann
sie auf Unterstützung zählen. In der Schweiz sind es somit trotz anhaltender
Wahlverluste immer noch die moderat bürgerlichen Mitteparteien, die den
Ton angeben. Die Konkordanz führt bei der Gesetzgebung zu einem System
der wechselnden Mehrheiten je nach Sachthema: Einmal verbündet sich die
Mitte mit links (etwa in der Europapolitik), ein andermal mit rechts (etwa in
der Sozialpolitik). Die Mitte setzt sich also sachpolitisch zumeist durch, ver-
liert dadurch aber etwas an Profil und verliert Wahlen. Umgekehrt gilt: „Auch
wenn die SVP Wahlen gewinnt, so kann sie ihre eigenen politischen Ziele
doch nicht umsetzen, was paradox tönt. In einem Konkurrenzsystem ist das
nicht denkbar und darum für Außenstehende auch so schwierig zu verste-
hen―.
549
Jürg Stahl
Nationalrat SVP
Kanton Zürich
Interview: 15.09.2010
Prof. Dr. phil. Christoph Mörgeli
Uerikon
Nationalrat SVP
Dozent Universität Zürich
Interview: 15.09.2010
Natalie Rickli
Wimterthur
Nationalrätin SVP
Zürich
Interview: 15.09.2010
Bruno Zuppiger
Nationalrat SVP
Kanton Zürich
Interview: 15.09.2010
Hans Fehr
Nationalrat SVP
Eglisau
Interview: 15.09.2010
550
1. Ist es legitim, von einem neuen Populismus der demokratischen Par-
teien in West- und Mitteleuropa zu sprechen, der sich seit Ende der 80er
Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung neuer Wähler völlig
neuer Strategien bedient?
Stahl hält es nicht für legitim von einem neuen Populismus der demokrati-
schen Parteien der Schweiz zu sprechen, weil es dort schon seit 1848 gefes-
tigte demokratische Strukturen gibt.
Im Gegensatz zu Stahl der diesen neuen Populismus als etwas negatives
ansieht, legt Prof. Mörgeli seiner Antwort eine positive Definition des Populis-
musbegriffs zu Grunde. Er sieht im Populismus den legitimen Versuch der
Parteien eine möglichst griffige Lösung für Probleme zu präsentieren und auf
diese Weise viele Wähler zu gewinnen bzw. sie erst zur Teilnahme an der
Wahl zu motivieren. So gesehen ist in seinen Augen der Populismus ein
konstruktives Element der Demokratie und gerechtfertigtes Mittel Wähler zu
mobilisieren. Er hält es für vollkommen falsch den Wähler mit unpopulis-
tischen Lösungen vor den Kopf zu stoßen und vom Urnengang abzuhalten.
Zuppiger lehnt die These ab, dass seine Partei populistisch ist, sondern er
betrachtet sie eher als eine neue Bewegung, die durch die Sorge für das ei-
gene Land und das eigene Volk, sowie durch das Bemühen um die Bewah-
rung der Identität und Eigenständigkeit der Schweiz gekennzeichnet ist. Die-
se neue Bewegung wird getragen von Bürgern, die eine gewisse Sehnsucht
nach Heimat, Unabhängigkeit und Eigenständigkeit besitzen, und sich festen
ethnischen Grundsätzen verpflichtet fühlen. Die bürgernahe Vermittlung die-
ser Ideen kann nur durch engagierte Persönlichkeiten geschehen, die dafür
„hinstehn― und ihre Grundsätze auch vertreten. Dies ist für ihn eine positive
Form von Populismus, wenn überhaupt dieser unscharfe Begriff Verwendung
finden kann.
Fehr verortet den neuen Populismus in anderen Ländern, z.B. in Holland,
Österreich und Norditalien, aber mit Sicherheit nicht in der Schweiz. Für ihn
ist die SVP eine Partei, die den Dienst am Volk als oberste Priorität betrach-
tet und somit Träger eines positiven und demokratiekonformen Populismus
ist. Daher wird sie zu Unrecht als populistisch im negativen Sinn hingestellt.
551
2. Welche positiven kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat
dieser neue Populismus auf das Parteiensystem der Schweiz?
Stahl betrachtet höhere Informiertheit der Bürger in allen Bereichen, egal ob
es sich um politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und sportliche Berei-
che handelt, als logische Konsequenz der stürmischen Entwicklung der Me-
dienlandschaft und deshalb ist der Spielraum für kurz-, mittel- und langfristige
Auswirkungen populistischer Strategien begrenzt.
Rickli sieht die Auswirkungen der neuen Bürgernähe der Parteien, vor allem
ihrer eigenen Partei sehr positiv und schließt sich der positiven Definition des
Populismus von Professor Mörgeli voll und ganz an. In ihren Augen nimmt
die SVP die Sorgen der Bevölkerung auf, bringt sie auf den Punkt und artiku-
liert sie klar und deutlich. Dabei haben die Bürger in der Schweiz gegenüber
Österreich und Deutschland den großen Vorteil, dass sie Dank der der direk-
ten demokratischen Mittel in ihrem Lande über die entscheidenden Probleme
selbst entscheiden können, die in den Nachbarländern allzu oft unter den
Teppich gekehrt werden.
Diese Tatsache hat zu einer viel stärkeren politischen Mobilisierung der
Menschen geführt, die mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel wie Internet
und Facebook auch die junge Generation erfasst hat, die sich viel aktiver
beteiligt als z.B. in Deutschland und Gruppen für oder gegen etwas gründet.
Somit ist die Politik nicht die Angelegenheit privilegierter Eliten, die Entschei-
dungen am Volk vorbei treffen und dies mit der Repräsentativdemokratie be-
gründen, sondern Sache aller Bürger des Landes.
Zuppiger betrachtet den Schutz der Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und
kulturellen Identität der Schweiz als zentrale Aufgabe seiner Partei, aber
auch als Ausdruck der Wünsche und Bedürfnisse der Bürger seines Landes,
die nicht von fremden Kulturen überschwemmt werden wollen und dies auch
ganz offen bei Volksabstimmungen deutlich machen. So gesehen war die
Minarette-Initiative nicht ein Schlag gegen die Religionsfreiheit, sondern eine
Abwehrmaßnahme gegen einen ausufernden Islamismus, der in anderen
Ländern auf Grund von falsch verstandener Toleranz noch weiter fortge-
schritten ist. Er ist daher überzeugt, dass in der Zukunft auch andere Länder
das Beispiel der SVP in der Schweiz nachahmen werden und dass sich
auch hier bürgernahe Bewegungen bilden, die außerhalb der Parteien die
552
gleichen Ziele wie in der Schweiz einfordern und damit das Parteiensystem
erschüttern und ernst zu nehmende Alternativen darstellen.
Fehr betont die Tatsache, dass in der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie,
der Bürger in allen zentralen Fragen das letzte Wort hat und der Populismus
dadurch keine Auswirkungen auf die politische Kultur des Landes hat.
3. Welche Rolle spielte nach Ihrer Auffassung die personelle Kompo-
nente, also die Existenz einer Führerfigur, für die Entwicklung Ihrer Par-
tei?
Stahl sieht in der Abwahl von Dr. Chistoph Blocher als Bundesrat einen Be-
leg dafür, dass die personelle Komponente, also die Existenz einer Füh-
rungspersönlichkeit unter den Bedingungen der Schweiz sich nicht als vor-
teilhaft erwiesen hat, da das dortige Mehrparteiensystem seiner Meinung
nach nicht vereinbar mit allzu starken Persönlichkeiten ist und nicht zu erwar-
ten ist, dass diese Situation sich in Zukunft ändert.
Professor Mörgeli teilt grundsätzlich die Auffassung des Abgeordneten Stahl,
dass starke Führungspersönlichkeiten in der Schweiz größere Hindernisse
zu überwinden haben, als in anderen Ländern bzw. in den Parteien dieser
Länder, doch er weist darauf hin, dass Dr. Blocher nur durch langjährige
Überzeugungsarbeit und guter Argumentation nicht nur in seiner Partei, son-
dern auch im Bundesrat, also der Regierung immer mehr Rückhalt gefunden
hat, ohne jemals zu diktatorischen Mitteln greifen zu müssen.
Dies, so Professor Mörgeli, wäre auch in Anbetracht der kritischen Haltung
der Schweizer Wähler und der Mitglieder der Partei, bei Versammlungen in
keiner Weise sinnvoll, die nicht zu ständigem Jubel und Standing Ovationen
neigen.
Zuppiger veranschlagt die personelle Komponente höher als Herr Stahl und
Herr Prof. Mörgeli, sieht sie aber nicht nur in dem engen Kontext einer Partei,
sondern im Rahmen einer umfassenderen Bewegung, die im Urverständnis
der Eidgenossenschaft wurzelt und einerseits durch den Wunsch nach Frei-
heit und Unabhängigkeit und andererseits, allerdings erst seit dem 18. Jahr-
hundert, durch das Prinzip der Nichteinmischung in den Belangen anderer
Staaten geprägt ist. An die Bereitschaft einer Führungspersönlichkeit, wie Dr.
Blocher, sich an die Spitze dieser Partei und dieser Bewegung zu stellen,
553
sieht Zuppiger sehr positiv. Diese Führungsrolle ist in seinen Augen unum-
stritten.
Fehr, der als Sekretär Dr. Blochers ab Mitte der achtziger Jahre, dessen Auf-
stieg miterlebt und mitgestaltet hat, betont die große Bedeutung der außeror-
dentlichen Persönlichkeit von Dr. Christof Blocher und hebt hervor, dass er
sich zu keinem Zeitpunkt bis zur Unkenntlichkeit verbogen hat, wie z.B. die
FDP in Deutschland, sondern konsequent an den Prinzipien der Freiheit und
Eigenverantwortung sowie der Grundlage des Bewährten festgehalten hat,
ohne dabei in einem reinen Konservatismus zu erstarren. Diese liberalkon-
servative Orientierung war der entscheidende Grund für die großen Erfolge
der Partei zuerst im Kanton Zürich und dann in der ganzen Schweiz.
4. In wieweit hätte Ihre Partei ohne Führerfigur überhaupt Erfolgschan-
cen gehabt?
Stahl, ist der Meinung, dass C. Blocher die SVP über mehrere Jahrzehnte
geprägt, geführt und ihre inhaltliche Ausrichtung geformt hat, aber ob dies
bei einer anderen Führungspersönlichkeit möglich gewesen wäre, weiß man
nicht. Durch einen treffenden Vergleich mit einer Knieoperation, bei der ein
neues Kniegelenk eingesetzt wird, ohne dass der Erfolg dieses Eingriffs ge-
sichert ist, macht er den spekulativen Charakter dieser Fragestellung sicht-
bar.
Professor Mörgeli betrachtet Dr. Blocher als ausgesprochenes Ausnahmeta-
lent, dass auch jede andere Partei zum Erfolg geführt hätte, er bezeichnet
Blocher sogar als: „politisches Jahrhunderttalent für die Schweizer Politik―,
dass allein durch die Kraft seiner Persönlichkeit die Zahl der Wähler der SVP
von 10% auf 30% gesteigert hat.
Zuppiger führt die Erfolge der SVP im Wesentlichen auf die Konzentration
der Partei auf ihre ursprünglichen und zentralen Werte zurück, räumt aber
ein, dass die Person von C. Blocher, der als Führungspersönlichkeit mögli-
cherweise hätte ersetzt werden können, den Zulauf zu der Partei verstärkt
hat.
Fehr ist der Auffassung, dass es in der SVP durchaus auch andere profilierte
Führungspersönlichkeiten gab und gibt, die die notwendige Beharrlichkeit
und Durchsetzungskraft besitzen, z.B. kompetente Bundesräte, aber er
554
glaubt nicht, dass die Schweiz ohne Dr. Blocher gegen den europäischen
Wirtschaftsraum gestimmt und damit den Beitritt eine klare Absage erteilt
hätte, „Gott sei Dank― und erklärt wörtlich: „ohne C. Blocher wären wir heute
leider in der EU―.
5. Waren das bürgernahe, an den Bedürfnissen der Schweizer Bevölke-
rung orientierte Profil der SVP und das populistische Element ein Mittel
zur dauerhaften Etablierung Ihrer Partei in der Regierungsverantwor-
tung oder eher Ausdruck inhaltlicher Grundpositionen Ihrer Partei?
Stahl sieht in der Fragestellung einen indirekten Angriff auf seine eigene Par-
tei, die zu Unrecht als populistisch eingestuft wird und weist darauf hin, dass
die SVP lediglich versucht die Probleme der Bürgerinnen und Bürger anzu-
sprechen und Lösungen anzubahnen. Er kann sich dabei einen Seitenhieb
auf die Medien nicht verkneifen, die dieses in der Schweizer Demokratie völ-
lig legitime Vorgehen als populistisch wahrnehmen.
Professor Mörgeli teilt die Auffassung von Stahl, dass die SVP nicht in einem
negativen Sinn populistisch ist, also eine Partei ist, die den politischen Geg-
ner anschwärzt oder ihm Schuld zuweist. Die SVP repräsentiert vielmehr ei-
gene Lösungen für alle Probleme und strebt ganz gezielt eine Regierungsbe-
teiligung an, um ihre Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Eine freiwillige
Oppositionsrolle lehnt Professor Mörgeli von vorneherein entschlossen ab
und bekennt sich zur Verantwortung seiner Partei für die Schweiz und ihre
Bürger.
Zuppiger verweist auf den neuen Stil der politischen Auseinandersetzung,
der durch den Einfluss der SVP geprägt wurde. Dieser bringt Missstände klar
auf den Punkt und ist daher auch eine wirkungsvolle Form des indirekten
Protests, der nicht als populistisch diskreditiert werden kann.
Fehr unterstreicht die Auffassung seiner Kollegen, dass die SVP nicht popu-
listisch ist, sondern eine glaubwürdige, bürgerorientierte Politik treibt, die
ausgehend von festen inhaltlichen Grundpositionen eine Regierungsbeteili-
gung anstrebt und sich der Regierungsverantwortung bereitwillig stellt, an
zwei Beispielen, der Lösung des Ausländerproblems und der Bewahrung der
Schweizer Unabhängigkeit und Neutralität, verdeutlicht er die Kontinuität der
inhaltlichen Positionen seiner Partei.
555
6. Warum hat Ihre Partei einen zweiten Bundesratssitz angestrebt, ob-
wohl sich dadurch Spannungen zwischen den SVP-Bundesräten und
Ihrer Partei nicht vermeiden ließen?
Stahl ist der Meinung, dass die SVP als stärkste Partei in der Schweiz auf
jeden Fall einen Anspruch auf zwei Bundesratsitze hat, daher bemühte sich
seine Partei auch darum, die zwei bisherigen Bundesratsitze zu behalten. Es
war die Entscheidung des Parlaments einen dieser zwei Bundesratssitze an
eine andere Person zu vergeben, die der Partei nicht genehm war, nämlich
an Frau Eveline Widmer-Schlumpf.
Rickli betont, dass die zwei Bundesrat-Sitze für die SVP von 2003 – 2007
vollauf gerechtfertigt waren, da die SVP schon damals die mit Abstand wäh-
lerstärkste Partei war und 30% der Bevölkerung vertrat. Sie lobte die ausge-
zeichnete Arbeit von Christoph Blocher als Bundesrat, der eindeutig stärker
war als der zweite Bundesrat der SVP Samuel Schmid. Durch seine genauen
Studien der Dossiers der anderen Bundesräte, mit denen er diese zu einer
gewissenhafteren Arbeit zwingen wollte, machte er sich Feinde und es kam
zu Spannungen mit den anderen Parteien, die dann den unbequemen Chris-
toph Blocher, trotz seiner weitblickenden Politik, durch das Parlament abge-
wählt haben, um damit die ganze SVP zu schwächen. Zu diesem Zweck
wurde als Nachfolgerin Frau Eveline Widmer-Schlumpf gewählt, die zu die-
sem Zeitpunkt noch in der SVP war. Die bedauerliche Konsequenz dieser
Entwicklung ist, dass die SVP heute nach dem Ausschluss von Frau Eveline
Widmer-Schlumpf klar im Bundesrat untervertreten ist, dessen Politik auch
gegenüber der Zeit als C. Blocher in der Regierung war deutlich abfällt.
Zuppiger sieht in der neuen Situation einen eindeutigen Verstoß gegen den
freiwilligen Proporz der Schweizer Konkordanz-Demokratie, der der stärksten
Partei eines Landes einen klaren Anspruch auf zwei Bundesrat-Sitze gibt. Es
ist in den Augen von Zuppiger sehr ungerecht, wenn die zweitstärkste Partei,
mit einem Wähleranteil von 22% mit zwei Bundesräten in der Regierung ver-
treten ist, die viertstärkste Partei auch noch einen Bundesrat-Sitz hat und die
mit 30% Wähleranteil stärkste Partei nämlich die SVP, nur einen Bundesrat-
Sitz hat.
Diese nicht adäquate Vertretung der SVP in der Bundesregierung stellt nach
Auffassung von Zuppiger das gesamte demokratische Schweizer System in
556
Frage.
Fehr erklärt, dass es Spannungen zwischen den Bundesräten Christoph Blo-
cher und Samuel Schmid gab, obwohl sie beide der SVP angehörten. Dies
lag daran, dass Samuel Schmid, der der SVP angeblich untergejubelt wurde,
um der Partei zu schaden kein richtiger SVP- Mann war und außerdem in
seinen Augen unfähig war, was zwangsläufig zu Differenzen mit C. Blocher
führte. Deshalb ist es für Fehr mehr recht als billig, dass die SVP zwei Bun-
desräte hat, die sich eindeutig zu dem offiziellen Kurs der Partei bekennen,
den auch 30% der Wählerinnen und Wähler durch ihre Wahlentscheidung
gebilligt haben. Sollte die SVP auch weiterhin im Bundesrat untervertreten
sein, ist das Konkordanz-System der Schweiz in Gefahr, dass darauf beruht,
dass sich inhaltlich völlig unterschiedliche Kräfte „zusammen raufen― und die
Regierung bilden. Die Abwahl von Christoph Blocher 2007 hat das über lan-
ge Zeit stabile Konkordanz-System, in seinen Augen zerstört.
7. Welche unterschiedlichen Reaktionen gab es auf die Gewinnung des
zweiten Bundesratssitzes innerhalb Ihrer Partei, bei Ihren potentiellen
Wählern, bei der Bevölkerung und bei Ihren politischen Gegnern?
Stahl betont, dass die Reaktion auf die Gewinnung des zweiten Bundesrat-
Sitzes von 2003 bis 2007 bei den Mitgliedern und Wählern überwiegend po-
sitiv aufgenommen wurde, auch wenn in den Reihen der politischen Gegner
eher eine ablehnende Reaktion zu verzeichnen war.
Professor Mörgeli nimmt eine noch differenziertere Unterscheidung der Re-
aktionen auf die Gewinnung des zweiten Bundesratssitzes im Jahr 2003 vor.
Für seine Partei bedeutet der Gewinn des zweiten Bundesratssitzes einen
großen Prestigeerfolg, er brachte ihr neue Verantwortung und dieser Sitzge-
winn wurde von der Basis grundsätzlich begrüßt, die darin eine Fortführung
einer langen und erfolgreichen Bundesrat-Tradition die bis auf das Jahr 1929
zurück geht. Die Reaktion der politischen Gegner war von der Erwartung ge-
prägt, dass C. Blocher´s politische Aktivität durch seine Einbindung in den
Bundesrat abgeschwächt werden würde und dies seiner Partei durch die
Verantwortung im Bundesrat schaden könnte. Diese Erwartung hat sich aber
nach Auffassung von Professor Mörgeli nicht erfüllt, da er schon bald eine
dominierende und gestalterische Rolle im Bundesrat zu spielen vermochte.
557
Zuppiger sieht den Vorteil des zweiten Bundesrat-Sitzes vor allem im ver-
stärkten Einfluss der SVP auf die Regierungsarbeit. Außerdem ist eine neue,
für manche unbequeme Art des Streitens im Bundesrat begründet worden,
die natürlich bei den anderen Parteien Unmut ausgelöst hat.
Fehr ist der Auffassung, dass der zweite Bundesrat-Sitz nicht nur eine Bestä-
tigung der Stärke der SVP war, sondern auch Ausdruck der Bereitschaft
mehr Regierungsverantwortung zu tragen und die anstehenden Sachfragen
nicht nur im Parlament, sondern auch in der Regierung knallhart in Angriff zu
nehmen. Seiner Meinung nach wurde diese Entwicklung von den Parteimit-
gliedern, den Wählern und größeren Teilen der Bevölkerung auch gebilligt.
8. Welche Auswirkungen hatte die stärkere Präsenz im Bundesrat auf
das Profil Ihrer Partei?
Stahl gibt zu, dass die stärkere Präsenz im Bundesrat zum Teil ein Spagat
für die Partei bedeutete. Einerseits musste auf gewisse Empfindlichkeiten in
der Partei und bei der Basis Rücksicht genommen werden, andererseits
musste die Regierungsarbeit bewältigt werden. Herr Stahl bescheinigt dem
Bundesrat C. Blocher eine sehr gute und wertvolle Arbeit, die auch das Bild
seiner Partei positiv prägte und ihr Nutzen brachte.
Rickli würdigt besonders die Leistungen von C. Blocher in seinem Ressort,
das die Bereiche Justiz und Polizei umfasste. So ist es ihm z.B. gelungen
durch ein neues Gesetz, das die Zustimmung von 70% der Schweizer Wäh-
ler fand, die Zahl der Asylanten zu senken und damit in der Asyl- und Aus-
länderpolitik konkrete Fortschritte zu erzielen. Die Tatsache, dass nach sei-
ner Abwahl die Zahl der Asylanten wieder anstieg, zeigt seine effiziente Ar-
beit. Besonders hebt Rickli auch seine Sparpolitik hervor, die auch durch sei-
ne umfassende Informiertheit über die Dossiers der anderen Bundesräte be-
günstigt und ermöglicht wurde. Am eindrucksvollsten war, nach Meinung von
Rickli, seine große Bürgernähe, die von keinem Bundesrat zuvor erreicht
wurde und die in zahlreichen Kontakten mit der Bevölkerung bei diversen
Veranstaltungen zum Ausdruck kam.
Zuppiger hält es für selbstverständlich, dass seine Partei, wenn sie länger-
fristige Arbeit leisten will, irgendwann auch in die Verantwortung der Regie-
rung eingebunden ist. Die stärkere Präsenz im Bundesrat ist auch die logi-
558
sche Konsequenz des Parteiprofils der Schweizer Volkspartei.
Die Bereitschaft zur Teilnahme an der Regierung darf aber seiner Meinung
nach nicht auf die Bundesebene beschränkt bleiben, sondern muss auch auf
Kantonsebene gegeben sein.
Fehr glaubt nicht, dass die stärkere Präsenz seiner Partei im Bundesrat zu
einer Nivellierung des Profils der SVP geführt hat, da namentlich der Bundes-
rat Dr. C. Blocher als starke Persönlichkeit wichtige Akzente gesetzt hat. Er
ist sich aber bewusst, dass eine stärkere Regierungsbeteiligung durch zwei
Bundesräte in gewissen Situationen Kompromisse erforderlich macht und
das dies zwangsläufig mit einer Mäßigung der Positionen seiner Partei ver-
bunden war. Allerdings hat die SVP trotz allem stets ihre Grundpositionen
aufrecht erhalten und sich als Fürsprecher der Interessen der Schweiz und
als Anwalt der Unabhängigkeit, Souveränität und Neutralität ihres Landes
profiliert, dies war und wird auch in Zukunft, so Fehr, das Markenzeichen der
SVP sein.
9. Welche Auswirkungen hatte diese neue Situation auf das politische
Agieren der SVP im Bundesrat, im Nationalrat und in der Öffentlichkeit?
Stahl betont, dass ihm persönlich der Bundesratsitz mehr Sicherheit gegeben
hat, weil das Gewicht der SVP im Bundesrat nicht nur durch die zwei Sitze,
sondern auch durch die Führungspersönlichkeit Dr. C. Blocher viel größer
war als zuvor. Er lehnte im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen, die lieber
eine Oppositionsrolle der SVP gesehen hätten, eine Beschränkung auf diese
Rolle ab und hält es für viel sinnvoller im Bundesrat einen Konsens anzu-
bahnen, bei dem die Positionen der SVP gezielt eingebracht werden.
Professor Mörgeli hebt hervor, dass der Bundesrat Samuel Schmid durch
den Eintritt von Dr. C. Blocher in den Bundesrat viel stärker auf die Parteilinie
festgelegt werden konnte und diesen in fast allen wesentlichen Fragen unter-
stützte. Damit wurde das Gewicht der SVP im Bundesrat stärker zur Geltung
gebracht. Er räumt aber ganz klar ein, dass die politische Dominanz von Dr.
C. Blocher im Bundesrat, die Aktivitäten der Abgeordneten der SVP im Nati-
onalrat gedämpft hat, wie er aus eigener Erfahrung berichtet. Diese Abge-
ordneten wurden nach seinen Worten „faul und träge―, überließen Dr. Blo-
cher das Politisieren für die SVP in der Regierung und freuten sich über des-
559
sen Erfolge, eine Situation, die sich nach der Abwahl Dr. Blochers grundle-
gend veränderte. Von diesem Zeitpunkt an war ein großer Einsatz und viel
Arbeit von den Abgeordneten der SVP erforderlich, die errungene Stellung zu
behaupten.
Zuppiger ist der Auffassung, dass die neue Situation im Bundesrat keinen
nennenswerten Einfluss auf die parteipolitische Arbeit der SVP hatte, doch
durch die Kontakte mit den beiden Bundesräten war eine größere Nähe zur
Regierung und ihren Entscheidungen gegeben. Die SVP-Abgeordneten ge-
wannen einen besseren Einblick in die dortigen Abläufe, in das Tagesge-
schäft und die Planungen für die Zukunft, so dass sie auch gestalterisch Ein-
fluss nehmen konnten.
Fehr sieht eine Kontinuität zwischen der Zeit mit einem Bundesrat und der
Zeit mit dem zweiten Bundesrat Dr. Blocher. Die SVP hat immer ihr politi-
sches Programm klar und kompromisslos vertreten und zum Teil auch den
eigenen Bundesrat kritisiert, was vor allem Dr. Blocher als ganz natürlich
empfand, so sagte er wörtlich: „Jawohl, ihr könnt mich auch kritisieren, ich
mag das schon ertragen, weil ihr seid die Partei, ihr seid das Parlament, ich
bin der Bundesrat. Ich muss ja als Bundesrat sprechen, ich muss das so ge-
nannte Kollegialitätsprinzip einhalten. Ich vertrete die Mehrheit des Bundes-
rates und ihr seid die Partei. Die Partei muss sich auszeichnen durch Partei-
nehmen, sonst ist sie keine Partei―.
10. Inwieweit wurde das politische Handeln Ihrer beiden Bundesräte
von 2003 – 2007 von Ihren Mitgliedern und Wählern mitgetragen? Gab
es Zustimmung oder negative Reaktionen? Gab es z.B. Parteiaustritte?
Stahl macht deutlich, dass die SVP durch das Handeln von Dr. Blocher im
Bundesrat einen Zuwachs an Mitgliedern zu verzeichnen hat und das Agie-
ren von Dr. Blocher bei den soliden SVP-Wählern überwiegend auf Zustim-
mung stieß. Allerdings war die Akzeptanz von Samuel Schmid deutlich nied-
riger als die von Dr. Blocher und es gab doch die eine oder andere negative
Reaktion auf seine Person und politische Arbeit.
Rickli betont das positive Echo auf das Handeln des Bundesrats Dr. Blocher,
das in kürzester Zeit konkrete positive Resultate brachte, wobei S. Schmid
eher die Rolle eines Mitläufers spielte, weil Dr. Blocher nach allgemeiner
560
Einschätzung die stärkere Persönlichkeit verkörperte und sehr entschlossen
in die anderen Departements der Bundesräte hinein wirkte. Der Zuwachs von
Mitgliedern nach der Abwahl von Dr. Blocher, die teilweise aus Bereichen
weit über der politischen Mitte kamen, war eine eindrucksvolle Bestätigung
seiner Arbeit. Dieser Zustrom zeigte, dass er der „beste Bundesrat war, den
wir je hatten, der effektiv und erstmals auch offensichtliche Resultate geliefert
hat und die Bevölkerung bis auch weit außerhalb der SVP nicht verstanden
hat, dass man einen so fähigen Bundesrat abwählt―.
Zuppiger weist darauf hin, dass der zweite Bundesrat, nämlich Samuel
Schmid, nicht von der SVP vorgeschlagen, jedoch nachher mitgetragen wur-
de. Richtig vorgeschlagen war eigentlich nur Dr. Blocher. Insgesamt waren
die zwei Bundesrat-Sitze sehr wichtig für die SVP, die sich von der Parteiba-
sis kontinuierlich weiterentwickelt und vor allem bei der Abwahl Dr. Blochers
einen großen Zustrom von neuen Mitgliedern verzeichnen konnte.
Diese Auffassung vertritt auch Fehr, der das Nebeneinander von Dr. Blocher
und Samuel Schmid aber negativ sieht. Während Dr. Blocher eine starke
Führungspersönlichkeit war, der das Vertrauen der Bürger weit über die Par-
tei hinaus genoss, war S. Schmid in seinen Augen ein relativ schwacher Poli-
tiker, der in vielen Situationen eine unglückliche Figur machte und durch sei-
ne mangelnden Führungskraft immer häufiger Anlass zu Kritik durch die
SVP-Abgeordneten im Nationalrat gab. Der Zustrom neuer Mitglieder war
also vor allem ein Verdienst von Dr. Blocher.
11. Als Partner im Bundesrat waren Christoph Blocher und Samuel
Schmid gezwungen, einige politische Grundsätze der SVP aufzugeben
Wie verträgt sich dies mit den Leitlinien Ihrer Grundsatzprogramme?
Stahl ist sich im Klaren, dass ein gewisses Maß an Kompromissbereitschaft
im Bundesrat selbstverständlich ist. Dass es immer wieder Differenzen gibt,
ist in einem Mehrparteiensystem, nach Meinung von Stahl ganz normal und
bedeutete noch nicht, dass man die eigenen politischen Grundsätze der SVP
aufgeben muss, außerdem hat die SVP immer noch die zusätzliche Möglich-
keit im Parlament Grundsatzdiskussionen anzubahnen und dabei dafür zu
sorgen, dass die Leitlinien der SVP im Großen und Ganzen aufrecht erhalten
werden.
561
Professor Mörgeli erklärt, dass die Bundesräte nicht gezwungen sind ihre
Überzeugungen aufzugeben, sondern dass die Partei von ihnen erwartet,
dass sie diese mit aller Kraft vertreten und einbringen. Auch wenn die Bun-
desräte bei Abstimmungen im Bundesrat ihre Position nicht durchsetzen
können, und die gefällten Entscheidungen als Kollegium nach außen ge-
schlossen vertreten, wussten die Bürger auf Grund der politischen Aussagen
von Dr. Blocher im Vorfeld sehr wohl, dass er bestimmte Entscheidungen,
z.B. die Abmilderung von Strafverschärfungsmaßnahmen, mittragen musste,
obwohl er damit nicht einverstanden war.
Rickli erwähnt in diesen Zusammenhang, dass Dr. Blocher einmal sogar ei-
nen Volksentscheid über die Verwahrungsinitiative gefährlicher Sexualver-
brecher nicht kommentierte, obwohl es in der Schweiz üblich ist, dass die
Bundesräte solche Entscheidungen kommentieren. Darin sieht Frau Rickli
ein Indiz für die mutige Aufrechterhaltung der eigenen politischen Grundsätze
bei Volksentscheiden, aber auch ein Beleg für seine demokratische Einstel-
lung, die in seiner Aussage: „das kommentiere ich nicht, der Volksentscheid
ist so zu akzeptieren― zum Ausdruck kommt.
Zuppiger bekennt sich zu den Prinzipien der Konkordanz Regierung, die be-
sagen, dass ein einmal gefasster Beschluss des Bundesrates von allen Bun-
desräten nach außen mitgetragen wird, auch wenn er ihren Überzeugungen
möglicherweise zuwiderläuft. Er glaubt allerdings nicht, dass diese Konkor-
danz bzw. diese geschlossene Vertretung von Entscheidungen nach außen
eine Preisgabe der Leitlinien des Grundsatzprogramms bedeutet, dass trotz
solcher systembedingter Gegebenheit die Partei mit ihren Leitlinien unverän-
dert bleibt.
Fehr bewundert die intelligente Art und Weise mit der Dr. Blocher die schwie-
rige Gratwanderung zwischen den Konkordanz-Prinzipien des Bundesrats
und der Vertretung der eigenen Position bewältigt hat.
12. Welche Konsequenzen werden Sie aus den Erfahrungen, die Sie
durch die zweifache Bundesratsbeteiligung der Jahre 2003 – 2007 und
die dadurch bedingten inneren Spannungen gewonnen haben, für die
künftige Gestaltung des Profils der SVP ziehen?
Stahl bekundet die Entschlossenheit seiner Partei, den einen verbliebenen
562
Vertreter nach bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen, doch glaubt er
nicht, dass die SVP und ihr Profil durch diese Untervertretung in der Regie-
rung Nachteile haben werden.
Professor Mörgeli wendet sich gegen die Auffassung, dass es schon zum
Zeitpunkt der Doppelvertretung von 2003 bis 2007 im Bundesrat trotz gewis-
ser Spannungen zwischen Dr. Blocher und Samuel Schmid größere innere
Konflikte in der SVP gab und dass die Wähler die SVP-Abgeordneten und
die Vertreter der SVP in der Regierung alle mit der Situation zufrieden waren.
Die eigentlichen großen Differenzen, setzten erst mit der Abwahl von Dr.
Blocher ein, aber die in dieser Phase gemachten negativen Erfahrungen und
Enttäuschungen sollten die SVP nicht davon abhalten ihr Profil als Träger der
Verantwortung für die Zukunft der Schweiz zu schärfen und wieder zwei Sit-
ze im Bundesrat anzustreben, damit handelt die Partei auch im Sinne der
Wähler, und er erwartet einen noch stärkeren Rückhalt für seine Partei in der
Bevölkerung.
Zuppiger setzt sich dafür ein, dass seine Partei Selbstbewusstsein demons-
triert und sieht sich dabei auch durch die Reaktionen der Bevölkerung bestä-
tigt, die die politische Arbeit der SVP begrüßen. Er glaubt, dass seine Partei
es nicht nötig hat, um jeden Preis einen zweiten Bundesrat-Sitz zu erlangen,
und dass allein das überzeugende Programm wichtiger ist als Personen.
Dieses Programm wird der SVP, so hofft er, in Zukunft einen noch stärkeren
Zulauf bringen.
Fehr fordert ein ganz klares und unzweideutiges Profil der SVP für die Wah-
len von 2011. Diese muss sich als eine Partei präsentieren, die das Auslän-
derproblem wirklich anpackt und die für die Interessen der Schweiz eintritt,
indem sie deren Souveränität, Unabhängigkeit und Neutralität schützt und
einen EU-Beitritt verhindert. Das bedeutet seiner Meinung nach aber nicht,
dass die SVP ihren Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat und damit eine
stärkere Regierungsbeteiligung hintanstellt. Dieser muss immer wieder
nachdrücklich erhoben werden, wie er auch am Schluss mit der Aussa-
ge:„Wir wollen zwei Bundesräte― betont.
563
13. Sehen Sie in der Forderung zahlreicher europäischer Parteien nach
mehr plebiszitären Elementen eine Chance zur Umsetzung eines neuen
bürgernahen Demokratiekonzepts?
Stahl sieht in der Schweiz die Umsetzung eines bürgernahen Demokratie-
konzepts bereits seit langem verwirklicht und erklärt wörtlich: „Wir haben ein
Demokratieverständnis in der Schweiz, das seit Jahren standhaft und auch
nachhaltig geprägt ist―. Er lehnt es daher ab, Forderungen nach mehr plebis-
zitären Elementen aus anderen Ländern, z.B. Frankreich oder Deutschland
Gehör zu schenken. Diese Länder könnten eher von der Schweiz lernen,
was eine bürgernahe Demokratie ist.
Professor Mörgeli sieht die Bürgerferne und Demokratiedefizite als zentrales
Problem der Europäischen Union an, und zwar auf allen Ebenen, angefan-
gen von den Kommunen bis hin zur supranationalen Ebene. Er erwartet des-
halb, dass sich die Bürger in diesen Ländern, schon bald wehren werden und
mehr Mitbestimmung, z.B. durch plebiszitäre Elemente einfordern, werden.
Professor Mörgeli begrüßt diese Entwicklung und erwartet, dass die stärkere
Einbeziehung der Bürger und das Eingehen der Parteien auf diese Bürger-
wünsche mehr positives für ein Land bewirken kann, als eine bürgerferne
repräsentative Demokratie, bei der das Parlament und die Regierung die
Menschen bevormunden und lenken. Ein solcher Populismus im positiven
Sinn bewirkt seiner Meinung nach nur Gutes für die Bürgerinnen und Bürger
auf allen politischen Ebenen und letztlich auch für Europa.
Zuppiger sieht sogar eine europaweite Trendwende hin zu Parteien, die sich
als bürgernahe Bewegung präsentieren und belegt dies durch Beispiele aus
verschiedenen europäischen Ländern. Der damit verbundene Antireflex ge-
gen alle zentralstaatlichen Regelungen oder sogar überstaatliche Regelun-
gen, wie sie z.B. von Brüssel ausgehen, hat auch zu einer Renaissance der
relativ stark nationalistisch ausgerichteten Parteien in Österreich und der
Bundesrepublik Deutschland geführt. Die Attraktivität der Schweiz, sowohl
was die Politik als auch die Wirtschaft angeht, zeigt sich z.B. in der massi-
ven Abwanderung von Deutschen in die Schweiz. Diese ist seiner Meinung
nach Ausdruck einer gewissen Unzufriedenheit, eines Unmuts und einer
Sehnsucht nach etwas anderem.
Fehr bemerkt einleitend zu dieser Frage, dass die Umsetzung eines neuen
564
bürgernahen Demokratiekonzepts in Europa seine große Hoffnung ist, doch
glaubt er nicht, dass dieses Konzept realisiert werden kann, solange die jet-
zige Europäische Union die Eigenständigkeit der Nationalstaaten durch eine
bürgerferne Zentralisierung vernachlässigt. Er erklärt wörtlich: „Wenn sich
das durchsetzt, dass die Völker erwachen, dass die europäischen Völker er-
wachen und sich wieder auf das nationale Besinnen, aber auch auf das ge-
meinsame, z. B. wirtschaftliche, ich habe meine Hoffnungen, dass das Be-
wusstsein, wir möchten auch mit bestimmen, wie die Schweizer, wenn dieses
Bewusstsein wächst, dann ist das sehr gut―. Als Beispiel für diese Erwachen
der europäischen Bürger, das sich am Vorbild der direkten Demokratie der
Schweiz orientiert, führt er die Massendemonstrationen gegen den Neubau
des Stuttgarter Bahnhof auf. Er betrachtet die EU in ihrer jetzigen Form als
politische Union als „Einheitsbrei― und glaubt, dass sie daher zum Scheitern
verurteilt ist, und hofft, dass die Strömungen in Richtung auf mehr Demokra-
tie für die einzelnen Nationen und Völker wachsen und die Rückkehr zu einer
Wirtschaftsgemeinschaft realisiert werden kann.
14. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dau-
erhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten SVP, wenn Sie die his-
torischen und politischen Hintergründe in die Betrachtung mit einbe-
ziehen?
Stahl rechnet damit, dass die Anliegen der SVP sowohl im Parlament als
auch in den Kantonen noch mehr Beachtung finden werden und dass der
Erfolg der Partei in naher Zukunft gesichert ist. Allerdings ist er sich im Kla-
ren, dass nach der Durchsetzung der Hauptforderungen der SVP eine ge-
wisse Stagnation eintreten wird, die auch durch die kürzlichen politischen
Missverständnisse mitbedingt ist, und es wird einige Zeit erfordern, diese
aufzuarbeiten.
Professor Mörgeli sieht in dem steten Bemühen der SVP als volksnahe Par-
tei, oder sogar als große Bewegung über die Parteigrenzen hinaus, Bürger
miteinzubeziehen und immer mehr Anhänger zu finden einen sehr positiven
Ansatz. Doch die SVP wird nur dann dauerhaft Erfolg haben können, wenn
sie entsprechende lebenstaugliche, bürgernahe praxisorientierte Lösungen
entwickeln kann, die in der Realität umsetzbar sind. Entscheidend ist für ihn,
565
eine feste programmatische Basis der Partei und nicht nur die Existenz einer
starken Führungspersönlichkeit. Ein gutes Programm ist die Gewähr dafür,
dass immer neue Persönlichkeiten dieses Programm übernehmen und auf
überzeugende Weise vertreten.
Zuppiger verweist auf die Tatsache, dass in der Vergangenheit eine sehr
starke liberale Bewegung und später dann eine sehr starke sozialdemokra-
tisch ausgerichtete Bewegung die Entwicklung der Schweiz geprägt haben,
und dass die SVP jetzt an der Spitze einer neuen landesweiten Bewegung
steht. Diese kann aber nur Erfolg haben, wenn sie nicht nur durch Populis-
mus sondern durch seriöse, saubere und fundamentale Arbeit geprägt ist, die
von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird. Er sagt: „Wenn wir diese
Arbeit nicht mehr seriös und sauber und fundamental machen, dann werden
wir wieder eine neue Bewegung bekommen, die uns irgendwo überholt oder
den Platz nimmt und uns die Wähler wegnimmt―.
Fehr sieht die Formel für den künftigen Erfolg der SVP darin, sich selbst treu
zu bleiben. Das bedeutet, dass sie einerseits die Unabhängigkeit der
Schweiz verteidigt, die auf keinen Fall in Großkonstruktionen, wie der EU,
eingebunden werden sollte, und dass sie andererseits weltoffen bleibt und
mit möglichst allen Staaten gute politische, wirtschaftliche und kulturelle Be-
ziehungen anstrebt.
566
Darstellung der Ergebnisse des Vergleichs des Fremd-Framings der Politikwissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Bewertung durch Politiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
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als populistisch
Gewicht des
personellen Elements
populistisches Agieren vor
der Regierungsbeteiligung
populistisches Agieren während
der Regierungsbeteiligung
gute Zukunftsaussichten
der Partei
Beurteilte Partei: Die Linke von Berlin - Deutschland
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Einstufung der Partei
als populistisch
Gewicht des
personellen Elements
populistisches Agieren vor
der Regierungsbeteiligung
populistisches Agieren während
der Regierungsbeteiligung
gute Zukunftsaussichten
der Partei
Beurteilte Partei: FPÖ - Österreich
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ja geteilteAnsichten
nein
Einstufung der Partei
als populistisch
Gewicht des
personellen Elements
populistisches Agieren vor
der Regierungsbeteiligung
populistisches Agieren während
der Regierungsbeteiligung
gute Zukunftsaussichten
der Partei
Beurteilte Partei: SVP - Schweiz
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Darstellung der Ergebnisse des Vergleichs des Fremd-Framings der Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Bewertung durch Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
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Einstufung der Partei
als populistisch
Gewicht des
personellen Elements
populistisches Agieren vor
der Regierungsbeteiligung
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der Regierungsbeteiligung
gute Zukunftsaussichten
der Partei
Beurteilte Partei: Die Linke von Berlin - Deutschland
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als populistisch
Gewicht des
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populistisches Agieren vor
der Regierungsbeteiligung
populistisches Agieren während
der Regierungsbeteiligung
gute Zukunftsaussichten
der Partei
Beurteilte Partei: FPÖ - Österreich
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als populistisch
Gewicht des
personellen Elements
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der Regierungsbeteiligung
populistisches Agieren während
der Regierungsbeteiligung
gute Zukunftsaussichten
der Partei
Beurteilte Partei: SVP - Schweiz
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Darstellung der Ergebnisse des Vergleichs des Selbst-Framing der Politiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Bewertung durch Politiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
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als populistisch
Gewicht des
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populistisches Agieren vor
der Regierungsbeteiligung
populistisches Agieren während
der Regierungsbeteiligung
gute Zukunftsaussichten
der Partei
Beurteilte Partei: Die Linke von Berlin - Deutschland
1. Ist es legitim, von einem neuen Populismus der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuro-pa zu sprechen, der sich seit Ende der 80er Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung neuer Wähler völlig neuer Strategien bedient?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
2. Welche positiven kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat dieser neue Populismus auf das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Schweiz?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
3. Welche Rolle spielt nach Ihrer Auffassung die personelle Komponente, also die Existenz einer Führerfigur, für die Erfolgschancen einer populistischen Partei?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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positiv teilweise positiv nicht positiv
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wichtige Rolle geteilte Ansichten keine Rolle
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4. War das populistische Profil der Parteien DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP ein taktisches Mittel zur Etablierung der Partei in der Regierungsverantwortung oder Ausdruck inhaltlicher Grundpositio-nen? Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
5. Sehen Sie in der Forderung zahlreicher populistischer Parteien nach mehr plebiszitären Elementen eine Gefahr oder eine Bereicherung der demokratischen Kultur in Europa?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
6. War das populistische Element eine notwendige Voraussetzung für den Aufstieg der Parteien DIE LINKE Berlin, FPÖ die SVP?
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Quelle: Eigene Darstellung
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7. Haben die populistischen Parteien aus den Erfahrungen, die sie im Rahmen der Regierungsbeteili-gung ihrer Partei gewonnen haben Konsequenzen gezogen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
8. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten Partei DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP wenn Sie die historischen und politischen Hintergründe in die Betrachtung mit einbeziehen?
1. Ist es legitim, von einem neuen Populismus der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuro-pa zu sprechen, der sich seit Ende der 80er Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung neuer Wähler völlig neuer Strategien bedient? Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
2. Welche positiven kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat dieser neue Populismus auf das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Schweiz?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
3. Welche Rolle spielt nach Ihrer Auffassung die personelle Komponente, also die Existenz einer Führerfigur, für die Erfolgschancen einer populistischen Partei?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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wichtige Rolle geteilte Ansichten keine Rolle
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4. War das populistische Profil der Parteien DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP ein taktisches Mittel zur Etablierung der Partei in der Regierungsverantwortung oder Ausdruck inhaltlicher Grundpositio-nen? Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
5. Sehen Sie in der Forderung zahlreicher populistischer Parteien nach mehr plebiszitären Elementen eine Gefahr oder eine Bereicherung der demokratischen Kultur?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
6. War das populistische Element eine notwendige Voraussetzung für den Aufstieg der Parteien DIE LINKE Berlin, FPÖ die SVP?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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7. Hat die Partei DIE LINKLE, die FPÖ, die SVP aus den Erfahrungen, die sie im Rahmen der Re-gierungsbeteiligung gewonnen hat, Konsequenzen gezogen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
8. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten Partei DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP wenn Sie die historischen und politischen Hintergründe in die Betrachtung mit einbeziehen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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Fragen/Antworten der Politiker von den Parteien die LINKE Berlin, FPÖ, SVP
1. Ist es legitim, von einem neuen Populismus der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuro-pa zu sprechen, der sich seit Ende der 80er Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung neuer Wähler völlig neuer Strategien bedient?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
2. Welche positiven kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat dieser neue Populismus auf das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Schweiz?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
3. Welche Rolle spielt nach Ihrer Auffassung die personelle Komponente, also die Existenz einer Führerfigur, für die Erfolgschancen einer populistischen Partei?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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wichtige Rolle geteilte Ansichten keine Rolle
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4. War das populistische Profil der Parteien DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP ein taktisches Mittel zur Etablierung der Partei in der Regierungsverantwortung oder Ausdruck inhaltlicher Grundpositio-nen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
5. Sehen Sie in der Forderung zahlreicher populistischer Parteien nach mehr plebiszitären Elementen eine Gefahr oder eine Bereicherung der demokratischen Kultur in Europa?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
6. War das populistische Element eine notwendige Voraussetzung für den Aufstieg der Parteien DIE LINKE Berlin, FPÖ die SVP?
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Quelle: Eigene Darstellung
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7. Haben die populistischen Parteien aus den Erfahrungen, die sie im Rahmen der Regierungsbeteili-gung ihrer Partei gewonnen haben Konsequenzen gezogen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
8. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten Partei DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP wenn Sie die historischen und politischen
Hintergründe in die Betrachtung mit einbeziehen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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Konsequenzen geteilte Meinung keine Konsequenzen
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Fragen/Antworten/Vergleich Politologen/Politiker
1. Ist es legitim, von einem neuen Populismus der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuro-pa zu sprechen, der sich seit Ende der 80er Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung neuer Wähler völlig neuer Strategien bedient?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
2. Welche positiven kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat dieser neue Populismus auf die politische Kultur in Berlin, in Österreich und der Schweiz?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
3. Welche Rolle spielt nach Ihrer Auffassung die personelle Komponente, also die Existenz einer Führerfigur, für die Erfolgschancen einer populistischen Partei?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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negativ teilweise negativ nicht negativ
Politologen
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579
4. War das populistische Profil der Partei DIE LINKE Berlin, FPÖ, SVP ein taktisches Mittel zur Etab-lierung der Partei in der Regierungsverantwortung oder Ausdruck inhaltlicher Grundpositionen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
5. Sehen Sie in der Forderung zahlreicher populistischer Parteien nach mehr plebiszitären Elementen eine Gefahr oder eine Bereicherung der demokratischen Kultur?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
6. War das populistische Element eine notwendige Voraussetzung für den Aufstieg der Partei DIE LINKE Berliner, FPÖ, SVP Parlament?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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Politologen
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7. Hat die Partei DIE LINKLE Berlin, die FPÖ, die SVP aus den Erfahrungen, die sie im Rahmen der Regierungsbeteiligung gewonnen hat, Konsequenzen gezogen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
8. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten Partei DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP, wenn Sie die historischen und politischen Hintergründe in die Betrachtung mit einbeziehen?
1. Ist es legitim, von einem neuen Populismus der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuro-pa zu sprechen, der sich seit Ende der 80er Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung neuer Wähler völlig neuer Strategien bedient?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
2. Welche positiven kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat dieser neue Populismus auf die politische Kultur in Berlin, in Österreich und der Schweiz?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
3. Welche Rolle spielt nach Ihrer Auffassung die personelle Komponente, also die Existenz einer Führerfigur, für die Erfolgschancen einer populistischen Partei?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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Ja geteilte Ansichten Nein
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negativ teilweise negativ nicht negativ
Journalisten
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582
4. War das populistische Profil der Partei DIE LINKE Berlin, FPÖ, SVP ein taktisches Mittel zur Etab-lierung der Partei in der Regierungsverantwortung oder Ausdruck inhaltlicher Grundpositionen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
5. Sehen Sie in der Forderung zahlreicher populistischer Parteien nach mehr plebiszitären Elementen eine Gefahr oder eine Bereicherung der demokratischen Kultur?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
6. War das populistische Element eine notwendige Voraussetzung für den Aufstieg der Partei DIE LINKE Berliner, FPÖ, SVP Parlament?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
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ja geteilte Ansichten nein
Journalisten
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ja geteilt Ansichten nein
Journalisten
Politiker
583
7. Hat die Partei DIE LINKLE Berlin, die FPÖ, die SVP aus den Erfahrungen, die sie im Rahmen der Regierungsbeteiligung gewonnen hat, Konsequenzen gezogen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
8. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten Partei DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP wenn Sie die historischen und politischen Hintergründe in die Betrachtung mit einbeziehen?
1. Ist es legitim, von einem neuen Populismus der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuro-pa zu sprechen, der sich seit Ende der 80er Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung neuer Wähler völlig neuer Strategien bedient?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
2. Welche positiven kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat dieser neue Populismus auf die politische Kultur in Berlin, in Österreich und der Schweiz?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
3. Welche Rolle spielt nach Ihrer Auffassung die personelle Komponente, also die Existenz einer Führerfigur, für die Erfolgschancen einer populistischen Partei?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
80,0%
20,0% 0,0%
44,4% 44,4%
11,2%0%
20%
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60%
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Ja geteilte Ansichten Nein
Politologen
Journalisten
30,0%40,0%
30,0%0,0%
88,8%
11,2%0%
20%
40%
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positiv teilweise positiv nicht positiv
Politologen
Journalisten
80,0%
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0,0% 0,0%0%
20%
40%
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80%
100%
negativ teilweise negativ nicht negativ
Politologen
Journalisten
585
4. War das populistische Profil der Partei DIE LINKE Berlin, FPÖ, SVP ein taktisches Mittel zur Etab-lierung der Partei in der Regierungsverantwortung oder Ausdruck inhaltlicher Grundpositionen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
5. Sehen Sie in der Forderung zahlreicher populistischer Parteien nach mehr plebiszitären Elementen eine Gefahr oder eine Bereicherung der demokratischen Kultur?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
6. War das populistische Element eine notwendige Voraussetzung für den Aufstieg der Partei DIE LINKE Berliner, FPÖ, SVP Parlament?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
30,0%
50,0%
20,0%33,3%
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ja geteilte Ansichten nein
Politologen
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0%
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ja geteilt Ansichten nein
Politologen
Journalisten
586
7. Hat die Partei DIE LINKLE Berlin, die FPÖ, die SVP aus den Erfahrungen, die sie im Rahmen der Regierungsbeteiligung gewonnen hat, Konsequenzen gezogen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
8. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten Partei DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP wenn Sie die historischen und politischen Hintergründe in die Betrachtung mit einbeziehen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
10,0%
40,0%50,0%
33,3%44,4%
22,2%
0%
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wichtige Rolle geteilte Ansichten keine Rolle
Politologen
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Etablierung Beides Inhaltliche Grundpositionen
Politologen
Journalisten
587
Computergestützte Fragen/Antworten der Politologen/ Journalis-ten/Politiker
1.Ist es legitim, von einem neuen Populismus der demokratischen Parteien in West- und Mitteleuropa zu sprechen, der sich seit Ende der 80er Jahre stark entfaltet hat und sich zur Gewinnung neuer Wähler völlig neuer Strategien bedient?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
2. Welche positiven kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat dieser neue Populis-mus auf das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Schweiz?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
3. Welche Rolle spielt nach Ihrer Auffassung die personelle Komponente, also die Existenz
einer Führerfigur, für die Erfolgschancen einer populistischen Partei?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
80,0%
20,0% 0,0%
44,4% 44,4%
11,1%20,0%
40,0% 40,0%
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Ja geteilte Ansichten Nein
Politologen
Journalisten
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positiv teilweise positiv nicht positiv
Politologen
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wichtige Rolle geteilte Ansichten keine Rolle
Politologen
Journalisten
Politiker
588
4. War das populistische Profil der Partei DIE LINKE Berlin, FPÖ, SVP ein taktisches Mittel zur Etablierung der Partei in der Regierungsverantwortung oder Ausdruck inhaltlicher Grundpositionen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
5. Sehen Sie in der Forderung zahlreicher populistischer Parteien nach mehr plebiszitären Elementen eine Gefahr oder eine Bereicherung der demokratischen Kultur?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
6. War das populistische Element eine notwendige Voraussetzung für den Aufstieg der Partei DIE LINKE Berliner, FPÖ, SVP Parlament?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
30,0%
50,0%
20,0%33,3%
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22,2%0,0%
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Etablierung bürgernah
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Ja geteilte Ansichten Nein
Politologen
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40,0%50,0%
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50,0%
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80%
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Ja geteilte Ansichten Nein
Politologen
Journalisten
Politiker
589
7. Hat die Partei DIE LINKLE Berlin, die FPÖ, die SVP aus den Erfahrungen, die sie im Rahmen der Regierungsbeteiligung gewonnen hat, Konsequenzen gezogen?
Antworten
Quelle: Eigene Darstellung
8. Wie beurteilen Sie die konkreten Bedingungsfaktoren für einen dauerhaften Erfolg der populistisch ausgerichteten Partei DIE LINKE Berlin, die FPÖ, die SVP, wenn Sie die histo-rischen und politischen Hintergründe in die Betrachtung mit einbeziehen?