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Übersichten
TraumaBerufskrankh2018 ·20 (Suppl
3):S171–S176https://doi.org/10.1007/s10039-018-0359-xOnline
publiziert: 6. März 2018© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil
vonSpringer Nature 2018
I. A. Ederer · A. Nusche · A. Daigeler · C. BöschKlinik für
Hand-, Plastische, Rekonstruktive und Verbrennungschirurgie, BG
Klinik Tübingen, Tübingen,Deutschland
Versorgung von frischenBeugesehnenverletzungen
Eine differenzierte Fingerfunktion setztdas optimale
Zusammenspiel des tiefenund oberflächlichen Beugesystems so-wie die
intakte Funktion des Streckappa-rats voraus. Eine inadäquate
Versorgungvon Beugesehnenverletzungen kann zuschwerwiegenden
Einschränkungen derGreiffunktion bis hin zum Funktionsver-lust der
betroffenen Hand führen. His-torisch gesehen besitzen
Beugesehnen-verletzungen seit jeher einen hohen the-rapeutischen
Anspruch. Heutzutage isteine möglichst zeitnahe Versorgung
in-nerhalb vonwenigenTagen von zentralerBedeutung. Dieses Vorgehen
kommt v. a.bei Verletzungen in der Zone II zumTra-gen, weshalb sich
die folgende Darstel-lung auf die Behandlung in dieser
Zonekonzentriert.
Epidemiologie
Beugesehnenverletzungen zeigen eineBerufsassoziation von bis zu
25% [7].Im Hinblick auf die geschlechtsspezifi-sche Verteilung
findet sich bei Männerneine 4fach höhere Verletzungsrate
ver-glichen mit Frauen [3]. Auch ist einealtersabhängige Beziehung
mit einermaximalen Inzidenz für Männer vom 2.bis zum 4.
Lebensjahrzehnt und sodannabsteigender Häufigkeit mit zunehmen-dem
Lebensalter nachzuweisen [3, 7].Beugesehnenverletzungen sind
zumeistan nur einem Finger lokalisiert undtreten mit Abstand am
häufigsten inder Zone II auf (ca. 20%; [7]). Hin-sichtlich der
Lokalisation ist außerdemfestzustellen, dass v. a. die tiefen
Beuge-sehnen des Zeige- und Kleinfingers mitje 15% von Verletzungen
betroffen sind[7]. Insgesamt beträgt die Inzidenz
vonBeugesehnenverletzungen etwa 1% aller
Handverletzungen [9]. Angesichts derhohen Anzahl von
Handverletzungen inder Primärversorgung ist dies eine nichtzu
unterschätzende Zahl mit bedeut-samen sozioökonomischen Folgen,
dawegen der Nachbehandlungszeit von et-wa3Monatenein
entsprechenderAusfallder beruflichen Tätigkeit resultiert.
Anatomie
Die anatomischenKenntnisse desBeuge-sehnenapparats stellen eine
unabdingba-reGrundlagefürdieDiagnostikdar.Prin-zipiell
unterscheidet man zwischen demextrinsischen und intrinsischen
Beuge-system.DieextrinsischeMuskulaturwirdweiterführend indie
oberflächlichenundtiefen Beugesehnen (M. flexor
digitorumsuperficialis et profundus [FDS et FDP])unterteilt. Die
einzige extrinsische Beu-gesehne des Daumens ist die Sehne desM.
flexor pollicis longus (FPL). Die Na-mensgebung in oberflächlich
und tiefist nur bedingt topografisch einwand-frei, da die tiefe
Beugesehne auf Höhedes proximalen Grundgliedes durch dasChiasma der
oberflächlichen Beugeseh-ne hindurchtritt, um an der Endglied-basis
des jeweiligen Fingers zu inserie-ren (. Abb. 1). So ergibt sich
eine ober-flächliche Lage der tiefen Beugesehne abGrundgliedmitte.
Die FDS hingegen in-seriert mit einem ulnaren und radialenZügel auf
Höhe der Mittelgliedbasis. Na-he der Ansatzstelle der Beugesehnen
amjeweiligenFinger finden sichVincula, dieBlutgefäße enthalten, die
die Beugeseh-nen von dorsal versorgen.
Zur intrinsischen Muskulatur zählenunter anderem die Mm.
lumbricales etinterossei,die ihrenAnsatzanderDorsal-aponeurose der
jeweiligen Finger finden
unddahernureineBeugungindenMeta-karpophalangealgelenken bei
Streckungder Finger in den Mittel- und
Endgelen-kenbewirken.Aufgrund ihrer tiefenLagesind diese nur bei
ausgeprägten Verlet-zungen der Hand betroffen.
Die Sehnen der extrinsischen Mus-kulatur verlaufen am Finger in
einergemeinsamen Sehnenscheide (Vaginasynovialis digitorum manus),
die einreibungsloses Gleiten ermöglicht. Durchdie Bewegung der
Sehnen in dieserentsteht ein Pumpeffekt, der Synoviain die Sehne
transportiert und zur Er-nährung des Sehnengewebes beiträgt.An den
äußeren Hüllen der Sehnen-scheide setzen ligamentäre Strukturen
–Ringbänder (Ligg. anularia) und Kreuz-bänder (Ligg. obliqua) – an,
die einpalmares Abweichen der Sehnen beiFlexion verhindern.
Zoneneinteilung
Entsprechend der Verletzungslokalisati-on werden
unterschiedliche therapeuti-sche Optionen beschrieben [8, 9].
Dietopografische Einteilung in 5 Zonen(. Abb. 2), beruht auf den
Untersuchun-gen von Verdan [26], wobei die Zonenam Daumen durch den
Buchstaben „T“gekennzeichnet werden.
Verletzungsursachen
Bei jederAnamneseerhebungistesessen-ziell, den
Verletzungsmechanismus unddie Art der Verletzung zu beschreiben,um
mögliche Begleitverletzungen zu er-fassen und ggf. eine weitere
Diagnostikzu veranlassen. Auch aus versicherungs-rechtlicher Sicht
ist es – v. a. bei Arbeits-
Trauma und Berufskrankheit · Suppl 3 · 2018 S171
https://doi.org/10.1007/s10039-018-0359-xhttp://crossmark.crossref.org/dialog/?doi=10.1007/s10039-018-0359-x&domain=pdf
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Übersichten
Abb. 19 Anatomieder Beugeseh-nen auf Höhe desChiasma
tendi-neum.V Vincula,A1/A2 Ringbänder,FDP Flexor
digi-torumprofundus,FDS Flexor digi-torum superficialis.(Mit
freundl. Ge-nehmigung zurVerfügung gestelltvon [18])
Abb. 39 Tonusver-änderung amKlein-finger als Hinweisfür eine
Beugeseh-nenverletzung
unfällen – wichtig, den genauen Unfall-hergang zu
dokumentieren.
Grundsätzlich wird zwischen offenenund gedeckten
Sehnenverletzungen un-terschieden. In der Regel sind scharfeoder
spitze Gegenstände jeglicher Art(Glassplitter, Sägen, Messer,
scharfe Me-tallkantenetc.)UrsacheneinerBeugeseh-nenverletzung [7].
Bei Schnittverletzun-gen ist stets darauf zu achten, in
welcherFingerpositiondieGewalteinwirkung er-folgte: findet die
Sehnendurchtrennungbei gebeugtem Finger statt, rutscht
derkörperferne Stumpf bei nachfolgenderStreckung vom sichtbaren
Verletzungs-ort weiter nach distal [11]. Bei Verlet-zungen am
gestreckten Finger hingegenliegt der distale Stumpf nahe der
Wun-de, wobei häufig der proximale Anteildurch den Muskeltonus bis
in die Hohl-hand zurückgleiten kann. Die Kenntnisdes
Unfallmechanismus beeinflusst alsodie Schnitterweiterung.
Geschlossene Beugesehnenverletzun-gen sind vergleichsweise
selten und zu-meist durch eine unerwartete großeKrafteinwirkung
bedingt [9, 11]. ImExtremfall kommt es zum knöchernenAusriss der
tiefen Beugesehne aus derEndgliedbasis. Diese Entität ist rar,
trittjedoch amhäufigsten beim Sport auf undwird auch als
„Rugby-Finger“ bezeich-net. Prozentual gesehen betrifft
diesesVerletzungsmuster zu rund 80% denRingfinger [9].
Beugesehnenverletzungen ohne ad-äquates Trauma können infolge
beste-hender Erkrankungen aus dem rheuma-tischen Formenkreis durch
synovialiti-sche Veränderungen bedingt sein [5].Scharfkantige
Knochenvorsprünge kön-nen zudem die Ruptur der
entzündlichveränderten Sehne bewirken, wovonv. a. die lange
Daumenbeugesehne be-troffen ist (Mannerfelt-Syndrom;
[5]).Degenerative Knochenveränderungen,etwa arthrotische Exophyten
im Karpal-
Abb. 28 Zoneneinteilung der Beugesehnen-verletzungen. (Adaptiert
aus [17];mit freundl.Genehmigungdes Thieme Verlags)
kanal, und Morbus Kienböck sind alsweitere Ursachen von
Sehnenrupturenzu nennen [14, 16]. Auch
einliegendesOsteosynthesematerial, wie z.B. bei pal-mar versorgter
distaler Radiusfraktur,kann durch mechanische Irritation derdarüber
liegenden Beugesehnen zu einergedeckten Verletzung führen [1,
4].
Diagnostik
Bei offenen Verletzungen erlaubt diegenaue Lokalisation der
Wunde bereitsRückschlüsse auf eine Sehnenbeteili-gung. Bei
Kleinkindern oder älterenPersonen ist eine differenzierte
moto-rische Prüfung oftmals nur erschwertmöglich.
Im Ruhezustand zeigt die Handeinen zunehmenden Beugesehnento-nus
der Finger vom Zeigefinger hin zumKleinfinger [5]. Jede Abweichung
diesesSpannungsverlaufs ist Hinweis auf eineBeugesehnenverletzung
(. Abb. 3). Beikomplettem Tonusverlust eines Fingersist eine
kombinierte Durchtrennung bei-der Beugesehnen anzunehmen.
IsolierteDurchtrennungen der FDS hingegenführen nur zu einer
minimalen Ver-änderung der Fingerspannung, da dieintakte FDP den
Tonus aufrechterhält.
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Folglich ist die Durchführung aktiverund passiver Tests zur
Diagnosesiche-rung unerlässlich.
Die Beugung im Fingerendgelenkwird allein durch die FDP
vollzogen.Bei Durchtrennung dieser – egal in wel-cher Zone – bleibt
das Endgelenk beimFaustschluss gestreckt (Winfield-Zei-chen; [9]).
Die aktive Überprüfung dertiefen Beugesehne erfolgt bei
Fixierungdes Mittelgliedes und Aufforderung derPatienten, den
jeweiligen Finger im End-gelenk zu beugen. Bei Teildurchtrennungder
Sehne ist eine aktive Beugung nochmöglich; bei Testung gegen
Widerstandzeigt sich oftmals eine Schmerzsympto-matik.
Die Funktionsprüfung der FDS ist er-heblichschwieriger,daauchdie
tiefeBeu-gesehne das Mittelgelenk beugt. Die Tes-tung erfolgt daher
nach einem funktio-nellen Ausschalten der FDP. Hierzu be-dient man
sich des sog. Quadrigaphäno-mens: Die benachbarten Finger werdenin
Überstreckung fixiert und die Patien-ten zur aktiven Beugung des zu
untersu-chenden Fingers aufgefordert. Die Beu-gung im Mittelgelenk
erfolgt sodann al-leinig durch eine intakte FDS. AmKlein-finger
sind anatomische Varianten derFDS häufig: In etwa 26% ist diese an
dieFDS-4 gekoppelt und in bis zu 20% sogarfehlend [22].
EinnegativerTestmuss hieralso nicht zwingend auf eine
Durchtren-nung der Sehne hinweisen. BesondereAufmerksamkeit
verdient auch der Zei-gefinger. An diesem ist die FDP häufignicht
gekoppelt mit jener des Mittelfin-gers und formt in bis zu 20%
einen ei-genständigen Muskelbauch, wodurch siesich ebenso der
Fixierung entzieht [28].So kann durch Beugung des Mittelge-lenks
eine intakte FDS am Zeigefingervorgetäuscht werden [9]. Deshalb ist
eineTestungder FDS jedenFingers gegenWi-derstand zu empfehlen: Bei
Beugung imMittelgelenk von etwa 90° und kräfti-gem Zug am
Mittelglied muss das End-gelenk an jedem Finger bei passiver
Be-wegung widerstandslos und locker be-weglich sein. Ist dies nicht
der Fall, er-folgt dieBeugungüberdie FDP,die durchden angespannten
Tonus die Endgelenk-beweglichkeit einschränkt (. Abb. 4).
Bei nichtkooperativen Patienten kannder Tenodeseeffekt hilfreich
sein [9]. Da-
Zusammenfassung · Abstract
Trauma Berufskrankh 2018 · 20 (Suppl
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I. A. Ederer · A. Nusche · A. Daigeler · C. Bösch
Versorgung von frischen Beugesehnenverletzungen
ZusammenfassungZiel der chirurgischen Versorgung
vonBeugesehnenverletzungen ist die frühzeitigeWiederherstellung der
Kontinuität durcheine ausreichend stabile Naht, um eine
früh-funktionelle passive oder aktive Behandlungzu erlauben und so
Adhäsionen der Sehne– insbesondere im osteofibrösen Kanal derFinger
– zu vermeiden. In den letzten Jahrenwurde eine Vielzahl an
Nahttechniken in denunterschiedlichstenModifikationen beschrie-ben.
Im Sinne „je mehr Nahtmaterial, destostabiler“ wurde der Fokus auf
die Erhöhungder Stranganzahl der Kernnaht gelegt, umfrühzeitig
aktive Nachbehandlungskonzeptezu erlauben. Trotz der höheren
initialenbiomechanischen Stabilität dieser Nahttech-niken in
experimentellen Studien konnte in
klinischen Übersichtsarbeiten hinsichtlichder Rupturrate kein
statistisch signifikanterUnterschied zwischen Zweistrang-
undMehrstrangnähten nachgewiesen werden.Auch bezüglich des
funktionellen Ergebnisseswar keine Überlegenheit der
Mehrstrangtech-niken gegenüber den Zweistrangtechnikennachzuweisen.
Dementsprechend gibt es bisheute, abgesehen von einer
stabilenKernnahtund einer glättenden Feinadaptation,
keinenGoldstandard hinsichtlich der idealen Naht-technik oder des
optimalenNahtmaterials zurVersorgung von
Beugesehnenverletzungen.
SchlüsselwörterNahttechnik · Ergebnisse · Zweistrangnaht
·Vierstrangnaht · Ruptur
Management of acute flexor tendon injuries
AbstractThe aim of acute flexor tendon repair isto establish a
strong and stable suture,which enables a smooth gliding of
thetendon and early mobilization to preventpostoperative adhesion
formation. This isespecially important in fingers which havefibrous
tendon sheaths. The evolution ofdifferent suture techniques in the
pastdecades provides an abundance of surgicaloptions for primary
flexor tendon repair. Invitro studies have shown that
multistrandcore sutures have enhanced biomechanicalproperties
compared to two-strand coresutures. This achievement, however, was
notdemonstrated in clinical studies as there
was no statistically significant differencewhen looking at the
outcomes of rupturerate and function between two-strand
andmultistrand core sutures. The publishedliterature supports the
use of a strong coresuture and circumferential epitendinoussuture
to minimize complications; however,so far there has not been a
consensus onthe optimal suture technique or material forprimary
flexor tendon repair.
KeywordsSuture technique · Results · Two-strandsuture ·
Four-strand suture · Rupture
runter versteht man eine zunehmendeBeugung der Finger bei
Streckung imHandgelenk und Streckung der Fingerbei Beugung im
Handgelenk. Dieserlässt sich durch Druck auf die Musku-latur der
entsprechenden Sehnen amUnterarm verstärken. Nach
Beugeseh-nendurchtrennungen ist der Tenode-seeffekt pathologisch.
Auch tastbareUnregelmäßigkeiten im Sehnenverlaufbei gleichzeitiger
passiver Bewegung desFingers können auf eine Sehnenverlet-zung
hinweisen.
Jede Handuntersuchung muss auchdie Überprüfung der Sensibilität
und
Durchblutung beinhalten. BegleitendeNerven- und
Gefäßverletzungen sindaufgrund der anatomischen Lagebe-ziehung
nicht selten und unbedingtpräoperativ zu erfassen. Zusätzlich
sollteein Röntgenbild in 2 Ebenen angefertigtwerden, um
Fremdkörper, knöcherneSehnenausrisse oder
Begleitfrakturenauszuschließen. Bei gedeckten Rupturenoder Verdacht
auf Ringbandverletzun-gen ist die Sonographie ein
zuverlässigesundmeist gut verfügbaresdiagnostischesVerfahren.
Trauma und Berufskrankheit · Suppl 3 · 2018 S173
https://doi.org/10.1007/s10039\penalty \@M -\hskip \z@skip
018\penalty \@M -\hskip \z@skip 0359\penalty \@M -\hskip \z@skip
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Übersichten
Abb. 49 Funktionsüber-prüfung der oberflächli-chen Beugesehne
gegenWiderstand:Das Endgelenkmuss bei passiver Flexion(a) und
Extension (b) leichtbeweglich sein. Ansons-ten erfolgt die
BeugungimMittelgelenk durch
dieFlexor-digitorum-profun-dus(FDP)-Sehne
Abb. 59 Atrau-matisches Fixierender Beugesehnemit Kanüle vor
Be-ginn der Kernnaht(Schnitterweite-rung nach Bruner)
Operative Therapie
Beugesehnenverletzungen sind mög-lichst zeitnah nach dem Trauma
zuversorgen, um einer Ausbreitung
derKeimbesiedlungentgegenzuwirken. Soll-te eine primäre Versorgung
in den ersten24h nach dem Trauma nicht möglichsein, ist eine
spätprimäre Naht inner-halb von 14 Tagen anzustreben [11].Ein
definitiver Zeitpunkt, ab wann eineprimäre Naht nicht mehr möglich
ist,wird in der Literatur nicht beschrieben.Allerdings können beim
Erwachsenennach der 6. Woche aufgrund von Ad-häsionen und der durch
die Retraktionder Sehnenstümpfe hervorgerufenenMinderperfusion
keine vergleichbarenErgebnisse mehr erzielt werden [9].
Seh-nennähte sollten von Operateuren mithandchirurgischer Erfahrung
durchge-führt und im Bedarfsfall an ein Zentrumfür Handchirurgie
transferiert werden.
DieoperativeVersorgungerfolgtprin-zipiell unter
LupenbrillenvergrößerungundAnlage einerBlutleere.
Begleitverlet-zungen von Gefäßen oder Nerven erfor-
dern den zusätzlichen Einsatz des Ope-rationsmikroskops und
mikrochirurgi-schen Instrumentariums.
Schnitterweiterung
Schräg verlaufende Wunden können ineine Bruner-Schnittführung (.
Abb. 5)integriert werden, bis ein Auffinden derSehnenstümpfe und
eine Versorgungvon Begleitverletzungen möglich ist [4].Bei quer
über den Finger verlaufendenVerletzungen ist oftmals eine
mediolate-rale Schnitterweiterung durchzuführen,um einen Hautlappen
mit hinreichenderBreite zu bekommen. Beim Aufsuchender
Sehnenstümpfe ist auf ein äußerstgewebeschonendes Vorgehen zu
achten,um postoperative Adhäsionen zu ver-meiden [8]. Distale
Sehnenenden lassensich durch passives Beugen der Fingerin die
Verletzungszone befördern. Pro-ximale Stümpfe werden durch
Beugungim Handgelenk und zusätzliches „Aus-melken“ in die Wunde
gebracht. Ist derSehnenstumpf nicht auffindbar, musseine
Schnitterweiterung oder ein weite-
rer Zugang erfolgen. Um ein erneutesZurückgleitender
Sehnenzuverhindern,können diese temporär mit Kanülen fi-xiert
werden. Ausgefranste Sehnenendensollten vor der Naht geglättet
werden.Es empfiehlt sich, einen Teil der Aus-fransung bis zur
Vervollständigung derNaht zu belassen, um ebendort die Sehnezu
fassen und somit eine atraumatischeFixierung zu gewährleisten [10].
Hin-sichtlich der biomechanischen Stabilitätbei Fingerbeugung ist
auf eine Scho-nung der Ringbänder zu achten. Solltendiese die
Versorgung oder danach dasGleiten der Sehne behindern, ist
eineVerschmälerung, Ringbandplastik oderAufspaltung zu empfehlen
[8]. EinigeStudien zeigen sogar, dass selbst die A2-und
A4-Ringbänder gespalten werdendürfen, sofern die benachbarten
Ring-bänder in ihrer Kontinuität bestehenbleiben [13, 23, 24].
Nahttechnik
Ziel der operativen Versorgung von Beu-gesehnenverletzungen ist
eine Naht mitausreichender Stabilität und guter Gleit-fähigkeit, um
eine frühfunktionelle pas-sive oder aktive Nachbehandlung zu
er-lauben. Grundsätzlich besteht die Seh-nennaht aus einer Kernnaht
und einerepitendinösen Adaptationsnaht.
Kernnaht
Bezüglich der Vielzahl an Nahttechni-ken werden sowohl
Zweistrang- als auchMehrstrangtechniken durchgeführt.
Ob-wohlexperimentelleUntersuchungenge-zeigt hatten, dass
Mehrstrangnähte zwarbelastbarer sind als Zweistrangnähte,
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Abb. 68 Zweistrangtechnik nachKirchmayr-Kessler. in
derModifikationnachZechner.aAnordnungderNahttechnik,bVersenken des
Knotens durch Längsinzision der Sehne
konnte die Analyse von Rupturraten inklinischen Studien der
letzten 20 Jahrekeinen signifikanten Unterschied zwi-schen
Zweistrang- und Mehrstrangtech-niken zeigen [24, 25]. Auch
bezüglichder Nachbehandlung (aktiv oder passiv)konnte in
Übersichtsarbeiten kein sta-tistisch signifikanter Unterschied in
denGesamtkomplikationen gefunden wer-den [2, 19]. Unter der
passiven Nachbe-handlung betrug die Gesamtkomplikati-onsrate 13%
mit 4% Rupturen und 9%Bewegungseinschränkungen der betrof-fenen
Finger. Bei aktiver Nachbehand-lung lag die
Gesamtkomplikationsratebei 11% mit 5% Rupturen und 6%
Be-wegungseinschränkungen [19]. Somithatten passive
Nachbehandlungsproto-kolle eine statistisch signifikant nied-rigere
Rupturrate bei höherem Risikoeiner Bewegungseinschränkung
vergli-chen mit einer aktiven Nachbehandlung[19]. Bei aktiver
Nachbehandlung fandsich kein statistisch signifikanter Un-terschied
bezüglich der Rupturrate beiZweistrang- oder
Mehrstrangtechniken[24]. Auchhinsichtlich des
funktionellenErgebnisses konnte für Mehrstrangtech-niken keine
Überlegenheit in klinischenStudien gezeigt werden [6].
Interessantist jedoch, dass aktuell ein Trend zurVereinfachung
dieser komplexen Naht-techniken zu beobachten ist [24].
Dasvermehrte Einbringen von Nahtmaterialin die Sehne vermag nicht
nur die Gleit-fähigkeit zu beeinflussen, sondern auchstörende
Effekte auf die Tenozytenakti-vität und somit auf die
Sehnenheilungzu haben [12, 24, 25]. So könnte es sein,dass die
biomechanisch vermeintlich
perfekte Nahttechnik ihre Limitierungin den physiologischen
Gegebenheitender Sehnenheilung findet.
Wichtig für die Stabilität der Kern-naht ist das Setzen von
Ankerpunktenund die Verwendung von Locking-Näh-ten [20]. Unter
blockierenden Nähtenversteht man, dass sich der querverlau-fende
Faden der intratendinösen Nahtbei Längszug wie ein Lasso um das
Seh-nenbündel zieht [10]. Die Verankerungder Kernnaht sollte
prinzipiell 7–10mmvondenSehnenstümpfen entfernt liegen,da aufgrund
von reparativen Vorgängenin der direkt angrenzenden Traumazonekein
ausreichender Halt der Naht gege-ben ist [8, 21].
BeimSetzenderKnoten istdarauf zu achten, diese nicht außerhalbder
Sehne zu positionieren da dadurchdie Gleitfähigkeit, z.B. durch ein
Verha-ken an den Ringbändern, beeinträchtigtwerden kann [12]. Darum
ist ein Ver-senken der Knoten innerhalb der Seh-ne anzustreben.
Hierfür kann die Zwei-strangtechnik von Kirchmayr-Kessler inder
Modifikation nach Zechner als Bei-spiel dienen (. Abb. 6; [30]).
Weiterhinkontrovers bleibt jedoch die Frage, obKnoten zwischen den
Sehnenstümpfenzu liegen kommen sollen [10, 12]. Auchwenn dadurch
eine gewisse Nahtdehis-zenz und Verminderung der Kontaktflä-che der
Sehnenstümpfe resultieren, wur-de in einer in vivo Studie keine
Redukti-on der Nahtstabilität festgestellt, ja sogarvermutet, dass
diese Knotenlage einenpositiven Anreiz auf die Sehnenheilunghat
[15].
Epitendinöse Naht
Eine zirkulär epitendinöse Naht dientdazu, minimale Lücken nach
erfolgterKernnaht zu schließen, um eine glatteAdaptation zu
erreichen [24]. Als essen-zielle Komponente der Sehnennaht trägtsie
rund 10–50% zu der Gesamtstabi-lität bei [8]. Auch hier stehen
diverseNahttechniken zur Verfügung, wie z.B.die einfach
fortlaufende Naht nach Klei-nert oder Kreuzstichnähte nach
Lembertund Halsted [10, 27]. Trotz der
biome-chanischenÜberlegenheit andererNähtewird die fortlaufende
Ringnaht aufgrundihrer Einfachheit sehr häufig verwendet[27, 29].
Entsprechend den beschriebe-nen Veränderungen in der
unmittelba-renTraumazone soll dieNahtmindestens2mm davon entfernt
gesetzt werden [8,27].
Nahtmaterial
Die Suche nach dem perfekten Nahtma-terial gestaltet sich ebenso
schwierig wiejene nach der optimalen Nahttechnik.Trotz einer
Vielzahl an biomechani-schen Untersuchungen gibt es
keineneinheitlichen Konsens darüber [24]. DieAuswahl beruht
vielmehr auf der in-dividuellen Erfahrung des Operateursbzw. der
jeweiligen Verfügbarkeit desNahtmaterials. Neben der
Reißfestigkeitsind v. a. eine geringe Reaktion mit demumliegenden
Sehnengewebe und einfa-che Handhabung zu beachten [29].
Denhäufigsten Einsatz finden nicht resor-bierbare synthetische
Nahtmaterialien,die eine gute Gleitfähigkeit aufweisen(z.B.,
Supramid® [B. Braun AG, Melsun-gen, Deutschland], Ethibond®,
Ethilon®,Prolene® [alle drei: Ethicon-Germany/ Johnson &
Johnson Medical GmbH,Norderstedt, Deutschland]). Auch
re-sorbierbare Fäden mit ausreichenderResorptionszeit (z.B. PDS®
[Ethicon],Maxon® [Medtronic, Minneapolis, MN,USA]) eignen sich gut
für Sehnennäh-te. Eine sehr hohe Stabilität bietet derFiberWire®
(Arthrex, Naples, FL, USA)jedoch ist hier die geringere
Knotensi-cherheit zu beachten [29].
Die Fadenstärke fürdieKernnaht liegtin der Regel zwischen 3/0
und 4/0, wo-bei hinsichtlich der Rupturrate kein Un-
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terschied zwischen einem 3/0- und 4/0-Faden aufgezeigt werden
konnte [6]. FürKernnähte nicht zu empfehlen sind Fä-den der Stärke
5/0 [29]. Diese eignen sichjedoch sehr gut für epitendinöse
Adap-tationsnähte, wofür auch Fäden der Stär-ke 6/0 häufigen
Einsatz finden.
Fazit für die Praxis
4 Entsprechend der InternationalFederation of Societies for
Surgeryof the Hand (IFSSH) liegt aktuell keinGoldstandard
hinsichtlich der idealenNahttechnik oder des optimalenNahtmaterials
vor.
4 In groß angelegten Studien wurdehinsichtlich der Rupturrate
und desfunktionellen Ergebnisses kein statis-tisch signifikanter
Unterschied zwi-schen Zweistrang- und Mehrstrang-techniken
nachgewiesen.
4 Die aktive Nachbehandlung führt ge-genüber der passiven zu
geringfügigbesseren funktionellen Ergebnissenauf Kosten einer
leicht erhöhten Rup-turrate unabhängig von der Anzahlder
Kernnähte.
4 Die Wahl zwischen einer Zweistrang-oder Mehrstrangnaht sowie
dempostoperativen Nachbehandlungs-konzept obliegt dem
Operateur.
4 Um ein zufriedenstellendes funk-tionelles Ergebnis zu
erhalten, istdie frühzeitige aktive oder passiveNachbehandlung
unerlässlich.
Korrespondenzadresse
Dr. med. univ. I. A. EdererKlinik für Hand-,
Plastische,Rekonstruktive undVerbrennungschirurgie, BGKlinik
TübingenSchnarrenbergstr. 95,72076 Tübingen,
[email protected]
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. I.A. Ederer, A.Nusche,A.DaigelerundC.
Böschgeben an, dass kein Interessenkonfliktbesteht.
Dieser Beitragbeinhaltet keine vondenAutorendurchgeführten
Studien anMenschenoder Tieren.
The supplement containing this article is not spon-soredby
industry.
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S176 Trauma und Berufskrankheit · Suppl 3 · 2018
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Versorgung von frischen
BeugesehnenverletzungenZusammenfassungAbstractEpidemiologieAnatomieZoneneinteilungVerletzungsursachenDiagnostikOperative
TherapieSchnitterweiterungNahttechnikKernnahtEpitendinöse Naht
NahtmaterialFazit für die PraxisLiteratur