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Deutschland und die südliche Nachbarschaftspolitik Hamburg: Metropole im euro-mediterranen Raum? Nahostkonflikt: Die brennende Frage der euro-mediterranen Zusammenarbeit Migration: Prüfstein der europäischen Mittelmeerpolitik Herausgegeben von der Euro-Mediterranean Association for Cooperation and Development e.V. Das EMA-Magazin Mediterranes Ausgabe 1/2009 Die Union für das Mittelmeer Elbphilharmonie Hamburg (© Herzog & de Meuron)
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Deutschland, die Union für das Mittelmeer und die südliche Nachbarschaft: Interessen und Perspektiven

May 14, 2023

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Duncan Freeman
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Page 1: Deutschland, die Union für das Mittelmeer und die südliche Nachbarschaft: Interessen und Perspektiven

Deutschland und die südliche NachbarschaftspolitikHamburg: Metropole im euro-mediterranen Raum?Nahostkonflikt: Die brennende Frage der euro-mediterranen ZusammenarbeitMigration: Prüfstein der europäischen Mittelmeerpolitik

Herausgegeben von der Euro-Mediterranean Association for Cooperation and Development e.V.

Das EMA-MagazinMediterranes

Ausgabe 1/2009

Die Union für das Mittelmeer

Elbphilharmonie H

amburg (©

Herzog &

de Meuron)

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Ihren Ursprung hat die Dorsch Gruppe im Jahre 1951. Die Dorsch Gruppe ist heute mit ihren 1.600 Mitarbeitern die größte unabhängige Planungsgruppe Deutschlands. Sie arbeitet in mehr als 140 Ländern in 4 Kontinenten unabhängig von Herstellern und Lieferanten der Bauwirtschaft.

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EditorialMediterranes – eine neue Zeitschrift ist geboren! Das EMA-

Magazin möchte informativ und kritisch über wirtschaftliche, soziale und politische Aspekte der Zusammenarbeit zwischen

Deutschland, den südlichen und östlichen Mittelmeerländern sowie den übrigen arabischen Staaten berichten. Das EMA-Team ist stolz darauf, Ih-nen die erste Ausgabe der Zeitschrift pünktlich zum einjährigen Bestehen der Euro-Mediterranean Association for Cooperation and Development e.V. (EMA) präsentieren zu können.

In Anlehnung an den im November 1995 von der EU ins Leben gerufenen Barcelona-Prozess will die EMA der wirtschaftlichen und soziokulturellen Kooperation zwischen Deutschland und den übrigen Ländern der EMA-Region neue Impulse geben. Zu den Ländern gehören: die am Barcelona-Prozess beteiligten südlichen Mittelmeeranrainer, die Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrates und die weiteren Mitgliedstaaten der Arabischen Liga. Der Bedarf und das Potenzial für die Intensivierung der Beziehun-gen zwischen Deutschland und diesen Ländern ist groß. Das EMA-Enga-gement für eine engere und intensivere Kooperation soll dazu beitragen, Menschen, Institutionen und Märkte einander näher zu bringen.

Fast zeitgleich mit dem einjährigen Bestehen der EMA begeht auch die Union für das Mittelmeer ihren ersten Jahrestag. Ihr ist diese Ausgabe thematisch gewidmet. Die Union für das Mittelmeer hat die schrittwei-se Zusammenführung der Europäischen Union mit den südlichen Mit-telmeeranrainerstaaten zum Ziel. Ihre Umsetzung verläuft jedoch nur schleppend. Dies liegt zum einen am Gazakrieg, der zur vorläufigen Blo-ckierung des Arbeitsprozesses führte. Zum anderen stößt die Union für das Mittelmeer in Europa – anders als im arabischen Raum – noch auf relativ wenig Interesse in der Bevölkerung. Man denke nur an den Wahl-kampf der letzten Europawahlen zurück: keine der Parteien hat die Union für das Mittelmeer zum Thema gemacht. Dies muss sich ändern!

In der ersten Ausgabe von Mediterranes diskutieren Wissenschaftler, Journalisten und Politiker in insgesamt 14 Beiträgen die verschiedens-ten Aspekte der Union für das Mittelmeer. In einem bunten Wechsel von Fachbeiträgen und Kommentaren, Interviews und Essays kommen deutsche und internationale Autoren zu Wort. Mediterranes hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu einem gemeinsamen Gespräch zu führen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gute Lektüre!

Ihr Dr. Abdelmajid Layadi

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Eine Stimme aus dem SüdenAndré Azoulay mit einem Plädoyer für einen gemeinsamen Verständigungsraum

Die Union für das Mittelmeer: Hintergrund und PerspektivenAnnette Jünemann

Deutschland, die Union für das Mittelmeer und die südliche Nachbarschaft: Interessen und PerspektivenTobias Schumacher

Zehn Banken, aber woher kommt das Geld?Irina Saal

Hamburg: Eine Metropole im euro-mediterranen Raum?Interview mit Ingo Egloff, dem Landesvorsitzenden der Hamburger SPD

Eitles Mächtespiel der Regierungen in „Nord“ und „Süd“Bernhard Schmid

Der Nahostkonflikt: Die brennende Frage der euro-mediterranen ZusammenarbeitAkram Belkaïd

Der türkische Standpunkt: Dabei sein ist allesUdo Steinbach

Die Union für das Mittelmeer: „Visionär und mutig“Interview mit S.E. Rachad Bouhlal, dem marokkanischen Botschafter in Deutschland

Vorbehalte aus der Afrikanischen UnionEmile Fidieck

Demokratieförderung: Mehr Fiktion als RealitätIsabelle Werenfels

Migration: Ein kontrovers diskutiertes ThemaClara Gruitrooy

Migration: Prüfstein der europäischen MittelmeerpolitikAli Bensaâd

EU-Genderpolitik: Ein Tropfen auf den heißen Stein?Malika Bouziane

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Die Union für das MittelmeerAusgabe 1/2009

André AzoulAy

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Seite 7Mediterranes 1/2009

Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass für die Region des Mittelmeers das Wort „Union“ Verwendung findet. Es geht da-

bei nicht nur um eine Freihandelszone, nicht nur um eine Zone der Migration, nicht nur um eine kulturelle Kooperation. Bei der Union für das Mittelmeer geht es um wesentlich mehr. Wir leben in einer Zeit der Animositäten, in einer Zeit der gegenseitigen Ignoranz. Nach meiner Ansicht findet kein Kampf der Kulturen statt, sondern ein Kampf der Ignoranzen! Wir waren schon mal weiter. Aber wir alle haben in den letzten 30 oder 40 Jahren einen Rückschritt gemacht. Als ich jung war, stritten in den poli-tischen Debatten Liberale mit Marxisten. Das war damals die normale, die legitime Debatte. Heute müssen wir diskutieren, ob wir als Mus-lime, Christen und Juden noch zusammenleben können! Wir alle haben diesen enormen Rück-schritt gemacht, der nicht ehrenhaft, nicht be-friedigend, nicht intellektuell anregend ist. Wir müssen der Logik des Rückschritts ein Ende set-zen. Die Union für das Mittelmeer ist der Beginn einer Antwort, einer kulturellen Antwort, der wir nicht mehr ausweichen können. Mit der Union für das Mittelmeer werden wir die fundamenta-len Prinzipien der Gleichheit und Gleichbehand-lung wieder herstellen. Wir werden eine Logik der Gegenseitigkeit errichten: was für euch gut ist, muss für uns gut sein. Wenn in Europa etwas passiert, fühle ich mich betroffen, denn ich sehe einen Teil meiner Zukunft im Norden. Aber es ist auch nötig, dass die Menschen aus den Län-dern im Norden, wenn sie nach Marokko oder in die anderen Länder des Südens schauen, dass sie sich ebenso betroffen fühlen von den Entwick-lungen in unseren Gesellschaften. Wir müssen solidarisch sein. Wir dürfen nicht nur zusam-mentreffen, um Handelsgüter auszutauschen

oder um die Migrationsströme zu regulieren. Wir müssen zusammenkommen, um all das hervorzubringen, was große Zivilisationen, gro-ße Länder, große Projekte hervorbringen kön-nen. Wir müssen zusammenkommen, um zu Vernunft und Modernität zurückzufinden. Ich möchte klarstellen, als jemand, der aus einem arabischen Land kommt, aus der islamischen Welt, aus einem Land auf dem afrikanischen Kontinent, aus dem Maghreb, dass die Zukunft meiner Kinder, die Zukunft meines Landes kei-ne andere ist, als die Zukunft eurer Kinder. Was ich damit sagen möchte, ist, dass wir zurückkom-men müssen zu einer Wahrnehmung, zu einem Verständnis des menschlichen Miteinanders, das nicht verfälscht, nicht belastet wird durch all das, was in den letzten Jahren in das Brevier der internationalen Beziehungen aufgenommen wurde. Man kann Araber und Muslim sein, Araber und Jude, wie ich es bin, und dieselben menschlichen Werte teilen, dieselbe Modernität, denselben Fortschritt, welche die Europäische Union, die westliche Christenheit lebt. Es geht um eine universelle Ethik, und eine universelle Ethik ist weder arabisch-islamisch noch westlich-christlich. Sie gehört uns allen und ist für alle dieselbe. Die Union für das Mittelmeer ist die Antwort auf die nicht annehmbare Theorie eines Kampfes der Kulturen.

André Azoulay, einer der engsten Vertrauten des marokkanischen Königs Mohammad VI., einziger jüdischer Araber in der arabi-schen Welt mit einem hohen Regierungsamt und Präsident der Anna-Lindh-Stiftung, mit einem Plädoyer für einen gemeinsa-men Kultur- und Verständigungsraum innerhalb der Union für das Mittelmeer:

Eine Stimme aus dem Süden

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus einem Bühnen-gespräch im Hamburger KörberForum im März 2009, das von Dr. Sonja Hegasy, der Vizedirektorin des Zentrums Moderner Orient (Berlin) moderiert wurde. Wir danken der Körber-Stiftung und dem Zentrum Moderner Orient für die Überlassung der Aufnahme und Transkription des Interviews. Eine ausführliche Version des Interviews in französischer Sprache ist auf der EMA-Homepage abrufbar.

André Azoulay zu Gast in

Hamburg

(Foto: Marc darchinger)

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Unter lebhafter Anteilnahme der Medi-en wurde auf dem euro-mediterranen Gipfeltreffen vom 13. Juli 2008 in Pa-

ris die Union für das Mittelmeer (UfM) aus der Taufe gehoben.1 Dieses Prestigeprojekt des fran-zösischen Präsidenten Nicolas Sarkozy hat in der wissenschaftlichen community weit weniger Begeisterung ausgelöst als in der veröffentlich-ten Meinung. Wie innovativ ist diese „Union“ zwischen ungleichen Partnern? Ist sie konzep-tionell geeignet, die Defizite der bislang wenig erfolgreichen Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) zu beheben? Verspricht sie Lösungsan-sätze für die regionalen Konflikte, allen voran für den Nahostkonflikt? Kurz gefasst: Bewegen sich die euro-mediterranen Beziehungen mit der UfM voran – wie es bitter notwendig wäre – oder kaschiert die UfM lediglich eine weitere Phase der Stagnation oder gar des Rückschritts?

Die EMP wurde im November 1995 auf einer Mittelmeerkonferenz in Barcelona gegründet. Damit wurden die traditionell bilateralen euro-mediterranen Beziehungen durch eine mul-tilaterale Dimension erweitert, die langfristig auf die Etablierung interregionaler Beziehun-gen zielt. Gründungsdokument der EMP ist die Deklaration von Barcelona2 , die aus einer Präambel und drei Körben besteht: Korb (1) Politische und Sicherheitspartnerschaft, Korb (2) Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft und Korb (3) Partnerschaft im kulturellen, sozialen und menschlichen Bereich. Während Korb (2) als Reform der traditionellen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und ihren südlichen Nachbarn bezeichnet werden kann, sind Korb (1) und (3) Innovationen, mit denen die euro-mediterranen Beziehungen eine politische Dimension erhalten haben. Normatives Ziel aller drei Körbe ist die Demo-kratisierung und Stabilisierung der gesamten Region.

Politische und Sicherheitspartnerschaft

Nie zuvor gab es ein multilaterales Gesprächs-forum, das – unter Einschluss der Konfliktpar-teien des Nahostkonflikts – sicherheitspolitische Themen der Region diskutiert hätte. Insofern konnte 1995 allein schon die Einrichtung dieses Forums als Erfolg der EMP gewertet werden. Dessen ungeachtet stellte sich gerade die Zusam-menarbeit in Korb (1) als extrem unbefriedigend heraus. Um konkrete Ergebnisse erzielen zu können, bedürfte es einer gemeinsamen Sicher-heitsperzeption und damit einer gemeinsamen Antwort auf die Frage, welche sicherheitspoliti-schen Themen in dieser Region von Bedeutung sind. Für die Europäer sind es vor allem weiche Sicherheitsrisiken wie militanter Islamismus, organisierte Kriminalität und illegale Migrati-on. Den Mittelmeer-Drittländern (MDL) geht es hingegen um die dem Nahostkonflikt inhä-renten, von Arabern und Israelis gleichermaßen als vital wahrgenommenen Sicherheitsrisiken3. Solange der Nahostkonflikt nicht beigelegt ist, weigern sich die arabischen MDL, mit Israel über eine nuklearwaffenfreie Zone oder die Nichtverbreitung chemischer oder biologischer Massenvernichtungswaffen zu verhandeln, weil dies lediglich einen für sie ungünstigen Status quo festschreiben würde. Somit kann der Nah-ostkonflikt als eines der größten Hindernisse für eine fruchtbare Zusammenarbeit in Korb (1) identifiziert werden4.

Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft

Die Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft bildet den Kern der EMP. Sie sieht die mittelfristige Schaffung einer Freihandelszone vor (der dafür ursprünglich geplante Termin 2010 musste ver-schoben werden), von der man sich eine grund-legende Verbesserung der wirtschaftlichen Lage im südlichen Mittelmeerraum und damit wirt-

Die Union für das Mittelmeer Hintergrund und Perspektiven

von Annette Jünemann

Prof. Dr. Annette Jü-nemann ist Professorin am Institut für Inter-nationale Politik der Helmut-Schmidt-Uni-versität der Bundeswehr in Hamburg. Ihre For-schungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Internationale Bezie-hungen, Europäische Integration, EU-Au-ßenbeziehungen/ESVP, Mittelmeerpolitik und Demokratisierungspo-litik.

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schaftliche und politische Stabilität erhofft. Voraus-setzung nach Meinung der EU ist allerdings, dass bis dahin alle MDL ihre Wirtschaftssysteme mit Hilfe entsprechender Strukturanpassungsmaß-nahmen liberalisiert haben. Um kontraproduktive Effekte der Strukturanpassung abzupuffern, stellte die EU Finanzhilfen zur Verfügung, die durch Kre-dite der Europäischen Investitionsbank in gleicher Größenordnung ergänzt wurden. Ob diese Maß-nahmen hinreichend waren, ist jedoch bis heute fraglich; sie helfen mit Sicherheit nicht über das strukturelle Problem der geplanten Freihandelszo-ne hinweg, das im mangelnden Willen der Europä-er besteht, ihre eigene protektionistische Agrarpoli-tik zu reformieren. Insofern ist die Freihandelszone für einige MDL ein schwer kalkulierbares Risiko. Auch ausländische Direktinvestitionen blieben in der Vergangenheit, abgesehen von den Sektoren Erdöl und Erdgas, hinter den Erwartungen zurück. Da sich das Wohlstandsgefälle zwischen den beiden Regionen seit 1995 sogar vergrößert hat, liegt das Ziel, eine Region des gemeinsamen Wohlstands zu schaffen, in weiter Ferne.

Im Hinblick auf das normative Ziel Demokratisie-rung war die wichtigste Innovation in Korb (2) die politische Konditionalität, von der die Kooperation im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft abhängig gemacht wurde. Sie erlaubt der EU, im Fall von Menschenrechtsverletzungen oder ande-ren groben Verstößen gegen die demokratischen Regeln, die Kooperation mit dem betreffenden Mit-telmeerpartner zu unterbrechen oder zu reduzie-ren. Diese Innovation löste bei den MDL zunächst Furcht vor europäischer Einmischung in ihre inne-ren Angelegenheiten aus. Angesichts des bisheri-gen Stillhaltens der EU gegenüber den politischen Zuständen in den MDL scheinen solche Ängste jedoch wenig begründet.

Partnerschaft im kulturellen, sozialen und menschlichen Bereich

Ausgangspunkt der Partnerschaft in diesem Be-reich war die Überlegung, dass interregionale Ko-operation nicht allein auf dem Dialog von Regie-rungen basieren darf, sondern die Zivilgesellschaft einbeziehen muss. Dies gilt umso mehr, wenn das normative Ziel der Kooperation die Durchsetzung von Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit ist. Deshalb wurde der top-down Ansatz externer Demo-kratieförderung (Korb 1 und 2) durch einen bottom-up Ansatz ergänzt, der in Korb (3) verankert wurde. Dieser Ansatz richtet sich nicht an die Regierun-gen, sondern versucht, über die Zivilgesellschaften Einfluss auf die gesellschaftspolitische Entwicklung der MDL zu nehmen. Blickt man jedoch auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre zurück, so fällt auf, dass die entsprechenden Programme immer unpolitischer wurden und der kulturelle Dialog ge-genüber einer expliziten Demokratisierungs- und Menschenrechtspolitik dominiert 5.Weil die Zusammenarbeit in Korb (1) durch den Nahostkonflikt weitgehend paralysiert ist, verla-gerte die EU – insbesondere nach den Anschlägen

vom 11.9.2001 – zunehmend sicherheitspolitisch relevante Themen in Korb (3). Der dritte Korb wur-de damit zum Sammelbecken unterschiedlichster Politikfelder: kultureller Austausch einerseits und Innere Sicherheit andererseits. Als überaus prob-lematisch hat sich erwiesen, dass im Rahmen der EMP Demokratien mit autoritären Regimen im äu-ßerst sensiblen Bereich der Inneren Sicherheit ko-operieren wollen. Die Zusammenarbeit in Korb (3) befindet sich damit in einem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit, welches meist – auch von Seiten der EU – zugunsten der Sicherheit aufgelöst wird

Einbindung der EMP in die Europäische nachbarschaftspolitik (EnP)

Seit 2004 gestaltet die EU ihre Beziehungen zu allen benachbarten Drittstaaten im Rahmen einer neu konzipierten Europäischen Nachbar-schaftspolitik (ENP)6. Wesentliches Instrument der ENP sind so genannte Aktionspläne, die der Vertiefung der bilateralen Beziehungen mit den einzelnen Nachbarländern dienen. Der Mehrwert der Aktionspläne besteht darin, dass ihre Inhalte gemeinsam mit den MDL festgelegt werden. Das hat zum einen den Vorteil, dass Reformprogram-

me besser auf die jeweilige Situation im Land abgestimmt werden können. Zum anderen rela-tiviert diese Form der Zusammenarbeit die Do-minanz der EU. Allerdings kommt auch in der ENP das normative Ziel der Demokratisierung nicht in aller nötigen Konsequenz zum Tragen. Während nämlich das in den Aktionsplänen ent-haltene benchmarking der ökonomischen Moder-nisierung relativ konkret ist, fehlt vergleichbares für die innenpolitischen Reformen7.

Wie geht es weiter?

Die EU-Mitgliedstaaten einigten sich auf ihrem Mittelmeergipfel vom März 2008 darauf, die EMP mit der Schaffung der UfM prinzipiell fort-zuführen, sie dabei jedoch in einigen wichtigen Punkten zu reformieren:

1. Die Gruppe der MDL wird geografisch ausge-weitet;2. Die Zusammenarbeit findet vor allem im Rah-men konkreter Projekte statt, an denen nicht alle Partnerländer partizipieren müssen;3. Es werden neue Institutionen geschaffen, die den MDL größere Mitgestaltungsmöglichkeiten garantieren.

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Festgehalten wurde an der Mitwirkung der EU und aller ihrer Mitgliedstaaten sowie, zumindest deklaratorisch, am Bekenntnis zu Demokratie, Pluralismus, Rechtstaatlichkeit und fundamen-talen Menschen- und Freiheitsrechten. Bemer-kenswert ist, dass die konkrete Ausgestaltung der UfM nicht gemeinsam mit den MDL dis-kutiert, sondern allein von europäischer Seite bestimmt wurde. Wie schon 1995 bei der Be-gründung der EMP blieb den MDL auch dies-mal nur die Wahl, zuzustimmen oder nicht. An-gesichts der offensichtlichen Bemühungen der EU, die Partizipationsmöglichkeiten der MDL zu verbessern sowie, weniger offensichtlich, die normative Dimension entgegen aller Rhetorik in der praktischen Zusammenarbeit herunter-zufahren, stimmten die MDL der Umwandlung der EMP in die UfM zu.

Chancen und Risiken einer Erweiterung der Gruppe der MDl

Mit der Erweiterung der Gruppe der MDL re-agierte man auf die häufig geäußerte Kritik der MDL, dass die quantitative Asymmetrie zwischen Nord und Süd durch die EU-Erweiterungen 2004 und 2007 extreme Ausmaße angenom-men hatte: 27 EU-Mitgliedstaaten standen im Rahmen der EMP nur noch 10 MDL gegenüber. Entsprechend erweiterte man die Gruppe der südlichen Partnerländer um Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mauretanien, Monaco und Montenegro, sowie Vertreter internationa-ler Organisationen, die einen Beobachterstatus erhielten. Der deutlich erweiterte Zuschnitt der UfM soll die Verhandlungsmacht der MDL stär-ken und kommt damit auch dem rhetorisch so

oft bemühten „Partnerschaftsgeist“ entgegen. Gleichzeitig birgt die Erweiterung aber zusätz-liches Konfliktpotential. Dies ist nicht unerheb-lich vor dem Hintergrund, dass etliche MDL schon vorher in schwer lösbare Regionalkonflik-te involviert waren. Neben dem Zypernkonflikt und dem Westsaharakonflikt, zu deren Lösung die EMP in dreizehn Jahren nichts beitragen konnte, haben sich vor allem der Nahostkonflikt bzw. die Vor- und Rückschritte im nahöstlichen Friedensprozess als maßgebliche Determinan-ten für Erfolg bzw. Misserfolg in den euro-me-diterranen Beziehungen erwiesen.

neue Impulse durch Projektarbeit und eine variable Geometrie?

Der Auftakt der UfM hat der bislang wenig er-folgreichen EMP nicht zu leugnende Impulse verliehen. Grund dafür waren, neben der medi-enwirksamen Inszenierung der französischen EU-Ratspräsidentschaft, vor allem die ebenfalls in Paris initiierten Projekte, mit denen drängen-de Probleme in der Region schnell und tatkräftig angegangen werden sollen. Aufgrund der gerin-gen Erfolge der EMP ist es in der Tat notwen-dig, dass die euro-mediterrane Zusammenarbeit schnelle, sichtbare und spürbare Erfolge zeitigt. In diesem Sinne weisen die beschlossenen Pro-jekte in die richtige Richtung. Als priority projects wählte man zunächst politisch wenig brisante Themenfelder wie die Säuberung des Mittel-meeres, die Einrichtung von transnationalen Schifffahrtsstrassen und Autobahnen, die Schaf-fung eines gemeinsamen Katastrophenschutzes u.a.m. Doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich dabei um alten Wein in

neuen Schläuchen handelt. Inhaltlich knüp-fen sie fast alle an Initiativen an, die es bereits vorher im Rahmen der EMP oder anderer euro-mediterraner Foren gab8. Hinzu kommt, dass die Finanzierung der Projekte völlig unklar ist. Angesichts der akuten Wirtschafts- und Finanz-krise ist mit Privatinvestoren derzeit kaum zu rechnen. Einer Aufstockung der EU-Mittel wur-de auf dem Gipfeltreffen vom Juli 2008 eben-falls eine Absage erteilt.

Wichtiger ist deshalb der Ansatz der variablen Geometrie, der im Rahmen der UfM zum we-sentlichen Strukturelement der Zusammenar-beit werden soll. Die Idee, einzelne Projekte im Rahmen einer lediglich subregionalen Koope-ration zu bearbeiten, bzw. in Kooperation mit Staaten, die willens und fähig sind, an einem bestimmten Projekt zu partizipieren, weist ei-nen konstruktiven Weg aus der Blockade, mit der der Nahostkonflikt die Zusammenarbeit im Rahmen der EMP weitgehend zum Erliegen gebracht hat. Die variable Geometrie erlaubt es, für die Bewältigung konkreter Probleme jeweils neu zu entscheiden, ob gegebenenfalls eine geo-grafisch begrenzte Kooperation sinnvoll ist oder nicht. Andererseits jedoch wirkt die Zusammen-arbeit im Rahmen einer variablen Geometrie – ähnlich wie bei der ENP – dem ursprünglichen Ziel der EMP entgegen, eine in sich geschlosse-ne Mittelmeerregion zu begründen.

Co-ownership durch neue Institutionen?

Bei der Weiterentwicklung der EMP zur UfM konnte sich Frankreich mit der Idee durchset-zen, eine Reihe neuer Institutionen zu schaffen.

Auf einem internationalen

Forum in Fès, Marokko,

wurde kurz vor dem

einjährigen Bestehen der

union für das Mittelmeer

Bilanz gezogen

(Foto: CMIESI).

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So steht der UfM eine doppelte Präsidentschaft vor, die bewirken wird, dass alle relevanten Treffen – von der Ebene der Minister bis hin-unter zur Arbeitsebene – von einem Nord-Süd-Tandem geleitet werden. Darüber hinaus sollen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, die alle zwei Jahre stattfinden werden, der poli-tischen Aufwertung der UfM dienen. Positiv zu bewerten ist die dem Ausbau der Institutionen inhärente Aufwertung der strukturell schwa-chen MDL innerhalb der Partnerschaft. Dies gilt, obwohl die neuen Institutionen auch neu-es Konfliktpotential generieren, beispielsweise wenn sich die MDL untereinander auf einen Präsidenten einigen müssen. Dessen ungeach-tet sind diese Maßnahmen jedoch noch nicht hinreichend, um die angestrebte co-ownership 9 herzustellen. Da die Finanzierung der UfM nach wie vor unilateral von Seiten der EU erfolgt, ob-liegt ihr auch allein die Entscheidungsmacht in allen Fragen der Finanzierung inklusive des mo-nitorings 10. In diesem zentralen Bereich ist also kein Einflusszuwachs der MDL zu erkennen, so dass trotz der institutionellen Reformen nur be-dingt von co-ownership die Rede sein kann.

Was bleibt als Fazit festzustellen? Fortschritte bringt die UfM insofern mit sich, als sie die Mit-telmeerpolitik auf der Prioritätenliste der EU-Außenbeziehungen aufgewertet hat. Positiv ist

des Weiteren, dass die neuen Institutionen die Mitgestaltungsmöglichkeiten der MDL erhöhen und damit die Asymmetrie in den euro-mediterranen Beziehungen zwar nicht aufheben, aber abschwä-chen. Positiv ist auch die Idee der Projekte, innerhalb derer fähige und willige Staaten – unabhängig vom Verlauf des Nahostkonflikts – konkrete Probleme gemeinsam bearbeiten können. Damit besteht die Möglichkeit schneller und praktischer Erfolge, die die UfM sichtbar machen und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen könnte.

Für die Umsetzung der übergeordneten Ziele, der Schaffung von Sicherheit, Stabilität, Wohl-stand und Demokratie ist durch die UfM hin-gegen wenig Fortschritt zu erwarten. Dies liegt zum einen an den Negativentwicklungen der regionalen und internationalen Rahmenbedin-gungen, mit Blick auf die normative Dimensi-on der euro-mediterranen Beziehungen aber eindeutig an den neuen Strukturen der UfM.

1 Ich danke meinem Mitarbeiter Jakob Horst M.A. für seine

inhaltlichen Anregungen und die redaktionelle Überarbeitung.

2 Schlusserklärung der Europa-Mittelmeer-Konferenz von

Barcelona, in: Agence Europe vom 6.12.1995, S. 1-6.

3 zum Sicherheitsbegriff der Mdl vgl. Cilja Harders,

zehn Jahre Barcelona-Prozess: Arabische Perspektiven

zwischen Enttäuschung und realismus, in: orient Jg.

46 (2005), nr. 3, S. 388-413.

4 Für eine vertiefende Analyse der Interdependenzen zwi-

schen dem nahostkonflikt und der EMP vgl. Isabel Schä-

fer, die Euro-Mediterrane Partnerschaft und der nahost-

konflikt im Kontext jüngster internationaler Entwicklungen

– zwischen Blockade und Vertrauensbildung, in: orient Jg.

46 (2005), nr. 3, S. 429-445.

5 Vertiefend zur Kooperation im kulturellen Bereich vgl.

Michelle Pace, EMP cultural initiatives: what political re-

levance?, in: Haizam Amira Fernández u. richard youngs

(Hg.), The Eruo-Mediterranean Partnership: Assessing the

first decade (FrIdE), Madrid 2005.

6 Europäische Kommission, Communication from the

Commission: European neighbourhood Policy, Strategy

Paper, Com(2004)373 final, Brüssel 12.5.2004.

7 Muriel Asseburg, demokratieförderung in der arabischen

Welt – hat der partnerschaftliche Ansatz der Europäer ver-

sagt?, in: orient, Jg. 46 (2005), nr. 3, S. 272-290, hier S.286.

8 Für konkrete Beispiele vgl. daniela Schwarzer u. Isabel-

le Werenfels, Formelkompromiss ums Mittelmeer, SWP-

Aktuell, nr. 24 (2008).

9 Co-ownership meint die „gleichberechtigte Partnerschaft“

beziehungsweise „gleichberechtigte Eigentümerschaft“ al-

ler beteiligten Staaten am Agenda-Setting, ihre Mitbestim-

mung und Kooperation auf allen Ebenen. das Konzept

zielt darauf ab, unter allen Staaten ein Gefühl der Teilhabe

am und der Verantwortung für den Kooperationsprozess

zu schaffen.

10 Ahmed driss, north-African Perspecitves: The Back-

ground, in: EuroMeSCo: Puting the Mediterranean union

in Perspective, nr. 68 (2008).

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Deutschland, die Union für das Mittelmeer und die südliche Nachbarschaft: Interessen und Perspektiven

Für einen gemeinsamen Weg! (© European Communities 2007)

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von Tobias Schumacher

Seitdem sich die Bundesregierung Ende 2007 vehement in die Debatte um die Schaffung einer Mittelmeerunion ein-

geschaltet hat, sind vor allem im südlichen Mittelmeerraum zahlreiche Stimmen laut ge-worden, die das bundesdeutsche Engagement zugunsten eines alle EU-Staaten einbeziehen-den und auf dem Barcelona-Prozess aufbauen-den euro-mediterranen Kooperationsrahmens als Beleg für ein neu gewonnenes Interesse deutscher Außenpolitik an Europas südlicher Nachbarschaft werten. Insbesondere die öf-fentlich geäußerte Kritik von Bundeskanzle-rin Angela Merkel an den Plänen des franzö-sischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy im Vorfeld sowohl des italienisch-spanisch-fran-zösischen Gipfeltreffens im Dezember 2007 als auch des informellen Treffens mit Sarko-zy in Hannover am 3. März 2008 erweckten vielfach den Eindruck, Deutschland habe nach Jahren der außenpolitischen Zurückhaltung im Mittelmeerraum ein neues Betätigungs-feld entdeckt. Dieser Eindruck verfestigte sich erst recht, als es Merkel in Hannover gelang, Sarkozy von seinen unilateral geprägten Plä-nen abzubringen und auf dem Treffen des Europäischen Rates in Brüssel zwei Wochen später die Zustimmung aller EU-Mitglieds-staaten für ein Projekt zu erhalten, das fort-an zwar unter neuem Namen und mit neuer Struktur firmieren, den acquis des Barcelona-Prozesses aber beibehalten sollte. Inwiefern sind derartige Einschätzungen gerechtfertigt? Lässt sich das kompromisslose Eintreten der Bundeskanzlerin für einen vermeintlich auf-gewerteten „Barcelona+“-Prozess tatsächlich als Ausdruck einer Neuorientierung bundes-deutscher Außenpolitik interpretieren? Wel-chen Stellenwert besitzt der Mittelmeerraum grundsätzlich in der deutschen Außenpolitik?

Der Mittelmeerraum in der deutschen Außenpolitik

Während des Kalten Krieges stand der süd-liche Mittelmeerraum im Schatten des welt-umspannenden Systemantagonismus sowie der besonderen Beziehungen Frankreichs und Großbritanniens zu ihren ehemaligen Koloni-algebieten. Sowohl während als auch nach dem Ende des Kalten Krieges beschränkte sich das aktive westdeutsche Engagement angesichts des moralischen Imperativs der Vergangen-heit lange Zeit auf Israel. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes und angesichts der zahl-reichen Terroranschläge der letzten Jahre im südlichen Mittelmeerraum, denen auch deut-sche Staatsbürger zum Opfer fielen, rückte der Großraum jedoch sukzessive in den Blickwin-kel bundesdeutscher Außenpolitik. Zwar hat sich seither kein grundlegender Paradigmen-wechsel vollzogen. Dennoch deuten die seit

1991 verfassten konzeptionellen Überlegungen des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeri-ums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und einzelner Bundestagsfraktio-nen sowie eine relativ ausgeprägte Besuchsdip-lomatie auf ein deutlich gestiegenes Interesse an der Region hin.

Doch obwohl die damalige Bundesregie-rung unter Helmut Kohl bereits zu Beginn der neunziger Jahre an der Umwandlung des so genannten Globalansatzes und der Euro-Ma-ghreb-Partnerschaft in die Euro-Mediterrane Partnerschaft beteiligt war und maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Mittelmeerraum 1994 zum vorrangigen Gebiet von strategischer Bedeutung für die EU erklärt wurde, verfügt die Bundesrepublik bis heute nicht über eine eigenständige Mittelmeerpolitik. Dies zeigt sich sowohl in den Arbeitsprogrammen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 1999 und 2007 als auch in dem von Deutschland, Por-tugal und Slowenien erarbeiteten Achtzehnmo-natsprogramm des Rates 2007/2008, die den Mittelmeerraum und den Barcelona-Prozess nur äußerst oberflächlich behandeln. Überdies besteht in Berlin ein weitgehend fraktionsüber-greifender Konsens, dass es sich bei dem Mit-telmeerraum eben nicht um eine homogene, in sich geschlossene Region handelt.

Vor diesem Hintergrund haben die verschie-denen Bundesregierungen der letzten Jahre primär auf eine inhaltliche Vertiefung der bila-teralen Beziehungen zu den südlichen Mittel-meeranrainern gesetzt, wobei neben der bis in die frühen sechziger Jahre zurückreichenden entwicklungspolitischen und kulturellen Zu-sammenarbeit sowie den handelspolitischen Beziehungen insbesondere der Zusammen-arbeit im Bereich Terrorismusbekämpfung, Asyl, Migration und Grenzkontrolle vorrangige Bedeutung beigemessen wird. Grundsätzlich nehmen auch die Stärkung der Menschen-rechte sowie die externe Demokratieförderung einen prominenten Platz auf der außenpoliti-schen Agenda ein. Allerdings zeigt die Praxis der letzten Jahre, dass sowohl die von Ange-la Merkel als auch die von Gerhard Schröder geführten Bundesregierungen allzu oft bereit waren, beide Ziele außenwirtschaftlichen Inte-ressen sowie Stabilitäts- und damit im weiteren Sinne Sicherheitsinteressen unterzuordnen. Öffentlich gemachte Solidaritätsbekundungen, wie beispielsweise während Bundeskanzler Schröders Algerienbesuch im Oktober 2004 oder während Helmut Kohls Staatsbesuch in Marokko im Mai 1996, in denen das jeweilige Regime als Stabilitätsfaktor gelobt wurde, sind nicht nur im Lichte der zahlreichen Menschen-rechtsverletzungen, der Zunahme radikalisla-mistischer Bewegungen sowie angesichts der Abwesenheit demokratischer Freiheitsrechte

Dr. Tobias Schumacher ist Senior Researcher am Centre for Research and Studies (CIES) am Lissaboner Univer-sitätsinstitut (ISCTE) und war mehrere Jahre Forschungsdirektor der Euro-Mediterranen Studienkommission (EuroMeSCo).

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und Herrschaftsformen deplatziert. Sie sind vor allem nicht zur Unterstützung und Ermu-tigung reformorientierter Akteure geeignet.

Deutschland und die Union für das Mittelmeer

Angela Merkels erfolgreiches Werben für die Beibehaltung eines auf dem Barcelona-Prozess aufbauenden Kooperationsrahmens, der es auch zukünftig grundsätzlich allen EU-Staaten erlaubt, an euro-mediterranen Projekten und Zusammenhängen mitzuwirken, ist weder Ausdruck eines neu gewonnenen deutschen Interesses am südlichen Mittelmeerraum noch entspringt es einer neuen Wertschätzung für die jahrelang in vielen Bereichen stagnieren-de und von Deutschland ursprünglich mit viel Zurückhaltung betrachtete Euro-Mediterrane Partnerschaft. Stattdessen ist es das Resultat der sich zwischenzeitlich deutlich verschlech-ternden deutsch-französischen Beziehungen und stellt eine aus Berliner Sicht folgerichtige Antwort auf das unilaterale Vorpreschen von Nicolas Sarkozy dar, dessen ursprüngliche und nicht mit Deutschland abgestimmte Idee einer Mittelmeerunion sowohl den gesamten Barcelona-acquis gefährdet, als auch den seit 1994 bestehenden Konsens untergraben hätte, wonach der südliche Mittelmeerraum einen alle EU-Staaten und -Institutionen einbeziehenden Politikansatz erfordert.

Zwar beinhaltet der letztlich gefundene Kompro-miss die endgültige Verankerung des Prinzips der reinforced cooperation, das heißt in den mehr oder weniger neu hinzugekommenen Kooperationsbe-reichen Förderung alternativer Energien, Trans-portinfrastruktur, Umwelt- und Zivilschutz ob-liegt jedem der insgesamt 43 Mitgliedsstaaten der Union die Entscheidung, ob und bis zu welchem Grad er partizipiert. Gleichwohl ist damit aber aus deutscher Perspektive sichergestellt, dass kein Prä-zedenzfall für einen Zerfall der EU in verschiede-ne regionale Unterbündnisse geschaffen wurde.

Ferner gilt es zwei Punkte hervorzuheben: Erstens ist bemerkenswert, dass sich außer Deutschland kein anderes EU-Mitgliedsland über Monate hin-weg derart deutlich gegen Frankreichs Pläne ge-stellt hat. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass sich andere Mitgliedsstaaten wie Spanien und Italien über Jahre hinweg für ein stärkeres EU-En-gagement ausgesprochen haben, wäre zu erwarten gewesen, dass sich letztere und nicht Deutschland – das sich seit der Schaffung des Barcelona-Pro-zesses zwar als loyaler, jedoch nicht besonders aktiver Akteur im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft ausgezeichnet hat – deutlich gegen eine nur wenige Mittelmeeranrainer einbeziehen-de Mittelmeerunion aussprechen. Zweitens haben sich die verschiedenen Bundesregierungen seit 1995 stets geweigert, den immer wieder geäußer-ten Rufen nach Schaffung eines eigenständigen

Euro-Med-Sekretariates nachzugeben, während die Union für das Mittelmeer nun die Einrichtung eines solchen Organs in Barcelona vorsieht.Betrachtet sich Berlin spätestens seit dem bila-teralen Treffen zwischen Angela Merkel und Ni-colas Sarkozy Anfang März 2008 als Sieger im vermeintlichen Ringen um die zukünftige Aus-gestaltung der euro-mediterranen Beziehungen, so steht die deutsche Regierung nun der Imple-mentierung der Union für das Mittelmeer gelas-sen und abwartend gegenüber. Angesichts der Tatsache, dass mit der Union für das Mittelmeer zwar eine strukturelle, nicht aber eine inhaltli-che, integrationstechnische Elemente enthalten-de Vertiefung vereinbart wurde, ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Deutschland sich wieder zunehmend auf die Rolle eines eher passiven Teilnehmers zurück-ziehen wird. Sollte sich allerdings herausstellen, dass ein verstärktes Engagement in einem der vermeintlich neu hinzugekommenen Sekto-ren unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten von Interesse ist, wird Deutschland von seiner Mitgliedschaft unbestritten Gebrauch machen. Ist dies nicht der Fall, wird sich die deutsche Rolle wahrscheinlich auf die Teilnahme in den Entscheidungsgremien sowie vor allem auf die Umsetzung der handelspolitischen Elemente der diversen Assoziierungsabkommen und der anvisierten euro-mediterranen Industriegüter-freihandelszone beschränken.

Perspektiven

Ein Jahr nach dem Gipfeltreffen von Paris, an dem die Union für das Mittelmeer feierlich aus der Tau-fe gehoben wurde, haben die euro-mediterranen Beziehungen ihren Tiefpunkt erreicht. Vor dem Hintergrund des unverhältnismäßigen militäri-schen Vorgehens Israels im Gazastreifen und dem damit verbundenen Boykott der arabischen Mittel-meeranrainerstaaten sowie der in die Union für das Mittelmeer ebenfalls miteinbezogenen Arabischen Liga sind sämtliche Aktivitäten im Kontext der Uni-on für das Mittelmeer eingefroren. Aber auch für den Fall, dass sich diese Blockadesituation wieder auflöst, lässt sich anhand der gegenwärtigen Situ-ation bereits erkennen, dass mit der Schaffung der Union für das Mittelmeer zwei Kernprobleme des euro-mediterranen Beziehungszusammenhangs, nämlich der ungelöste israelisch-palästinensische Konflikt und die Abhängigkeit von der Kooperati-onsbereitschaft autoritärer arabischer Regime, wei-terhin bestehen bleiben.

Deutschland hat zwar seit Ende der neunziger Jahre stärker als je zuvor eine hervorgehobene Rolle bei der Beilegung des Palästina-Konflikts gespielt. Dies hat aber bislang nicht dazu beitragen können, das euro-mediterrane Beziehungsgeflecht von negati-ven spill-overs freizuhalten. Mit seiner Zustimmung zu einer Union für das Mittelmeer, deren Fokus vor allem auf einer Zusammenarbeit in wenigen medi-enwirksam inszenierten Großprojekten liegen soll,

hat Deutschland maßgeblich dazu beigetragen, dass der noch in der Deklaration von Barcelona enthal-tenen Reformdimension endgültig der Todesstoß erteilt wurde. Dass dies im Interesse der autoritären und politischen Reformen abgeneigten arabischen Herrschaftseliten ist, lässt sich kaum bestreiten. Je-doch stellt es sowohl die Glaubwürdigkeit, als auch die Ernsthaftigkeit deutscher und EU-europäischer Bemühungen im Hinblick auf die Stärkung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der de-mokratischen Regierungsführung in Europas südli-cher Nachbarschaft mehr als deutlich in Frage.

ImpressumhERAUSGEBER:Euro–Mediterranean Association for Cooperation and Development e.V. (EMA)Lederstr. 15 22525 HamburgTel.: +49 (0) 40 – 52 01 48 89Fax: +49 (0) 40 – 52 01 49 11Email: [email protected]: www.ema-germany.org

VERtREtUnGSBEREChtIGtER VoRStAnD: Prof. Dr. Horst H. Siedentopf,Dr. Abdelmajid Layadi

REGIStRIERUnG: Vereinsregister Amtsgericht Hamburg VR20138

REDAktIon: Jorun Poettering, Birthe SpringerEmail: mediterranes@ema–germany.org

UntERStützUnG DER REDAktIon: Dr. Abdelmajid Layadi, Menno Preuschaft, Irina Saal, Matthias Budde

GEStAltUnG: Kirsten Lehm

MARkEtInG: Paul Ignatow

DRUCk: OURDAS druckt!

ERSChEInUnGSWEISE: Vierteljährlich (geplant)

AUFlAGE: 2000

CoPyRIGht: Mediterranes. Das EMA-Magazin Zitate nur mit Quellenangabe. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Namentlich gekenn-zeichnete Artikel geben die Meinung der Autoren wieder, nicht unbedingt die der Redaktion.

Erste Ausgabe: August 2009

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Die Union für das Mittelmeer greifbar machen. So lautet die Absicht der Allianz aus zehn

europäischen und arabischen Banken, die sich mit Unterzeichnung einer Übereinkunft in Paris am 30. Januar dieses Jahres ein Arbeitsprogramm ge-geben hat. Wie der Sonderberater von Präsident Sarkozy und Kopf der Inter-ministeriellen Mission der UfM Henri Guaino betonte, werde die Initiative durch Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung dazu beitragen, die geo-graphische, kulturelle und wirtschaftli-che Identität der mediterranen Region zu festigen.

Die Initiative ist auch als Reaktion auf einen zentralen Kritikpunkt an der Uni-on für das Mittelmeer zu verstehen, hat-te die Frage nach finanziellen Mitteln doch immer wieder im Fokus der De-batten um deren Gründung gestanden. Verschiedene Arbeitsgruppen inner-halb der Allianz arbeiteten dementspre-chend seit letztem Jahr an einer Liste

von Vorschlägen, aus der das Strategie-komitee als führendes Organ Ende Ja-nuar zwanzig Projekte auswählte. Diese zielen im Kern darauf ab, die Sparmög-lichkeiten von Migranten zu erleich-tern, Transaktionskosten zu reduzieren und die Gründung von kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Infrastrukturprojekte zu fördern. Die Finanzströme arabischer Migranten in ihre Herkunftsländer sollen somit in die Entwicklung der Region gelenkt werden, anstatt bei den Angehörigen in Form von Schuldentilgung, Wohnungs-kauf oder täglichen Haushaltsausgaben zu versickern. Immerhin betragen die Rücküberweisungen aus der EU in den nordafrikanischen Raum um die vier-einhalb Milliarden Euro im Jahr.

Doch wie selbstlos ist dieser „Kana-lisierungsversuch“? Ein Blick nach Süden zeigt die potentielle Ambiva-lenz solcher Initiativen. So versuchen französische Sparkassen bereits seit Längerem, nigerianische Migranten

durch Steuererleichterungen und Prä-mien zur Einrichtung von Sparkonten und -büchern für die Investition ihrer Rücküberweisungen im Heimatland zu bewegen. Der Verdacht liegt nahe, dass es den europäischen Ländern auch bei dem Bankenprojekt vor allem darum gehen könnte, ein Stück vom Kuchen abzuzweigen und gleichzeitig einen Teil der Last der Entwicklungshilfe auf die Betroffenen selbst abzuladen. Dies scheint umso plausibler, als die Projek-te nicht mal teilweise über ein eigenes Budget finanziert werden, sondern al-lein darin bestehen, die Ersparnisse der Migranten durch die Neustrukturierung von finanziellen Dienstleistungen um-zulenken.

Eine fundiertere Einschätzung wird man voraussichtlich Ende des Jahres wagen können. Bis dahin wollen die Allianz-mitglieder über die mögliche Struktur einer dauerhaften Institution beraten.

Zehn Banken, aber woher kommt das Geld? von Irina Saal

Irina Saal (B.A.) studierte Politikwis-senschaft in Bielefeld und Bordeaux. Zurzeit arbeitet sie für die EMA e.V., bevor sie im September 2009 mit einem Master in European Business an der ESCP Europe in Berlin beginnt.

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D ie Länder der arabischen Welt und Nord-afrikas bilden eine so genannte Schwer-punktregion der Hamburger Senatspo-

litik. Seit dem Ölboom Mitte des 20. Jahrhunderts sind die arabischen Länder wichtige deutsche Handelspartner, wovon insbesondere der Hambur-ger Hafen enorm profitiert. Nach Darstellung des Hamburger Senats erlebten diese wirtschaftlichen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten einen star-ken Aufschwung und sollen in den nächsten Jahren noch erweitert werden. Als Themenfelder für die zu-künftige Kooperation zwischen Hamburg und den arabischen Ländern nennt der Senat die Bereiche Logistik und Gesundheitswesen sowie Kultur und Wissenschaft.

Aziz Alkazaz, ehemaliger Volkswirt am Deutschen Orient-Institut, sprach mit Ingo Egloff, Landesvor-sitzender der Hamburger SPD, über die Rolle Ham-burgs im euro-mediterranen Raum und über die Einbindung Hamburgs in die Mittelmeerpolitik der Bundesregierung.

AlkAzAz: Wie schätzen Sie die Beziehungen Deutschlands zu den südlichen Mittelmeeranrainer-staaten der vor einem Jahr gegründeten Union für das Mittelmeer ein? Die Bundesrepublik gilt ja in jeder Hinsicht als Wunschpartner dieser Länder und das, obwohl sie politisch sehr wenig für die Region tut. Wie sollte Ihrer Ansicht nach die deutsche Politik in Zukunft aussehen?

EGloFF: Ich denke, die Beziehungen zu den ein-zelnen Ländern im arabischen Raum sind durchaus unterschiedlich gestaltet, auch weil die jeweiligen Länder natürlich unterschiedlich sind. Grundsätz-lich halte ich sehr viel davon, die wirtschaftlichen und auch die politischen Beziehungen weiterzuent-wickeln, denn ich bin davon überzeugt, dass man nur zu einer gemeinsamen Politik und zu einer Ver-besserung im beiderseitigen Interesse kommt, wenn man miteinander kommuniziert.

Hamburg: eine Metropole im euro-mediterranen Raum?Interview mit Ingo Egloff, dem Landesvorsitzenden der Hamburger SPD

Gerade als Exportnation sind wir natürlich darauf angewiesen, mit diesen Ländern gute Kontakte zu pflegen und mit den Produkten, die wir zu verkaufen haben, sind wir durchaus in der Lage, auf den Märkten zu konkurrieren. Aber um das hinzubekommen, sind noch große Anstrengungen nötig. Beispielsweise besteht in der Region ein großes Interesse an Produkten für regenerative Energien sowie für den ge-samten Umweltbereich, wie auch auf der Info-Veranstaltung der EMA zum Thema Wasser im letzten März deutlich wurde. Das sind Sparten, in denen Deutschland technologisch führend ist und in denen wir gerade hier im Norden eine hohe Kompetenz haben. Dementsprechend müssen wir als Hamburger natürlich etwas tun, um die Kooperation voranzutreiben. Von staat-licher Seite muss man die mittelständischen Unternehmen, die in Deutschland in diesem Bereich tätig sind, in die Lage versetzen, Ge-schäfte in diesem Raum zu machen. Wenn Sie-mens ins Ausland geht, ein Konzern mit einer eigenen internationalen Marketingabteilung, ist das kein Problem. Ein Mittelständler, der 400 Leute beschäftigt und Solarenergieanlagen pro-duziert, wird aber durchaus Probleme haben – sich auf andere Rechtssysteme einzustellen, mit Sprachbarrieren umzugehen, die Frage der Finanzierung zu klären oder die Absicherung zu gewährleisten, wenn es um große Aufträge geht. Und in diesen Punkten sehe ich die originäre Aufgabe des Staates, aber auch der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

AlkAzAz: Tut die Politik denn das Richtige, um die Wahrnehmung deutscher Chancen in der Re-gion zu erleichtern? Die politische Begleitung der deutschen Wirtschaftsbeziehungen im arabischen Raum hat immer Defizite gehabt. Wie schätzen Sie die derzeitige Situation ein?

„Wir als Hamburger müssen etwas tun, um die

Kooperation voranzutreiben!“ (Foto: EMA)

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Seite 17Mediterranes 1/2009

EGloFF: Die deutsche Politik hat, gerade was flankierende Maßnahmen im Bereich der Wirt-schaftspolitik angeht, vor allem ein Problem und zwar das des föderalen Systems, das sich nachteilig auf die Handlungsfähigkeit auswirkt. Schon innerhalb der Europäischen Union er-geben sich daraus für Deutschland erhebliche Nachteile in Bezug auf die internationalen Wirt-schaftsbeziehungen. Es müsste diesbezüglich eine bessere Koordination geben und es müsste sich die Erkenntnis durchsetzen, dass man für eine internationale Industriepolitik die deut-schen Interessen insgesamt und nicht nur die partiellen Interessen einzelner Bundesländer se-hen darf. Hamburg ist ja beispielsweise stark au-ßenwirtschaftlich ausgerichtet. Aber Hamburg als Bundesland, selbst wenn wir uns mit Schles-wig Holstein oder Niedersachsen koordinieren, kann bestimmte Dinge nicht leisten, alleine vom Finanzvolumen her, das man bräuchte, um kleinere und mittlere Unternehmen mit Bürg-schaften, Ausfuhrbürgschaften etc. zu unter-stützen. Dabei bestimmen diese Unternehmen ja im Wesentlichen die Wirtschaftsstruktur in Deutschland, gerade im industriellen Bereich. Auch wenn das nicht jedem bewusst ist: 70% aller deutschen Unternehmen sind Mittelständ-ler. Es sind also noch große bundesnationale Anstrengungen nötig und insbesondere in der Entwicklung gegenüber der Mittelmeerregion gibt es sicherlich Defizite. Denn klar ist: Der arabische Raum ist ein Entwicklungsraum mit vielen Menschen in unmittelbarer Nähe zu uns, den es zu entwickeln lohnt. Je entwickelter der Raum ist, desto weniger Konflikte gibt es, weil viele Konflikte ja darauf basieren, dass Leute kei-ne Arbeit haben; und das, obwohl sie gut ausge-bildet sind. Wenn wir uns z.B. Ägypten anschau-en: Mindestens 50% der dortigen Studenten sind sehr gut qualifiziert, werden aber nach dem Studium in die Arbeitslosigkeit entlassen. Von daher glaube ich, es lohnt sich für Deutschland, sich in diesem Raum verstärkt zu engagieren und für wirtschaftliche Prosperität zu sorgen, denn letztlich profitieren auch wir davon. Das ist der klassische Fall einer Win-Win-Situation und die herzustellen, daran müssen wir arbeiten.

AlkAzAz: Da sind wir uns einig. Aber was macht Hamburg denn nun ganz konkret in Be-zug auf den euro-mediterranen Raum?

EGloFF: In Hamburg werden nach meiner Einschätzung einige Regionen von der Politik schmerzlich vernachlässigt. Das gilt für den Na-hen Osten, wo es einige halbherzige Versuche im Bereich der Gesundheitswirtschaft gab, und das gilt genauso für den südamerikanischen Be-reich, wo sich ein riesiger Markt entwickelt, den wir meines Erachtens nicht richtig im Blick ha-ben. Das Defizit, das der Senat in seiner Politik an dieser Stelle hat, ist, dass er das, was wir an Know-how haben – in den verschiedenen Verei-nen, Verbänden, Instituten sowie an der Univer-

sität, wo wir ja, was beispielsweise den sprach-lichen oder den kulturgeschichtlichen Bereich angeht, führend sind – vernachlässigt und dass es keine konsequente Entwicklungspolitik gibt. Einer unserer Vorschläge im Wahlkampf war es, einen Ausbildungsgang an der Universität zu kreieren, der so etwas wie BWL oder Jura mit den kulturwissenschaftlichen Fächern verbin-det, also Hinduistik, Islamkunde, Japanologie, Sinologie … das heißt alles, was hier gelehrt wird und wofür die Hamburger Universität zum Teil ein Alleinstellungsmerkmal hat. Ich glaube, dass es, wenn jemand in diesen Regionen Ge-schäfte machen will, nicht nur darauf ankommt, als Betriebswirt gut ausgebildet zu sein, sondern auch mit der regionalen Kultur und Sprache ver-traut zu sein und so weiter. Solche Dinge sind manchmal viel wichtiger, um Türen zu öffnen und Kontakte herzustellen, als nur eine gute Ausbildung. Und gerade im Hinblick auf die Nahostregion und die arabischen Länder gibt es in Hamburg genügend Institutionen, die sich seit vielen Jahrzehnten wissenschaftlich damit beschäftigen und gute Beziehungen haben. So etwas muss eine Stadt, und noch dazu eine, die von sich behauptet, das Tor zur Welt zu sein, außenwirtschaftlich nutzen. Das findet aber bis-lang nicht in ausreichendem Maße statt.

AlkAzAz: Welche Empfehlungen würden Sie als Landesvorsitzender aber auch als potentieller Bundestagsabgeordneter zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der EMA geben? In welche Richtung kann ein solcher Verein im Hinblick auf die Politik der nächsten fünf Jahre am Besten wirken?

EGloFF: Wenn ich an die Gründungsversamm-lung der EMA denke, an der ich teilgenommen habe, war der Bogen ja relativ weit gespannt. Er beinhaltete zum Einen die sicherlich sehr wichtigen wirtschaftspolitischen Fragen, die wir

eben diskutiert haben, und die, was die Entwick-lung der Region angeht, eigentlich im Vorder-grund stehen. Er beinhaltete zum Anderen aber auch einen kulturellen Teil und den dürfen wir nicht vernachlässigen. Ich glaube, es gibt Dinge, die unbedingt vermittelt werden müssen, zum Beispiel die Tatsache, dass es eine gemeinsa-me europäisch-arabische Vergangenheit gibt. Das kann man in Spanien wunderschön sehen, wenn man sich zum Beispiel Granada anschaut, die Alhambra. Man muss sich bewusst machen, dass im arabischen Raum, was Wissenschaft, Kultur, Astrologie, Astronomie, Mathematik etc. angeht, schon eine Hochkultur vorhanden war, als dies in großen Teilen Europas noch nicht der Fall war. Sie wurde jedoch im Rahmen eines Machtkampfes aus religiösen und politischen Gründen im frühen Mittelalter zerstört. Und viele gehen allein von den letzten 200 Jahren aus, nach dem Motto „Wir sind die Klugen und alle anderen müssen sich an uns orientieren“. Bei aller Unterschiedlichkeit, die es in der Men-talität und der kulturellen Ausgestaltung in den jeweiligen Ländern gibt, sollte man doch viel eher schauen, wo es gemeinsame Wurzeln gibt, die die Zusammenarbeit in der Zukunft eventu-ell erleichtern können. Das schließt an dem an, was wir als Sozialdemokraten als internationale Arbeit, Völkerverständigung und Friedenspolitik definieren, und ich glaube, eine wichtige Aufga-be für Organisationen wie EMA besteht darin, dieses gemeinsame Verstehen zu organisieren.

AlkAzAz: Herr Egloff, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Kick-off-Veranstaltung zum 1. EMA-Wasserforum im März 2010 (Foto: Klaus nehrke)

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Die Union für das Mittelmeer ist tot, es lebe die Union für das Mittelmeer? Zwar ist die Struktur für die regionale Koope-

ration der Länder am Nord-, Süd- und Ostufer des Mittelmeers, die im Juli 2008 begründet wurde, noch keineswegs offiziell beerdigt. Den-noch klingen einige jüngst veröffentlichte Texte über die 43 Staaten umfassende Union, als han-dele es sich bereits um Nachrufe.1

Tatsächlich sind die Institutionen der supranati-onalen Union der Mittelmeerländer seit Januar dieses Jahres nicht mehr zusammengetreten: Die Repräsentanten der arabischen oder ara-bischsprachigen Mitgliedsländer Nordafrikas und des Nahen Osten boykottieren die Sitzun-gen infolge des Gazakriegs im Dezember 2008 und Januar 2009, solange wie die Vertreter des Staates Israel ebenfalls daran teilnehmen. Laut offizieller Sprachregelung ist die Union für das Mittelmeer (UfM) seitdem auf Eis gelegt. Inso-fern ist ihre Zukunft ungewiss.

Paris als Gravitationszentrum

Über die NATO gab es dereinst das Bonmot – ge-prägt in den 50er Jahren von ihrem damaligen Ge-neralsekretär Lord Ismay –, sie sei ein Instrument, „um die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten“. Gemeint war mit „drinnen“ und „draußen“ die Präsenz und Ab-senz auf dem europäischen Kontinent, und dass die Deutschen wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter Kontrolle zu halten sei-en, war unter den ehemaligen Mitgliedern der An-ti-Hitler-Koalition verständlicherweise Konsens.

Analog dazu ließe sich zu der von Präsident Nicolas Sarkozy initiierten und am 13./14. Juli

2008 in Paris offiziell gegründeten UfM sagen, sie sei ein Instrument, um „Frankreich in der Mitte, den Südrand des Mittelmeers und Afri-ka unten sowie die unerwünschten Migranten draußen zu halten“.

Frankreich in der Mitte, das bedeutet: Paris als politisches Gravitationszentrum. Dieser Plan ging allerdings nicht völlig auf, denn rivalisie-rende Mächte innerhalb der Europäischen Uni-on – allen voran Deutschland und Spanien – be-schwerten sich und sorgten dafür, dass daraus nichts wurde. Die neue Union der Mittelmeer-länder wurde nicht, wie ursprünglich geplant, rund um Frankreich als politisch und ökono-misch stärksten Anrainerstaat, sondern rund um die EU konzipiert. Deshalb durfte das Gan-ze auch nicht mehr, wie von Sarkozy anfänglich vorgesehen, „Mittelmeerunion“ heißen, son-dern wurde zur „Union für das Mittelmeer“. In den deutschsprachigen Dokumenten wurde der Unterschied zwar nicht vermerkt, in Frankreich fiel der subtile Namenswandel als Symbol für den Druck auf Sarkozy, seine Pläne abzuändern, aber sehr wohl auf.

Spielverderber in der Europäischen Union

Dahinter stehen ernsthafte geopolitische Aus-einandersetzungen, bei denen es um die Abste-ckung und Neuaushandlung globaler Einfluss-zonen geht. Deutschland hält dem französischen Drang zum Mittelmeer entgegen, dass man in Paris seine Rohstoff- und sonstigen Interessen zwar vielleicht vorrangig in Ländern wie Algeri-en verorte, man in Berlin seine Interessen aber weit eher in Richtung der Rohstofflager Russ-lands und der Ukraine verfolge. Dieser hinter den Kulissen schwelende Konflikt, der zum Teil

Bernhard Schmid lebt und arbeitet seit 15 Jahren in Paris. Er ist als Jurist bei einer NGO zur Rassis-musbekämpfung beschäftigt und arbeitet nebenher als freier Journalist für verschiedene Zeitungen. Zu seinen vorrangigen Themen gehören Algerien und das französischsprachige subsaharische Afrika.

1 Vgl. den Artikel „der nahostkonflikt: die brennende Frage

der euro-mediterranen zusammenarbeit“ in diesem Ma-

gazin, dessen originaltitel „Feu l’uPM?“ lautet, wörtlich

übersetzt: „die verstorbene union für das Mittelmeer?“.

2 Muammar al-Kaddafi erschien letztendlich nicht zum

Mittelmeergipfel in Paris vom 13./14. Juli 2008. Allerdings

nicht mangels einer Einladung, die sehr wohl an ihn ergan-

gen war, sondern weil das als exzentrisch geltende liby-

sche Staatsoberhaupt es vorzog, sich seinen vorgeblichen

panafrikanischen Ambitionen und Visionen zu widmen.

Eitles Mächtespiel der Regierungen in „Nord“ und „Süd“

von Bernhard Schmid

Anmerkungen

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Seite 19Mediterranes 1/2009

auch offen benannt wurde, sieht nicht nur Paris und Berlin einander gegenüber stehen. Zu den Befürwortern einer vorwiegend gegen Osten ausgerichteten Achse der EU zählen auch Polen und Schweden, die den französischen Ambiti-onen als Protagonisten einer Allianz rund um die Ostsee ebenfalls einen Dämpfer aufzusetzen bemüht waren. Nicht zuletzt gab der schwedi-sche Außenminister Carl Bildt am Tage der fei-erlichen Gründung der UfM – am Sonntag, den 13. Juli 2008 – die Rolle des Spielverderbers ab: Er erklärte, die Gründung der Union sei zwar grundsätzlich begrüßenswert, aber – fügte er vor dem Hintergrund vollmundiger Friedens-bekundungen hinzu – auch sie werde „die Welt nicht an einem Tag verändern“.

Durch die Einbeziehung der gesamten EU ge-wann die neu geschaffene Union zwar an räum-licher Ausdehnung: Sie umfasst nun immerhin 12 Millionen Quadratkilometer und 775 Millio-nen Einwohner und reicht bis an den nördlichen Rand der EU, also an das Eismeer. Doch gleich-zeitig hat sie deutlich an Integrationsmacht ver-loren. Ihre Arbeitsweise wird den bürokratischen Mechanismen der Brüsseler Institutionen unter-worfen, während Sarkozy zuvor laut von einer Union als Ausdruck des „politischen Voluntaris-mus“ geträumt hatte – ein Begriff, den er auch sonst schätzt, um die Spielräume des Politischen jenseits aller „Sachzwänge“ und bürokratischen Vorgaben zu bezeichnen. Und die nördlichen und östlichen Mächte innerhalb der EU, so zeich-net sich von vornherein ab, dürften als eifrige Bremser auftreten. Da die UfM zudem bislang über keinen eigenen Haushalt verfügt, sondern auf Gelder aus den Töpfen der EU sowie auf projektbezogene Mittel von den Mitgliedsstaaten (und möglicherweise Privaten) angewiesen sein wird, dürften den großspurigen Ankündigungen nicht allzu schnell greifbare Taten folgen.

Unerwünschte Migranten draußen halten

Mit einer wichtigen Ausnahme: Bei der Abwehr unerwünschter Einwanderer – solchen aus den Ländern vom Südrand des Mittelmeers ebenso wie von Durchwanderern aus dem afrikanischen Kontinent –, wird die EU noch „effizienter“ mit den Staaten des Mittelmeerbeckens zusammen-arbeiten. Denn, dass die unerwünschten, ökono-misch nicht hinreichend verwertbaren Einwan-derungskandidaten „draußen“ gehalten werden sollen, ist unter dem Großteil der EU-Staaten konsensfähig. Regime wie die in Marokko, Tu-nesien oder Libyen geben gern den Wachhund dafür ab, solange den heimischen Eliten dafür entsprechende Privilegien winken. So kommt es schon mal vor, dass Marokkos Marine einen vom Kentern bedrohten Flüchtlingskahn ver-senkt (wie ihr im Sommer 2008 vorgeworfen wurde) oder an der Küste Algeriens Harraga (il-legale Auswanderer) mit Kugeln im Rücken aus dem Meer gefischt werden. Darüber vergießt

man in EU-Europa zwar sicherlich Krokodils-tränen, geht dann aber rasch zur Tagesordnung über und fordert die Regime dieser Länder zu höherer „Effizienz“ bei der Zusammenarbeit ge-gen unerwünschte Migration auf.

Anklänge an die koloniale Vergangenheit

Bleibt noch ein wichtiger Kernpunkt der UfM übrig: „Den Südrand des Mittelmeers und Afri-ka unten halten“. Das ist nicht nur geographisch gemeint, im Sinne einer Blickrichtung auf der Weltkarte – dies wäre banal, und man bräuchte dazu keinen Gipfel abhalten – es ist vielmehr politisch, im Sinne der Wahrung oder Wieder-herstellung einer klaren internationalen Hierar-chie und Arbeitsteilung gemeint.

Zum ersten Mal erörterte Nicolas Sarkozy seine Ideen von der Mittelmeerunion und eines von ihm so genannten „Eurafrika“ anlässlich eines Auftritts in Toulon am 7. Februar 2007. Damals war er noch Wahlkämpfer und Präsidentschafts-kandidat der französischen Konservativen. Die südfranzösische Großstadt Toulon, wichtigs-ter Kriegshafen Frankreichs, ist nicht nur eine Hochburg der Marine, sondern auch der Pieds Noirs, wie die vor 1962 in Nordafrika lebenden Algerienfranzosen genannt werden. Deren re-vanchistische Gefühle kultivierender Teil form-te nach der Aussiedlung in Richtung Frankreich aufgrund der Unabhängigkeit Algeriens eine Art kolonialer Vertriebenenlobby. Früher wähl-ten solche Leute rechtsextrem – nicht zufällig wurde das Rathaus von Toulon von 1995 bis 2001 durch den Front National (FN) Jean-Marie Le Pens regiert. Seit dem politischen Aufstieg Nicolas Sarkozys aber unterstützt eine deutliche Mehrheit dieses Milieus dessen Konservative.

Seine 2007er Rede von Toulon widmete Sar-kozy zum Großteil einer Rechtfertigung der französischen Kolonialvergangenheit und der rhetorischen Abwehr einer imaginären „Ver-pflichtung zur Reue, zum nationalen Büßer-tum“. Um sodann, innerhalb weniger Sätze von der durch ihn positiv beschworenen kolonialen Vergangenheit zu den Plänen für die Zukunft in Gestalt der Mittelmeerunion überzugehen.

kein Raum für „zivilgesellschaften“

Kommen wir nun zu den Mankos, welche die UfM zumindest in ihrer jetzigen Form aus-zeichnen. Es ist offenkundig, dass sie von An-fang an eher eine Union der Regierungen denn der Bevölkerungen war. Und unter den Staats-oberhäuptern, die er in seine Pläne zur Begrün-dung der Union als Partner einbezog, befindet sich eine große Anzahl nicht demokratisch ge-wählter, sondern gekrönter oder aber autokra-tisch herrschender Staats- und Regierungschefs. Umso stärker wäre ein Einbeziehen der „Zivil-gesellschaften“, Gewerkschaften oder Oppositi-

onskräfte vonnöten gewesen. Aber diese blieb aus. Der französisch-tunesische Bürgerrechtler Tarek Ben Hiba, Mitglied der in Paris ansässi-gen „Vereinigung der Tunesier für Bürgerrechte auf beiden Ufern des Mittelmeers“ (FTCR) und seit 2004 Mitglied des Pariser Regionalparla-ments, äußerte dazu Anfang Juli 2008 in einem Interview: „Was Nicolas Sarkozy vorschlägt, ist ein rein zwischenstaatliches Forum: Es ist schlichtweg keinerlei Raum für Bürgerrechts-bewegungen, für Gewerkschaften und soziale Bewegungen, für kritische Diskussionen vorge-sehen. Insofern ist das Projekt noch schlechter als der so genannte EuroMed-Dialog, den die EU im November 1995 in Barcelona begonnen hatte und der zum Abschluss bilateraler Abkom-men mit den Staaten im Osten und Süden des Mittelmeers führen sollte. Im Rahmen des so genannten Barcelona-Prozesses war immerhin noch ein offizieller kleiner Raum vorgesehen, in dem auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus dem Süden ihre Anliegen vortragen sollten. Das hat zwar in der Praxis zu keinerlei Konsequenzen geführt, es blieb beim Reden, aber die NGOs und die Zivilgesellschaft wurden dadurch immerhin noch anerkannt. Die jetzigen Gesprächspartner Frankreichs und der Europäi-schen Union sind ausschließlich die Regierun-gen und Regime, und von denen sind ein Groß-teil vollkommen autoritär: Ben Ali in Tunesien, Mubarak in Ägypten, Assad in Syrien, Kaddafi in Libyen...“.2

nahostkonflikt könnte Union zum Scheitern bringen

Dass das Friedensversprechen, das in den Reden und Ankündigungen zur Gründung der UfM stets mitschwang, bislang aber nicht trug, kann nur kon-statiert werden. Die Kriegsverbrechen in Gaza vom Jahreswechsel 2008/09 konnten ebenso wenig verhindert werden wie die Fortdauer (und aktuelle Verschärfung) einer israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik, die von arabischer Seite auf das Heftigste kritisiert wird. Dabei wäre es das Mindes-te gewesen, als Grundlage für eine gemeinsame Union Kriege zwischen den Mitgliedsländern – wie etwa zwischen jenen der EU – auszuschließen und allen ihren Angehörigen eine volle politische Sou-veränität zu garantieren: Sowohl Israel als auch die Palästinensische Autonomiebehörde gehören der Union theoretisch als Vollmitglieder an. Nicolas Sarkozy war der Auffassung gewesen, dass sich die Probleme im Einvernehmen zwischen den Staats-führungen an der Spitze und am „grünen Tisch“, regeln lassen würden. Dem war bislang nicht so.

Die UfM könnte es, trotz einiger prinzipiell löb-licher Vorhaben – wie der Säuberung des Mittel-meers von Umweltgiften –, die dringend erforder-lich aber ohne Budget ausgestattet sind, auf die Dauer teuer bezahlen. Und riskiert darüber ihre politische Existenz.

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Der Nahostkonflikt: Die brennende Frage der euro-mediterranen ZusammenarbeitAkram Belkaïd lebt und arbeitet in Paris.von Akram Belkaïd

I st die Union für das Mittelmeer (UfM) auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit oder hat sie gar bereits ihren letzten Atemzug

getan? Wenn man einer Vielzahl von Exper-ten Glauben schenken darf, ist der Prozess erloschen – zum Opfer gefallen sowohl dem Gaza-Krieg und dem zaghaften Vorgehen der Europäer als auch der Gleichgültigkeit der arabi-schen Regierungen gegenüber dem Leiden der Palästinenser. Für die Öffentlichkeit in den süd-mediterranen Ländern ist es undenkbar, einen Prozess zu unterstützen, in dem Israelis und Palästinenser an einem Tisch sitzen, als wenn nichts gewesen wäre. Dementsprechend verär-gert sind die Bürger über ihre Regierungen, wel-che vor einem Dilemma stehen, streben sie doch insgeheim nichts mehr an, als die stille – andere würden sagen beschämende – Normalisierung des Verhältnisses zum hebräischen Staat.

Blicken wir aber zunächst zurück auf die Lan-cierung des Projektes, das ja schon zu Beginn unter ungünstigen Vorzeichen stand. So war es Nicolas Sarkozys ursprüngliches Ziel gewesen,

die Union auf die mediterranen Anrainerstaa-ten zu beschränken. Eine Absicht, die die Deut-schen erzürnte und zu heftigen Spannungen zwischen Paris und Berlin geführt hatte. Der französische Präsident lenkte daraufhin ein und deklarierte die UfM fortan als einen Prozess, der alle Länder des Mittelmeerraums mit allen EU-Mitgliedsstaaten verbinden sollte. Aber auch von diversen arabischen Ländern wurde die In-itiative mit Argwohn aufgenommen. Während die einen sie als den verdeckten Versuch auf-fassten, Bedingungen für eine erzwungene Nor-malisierung mit Israel zu schaffen, befürchteten die anderen, sie könnte den Ausbau ihrer je-weils eigenen Beziehungen zur EU im Rahmen der Nachbarschaftspolitik verhindern. Und die Türkei sah in dem Projekt von Anfang an eine diplomatische Methode, ihren Beitrittskandida-tenstatus zu unterminieren.

Ende der Utopie

Nicht mal ein Jahr nach der offiziellen Geburt der UfM in Paris im vergangenen Jahr hat die

geopolitische Realität wieder Einzug gehalten und damit die Utopie, oder gar die Laienhaf-tigkeit dieses Unterfangens offen gelegt. Wie konnte man annehmen, ein multilaterales me-diterranes Projekt von Relevanz könnte ohne die Lösung der palästinensischen Frage langfristig Erfolg haben?

Fast vierzehn Jahre ist es her, dass der Barce-lona-Prozess in der Folge des ersten Golfkriegs und der Euphorie nach dem Vertrag von Oslo mit (fast) der gleichen Versprechung wie die UfM gegründet wurde: den Mittelmeerraum zu einer Region des Friedens und – insbesondere mithilfe der Wirtschaft – des Wohlstands zu machen.

Vereinzelten Ländern wie Marokko und (mit Einschränkungen) Tunesien ist es gelungen, vom euro-mediterranen Prozess zu profitieren. Insgesamt konnte „Barcelona“ seine Verspre-chen aufgrund des unilateralen Verhältnisses, in dem Europa dem wenig verhandlungsge-schickten Süden die Bedingungen diktierte, je-doch nicht halten. Der eigentliche Grund für die euro-mediterrane Stagnation liegt im Stillstand des Nahost-Friedensprozesses. Unzählige Krie-ge, darunter jener im Libanon im Jahr 2006, die Intifada und die Fortführung des Siedlungsbaus im Westjordanland, haben wesentlich die Blo-ckade hervorgerufen, die bis jetzt andauert.

Und genau hierin liegt der Kernpunkt des Prob-lems. Bis heute sind die europäischen Staatsfüh-rer davon überzeugt, dass eine Intensivierung der Beziehungen und des Austausches mit der mediterranen Region auch ohne grundlegende Änderungen der Situation der Palästinenser möglich ist. Ob offiziell oder nicht gehen sie da-von aus, dass die arabischen Regime in der Lage seien, ihre Position zu ändern und sich über die Entrüstung ihrer Bürger hinwegzusetzen. Seit zwanzig Jahren setzen die Europäer auf dieses Pferd und seit zwanzig Jahren verlieren sie die Wette!

Aufschlussreich hierfür ist das Zaudern der Eu-ropäischen Union, die Nahost-Friedensinitiative zu unterstützen, die bereits vor immerhin sie-ben Jahren lanciert wurde. Sie bildet eine ernst-zerstörte Amerikanische Schule in Gaza, Januar 2009 (© European Communities/ECHo/Thorsten Muench)

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Seite 21Mediterranes 1/2009

hafte Bemühung zur Stabilisierung auf der Ba-sis des einfachen Prinzips „Land für Frieden“. Im Erfolgsfall wäre sie ein ausgezeichneter Kata-lysator für die Annäherung der EU an seine süd-lichen Nachbarn. Und dennoch findet sie bis-lang keine Aufnahme in den Kanon möglicher Lösungen der EU. Es ist ebendiese abwartende Haltung der Europäer in Bezug auf alles, was Palästina berührt, die sämtliche ihrer Projekte unglaubwürdig macht, den euro-mediterranen Beziehungen eine andere Dimension zu geben.

Wechselseitige Abhängigkeit

Müsste man sich vor diesem Hintergrund nicht über die Stagnation der UfM freuen? Das könnte man schon aus reiner Lust am Spott über Nicolas Sarkozy. Aber eine Lösung drängt. Ob man es will oder nicht: die Zukunft der südlichen Anrai-nerstaaten der EU, oder genauer gesagt des Ma-ghrebs, liegt im Norden. Und genauso trifft das Umgekehrte zu. In einer Welt, in der die Finanz-krise um sich greift und die Transportpreise in den kommenden Jahren verhängnisvoll in die Höhe schießen werden, rücken Nähe und Geographie

als zentrale Wirtschaftsfaktoren wieder in den Vordergrund. Aber es gibt eine noch entschei-dendere, weil unausweichlichere Größe: die Demografie. In den kommenden Jahrzehnten werden die Hände im Norden fehlen, während sie sich im Süden multiplizieren. Wer wird die Renten im Norden bezahlen, wenn nicht die Ar-beiter aus dem Süden? Wo werden die europäi-schen Unternehmen neue Märkte finden, wenn nicht im südlichen Mittelmeerraum?

Damit sich der Süden bereit erklärt, durch seine Sozialbeiträge die Renten im Norden zu finan-zieren, bedarf es verstärkter Investitionen und der Schaffung von Arbeitsplätzen durch Europa im Maghreb. Optimistisch gesehen, kann man davon ausgehen, dass Europa früher oder später zugeben muss, dass es keine andere Wahl hat, als entschlossen in die Länder am südlichen Mittelmeerufer zu investieren.

Dieser Realität mögen viele im Norden bisher nicht ins Auge sehen. Noch ist die Vorstellung in Paris, Brüssel oder Berlin schwer durchzu-setzen, dass außer der Energie weitere erschöpf-

liche Ressourcen im Maghreb und in der EU existieren könnten. Sobald die Menschen im Süden die Renten derer im Norden bezahlen, werden die wechselseitigen Beziehungen nur noch schwer in Frage zu stellen sein. Ebendiese Konstellation könnte in dreißig bis vierzig Jahren eintreten. Gesetzt den Fall, dass die Palästinenser bis dahin ihre Rechte und ihre Würde wiederge-wonnen haben.

Dieser Text erschien ursprünglich unter dem Ti-tel „Feu l’UPM?“ am 26.3.2009 in Le Quotidien d’Oran. Übersetzung: Irina Saal.

1 Gemeint ist die 2002 vom saudischen Kronprinzen

Abdullah lancierte arabische Friedensinitiative. Sie sieht

den rückzug Israels auf die Grenzen von vor dem Sechs-

Tage-Krieg 1967 vor und fordert einen Palästinenserstaat

mit ostjerusalem als Hauptstadt sowie eine „gerechte

lösung“ für die palästinensischen Flüchtlinge. Im Gegen-

zug sollen die arabischen Staaten Israel in vollem umfang

diplomatisch anerkennen und die Sicherheit des landes

garantieren.

MMIG_english_185x120 17.06.2009 13:18 Uhr Seite 1

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Am Ende saß auch er auf der Tribüne, von der aus 43 Staats- und Regierungs-chefs der EU und des Mittelmeerrau-

mes der Parade zum französischen Nationalfei-ertag am 14. Juli 2008 beiwohnten. Lange hatte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan offen gelassen, ob die Türkei der Einladung von Präsi-dent Sarkozy folgen werde, sich dem Projekt ei-ner „Union für das Mittelmeer“ anzuschließen. Am Tag vor den Revolutionsfeierlichkeiten (13. Juli) setzte auch er in Paris seine Unterschrift unter das Vorhaben.

Geschichtlicher hintergrund

Tatsächlich hat Ankara der mediterranen Di-mension europäischer Außenpolitik nie viel abgewinnen können, seit sich die Europäische Gemeinschaft Anfang der siebziger Jahre dem Nahen Osten und dem Mittelmeerraum als Bühne einer gemeinsamen Außenpolitik zu-zuwenden begann. Die Türken hatten und ha-ben – über die Jahrzehnte mit unterschiedlicher Intensität – eine eigene Agenda mit Blick auf Europa: die volle Mitgliedschaft in den europä-ischen Institutionen. Gleichwohl konnten sie sich der Mittelmeerunion nicht verweigern. Schon aus historischen Gründen nicht: auf dem Höhepunkt osmanischer Machtentfaltung in der zweiten Hälfte des 15. und im 16. Jahrhundert war Konstantinopel eine maritime Großmacht im Mittelmeer, die die europäischen Seemäch-te herausforderte. Und bis 1912 gehörten Teile Nordafrikas zum Reich, was eine Verbindung zur See erforderlich machte. Erst mit der Grün-dung der Republik (1923) konzentrierte sich An-kara darauf, sein unmittelbares geopolitisches Umfeld – insbesondere die Sowjetunion, den Balkan und den Mittleren Osten – durch Ver-tragssysteme im Interesse der Sicherheit der Türkei zu organisieren. Der weitere Mittelmeer-raum geriet dabei aus dem Blickfeld.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trat die strategische Dimension im Rahmen der NATO-Mitgliedschaft (seit 1952) in den Vordergrund der türkischen Politik. Dies hatte insofern eine

mediterrane Facette, als die türkische Marine Teil der „westlichen“ Flottenpräsenz war, die das Gegengewicht zu den Operationen der so-wjetischen Dritten Eskadra im Mittelmeerraum bildete. Daneben hatte seit dem Beginn der sechziger Jahre ein anderes „mediterranes“ Pro-blem begonnen, die Aufmerksamkeit Ankaras in hohem Maße zu absorbieren: der Konflikt zwischen der griechischen Mehrheit und der türkischen Minderheit auf Zypern und damit verbunden die Spannungen zwischen den „Mut-terländern“ Türkei und Griechenland. Während die Europäische Gemeinschaft begann, erste Schritte zu einer ökonomischen und politischen Gestaltung des Mittelmeerraumes zu unter-nehmen, wurde der Raum des östlichen Mittel-meers durch einen türkisch-griechischen Kon-flikt überschattet, der neben Zypern auch durch Gegensätze in Fragen der Lufthoheit, der Ho-heitsgewässer und der Festlandssockel über der und in der Ägäis geprägt war. Dieser Konflikt begann die Europäische Gemeinschaft unmit-telbar zu berühren, als Griechenland 1981 Mit-glied derselben wurde. Bereits im Juli/August 1973 hatte die türkische Armee – zum Schutz der türkischen Minderheit, wie Ankara es sieht – auf der Insel militärisch interveniert und hält seither 38% ihres Territoriums besetzt. Mit der Aufnahme Zyperns in die EU (1. Mai 2004), die von Ankara (noch) nicht anerkannt wird, haben sich die Unterschiede in den politischen Stand-punkten zwischen der EU und der Türkei ver-tieft und sind zu einem ernsten Stolperstein bei den Beitrittsverhandlungen zwischen Ankara und Brüssel geworden.

Pragmatische teilnahme

Vor diesem Hintergrund ist die Skepsis der Regierung unter Ministerpräsident Erdogan zu sehen, sich auf das Projekt Präsident Sarkozys einzulassen. Schon der 1995 in Gang gebrach-te Barcelona-Prozess war unter der damaligen türkischen Führung auf wenig Enthusiasmus gestoßen. Generell herrscht in Ankara die Ein-schätzung vor, dass sich die Stellung der Türkei zu Europa von der Qualität der Beziehungen

der meisten anderen Teilnehmer des Barcelona-Prozesses zur EU wesentlich unterscheide. Tat-sächlich waren Ankara und Brüssel 1995 dabei, ein Freihandelsabkommen vorzubereiten, das 1996 in Kraft getreten ist. Aber auch in kulturel-ler und religiöser Hinsicht wollte man Differen-zen zwischen den Türken und den Arabern im östlichen und südlichen Mittelmeerraum aus-machen. Und mit Blick auf Israel sah sich Anka-ra, das 1996 begann, mit Jerusalem in enge Zu-sammenarbeit auf vielen Gebieten einzutreten, in erheblichen Differenzen mit den am Barcelo-na-Prozess beteiligten arabischen Regierungen, für die die Teilnahme Israels wiederholt Anlass war, Fortschritte zu blockieren. Gleichwohl war der türkische Regierungschef einer der wenigen Staats- und Regierungschefs der am Barcelona-Prozess beteiligten Staaten, die aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums desselben (2005) in die katalanische Hauptstadt gereist waren.

Erdogans Anwesenheit in Barcelona war ein Si-gnal, dass Ankara eine Rolle als regionale Macht im östlichen Mittelmeer und seinem gesamten regionalen Umfeld zu spielen entschlossen ist. Auch wenn es ihn schmerzen musste, nicht auf der EU-Seite des Tisches zu sitzen, so wollte er doch zum Ausdruck bringen, dass Ankara im Interesse der EU zu handeln entschlossen ist. Dass der türkische Ministerpräsident dann aber so unverhohlen seine Skepsis und Zurückhal-tung gegenüber dem Projekt einer Mittelunion offenbarte, hatte wesentlich mit Veränderungen im Verhältnis zwischen der Türkei und der EU zu tun. Schon in Barcelona saß Erdogan mit ei-ner deutschen Bundeskanzlerin am Tisch, die bereits als Oppositionsführerin keinen Hehl da-raus gemacht hatte, dass sie in der EU keinen Platz für ein Mitglied Türkei sehe; dass sie die Qualität der Beziehungen allenfalls als privile-gierte Partnerschaft einstufen könne. Darin un-terschied sie sich definitiv von ihrem Vorgänger, der auf dem europäischen Gipfel in Helsinki 1999 mit Nachdruck durchgesetzt hatte, dass der Türkei der Status eines Kandidaten auf Mit-gliedschaft in der EU verliehen wurde und der die Weichen dafür gestellt hatte, dass am 3. Ok-

Der türkische Standpunkt: Dabei sein ist alles

von Udo Steinbach

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Seite 23Mediterranes 1/2009

tober 2005 die Beitrittsverhandlungen begonnen wurden. In Frankreich hat Präsident Sarkozy wiederholt deutlich gemacht, dass er gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei sei. Darüber hin-aus verlangt die französische Verfassung, dass nach einem – auch erfolgreichen – Abschluss der Verhandlungen zwischen Ankara und Brüs-sel ein Referendum über die Zustimmung von Paris über die Aufnahme entscheiden muss. Vor diesem Hintergrund stieß die Initiative Sarkozys zu einem neuen Forum einer Mittelmeerpolitik der EU auf unverhohlene Ablehnung seitens des türkischen Ministerpräsidenten. Die EU-Ambitionen Ankaras sollten nach seiner Lesart mit dem Mittelmeer gleichsam abgefunden wer-den. Eine Rolle der Türkei werde zum Surrogat für deren weitere Annäherung an die EU. Erst als vor allem auf Druck der Bundeskanzlerin die Mittelmeerunion zu einer Angelegenheit der EU insgesamt (und nicht länger lediglich der Mittelmeeranrainer) gemacht und klargestellt wurde, dass die Mittelmeerunion den Barcelo-na-Prozess nicht ersetze, sondern diesen nur ergänze, konnte sich Ankara zur Teilnahme an dem Projekt entschließen.

Baustein der türkischen Sicherheitsarchitektur

Wenn auch viele politische Beobachter in der Türkei die französische Initiative mit gemisch-ten Gefühlen betrachten, so erkennt man doch durchaus die Potentiale möglicher Kooperati-

onsfelder im Mittelmeerraum und die Notwen-digkeiten und nachhaltigen Entwicklungschan-cen etwa bei einer gemeinsamen Umweltpolitik an. Auch könne die Türkei bei der Schaffung transnationaler Verkehrswege oder bei der ge-planten Energiekooperation Erfahrungen ein-bringen, die sie im Rahmen der Schwarzmeer-Kooperation seit Jahren habe sammeln können. Andere fordern eine aktive Rolle der Türkei, die dem Anspruch der Regierung Erdogan entspre-che, sich zu einem wichtigen regionalen Akteur und Stabilitätsanker zu entwickeln. Vor den tür-kischen Botschaftern, die für eine Tagung des türkischen Außenministeriums vom 15. – 18. Juli 2008 nach Ankara beordert wurden, sprach Erdogan über die Erfolge der türkischen Außen-politik in den letzten Jahren und verband dies mit der Forderung nach noch größerer Aktivität: „Betrachten Sie die Situation vor einigen Jahren, als der Ausspruch die Runde machte, die Türkei sei von drei Seiten vom Meer und von Feinden umgeben. Heute haben wir durch unsere aktive Außenpolitik erreicht, dass wir mit allen Nach-barn reden und die Probleme gelöst sind.“

Türkische Politiker verweisen auf Artikel 13 der gemeinsamen Erklärung zur Union für das Mittelmeer, in dem festgestellt wird, dass sie unabhängig vom EU-Erweiterungsprozess, den Beitrittsverhandlungen und Beitrittspartner-schaftsprozessen funktioniert. Und in einem Kommentar des bekannten türkischen Think-tank ASAM (Zentrum zur Strategieforschung

Was spricht gegen die Eu-Mitgliedschaft der Türkei? (© European Communities 2009)

Eurasiens) wird hervorgehobern, dass „die Teil-nahme der Türkei an der Union für das Mit-telmeer vernünftig und logisch ist. Wenn für die Türkei eine Situation der Gefahr entstehen sollte, besteht eine nachhaltige Notwendigkeit, Teil dieses Prozesses zu sein. Damit kann es zu keinen Entwicklungen kommen, die außerhalb ihres Einflussbereichs stehen, und sie besitzt Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten, wenn es innerhalb des Prozesses zu Entscheidungen kommen sollte, die gegen sie gerichtet sind“.

Tatsächlich ist für Ankara die Union für das Mittelmeer – mehr als alles andere – ein Bau-stein einer Sicherheitsarchitektur, die die Türkei in den letzten Jahren errichtet hat. Sie enthält multilaterale Komponenten wie die Schwarz-meerkooperationszone und eben die Teilnahme an der Union für das Mittelmeer. Auch die von Ankara im Zusammenhang mit der Georgien-krise im August 2008 ins Gespräch gebrachte „Plattform der Zusammenarbeit und Stabilität“ ist in diesem Zusammenhang zu sehen.

Wichtiger aber sind stabile bilaterale Beziehungen, über die Ankara das sicherheitspolitische Umfeld organisiert. Im Nahen Osten zeigt das Geflecht bi-lateraler Beziehungen zu Israel, Syrien, dem Irak und Iran, dass die Türkei auf diesem Weg Baustei-ne im Rahmen einer Sicherheitsarchitektur zu-sammenzufügen vermag, die auf multilateralem Weg nicht zusammengefügt werden könnten. Im Kaukasus deuten sich Verbesserungen der Bezie-hungen zu Armenien an. Dies führt im benachbar-ten Aserbaidschan zu Verstimmung, dürfte mittel-fristig aber die Handlungsspielräume der Türkei erweitern, im Konflikt um Nagorny Karabach zu vermitteln. Im Mittelmeerraum harrt der Konflikt auf und um Zypern noch immer der Lösung. Von der Union für das Mittelmeer werden diesbezüg-lich keine Impulse ausgehen. Immerhin aber trägt sie zu einer konstruktiven Atmosphäre bei, ohne die Fortschritte bei der Lösung nicht zu erreichen sind. So ist die Haltung Ankaras in doppelter Wei-se pragmatisch: Der Union für das Mittelmeer gegenüber keine allzu hohen Erwartungen zu he-gen; und ihr zugleich anzugehören, weil ihr nicht anzugehören, einen leeren Stuhl entstehen ließe, auf den sich andere setzen könnten.

Prof. Dr. Udo Steinbach war langjähriger Direktor des Deutschen Orient-Instituts bzw. des GIGA-Instituts für Nah-oststudien in Hamburg. Seit seiner Pensionierung im Jahr 2008 lehrt er an der Philipps-Universität Marburg. Er ist Grün-dungs- und Beiratsmit-glied der EMA e.V.

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Die Union für das Mittelmeer: „Visionär und mutig“Interview mit S.E. Rachad Bouhlal, dem marokkanischen Botschafter in Deutschland

Auf dem besten Weg zur vollständigen Eu-Integration?

Im Gegensatz zu anderen arabischen Mit-gliedsstaaten der Union für das Mittel-meer (UfM), wie etwa Ägypten, war Ma-

rokko stets ein überzeugter Befürworter des euro-mediterranen Projektes. Schon im Ok-tober 2007, als Nicolas Sarkozy sein Projekt einer Mittelmeerunion in Marokko erstmalig vorstellte, bezeichnete König Mohammed VI. es als „visionär und mutig“. Malika Bouziane interviewte S.E. Rachad Bouhlal, den marokka-nischen Botschafter in Deutschland, um zu er-fahren, warum die marokkanische Regierung einen so optimistischen Standpunkt vertritt.

BoUzIAnE: Was sind die Interessen Marokkos im Rahmen der UfM?

BoUhlAl: Das Königreich Marokko ist ein privilegierter Partner der EU. Die EU stellt den wichtigsten Markt für die marokkanischen Ex-porte dar, ist der größte öffentliche und private externe Investor in Marokko und sein wichtigs-ter Tourismusmarkt. Zudem ist Marokko an der Sicherstellung der europäischen Energieversor-gung beteiligt.

Gleichzeitig ist Marokko ein Schlüsselakteur auf der subregionalen Ebene. Es initiierte den 5+5-Dialog im westlichen Mittelmeerraum, das Mittel-meer-Forum sowie die Arabische Maghreb-Union. In der Union für das Mittelmeer sieht Marokko sowohl die Vervollständigung der verschieden subregionalen Initiativen als auch der bilateralen Beziehungen zwischen Marokko und der EU.

Die UfM ist eine Antwort auf die Gebote und Herausforderungen der Globalisierung und bezweckt eine Aufwertung der Region. Die in-ternationalen Umbrüche machen eine Zusam-

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Seite 25Mediterranes 1/2009

menlegung der Kraftanstrengungen und die Nutzbarmachung von Gegensätzlichkeiten not-wendig, um gemeinsam die Ambitionen unse-rer Gesellschaften umzusetzen. Der Barcelona-Prozess und die UfM bilden das „Projekt einer euro-mediterranen Gesellschaft“, welche die ge-meinsamen Werte und Potenziale, über die je-des Land der Region verfügt, zu Kapital machen sollte. Um eine größtmögliche Erfolgswahr-scheinlichkeit zu gewährleisten, darf sich die UfM nicht auf die Einrichtung eines Rahmens für die Zusammenarbeit zwischen den Regie-rungen beschränken, sondern muß zugleich der Zivilgesellschaft die Möglichkeit geben, sich diesen Rahmen anzueignen und so zum Nutz-nießer des regionalen Prozesses zu werden.

Marokko hat das Projekt der UfM von Beginn an wohlwollend aufgenommen, da es darin eine Möglichkeit sieht, die Euro-mediterrane Part-nerschaft durch die Bekräftigung der co-owner-ship über die Einrichtung paritätischer Institu-tionen (Ko-Präsidentschaft und Sekretariat) und die neu hinzugekommene Dimension der „Pro-jekte“ auf ein höheres Niveau zu heben. Auch wird sie zur Verbesserung der Effektivität und Sichtbarkeit beitragen, insbesondere durch die Umsetzung der folgenden Zielvorgaben:

Das Mittelmeer zu einem Rahmen der Part-• nerschaft machen;Ein wirkliches Gleichgewicht zwischen den • drei Pfeilern der Euromed-Partnerschaft etab-lieren (Politik, Wirtschaft und Finanzen, Kul-tur und Soziales);Das Prinzip der co-ownership vertiefen, ins-• besondere auf der institutionellen Ebene und der Ebene der Entscheidungsfindung;Der verstärkten Zusammenarbeit, die für • die Entwicklung der Beziehungen in unter-schiedlichen Bereichen notwendig ist, mehr Gewicht geben;Den Bereich der Projektumsetzung stärken;• Die Zivilgesellschaft stärker in die Umset-• zung der Partnerschaft einbinden, insbeson-dere auf kommunaler und regionaler Ebene.

BoUzIAnE: Was bedeutet die UfM für Marok-ko? Welchen Mehrwert bringt sie dem Land?

BoUhlAl: Die marokkanisch-europäischen Be-ziehungen haben viele entscheidende Etappen hinter sich, angefangen bei der strategischen und unumkehrbaren Entscheidung des Königreichs Marokko nach seiner Unabhängigkeit, den Be-ziehungen zu Europa einen privilegierten Platz im Rahmen seiner Außenpolitik einzuräumen. Diese grundsätzliche, aber ausbaufähige Wahl materialisierte sich in der Einrichtung mehre-rer ansehnlicher bilateraler und multilateraler Beziehungen, welche als Kooperationsform im Mittelmeerraum eine Vorreiterrolle einnahmen. Ich erinnere an das 1996 unterzeichnete und 2000 in Kraft getretene Assoziierungsabkom-men, an die darauf folgenden Übereinkommen,

insbesondere das der Europäischen Nachbar-schaftspolitik, und schließlich an den Marokko vor wenigen Monaten zuerkannten „fortge-schrittenen Status“.

Konkret sieht dieser Sonderstatus auf der po-litischen Ebene die Abhaltung regelmäßiger Gipfeltreffen vor sowie die Umsetzung eines Rahmenabkommens zur Beteiligung Marokkos an den europäischen Krisenbewältigungsopera-tionen. Auf der wirtschaftlichen Ebene schließt der Status die Errichtung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes nach dem Vorbild des Eu-ropäischen Wirtschaftsraumes (EU plus Norwe-gen, Island und Liechtenstein) ein.

Marokko hat aktiv an der Ausarbeitung der De-klaration von Paris teilgenommen und hat wich-tige Beiträge zu den ersten Entscheidungen der UfM-Minister im November 2008 geleistet, um die Euro-mediterrane Partnerschaft in den Be-reichen Finanzen, Investitionen, Energie und Informationstechnologien voranzubringen. Es ist die Konkretisierung und Weiterführung die-ser Aktionen, die wir von der UfM erhoffen.

BoUzIAnE: Wie beurteilen Sie Marokkos zu-künftige Beziehungen zu den anderen arabi-schen Staaten vor dem Hintergrund, dass nicht alle mit seinem Sonderstatus einverstanden sind?

BoUhlAl: Die Bewilligung des „fortgeschritte-nen Status“ ist eine Anerkennung der marokka-nischen Leistungen durch die EU, insbesondere in den Bereichen Förderung und Schutz der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat-lichkeit sowie Sanierung des Geschäftsklimas, wozu insbesondere der Kampf gegen die Kor-ruption und die Verabschiedung des Wettbe-werbsrechts und einer Arbeitsgesetzgebung bei-trugen. Es ist eine Anerkennung, die Marokko sicherlich ehrt, die aber auch von ihm verlangt, seine Leistungsfelder weiter auszudehnen und sich den Standards, Werten und Idealen der europäischen Länder noch weiter anzunähern. In Bezug auf die marokkanisch-arabischen Be-ziehungen baut die arabische Politik des Kö-nigreichs Marokko auf konstante Faktoren auf, nämlich die gemeinsame Geschichte, die Zu-gehörigkeit zum gleichen sozio-kulturellen und linguistischen Umfeld und natürlich die geogra-phische Nähe. Marokko ist ein aktives Mitglied in der Arabischen Liga, einer regionalen Orga-nisation, welche ein gemeinsames arabisches Vorgehen befördern soll. Daher besteht keiner-lei Unvereinbarkeit zwischen den Beziehungen, welche Marokko mit der EU unterhält, und den jahrhundertealten Beziehungen, welche es zu den arabischen Ländern pflegt. Ich glaube sogar, dass der Sonderstatus Marokkos in einer direk-ten Form auf die marokkanisch-europäischen Beziehungen einwirken wird, dass er jedoch zugleich substantielle Auswirkungen auf die

marokkanisch-arabischen Beziehungen und die Beziehungen zwischen der arabischen Welt und der EU haben wird.

BoUzIAnE: Welche Perspektiven sehen Sie für eine erfolgversprechende euro-mediterrane Mi-grations- und Flüchtlingspolitik?

BoUhlAl: Marokko war in der Vergangenheit vor allem ein Auswanderungsland in Richtung Westeuropa. In den letzten Jahren hat es sich jedoch zunehmend zu einem Einwanderungs-land entwickelt, wobei es sich bei den Einwan-derern überwiegend um illegale Migranten aus den Nachbarländern südlich der Sahara handelt. Für sie ist Marokko eine Etappe auf dem gefähr-lichen Weg nach Europa.

Die Überwachung der Migration durch die ma-rokkanischen Autoritäten erlaubt es Europa, sich besser gegen die umfangreiche Einwanderung zu schützen, zugleich zwingt sie Marokko aber dazu, einer Belastung standzuhalten, welche die Kapazitäten eines einzelnen Landes bei wei-tem übersteigt. Die Migrationsproblematik, ins-besondere die der illegalen Migration, stellt ein gemeinsames Problem des afrikanischen und europäischen Kontinents dar und kann nur mit Hilfe eines umfassenden und friedfertigen An-satzes begriffen und verwaltet werden. Dieser besteht in der internationalen Solidarität in Rich-tung der Herkunftsländer der Migranten, der Beihilfe zur wirtschaftlichen Entwicklung in den afrikanischen Regionen, der Unterstützung einer Süd-Süd-Kooperation und in einer koordinierten Politik der Bekämpfung internationaler Netzwer-ke, die im Menschenhandel und der illegalen Mi-gration eine Quelle der Bereicherung finden.

Auf der euro-afrikanischen Ministerkonferenz zu „Migration und Entwicklung“, die am 10. und 11. Juli 2006 in Rabat stattfand, hoben die betroffenen Regierungen den Zusammenhang zwischen Entwicklung und Migration hervor.

BoUzIAnE: Vielen Dank für das Gespräch!

Bei dem hier abgedruckten Text handelt es sich um eine ausschnitthafte Übersetzung des Originalinter-views, das in ganzer Länge und in französischer Spra-che auf der EMA-Homepage abrufbar ist.

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Dieser Artikel entstand bereits vor Gründung der Union für das Mittelmeer und spiegelt daher nur bedingt die aktuelle Haltung der angeführten Perso-nen wider (Anm. d. Red.).

Für Jean Ping, den Kommissionspräsiden-ten der Afrikanischen Union, zielt das Projekt der Union für das Mittelmeer

(UfM) auf die Teilung des afrikanischen Konti-nents ab. Es widerspreche den auf den Gipfeltref-fen der Afrikanischen Union in Banjul (Gambia) und Khartum (Sudan) getroffenen Beschlüssen, welche den afrikanischen Kontinent in geogra-phischer, humanitärer und politischer Hinsicht als integrierte und unteilbare Einheit definieren.

Jean Ping ist bei diplomatischen Stellungnahmen normalerweise für seine Diskretion bekannt. Nun brach er mit diesem Ruf, als er während eines Ge-sprächs mit Muammar al-Gaddafi in Tripolis be-kräftigte, dass das vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy initiierte Projekt kolonialistische

Vorbehalte aus der Afrikanischen Union

von Emile Fidieck Emile Fidieck lebt und arbeitet in Paris.

Absichten verfolge und die Spaltung Afrikas be-zwecke – so berichtet eine offizielle libysche Quelle. Der hochrangige Vertreter der Afrikanischen Uni-on habe den Widerstand der Kommission gegen-über solchen Projekten angekündigt. Seine volle Unterstützung gelte den Darlegungen Gaddafis.

Das Projekt der UfM missfällt der Mehrheit der afrikanischen Staatschefs. Der senegalesische Präsident, Abdoulaye Wade, hatte bei einem von der Weltbank und der Afrikanischen Entwick-lungsbank (AfEB) organisierten internationalen Treffen zum Klimawandel in Afrika als einer der ersten Staatschefs seine offene Ablehnung gegenüber dem Projekt ausgedrückt: „Eine Mit-telmeerunion ermöglicht Nordafrika, sich an Europa zu binden ... und bedeutet eine Barriere, die das Afrika südlich der Sahara isoliert. Dessen sollten sich die Afrikaner bewusst sein“.

Für den schärfsten Gegner des europäischen Projekts, Muammar al-Gaddafi, gehören die vom

Die Afrikanische Union (AU) nach dem Scheitern der organisation Afrikani-scher Einheit (oAE) wurde 2002 die Au gegrün-det. Während die oAE als Kind der dekoloniali-sierungsphase durch die Prioritätensetzung auf die unbedingte Souveränität ihrer Mitgliedstaaten lediglich passiver Akteur war, ist die Au eine we-sentlich handlungsfähigere überregionale Institu-tion. der libysche Staatspräsident Muammar al-Gaddafi war einer der entscheidenden Initiatoren in diesem reformprozess, der sich in drei zentrale Punkte kristallisiert: nichtverfassungsgemäße re-gierungswechsel werden abgelehnt; die Au besitzt das recht auf eine militärische Intervention aus humanitären Gründen und im Falle „ernsthafter Bedrohungen der legitimen ordnung“; die Au ist ähnlich der Eu konzipiert und verfolgt die Förde-rung der afrikanischen Einheit, die Verwirklichung demokratischer Grundsätze und das Engagement für die Menschenrechte im rahmen von Frieden, Sicherheit und Stabilität.

Projekt betroffenen arabischen Mittelmeerstaa-ten vor allem der Arabischen Liga sowie der der Afrikanischen Union an – daher solle man lieber die Kooperation zwischen Brüssel (Sitz der Eu-ropäischen Union), Kairo (Sitz der Arabischen Liga) und Addis Abeba (Sitz der Afrikanischen Union) unterstützen. Dagegen „liegt der Sitz, der das Projekt (der UfM) leitet, in Brüssel und wir sind nicht von Brüssel abhängig“, erklärte Oberst Gaddafi anlässlich eines arabischen Minigipfels in Tripolis.

Der von Jean Ping verkündete Widerstand ge-genüber dem europäischen Projekt der UfM ist also lediglich die offizielle Bekanntgabe der ak-tuell vorherrschenden Meinung innerhalb der Afrikanischen Union.

Dieser Text erschien in einer etwas längeren Version unter dem Titel "UpM: Jean Ping dit ‘non’ au projet de Nicolas Sarkozy“ am 8.4.2008 in L'International Magazine. Übersetzung: Clara Gruitrooy .

Seit Februar 2009 hat der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi die Präsidentschaft der Afrikanischen union inne.

dieser Status macht libyen zum Tor für afrikanische Märkte. das Bild zeigt ein Gespräch des EMA-Vorstands (Aziz

Alkazaz und Hermann J. zoder) mit S.E. Jamal El-Barag, dem libyschen Botschafter in Berlin, zur Veranstaltung eines

Hamburger libyen-Wirtschaftstags mit dem Titel „libyen – das Tor zu den arabischen und afrikanischen Märkten“.

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Die Förderung demokratischer Struk-turen gehört zu den offiziellen Zielen der europäischen Mittelmeerpolitik,

und dies nicht erst seit der Gründung der Uni-on für das Mittelmeer. Die von den Mitglieds-staaten der Euro-Mediterranen Partnerschaft unterzeichnete Barcelona-Deklaration vom No-vember 1995 nennt die Stärkung von Demokra-tie als Voraussetzung für Frieden, Stabilität und Prosperität in der Region. Überdies verpflich-ten sich die Mitgliedsstaaten, ihre Systeme in Richtung Rechtstaatlichkeit und Demokratie zu entwickeln.1 Auch existiert in den bilatera-len Assoziierungsabkommen zwischen der Eu-ropäischen Union und ihren Partnerstaaten im Barcelona-Prozess eine Klausel, die demokra-tische Prinzipien und Respekt für Menschen-rechte zur Basis der Kooperationsbeziehungen erklärt. Nicht zuletzt enthalten die im Rah-men der Europäischen Nachbarschaftspolitik gemeinsam mit den Partnerstaaten erstellten Aktionspläne auch konkrete Maßnahmen, etwa im Bereich Presse- und Vereinsfreiheit sowie zur Stärkung von Menschenrechten.2 Allerdings sind diese Aktionspläne im Gegensatz zu den Assozi-ierungsabkommen rechtlich nicht bindend.

Da die Union für das Mittelmeer eher eine Weiterführung der bestehenden euro-mediter-ranen Beziehungen unter neuem Namen als einen kompletten Neustart dieser Beziehungen darstellt, hat sich auch an der rhetorischen und formellen Demokratieorientierung des Pro-jekts wenig verändert. In der Abschlusserklä-rung des Gründungsgipfels figuriert das Ziel der Transformation des Mittelmeerraums in ei-nen „Raum des Friedens, der Demokratie, der Kooperation und der Prosperität“ prominent im ersten Absatz. Der Erfolg der Initiative, so heißt es weiter in dem Dokument, liege letzt-lich auch in den Händen der Bürger und hänge von den Zivilgesellschaften und dem aktiven Engagement des privaten Sektors ab.3

Es wäre zweifellos verfrüht, ein Jahr nach der Gründung der Union für das Mittelmeer kon-krete Fortschritte in Bezug auf demokratische

Reformen zu erwarten – zumal eine der zentra-len institutionellen Strukturen der Mittelmeer-union, das neu geschaffene Sekretariat, seine Arbeit aufgrund regionaler Spannungen, und hier insbesondere des israelischen Kriegs im Gazastreifen Ende 2008/Anfang 2009, nicht wie geplant im Mai 2009 aufnehmen kann.

Schwerpunkt technische kooperation

Es gibt aber eine ganze Reihe von Hinweisen darauf, dass Demokratieförderung im Rahmen der Mittelmeerunion erstens eine marginale Rolle spielen wird und zweitens ein illusio-näres Unterfangen sein dürfte. So fehlen in allen bisherigen offiziellen Dokumenten kon-krete Hinweise zur Umsetzung des „Raums für Demokratie“ genauso wie zur Einbindung der Zivilgesellschaft. Keines der sechs Schlüs-selprojekte hat einen direkten Bezug zu poli-tischen Reformen.4 Vielmehr handelt es sich um technische Projekte in politisch wenig heiklen Bereichen. Sie basieren hauptsächlich auf zwischenstaatlicher Kooperation unter Ein-bindung des Privatsektors auf beiden Seiten des Mittelmeers. Damit sind die europäischen Staatschefs letztlich vom transformatorischen Ansatz des Barcelona-Prozesses abgerückt und dem französischen Präsidenten Sarkozy gefolgt, dem entwicklungsorientierte public-private partnerships ohne politischen und insti-tutionellen Reformanspruch vorschwebten.5

Keines dieser Projekte zielt auf Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz oder der bürgerli-chen Freiheiten. Auch weitere wichtige Voraus-setzungen für erfolgreiche Demokratisierung wie Bekämpfung der grassierenden Korrup-tion und Aufbau solider und glaubwürdiger, effizienter, transparenter und verantwortlicher staatlicher Institutionen fehlen bei den Schlüs-selprojekten. Allenfalls positive Nebeneffekte für Demokratisierung könnte die Initiative zur Unternehmensförderung haben, etwa wenn es gelingen würde, die Entstehung einer starken unabhängigen Unternehmerklasse zu fördern. Bislang gilt jedoch für die meisten Wirtschaft-

Demokratieförderung: Mehr Fiktion als Realität

von Isabelle Werenfels

Dr. Isabelle Werenfels ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Co-Vorsitzende der EuroMeSCo-Generalversammlung sowie Mitglied in der EuroMeSCo-Stee-ring Group. Zu ihren Forschungsfeldern gehören: Politische und ökonomische Trans-formationen sowie Elitenwandel in den Maghreb-Staaten; deut-sche und europäische Politik gegenüber der Maghreb-Region; Euro-Mediterrane Partner-schaft; Demokratiefor-schung; Genderfragen.

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seliten in den arabischen Partnerstaaten, dass sie mit den herrschenden autoritären Eliten eng verbandelt sind. Ihr Interesse an einer trans-parent agierenden staatlichen Verwaltung ist folglich genauso begrenzt wie dasjenige an de-mokratisch funktionierenden politischen Insti-tutionen.6

Ein weiteres Handicap für erfolgreiche Demo-kratisierung im Rahmen der Union für das Mit-telmeer liegt in der institutionellen und konzep-tionellen Ausgestaltung der Mittelmeerunion. Das beginnt bei der großen Zahl und Heteroge-nität der Mitgliedsstaaten. Im Barcelona-Prozess hatten alle südlichen Partnerstaaten bis auf die Türkei, Israel und Malta (das mit seinem EU-Beitritt 2004 quasi die Mittelmeerseite gewech-selt hat) autoritäre politische Systeme. In der Union für das Mittelmeer finden sich Partner-staaten wie Kroatien, das demokratisch ist, und Albanien, das sich in einem demokratischen Transitionsprozess befindet. Beide Staaten ha-ben eine EU-Beitrittsperspektive, was Anreize für grundlegende politische Reformen schafft. Das heißt, der Mangel an politischen Reformen stellt innerhalb der Union für das Mittelmeer ausschließlich bei den arabischen Partnerstaa-ten ein zentrales Problem dar.

Mit Blick auf die autoritären arabischen Regime ist denn auch das Prinzip des so genannten Co-Ownership, auf das in der Union für das Mittel-meer sehr viel Gewicht gelegt wird, eine zwie-spältige Angelegenheit. Grundsätzlich ist ein starkes Gefühl der Teilhabe am Kooperations-prozess in den südlichen Partnerstaaten und die gemeinsame Steuerung dieses Prozesses positiv zu beurteilen. Allerdings stellt sich gerade bei der Kooperation mit autoritären Regimen im-mer die Frage, wer denn am Prozess teilhat und ihn mitsteuert. Sind es die autoritär regieren-den Eliten und die eng mit ihnen verflochtenen Wirtschaftseliten, die die bestehenden Systeme erhalten wollen? Oder sind es die auf Demo-kratie orientierten zivilgesellschaftlichen Kräfte und die kleineren und mittleren Unternehmer, die ein starkes Interesse an der Veränderung der bestehenden Strukturen haben? Im Fall der Union für das Mittelmeer ist die Antwort ein-deutig: Es handelt sich in erster Linie um eine Partnerschaft zwischen – zumindest auf dem Papier – gleichberechtigten Regierungen. Nicht-regierungsorganisationen haben in der Union für das Mittelmeer bislang in keiner Phase eine Rolle gespielt. Im Vorfeld des Gründungsgipfels war aus dem zuständigen Referat der EU-Kom-mission in Brüssel zu vernehmen, man wisse, dass Nichtregierungsorganisationen eigentlich konsultiert werden müssten, um ihre Vorstel-lungen in die Projektvorschläge einfließen zu lassen, aber man habe dafür schlicht keine Ka-pazitäten angesichts der drängenden Zeit.7

Strukturelle und regionale hindernisse

Bei aller Skepsis in Bezug auf die Einbindung und Stärkung von demokratischen Akteuren und Strukturen im Rahmen der Union für das Mittelmeer, darf nicht vergessen werden, dass Themen wie Menschenrechte und politische Re-formen zumindest theoretisch auch in den so ge-nannten bilateralen politischen Dialog zwischen der EU und den jeweiligen Partnerregierungen einfließen. Überdies sind im Rahmen der Euro-päischen Nachbarschaftspolitik auch mit eini-gen Staaten gemeinsame Komitees zu sensiblen Thematiken wie Menschenrechten etabliert wor-den. Und nicht zuletzt gibt es im Rahmen des Barcelona-Prozesses laufende Projekte, die von der EU teilweise bis 2011 finanziert werden und die einen direkten Bezug zu Demokratisierung und Rechtstaatlichkeit haben. Dazu gehören das Euro-Mediterranean Human Rights Network genauso wie die Programme Euromed Justice I und II, die unter anderem das Ziel von guter Re-gierungsführung im Justizwesen verfolg(t)en. Da eine Reihe von diesen Projekten bereits eine Laufzeit von mehreren Jahren haben, lässt sich die Frage nach ihrer Wirkung stellen. Dabei ist es außerordentlich schwierig, direkte Kausalitä-ten nachzuweisen, unter anderem, weil die EU nicht der einzige Akteur in der Region ist und weil Reformen immer auch rein innenpolitisch (und taktisch) motiviert sein können.

Feststellen lässt sich dennoch, dass sich in nahe-zu allen arabischen Partnerstaaten seit Beginn des Barcelona-Prozesses die politischen Freihei-ten nicht erhöht haben.8 Dabei lassen sich eine ganze Reihe von Faktoren eruieren, die als Hin-dernisse für Demokratisierung in der Region gelten können. Dazu gehören die Auswirkungen des ungelösten Nahostkonflikts genauso wie die Sicherheitsängste westlicher Regierungen seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 und die europäische Furcht vor islamistischen Regierungen. All diese Faktoren erleichtern es den arabischen Regierungen, repressive Struk-turen zu rechtfertigen und politische Reformen auf die lange Bank zu schieben.

Europäische Rufe nach freien Wahlen und mehr Meinungsfreiheit verstummen meist, wenn ägyp-tische oder tunesische Politiker an den Wahlsieg der Hamas 2006 oder die Spirale der Gewalt erin-nern, die auf den Wahlsieg der islamistischen FIS-Partei 1991 in Algerien folgte. Dabei wird überse-hen, dass in beiden Fällen die Nichtanerkennung von Wahlergebnissen durch die herrschenden Eli-ten sowie durch das Ausland die Initialzündung für die Gewalt lieferten. Nicht zuletzt hinderlich für die europäische Demokratieförderung ist die große Abhängigkeit vom algerischen und liby-schen Erdöl und Erdgas. Diese führt in der Regel dazu, dass solche Regime mit Samthandschuhen angefasst werden.

Schwächen der Demokratieförderung im Barcelona-Prozess

Auch wenn der Mangel an politischer Öffnung sehr stark mit strukturellen Faktoren zu tun hat, darf über Schwächen des europäischen Ansatzes nicht hinweggesehen werden. Das beginnt bei der impliziten Annahme, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen politische Re-formen nach sich ziehen würden und endet bei der finanziellen Unterausstattung der Demokra-tie fördernden Maßnahmen. Ein Blick auf die Verwendung der europäischen Gelder in Ma-rokko (MENA und ENPI-Gelder) zeigt, dass sich die Förderung von zivilgesellschaftlichen Pro-jekten sowie von solchen, die auf die Stärkung der bürgerlichen Freiheiten und von Menschen-rechten abzielen, im einstelligen Prozentbereich der Gesamtgelder bewegt. Das gilt selbst, wenn man Projekte mit einbezieht, die potentiell po-sitive Sekundäreffekte haben könnten, wie etwa Bildungsprojekte oder die Dezentralisierung und Reformierung von Verwaltungsstrukturen nach Kriterien guter Regierungsführung. In Tunesien finden sich aufgrund des schwierigen Umfelds keinerlei Projekte mehr in sensiblen Bereichen.9

Der Großteil der EU-Gelder für die Partnerstaa-ten ist in wirtschaftliche Projekte und Program-me zum Abbau von Handelsbarrieren, zur Libe-ralisierung der Binnenmärkte und zur Stärkung des Privatsektors geflossen. Dabei hat sich am tunesischen Beispiel gezeigt, dass es möglich ist, die Wirtschaft grundlegend zu reformieren ohne das politische System zu öffnen. Im Ge-genteil: Das tunesische Regime hat erfolgreich eine Strategie der Substitution von politischen Freiheiten durch wirtschaftliche Prosperität verfolgt.10 Damit hat die Praxis die europäische Annahme, wirtschaftliche Reformen würden positive Rückwirkungen auf politische Struktu-ren haben, widerlegt.

Am Beispiel der europäischen Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Projekten hat sich zudem gezeigt, dass diese nur dann die erwarteten positi-ven Dynamiken entfalten können, wenn sich auch die politischen und rechtlichen Rahmenbedingun-gen zum Positiven verändern, wie dies in Marokko bis zu einem gewissen Grade der Fall war.11 Wenig Erfolg versprechend war auch der europäische An-satz, fast ausschließlich mit säkularen und linken zivilgesellschaftlichen Akteuren zu kooperieren. Diese Akteure haben wenig Gewicht in ihren je-weiligen Gesellschaften. Weit repräsentativer und in der Gesellschaft stärker verankert sind indes die islamistischen Vereinigungen. Kooperation mit islamistischen Akteuren war allerdings bis vor we-nigen Jahren innerhalb der EU absolut tabu und ist nach wie vor umstritten, auch wenn einzelne is-lamistische Akteure in der Praxis durchaus schon in Projekte mit eingebunden werden.

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Seite 29Mediterranes 1/2009

Politische Reformen an die nachbarschaftspolitik delegiert

Angesichts des ungünstigen internationalen und regionalen Umfelds für Demokratisierung sowie der Probleme mit dem bisherigen Ansatz erstaunt wenig, dass die europäischen Staats- und Regierungsoberhäupter auf ein pragmati-scheres Vorgehen setzen und damit ausschließ-lich auf technische Kooperation – zumindest in den Leuchtturmprojekten. Dabei scheint sich innerhalb der EU ein impliziter Konsens he-rausgebildet zu haben, dass die Union für das Mittelmeer nicht das Vehikel für politische (und auch wirtschaftliche) Transformation sein kann und soll, sondern dass die Europäische Nachbar-

schaftspolitik diese Funktion übernehmen soll. Die Europäische Nachbarschaftspolitik verfügt mit der so genannten positiven Konditionalität über ein Instrument, das Reformanreize setzen kann. Die EU kann den arabischen Partner-staaten zwar nicht mit der Beitrittsperspektive winken, aber immerhin mit einem so genann-ten „fortgeschrittenen Status“ (statut avancé), der den Zugang zu einer ganzen Reihe von EU-Agenturen und -Institutionen ermöglicht. Marokko ist das erste Land, das aufgrund seiner im Vergleich hohen Reformbereitschaft davon profitieren wird.12

Ob sich Staaten wie Tunesien oder Ägypten auf-grund dieser Perspektive auf Reformen einlas-sen werden, die ihre Macht beschneiden, ist frag-

lich – zumal der Druck, es zu tun, nicht hoch ist. Denn auch für die Europäische Nachbarschafts-politik gilt, dass Demokratisierung in der Praxis eine marginale Rolle spielt. In den Aktionsplä-nen werden politische Reformen im Vergleich zu Verwaltungs-, Handels- und Finanzsektor-reformen minimal gewichtet. Und generell gilt, dass derzeit in allen europäischen Staaten die Tendenz zu kurzfristigem Stabilitätsdenken do-miniert, das sich aus Sicherheitsüberlegungen und energiepolitischen Interessen speist. Damit dürfte das Thema Demokratieförderung in den südlichen Partnerstaaten in der Praxis mehr oder weniger vom Tisch sein – auch wenn es in Dokumenten und Rhetorik der europäischen Kommission weiterhin verfolgt wird.

1 Vgl. ec.europa.eu/external_relations/euromed/docs/bd_en.pdf

2 Vgl. z. B. die Aktionspläne von Jordanien (ec.europa.eu/world/enp/pdf/action_plans/

jordan_enp_ap_final_en.pdf) und Marokko (ec.europa.eu/world/enp/pdf/action_plans/

morocco_enp_ap_final_de.pdf).

3 Vgl. draft Joint declaration of the Paris Summit for the Mediterranean, Paris, 13. July 2008.

4 Bei diesen Projekten handelt es sich um: 1) Bekämpfung der Verschmutzung des Mit-

telmeers; 2) Ausbau der Häfen und Autobahnen im südlichen Mittelmeerraum; 3) Integ-

ration der südlichen Mittelmeeranrainer in den europäischen zivilschutzmechanismus;

4) Solarenergiepartnerschaft mit nordafrika; 5) Etablierung einer euro-mediterranen

universität; 6) Initiative zur unternehmensentwicklung.

5 Vgl. dazu Freedom House (www.freedomhouse.org/template.

cfm?page=363&year=2008), Worldbank Governance Indicators (web.worldbank.org/

WBSITE/EXTErnAl/WBI/EXTWBIGoVAnTCor/www.govindicators.org) oder Bertels-

mann Transformations Index (www.bertelsmann-transformation-index.de/11.0.html).

6 Vgl. z.B. Thomas demmelhuber u. Stephan roll, Herrschaftssicherung in Ägypten: zur

rolle von reformen und Wirtschaftsoligarchen, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik,

Juli 2007 (SWP-Studie nr. 20/2007).

7 Interview der Autorin im April 2008 in Brüssel.

8 Vgl. auch Muriel Asseburg, demokratieföderung in der arabischen Welt - hat der part-

nerschaftliche Ansatz der Europäer versagt?, in: orient, Jg. 46, 2005/2, S. 272-290.

9 Vgl. Für Marokko: www.delmar.ec.europa.eu/fr/communiques/pdf/20070410b.pdf , für

Tunesien: ec.europa.eu/world/enp/pdf/country/enpi_csp_nip_tunisia_summary_en.pdf.

10 Vgl. Steffen Erdle, Tunisia: Economic Transformation and Political restoration, in:

Volker Perthes (Hg.) Arab Elites: negotiating the Politics of Change, Boulder and london,

2004, S. 207-238.

11 Vgl. z.B. Bettina Huber, Governance, Civil Society and Security in the EMP: lessons for a

More Effective Partnership, lissabon: EuroMeSCo, december 2004 (EuroMeSCo Paper 39).

12 Vgl. www.delmar.ec.europa.eu/fr/ue_maroc/statut_avance.htm.

Anmerkungen

EU-Engagement für die Pressefreiheit

der Samir Kassir Award wurde 2006 zum ersten Mal von der delegation der Europäischen Kom-mission im libanon als politisches zeichen für die Presse- und Meinungsfreiheit verliehen. 2009 nahmen über 150 Journalisten an dem Wettbewerb teil, 65% mehr als im Jahr zuvor. In der Katego-rie „Best opinion Article“ erhielt Mona Eltahawy (Ägypten) den ersten Preis und in der Kategorie „Best Investigative report“ belegte Carole Kerba-ge (libanon) den ersten Platz. Samir Kassir war ein im libanon und Europa bekannter Journalist, der sich besonders durch sein Engagement für die Pressefreiheit einen namen machte. Am 2. Juni 2005 fiel er einem Attentat zum opfer.

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Marokko ist ein Baum: Seine Wurzeln liegen in Afrika, die Krone in Europa.“ Anhand dieser Metapher beschreiben

Politiker und Akademiker des Landes gerne die Brückenfunktion Marokkos zwischen dem afrika-nischen und dem europäischen Kontinent. Auch im Hinblick auf das Management irregulärer Mig-ration in die EU wird Marokko diese zentrale Rolle zugeschrieben.

Die EU-Staaten haben die Genfer Konvention als normativen Grundstein ihrer Asyl- und Grenz-politik gelegt. Diesem Anspruch werden sie aber oftmals unzureichend gerecht, da die Grenzpat-rouillen nur schwer zwischen so genannten Wirt-schaftsmigranten und politischen Flüchtlingen zu unterscheiden vermögen. Neben gemeinsamen verschärften Grenzkontrollen bemüht sich die EU daher um Möglichkeiten, die illegal eingereisten Migranten zurück in ihre Heimat oder die Transit-länder zu senden.Migration ist kein neues, jedoch ein facettenrei-ches Phänomen. So ist seit Jahren die Zahl der sogenannten visa overstayers (mit Touristenvisum eingereiste Migranten, die nach Ablauf nicht aus-gereist sind) in der EU weit höher als die der illegal eingereisten. Dennoch wird letzteren wegen der speziellen Gefährdungslage der Reise über den Seeweg und der schwierigen Kontrollmöglichkei-ten der Grenzen in der Öffentlichkeit besondere Bedeutung beigemessen.

Verweigerung von Rückübernahmeabkommen

Migrationspolitik unterliegt einem ständigen Wan-del; es werden immer mehr regionale Regelwerke, bi- und multilaterale Abkommen geschlossen. Be-sonders erwähnenswert ist der Europäische Pakt zu Einwanderung und Asyl vom 15. Oktober 2008. Dieser Pakt ist für die Mitgliedsstaaten zwar recht-lich nicht bindend, leitet jedoch entscheidend die Harmonisierung der künftigen europäischen Ein-wanderungs- und Asylpolitik ein.

Außerdem ist eine enge Zusammenarbeit der EU mit den Herkunfts- und Transitländern vor-gesehen. Zusätzlich zur Schaffung von legalen Zuwanderungsmöglichkeiten, insbesondere dem

unten illustrierten Instrument der „zirkulären Mi-gration“, sollen sich die Nachbar- und Drittstaaten an der Bekämpfung irregulärer Einwanderung be-teiligen. Hierbei steht neben verschärften Grenz-kontrollen die Einigung über Rückübernahmeab-kommen im Vordergrund.Der Abschluss solcher Abkommen wird jedoch nicht zuletzt durch die Rückführungsrichtlinie vom 18. Juni 2008 erschwert, die von Kritikern auch directive de la honte („Richtlinie der Schande“) ge-nannt wird. Sie spiegele, so der Vorwurf, eine rein sicherheitsgeleitete Abschottungspolitik der EU wider, nicht zuletzt durch die Möglichkeit, Migran-ten bis zu 18 Monate in Abschiebehaft zu nehmen. Neben dieser restriktiven Politik des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ wird auch vor dem Ab-schluss von Rückübernahmeabkommen gewarnt.

Die EU möchte die Rückübernahme fremder Staatsbürger möglichst als Standardklausel in der Vielzahl von Abkommen mit nordafrikanischen Staaten aufnehmen. Auch im Falle Marokkos wur-de somit der Übergang in einen „fortgeschrittenen Status“ mit der EU lange davon abhängig gemacht, dass Marokko ein solches Rückübernahmeabkom-men abschließt. Für die irregulär eingereisten ma-rokkanischen Staatsbürger übernimmt Marokko widerstandslos die Verantwortung, wehrt sich aber vehement gegen die Rücknahme von Bürgern aus Drittstaaten, die über marokkanisches Territori-um in die EU gelangt sind. Dessen ungeachtet hat Marokko als erstes Land südlich des Mittelmeeres im Oktober 2008 einen „fortgeschrittenen Status“ erhalten. Ein politischer und wirtschaftlicher Fort-schritt ist dieser Status insofern, als er eine ver-stärkte Kooperation verspricht. So ist Marokko am 18. Mai 2009 als erstes nicht europäisches Land dem Nord-Süd-Zentrum des Europarates beige-treten. Zudem wird Marokko zunehmend in den Binnenmarkt der EU integriert werden und auch in den Bereichen Bildung und Forschung soll ver-stärkt zusammengearbeitet werden. Bezüglich des Migrationsmanagements und der erleichterten Bewegungsfreiheit von Marokkanern bedeutet der erweiterte Status indessen wenig Veränderung.Am 19. Mai 2009 hat die erste Vollversammlung der Arbeitsgruppe zum „fortgeschrittenen Status“ stattgefunden, bei der das marokkanische Außen-

Migration: Ein kontrovers diskutiertes Thema

von Clara Gruitrooy

Clara Gruitrooy studierte deutsche und französische Rechts-wissenschaften in Paris und Potsdam und absolvierte einen Mas-ter in „Intercultural Conflict Management“ der Alice Salomon Hochschule Berlin. Ihr besonderes Interesse gilt den Themen Migration und Menschenrechte in der Mittelmeerregion.

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ministerium sowie andere Ministerien und Re-präsentanten der verschiedenen EU-Institutionen über eine Stärkung der bilateralen Zusammenar-beit EU – Marokko berieten. Youssef Amrani, der Generalsekretär des marokkanischen Außenmi-nisteriums, unterstrich in einer Presseerklärung die angestrebten Fortschritte in der Liberalisierung des Handels, aber auch bezüglich der Rücknahme von Migranten. Er entkräftete die vielfach von ma-rokkanischer und europäischer Zivilgesellschaft hervorgebrachte Kritik, die EU oktroyiere Marokko die Politikinhalte auf. Die Initiative der verstärkten Partnerschaft gehe vielmehr von Marokkos König Mohammed VI. aus.

Professor Mehdi Lahlou, Experte für Migrati-onsfragen am Institut für Statistik INSEA, Rabat, erkennt zwar das marokkanische Interesse an dem „fortgeschrittenen Status“ an, kritisiert jedoch die mangelnde Regelung eines freieren Personen-verkehrs im Vergleich zur weitgehend geregelten Mobilität wirtschaftlicher Güter. Formell biete die verstärkte Partnerschaft Marokko wenig Neues.

In diesem Zusammenhang könnte man auch die bisherige Ablehnung seitens der Regierung und des Königs gegenüber dem Abschluss eines Rücküber-nahmeabkommens sehen. Wie Lahlou bemerkt, werde Marokko ein solches Abkommen nicht un-terzeichnen, solange sich die anderen maghrebini-schen Länder nicht zu der Thematik positionierten. Doch ob etwa die neue Praxis zwischen Libyen und Italien zur Rückführung von Migranten an dieser Position etwas ändern wird, bleibt ungewiss. Men-schenrechtlich ist ein solches Abkommen bedenk-lich, da die neue Praxis den anreisenden Migranten die Möglichkeit eines Asylantrags erschwert.

Die Flüchtlingssituation in Marokko

Die EU erhofft sich durch die Gewährung des „fort-geschrittenen Status“ eine vertiefte Zusammenar-beit und Anstrengungen Marokkos in verschiede-

nen Bereichen. In diesem Zusammenhang lobt Hugues Mingarelli, Vizegeneraldirektor für aus-wärtige Beziehungen der Europäischen Kommissi-on, unter anderem Marokkos ambitionierte politi-sche und wirtschaftliche Reformbestrebungen. Die Flüchtlingsproblematik spielt in der Migrationsde-batte innerhalb Marokkos allerdings nur selten eine Rolle. Der Fokus dieser Diskussion liegt vielmehr auf der Reduktion irregulärer Einwanderung durch die Schaffung legaler Einwanderungsmöglichkei-ten. Fiston Massamba, anerkannter Flüchtling aus dem Kongo und Vorstandsmitglied des Conseil des Émigrants Subsahariens au Maroc, vergleicht die Migrationsbewegung zur EU mit der „Unterlippe eines Kamels“ – man glaube immer, sie würde her-unterfallen, aber in Wirklichkeit tue sie es nicht.

Das Phänomen Migration ist dieser Metapher zufolge also nicht durch Grenzkontrollen zu stop-pen. Die Migranten, hierunter auch Flüchtlinge, ge-ben die Hoffnung nicht auf und verbleiben derweil zunehmend länger in Marokko, wo sie zumeist in prekären Situationen leben.

In einer Diskussion mit Carolin Spannuth Ver-ma vom Flüchtlingskommissariat UNHCR kriti-siert die Professorin Khadija Elmadmad, Inhabe-rin eines UNESCO Lehrstuhls für Migration und Menschenrechte, den hohen bürokratischen und finanziellen Aufwand des UNHCR, der ihrer An-sicht nach allen Migranten zugute kommen solle. Die Vertreterin des UNHCR hingegen mahnte die Einhaltung der Verpflichtungen Marokkos gemäß der Genfer Konvention gegenüber der besonders vulnerablen Gruppe von politischen Flüchtlingen an. In der Tat hat sich Marokko mit der Ratifizie-rung der Konvention bereits 1956 verpflichtet, poli-tischen Flüchtlingen Schutz zu bieten. Die prekäre Situation der anderen Migrantengruppen sollte kein Hindernis sein, den Verpflichtungen der Genfer Konventionen nachzukommen. Vielmehr sollten für diese Gruppen Regelungen und Maß-nahmen geschaffen werden, um ihre Lebenssitu-

die meisten der Informationen aus diesem Artikel stam-

men aus Expertengesprächen im rahmen der Sommer-

akademie „Migration, Menschenrechte und Entwicklung“,

die im Juni 2009 von der universität Mohammed V in

rabat organisiert und von der Friedrich-Ebert-Stiftung

unterstützt wurde. (Foto: Clara Gruitrooy)

ation zu verbessern, ohne dass die Umsetzung der Konventionen darunter leidet. Marokko hat zwar 1993 die Konvention zum Schutz der Rechte aller Migranten und ihrer Familien (CMW) ratifiziert, bislang hat jedoch noch kein Aufnahmeland die CMW ratifiziert. Ein Gesetz von 2003 sieht zudem einige Schutzmechanismen für Migranten vor; jedoch wird weder dieses Gesetz ordentlich ange-wandt, noch ist die Genfer Konvention in inner-staatliches Recht transponiert. Seit dem accord de siège (Abkommen über eine Vertretung des UNH-CR in Marokko) vom Juli 2007 erfüllt der UNHCR darum eine Sonderfunktion in Marokko, indem er die Prüfung von Asylanträgen und die Ausstellung von Flüchtlingsausweisen übernimmt. Derzeit gibt es 756 vom UNHCR anerkannte Flüchtlinge, von denen 37% aus der Elfenbeinküste, 28% aus der Demokratischen Republik Kongo und 20% aus dem Irak kommen. Marokko habe zwar erhebliche Fortschritte gemacht und unterlasse nunmehr die Abschiebung dieser Flüchtlinge, so Verma. Den-noch bleibe zu kritisieren, dass der Flüchtlingsaus-weis des UNHCR keinen legalen Aufenthaltstitel verleihe und weder eine Arbeitserlaubnis beinhalte, noch die Möglichkeit schaffe, einen Mietvertrag ab-zuschließen. Verma warnte, dass der UNHCR sein Personal nur werde halten können, wenn Marok-kos Regierung zumindest in einer Instanz der Fest-stellungsprozedur des Flüchtlingsstatus mitwirke und zudem mehr Mittel zur Verfügung stelle.

Aufgrund der äußerst prekären Lebenssituation versuchen nach wie vor viele der Flüchtlinge und Migranten in die EU weiterzureisen. Daher geht der Conseil des Émigrants de Subsahariens au Maroc anders als der UNHCR von ca. 500 in Marokko lebenden Flüchtlingen aus. Als Grund für die Di-vergenz der Flüchtlingszahlen vermutet Massamba die Rechtfertigungsnot der Institutionen in Bezug auf ihre Arbeit in Marokko, die möglicherweise ihre Budgets bedroht sähen. Auch Professor Lahlou sieht die Statistiken beidseits des Mittelmeeres mit kritischem Blick, erwiesen sich diese doch häufig als unzureichend fundiert. Insgesamt erwähne man zu häufig die Kosten der Migration und zu selten die wirtschaftlichen Vorteile, die sie den Auf-nahmeländern der EU einbringe.

Rücküberweisungen in zeiten der Finanzkrise

Doch auch für die Entsendeländer stellt die Abwan-derung ein zwiespältiges Phänomen dar: Einerseits erweist sich die Abwanderung von Fachkräften, das sogenannte brain drain, als ein großes Problem für die Entwicklung der Ursprungsländer. Anderer-seits sind viele dieser Länder jedoch auch auf die Rücküberweisungen von Migranten angewiesen.

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hierfür scheint die Schaffung gleichberechtigter Entscheidungsstrukturen zu sein, in denen auch die Migranten vermehrt zu Wort kommen.

Einer höheren Transparenz und Effizienz von Entscheidungsprozessen steht aber womöglich die Union für das Mittelmeer (UfM) als weiterer inter-gouvernementaler Akteur neben der IOM entgegen. Bei dieser Kritik bleibt allerdings zu bemerken, dass die UfM, auch wenn ihre Idee in Frankreich ent-standen ist, weitaus mehr Akzeptanz in Marokko findet als der Barcelona-Prozess von 1995 und so-mit zumindest großes Potenzial birgt. Es sind nicht nur alle Mittelmeeranrainer und die Arabische Liga vertreten; die UfM versteht sich vor allem interdiszi-plinär und ist mit einer Ko-Präsidentschaft von der-zeit Ägypten und Frankreich paritätisch aufgebaut.

Auch die Pariser Gründungsdeklaration vom 13. Juli 2008 bezieht Migration mit ein und verweist auf einen ausgewogenen und ganzheitlichen Ansatz auf politischer, wirtschaftlicher sowie auf kultureller Ebe-ne. Es bleibt zu hoffen, dass sie mehr Dynamik in die Region bringen kann als die bisherige Europäische Mittelmeer- und Nachbarschaftspolitik. Wenngleich die UfM zögerlich begonnen hatte, danach durch die Nahostproblematik gespalten und mit der Finanz-krise konfrontiert wurde, so sehen besonders ambi-tionierte Befürworter in ihr gar die Möglichkeit, den Maghreb wieder zu einen und die Westsaharafrage zu lösen. Auch wenn diese Perspektive noch wenig realistisch erscheint, so erkennt sie die Notwendigkeit einer regionalen Integrität, die sowohl geopolitisch, wirtschaftlich als auch für den dauerhaften Frieden der gesamten Region wünschenswert wäre. Der Westsaharakonflikt beschreibt ein Paradox: Während in der EU die Binnengrenzen abgebaut werden, wird versucht, im Maghreb neue Grenzen zu etablieren. Dabei könnte ein starker, geschlossener Maghreb die gemeinsamen regionalen Interessen auch gegenüber der EU besser vertreten.

Die UfM steht vor der schwierigen Aufgabe, die sicherheits- und wirtschaftsorientierten Interessen von Staaten mit menschenrechtlichen Prinzipien in Einklang zu bringen und eine effektive Entwicklungs-politik zu schaffen. Insbesondere die Kooperation in der Forschung und die Erstellung von fundierten Statistiken würde helfen, Vorurteile abzubauen und sachliche Lösungen zu finden, die nah am Menschen sind und die auf Worte auch Taten folgen lassen.

Obwohl Marokko aufgrund hoher Ernteerwar-tungen in diesem Jahr und seiner relativ stabilen Bankenlage noch keine großen Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise befürchtet, wird sich diese vorraussichtlich dennoch in Form sinkender Rücküberweisungen der sogenannten „MREs“ (Marocains Résidant à l’Etranger - im Ausland le-bende Marokkaner) bemerkbar machen. Mit mehr als drei Millionen im Ausland lebenden Marokka-nern, davon 85 % in Europa, betragen die Rücküber-weisungen heute insgesamt 57 Milliarden Dirham (ca. 5 Milliarden Euro) und sind volkswirtschaftlich besonders von Belang.

In den Augen von Skeptikern gilt Marokko da-mit als von den Rücküberweisungen abhängig. Im-merhin machen diese bisher etwa 9 % seines BIP aus – eine Quote, die von manchen als kontrapro-duktiv für die Entwicklung des Landes eingeschätzt wird, weil sie eine Migrationsspirale fördere. Der Anteil der Überweisungen am BIP in Marokko ist damit relativ gesehen um das doppelte höher als in Tunesien (4,5 %) und mehr als vierfach höher als in Algerien (2 %). Der signifikante Unterschied in-nerhalb dieser Maghrebstaaten ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Marokko sich mit sei-nem Ministerium für im Ausland lebende Marok-kaner verstärkt für deren weitere Bindung an das Königreich einsetzt.

Laut Elmadmad seien die MREs zu lange als „Ehrenhühner“ betrachtet worden: Sie würden Eier geben, aber nichts als Ausgleich erhalten. Könnte die Finanzkrise also einen Wandel in der Wahr-nehmung von MREs und ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Landes nach sich ziehen?

Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Fondation Hassan II pour les Marocains Résidant à l’Etranger un-ter der Leitung von Professor Bachir Hamdouch vom Lehrstuhl für Wirtschaftsrecht an der Universität Mo-hammed V., analysiert erstmals die genaue Nutzung der Rücküberweisungen. 71 % fließen demnach in die täglichen Haushaltsausgaben und werden somit nicht langfristig für die Entwicklung der Gesamtwirt-schaft nutzbar gemacht. Von den 8 %, die in Investi-tionen getätigt werden, investieren Marokkaner 86 % in Immobilien. Es findet somit kaum eine dynami-sche Nutzung der Gelder statt. Überdies besagt die Studie, dass insbesondere besser verdienende MREs eher im Ausland investieren als in Marokko.

Moha Ennaji, Professor der Universität Fès, betonte jedoch, dass der Rückschluss, man solle diese Inves-titionen auch noch ins Land holen, nicht genüge. Viel-mehr fehle es an gut ausgebildeten Fachkräften, für die es Anreize zur Rückkehr zu schaffen gelte.

Die neuerdings von der EU beworbene Strate-gie der „zirkulären Migration“ bedeutet generell das Pendeln von Arbeitsmigranten mit begrenztem Aufenthalt zwischen Sende- und Aufnahmeländern. Mit der befristeten Arbeitserlaubnis soll das Finanz-volumen – bei Fachkräften besonders das erworbene Wissen – anschließend in den Herkunftsländern zu einer besseren Entwicklung beitragen. Aïcha Belar-bi, Professorin für Erziehungswissenschaften in Ra-bat, befürwortet dieses Konzept, da es der heutigen globalisierten Welt eher entspreche und Integration in Form von Transnationalität fördere.

Dem setzt die Genderforscherin Houria Alami von der Universität Casablanca das konkrete Bei-spiel der neueren marokkanisch-spanischen orga-nisierten Saisonarbeit entgegen. Spanien selektiere hierfür Frauen in Marokko, die für eine gewisse Zeit und womöglich mehrfach zum Arbeiten ein-reisen können. Alami kritisiert scharf die zahlrei-chen Diskriminierungen, denen die Frauen bereits beim Selektionsprozess ausgesetzt sind sowie die mangelnde Integration vor Ort, an dem sie unsicht-bar und von der restlichen Bevölkerung getrennt in Camps leben. In Anlehnung an den in Frankreich geprägten Begriff der migration jetable (Wegwerfmi-gration) fordert sie die Unterbindung dieser Form der Saisonarbeit.

Die Union für das Mittelmeer – eine lösung?

Die dargelegten Positionen der marokkanischen Migrationsexperten belegen, wie facettenreich Migrationsmanagement diskutiert werden kann und muss.

Marokko ist de facto kein reines Transitland mehr, da zunehmend Migranten dort verbleiben. Die Integration dieser Migrationsbevölkerung sowie der Flüchtlinge in die Gesellschaft stellt eine große Herausforderung dar. Inwiefern die restriktive Mig-rationspolitik der EU für den Verbleib der Migranten mitverantwortlich ist, muss an anderer Stelle noch genauer untersucht werden. Fakt ist, dass die Migra-tionsproblematik durch die derzeitigen Maßnahmen nicht gelöst wird. Sie verlagert sich vielmehr an den südlichen Rand des Mittelmeers und führt dazu, dass Migranten sich neue und meist gefährlichere Routen nach Europa suchen.

Augenscheinlich ist das allgemeine Misstrau-en der marokkanischen Migrationsexperten ge-genüber der EU, der UN oder auch der Interna-tionalen Organisation für Migration (IOM). Dabei erfordert die Komplexität des Themas eine solide, ganzheitliche Debatte über sicherheitsrelevante Aspekte hinaus. Derzeit aber ist im Dschungel von bi- und multilateralen Abkommen keine kohä-rente Linie zu erkennen, die langfristig Erfolg ver-sprechend erscheint. Die umfassende Dimension des Themas erfordert vor allem eine menschen-würdige Lösung. Eine unerlässliche Bedingung

Professor Mehdi lahlou, Experte für Migrationsfragen am

Institut für Statistik InSEA, rabat (Foto: Clara Gruitrooy)

Manfred Stenzel: „Warten am Kai“

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Seite 34

Wer im mediterranen Raum und insbe-sondere an der Südküste würde sich nicht eine Annäherung zwischen

den beiden Ufern wünschen? Die Gründung der Union für das Mittelmeer (UfM) könnte zum wichtigsten Ereignis seit den Unabhängigkeiten werden.

Doch es droht eine Wiederholung der schon mit dem Barcelona-Prozess verbundenen Ent-täuschung. Abgesehen von der konzeptionellen Unschärfe des Projektes bleibt es durch den Ort und die Umstände seiner ersten Bekanntgabe geprägt: die Rede, die Nicolas Sarkozy am 7. Fe-bruar 2007 in Toulon hielt. Es war eine Wahl-kampfrede für die französische Präsidentschaft und zugleich Sarkozys dezidierteste Ansprache in Richtung des extremen Rands seiner Wäh-lerschaft. Er belastete das Mittelmeerprojekt von Beginn an durch Erklärungen, die eher von einer Obsession der Beherrschung des Südens diktiert zu sein schienen als von einer Bereit-schaft der Öffnung ihm gegenüber.

Der südliche Mittelmeerraum als „hinterhof“ Europas

In seiner Rede propagierte Sarkozy eine Eh-renrettung die Kolonisation, die „weniger ein Traum der Eroberung, als ein Traum der Zivili-sation“ gewesen sei. Wie ist eine solche Aussage mit friedlichen Beziehungen zu den südlichen Nachbarn vereinbar, die fast alle kolonisiert wurden, und zwar größtenteils von Frankreich? Zum Anderen offenbarte er in der Rede seine Ablehnung gegenüber dem EU-Beitritt der Tür-kei, um dem Land stattdessen eine Aufnahme in die UfM anzubieten. Ist eine andere Schlussfol-gerung möglich, als dass es sich bei dem Projekt um die Konstruktion des südlichen Mittelmeer-raums als „Hinterhof“ Europas handelt, dessen Verwaltung einer ungleichen Partnerschaft aus-geliefert ist und das nie mehr sein wird als ein Nebenprodukt des großen europäischen Pro-jekts? Und dass sich die Grenzen Europas zu-nehmend entlang konfessioneller Trennungsli-

nien definieren, welche die Verstimmungen nur noch weiter verstärken können?

Vor allem aber zeigte sich in der Rede Sarkozys eine Umkehr der Prioritäten in Bezug auf die Absichtserklärung von Barcelona: die Migra-tionsfrage rückt an die erste Stelle und ersetzt damit die der Entwicklung; die Menschenrechte werden vollständig ausgeklammert. Dies bedeu-tet einen fundamentalen Rückschritt im Ver-gleich zum Barcelona-Prozess, den die Union eigentlich übertreffen wollte.

Fehlende finanzielle Mittel und extrem niedrige Investitionsquoten

Das ursprüngliche Interesse des Prozesses war, eine Verbindung zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung, dem Kampf gegen die Armut und der europäischen Sicherheit herzustellen. Man hatte damit eine alte Forderung der südlichen Länder aufgenommen, der zufolge es keine Si-cherheit ohne Entwicklung gibt. Dass der Pro-zess scheiterte, ergab sich aus der mangelnden Bereitstellung von Mitteln, die für die Umset-zung des Vorhabens notwendig gewesen wären. Dies erklärt insbesondere die Verbitterung der südlichen Partnerländer: die EU hat in dieses Projekt dreißig Mal weniger pro Kopf investiert als in die osteuropäischen Länder.

Obwohl die Unverhältnismäßigkeit der finanzi-ellen Mittel und deren negative Folgen allgemein anerkannt sind, hat sich nichts geändert: sämtli-che mediterrane Länder zusammen genommen werden in den kommenden fünf Jahren sechs Mal weniger erhalten als Polen alleine (60 Milli-arden Euro gegenüber 11 Mrd., die Hälfte davon in Form von Schulden). Diese Situation schadet nicht nur den südlichen Mittelmeerländern, sie schadet auch Europa. Zumal es sich um eine Re-gion mit einem extrem niedrigen Integrations-niveau handelt. Nicht mal 1% der ausländischen Direktinvestitionen Europas gehen in die südli-che Mittelmeerregion, während rund 18% der Auslandsinvestitionen der Vereinigten Staaten

Migration: Prüfstein der europäischen Mittelmeerpolitik

von Ali Bensaâd

Ali Bensaâd lehrt an der Université de Pro-vence (Aix-Marseille) und am IREMAM-CNRS (Institut de recherche et d‘étude sur le monde arabe et musulman).

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in Lateinamerika investiert werden, ebensoviel wie Japan in seine „Peripherie“ investiert (Chi-na und die südostasiatischen „Tigerstaaten“), wohin es seine Produktionsstätten verlagert hat. Im Ergebnis ist der mediterrane Raum die Re-gion, in der das Nord-Süd-Gefälle am größten ist, und die einzige Region, in der dieses Gefälle noch weiter wächst.

Hierin liegt der eigentliche Gegensatz zwischen den beiden Ufern – nicht in der angeblichen kulturellen Kluft, die einige gerne zum „natur-bedingten“ Grundsatzproblem hochstilisieren würden. Denn tatsächlich hat die geographische und historische Nähe auch eine kulturelle und menschliche Nähe geschaffen und zu einem au-ßergewöhnlich dichten gegenseitigen Durchdrin-gen der Gesellschaften geführt, das stärker ist als das zwischen vielen europäischen Gesellschaften. Dieses menschliche Geflecht wird durch die Mi-grationspolitik stark beschädigt – zum Leidwesen der Entwicklung an beiden Ufern.

trennung zwischen wirtschaftlichem und menschlichem Integrationsraum

Mit der Etablierung der Einwanderungskon-trolle als tragender Säule seiner Legitimati-on vertieft das Projekt der UfM die bereits im Barcelona-Prozess erfolgte Trennung zwischen

wirtschaftlichem und menschlichem Raum, die einen weiteren wesentlichen Grund für sein Scheitern darstellte. Indem die UfM die Mobilitätsthematik auf die stigmatisierten und kriminalisierten irregulären Formen reduziert („klandestine“ oder „illegale“ Einwanderung), indem sie sich der Frage nach ihren Triebfedern verweigert und die Wanderungsbewegungen dramatisiert („eine Katastrophe“, wie Nicolas Sarkozy in seiner Rede verlautbarte), indem sie darauf beharrt, die südlichen Mittelmeerländer um Beihilfe zur Migrationsbekämpfung auf-zufordern – gibt die UfM jeden menschlichen Anspruch preis. Die Union für das Mittelmeer macht die Bewegungsfreiheit zu einem Prob-lem. Damit verrät sie ihr wichtigstes Bedürfnis: die mediterrane Region als einen gemeinsamen menschlichen Raum zu entwickeln, so wie es einst in der Europäische Union geschah.

Mit der Flucht in die Abschottung, in die zuneh-mende Schließung der Grenzen treten die perver-sen Folgen immer deutlicher zutage. Die Art der Migration hat sich verändert: die Einwanderer se-hen sich zur dauerhaften Niederlassung an Stelle der potentiellen Rückkehr gedrängt, die irreguläre Migration ist extrem angewachsen, die Migrations-grenzen wurden nach außen verschoben, die Ge-fahr auf den Fluchtrouten ganz erheblich verstärkt und die Anzahl der Toten hat sich vervielfacht.

Vor allem aber hat die Abschottung die öffentli-che Meinung und die Politik vergiftet, indem sie die Frage der Bewegungsfreiheit zu einem Ta-bu-Thema machte. Es ist schwierig, den Diskurs wieder umzukehren: die Einwanderung ist er-neut zu einem Erfordernis in den wissenschaft-lichen Analysen und in den Äußerungen der po-litischen Verantwortungsträger geworden. Diese stoßen in der öffentlichen Meinung auf erhebli-che Widerstände und es gelingt ihnen nicht, das Migrationsphänomen als etwas anderes als eine eingebildete Invasion zu konzipieren.

Schon bevor die Union offiziell begründet wur-de, trat sie ein zutiefst beschämendes Erbe an: die „Rückführungsrichtlinie“, auch als „Richt-linie der Schande“ bekannt. Sie demütigt die Staatsbürger im Süden ebenso wie die Staats-lenker, indem sie stärker als je zuvor die Mobili-tät der Ersteren kriminalisiert und die Letzteren dazu verdammt, als Gefängniswärter ihrer Bür-ger aufzutreten.

Dieser Text erschien ursprünglich unter dem Titel „Pour les Européens, s‘agit-il de contenir le Sud ou de s‘ouvrir à lui?“ am 11.07.08 in der französischen Tageszeitung Le Monde. Übersetzung: Irina Saal und Jorun Poettering.

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Die EU-Genderpolitik: Ein Tropfen auf den heißen Stein?

Ehrenmorde, Gewalt gegen Frauen, diskrimi-nierende Gesetzgebung, fehlende politische und ökonomische Partizipation. Dies sind ei-nige der Herausforderungen, denen die EU mit ihren Programmen begegnen will. In ihrer Roadmap for Gender Equality vom März 2006 gibt die EU die Richtung vor, in die sie sich bezüglich ihrer Geschlechterpolitik außerhalb der EU entwickeln möchte. Im Rahmen dieses Fünf-Jahres-Fahrplans erhielt die Gleichstel-lung der Geschlechter anlässlich des zehn-jährigen Jubiläums der Euro-Mediterranen Partnerschaft neue Priorität. Bei der „Euro-me-diterranen Ministerkonferenz zur Stärkung der Rolle der Frau in der Gesellschaft“ in Istanbul im November 2006 wurde sie durch Verpflich-tungserklärungen aller Teilnehmerstaaten ein weiteres Mal bekräftigt. Mittels entsprechen-der Maßnahmen sollen die Gleichstellung der Frauen gefördert, sämtliche Formen von Dis-kriminierung abgebaut und ihre politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und kultu-rellen Rechte geschützt und gestärkt werden. Im Dialog mit den mediterranen Partnern soll die Gleichstellung der Geschlechter in die be-stehenden Assoziierungsabkommen und Ak-tionspläne der Europäischen Nachbarschafts-politik integriert werden und in den von der EU lancierten und unterstützten Programmen Priorität erhalten. Dabei wird eine Verstärkung des Dialogs und eine intensivere Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Ak-teuren in der euro-mediterranen Region gefor-dert. Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesell-schaft, die Integration von Jugendlichen und der Dialog mit Gewerkschaften und der Privat-wirtschaft seien notwendig, um die Gleichstel-lung der Geschlechter durchzusetzen. In der auf dem Pariser Gipfel vom Juli 2008 verab-schiedeten Deklaration der Union für das Mit-telmeer wird die Bedeutung der Stärkung der Rolle der Frauen in der Gesellschaft ebenfalls betont, auch wenn sie nicht als einer der Ar-beitsschwerpunkt festgesetzt wurde.

Defizitäre Frauenrechte: eine Bedrohung für die Entwicklung

Nach dem Arab Human Development Report 2002 gibt es drei kritische „Entwicklungsde-fizite“, die eine ernsthafte Bedrohung für die menschliche Entwicklung in der arabischen Welt darstellen: im Zugang zu Wissen, in den politischen Freiheiten und in den Rechten der Frauen. Nach Angaben des UNDP aus dem Jahre 2008 hat die arabische Region mit unter 10% die niedrigste durchschnittliche Repräsen-tationsquote von Frauen in Parlamenten welt-weit. Die Ursache bestünde in den noch immer existierenden Genderstereotypen, wonach Po-litik eine reine Männerdomäne sei. Allerdings sind nicht nur im Bereich der Politik Defizite erkennbar. Die Stärkung von Frauen und ihrer Rechte bedarf vielmehr eines multidimensi-onalen Ansatzes, der sowohl den politischen als auch den gesellschaftlichen, ökonomischen und vor allem den kulturellen Kontext bei der Formulierung von Programmen und Projekten berücksichtigt.

Was bedeutet die Stärkung der Frau und ih-rer Rechte? Die Europäische Kommission be-schreibt die Gleichstellung der Geschlechter als „gemeinsamen Wert“ der EU, welcher seine Umsetzung auch in den Aktionsplänen im Rah-men der Europäischen Nachbarschaftspolitik finden soll. Dabei werden die ökonomische Un-abhängigkeit von Mann und Frau, die Verein-barkeit von privatem und beruflichem Leben, gleiche Repräsentation der Geschlechter in der politischen Entscheidungsfindung, die Unter-bindung sämtlicher Formen von Gewalt gegen Frauen, der Abbau von Genderstereotypen und die Förderung der Gleichstellung von Frauen in der Außen- und Entwicklungspolitik als priori-täre Arbeitsschwerpunkte der EU betont.

Wie werden diese theoretisch formulierten und ambitioniert angelegten Ziele implemen-

von Malika Bouziane

Malika Bouziane ist wissenschaftliche Mitar-beiterin am Otto-Suhr-Institut für Politikwis-senschaft der FU Berlin und promoviert zum Thema lokale Gover-nance in Jordanien. Sie absolvierte den Master in „European Culture and Economy.“

„Gender equality is not an objective, it is a principle“Kofi Anan

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Seite 37Mediterranes 1/2009

tiert? Die Stärkung der sozialen und ökono-mischen Rechte der Frau und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ist einer der Arbeitsschwerpunkte der europäischen Gen-derpolitik und soll insbesondere durch die Schaffung von Anreizen für arme Familien auf dem Land erreicht werden. Auch wenn die defi-nierten Arbeitsschwerpunkte den Rahmen für alle Mittelmeerländer bilden, versucht die EU aufgrund der unterschiedlichen kulturellen, ökonomischen und gesellschaftlichen Kontex-te gemeinsam mit den einzelnen Mittelmeer-partnerstaaten „individuelle“ Aktionspläne zu formulieren.

Förderung der Schulbildung von Mädchen

So errichtet die EU in Ägypten in Zusam-menarbeit mit dem „Nationalen Rat für Kindheit und Mutterschaft“ 200 neue „mäd-chenfreundliche Schulen“. Wie in vielen ara-bischen Staaten sind dort insbesondere junge Mädchen von der Bildung ausgeschlossen. Allein in Ägypten sind mehr als 45% aller Mädchen und Frauen über 15 Jahren Analpha-betinnen. Beschwerliche und lange Fußwege, Unsicherheit auf den Straßen, Kosten für die Schulausbildung und eine Vielfalt weiterer kultureller Faktoren wie die Pflicht junger Mädchen, Hausarbeiten zu übernehmen, oder die Vorstellung, dass Mädchen nicht von Männern unterrichtet werden dürfen, sind Barrieren auf dem Weg zu einer schuli-schen Ausbildung vieler junger Frauen. Um diesen infrastrukturellen, finanziellen und kulturellen Herausforderungen zu begegnen, wurden vor allem in den ländlichen Regionen Ägyptens „mädchenfreundliche Schulen“ von der EU errichtet. Mädchen zwischen 6 und 13 Jahren sollen dort die schulische Grundaus-bildung erhalten. Insgesamt bestehen bereits 520 „mädchenfreundliche Schulen“. Durch die Anpassung der Curricula dieser Schulen an die Bedürfnisse ihrer Schülerinnen kön-nen sie die Schulen besuchen und gleichzei-tig arbeiten gehen.

Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung Die Praxis der weiblichen Genitalverstümme-lung ist in Ägypten eine seit Jahrhunderten bestehende Tradition, deren Unterbindung das besondere Engagement von Seiten der EU ver-langt. Durch die Einführung geeigneter Maß-nahmen und insbesondere durch die Sensibili-sierung der Öffentlichkeit versucht die EU, in Kooperation mit lokalen Partnern dieser Form der Gewalt gegen Frauen entgegenzuwirken. In Ägypten sind mehr als 96% aller verheirateten Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren Op-fer der grausamen Tradition geworden, da in der Bevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, dass die Chancen einer Frau auf eine Heirat durch die Beschneidung gesteigert würden. Durch den Eingriff im Kindesalter bliebe die Frau bis zur Ehe keusch und in der Ehe treu. In ihrem Pro-jekt „Kinder in Gefahr“ will die EU die kulturelle Rechtfertigung für diese Praktiken durch Dialo-ginitiativen, Interaktionen und Beratungen in Frage stellen. Dabei werden in 60 Dörfern im Süden Ägyptens nicht nur Frauen und Mädchen, sondern vor allem Männer sämtlichen Alters, Lehrer, religiöse Führer und lokale Notabeln wie auch die Medien in die Projekte involviert. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Inter-aktion mit 60 Dörfern tatsächlich ausreicht, um das ambitionierte Ziel der Aufklärung und Ab-schaffung einer seit Jahrhunderten bestehenden Praxis zu erreichen. Kulturelle Traditionen und Praktiken sind festsitzende Verhaltensmuster, die allein mit Beratungen in 60 Dörfern schwer zu ändern sind. Dennoch ist die Einbindung von religiösen Führen und Dorfältesten ein Erfolg versprechender Ansatz.

Frauenprojekte in der landwirtschaft

Wie in Ägypten sind auch in Marokko Frauen in den ländlichen Regionen benachteiligt. Um zum Haushaltseinkommen beizutragen, schlie-ßen sich im südlichen Marokko zunehmend Frauen zusammen, um gemeinsam Arganöl herzustellen und zu vertreiben. Arganöl ist ein einzigartiges und typisches Produkt der Souss-Massa-Region, das aufgrund seiner nahrhaf-ten und kosmetischen Eigenschaften sowohl in Marokko als auch im Ausland nachgefragt wird. Die Produktion des Öls verschafft Frau-en in ländlichen Regionen ein substantielles Einkommen in einem sonst prekären sozioöko-nomischen Kontext. Allerdings stellt die tradi-tionelle Herstellungsweise des Arganöls eine Belastung für die Umwelt dar, die auch zu einer Schädigung des Arganbestandes selbst führt. Ein Bestandsrückgang würde die Verarmung der lokalen, von der Produktion profitierenden Bevölkerung bedeuten. Um eine nachhaltige Herstellung und Entwicklung zu unterstützen, hat die Europäische Kommission in Zusam-

Alphabetisierung: eine der wichtigsten Herausforderungen

(© European Communities, 1995-2008)

menarbeit mit der marokkanischen „Agentur für soziale Entwicklung“ ein Programm zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen auf dem Land und zur Sicherung eines langfristigen Managements des Arganbestandes ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, den an der Bestandsminderung beteiligten Frauen durch kontrollierte Produktion von Nebenprodukten aus Arganöl ein zusätzliches Einkommen zu ver-schaffen. Hierdurch soll die aktive Partizipation von Frauen an der Bewahrung des Bestandes und dem langfristigen Management des Argan-bestandes ermöglicht werden. Die Mitglieder der Frauenzusammenschlüsse profitieren auch vom Lese- und Schreibunterricht des Programms,

Traditionelle Herstellung von Arganöl (© Argand’or)

1999 wurde mit der unterstützung der gtz (Ge-sellschaft für technische zusammenarbeit und Entwicklung) die UCFA (union des Coopérati-ves des Femmes de l’Arganeraie) gegründet, ein zusammenschluss von rund 1000 Frauen, die in 22 Kooperativen organisiert sind. Seit 1995 unterstützt die in deutschland ansässige Firma Argand’or die Frauen in der weltweiten Vermark-tung. Auf diese Weise soll nicht nur die Argane-raie geschützt und rehabilitiert, sondern auch die wirtschaftliche Grundlage der Frauen und ihrer Familien gesichert werden.

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denn über 75% aller Frauen in den ländlichen Regionen Marokkos sind Analphabetinnen. Die Frauen werden zudem in den Grundlagen des Managements unterrichtet und profitieren von der verbesserten Infrastruktur und Produktions-ausstattung. Ähnliche Programme zur Unterstützung von Kleinstunternehmen von Frauen fördert die EU auch in Jordanien und Palästina/Israel. Durch berufsorientierte Trainings und die Schaffung von nachhaltigen Netzwerken und grenzüber-schreitenden Kooperationen zwischen paläs-tinensischen und israelischen Unternehme-rinnen soll die Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt erhöht werden.

Unterstützung bei der netzwerkbildung

Auch in Syrien werden Frauen aufgrund feh-lender Bildung und ökonomischer Umstände benachteiligt. In einigen Regionen ist es üb-lich, dass Frauen geerbte Landrechte an ihre

Brüder abtreten, um die Aufteilung des Landes zu vermeiden. Daraus ergibt sich ein weiteres Problem: von diesen Frauen gestellte Kreditan-träge werden oft abgelehnt, da sie kein Land als Sicherheit anbieten können. Die EU ermutigt die Frauen in solchen Gegenden zur Gründung eigener Kleinunternehmen. Hierdurch soll die aktive Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt gestärkt werden. Das EU-Projekt Village Business Incubator zielt darauf ab, institutionelle Netz-werke zu entwickeln, die notwendig sind, um ein Dienstleistungszentrum für Trainings und technische Unterstützung zu errichten. Durch spezialisierte Trainings sollen die Frauen als Unternehmerinnen in den von ihnen gewählten Arbeitsbereichen gestärkt werden. Die EU sieht darin eine Erfolg versprechende Strategie zur Entwicklung ländlicher Gemeinschaften. Denn dies schaffe eine Möglichkeit, das Potential von Frauen zu fördern und sie als Akteurinnen von sozioökonomischen Veränderungen wirken zu lassen. Ob sich diese hochgesteckten Ziele der

EU verwirklichen lassen, wird die Zeit zeigen. Der genderpolitische Diskurs der EU ist an-erkennenswert. Allerdings ergibt sich auf der praktischen Ebene das Problem der Implemen-tierung. Dies betrifft die lokalen Partner, die Zielgruppe, das Monitoring sowie auch die spä-tere Evaluation. Die EU fordert seit Jahren die Integration der Zivilgesellschaft bei der Imple-mentierung von Programmen in der Hoffnung, dass sie die Rolle einnimmt, welche die Zivilge-sellschaft in Osteuropa wahrnahmen. Was aber, wenn die von der EU ausgewählten Vertreter der Zivilgesellschaft an das herrschende Regime ge-bunden sind, wie die königlichen NGOs in Jor-danien? Es handelt sich zwar um NGOs im Sin-ne der europäischen Forderungen, aber NGOs nach europäischem Verständnis sind es nicht. Viele der EU-Programme sind ambitioniert, aber von der Realität sind sie weit entfernt.

Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte in der Euro-Med-Region: Analyse und Empfehlungen

Auszüge aus dem „Shadow Report“ des Euro-Mediterranean human Rights network

der im Frühjahr 2009 vorgelegte Bericht des Euro-Mediterranean Human right network analysiert die umsetzung des „Istanbul Plan for Action“ (IPA) zur Stärkung der rolle der Frauen in der Gesell-schaft, nennt Herausforderungen und gibt Empfehlungen für die weitere Frauenrechtspolitik in der euro-mediterranen zone. das Papier hebt hervor, dass der IPA ein geeignetes Werkzeug zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und zum Schutz der Frauenrechte darstellen könne, insbesondere da er von allen Staa-ten gemeinsam verhandelt worden sei, und nicht einseitig durch die Eu entwickelt wurde. nichts desto trotz werde die Effektivität des Plans durch den Mangel an konkreten und bindenden Maßnah-men weitgehend gemindert, weshalb der IPA bisher vornehmlich deklaratorischen Charakter behalten habe. Wesentliche Herausforderungen und Hindernisse benennt das Men-schenrechtsnetzwerk mit: a) der dominanz patriarchalischer Struk-turen in einigen der beteiligten Staaten, b) dem Widerstand gegen Konzepte des modernen nationalstaates und von Bürgerschaft auf der Basis ursprünglicher Stammes- und Clan-zugehörigkeiten, c) der zunehmenden Bedeutung religiös- und politisch-konservativer Akteure, d) der prekären sicherheitspolitischen Situation in der re-gion, die einigen regierungen als Vorwand dient, die Implementie-rung von Frauenrechten zu verzögern oder gar als Gefährdungsfak-tor für die Sicherheitslage zu bewerten.

zudem sieht der Bericht eine der wesentlichen Herausforderungen

in der Integration des IPA in den rahmen der ufM, da diese auch länder umfasst, die ursprünglich nicht Teilnehmer des IPA waren. die (Ko-)Präsidentschaft Ägyptens in der ufM könne dabei verzö-gernd wirken, da Ägypten bislang zurückhaltung bezüglich des IPA gezeigt habe.

das Menschenrechtsnetzwerk empfiehlt daher sechs Punkte, um die Gleichstellung der Geschlechter und die rechte der Frauen in der region des Mittelmeers weiter zu stärken und dabei die politi-schen und kulturellen unterschiede der Teilnehmerstaaten zu be-rücksichtigen:

1) die Steigerung des Bewusstseins dafür, dass der IPA ein gemein-sames Instrument zur Stärkung von Frauenrechten und Gleichstel-lung der Geschlechter darstellt;2) die offene diskussion über die wichtigsten Hindernisse, die sich Frauen bei der Erlangung ihrer rechte stellen, um die Solidarität in der zivilgesellschaft weiter zu stärken;3) die Schaffung effektiver und zuverlässiger Mechanismen auf re-gionaler und nationaler Ebene, um die lage der Frauen fortlaufend festzuhalten und somit die diskrepanz zwischen deklarierten rech-ten und nationalen Gesetzgebungen zu dokumentieren;4) die zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen organisationen im Feld der Frauenrechte bei gleichzeitiger Wahrung der unabhän-gigkeit dieser organisationen;5) die Ansetzung und Sicherstellung von Frauenrechten und Ge-schlechtergleichstellung als Priorität auf der Agenda der Eu-arabi-schen zusammenarbeit, insbesondere im rahmen der ufM und der Europäischen nachbarschaftspolitik;6) die Schaffung eines unabhängigen Kontrollmechanismus und von Evaluierungsindikatoren, um den IPA mit einer höheren um-setzbarkeit auszustatten, wie etwa durch die Festlegung, klarer, aus-führlicher zielsetzungen auf kurz-, mittel- und langfristige Sicht.

Zusammenfassung von Menno Preuschaft

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