6 GuG 3_2013 Descartes lässt grüßen Laut dem Neurowissenschaftler Giovanni Frazzetto lassen sich menschliche Emotionen mit Labormethoden nicht vollständig erfassen (»Was es heißt zu fühlen«, Heft 11/2012, S. 56). Ernst Grewel, Velbert: Ich habe Giovanni Fraz- zettos Artikel über das Thema Neurophilosophie mit Misstrauen und Enttäuschung gelesen. In der Spalte »Auf einen Blick« heißt es: »Viele Men- schen setzen Gefühle sogar mit der Aktivität von Hormonen und Hirnarealen gleich.« Woraus sol- len denn geistige Vorgänge sonst entstehen, wenn nicht aus Hirnvorgängen? Geht Frazzetto tatsächlich von der descartesschen dualistischen Vorstellung eines biologischen Körpers im Ge- gensatz zu einem irgendwie immateriell ge- arteten Geistigen aus? Das legt zumindest sein folgender Gedanke nahe: »Emotionen entfalten sich zwar als biologischer Prozess, sie verdichten sich aber letztlich zu einer komplexen, persön- lichen Angelegenheit.« Meint der Autor wirklich, das »Persönliche« sei nicht mehr biologisch? Eine solche Hypothe- se wird ja im weltanschaulichen Diskurs von manchen Philosophen vertreten, und es wäre höchst begrüßenswert, wenn der Autor Ross und Reiter nennen würde und erklärte, aus welcher Substanz das so genannte Persönliche besteht. Darüber erfahren wir aber kein Wort. Offenbar versteht Frazzetto das Thema Neu- rophilosophie hauptsächlich als Nachweis eines unüberwindlichen Gegensatzes zwischen »biolo- gischen Laborstudien« und »subjektiver Innen- sicht«. Er brauchte doch nur zu erläutern, dass praktische Lebensberatung Aufgabe der Psycho- logie ist, nicht der Neurologie. Letztere erforscht bekanntlich als Grundlagenwissenschaft – frei nach Immanuel Kant – die Bedingungen der Möglichkeit auch von Gefühlen, Gedanken und Verhalten. Immer wieder trägt der Autor mit dem bloßen Hinweis auf Kultur, Moral, Kunst oder Philoso- phie Argumente vor, die nachweisen sollen, dass »Laborstudien« die »mentale Dimension« nicht vollständig erfassen. Fairerweise müsste man aber hinzufügen, dass auch psychologische The- rapiemethoden nicht Gedanken lesen können. Wozu also das Verächtlichmachen neurowissen- schaftlicher Forschungsmethoden? Und welche Rolle spielt in diesem Zusammen- hang die Philosophie, wenn – mit Martin Heideg- ger – auf einmal Angst als nützliches Erkenntnis- mittel angepriesen wird? Das beträfe allenfalls die Psychologie, von der im gesamten Text nicht einmal die Rede ist. Gefühle wie Angst spielen im Gesamtsystem Mensch eine bedeutsame Rolle. Es wäre verdienstvoll gewesen zu zeigen, dass in der Philosophie über ein solches Einzelbei- spiel hinaus über Menschen- und Weltbilder dis- kutiert wird, die entweder in Übereinstimmung mit der Evolutionstheorie stehen und dabei das Geistige auf biologische Vorgänge zurückführen, oder aber rein intuitive Vorstellungen von dem Besonderen einer Person vertreten, ohne sich in der Lage zu sehen, dieses näher zu erklären. Scha- de – das wäre ein interessantes Thema gewesen für einen Wissenschaftler, der sich mit Fragen der Neurophilosophie auskennt. Vorschnelle Gleichsetzungen Über häufige psychische Störungen in der Puber- tät auf Grund von Umbauarbeiten im Gehirn berichtete Christian Wolf (»Labil im Sturm und Drang«, Heft 12/2012, S. 52). LESERBRIEFE Lernen durch Fehler Wenn Erstklässler Wörter spiegelverkehrt schreiben, ist das kein Grund zur Beunruhigung, erläuterte der französische Psycho- loge Jean-Paul Fischer (»Rätsel Spiegelschrift«, Heft 12/2012, S. 22). Stefan Plenert, Hen- nigsdorf: »Er ist ja noch klein!« Damit wurden in meiner Zeit Fehler von Kindern entschuldigt. Sie sind noch unvoll- kommen – zum Beispiel beim Laufenlernen: Das Kind fällt hin, steht auf und strahlt über das ganze Gesicht. Der Fehler löst ein Depressi- onsgefühl aus. Doch das Alleineaufstehen bringt ihm neue Kenntnisse und Erfahrungen. Ein Erfolgserlebnis! Kinder können sich oft schon über kleine Dinge freuen. Ein Kind stellt sich die Aufgabe, einmal in Spiegelschrift zu schreiben. Es geht, und der Kleine freut sich. Spiegelschrift ist zwar falsch, doch vieles lernen Kinder durch solche Spielerei. NEUFFER-DESIGN Vom Herz zum Hirn Wird das romantische Liebesideal heute von der nüchternen Sichtweise der Hirnforschung abgelöst? ISTOCKPHOTO / MICHAEL KEMTER [M]