Datum: 11.09.2016 SonntagsBlick Magazin 8008 Zürich 044/ 259 64 64 www.sonntagsblick.ch Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 184'089 Erscheinungsweise: wöchentlich Themen-Nr.: 525.015 Abo-Nr.: 3002806 Seite: 4 Fläche: 232'931 mm² Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 62710130 Ausschnitt Seite: 1/6 Depressionen sind nur schwer zu verstehen. Fur Betroffene und deren Angehörige. Wie Kranke ins Leben zuruckfinden - und was ihnen dabei hilft. Ein Leitfaden. ANUGPE1 LZEPI UI TA Che Sonne nur fur anderen Rund funf Prozent aller Schweuer erkranken Depresstonen. Depressionen sind nur schwer zu verstehen. Für Betroffene und deren Angehörige. Wie Kranke ins Leben zurückfinden - und was ihnen dabei hilft. Ein Leitfaden. Die Sonne scheint nur für die anderen: Rund fünf Prozent aller Schweizer erkranken an Depressionen.
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Depressionen sind - Schweizerische Gesellschaft für Angst ......paart mit Schuldgefühlen, Gedan-ken an Suizid oder Schlafstörungen über mindestens zwei Wochen. Oft werden die ersten
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it 200 Stundenkilometern durchsLeben: 200 Prozent arbeiten, sichim Verein engagieren, am Wochen-ende Zeitungen austragen. Dannbremste die Depression Peter Mei-er (46) aus. In Arbeitssitzungenkonnte sich der heutige Projektlei-ter eines Flachdachbetriebs aus Ad-liswil ZH nicht mehr kontrollieren,
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fing an zu weinen. Nachts lag erwach im Bett, die Gedanken kreis-ten. Hinzu kamen Kopf- und ste-chende Brustschmerzen. Dannging alles rasend schnell: Der Ar-beitgeber schickte ihn zum Arzt,eine Woche später befand er sich instationärer Behandlung.
Rund fünf Prozent aller Schwei-zer leiden an Depressionen. DieWeltgesundheitsorganisation sagt,dass 2030 Depressionen in Indust-
rienationen die häufigste Krankheitsein wird. Die Symptome: Trauer,Unlust, Antriebslosigkeit häufig ge-paart mit Schuldgefühlen, Gedan-ken an Suizid oder Schlafstörungenüber mindestens zwei Wochen.
Oft werden die ersten Anzeichenweggewischt, Freunde und An-gehörige schweigen sie tot. Alle
hoffen, dass bald wieder Licht insLeben zurückkehrt - dass alles soist wie vorher.
Manchmal aber bleibt die Hoff-nung unerfüllt -die Düsternis wirdzur Depression. Stress kann einAuslöser sein, so wie bei PeterMeier. Aber auch eine körperlicheKrankheit, manchmal auch die Ge-netik. Dann sind Medikamente undallerlei Therapien nötig, um wiederin den Alltag zu finden. Und vielGeduld (lesen Sie dazu unsereCheck-Liste ab Seite 8) .
Bei Peter Meier hatte sich der Zu-sammenbruch schon lange vorherangekündigt: «Ich konnte einfachnicht mehr Nein sagen oder michabgrenzen. Habe für andere denKopf hingehalten und diese inSchutz genommen.»
Dann kam der Kollaps, die Kli-nik. Doch statt aufwärts, ging esdort erst einmal abwärts: AlsMeier zum Therapeuten Vertrauengefasst hatte und dieser plötzlich indie Ferien ging, fühlte er sich ver-letzt und allein gelassen. Es folgteein Suizidversuch. Dauert die sta-tionäre Behandlung sonst ein bisdrei Monate, blieb er acht Monatein der Klinik.
Suizidäusserungen belastenAngehörige besondersEine harte Zeit, auch für seine Fa-milie. Sie musste erst akzeptieren,dass Meier trotz Krankheit wenigNähe und Zuwendung erträgt. FürSibylle Glauser (56) vom NetzwerkAngehörigenarbeit Psychiatrie, einbekanntes Phänomen: «Für nahe-stehende Personen ist das Verhal-ten des depressiven Menschen oftsehr belastend und verunsi-chernd.» Sie fragen sich: Muss ichmeinen Partner oder Freund scho-nen? Wäre es hilfreicher, die Dingeoffen anzusprechen?
Besonders bedrückend sind Sui-zidäusserungen, die Angehörigesehr ängstigen, da sie nicht ein-schätzen können, ob diese ernstoder manipulativ gemeint sind.
«Die Ohnmacht bei Angehörigen istgross», so Glauser. «Erhalten siekeine Unterstützung, besteht dieGefahr, dass sie irgendwann selberan einer Depression erkranken.» Sieempfiehlt deshalb, sich früh über
Hilfsangebote zu informieren undBeistand zu holen.
Oft wird diese Chance verpasst.In der Schweiz richten sich jährlich1300 Menschen -90 Prozent davonleiden an einer psychischen Krank-heit, meist an einer Depression. DieSuizidrate ist bei Männern etwadreimal höher.
Vergleicht man die Symptomeder Krankheit bei Männern undFrauen, zeigen sich grosse Unter-schiede: Depressive Männer sindoft gereizt, aggressiv, flüchten sichin Suchtmittel (Alkohol) oder insArbeitsleben - und verbergen ihreDepression hinter körperlichenBeschwerden wie Herzrasen oderSchmerzen. Frauen hingegen sindeher melancholisch, traurig, zie-hen sich zurück.
Braucht es deshalb auch eineandere Therapie? Der PsychiaterJoe Hättenschwiler (58), Chefarztdes Zentrums für Angst- undDepressionsbehandlung Zürich,betrachtet jeden Fall differenziert:
«Es gibt Männer, die für Gesprächesehr offen sind, anderen ist es wich-tig, Medikamente zu nehmen, imWissen, dass sie sich jederzeit beimArzt oder Therapeuten meldenkönnen.» Wichtig sei allerdings, dieSymptome richtig zu deuten - undindividuell angepasst darauf zureagieren.
In diesem Bereich hapert es der-zeit noch. «Nur etwa jeder Dritteerhält die richtige Diagnose», sagtPsychiater Uwe Herwig (50), Chef-arzt des Psychiatrischen ZentrumsAppenzell Ausserrhoden. «Und nurein knappes Drittel dieser Betroffe-nen erhält auch die richtige Be-handlung.» Depressionen werdenfolglich oft verkannt, falsch behan-delt oder vom Betroffenen ver-drängt. Damit erhöht sich auch dasRisiko für einen Rückfall.
Antidepressiva entschleunigenden Alltag von Peter MeierPeter Meier hat mittlerweile in den
Alltag zurückgefunden - er arbeitetnicht mehr so viel wie früher. DieAntidepressiva tragen zur Ent-schleunigung seines Alltags bei:Abends fällt er todmüde ins Bettund schläft traumlos. Freie Zeitlässt ihn aber noch immer gefühls-mässig in ein Loch fallen: «Manch-mal reicht eine Viertelstunde, undich frage mich: Macht das Sinn?Mache ich das Richtige?»
Diese Fragen diskutiert er in derSelbsthilfegruppe von Equilibrium,dem Verein zur Bewältigung vonDepressionen, tauscht seine Erfah-rungen mit anderen Betroffenenaus. Fredy Obrist (62) aus AarburgAG ist Regionalleiter und Kontakt-person bei Equilibrium, er selbererkrankte in der Jugend. Durch dieehrenamtliche Tätigkeit erfährt ergrosse Wertschätzung: «Die Betrof-fenen anerkennen meine Personund meine Arbeit und zeigen dasauch.»
Das hatte ihm in seinem ur-sprünglichen Beruf als Lehrer häu-fig gefehlt. Denn durch seine De-pression mit manischen, das heissteuphorischen Phasen, fiel er auf,eckte mit seiner unkontrollierbarenAktivität an oder konnte sich indepressiven Phasen schlechter kon-zentrieren, war weniger belastbar:Vor 13 Jahren entschied er mit sei-ner Familie, den Haushalt zu füh-ren. Seitdem ist er Hausmann undpsychisch stabil.
Obrist verweist auf einen wun-den Punkt - auf die mangelndeBereitschaft der Gesellschaft, Men-schen mit psychischen Erkran-
Dr. Joe Hättenschwiler (58): «Nicht immer ist die Seele schuld. Manchmal versteckensich hinter psychischen Problemen körperliche Erkrankungen.»
«Erst abklären, dann handeln»
Was muss vor der DiagnoseDepression alles abgeklärtsein?Joe Hättenschwiler: Hinterden Symptomen einer Depres-sion können sich unterschiedli-che körperliche Erkrankungenverbergen. Beispielsweise eineSchilddrüsenunterfunktion oderHerzerkrankungen. Zudemmachen sich auch ernährungs-bedingte Mangelerscheinungendurch psychische Symptomebemerkbar. Zu wenig Eisenoder Vitamin D im Blut machenmüde und kraftlos. Vitamin Bbraucht es für die Nerven- undBlutbildung. Ein Mangel kann zuKonzentrationsstörungen oderBurn-out und im Extremfall bishin zu Psychosen führen. Auchkönnen Medikamente oderDrogen Nebenwirkungenverursachen, die denen
einer Depression sehr ähnlichsind. Die umfassende Abklärungist deshalb der erste Schritt inRichtung Therapie.
Warum ist die genaueDiagnostik so wichtig?Ich hatte erst kürzlich einen62-jährigen Patienten, derwegen Angst, Depression undErschöpfung zu uns überwiesenwurde. Als wir ihn erneutkörperlich abklärenliessen, fand sich eingutartiger Hirn-tumor, der dieDepression wohlausgelöst hatte.Nach der Tumor-
entfernung war nämlich auch dieDepression weg.
Können Selbsttests für eineerste Selbsteinschätzungsinnvoll sein?Ich denke, Selbsttests sind sinn-voll und gut, wenn man unsicherist, ob eine Abklärung nötig ist.Und das Internet verschafftheute einen leichten Zugang zudiesen Tests. Wenn im Anschlusseine Depression vorliegen könn-
te, dann sollte die betreffendePerson zum Hausarzt gehen -falls vorhanden - oder sonstdirekt zum Psychiater. Jefrüher die Abklärung und
Therapie beginnt, destobesser.
Dr. Joe Hättenschwiler istChefarzt des Zentrumsfür Angst- und Depressi-onsbehandlung Zürich
Depressive erhältdie richtigeDiagnose»Uwe Herwig, Psychiater undChefarzt des PsychiatrischenZentrums AppenzellAusserrhoden
kungen in ihrer Andersartigkeit zutolerieren. «Betroffene erfahrenstattdessen oft eine Abwehr oderAbschirmung ihres Umfelds», sagtJasmin Jossen (35), Fachmitarbei-terin Psychosoziales bei der Stif-tung Pro Mente Sana, die sich fürpsychisch beeinträchtigte Men-schen einsetzt.
«Gerade in Krisen wäre die Un-terstützung durch Angehörige,Freunde oder Kollegen jedochwichtig. In der Psychiatrie begeg-net man dem Patienten zudem viel-fach noch mit der Haltung: Wir wis-sen schon, was du brauchst», soJossen. Diese Haltung - und auchdie Nebenwirkungen der Medika-mente - könnten Betroffene darinbehindern, ihr Erleben zu überden-ken oder sich für ihre Bedürfnisseeinzusetzen.
Hier setzt der sogenannte Reco-very-Gedanke an: von «unheilbar»und «chronisch krank» zu Hoff-nung und Vertrauen in die Gene-sungsmöglichkeiten jedes Einzel-nen. «Recovery heisst ja Erholung-dass jeder Mensch für sich eineneigenen und individuellen Umgangmit seiner Lebenssituation findendarf», sagt Jossen. Denn jedes Kri-senerleben ist immer auch ein Er-fahrungsschatz, sich anzunehmenund wieder Neues zu entdecken.
Wohin, wenn ichHilfe brauche?
Telefon 134Die Dargebotene Hand: Für
Menschen in einer schwierigenLebenslage, die sofort Hilfe
brauchen: www.143.ch
Telefon 147Soforthilfe für Kinder undJugendliche bei Fragen zuSexualität, Liebeskummer,
Familienproblemen etc. - undwenn sie nicht mehr leben
mögen: www.147.ch
Selbsthilfe SchweizVermittlung von Selbsthilfe-
gruppen: Betroffene undAngehörige können sich mit
anderen Betroffenen undAngehörigen austauschen.
Tel. 0848 810 814
Verein Netzwerk Ange-hörigenarbeit Psychiatrie
Angehörige von Menschen miteiner psychischen Erkrankungerhalten Unterstützung undInfos: www.angehoerige.ch
APHS Angst- undPanikhilfe Schweiz
Die Patientenorganisationbietet Hilfe und Beratung,
Infos und die Möglichkeit zur
Diskussion zwischen Patienten,Angehörigen sowie Fachleuten