Das europäische Kartellverbot und seine Ausnahmen Unter welchen Bedingungen ist eine Wettbewerbsbeschränkung freigestellt? Januar 2009
Jan 08, 2016
Das europäische Kartellverbot und seine Ausnahmen
Unter welchen Bedingungen ist eine Wettbewerbsbeschränkung freigestellt?
Januar 2009
Leitlinien „Art. 81 (3) EG“
Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3
EG-Vertrag (ABl. Nr. C 101 vom 27.04.2004, S. 97) Legalausnahme, Art. 81 (3) kann von jedem
Unternehmen, jederzeit unmittelbar in Anspruch genommen und von den zuständigen nationalen Behörden judiziert werden (Art. 1(2) Vo 1/2003)
analytischer Rahmen für die Anwendung von Art. 81 (3) Verhältnis zu den Leitlinien für vertikale
Beschränkungen und horizontale Zusammenarbeit
Überblick - Verhältnis von Verbot zu Ausnahme
Prüfungssystematik Art. 81 (1) EG
Tatbestandsmerkmale Nebenabreden
Art. 81 (3) EG
Prüfungssystematik für Fälle nach Art. 81 EG
1. Stufe: Liegt eine tatbestandsmäßige Rechtswidrigkeit iSd Art. 81
(1) vor?2. Stufe:Erfüllt die rechtswidrige Beschränkung in Stufe 1 sämtliche Vorraussetzungen der Freistellung nach Art. 81 (3) ?
Rolle des Kartellverbots in Art. 81 (1)
Schutz des Wettbewerbs, effiziente Ressourcenallokation
Schutz der Verbraucher Förderung der Integration des Gemeinsamen Marktes
Tatbestandsmerkmale des Art. 81 (1)
Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen
Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels Beschränkung des Wettbewerbs wird spürbar bewirkt
oder bezweckt
Wann liegt eine Wettbewerbsbeschränkung vor?
Markeninterner Wettbewerb: Beschränkt eine Vereinbarung den tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb, der ohne sie bestanden hätte?
Markenwettbewerb: Beschränkt die Vereinbarung einen tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb, der bestanden hätte, wenn es die vertragliche Beschränkung nicht gegeben hätte?
Bezweckte Beschränkungen des Wettbewerbs
dem Wesen nach geeignet den Wettbewerb zu beschränken
maßgebliche Faktoren: Inhalt der Vereinbarung Zusammenhang tatsächliches Marktverhalten Absicht?
z.B. Kernbeschränkungen
Bewirkte Beschränkungen des Wettbewerbs
alle anderen Vereinbarungen, die tatsächlich oder potentiell zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führen
Marktmacht mind. einer Partei Kausalität Auswirkung - Vereinbarung objektive Notwendigkeit der Beschränkung
Das Konzept „Marktmacht“ (RZ 25)
Marktmacht ist definiert als die Fähigkeit, Preise über einen erheblichen Zeitraum auf einer Höhe oberhalb des freien Marktpreises oder dieProduktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation für einen erheblichen Zeitraum unterhalb des Wettbewerbsniveaus aufrecht zu erhalten. In Märkten mit hohen Fixkosten müssen die Preise erheblich oberhalb der Produktionsgrenzkosten liegen, um eine ausreichende Investitionsrendite zu erzielen. Wenn die Preise oberhalb der Grenzkosten liegen, kann allein hieraus nicht geschlossen werden, dass der Wettbewerb nicht gut funktioniert und dass Unternehmen ihre Marktmacht nutzen, um die Preise oberhalb der Wettbewerbshöhe festzusetzen. Eine Marktmacht im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 läge hingegen vor, wenn der Wettbewerbsdruck unzureichend wäre, um die Preise und die Produktionsmengen auf einem wettbewerblichen Niveau zu halten.
Nebenabreden
Wettbewerbsbeschränkungen, die einer neutralen Hauptvereinbarung untergeordnet und untrennbar mit dieser verbunden sind
für die Durchführung der Hauptvereinbarung objektiv notwendig
stehen zu Hauptvereinbarung in einem angemessenen Verhältnis
fallen nicht unter Art. 81 (1) EG
„Philosophie“ des Art. 81 (3) EG Abwägung der negativen und positiven Effekte einer
Wettbewerbsbeschränkung positive Effekte: wettbewerbsfördernd oder bessere
Erreichung der Wettbewerbsziele Bewertung und Beurteilung der negativen
Wettbewerbseffekte ergibt sich aus Art. 81 (1); Beurteilung und Bewertung der positiven Effekte ergibt sich aus Art. 81 (3)
Art. 81 (3) EG
Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werdenauf Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen,die a) unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn b) zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des
technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmenc) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht
unerlässlich sind, oderd) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden
Waren den Wettbewerb auszuschalten.
Allgemeine Grundsätze
alle 4 Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein Freistellung ist gültig solange alle 4 Bedingungen erfüllt
werden (z.B. Amortisationszeitraum) keine Berücksichtigung von „public interests“ keine Gewährleistung „gerechter“ Wettbewerbsbedingungen Betrachtung nach betroffenen Märkten Beurteilung anhand der zum jeweiligen Zeitpunkt
vorliegender Fakten und wesentlicher Änderungen (reversible - nicht reversible Ereignisse)
kein automatischer Ausschluss einer Wettbewerbsbeschränkung
Verhältnis GVO - Art. 81 (3)
Effizienzgewinne, Art. 81 (3) lit.b
Objektive Vorteile Begründungspflicht der Partei (Art. 2 Vo 1) +
Substantiierung Art der Effizienzgewinne (direkter) kausaler Zusammenhang Vereinbarung -
Effizienzgewinn Wahrscheinlichkeit und Ausmaß wie und wann Beachtung der Kosten bei Herstellung der
Effizienzgewinn (Nettoprinzip)
Wie kommt es zu Effizienzgewinnen? RZ 60
Im Allgemeinen werden Effizienzgewinne durch eine Integration der wirtschaftlichen Tätigkeiten erzielt, indem Unternehmen ihre Vermögenswerte zusammenlegen, um zu erreichen, was sie alleine nicht ebenso effizient verwirklichen könnten (Mehrwert!!!), oder indem sie einem anderen Unternehmen Aufgaben übertragen, die von diesem effizienter erbracht werden kann.
Arten von Effizienzgewinne (enumerativ)
Kosteneinsparungen Entwicklung neuer Produktionstechniken und -verfahren Zusammenlegung von Vermögenswerten (z.B. Produktions-
GU) economies of scale, learning economies economies of scope sonstige Kosteneinsparungen (bessere Produktionsplanung,
Verringerung der Kosten der Lagerhaltung) Bsp. Smart Qualitative Effizienzgewinne
neue, verbesserte Produkte (F&E-Vereinbarungen; Lizenzverein-barungen, Kooperationsvereinbarungen; Vertriebsvereinbarungen; Bsp. Reifen)
früherer Markteintritt
Economies of scale („Vorteile der Massen-produktion“)
AC
QMES, Qmin
LAC norm
SAC1
SAC2
SAC3
LAC nm
MES (minimum efficiency scale), RZ 76
Die effiziente Mindestgröße ist das für die Minimierung der Durchschnittskosten und die vollständige Ausschöpfung der Größenvorteile erforderliche Produktionsvolumen. Je größer die effiziente Mindestgröße im Vergleich zu der gegenwärtigen Größe der beiden Vertragsparteien ist, um so wahrscheinlicher ist es, dass die Effizienzgewinne als spezifische Folge der Vereinbarung angesehen werden.
Economies of scope (Verbundvorteile)
Die gemeinsame Produktion mehrerer Güter ist kosteneffizienter, als deren getrennte Herstellung.
CS =C(Q1) + C(Q2) - C(Q1,Q2)
C(Q1) + C(Q2)* 100
CS.............Kostenersparnis in%C(Q1)........Kosten von Produkt 1C(Q2)........Kosten von Produkt 2C(Q1,Q2)..Kosten der gemeinsamen Produktion
Unerlässlichkeit, Art. 81 (3) lit.c
doppelte Prüfung:doppelte Prüfung: Ist die Vereinbarung als ganzes notwendig, um die
Effizienz-gewinne zu erzielen? Unternehmen müssen nachweisen, warum realistische und
weniger wettbewerbsbeschränkende Alternativen für die Vereinbarung in der konkreten Marktsituation erheblich weniger effizient wären.
Sind die einzelnen Wettbewerbsbeschränkungen in der Vereinbarung notwendig, um die Effizienzgewinne zu erzielen?
Wie sehen in der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation die Risiko- und Anreizstrukturen der Unternehmen aus, und sind die Wettbewerbsbeschränkungen zur Beseitigung allfälliger Probleme erforderlich hinsichtlich Art und Umfang?
Was bedeutet nun Unerlässlichkeit? RZ 79
Eine Wettbewerbsbeschränkung ist unerlässlich, wenn ohne sie die sich aus der Vereinbarung ergebenden Effizienzgewinne beseitigt oder erheblich geschmälertwürden oder die Wahrscheinlichkeit zurückgehen würde, dass sich diese Effizienzgewinne realisieren.
Angemessene Verbraucherbeteiligung, Art. 81 (3) lit.a
umfassender Verbraucherbegriff „angemessene Beteiligung“:
Weitergabe der Effizienzvorteile - negative Auswirkungen > 0 Betrachtung nach relevanten Märkten, Zeiträumen Auswirkungen auf den Einzelnen -
gesamtgesellschaftliche Auswirkungen Zeitraum: Abzinsung; PV = Staffelprinzip: je geringer die
Wettbewerbsbeschränkung und je größer die Effizienzgewinne bzw. deren Weitergabe, desto weniger intensiv muss die Analyse erfolgen.
Welcher Grad an Wettbewerb verbleibt im Markt?
FV
(1+i) n
Weitergabe und Abwägung von Effizienz-gewinnen
Merkmal und Struktur des Marktes verbleibender Wettbewerb, Art des Wettbewerbs, Verhalten der Marktteilnehmer
Art und Ausmaß der Effizienzgewinne Grenzerlös = Grenzkosten Gewinnoptimale Entscheidungen richten sich
ausschließlich nach den variablen Kosten Kostentangenten
Nachfrageelastizität Preiselastizität Preisdiskriminierung 1., 2. und 3. Grades
Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung - Abwägung
Keine Ausschaltung des Wettbewerbs, Art. 81 (3) lit.d
Vorrang des Wettbewerbsschutzes vor Effizienzgewinnen
Kohärenzgrundsatz: Was nach Art. 82 verboten ist, kann nicht nach Art. 81 (3) erlaubt sein.
Grad des Wettbewerbs vor Abschluss der Vereinbarung Wie viel Wettbewerbsdruck verbleibt im Markt? Welcher Wettbewerbsparameter wird beeinflusst? Wie verhalten bzw. verhielten sich die Parteien am
Markt? Substitutionsgrad zwischen konkurrierenden Produkten potentieller Wettbewerb - Zutrittsschranken
Beurteilung von Marktzutrittsschranken
Rechtsrahmen Marktzutrittskosten, sunk costs effiziente Mindestgröße eines Unternehmens im
Markt wettbewerbsstarke, potentielle Neuzugänger Nachfragestruktur im Markt wahrscheinliche Reaktionen der bestehenden
Marktteilnehmer wirtschaftliche Aussichten der Branche Markteintritte in der Vergangenheit
Michel R. BayeManagerial Economics and Business Strategy4th ed., McGraw-Hill, (2004)ISBN 0-07-248793-3
F.M. Scherer/ David RossIndustrial Market Structure and Economic Performance3rd ed., Houghton Mifflin Company, (1990)ISBN 0-395-35714-4
Jean TiroleThe Theory of Industrial OrganizationMIT Press, (1988)ISBN 0-262-20071-6
Leseempfehlungen zur ökonomischen Theorie