Das deutsche Suchthilfesystem Das deutsche Suchthilfesystem im Überblick Schnittstellen zwischen Maßregelvollzug und Suchthilfe Münster 06.06.2013 Christoph Trebels Klinikum Bremen-Ost
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Das deutsche Suchthilfesystem im ÜberblickSchnittstellen zwischen Maßregelvollzug
und Suchthilfe
Münster
06.06.2013
Christoph Trebels Klinikum Bremen-Ost
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Übersicht
� Inhaltliche Wurzeln des deutschen Suchthilfesystems
� Ausgestaltung
� Entwicklungen
� Mögliche Schnittstellen zum Maßregelvollzug
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Veränderungen im Suchtkonzept
� Usus – Abusus: Als unmäßig gelten sowohl dauerhafter Verzicht als auch häufige Trunkenheit
� Häufige Trunkenheit als Sünde (Mittelalter)
� Um 1800 Paradigmenwechsel vom „Laster der Trunkenliebe“zur „Krankheit des Willens“
� Übermäßiges Trinken als „Trunksucht“ (Brühl Cramer 1819)
� Zunächst Ablehnung des Krankheitskonzepts des Vieltrinkens. Es enthebe den Trinker seiner Verantwortung.
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Erste AnsätzeMäßigkeits- und Abstinenzvereine
� Ab ca. 1820 v. a. in den USA, in Europa Ausbreitung von Irland über Skandinavien über Mitteleuropa� Washintonian Temperence Society� Guttempler� British and Foreign Temperance Society� Kreuzbund (damals noch Mäßigkeitsverein)
� Kampf gegen die „Brandweinpest“� Radikalisierung eines Teils der Mäßigkeitsbewegung mit dem
Ziel völliger Abstinenz (Temperenzler)� Ansatz zur Heilung der Alkoholkranken� Alkoholkonsum als Ausdruck mangelnder Tugendhaftigkeit� Hohes Sendungsbewusstsein gegenüber Arbeiter- und Bauernschaft
� Befreiung vom Alkohol durch feierliches Abschwören gemeinsames Gebet / freimaurerische Rituale und gegenseitige Unterstützung
� Niederlage der Abstinenzler
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Verbindungen zum Protestantismus
� 1851 Männerasyl Lintorf: Männerasyl für entlassene Strafgefangene, Obdachlose und Alkoholkranke als erste Trinkerheilstätte Europas:� „Erlösung des Trinkers“,
„Errettung“ seiner Seele, von der der Alkohol Besitz ergriffen hat.
� Gebet, innere Einkehr und harte Arbeit
� Aufenthalt mindestens 1 Jahr
� 1879 Haus Siloah für wohlhabende Trunkfällige
� 1901 Kurhaus Bethesda� Ziel: Nachhaltige
Konsumreduzierung bei Verzicht auf Brandwein.
Eduard Dietrich
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Renaissance der Mäßigkeitsbewegung Ende des 19. Jahrhunderts
� Deutscher Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke (1883 Kassel)
� Bürgerliches Pendant der Mäßigkeitsbewegung
� Konsumreduzierung
� Gründung von Abstinenzvereinen
� Kampf zwischen „Mäßigen“ und „Abstinenten“
� Ansätze, Abstinenz ins Programm der Sozialisten aufzunehmen, scheiterten.
� Viele sehr unterschiedliche abstinente Subkulturen, die in Deutschland aber nicht mehrheitsfähig werden.
� Zunehmend geringerer Einfluss mit Änderung der Trinkgewohnheiten (Bier statt Schnaps) nach dem 1. Weltkrieg
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Die Alkoholfrage als sozialhygienisches ProblemGustav von Bunge ab Mitte der 1880er Jahre
� Schädigung des menschlichen Erbgutes und der Volksgesundheit
� Alkoholverbot und Abstinenz für die gesamte Bevölkerung
� Ab 1900 Aufnahme der Abstinenzbewegung von Vertretern der Eugenik
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Die Alkoholfrage als Rassenproblem
„Früher, in der guten alten Zeit, machte man mit unfähigen, ungenügenden Menschen kürzeren Prozess als heute. Eine ungeheure Zahl pathologischer Hirne, die (...) die Gesellschaft schädigten, wurde kurz und bündig hingerichtet, gehängt oder geköpft; der Prozess war insofern erfolgreich, als die Leute sich nicht weiter vermehren und die Gesellschaft mit ihren entarteten Keimen nicht weiter verpesten konnten.“(Auguste Forel 1903)
Auguste Forel
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Nationalsozialistische Rassenhygiene
� Ablösung einer an christlicher Nächstenliebe orientierten subjektorientierten Ethik durch eine am Gemeinwohl orientierte Rassenethik.
� Die „Humanitätsduselei“ gelte es „mit der Waffe der Wissenschaft“ zu bekämpfen.
� Alkohol als starkes „Keimgift“, das das Erbgut schädigt.� Trinkerhilfe gilt als kontraselektorisch, da „entartete“ Trinker
länger leben.� Wer die „Mäßigen“ unterstützt, hat langfristig den Untergang
der Rasse zu verantworten� Erste Sterilisationen und Kastrationen aus „sozialen Gründen“
zur Vorbeugung vor einer Degeneration des Volkes
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Professionalisierung der Suchtkrankenhilfe
� 3-Säulen-Modell (gegen 1900)� Beratung (und Nothilfe) und Nachsorge durch Laien
(Zusammenarbeit von Vereinen, karitativen Trägern und den Kommunen)� Ausbildung von „Armenbesuchern“ und
„Stadtmissionaren“ zur Disziplinierung gefährdeter Klassen.
� Einrichtung von Trinkerfürsorgestellen (Guttempler, ab 1906/07)
� Therapie� Zunehmende Übernahme durch Mediziner� Überwiegend stationäre Angebote: Somatische
Krankenhäuser (Folgeerkrankungen), Irrenanstalten und Trinkerheilstätten
� Eigenes Berufsfeld ab ca. 1970� Standardisierung der Suchtbehandlung
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Finanzierung
� 1915 Aufnahme der Trunksucht in die Reichsversicherungsordnung, gesetzliche Anerkennung der Trinkerheilstätten als Therapieeinrichtung
� Zuständigkeit für Finanzierung bei GKV und/oder GRV
� 18.06.1968 Urteil des Bundessozialgerichts:� Krankenkassen müssen für die Krankenhauspflegekosten zur
Durchführung einer Alkoholentziehungsbehandlung gem. § 1531 RVO aufkommen, wenn Patienten an einer Krankheit leiden, die eine Krankenhausbehandlung erforderlich macht.
� Anerkennung einer Suchtmittelabhängigkeit als behandlungsbedürftige Krankheit
� GRV stellt sich auf den Standpunkt, dass bei stationärer Behandlung die GKV zuständig ist.
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Finanzierung
� 1. Suchtvereinbarung (20.11.1978): Regelung der Zuständigkeiten� Entzugsbehandlung:
� GKV� RV, wenn die Notwendigkeit während einer
Entwöhnungsbehandlung festgestellt wird und diese in der Einrichtung durchgeführt werden kann.
� Entwöhnungsbehandlung:� RV bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen� GKV, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
nicht vorliegen, oder wegen einer anderen Erkrankung Erwerbsunfähigkeit vorliegt bzw. Erwerbsfähigkeit nicht mehr zu erwarten ist.
� Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen (04.05.2001):� Die Zuständigkeit der Krankenkasse bei Erwerbsunfähigkeit
wurde gestrichen.
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Voraussetzungen DRVFinanzierung stationäre Behandlung
� Beitragsvoraussetzungen� 6 Pflichtbeiträge in den letzten 2 Jahren entrichtet wurden
oder� bei 5 Jahren Beitragsleistung, wenn verminderte
Erwerbsfähigkeit vorliegt oder drohtoder
� wenn 15 Jahre Beiträge gezahlt wurden� Kostenübernahme bei Alkoholabhängigkeit,
Medikamentenabhängigkeit, Drogenabhängigkeit, Spielsucht.� Keine Kostenübernahme bei
� Kaufsucht, Essstörungen, Computersucht/Internetsucht,� offenen Strafverfahren,� drohender Abschiebung.
� Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird der Antrag in einenRentenantrag umgedeutet, ggfs. Zuständigkeit der Krankenkasse für die Entwöhnung.
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Angebote der Suchthilfe
� Niedrigschwellige Angebote (Möglichkeiten zum Erstkontakt, u. a. Streetwork, Konsumräume, Kontaktläden) (bundesweit ca. 300)
� Suchtberatungs- und Behandlungsstellen: (bundesweit ca. 1.300 Stellen mit ca. 500.000 KlientInnen)
� Entgiftung und qualifizierter Entzug (bundesweit ca. 7.500 Plätze in über 300 Einrichtungen, meist Krankenhäuser)
� Ambulante und medizinische Rehabilitation als Maßnahme der gesetzlichen Rentenversicherung (ca. 720 anerkannte Einrichtungen und ca. 73.000 Maßnahmen jährlich)
� Maßnahmen der sozialen Rehabilitation bei mehrfach geschädigten abhängigkeitserkrankten Menschen: Hilfen zum Wohnen, zur Arbeit und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (bundesweit 268 stationäre Einrichtungen der Sozialtherapie mit mehr als 10.700 Plätzen; 112 teilstationäre Einrichtungen der Sozialtherapie mit mehr als 1.200 Plätzen; 460 Angebote des ambulanten betreuten Wohnens mit mehr als 12.000 Plätzen)
� Selbsthilfe (bundesweit ca. 8.700 Gruppen)(Jahrbuch Sucht 2013 DHS)
� Straf- und Maßregelvollzug
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Anforderungen der klassischen Suchthilfe an Klienten
� Patient muss kommen
� Akzeptanz bestehender Angebote
� Bereitschaft zur Anpassung (Regeln)
� Bindungsfähigkeit
� Fähigkeit Bindungen zu knüpfen, damit sich ein Therapeut um sie kümmert.
� Nutzung von Hilfen in Krisen.
� Möglichst wenig Dissozialität
� Aber: Kriminelle Fertigkeiten als notwendige Voraussetzung für Beschaffungskriminalität?
� Problem: Zahlreiche Personen werden nicht erreicht.
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Entwicklungen im SuchthilfesystemNiedrigschwellige Angebote
� Cafés / Treffpunkte / Streetwork
� Ambulant / stationär betreutes Wohnen (Initiativen insbesondere aus dem Bereich CMA / Psychose & Sucht)
� Kennzeichen niedrigschwelliger Angebote� Arbeit mit einem Krankheitsmodell, das die Klienten nicht
überfordert
� Erleben von Akzeptanz
� Geringer Veränderungsdruck
� Veränderungsreize werden über das Milieu geschaffen
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Entwicklungen im SuchthilfesystemHarm Reduction
� Minderung der individuellen / gesellschaftlichen Folgen des Gebrauchs von Drogen
� Akzeptanz, dass die Betroffenen nicht willens oder nicht in der Lage sind, den Konsum zu beenden.
� Maßnahmen umfassen u. a.
� Spritzentausch, Konsumräume, mobiles Drugchecking, Kondome, safer Sex
� Leichter Zugang zu medizinischen Angeboten
� Geringere Kriminalisierung von Drogenkonsum
� Essensausgabe
� Substitution
� Drogenersatzstoff: (Methadon, L-Polamidon, Buprenorphin)
� Ersatzdrogen (Heroin)
� Vorwurf: Der Zugang zum Drogensystem wird erleichtert.
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Entwicklungen im SuchthilfesystemHaltekraft
� Ambulante Langzeit-Intensivtherapie für Alkoholkranke (ALITA)� Hochfrequente Kurzgesprächskontakte (täglich 15 Minuten)� Kriseninterventionsbereitschaft (24 h erreichbar)� Soziale Reintegration� Schaffung einer Alkoholunverträglichkeit (Disulfiram)� Kontrolle (UK, AAT)� „Aggressive Kontrolle“ mit sofortiger Beendigung drohender oder
erfolgter Rückfälle� Therapeutenrotation (multiprofessionelles Team, keine
Anbindung an einen Einzeltherapeuten)
� Abstinenzquote nach 2 Jahren bis 70 % (dauerhaft abstinent + abstinent nach Rückfall mit Intervention)
� Kosten: 18.000 € in 2 Jahren (2005)
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Entwicklungen im SuchthilfesystemHaltekraft
� Wechsel von Gruppen- auf Einzelsetting� DROBS Hannover geht im Drogenbereich vermehrt zu Einzelgesprächen
über, weil die Klienten für Gruppenprozesse zu unreif erscheinen.
� Food Anonymous� Sofortige Zuweisung eines Paten, der jeden Tag anruft, und eines
Essplans mit festen Uhrzeiten und festgelegten Mahlzeiten.
� Wird zuerst als sehr dominant, dann oft als entlastend erlebt.
� Spirituelle Ebene� christliche Gemeinschaften (Sinngebung)
� Struktur� Arbeit (ELROND, SYNANON)
� Community Reinforcement Approach� verhaltenstherapeutisches Behandlungskonzept bei
Abhängigkeitserkrankungen� positive Verstärkung für Abstinenz aus dem sozialen Umfeld,
Reduzierung positiver Verstärker des Suchtmittelkonsums
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Entwicklungen im SuchthilfesystemCommunity Reinforcement-basierte
Familientherapie (CRAFT)� Lösungsorientierte Strategien für Angehörige, Suchtkranke in eine
Behandlung zu überführen.
� Manual (8 Module), u.a.
� „Motivieren des Angehörigen“
� Strategien gegen Gewalt“
� „Kommunikationstraining“
� „Nutzung negativer Konsequenzen“
� „Strategien zur Verbesserung der Lebensqualität“
� „Die Betroffenen zur Inanspruchnahme von Hilfen motivieren“
� Abkehr vom Konzept der „Co-Abhängigkeit“
� Angehörige werden nicht mehr als Personen gesehen, die Suchtverhalten durch eine latent depressive Persönlichkeitsstruktur und defizitäres Selbstwertgefühl begünstigen.
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Entwicklungen im SuchthilfesystemSelbsthilfe
� Kooperation und Vernetzung mit der beruflichen Suchthilfe
� Entwicklung zielgruppenspezifischer Angebote
� Frauen
� Angehörige
� Migranten
� Neue Suchthilfeformen, z. B. Familienclubs
� Öffnung gegenüber Trinkmengenreduzierung
� Suchtstoffübergreifende Angebote
Aber:
Teilnehmer überwiegend männlich, Alter 55+, v. a. Alkohol, Zugang: 1/3 stationäre Therapie, 1/5 ambulante Behandlung
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Entwicklungen im SuchthilfesystemBiologische Psychiatrie
� Aversiva� Disulfiram, Calciumcarbimid
� Anticraving-Substanzen� Naltrexon Wirksamkeit bei reward- und relief-craving
sowohl bei Opiaten als auch bei Alkohol� Reduzierung der Trinkmenge, nicht aber Erhöhung der
Abstinenzrate
� Nalmefen (demnächst)� µ-Opioid-Rezeptor-Antagonist, Modulator am κ-Opioid-Rezeptor,
etwas längere Wirkdauer als Naltrexon
� „as needed“
� Deutliche Reduzierung der Trinkmenge
� Acamprosat: schlechte Ergebnisse
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Entwicklungen im SuchthilfesystemAmbulantisierung
� Ambulante Therapie� Kombinationsbehandlung am Bespiel „Kombi Nord“
� Stationäre und ganztägig ambulante (tagesklinische) und sonstige ambulante Angebote können miteinander kombiniert werden.
� Gesamtdauer der Kombination aus stationären und ambulanten Leistungen 52 Wochen.
� Bei der Kombination von stationären und tagesklinischen Leistungen darf die Gesamtwochenzahl von 20 (Alkohol- /Medikamentenabhängigkeit) bzw. 30 (Drogen-/Mehrfachabhängigkeit) nicht überschritten werden.
� Adaption im Anschluss an die stationäre Entwöhnung� Ganztägig stationäre oder ambulante Maßnahme: Erprobung und
Einübung eigenverantwortlicher Lebensführung und Anforderungen des Erwerbslebens unter realen Alltagsbedingungen
� Zusatzleistung zur Integration in das Erwerbsleben, wenn sich hier Schwierigkeiten während der Entwöhnungsbehandlung abzeichnen (DRV Braunschweig Hannover)
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Entwicklungen im SuchthilfesystemKostenträger
Behandlungsdauer stationärer Entwöhnungsbehandlungen (in Tagen) (DRV)
Alkohol Drogen
1996 108 148
2010 85 97
(Deutsche Rentenversicherung Statistiken- Rehabilitation –Zeitreihen, 2011), Prognos AG 2011
Anträge und bewilligte Anträgein 1.000, Budgetausschöpfung(alle Leistungen)
Keine Leistungen der medizinischen Rehabilitation in den letzten 5 Jahren vor Berentung:
Alkohol: 64 %
Drogenabhängigkeit: 58 %
(Überschär et al. 2012)
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§ 35 BtMG
� Vollstreckungslösung� Freiheitsstrafe bzw. noch zu
vollstreckende Freiheitsstrafe < 2 Jahre� Symptomatischer Zusammenhang
zwischen der abgeurteilten Tat und dem Drogenkonsum
� Veränderte Rahmenbedingungen� Sind mehrere Freiheitsstrafen
nacheinander zu vollstrecken, so darf eine Unterbrechung erst erfolgen, wenn 2/3 erreicht sind (BGH-Urteil vom 04.08.2010, 5AR(VS)23/10)
� Rentenversicherungsträger bewilligt die Kosten erst, wenn § 57 StGB Anwendung findet (Aussetzung des Strafrestes nach 2/3)
Strafaussetzungen gemäߧ 35 BtMG im vorangegangenen Monat (Strafverfolgungsstatistik, Stand 30.11.2011)
November 2012 313
März 2012 319
November 2011 314
März 2011 364
November 2010 365
März 2010 454
November 2009 376
März 2009 457
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Stationäre EntwöhnungsbehandlungenErgebnisse
Alkohol / Medikamente
[DGSS 1 / DGSS 4]
Drogen
[DGSS 1 / DGSS 4]
Katamnesezeitraum 1 Jahr (2010) 1 Jahr (2009)
Stichprobengröße 13.813 713
Ausschöpfungsquote [%] 53,5 35,9
Alter [Jahre] 45,6 30,7
Erfolgsquote [%]
- abstinent
- 3 Monate abstinent nach Rückfall
61,7 / 33,4
11,9 / 6,8
29,6 / 10,0
36,6 / 12,8
Quelle Missel et al., Sucht Aktuell 1-2013
Fischer et al., Sucht Aktuell 3-2012
DGSS 1: Ergebnisse der erreichten Patienten mit planmäßiger EntlassungDGSS 4: Erfolgsquote aller einbezogenen Patienten; Nicht-Antworter werden als
rückfällig eingestuft.
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Ambulante EntwöhnungsbehandlungenAlkohol- und Medikamentenabhängigkeit
Ergebnisse
Ambulant, inkl. Kombi-Therapie, post- und teilstat. Rehabilitation
[DGSS 1 / DGSS 4]
Ganztägig ambulant
[DGSS 1 / DGSS 4]
Katamnesezeitraum 2010 2010
Stichprobengröße 514 372
Ausschöpfungsquote [%] 57,8 57,3
Alter [Jahre] 46,7 44,9
Erfolgsquote [%]
- abstinent
- 30 Tage abstinent nach Rückfall
69,3 / 37,4
14,5 / 9,1
69,0 / 38,3
18,8 / 10,6
Quelle Missel et al., Sucht Aktuell 1-2013
Schneider et al., Sucht Aktuell 1-2013
DGSS 1: Ergebnisse der erreichten Patienten mit planmäßiger EntlassungDGSS 4: Erfolgsquote aller einbezogenen Patienten; Nicht-Antworter werden als
rückfällig eingestuft.
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DrogenabhängigkeitStationäre Entwöhnungsbehandlung
Abstinenzraten in Abhängigkeit vom FreiheitsgradErhebungszeitraum: stationäre Behandlungen vom 01.07.2003 – 30.12.2004
HalbjahreskatamneseAusschöpfungsquote 54,3 %
JahreskatamneseAusschöpfungsquote 41,5 %
DGSS 1(n=178)
DGSS 4(n = 418
DGSS 1(n = 136
DGSS 4(n = 425)
Freiwillig 55,7 % 27,9 % 59,7 % 25,2 %
Nicht freiwillig 46,5 % 23,5 % 50,7 % 17,9 %
Abstinenzkriterium: durchgehend abstinent /mindestens 3 Monate abstinent nach RückfallKeine Daten zur Straffälligkeit
DGSS 1: Ergebnisse der erreichten Patienten mit planmäßiger EntlassungDGSS 4: Erfolgsquote aller einbezogenen Patienten; Nicht-Antworter werden als
rückfällig eingestuft.
Fischer et al. 2007
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ErgebnisseAlkohol- und Medikamentenabhängigkeit
� Bessere Ergebnisse bei ambulanter Rehabilitation als bei poststationärer Nachsorge.
� Bessere Ergebnisse bei ambulanter Rehabilitation als bei stationären Entwöhnungsbehandlungen.
� Erfolgsquote steigt mit einer Verlängerung der stationären Therapiedauer von 12 auf 16 Wochen deutlich an.
� Bei der ganztägig ambulanten Therapie scheint die Therapiedauer keinen wesentlichen Einfluss auf die Abstinenzquote zu haben.Für eine durchgängige Abstinenz scheint eine Therapiedauer von 12 – 16 Woche am günstigsten zu sein.
� Prognostisch günstig: regulärer Abschluss der Therapie, feste Partnerschaft, Arbeitsplatz, höheres Alter, kürzere Dauer der Abhängigkeit
� Bzgl. Rückfällen ist das erste Quartal am kritischsten.
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ErgebnisseDrogenabhängigkeit
� Rückfallrate in den ersten 3 Monaten nach Beendigung einer stationären Maßnahme am höchsten (50 % in den ersten 4 Wochen)
� Rückfallursachen v. a emotional negativ besetzte Gefühle� Poststationäre Hilfen werden mehr von nicht-rückfälligen als
von rückfälligen Patienten in Anspruch genommen. � 98 % der 2008 aus einer Entwöhnungstherapie entlassenen
Patienten zahlten in den nächsten 2 Jahren zumindest unregelmäßig Beiträge zur Rentenversicherung.
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Fazit
� Die verschiedenen Player in der Versorgung von suchtkranken Menschen arbeiten weitgehend eigenständig nebeneinander und haben ganz eigene Kulturen entwickelt.
� Nicht-forensische Suchthilfe (professionell, Selbsthilfe)
� Alkohol – Drogen – Verhaltenssüchte
� Maßregelvollzug
� Strafvollzug� Nutzung von unterschiedlichen Personengruppen.� Veränderungen im Allgemeinen Suchthilfesystem
� Lockerung des Abstinenzparadigmas� Niedrigschwellige Angebote� Harm Reduction� Ambulantisierung (v. a. ausgehend von Kostenträgern)� Maßnahmen zur Verbesserung der Haltekraft� Ausbau zielgruppenorientierter Angebote
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Mögliche Schnittstellen
� Wissenstransfer und Verbesserung der Erreichbarkeit in Richtung der nicht forensischen Betreuung von Straffälligen:
� Viele Patienten im MRV § 64 StGB haben viele Einträge im BZR.
� Verstärkte Kooperation von der Suchthilfe mit Bewährungshilfe und Strafvollzug
� Wissenstransfer von forensischem Wissen in die Suchthilfe
� Z. B. Kooperation MRV und Suchthilfe während der Phase der Außenorientierung
� Neue Kooperationspartner
� Jugendhilfe (Spaßkultur, Komasaufen)
� Migranten
� Verbesserung des Nutzungsgrads der Nachsorge bei Drogenabhängigen in der nicht-forensischen Suchthilfe
� Haltekraft stärken
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Mögliche Schnittstellen
� Braucht MRV verstärkt zielgruppenorientierte Behandlungsangebote
� Migranten
� „Spaßkultur“ v. a. junger Menschen
� Neue Kooperationspartner ?
� Jugendhilfe, Migrantenverbände
� Ambulantisierung
� Frühere Verlagerung bislang stationärer Behandlungsanteile in den ambulanten Bereich?
� Auswirkungen auf das Behandlungsergebnis (Straffälligkeit, Abstinenz; Zahl/Art/Schwere von Lockerungsmissbräuchen)
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Mögliche Schnittstellen
� Auseinandersetzung mit dem Abstinenzparadigma� Stärkere Fokussierung des Begriffs der hinreichend konkreten
Aussicht auf einen Behandlungserfolg auf die Vermeidung / Reduktion von Straffälligkeit?
� Abstinenz als zwingende Voraussetzung für weniger / keine Straftaten?
� Auseinandersetzung mit Behandlungskonzepten für Verhaltenssüchte (Arbeit mit Klienten für die Abstinenz oft nicht möglich ist, z. B. Internet)
� Behandlung mit Medikamenten, die selbst ein Abhängigkeitspotential ausweisen (Substitution, Methylphenidat bei ADHS)?
� Kann eine Verhinderung / Minderung von Straffälligkeit auch durch Tolerierung eines gelegentlichen / eines reduzierten Konsums erreicht werden?
� Kriterien für Erledigung der Maßregel
� Arbeit in den forensischen Institutsambulanzen