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Texte aus Mesopotamien
2.14 Therapien gegen von Geistern oder von Hexerei verursachte
Leiden
Daniel Schwemer
Eine wichtige Voraussetzung zur Heilung komplexer
Krankheitsbilder bestand nach den Vorstellungen des
vorhellenistischen Mesopotamiens in der Identifikation der
Krankheitsursache. Diese konnte beim betroffenen Menschen selbst
oder in seinem unmittelbaren Umfeld liegen, wenn der Patient durch
eigene Vergehen oder Vergehen seiner Vorfahren den Zorn der Götter
erregt hatte, der sich nun in seiner Erkrankung manifestierte (vgl.
Kapitel 2.15 in vorliegendem Band von S. M . Maul). Symptomatik und
Anamnese konnten aber auch Hinweise darauf geben, daß die Ursache
der jewei-ligen Krankheit außerhalb des unmittelbaren Umfelds des
Kranken zu suchen war. So wurden bestimmte Krankheiten als direkt
von bestimmten Gottheiten hervorgerufen diagnostiziert (>Hand
der Gottheit.. .Haus des Beschwö-rungspriester< in Assur
gefunden wurde, legte zuerst E. Ebeling als KAR 184 in Kopie vor;
Umschrift und Übersetzung folgten in seiner Monographie Tod und
Leben nach den Vorstellungen der Babylonier, Berlin / Leipzig 1931
(S. 78-86, Nr. 21). Eine nicht
265. Das ausführlichste Abwehrzauber-Ritual, Maqlü, wurde von T.
Abusch und Verf. in TUAT NF 4, 91-149, jüngst in einer neuen
deutschen Übersetzung vorgelegt.
266. T. Abusch hat die einschlägigen Texte gesammelt, Editionen
vorbereitet und diverse Texte in zahlreichen Beiträgen kommentiert
(s. etwa seinen Sammelband Mesopotamian Witchcraft. Towards a
History and Understanding of Babylonian Witchcraft Beliefs and
Literature, A M D 5, Leiden u.a. 2002). Der erste Band des von T.
Abusch und Verf. vorbereiteten Corpus of Mesopotamian
Anti-witchcraft Rituals wi rd in Bälde erscheinen.
123
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Daniel Schwemer
überall zuverlässigere Neukopie publizierte F. Köcher als BAM IV
323; eine wegwei-sende Bearbeitung von Rs. 79-88 lieferte W. Farber
(Beschwörungsrituale an Istar und Dumuzi. Atti Istar sa harmasa
Dumuzi, Akademie der Wissenschaften und der Lite-ratur,
Veröffentlichungen der orientalischen Kommission 30, Wiesbaden
1977, 210-17). Der gesamte Text liegt nun in einer alle bekannten
Duplikate berücksichtigenden Neubearbeitung von J. A. Scurlock vor,
die die einzelnen auf der Tafel versammelten Rituale und Rezepte je
einzeln in MMTGI ediert hat (Vs. 1-38: 530-35 Nr. 226; Vs. 39-Rs.
64: 507-9 Nr. 218; Rs. 65-68: 528-29 Nr. 225; Rs. 69: 525 Nr. 223;
Rs. 70-74: 549-50 Nr. 236; Rs. 75-78: 605-6 Nr. 289; Rs. 79-88:
537-38 Nr. 228; Rs. 89-107: 305-8 Nr. 91; Rs. 108-9: 658 Nr. 333;
Textübersicht mit weiteren Literaturhinweisen: 712-13).
Der Text bietet eine Sammlung von Therapien gegen von einem
Totengeist oder anderen Dämonen verursachte Erkrankungen, deren
Symptome meist ausfuhrlich beschrieben werden. Neben feierlichen
Ritualen (Vs. 1-38; Vs. 39-Rs. 64; Rs. 79-88; Rs. 89-107) enthält
die Sammlung auch knappe Rezepte für Salben und um den Hals zu
legende Lederbeutel. Wie dies auch für andere Textgruppen
gelegentlich bezeugt ist, wird die Anwendung der Heilmittel
ausdrücklich für den Fall vorgeschrieben, daß das feierliche Ritual
des Beschwörers keine Wirkung gezeigt hat (Rs. 75).
( V s . i)VVenn einen Mann ein Totengeist gepackt hat und ihn
ständig verfolgt, oder ein o/[u-Dämon oder ein] go[i/u-Dämon] Woder
ein sanghulhaza-Dämon ihn gepackt hat oder >Jegliches Böse<
ihn immer wieder pa[ckt] oder [ . . . ] : OErde aus einer
auf-gegebenen Stadt, Erde von einem aufgegebenen Haus, Erde von
einem aufgegebenen Tempel, Erde von einem Grab, Erde von einer
Grund[mauer], WErde von einem auf-gegebenen Kanal (und) Erde von
einer Straße nimmst du zusammen, mischst (sie) mit Rinderblut,
machst eine Figur von >Jeglichem Bösem
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Texte aus Mesopotamien
per des Patienten) setzte, haben dich (nunmehr) aus dem Körper
des N.N., des Sohnes des N.N., entfernt!« ( " ) A m dritten Tag, am
Nachmittag, richtest du ein Ritualarrangement vor Samas her. 0*
)Der Patient hebt die Figur hoch, dann läßt du ihn vor Samas wie
folgt sprechen: (")Beschwörung: »Samas, Fürstlichster der
Anunnakkü-Götter, Fürst der Igigü-Götter, erhabener Herrschen der
die Menschen regiert, ( 2 0)Richter von Himmel und Erde, der seine
Weisung nie ändert, ( 2 , )Samas, der die Dunkelheit in Ordnung
bringt 2 7 1), den Menschen Licht spendet, ( 2 2 ) Samas, wenn du
untergegangen bist, hat sich das Licht der Menschen in Finsternis
verwandelt, Samas, wenn du aufgehst, wird die ganze Welt hell. ( 2
3 )D ie Waise, die Witwe, die Obdachlose, die (mittellose) Freundin
- ( 2 4)alle Men-schen wärmen sich an deinem Schein. ( 2 5 )Das
Vieh, die Lebewesen, die Tiere der Step-pe (2 Ä)pflegen dir ihr
Leben . . . zu bringen 2 7 2). ( 2 7 )Das Urteil für den
Geschädigten und die Geschädigte gewährst du, triffst die rechte
Entscheidung für sie. Ich, N.N., Sohn des N.N., bin von Erschöpfung
niedergebeugt, (28>(ich,) den durch den Zorn des Gottes und der
Göttin eine Bindung gefangen hält: ( 2 , )e in utukku-Dämon, ein
räb/su-Dämon, ein Totengeist, ein Wü-Dämon, Schüttelfrost,
Benommenheit, Lähmung des Fleisches, Schwindelgefühl,
(30)sossotu-Krankheit (und) Irrsinn haben (mich) gefangen genommen
und betäuben mich täglich (mehr und mehr). meine Bindung mich
freigelassen hat, aus meinem Körper ge-flohen ist, mögen die Götter
wo immer ich (auf deinen Entscheid) vertraue, einig sein mit deiner
Weisung. ( 3 5 ) [Der Himmel möge sich] über dich [freu]en, die
Erde möge über dich jauchzen!« Beschwörungsformel.
( 3 6 ) [So läßt du] ihn sprechen. Du legst s ie 2 7 3 ) in ein
Gefäß, dann beschwörst du es 2 7 4 ) : ( 3 7 ) [Bei der Erde sei
beschworen], beim Himmel sei beschworen, bei Samas sei
be-schworen!« Du sprichst es, dann verschließt du seine Öffnung. (
3 8 ) [ . . . ] . . . ; in verlassenem Ödland vergräbst du es.
( 3 , ) [Wenn ein Toten]geist [einen Mann] gepackt hat und [ihn]
ständig verfolgt [oder] der Wö-Dämon oder die ardot-///f-Dämonin (
4 0 )oder AN.TA.sua.BA-Epilepsie oder jegli-ches Böse< ihn
gepackt hat und in seinem Körper [vorhanden ist], läßt du ihn
Eselsurin auffangen, ( 4 ,)mischst es mit /nn/nnu-Mehl (und)
fertigst (daraus) eine Figur des Toten-geistes oder von
>Jeglichem BösemJeglichem Bösen
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Daniel Schwemer
( 4 S )Beschwörung: 2 7 7 ) »Samas, der König der Gerechtigkeit,
möge deinen Plan 2 7 8) umsto-ßen! Der Weise der Götter Marduk,
möge deinen Prozeß (mit Finsternis) bedecken! ( 4 7)Ningestinna,
die Unreine, die Heroldin mit dem Meßrohr; ( 4 8 )möge dir in der
Liba-tionsröhre der Erde dein Wasser abschneiden! ( 4 9)Ningiszida,
der Thronträger der wei-ten Unterwelt, möge deine Brust umwenden! (
S 0 )A ra 2 7 9 ) , der Wesir von Eridu, hole dich fort! ( s
1)[S/n, der He]rrder Tiara, mö[ge] gegen dich [ ... ]!
(sl)[Ninurt]a, der Herr der Waffe, [möge] deinen Hals [ . . . ]
!
Der Rest des Beschwörungstextes (wohl Vs. 53-56) ist nur in
Resten erhalten und scheint von den publizierten Paralleltexten
abzuweichen. Die erste Zeile der Rückseite bietet bereits die
zugehörige Ritualanweisung:
(Rs- " ) [ . . . ] legst du [die Figur in ein Kes]selchen von
sieben Sekeln Kupfer (Ge-wicht); sein Gesicht 2 8 0) [ . . . ] . .
. [ . . . ] . ( 5 8 ) [ . . . ] machst du zu Häupten des Patienten.
Du bringst ihn 2 8 1 ) hinein. Drei Tage lang ( 5»)[ . . . ] . . .
Tag und ! Nacht die Rezitation, die du vor Samas [ . . . ] , ( <
0) . . . [ . . . ] s/güsu-Mehl streust du über ihn. ( 6 1 )Am
dritten Tag öffnest du, wenn die Sonne untergeht, im unbebauten
Land ein Loch und vergräbst ihn (darin). («)Sein Gesicht richtest
du nach Westen, biegst [sein]e [Arme] zurück. Du umgibst ihn mit
einem Mehlkreis aus s/güsu-Mehl. ( 'S)Du schlachtest eine Taube;
ihr Blut gießt du über ihn. (* 4)Du [beschwörst ihn mit der
z/podü-Beschwörungsformel. (Auf dem Rückweg) darfst du nicht hinter
dich blik-ken.
(65)Wenn ein Totengeist einen Mann gepackt hat und er
(abwechselnd) heiß (und) kalt wird, sein . . . zahlreich ist 2 8 2
) , ( 4 6 )e r einem Anfall immer nahe ist, Tag und Nacht nicht zur
Ruhe kommt, (*7)sein Schrei wie der Schrei eines Esels ist, dann
hat ihn ein fremder Totengeist im Ödland gepackt. (* 8)Du reibst
seinen Körper mit Bierwürze ab, kühlst ihn. Du zerstößt
>Fuchswein
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Texte aus Mesopotamien
chen von Enki (und) (7 2>dem Helden Asalluhi, dem Sohn von
Eridu, durch den Befehl der Ningirima, der Herrin der
Beschwörungen. ( 7 3 )Beim Himmel sei beschworen, bei der Erde sei
beschworen!« ( 7 4 ) Diese Beschwörung rezitierst du für (um den
Hals zu legende) Lederbeutel, Sal-be(n) und Tränke.
(75) Wenn die >Hand eines TotengeistesMenschenkno-chen<
(zerstößt du) zusammen; in Öl ( 7 8)salbst du ihn (damit); dann
nestelst du es in ein Leder ein, legst es um seinen Hals. Er wird
genesen.
( 7 , )Wenn einen Mann der Totengeist seines Vaters oder seiner
Mutter ständig packt, nimmst du am 27: Tag des Monats Abu ( 8 0
)Ton aus der Tongrube, fertigst die Figur eines Mannes und einer
Frau an. Die Figur des Mannes versiehst du mit einer
>Augen-braue< aus Gold, die Figur der Frau versiehst du mit
>Ohren< aus Gold. ( 8 1 ) Karneol (per-len) reihst du auf
einer roten Wollkordel auf, legst es um ihren Hals. Du stattest sie
üppig aus, ( 8 2)ehrst sie, richtest sie schön her: Diese Figuren
plazierst du drei Tage lang ( 8 3 )zu Häupten des Patienten. Heiße
Suppe gießt du ihnen hin. ( 8 4 )Am dritten Tag, dem 29. Tag (des
Monats), wenn die Totengeister (für gewöhnlich mit Opfern) versorgt
wer-den, fertigst du ein Segelboot an. ( 8 5 )Du teilst ihren
Proviant zu; vor Samas richtest du sie. ( 8 6) lhre Gesichter
richtest du nach flußabwärts und sprichst wie folgt: ( 8 7 )»Aus
dem Körper des N.N., des Sohnes des N.N., entfernt euch 3600
Meilen! Ver-schwindet, verschwindet, entfernt euch, entfernt euch!
( 8 8 )Beim großen Himmel seid ihr beschworen!«
(89)Wenn ein Mann ständig Kopfschmerzen bekommt, seine Ohren
dröhnen, sein Au-genlicht) sich verdunkelt, (»°)seine Nackenmuskeln
ihn vor Schmerz verzehren, seine Arme immer wieder an
s/mmotu-Lähmung leiden, seine Niere ihm Schmerzen bereitet, ( 9
1)sein Herz >aufgestört< ist, seine Beine immer wieder an
rimütu-Bewegungslosigkeit leiden, (' 2)dann verfolgt diesen Mann
ein (ihm) nachjagender Totengeist unablässig. Um ihn genesen zu
lassen:
C 3 )Am 15. Tag (des Monats), dem Tag, da S?n und Samas zusammen
stehen 2 8 4) , (»^be-kleidest du diesen Mann mit einem Sackgewand.
Mit einer Obsidian(klinge) ritzt du sei-ne Schläfen, ( , 5)vergießt
sein Blut. Du läßt ihn in einer mit Rohrbündelstandarten um-zäunten
Einfriedung sitzen. (")Sein Gesicht richtest du nach Norden. In
Richtung auf STn, nach Westen, erstel lst du ein Räuchergefäß mit
Wacholder auf, libierst Kuhmilch. In Richtung auf Samas, (nach)
Osten, stellst du ein Räuchergefäß mit Zypressenholz auf,
C8)libierst Bier bester Qualität. Der Mann spricht wie folgt:
( " ) »Zu meiner Linken ist Sin, die Mondsichel des großen
Himmels, zu meiner Rechten ist der Vater der Schwarzköpfigen 2 8
5), Samas, der Richter! ( 1 0°)Beide Götter Väter der großen
Götter; treffen den Entscheid für die weitverbeiteten Menschen.
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Daniel Schwemer
ablässig. < 1 0 2)Ich bin wahrlich jammervoll, verstört und
betrübt! Für euer Urteil (knie ich nieder) - rettet mich, damit ich
nicht Schaden nehme!« O 0 3)Siebenmal spricht er (es), dann kommt
er aus der Einfriedung heraus und legt sein Gewand ab; ein reines
Ge-wand zieht er an. Zu Sin hin spricht er wie folgt:
(104)Beschwörung: »Nanna 2 8 6 ) , Leuchte des Himmels und der
Erde, entffeme] die gar nicht gute Krankheit aus meinem Körper!« (
1 0 S )Dreimal spricht er es, dann spricht er zu Samas hin wie
folgt:
( i 0 6 ) »U iu 2 8 7 ) , großer Richter; Vater der
Schwarzköpfigen, der böse Wind, der (mich mit der Krankheit)
versehen hat, möge wie Rauch zum Himmel aufsteigen, dann will ich
dein Lob singen!« 0 0 7 )Dreimal spricht er es und p[rosterniert
sich] nicht 2 8 8) . (Dann wird er genesen.)
(N>8)Kanis-Eiche, nusöbu-Pflanze, [ . . . ]-Pfl[anze],
e//kul[/o-Pflanze, ...-Pflanze], (i09)VVurzel eines bo/tu-Dorns,
der über einem Grab (wuchs), Tamariskensamen [ . . . ] 2 S 9 )
.
2.14.2 Eine Salbe gegen >BannHaus des
Beschwörungspriesters< in Assur ansässigen Beschwörerfamilie
geschrieben. Der Text wurde zuerst von L. Speleers in
Keilschriftkopie als Recueil des inscriptions de l'Asie anterieure
des Musees Royaux du Cinquantenaire ä Bruxelles (Bruxelles 1925)
Nr. 307 veröffentlicht, dann von W. Eilers, Ein verkannter
medizinischer Keilschrifttext, AGM 26/4 (1933) 318-28 be-arbeitet.
Eine Neukopie legte F. Köcher als BAM II I 199 vor. Die jüngste
Bearbeitung, die auch alle verfügbaren Duplikate mit einbezieht,
stammt von J. A. Scurlock (MMTGI, 459-61 Nr. 187b). Die Tafel
bietet ein Rezept für eine Salbe, das abschlie-ßend als »Geheimnis
des Beschwörers« (bzw. »der Beschwörungskunst«) bezeichnet wird.
Texte wie der vorliegende zeugen von der Breite des
Tätigkeitsfeldes des >Be-schwörers< (äsipu) im 1. Jt. v.Chr.,
dessen Kunst sich keineswegs auf die Durchfüh-rung
>magischer< Rituale beschränkte, sondern auch umfassende
Kenntnisse der Dia-gnostik sowie der Drogen- und Heilmittelkunde
einschloß.
0^- Oftormus-Pflanze],
>Sie-trat-1000-entgegenSie-trat-20-entgegen
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Texte aus Mesopotamien
geistesEin Geheimnis des Beschwörers. Kolophon: ( 1 5)[Ta]fel
des Kisir-Nabü, des Beschwörers, ( 1 6 ) [des Sohnes] des
Samas-ibni, des Beschwörers.
2.14.3 Rezepte zur Lösung von Schadenzauber
Die einkolumnige, neuassyrische Tafel VAT 13776
(Vorderasiatisches Museum, Ber-lin) wurde laut dem Kolophon von
Assur-säkin-sumi, einem auch als Verfasser ande-rer Tafeln aus dem
sogenannten >Haus des Beschwörungspriesters< in Assur
bekann-ten Priester, von einer alten Vorlage abgeschrieben. Der
Text selbst, der von F. Köcher als BAM I I 190 in Kopie
veröffentlicht wurde, bietet eine Sammlung von Rezepten zur
Herstellung von Heiltränken gegen verschiedene Formen der Behexung,
die teilweise die Verwendung einer großen Anzahl unterschiedlicher
Drogen vorschreiben. Tränke sind ein typisches Heilmittel gegen
Behexung und sollten off Erbrechen provozieren, damit der Patient
auf diese Weise die von ihm aufgenommenen Unheilsstoffe von sich
gebe. Die meisten der in VAT 13776 festgehaltenen Rezepte lassen
sich auch innerhalb anderer Rezeptsammlungen nachweisen, nach denen
sich fragmentarische Passagen ergänzen lassen. Eine Bearbeitung von
Vs. 22-26 findet sich bei T. Abusch, Mesopota-mian Witchcraft, AMD
5, Leiden u. a. 2002, 80-82. Eine Gesamtbearbeitung von VAT 13776
mit einer Übersicht über die Duplikate und Kollationen zum
Haupttext hat Verf. in KAL I I vorgelegt (Nr. 49).
0"- Otormus-Fflanze,
>Sie-trat-1000-entgegenSie-trat-2[0]-entgegenFuchsweinHundezungeBannSie-trat-1000-entgegenSie-trat-2[0]-entgegen
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Daniel Schwemer
Morjgen läßt du es ihn auf nüchternen Magen trinken. Er wird
erbrechen und ge-ne[sen]. ( R s . i)tormus-Pflanze,
>Sie-trat-1000-entgegenSie-trat-20-entgegenHundezungeSpucke-des-MeeresLöseholzRöhrricht-Apfek,
Fenchel, Gelbwurz, nlnö-Pflanze, (6)asqulö7u-Pflanze,
otö'/su-Pflanze, ozo//u-Pflanze: 23 Drogen zur Lösung von Hexerei.
( 7)[Für den Fall, daß einem Mejnschen (Hexereien mit Hilfe von)
Kräu-tern) zu essen und zu [tr]inken gegeben wurden, ist es gut. Du
gibst (es) ihm in Bier bester Qualität zu trinken, dann wird er
genesen. WGegen einen Menschen wurden alle (Methoden der) Hexerei
zusammen angewen-det, und (das Leiden) dauert trotz der Behandlung
mit der Kühnst des Arztes] Wund der Kunst des Beschwörers an und
ist nicht gelöst:
>Sie-trat-1000-entgegenSie-trat-[20-entgegenHaus des
Beschwörungspriesters< in Assur gefunden. Die Tafel überliefert
ein feierliches Abwehrzauber-Ritual, dem eine ausführliche
Symptom-beschreibung mit Diagnose vorangestellt ist. Die Krankheit
des Patienten wird dann auch innerhalb eines langen, innerhalb des
Rituals zu rezitierenden Gebetes an den Sonnengott Samas nochmals
weitgehend übereinstimmend mit der einleitenden Symptombeschreibung
aus der Sicht des Kranken selbst beschrieben.
Die Fragmente wurden zuerst von E. Ebeling und F. Köcher als LKA
154 und 155 in
290. Eine bestimmte Form der Behexung, die sich nicht nur als
Aphasie i m engeren Sinne, sondern auch in der Unfähigkeit, seine
Interessen etwa bei Hofe oder vor Gericht eloquent durch-zusetzen,
manifestierte.
130
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Texte aus Mesopotamien
Kopie vorgelegt. Eine Teilübersetzung mit gebundener Umschrift
findet sich bei T. Abusch, Mesopotamian Witchcraft, AMD 5, Leiden
u. a. 2002, 90-92 (zuerst publi-ziert 1998). Eine Neukopie und
Bearbeitung des Haupttextes VAT 13609+ wurde von Verf. als KAL II
24 vorgelegt; dort findet sich als Nr. 25 auch eine Neukopie und
Be-arbeitung des wichtigsten Duplikates LKA 157 (ebenfalls eine
Tafel aus dem >Haus des Beschwörungspriesters< in Assur). Ein
weiteres, in manchen Einzelheiten von unserem Haupttext
abweichendes Duplikat des Textes wurde auch in der
>Assurbanipal-Biblio-thek< in Ninive gefunden (K 3394 [SRT
Tf. VII] + unpubl. K 9866). Die Zeilenzäh-lung in vorliegender
Übersetzung folgt LKA 154 + 155 = KAL II 24.
(vs. i)Vvenn einem Menschen das Haupthaar zu Berge ste[ht, wenn
. . . ] , (wenn) seine Lippen ( 2)(ihn) schmerzen, [seine] Oh[ren
dröhnen], sein Speichel läuft, [ . . . ] , seine Nackenwirbel (
3)ihm Schmerzen bereiten, seine Brust [ihn] vor Schmerz verzehrt,
seine Nackenmuskeln verspannt sind, seine Hände und Fü[ße]
H)gelähmt sind (und) [ihn] stechend schmerz[en], er fortwährend
würgt, (aber) nicht er[brechen kann], ( 5)[seinen Leib Lähfjmung
h[ält, sei]ne [Glieder] hingeschüttet [sind], ( 6 ) [ . . . ] . . .
[ . . . ] , er zu schwa[ch] ist, sich zu erheben, zu stehen, zu
reden, ( 7)[dann sind gegen diesen Menschen Hex]ereien vollführt
worden. Man hat sie ihm [mit Brot] zu essen, mit Bier zu trinken
gegeben.
(8)[ ... ] hat ihn gepackt. Der Zorn seines Gottes (und) seiner
Göttin sind gegen ihn entbrannt. ( 9 ) [U]m den Zorn seines Gottes
(und) [seiner] Göttin [versch]winden zu lassen, seinen Gott (und)
seine Göttin mit ihm zu versöhfnen], ( 1 0 ) [um die Hexereien],
die gegen ihn vollführt wurden, zu wenden, um sie dann diejenigen
packen zu lassen, die sie vollführt haben, um diesen Menschen zu
retten O^und ihn zu schonen, um diese [Hexereien aus seinem Leib zu
entfernen:
( 1 2 )D ie zugehörigen [Handlungen]: In der [Na]cht fegst du
den Boden, versprengst rei-nes Wasser, stellst das Weihwassergefäß
auf, legst in das (Wasser des) Weihwasser-gefäß(es) ( 1
3)[Tama]riske, Seifenkraut, salälu-Rohr, Holz von der jungen
Dattelpalme, Zedernholz, Zypressenholz, (14)>Süßrohrsobald die
Sonne aufgeht, stellst du vor Samas ein Tragealtärchen auf. Ein mit
Wacholder gefülltes Räuchergefäß stellst du hin. Bier bester
Qualität 0*)[lib]ierst du. Du nimmst einen Lederbeutel. In den
Lederbeutel hinein legst du Silber; Gold, Kupfer; Zinn, Bl[ei], ( ,
7)[Kar]neol, Lapislazuli, Chalzedon, mussaru-Stein (und)
pop-pard/M-Stein. (* 8)[Zwei Bilder] aus Tamariskenholz, zwei
Bilder aus Zedernholz, zwei Bild[er] aus Talg, zwei Bilder aus
Wachs, zwei Bilder ( , 9 ) [aus Tre]ster, zwei Bilder aus Bitumen,
zwei Bilder aus Ton (und) zwei Bilder aus Teig, (Bilder) eines
Mannes und einer Frau, fertigst du an. Dann ( 2 0)bindest du ihnen
ihre [Ar]me auf den Rücken. Vor Samas stellst du sie auf eine
(oder: die) Mauer ( 2 ' ) [ . . . ] . . . . Du bekleidest sie mit
Schilf-matte^). Öfen stellst du vor Samas hin. ( 2 2 )Du umgibst
s[ie] mit [Zeichnjungen aus ar-suppu-Gerstenmehl, aus s/güsu-Mehl,
aus /nn/nnu-Mehl, aus E[mmer]mehl, ( 2 3)aus [Weiz]en[mehl], aus
Kichererbsenmehl, aus Linsenmehl und aus k/ssenu-Mehl. ( 2 4)[G/ps
(und) Alka]li legst du an ihre Seiten. Einen Wassferschlauch]
füllst du mit Ton an. Zwei Bilder [ ( . . . ) ] ( 2 5 ) [ . . . ]
legst du hinein. Gips (und) Alkfali legst du] an ih[re] Seiten. (
2*)[ . . . ] . . . . Zwei Bilder [legs]t [du ... ] ... [ ... ].
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Daniel Schwemer
beutel he[bt] er mit seinen Händen [empor; . . . ] ( 2 9)hebt er
[mit seinen Händjen empor Die Beschwörung »Ennab dingirrene«
spricht er vor Samas dreimal: 0°)[Beschwörung]: »Ennab dingirrene
namankia bitarre - ( 3 1 ) [ . . . ] die Götter, die die Schicksale
der Gesamtheit von Himmel und Erde entscheiden, ( 3 2)(die) [dos
Leitsei]/ der Gesamtheit von Himmel und Erde halten, ( 3 3 ) [oh]ne
dich, Samas, würden die Rohr-hütten des Reinigungsrituals nicht
freigegeben, ( 3 4)alle [Götter] der Gesamtheit von Himmel und Erde
röchen keine Rauchopfer; ( 3 5 )und die Unterweltsgötter erhielten
kei-ne Totenopfer; ( 3*)der Tote würde nicht einem Totengeist
seiner Familie anvertraut. ( 3 7 )Du läßt [fjür die Lebenden das
Licht aufgehen, ( 3 8)gerecht entscheidest du ihren Prozeß droben
und drunten. ( 3 9 ) [ lch] , . . . (Name getilgt), der Sohn des
Samas-sumu-eres, dein Diener dessen [Go]tt Nabu ist, dessen Göttin
Tasmetu ist - (4 0)[diejenigen, die gegen mich Hexereien,
Zau]bereien, magische Manipulationen (und) böse, gar nicht gute
Machenschaften v[ollführt haben], ( 4 ,)[(oder) haben vollführen
lassen - i]ch kenne (sie) nicht, du aber kennst (sie)!
Steifhei[t
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Texte aus Mesopotamien
getilgt), ( 1 7)dein Dienen hebe, um meine Hexereien,
Zaubereien, [magischen Manipula-tionen] zu lösen, ( 1 S)Silber,
Gold, Kupfer, Zinn, Blei, Karneol, Lapislazuli, Chalzedon,
0^)[mussa]ru-Stein und poppordi/ü-Stein empor! Samas, dies diene
als mein Ersatz, ( 2 0)Samas, dies diene als mein Stellvertreter!
Hexer und Hexe, ( 2 1 ) [die gegen mich He-xerei, Aufjstand und
Böses veranlaßt haben, [ . . . ] zum Bösen! ( 2 2 ) Meine Vergehen
[ . . . ] vor dir, löse meine Strafen! ( 2 3 ) [ . . . ] , mein
Vergehen, meine Schuld, mein Frevel seien getilgt. ( 2 4 ) [ . . .
] , (ebenso) wie Hexereien mich gepackt ha-ben, und des Hexers (2
5>[ . . . , w]eil sie böse Hexereien gegen mich gehext haben,
obwohl ich nicht gegen sie g[ehex]t hatte, ( 2 6)[möge] ich, o
Samas, sie kennen und wohlbehalten einhergehen!« ( 2 7 ) Wortlaut
der Beschwörung, um Hexereien zu wenden und sie diejenigen packen
zu lassen, die sie vollführt haben. ( 2 8 ) Du rezitierst [dies]e
[Beschwörung dreimal]; und wann immer du rezitierst, [
].
Es folgt in Rs. 29ff. eine weitere Ritualanweisung, die jedoch
unmittelbar mit einer wei-teren, ausführlich zitierten Rezitation
einsetzt; nur die letzten Worte dieser Rezitation lassen sich
vollständig wiederherstellen:
( 3 4 ) [ . . . ] . W ie Flußwasser mögen sie 3 9 3 ) sich
auflösen, ( 3 5)[mögen sie zer-gehen], zerfließen. Ihr Leben [möge]
erlöschen!« Dreimal sprichst du (dies). [Dann] . . .
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Daniel Schwemer
beutel wird ein Passant aufheben [ . . . ] .
Assurbanipal-Bibliothek< in Ninive bekannt ist (unpubl. K 8112 +
9666), richtet sich an die imhur-lim-Pflmze, deren Name von den
babylonischen Gelehrten als »Sie trat tausend (Krankheiten
erfolg-reich) entgegen« gedeutet wurde (in Übersetzungen oft als
>Sie-trat-tausend-ent-gegenHeilt-tausend
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Texte aus Mesopotamien
ben Knoten ( , 4)[knotest du (in die Kordel)]. W o immer du
einen Knoten machst, um-gibst du /mbi/r-/im-Pflanze mit gekämmter
Wolle. Die Beschwörung rezitierst du sieben-mal darüber; ( 1
5)[leg]st [sie um seinen Hals]. Hexereien werden ihm nicht nahen 3
0 5) .
2.15 Rituale zur Lösung des >Banns<
Stefan M. Maul
Seit der altbabylonischen Zeit wurden Beschreibungen von
Therapien überliefert, die mit dem sumerischen Rubrum
nam-erim-bür-ru-da, »(Verfahren, um) einen Bann zu lösen« versehen
sind. Durch diese im 1. Jt. v.Chr. zum festen Curriculum eines
Beschwörers zählenden Rituale, die auch die akkadische Bezeichnung
mämitu ana pasäriia6) trugen, sollten drohendes Unheil, Unglück und
vor allem Krankheit, die auf eine grundlegende Störung zwischen
einem Menschen und den Göttern zurück-geführt wurden, abgewehrt
oder abgewendet werden.
Der Name des schweren Leidens, das - sofern es unbehandelt
bleibt - einen tödli-chen Ausgang nehmen konnte, konfrontiert uns
mit altorientalischen Vorstellungen von den Ursachen von Krankheit.
Denn nam-erim = mämitu bezeichnet keineswegs allein oder in erster
Linie eine Erkrankung. Vielmehr gehört der Begriff zunächst in den
Bereich des Rechtswesens. In juristischem Zusammenhang steht der
Begriff mämitu für einen bei den Göttern und dem König geleisteten
Eid, der mit einer Selbstverfluchung für den Fall der
Eidesverletzung verbunden ist. mämitu bezeichnet darüber hinaus
auch den Zustand der >Acht< oder des >BannesBann<
bezeichneten Krankheit sah man vielmehr in einer massiven Störung
im Verhältnis zwischen dem erkrankten Menschen und den Göttern.
Eine Tabuüberschreitung, die als Eidesverletzung gegenüber den
Göttern verstanden wur-de, führte dieser Sichtweise zufolge zu
einem rechtsverbindlichen Götterbeschluß, durch den über den
Betroffenen der >Bann< verhängt wurde, der ihm die Sicherheit
einer rechtlich garantierten Unantastbarkeit entzog. Erst dieser
Zustand der Ban-nung führte zu wahrnehmbaren Symptomen der
Krankheit, die mämitu, >Bann< oder auch >Hand des
Bannes< genannt wurde. Die Ätiologie für die als >Bann<
be-zeichnete Krankheit ist eng mit der Vorstellung von Schuld
verbunden. Sie zwingt
305. Zur Lesung der Ritualanweisung s. die Umschrift bei
Schwemer, Abwehrzauber und Behe-xung, 234 Anm. 9.
306. »(Verfahren, um) einen Bann zu lösen«. 307. Vgl. die
Symptombeschreibungen in dem ersten und dritten hier vorgestellten
Text.
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