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Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Theologische Fakultät Wintersemester 2014/15 Aufbaumodul Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie Dozent: Prof. Dr. Daniel Cyranka Essay zum Thema: Christliche Mission und die Brahmo Samaj: Ein gegenseitiger Austausch. Khelga Sokolova Diplom Ev.Theologie 9. Fachsemester Matrikelnummer: 210245428 Anschrift: Unstrutstraße 12, 06122 Halle (Saale)
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Christliche Mission und die Brahmo Samaj: ein gegenseitiger Austausch

Apr 21, 2023

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Page 1: Christliche Mission und die Brahmo Samaj: ein gegenseitiger Austausch

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Theologische Fakultät

Wintersemester 2014/15

Aufbaumodul Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie

Dozent: Prof. Dr. Daniel Cyranka

Essay zum Thema:

Christliche Mission und die Brahmo Samaj:

Ein gegenseitiger Austausch.

Khelga Sokolova

Diplom Ev.Theologie

9. Fachsemester

Matrikelnummer: 210245428

Anschrift: Unstrutstraße 12, 06122 Halle (Saale)

Page 2: Christliche Mission und die Brahmo Samaj: ein gegenseitiger Austausch

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Einleitung:

Die Entwicklung indischer Reformbewegungen resultierte aus wirtschaftlichen und

territorialen Machtausübungen des Westens: seit 1818 stand der indischer Subkontinent

unter britischen Herrschaft, es entwickelte sich eine Zusammenarbeit zwischen den

lokalen britischen Kolonialmächten und Hindus. Dank dieser Zusammenarbeit hat sich

der Prozess der Rezeption von indischen Texten auf Europa und USA ausgebreitet.

Derselbe Prozess fand auch in Indien statt: die Inder durften die westliche Denkweise

entdecken. Nicht die letzte Rolle hat in diesen Prozessen die christliche Missionsarbeit

gespielt. So haben die Bibelübersetzungen, Schul- und Collegegründungen einen

beachtlichen Einfluss auf das geistige Leben vor allem in Bengalen.

Die westlich ausgebildeten Hindus konnten nicht gleichgültig bleiben, zu der Tatsache,

dass das ganze Land in einer verderbten Form des Götzenkults eingetaucht wurde, und

ein Aberglaube den Sinn der Nation ergriffen hatte. Infolgedessen sind manche Sitten

wie Shudhi, das Werfen der Kinder in Gang-Fluss, Massenverbrennung der Witwen

oder Selbstmord unter den Rädern des Kampfwagens des Jagannath (Gottheit, Form des

Vishnu), modisch geworden und wurden als Tugendtaten betrachtet.

In diesem Gesamtkontext entwickelten sich die Reformbewegungen, deren Anhänger

für sich das Christentum neu entdeckt haben, ohne sich zum Christentum zu bekehren,

sogar mehr – Indien durfte im Westen missionieren (z.B. Ramakrishna Mission).

* * *

Die Entstehung der Brahmo Samaj Gesellschaft ist ein gutes Beispiel für

Selbstverständnis und Fremdwahrnehmung im kolonialen Indien. Die Brahmo Samaj

diente als reformstimulierendes Instrument, Halbfass schreibt folgendes:

Der Brahmo Samaj, Rammohans Reformbewegung, besteht durch Schismen und Wandlungsprozesse

hindurch bis nach 1900 weiter, freilich, nicht als populäre Bewegung, sondern hauptsächlich als

Katalysator für die bengalische Intelligenz und als Ausgangspunkt für mancherlei Nachfolge- und

Gegenströmungen.1

1 Halbfass, Indien und Europa, 228.

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Man datiert die Gründung von Brahmo Samaj in das Jahr 1828, als Rammohun Roy die

erste Reformbewegung gründete. Durch seine Ausbildung ist Roy zuerst von persisch-

islamistischem Geist geprägt, jedoch, wendet er sich zunehmend der Christus-Figur und

seiner Ethik hinzu.2 Die modernen Forscher tendieren zu der Meinung, dass Roys

Gedankenwelt sehr abhängig von den westlichen Einflüssen war.3 Tatsächlich wurde

Rammohan Roy kosmopolitisch erzogen und ausgebildet. Zu der Zeit war die

christliche Mission in Indien stark vertreten, als eines der markanten Beispiele nennt

Lüdekkens die baptistische Mission unter Führung von William Carey. Carey führte

aktive Missionsarbeit zuerst in Kalkutta, dann in naheliegenden Serampore, seine

Missionsarbeit leistete Unterrichtsangebote für Inder, missionarische Predigt,

Beschäftigung mit Hinduismus und Übersetzungsarbeit – Carey übersetzte und druckte

Teile der Bibel in 44 indischen Dialekte. Im Jahr 1818 gab seine Mission die erste

bengalische Zeitung heraus und gründete ein College, an dem westliche

Naturwissenschaften, Englisch, Bengalisch, Sanskrit und Arabisch unterrichtet wurden.

Lüdekkens pointiert zwar, dass im britischen Gebiet die Missionen offiziell erst 1813

zugelassen wurden, das sollte den Missionaren mehr Raum für ihre Tätigkeit geben.

Gemäß der zunehmenden Zahl von Taufen in Bengalen konnte man feststellen, dass die

Missionen einen enormen Einfluss auf die Gesellschaft ausübten. Die Missionen

wurden besonders in medizinischen und sozialen Bereichen aktiv, sie waren

Katalysatoren der späteren Frauenbewegung in Indien. Seit 1856 wurden christlichen

Schulen und Colleges offiziell von der britischen Politik unterstützt.4

Die westlichen Forscher betonen also, dass die Entwicklung von Brahmo Samaj und

weiteren Reformbewegungen in Indien einen engen Zusammenhang mit dem westlichen

Einfluss haben. Um diesen Einfluss deutlicher zu machen, können wir die Lesung von

Keshub Chunder Sen nachschlagen, wo er über die damalige aktuelle Lage berichtet:

„The total number of native converts to Christianity has been estimated at 154,000. There are thirty-two

Missionary Societies engaged in Indian evangelization, of which twelve are British, four Continental,

nine American, and seven devoted to educational purposes. The number of foreign missionaries in India

is 519, and the sum annually spent on missions is £25o,ooo.“5

2 Vgl. Klimkeit, Der politische Hinduismus, 97-98.

3 Lüdekkens, Weltparlament, 37.

4 Vgl. Lüdekkens, ebd., 25.

5 Keshub Chunder Sen, The Brahmo Somaj. Lectures and Tracts, London 1870, 18

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Wie schon früher erwähnt wurde, war der Stifter von Brahmo Samaj, Rammohun Roy,

seit seiner Kindheit verschiedenen nicht-hinduistischen Einflüssen ausgesetzt. Er

stammte aus einer Brahmanen Familie, welche der Tradition der Vaishnavas folgte und

zur muslimischen Regierung von Bengalen Kontakt hatte. Als Jugendlicher lernte er in

muslimisch geprägten Patna Urdu Persisch und Arabisch. Dort setzte er sich mit

Sufismus und mit den Lehren der Mutzaliten, einer islamischen Strömung, die

besonders die Einheit Gottes betont hatte, auseinander. Diese Auseinandersetzung mit

anderen religiösen Traditionen sollte seine vehemente Ablehnung der Idolatrie im

Hinduismus und positive Bewertung des Monotheismus beeinflussen, so die Forscher.

Nach Patna hat er in Varanasi Sanskrit und das hinduistische Schrifttum studiert. Schon

als er 16 Jahre alt war, schreibt er einen Aufsatz, in dem er den Bilderkult angegriff.

Dies verursachte Roy´s Trennung von seiner Familie und er ging nach Kalkutta und

setzte sich in Kontakt mit dem Fort William College – spätestens hier sehen die

Forscher den Ansatzpunkt für die westlichen Einflüsse, die ihn prägten. 1803 wurde er

von den Engländern als Finanzbeamter eingestellt. Zur selben Zeit schreibt er sein

erstes Buch „Tuhfat al-muwahhidin“, wo er die wahre Religion, die allen Menschen von

Natur aus eigen ist, und die kulturbedingten Zusätze unterscheidet. So propagiert er den

Monotheismus und greift irrationale religiöse Elemente an. Er löst das Verhältnis von

der Pluralität der Religionen zur Einheit Gottes, indem er die Idee des einen Gottes in

allen Religionen findet. Roy hielt den zeitgenössischen Hinduismus für ein Stadium des

Verfalls und hatte eine Vorstellung einer idealen vedischen Vergangenheit, in der er den

„wahren“ Hinduismus in den Schriften, wie Veden und Upanischaden, sehen wollte.6

Roy setzte sich mit Christentum spätestens durch die Kontakte zu den baptistischen

Missionaren der Serampore Mission auseinander. Vor allem interessierte ihn die Ethik

des Neuen Testamentes, welche „den gewünschten Effekt der Besserung von

menschlichem Herz und Sinn ergibt“.7 Nach den Übersetzungen von Vedanta und

Upanischaden ins Bengalische und Englische, veröffentlicht er 1820 seine Schrift „The

Precepts of Jesus, the Guide to Peace and Happiness“, was der Erneuerung und

Vertiefung des Hinduismus dienen sollte. Das Christentum selbst spielte für Roy keine

6 Vgl. Lüdekkens, ebd., 37-38.

7 „I feel persuaded that by separating from the other matters contained in the New Testament, the moral

precepts found in that book, these will be more likely to produce the desirable effect of improving the

hearts and minds of men of different persuasions and degrees of understanding“. Nag, Kalidas; Burman,

Debajyoti (Ed.): The English Works of Raja Rammohun Roy, Calcutta 1946. Part V., 4. Zitiert nach

Lüdekkens, S.39.

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große Rolle, er konzentrierte sich explizit auf den ethischen Teil der Lehre. Seine

Position brachte Verständnisschwierigkeiten mit den Missionaren, welche ja die

Aufgabe hatten, möglichst viele Hindus zu Christentum zu konvertieren. Roy war der

Meinung, dass jede Nation, die gottesfürchtig ist und das Richtige tut, von Gott

anerkannt wird und man darf Gott eigentlich in jeder beliebten Form lobpreisen.8 Roy

versuchte aufzuzeigen, dass die ‚Neuerungen‘ des Hinduismus keinesfalls Neuerungen

westlicher Elemente bedürfen, sondern diese schon im Hinduismus und namentlich im

Vedanta vorhanden sind.

Die christlichen Missionare aber, haben sehr scharf auf seine Schrift reagiert, worauf die

weitere Reaktion Roys in seiner Schrift „Appeal to the Christian Public“ folgte, Klaes

äußert sich dazu:

In einem dreifachen „Appeal to the Christian Public“ erwiderte er auf ihre Einwände. Für ihn und seine

reformerische Aufgabe spielte nur die sittliche Lehre des Neuen Testamentes eine Rolle. Wohl verehrte

er Jesus, als den „größten aller Propheten“ und betonte seine enge Beziehung zu Gott dem Vater. Jedoch

den Glauben an die Menschwerdung, an die Erlösung, an das sühnende Kreuzesopfer und die

Auferstehung Jesu lehne er als lehrhafte Zusätze späterer Zeiten ab. Er fürchtete, dass die hervorragende

Rolle, die das Christentum durch die einzigartigen sittlichen Prinzipien für Indien spielen könnte, gerade

durch die Dogmen wieder nivelliert wurden. Denn durch die Herausstellung der Inkarnation würde Jesus

zu einem der vielen Avatars des Hinduismus; und die Beschreibung seiner Wunder und seiner

Auferstehung stellten die Bibel in eine Linie mit den Puranas; durch die Betonung des Sühneopfers

Christi würde das nicht selten blutige Opfersystem in den Hindutempeln nur bestätigt; und schließlich

erinnerte ihn die Weiterentwicklung der persönlichen Beziehung Jesu zu Gott und seiner willentlichen

Einheit mit dem Vater zu einem trinitarischen Dogma an hinduistischen Polytheismus und Götzendienst.9

Roy sah keine wesentlichen Unterschiede zwischen Hindus und Anhänger anderer

Religionen, im Zentrum der Gemeinsamkeiten stellte er einen monotheistischen

Gesichtspunkt. Außerdem, übte er eine gewisse Kritik gegenüber christlichen Tradition,

indem er Bibel und Vedanta verglichen hat: zum Beispiel, die biblischen Versuche,

gewisse Attribute dem Gott anzuschreiben, fehlen in Vedanta überhaupt – daher Roys

Kritik an die Trinitätslehre und gewisse Sympathie zu den Unitarier, welche die Trinität

nicht anerkennen. Auch die Notwendigkeit des Blutopfers (gemeint ist Selbstopfer von

Christus am Kreuz), um vom Schuld befreit zu werden, ist dem Vedanta fern: hier soll

8 „I am led to belief, from reason, what is set forth in scripture, that in every nation he that feareth God

and worketh righteousness is accepted with him”, in whatever form of worship he may have been taught

to glorify God”. Sharma, S.K: Raja Rammohun Roy: An Apostle Of Indian Awakening, New-Dheli 2005,

122. 9 Klaes, Hindu Reformer und Reformbewegungen der Neuzeit, In: Studia Missionalia S.153.

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nur eine aufrichtige Reue und ernsthaftes Gebet helfen.10

Diese systematischen

Versuche, gleichermaßen wie die Übersetzungen des Vedanta und der Upanischaden ins

Englische, sollten Roys kontinuierliche Gegenüberstellung dem missionierenden

Christentum und Versuch die Religion seines Landes zu erneuern verdeutlichen. Roys

Zeitgenossen, allerdings, haben ihn nicht als Hindu anerkannt, so zum Beispiel,

beschreibt Farquhar Roys Versuche zurück zu den Wurzeln des Hinduismus zu kehren

als „deistische Theologie und Anbetung“, der stärkste Vorwurf war aber, dass Roy nicht

an die Reinkarnation geglaubt hatte.11

1826 gründet er selbst ein „Vedantic College“ in Kalkutta, zwei Jahre später gründet er

Brahmo Samaj und 1830 reist nach England – so war er einer der ersten Inder, die aus

Interesse an europäischer Kultur und Christentum nach Europa reisten.12

Bei der

Gründung der Brahmo Samaj war Roys Hauptgedanke den Hinduismus zur

ursprünglichen Reinheit der Anbetung widerherzustellen.13

Roy legt das Programm der

Brahmo Samaj in sog. „Trust Deed“ aus, hier die wichtigsten Auszüge:

Anhänger werden Ihn lieben und Seinen Willen tun und anbeten Einen Absolut Prambrahma,

den Schöpfer, Retter, Zerstörer, den Spender alles Guten in dieser Welt und den Allwissenden

alles Durchdringenden, Transzendenten und Gnädigen.

Die Anhänger werden nicht jedes erschaffenes Ding anbeten, denkend es sei der Allerhöchste.

Die Anhänger sollen gute Taten vollbringen, denn durch die guten Taten kann man Gott dienen.

Er ist der Eine, Einziger und Absoluter

Samaj soll ein Ort der Versammlung aller Religionsgemeinden zur Verehrung des Einen Wahren

Gottes sein.

Kein Objekt der Anbetung oder einer Reihe von Männern werden beschimpft oder verächtlich

angesprochen oder in irgendeiner Weise angespielt.

Kein Götzenbild, Statue oder Skulptur, Schnitzwerk, Malerei oder die Darstellung von

irgendetwas darf darin zugelassen werden.

Auch ist kein belebtes oder unbelebtes Objekt, welches als Objekt der Anbetung anerkannt

wurde oder wird, zugelassen

Jede Art von Opfer ist nicht erlaubt

Förderung, Nächstenliebe, Moralität, Frömmigkeit, Güte, Tugend und Verstärkung der

Verbindung zwischen Menschen aller Religionen und Glaubensbekenntnissen.14

10

Vgl. Kopf, ebd., 13. 11

Vgl. Lüdekkens, ebd., 20. 12

Lüdekkens, ebd., 40. 13

Vgl. Lüdekkens, ebd., 42. 14

http://www.thebrahmosamaj.net/samajes/trustdeed.html

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7

Die Unitarier spielten allerdings eine wesentliche Rolle in der Verbreitung asiatischen

Gedankenguts. Sie haben geholfen die Schriften und Übersetzungen von Rammohun

Roy in den USA zu verbreiten. So hat Roy für Indien die ganze Welt geöffnet und

gleichzeitig umgekehrt: er hat der ganzen Welt Indien präsentiert.

Nach Roys Tod übernahm Debendranath Tagore die Führung der Brahmo Samaj,

Tagore hat die deistische Überzeugungen von Roy nicht unterstützt, jedoch, spielen

auch bei Tagore die westlichen Konzeptionen eine wichtige Rolle. Tagore nutzte eines

der christlichen Instrumente aus: die Mission. Eine besondere Verbindung der Anhänger

der Brahmo Samaj blieb mit den Unitariern, denen drei Ideen der Moderne gemeinsam

waren: Das Ideal einer liberalen Religion, die der Volksreligiosität entgegenstand, die

Ideologie der Sozialreformen und die ein universaler theistischer Progresses

(Vorstellung, dass der Fortschritt der Menschheit durch soziale Reformen zur rationaler

Religion erfolgt wird).15

Nach dem Vorbild des anglikanischen „Book of common Prayer“ gibt er 1843 der

Brahmo Samaj eine Organisation und ein Glaubensbekenntnis und gewinnt viele neue

Mitglieder. Nach wiederholten Konfrontationen mit missionierenden Christen, schließt

sich Tagore 1845 einer Kampagne gegen christliche Konversionen in christlichen

Schulen an und setzt sich für die Gründung einer Hinduschule ein. Das Christentum, so

seine Überzeugung bei aller Anerkennung der Verdienste christlicher Missionare, habe

letztlich Indien nichts zu bieten. Mit der Rückbesinnung auf die Autorität der Veden

und der Wiedereinführung einer Reihe von Hindubräuchen wendet sich der Brahmo-

Samaj unter Tagore fortan wieder entschiedener dem traditionellen Hindutum zu.16

Die Unitarier pflegten weiterhin den Kontakt zur Brahmo Samaj Gesellschaft, was zu

einem tieferen Einfluss führte: 1855 kam Charles Dall, ein Missionar der Unitarier nach

Kalkutta. Durch Kontakt mit Keshub Chandra Sen verbreitete er die Werke von

Transzendentalisten (welche allerdings eine wichtige Rolle in der Vermittlung

asiatischer Traditionen in den USA spielten) unter den Brahmos. Keshub Chandra Sen

selbst war stark von der christlichen Tradition geprägt: indem er 1870 eine Reise in den

Westen unternahm, beschäftigte er sich mit großem Interesse mit dem Christentum und

der Gestalt Jesu Christi. Laut Mozoomdar äußert er sich hierzu das erste Mal bereits

15

Kopf, The Brahmo Samaj, 3. 16

Vgl. Kopf, ebd., 165-166.

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1866 in „Jesus Christ, Europe and Asia“ und in 1879 folgt „India asks who is Christ?“.

Keshub entdeckt Jesus als Asiaten, als einen anderen, als den der Westen ihn in Indien

darstellen will, Sen wirft Europäern vor, dass sie Jesus „privatisiert“ haben und stellt

die Frage zur Diskussion, ob Christus eigentlich nicht näher den Asiaten steht, als den

Europäern?

1865 kommt es zur ersten Spaltung der Gemeinde: Sen tritt ein für eine Aufhebung der

Kastengrenzen und für Zutritt von Frauen zur Gemeinschaft. Sen ist geneigt inspirierte

Quellen außerhalb des Hinduismus zu suchen und durch umfassende Zusammenstellung

religiöser Zeugnisse eine universale Harmonie der Tradition zu demonstrieren. Sen

strebt nicht mehr nur nach Reformhinduismus, sondern nach einer ganz Indien

umfassenden ethisch ausgerichteten Universalreligion. 1865 schreibt Sen einen Vortrag

über den Kampf für religiöse Unabhängigkeit, in dem er der Kalkutta (Adi) Brahmo

Samaj Hochmütigkeit vorgeworfen hat. Ein Exemplar wurde von Sen und

Mozoommdar unterschrieben und direkt Tagore geschickt. Am 11. November 1866

fand ein Treffen im Haus des Kalkutta College statt und die Brahmo Samaj Gesellschaft

Indiens wurde offiziell gegründet. Zu diesem Zeitpunkt gab es 54 Samajas in Indien, 50

in Bengalen, 2 in der Nordwestprovinz, einen im Punjab und einen in Madras. Nach der

Spaltung, die konservativere Gemeinde die Adi Brahmo Samaj (ursprüngliche

Gemeinde) unter Tagors Leitung, beharrend auf seinen Standpunkt vom Hindu

Monotheismus - zog sich Debendranath aus der aktiven Arbeit der Samaj zurück und

verbrachte den Großteil seiner Zeit auf Reisen und besuchte gelegentlich Kalkutta.17

Am 24. Januar 1868 legte Keshub Sen den Grundstein für seine neue Kirche „Stiftshütte

der neuen Dispensation“ und die neu errichtete Kapelle wurde am 22. August 1869

geweiht. Bei der Einweihung sagte er: "Wir glauben an die eine Universale Kirche, die

alle alten Weisheiten verbreitet und alle moderne Wissenschaften annimmt, die in allen

Propheten und Heiligen eine Harmonie, und in allen Schriften - eine Einheit und alle

Dispensationen eine Kontinuität sieht, die alle Unterschiede verneint und immer die

Einheit und Frieden vermehrt, die den Sinn, den Glauben und Bhakti harmonisiert,

Askese und soziale Verpflichtung in ihren höchsten Formen vereinigt und die aus allen

Nationen und Sekten ein Königreich und eine Familie für immer machen wird". Zum

Jubiläumsfest 1879 kündigte Keshub die Geburt der neuen Dispensation an. Er führte in

17

Vgl. Biographie von Keshub Chandra Sen: http://www.thebrahmosamaj.net/founders/keshub.html

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der Kirche die Pilgerfahrt zu Heiligen, die Taufzeremonie, das Abendmahl, die Flaggen-

Zeremonie, die Arati, Spendensammlung und andere Innovationen ein. Er meinte, dass

dies die neue Dispensation ist "... als eine göttliche Botschaft nach Indien geschickt ...

Die Dispensation ist nicht gekommen, um das Gesetz zu zerstören, sondern um das

Gesetz und die Propheten zu erfüllen"(Christus). Sein wichtigster Beitrag ist die

Gewohnheit der täglichen Andacht. Er legte die Grundvoraussetzung des häuslichen

Lebens in seinem Nava Samhita.18

Als Sen in 1878 gegen eigenen reformerischen Grundsätze seine minderjährige Tochter

auf traditionelle Weise mit einem Prinzen verheiratet, kommt es erneut zum Bruch. Ab

1880 nennt sich die Gruppe um Sen Naba Bidhan Brahmo Samaj (die Anhänger hielten

Sen für Prophet der universalen Religion, nach Tod Sen verlor die Naba Bidhan Zweig,

der geneigt war, durch enthuastische Devotion und religiöse Festlichkeiten den

Bedürfnissen weiterer Kreise entgegenzukommen, sehr an Bedeutung.)und die Gruppe,

die um liberale Brahmanen, wekche Sen kritisierten - Sadharan Brahmo Samaj. Im Jahr

1875 trifft Sen Ramakrishna zum ersten Mal, später besucht er die „Vorlesungen“ von

Ramakrishna. Er ist übrigens derjenige, der Ramakrishna der Öffentlichkeit präsentierte.

Keshab berichtete in verschiedenen Zeitungen über Ramakrishna, wodurch viele

westlich ausgerichtete Inder an den Sonntagen den Tempel besuchten. So entwickelte

sich langsam ein eigener Schülerkreis um den Ramakrishna. Sein Name wurde immer

bekannter und es kamen mehr und mehr Menschen zu ihm. Nach Ramakrishnas Tod,

wurde sein Werk durch Svami Vivekananda fortgesetzt, der das Vermächtnis

Ramakrishnas auch in den Westen trug, Hinduismus und Yoga erstmals einer breiten

Öffentlichkeit in den USA und Europa bekannt machte. Er sprach als Vertreter des

Hinduismus im ersten Religionsparlament in Chicago, wo er eine gute Möglichkeit

ausnutzte den neuen Hinduismus dem westlichen Publikum zu präsentieren. Wie die

damaligen Zeitungen zeigen, wurde er zum ungekrönten Star dieses Parlaments. Danach

engagierte ihn ein Vortragsbüro und er hielt USA-weit Vorträge. Er vermied es, einen

Ramakrishna-Kult zu predigen, stattdessen sprach er über die Verwirklichung des

göttlichen Selbst. Nach der Rückkehr nach Indien begründete er die Ramakrishna-

Mission . Allerdings, hatte Vivekananda zeitweise dem Sadharan Brahmo

Samaj angehört.19

18

Vgl. ebd. 19

Vgl. Lüdekkens, 50-62.

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Es ist umstritten, wie stark Sen von dem Mystiker Ramakrishna beinflusst wurde, auf

jeden Fall aber nahm Sen von ihm die Idee von Polarisierung von Ost und West auf: im

Osten sei es die Weisheit zu finden, im Westen - die Wissenschaft, das Ziel sei die

östliche religiöse Weisheit und die westliche rationale Wissenschaft zu verbinden, um

ein neues übergreifendes Weltbild zu schaffen. Sen wurde auch von Ramakrishnas der

revolutionären Idee von Mutterschaft Gottes (Ramakrishna, im Gegenzatz zu Roy, der

den Gott Brahma für eigentlichen Schöpfer der Welt hielt, hat sich als Sohn der Göttin

Kali bezeichnet, die im hinduistischen Pantheon eigentlich eine Göttin des Todes und

Zerstörung ist, wird aber von den Hindus auch als Beschützerin der Menschen und

göttliche Mutter verehrt) beeindruckt und nahm diese in seine eigene Argumentation

gerne auf.

Auf dem Ersten Weltparlament der Religionen in Chicago, in 1893 hat Protap

Mozoomdar die Interessen von Brahmo Samaj vertreten. In seinem Vortrag präsentiert

er die Grundprinzipien der Brahmo Gesellschaft dem christlich geprägten westlichen

Publikum. Für Brahmo Samaj Anhänger sind die Heiligen Schriften von allen

Religionen von gleichem hohem Wert. Dabei ist Mozoomdar überzeugt, dass es

keinem menschlichen Faktor beim kulturellen Austausch der Zivilisationen zu

verdanken sei, sondern nur dem Gott:

“No, it was not the Christian missionary that drew our attention to the Bible; it was not the Mohammedan

priests who showed us the excellent passages in the Koran; it was no Zoroastrian who preached to us the

greatness of his Zend-Avesta; but there was in our hearts the God of infinite reality, the source of

inspiration of all the books, of the Bible, of the Koran, of the Zend-Avesta, who drew our attention to his

excellences as revealed in the record of holy experience everywhere.”20

Der Geist Gottes war immer da und hat alle geistlichen Bücher inspiriert: Koran, Bibel,

Zend-Avesta. Gott selbst soll die Anhänger von Brahmo Samaj zur Erkenntnis geführt

haben: „Unter seiner Leitung und von seinem Licht war es, dass wir diese Tatsache

erkannt haben und auf dem Fels der Ewigkeit und der ewigen Wirklichkeit liegt unsere

theologische Grundlage.“ Es gibt keine Theologie ohne Moral. Es gibt keine Inspiration

des Buches oder Autorität des Propheten ohne persönlichen Heiligkeit – innere und

äußere Reinheit.

20

Barrows, The World´s Parliament of Religion, Vol I, 347.

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Die sozialen Reformen sollen nach dem allumfassenden Prinzip der persönlichen

Reinheit und Heiligkeit der Seele verwirklicht werden. Richtige theologische Basis

kann ja zur sozialen Reformen führen. Nur das richtige Denken und positive öffentliche

Tätigkeit bringt die Rettung der Seele und Erneuerung des Menschen. Diese Erneuerung

passiert dann, wenn drei Prinzipien erfüllt sind: zuerst theologisches Prinzip, dann

moralisches und zuletzt – geistliches. Die moralischen Einstellungen sind noch nicht

Seligkeit selbst. Ein Wunsch gut zu sein bedeutet noch nicht gut zu sein. Was bedeutet

Heiligkeit (Geistlichkeit): Selbsthingabe, das Gebet, die direkte Wahrnehmung des

Geistes Gottes, die Gemeinschaft mit ihm, absolute Selbsterniedrigung vor seiner

Majestät; hingebungsvoller Inbrunst, hingebungsvolle Aufregung, spirituelle

Absorption, leben in und mit Gott.

Das letzte und wichtigste Prinzip der Brahmo Samaj ist die Unendlichkeit Gottes:

unbegrenzt ist seine Göttlichkeit, seine Weisheit und Gerechtigkeit. Gott ist das

unendliche Gute. Brahmo Samaj will alle religiöse Systemen, Prinzipien und Lehren der

Welt harmonisieren und in einem universalen System vereinigen – dieses System soll

Religion von Brahmo Samaj sein.

Die Prinzipien von Brahmo-Samaj Gesellschaft sollten auf den alten hinduistischen

Schriften – Veden und Upanischaden - basieren. Obwohl dem christlichen Leser sofort

ins Auge fällt, dass die Grundprinzipen der Brahmo Gesellschaft viel Gemeinsames mit

christlicher Ethik haben.

Mozoomdar unterstreicht den Wahrheitsanspruch der Brahmo Samaj – der Samen der

ewigen Wahrheit wurde gesät in der Gesellschaft. Gottes Geist und der Samen der

Wahrheit ist mit der Gesellschaft von Brahmo Samaj.

The Christian admires his principles of spiritual culture; the Hindu does the same ; the Mohammedan

does the same. But the Brahmo-Somaj accepts and harmonizes all these precepts, systems, principles,

teachings, and disciplines, and makes them into one system, and that is his religion.21

Mozoomdar sieht die Funktion des Weltparlaments darin, dass es das demonstriert, was

auch die Vertreter von Brahmo Samaj zeigen wollen: alle Religionen führen zu einem

und demselben Gott.

21

Barrows, ebd., 351.

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Um ein eigenes Denksystem zu rechtfertigen, benutzt Mozoomdar eine kontinuierliche

Negierung in seiner Rede und setzt die Prinzipien von Brahmo Samaj ständig den

anderen Religionssystemen gegenüber, dabei unterstreicht er, dass er nicht dafür

gekommen ist, um sein Glaubenssystem zu verteidigen. Die Polarisierung ist besonders

deutlich in seinen Schlussworten, indem er die Pronomen „euer“ und „unser“

verwendet:

“May your labors be blessed with prosperity, and not only shall your Christianity and your America be

exalted, but the Brahmo-Somaj will feel most exalte; and this poor man who has come such a long

distance to crave your sympathy and your kindness shall feel himself amply rewarded. May the spread of

the New Dispensation rest with you and make you our brothers and sisters. Representatives of all

religions, may all your religions merge into the Fatherhood of God and in the brotherhood of man, that

Christ's prophecy may be fulfilled, the world's hope may be fulfilled, and mankind may become one

kingdom with God, our Father.”22

Fazit:

Es ist also zu behaupten, dass es einen gegenseitigen Einfluss zwischen den Vertretern

der westlichen Zivilisation (christliche Mission vor allem) und der Mitwirkenden des

Reformhinduismus, an dessen Anfängen die Brahmo Samaj stand, gab. Selbst wenn die

Vertreter der Brahmo Samaj behaupten, dass es keinen Einfluss seitens westlicher

Zivilisation gab, stimmt das grundsätzlich nicht. Wenn auch der Austausch zwischen

Hindus und westlichen Vertreter mehr in Form einer Reaktion und nicht Synthese

erfolgte, darf man nicht sagen, dass dieser Austausch nicht stattgefunden hat. Das wurde

insbesondere durch neuere ethische Ansätze und Missionsversuche der Vertreter des

Reformhinduismus deutlich. Die Brahmo Gesellschaft hat nicht viel an den Mitgliedern

gewonnen, dies aber war auch nicht ihr Ziel, das eigentliche Ziel war es, die

wesentlichen Reformen für humanisierende Änderung im sozialen Bereich Indiens

hervorzurufen. Dies ist den Anhängern der BS gelungen, indem sie die westlichen

ethischen Prinzipien auf die nationale Sittlichkeit der Hindus projiziert haben.

22

Barrows, ebd., 351.

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Literatur:

1. Barrows, John Henry: The World´s Parliament of Religions, Vol I. London: Review

of Reviews, 1893.

2. Halbfass, Wilhelm: Indien und Europa. Perspektiven einer geistigen Begegnung.

Basel: Schwabe, 1981.

3. Keshub Chunder Sen, The Brahmo Somaj. Lectures and Tracts, Ed. By Sophia

Dobson Collet, London: Strahan & Co., 1870.

4. Klaes, Norbert: Hindu Reformer und Reformbewegungen der Neuzeit, In: Studia

Missionalia, Vol. 34. Rom: E.P.U.G., 1985.

5. Klimkeit, Hans-Joachim: Der politische Hinduismus: indische Denker zwischen

religiöser Reform und politischem Erwachen. Wiesbaden: Harrasowitz, 1981.

6. Kopf, David: The Brahmo Samaj and the Shaping of the Modern Indian Mind.

Princeton University Press, 1979.

7. Lüddeckens, Dorothea: Das Weltparlament der Religionen von 1893: Strukturen

interreligiöser Begegnung im 19.Jahrhundert. Berlin; New York: De Gruyter, 2002.

Internetquelle:

Offizielle Internet-Seite der Brahmo Samaj: http://www.thebrahmosamaj.net/index.html