1 Chemie der Pilze im Chemieunterricht der Sekundarstufen I und II Farina Bunjes, Martin Rühl, Peter Fleischmann, Holger Zorn, Verena Pietzner Einleitung Das Fach Chemie leistet einen spezifischen Beitrag zur naturwis- senschaftlichen Grundbildung. Durch das experimentelle Vorge- hen bei der Auseinandersetzung mit der stofflichen Welt und den zahlreichen Bezügen zum Alltag der Lernenden, bietet das Fach Chemie viele Möglichkeiten, einen auf die Lebenswelt der Schü- lerinnen und Schüler ausgerichteten sowie einen fächerübergrei- fenden Unterricht zu gestalten. Insbesondere durch die Verwen- dung von Alltagsstoffen kann der Forderung nach zunehmender Eigentätigkeit der Lernenden beim Experimentieren nachgegangen werden. Gleichzeitig und gleichgewichtig zu der Lebens- weltorientierung müssen die dabei erlangten chemischen Fachkenntnisse jedoch so gezielt ver- tieft werden, dass sie einen systematischen Sachzusammenhang ergeben, den der Lernende auch für andere Kontexte heranziehen kann. Vor diesem Hintergrund erfüllt das Themengebiet Lebensmittelchemie und im Besonderen das Thema Chemie der Pilze in herausragender Weise die genannten Kriterien. Pilze bieten mit ihrer Vielzahl unterschiedlicher Inhaltsstoffe Anknüpfungspunkte für einen anwendungsbezo- genen und gleichzeitig anspruchsvollen Unterricht. Bei der experimentellen Untersuchung der Pilzinhaltsstoffe können die Schüler wichtige Nachweisreaktionen anwenden und anschließend den molekularen Aufbau der Inhaltsstoffe chemisch betrachten. So vertiefen und vernetzen sie ihr chemisches Wissen mit der Thematik „Pilze“. Fachliche Grundlagen zu Pilzen Pilze sind weder Pflanzen noch Tiere, sondern nehmen ein eigenes Reich ein. Sie sind eukary- otische Lebewesen, die über echte Zellkerne verfügen. Ihre osmotrophe (absorptive) und hete- rotrophe Ernährungsweise eint sie mit Pflanzen, aber sie enthalten kein Chlorophyll. Sie sind auf organische Nährstoffe angewiesen, die sie in gelöster Form von dem umgebenden Substrat durch Osmose aufnehmen. Da die Pilze nicht zur Photosynthese befähigt sind, ernähren sich alle Pilze heterotroph, wobei sie ihre Nahrung durch direkte Absorption aus ihrer Umgebung aufnehmen. Sie leben als Saprobionten, Parasiten und Symbionten (Lelley 1976, S. 31; Meixner 1978, S. 3).
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Chemie der Pilze im Chemieunterricht der Sekundarstufen I ... · Abb. 2: (1) frischer unbehandelter Pilz, (2) Biuret-Nachweis, (3) Ninhydrin-Nachweis, (4) Xanthoprotein- Reaktion
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Chemie der Pilze im Chemieunterricht der Sekundarstufen I und II Farina Bunjes, Martin Rühl, Peter Fleischmann, Holger Zorn, Verena Pietzner
Einleitung
Das Fach Chemie leistet einen spezifischen Beitrag zur naturwis-
senschaftlichen Grundbildung. Durch das experimentelle Vorge-
hen bei der Auseinandersetzung mit der stofflichen Welt und den
zahlreichen Bezügen zum Alltag der Lernenden, bietet das Fach
Chemie viele Möglichkeiten, einen auf die Lebenswelt der Schü-
lerinnen und Schüler ausgerichteten sowie einen fächerübergrei-
fenden Unterricht zu gestalten. Insbesondere durch die Verwen-
dung von Alltagsstoffen kann der Forderung nach zunehmender Eigentätigkeit der Lernenden
beim Experimentieren nachgegangen werden. Gleichzeitig und gleichgewichtig zu der Lebens-
weltorientierung müssen die dabei erlangten chemischen Fachkenntnisse jedoch so gezielt ver-
tieft werden, dass sie einen systematischen Sachzusammenhang ergeben, den der Lernende
auch für andere Kontexte heranziehen kann.
Vor diesem Hintergrund erfüllt das Themengebiet Lebensmittelchemie und im Besonderen das
Thema Chemie der Pilze in herausragender Weise die genannten Kriterien. Pilze bieten mit
ihrer Vielzahl unterschiedlicher Inhaltsstoffe Anknüpfungspunkte für einen anwendungsbezo-
genen und gleichzeitig anspruchsvollen Unterricht. Bei der experimentellen Untersuchung der
Pilzinhaltsstoffe können die Schüler wichtige Nachweisreaktionen anwenden und anschließend
den molekularen Aufbau der Inhaltsstoffe chemisch betrachten. So vertiefen und vernetzen sie
ihr chemisches Wissen mit der Thematik „Pilze“.
Fachliche Grundlagen zu Pilzen
Pilze sind weder Pflanzen noch Tiere, sondern nehmen ein eigenes Reich ein. Sie sind eukary-
otische Lebewesen, die über echte Zellkerne verfügen. Ihre osmotrophe (absorptive) und hete-
rotrophe Ernährungsweise eint sie mit Pflanzen, aber sie enthalten kein Chlorophyll. Sie sind
auf organische Nährstoffe angewiesen, die sie in gelöster Form von dem umgebenden Substrat
durch Osmose aufnehmen. Da die Pilze nicht zur Photosynthese befähigt sind, ernähren sich
alle Pilze heterotroph, wobei sie ihre Nahrung durch direkte Absorption aus ihrer Umgebung
aufnehmen. Sie leben als Saprobionten, Parasiten und Symbionten (Lelley 1976, S. 31; Meixner
1978, S. 3).
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Die Mehrzahl der Pilze sind Saprobionten, die ihre Energie im Besonderen aus Kohlenstoff-
und Stickstoffverbindungen gewinnen, wobei sie diese durch extra-zelluläre Enzyme, sog.
Exoenzyme, direkt aus dem verwendeten toten organischen Material herauslösen. Mit Hilfe der
Enzyme werden die zur Verfügung stehenden Kohlenstoffquellen hydrolysiert und in Mono-
saccharide, vor allem Glucose, zerlegt. Die bedeutendste Fähigkeit der Pilze ist die Zersetzung
von Holz sowie anderer pflanzlicher Abfälle, die Cellulose und Lignin enthalten. Zusammen
mit den Bakterien sind sie die wichtigsten Zersetzer (Destruenten) der Biosphäre und leisten
durch das Mineralisieren hochmolekularer organischer Verbindungen einen wichtigen Beitrag
zum Recycling derjenigen Elemente, die von Lebewesen genutzt werden (Lelley 1976, 31;
Markl 2006, 738; Meixner 1978, 3).
Ein typischer Speisepilz ist der Kulturchampignon (Agaricus bisporus); er gehört zu der Gat-
tung der Basidiomyceten. Die Basidiomyceten oder auch Ständerpilze gehören zu der Klasse
der Echten Pilze (Eumycota). Sie bilden ihre Sporen auf Sporenständer, die als Basidien be-
zeichnet werden, woher der Name dieser Pilzgattung stammt. Die Hutpilze setzen sich aus ei-
nem sichtbaren Teil, dem Fruchtkörper (Basidiocarp), welcher über der Erde wächst, und dem
für das Auge mehr oder weniger im Substrat verborgenen Mycel zusammen. Das Mycel stellt
die Gesamtheit unzähliger, verzweigter, spinnwebartiger Fäden von mikroskopischem Durch-
messer dar. Diese einzelnen Fäden werden als Hyphen bezeichnet. Sie durchwachsen weitflä-
chig das Substrat, wie beispielsweise Holz, Erde oder sonstiges Material. Bei einigen Pilzarten
und im Besonderen in Intensivkulturen (z. B. beim Champignon- und Austernpilz-Anbau)
wächst das Mycel auf die Substratoberfläche hinauf, wo es sich dem Betrachter als ein „Schim-
melbelag“ präsentiert. Bei holzbewohnenden Pilzen wird das Mycel sichtbar, wenn die Rinde
des befallenen Baumes entfernt wird. Im Volksmund wird der Fruchtkörper als „Pilz“ bezeich-
net (Lelley 1976, 24; Teuscher 2011a, 19).
Pilze enthalten eine Vielzahl an Nähr- und Mineralstoffen. So ist Glucose als zentraler Bestand-
teil des Kohlenhydratstoffwechsel auch in Pilzen allgegenwärtig (Deutsche Forschungsanstalt
für Lebensmittelchemie 2001, 268), jedoch keine Stärke. Im Champignon-Fruchtkörper ist mit
0,3 g Fett je 100 g essbaren Pilzanteil vergleichsweise wenig Fett enthalten (Deutsche For-
schungsanstalt für Lebensmittelchemie 2011, 268). Champignons enthalten alle acht essentiel-
len Aminosäuren, viel Vitamin C (4,9 mg pro100 g frischer Frucht) sowie viele Mineralstoffe,
unter anderem Natrium, Kalium und Phosphat. Kulturchampignons verfügen über einen typi-
schen erdig-pilzigen Geruch, für den der Alkohol (−)-(R)-1-Octen-3-ol verantwortlich ist (Ge-
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ruchsschwelle: 1 ppb); er wird in der Lebensmittelindustrie als Pilzaroma verwendet. Im Kul-
turchampignon entsteht (−)-(R)-1-Octen-3-ol durch Oxidation von Linolsäure (Helbling 2000,
19 & 21; Krammer 2003).
Bedeutende Pilzenzyme
Im Pilzmycel sind zwei wichtige Enzymklassen enthalten: Laccasen und Cellulasen. Laccasen
zählen zur Enzymfamilie der Multi-Kupfer-Oxidasen, welche die Ein-Elektron-Oxidation von
vier Substrat-Molekülen katalysieren, während durch eine Vier-Elektronen-Reduktion aus mo-
lekularem Sauerstoff Wasser entsteht (Jones & Solomon 2015, 869; Koschorreck 2008, 13). In
China wurden Laccasen bereits vor über 6000 Jahren zur Produktion von Lack für das Kunst-
handwerk verwendet. Dafür wurde der Saft des Lack-Baumes (Rhus vernicifera) eingesetzt, der
einen großen Anteil an einer Laccase und Urushiol (ein Dihydroxybenzol mit einem zusätzli-
chen organischem Rest) enthält, welches mit Hilfe der Laccase in Gegenwart von Sauerstoff zu
Lack polymerisiert. Auf dieser Fähigkeit basiert der Trivialname der Enzymklasse (Koschor-
reck 2008, 13). Aufgrund des breiten Substratspektrums bieten Laccasen eine Vielzahl an in-
dustriellen Anwendungsmöglichkeiten. Diese Enzymklasse wird hauptsächlich bei der Entfär-
bung von Textilien, insbesondere bei der Bleichung von Indigo-gefärbten Jeans, eingesetzt.
Durch den Einsatz von DeniLite® von Novozymes, eine Kombination industriell hergestellter
Laccasen und dem Redoxmediator Methylsyringat, ersetzt die Chlorbleiche bei der Papierher-
stellung (Koschorreck 2008, 28). Laccasen werden außerdem bei der Korkenherstellung einge-
setzt, um den ungeliebten Korkgeschmack im Wein zu verhindern. Sie sorgen dafür, dass das
in der Rinde der Korkeiche vorliegende, bittere 2,4,6-Trichlorphenol zu Polyphenolen polyme-
risiert wird. So sind Mikroorganismen nicht mehr in der Lage, das Trichlorphenol zu dem Fehl-