INDat Report 02_2017 48 Nach Grußworten durch Prof. Dr. med. Beate A. Schücking, Rektorin der Universität Leipzig, Staatsminister Sebastian Gemkow, Sächsisches Ministerium der Justiz, Dresden, und Prof. Dr. Christian Berger, Universität Leipzig, stellte Prof. Dr. Marc Desens, Universität Leipzig, die Entscheidung des Großen Senats des BFH (Beschl. v. 28.11.2016 – GrS 1/15) vor, die den Sanierungserlass des BMF aus dem Jahr 2003 kassiert hat und die Sanierungspraxis nun vor große Herausforderungen stellt. Desens vertritt die Auffassung, dass die Besteuerung des Forde- rungsverzichts sachlich unbillig sei, wenn dies im Einzelfall nach einer Prognose im Vergleich zur Nichtbesteuerung durch Erlass zu staatlichen Mindereinnahmen führe (»Privatinvestortest«). Für bereits erteilte Steuererlasse sowie verbindliche Auskünfte bestehe Vertrauensschutz. Sodann trug RiBGH a. D. Gerhard Vill, München, humorvoll und engagiert zu »Entwicklungen im Insolvenzanfechtungsrecht« vor. Dabei ging er auf die Rechtsprechung des IX. Senats des BGH ein, während die Reform des Anfechtungsrechts dem Workshop am Nachmittag vorbehalten blieb. So wies Vill u. a. darauf hin, dass eine Anfechtung von Zahlungen im Schutzschirmverfahren aus- scheide (BGH, Urt. v. 16.06.2016 – IX ZR 114/15). Zudem erläuter- te er die Anfechtung bei Zahlungen auf Kredit und auf Schuld (BGH, Urt. v. 28.01.2016 – IX ZR 185/13) sowie die gescheiterte Angehö- rigensanierung durch Selbstmord (BGH, Urt. v. 20.10.2015 – IX ZR 248/14). Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Rechtsprechung zur Kenntnis des Gläubigers von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners (BGH, Urt. v. 14.07.2016 – IX ZR 188/15; BGH, Urt. v. 16.06.2016 – IX ZR 23/15; BGH, Urt. v. 09.06.2016 – IX ZR 174/15). Fotos: Franziska Werner/LIT e. V. Leipzig. Traditionell am Rosenmontag findet unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Christian Berger, Juristenfakultät der Universität Leipzig, der Leipziger Insolvenzrechtstag statt, der auch in diesem Jahr über 300 Teil- nehmer anzog. Im Fokus standen die Themen präventiver Restrukturierungsrahmen, (vorläufiger) Gläubigerausschuss und Insolvenzanfechtungsrecht, nach deren Vorträgen jeweils weiter vertiefende und fruchtbare Workshops folgten – doch es begann mit dem Paukenschlag aus dem BFH. Text: Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Essen Kongresse & Tagungen Brüsseler »Herzstück« ganz nüchtern betrachtet
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Brüsseler »Herzstück« ganz nüchtern betrachtet · Fotos: Franziska Werner/LIT e. V. Leipzig. Traditionell am Rosenmontag findet unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof.
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Nach Grußworten durch Prof. Dr. med. Beate A. Schücking,
Rektorin der Universität Leipzig, Staatsminister Sebastian
Gemkow, Sächsisches Ministerium der Justiz, Dresden, und
Prof. Dr. Christian Berger, Universität Leipzig, stellte Prof. Dr.
Marc Desens, Universität Leipzig, die Entscheidung des Großen
Senats des BFH (Beschl. v. 28.11.2016 – GrS 1/15) vor, die den
Sanierungserlass des BMF aus dem Jahr 2003 kassiert hat und
die Sanierungspraxis nun vor große Herausforderungen stellt.
Desens vertritt die Auffassung, dass die Besteuerung des Forde-
rungsverzichts sachlich unbillig sei, wenn dies im Einzelfall nach
einer Prognose im Vergleich zur Nichtbesteuerung durch Erlass
zu staatlichen Mindereinnahmen führe (»Privatinvestortest«).
Für bereits erteilte Steuererlasse sowie verbindliche Auskünfte
bestehe Vertrauensschutz.
Sodann trug RiBGH a. D. Gerhard Vill, München, humorvoll und
engagiert zu »Entwicklungen im Insolvenzanfechtungsrecht« vor.
Dabei ging er auf die Rechtsprechung des IX. Senats des BGH ein,
während die Reform des Anfechtungsrechts dem Workshop am
Nachmittag vorbehalten blieb. So wies Vill u. a. darauf hin, dass
eine Anfechtung von Zahlungen im Schutzschirmverfahren aus-
scheide (BGH, Urt. v. 16.06.2016 – IX ZR 114/15). Zudem erläuter-
te er die Anfechtung bei Zahlungen auf Kredit und auf Schuld (BGH,
Urt. v. 28.01.2016 – IX ZR 185/13) sowie die gescheiterte Angehö-
rigensanierung durch Selbstmord (BGH, Urt. v. 20.10.2015 – IX ZR
248/14). Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Rechtsprechung
zur Kenntnis des Gläubigers von dem Benachteiligungsvorsatz des
Schuldners (BGH, Urt. v. 14.07.2016 – IX ZR 188/15; BGH, Urt. v.
16.06.2016 – IX ZR 23/15; BGH, Urt. v. 09.06.2016 – IX ZR 174/15). Foto
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Leipzig. Traditionell am Rosenmontag findet unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Christian Berger,
Juristenfakultät der Universität Leipzig, der Leipziger Insolvenzrechtstag statt, der auch in diesem Jahr über 300 Teil-
nehmer anzog. Im Fokus standen die Themen präventiver Restrukturierungsrahmen, (vorläufiger) Gläubigerausschuss
und Insolvenzanfechtungsrecht, nach deren Vorträgen jeweils weiter vertiefende und fruchtbare Workshops folgten –
doch es begann mit dem Paukenschlag aus dem BFH.
Text: Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Essen
Kongresse & Tagungen
Brüsseler »Herzstück« ganz nüchtern betrachtet
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»Die EU-Richtlinie zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfah-
ren« war Gegenstand des Vortrags von Prof. Dr. Heinz Vallender,
Direktor des Instituts für Europäisches und Internationales Insol-
venzrecht der Universität zu Köln. Er stellte zunächst die Historie
dar und warnte vor einer zu eiligen Beschlussfassung. Während
das ESUG auf ein gerichtliches Sanierungsverfahren abstelle, habe
die Kommission der EU ein vorinsolvenzliches Verfahren vor Au-
gen. Die EuInsVO stelle lediglich eine verfahrensrechtliche Rege-
lung dar, enthalte allerdings keine materiell-rechtliche Regelun-
gen. Der Referent gab einen Überblick über die Inhalte: Einführung
eines präventiven Restrukturierungsverfahrens als »Herzstück«
der geplanten Regelung zur Abwendung der Insolvenz, »zweite
Chance« für Unternehmer (»Restschuldbefreiung«) und lankie-
rende Maßnahmen zur Verbesserung der Efizienz von Insolvenz-
verfahren sowie Mindestvorschriften über die Datenerhebung.
Vallender warnte vor einem Nebeneinander von außergerichtli-
chem Restrukturierungsverfahren und gerichtlichem Insolvenz-
planverfahren. Die vorgesehene Dauer der Aussetzung einzelner
Vollstreckungsmaßnahmen von vier Monaten, die sogar auf zwölf
Monate verlängert werden könne, erscheint dem Referenten zu
lang, zumal bei haftungsbeschränkten Gesellschaften die Insol-
venzantragsplicht laufe. Es stelle sich ohnehin die Frage, ob es
überhaupt eine signiikante Anzahl von Verfahren gebe, die sich
für eine vorgerichtliche Restrukturierung eignen. Zudem warnte
er vor unterschiedlichen Regelungen in verschiedenen Mitglied-
staaten, weil dadurch Anreize für einen Insolvenztourismus ge-
schaffen würden. Daher sei es auch zweckmäßig, die Regelungen
über die Erteilung der Restschuldbefreiung zu harmonisieren.
Abschließend vertrat er die Auffassung, dass die Sanierungspri-
vilegien wie die Anfechtungsausschlüsse für Finanzierer und Be-
rater noch eingehend überarbeitet werden müssen, um eine an-
gemessene Lösung zu erreichen. Zumindest die Vorsatzanfechtung
müsse erhalten bleiben. Der RL-Entwurf sei insgesamt auf eine
Vermeidung der Insolvenz gerichtet. Deutschland brauche sich
vor anderen Insolvenzrechtssystemen nicht zu verstecken, aller-
dings müsse sich »Deutschland bewegen«, insbesondere bei der
Restschuldbefreiung.
Nur Plichtausschüsse in der richterlichen Praxis
RiAG Dr. Daniel Blankenburg, Amtsgericht Hannover, refe-
rierte im Anschluss zum Thema »Der (vorläuige) Gläubigeraus-
schuss: Probleme bei der Bestellung, der Aufnahme der Tätigkeit
und der Vergütung«. In seiner berulichen Praxis habe er bisher
nur mit Plichtausschüssen, allerdings nicht mit Antragsaus-
schüssen oder amtswegigen Ausschüssen zu tun gehabt. Pro-
bleme sieht Blankenburg insbesondere bei der Auswahlkompe-
tenz bei den Mitgliedern des vorläuigen Gläubigerausschusses,
der Bestellung jur. Personen, der Anzahl der Gläubigeraus-
schussmitglieder und der Konstituierung vor der Bestellung. Der
Referent ging auch auf Fragen der Haftplichtversicherung der
Mitglieder des Gläubigerausschusses ein. Ausführungen zur Ver-
gütung rundeten den Vortrag ab.
(v. li.) RA Christian Graf Brockdorff, RiAG Dr. Daniel Blankenburg, RA Torsten Steinwachs
Prof. Dr. Christian Berger
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RAin Gülden Hazar-Izci
Der Nachmittag stand im Zeichen der vertiefenden Workshops
sowie des Forums »Aktuelles zum Verbraucherinsolvenz- und Rest-
schuldbefreiungsrecht«. RiBGH a. D. Gerhard Vill und RA Thomas
Mulansky, Dresden, gingen im Workshop I den »Entwicklungen im
Insolvenzanfechtungsrecht« nach, vertieften die Themen des Vor-
mittags und gaben einen Überblick über die Reform durch das
soeben vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Verbesserung
der Rechtssicherheit bei der Insolvenzanfechtung. Prof. Dr. Heinz
Vallender und RA Daniel F. Fritz, Frankfurt am Main, moderierten
den Workshop II zum Thema »Die EU-Richtlinie zum vorinsolvenz-
lichen Sanierungsverfahren«, der auf zahlreiche Teilnehmer stieß
und zu Diskussionen führte. RiAG Dr. Daniel Blankenburg, RA Tors-
ten Steinwachs, Frankfurt, und RA Christian Graf Brockdorff, Pots-
dam, leiteten den Workshop III zum Thema »Der (vorläuige)
Gläubigerausschuss: Probleme bei der Bestellung, der Aufnahme
der Tätigkeit und der Vergütung«. Dabei zeigte sich, dass die
Handhabung regional sehr unterschiedlich ist. Zudem wurde die
Einlussnahme durch Großgläubiger kritisch hinterfragt.
Steuererklärungsplicht im IK-Verfahren ein Muss?
Im gut besuchten Forum behandelten RAin Gülden Hazar-Izci
und RA Stephan Ries, Wuppertal, »Aktuelles zum Verbraucherin-
solvenz- und Restschuldbefreiungsrecht«. Dabei ging es u. a. um
die Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Bescheinigung nach
§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO, das Fehlen von Rechtsmitteln gegen die
gerichtliche Mitteilung über den Eintritt der Rücknahmeiktion
(§ 305 Abs. 3 InsO), den Wegfall der Sperrfristrechtsprechung des
BGH, die Vorwirkungsrechtsprechung zum Anteil der angemelde-
ten deliktischen Forderungen an den Gesamtforderungen, die
sofortige Erteilung der Restschuldbefreiung bei fehlenden Forde-
rungsanmeldungen im Stundungsverfahren, die Vergütung des
Insolvenzverwalters im Verbraucherinsolvenzverfahren, die be-
grenzte Reichweite von Auskunfts- und Mitwirkungsplichten des
berulich selbstständigen Schuldners, die Enthaftungserklärung
des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO und die
Abgabe der Einkommensteuererklärung durch den Insolvenzver-
walter. Ries vertrat die Auffassung, dass die Steuererklärungs-
plicht im Verbraucherinsolvenzverfahren nur bestehe, wenn sich
ein Steuererstattungsanspruch ergebe, der die Kosten der Steuer-
erklärung übersteige. Dies stieß im Publikum auf – zum Teil hef-
tigen – Widerspruch.
Als Abendveranstaltung nach dem spannenden und fruchtba-
ren Kongress stand ein gemeinsames Essen der Referenten und
Teilnehmer in dem gemütlichen Restaurant »Imperii« in der Leip-
ziger Innenstadt auf dem Programm, mit dem der Tag mit weiter-
führenden Gesprächen und Diskussionen ausklang. «
Kongresse & Tagungen
Prof. Dr. Heinz Vallender RiBGH a. D. Gerhard Vill
RA Daniel F. Fritz RA Thomas Mulansky RA Stephan Ries
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Wissenschaftlich wird der Insolvenzsteuerrechtstag von Prof.
Dr. Marc Desens begleitet; er ist Inhaber des Lehrstuhls für
Öffentliches Recht, insbesondere Steuerrecht und Öffentliches
Wirtschaftsrecht an der Universität Leipzig. Angesichts der
besonderen Aktualität begann er die Tagung außerplanmäßig
mit einem eigenen Vortrag über Bedeutung und Wirkungen des
Beschlusses des Großen BFH-Senats vom 28.11.2016 (GrS 1/15).
Dabei ging es u. a. um prozessuale Elemente formaler Einzel-
fallwirkung (vgl. § 11 Abs. 7 FGO), Fragen der verwaltungsin-
ternen Weisungshierarchie, etwa in Gestalt von Anordnungen
der Länderinanzministerien, vorerst keine Erlasserklärungen
abzugeben, sowie um die Verbindlichkeit von bereits erteilten
bzw. noch zu erteilenden Auskünften der Finanzämter (§ 89
Abs. 2 AO), ggf. im zusätzlichen Konlikt zu europarechtlichen
Beihilferestriktionen gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV. Die wichtigs-
ten Kernthesen von Professor Desens lauteten: • Auf der Basis
des Sanierungserlasses bereits erteilte verbindliche »Auskünfte
bleiben gültig; sie sind i. a. R. nicht gem. §§ 129–131 AO oder
§ 89 Abs. 2 S. 5 AO i. V. m. § 2 Abs. 3 StAusKV aufhebbar. Allein
die Tatsache der Vorlage des X. Senats (Beschl. v. 25.03.2015 –
X R 23/13) ließ jedenfalls noch nicht den »Vertrauensschutz«
entfallen. • Für künftige Fälle muss das Finanzamt derzeit
keine verbindliche Auskunft gem. § 89 Abs. 2 AO erteilen, darf
es aber. Ablehnung bedeutet keinen Ermessensfehler, wenn zu
dem Rechtsproblem schon bald eine gesetzliche Regelung oder
eine neue Verwaltungsanweisung bevorsteht (s. AEAO zu § 89
Ziff. 3.5.4). • Die Annahme sachlicher Unbilligkeit im Einzel-
fall ist der Finanzverwaltung gem. §§ 163, 227 AO weiterhin
möglich (s. BFH, a. a. O., Rn. 124, 145), vorausgesetzt, dass an-
dernfalls ein Widerspruch zum gesetzgeberischen Ziel der Erzie-