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"Bild und Geschichte", in: D. Yatromanolakis (ed.), An Archaeology of Representations: Ancient Greek Vase-painting and Contemporary Methodologies, 2009

Feb 24, 2023

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CONTENTS

Preface IX

1. The Razor’s Edge: Heroes in Danger in Early Fifth-century Attic Red-figure Vase-painting 1 Matthias Steinhart, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek/Ludwig-Maximilians-Universität, Munich

2. Connoisseurship: From Ethics to Evidence 25 Richard Neer, University of Chicago

3. Volcanic Landscape with Kraters 50 Nigel J. Spivey, University of Cambridge

4. How not to Tell a Story 76 Jocelyn Penny Small, Rutgers University

5. Char, Μariage et Μixité: Une Μétaphore Visuelle 87 Françoise Frontisi-Ducroux and François Lissarrague,

Collège de France and École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris

6. Thésée l’Athénien au Metropolitan Museum of Art de New York: Scènes Étiologiques de Légitimation et Questions de Méthode 98

Claude Calame, École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris

7. Ponos and the Pleasure of Rest: Some Thoughts on Body Language in Ancient Greek Art and Life 128

Burkhard Fehr, Hamburg University

8. Bild und Geschichte 159 Michalis Tiverios, Aristotle University of Thessalonike

9. Iambic Caricature and Self-representation as a Model for Understanding Internal References among Red-figure Vase-painters and Potters of the Pioneer Group 200 Guy Hedreen, Williams College

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Ponos and the Pleasure of Rest 159

C H A P T E R E I G H T

BILD UND GESCHICHTE

MICHALIS TIVERIOS

Eine in Pella in Makedonien gefundene, um 400 v. Chr. entstandene atti-sche Hydria, auf der der Streit zwischen Athena und Poseidon um den Be-sitz Athens dargestellt ist [Abb. 1-2],1 hat mich kürzlich dazu veranlasst, mich mit der Ikonographie der attischen Töpferwerkstätten gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. und speziell in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges zu beschäftigen.2 Zusätzlich zum Streit der beiden Gottheiten ist auf diesem Gefäß noch der Zweikampf zwischen Erechtheus und Eumolpos dargestellt, das heißt der Krieg zwischen Athen und Eleusis, der bekanntlich eine Episode innerhalb der Geschichte dieses Götterstreits bildet.3 Bei der Darstellung auf der Hydria aus Pella, die S. Drougou stilistisch mit der Werkstatt des Pronomos-Malers verbindet, weckt die offensichtliche Heraushebung des Poseidon besondere Aufmerk-samkeit, des Gottes also, der von den Spartanern besonders verehrt wurde

1 M. Tiverios, “Der Streit um das attische Land. Götter, Heroen und die historische Wirklichkeit,” in V. M. Strocka, Meisterwerke. Internationales Symposion anlässlich des 150. Geburtstages von Adolf Furtwängler, München 2005, 299 ff., 308 ff., Abb. 1-10 und Anm. 1 und 3 (dort die gesamte einschlägige Lit.); außerdem: S. Drougou, War and Peace in Ancient Athens: The Pella Hydria, Athen 2004. Vgl. M. Tiverios, “Athéna et Poséidon se disputent les faveurs d’Athènes,” in A. Samara-Kauffmann, La Mer des dieux, des héros et des hommes dans l’art grec antique, Athen 2008, 125 ff., besonders 127 ff.; E. Cruccas, “Erittonio e l’invenzione dell’autoctonia ateniese: Cronistoria di un’iconografia per um mitto ‘construito’,” in S. Angiolillo—M. Giuman, Imago: Studi di iconografia antica, Cag-liari 2007, 45, Abb. 1.

2 Zur Ikonographie der Werkstätten im Athener Kerameikos in dieser Zeit s. M. Caraba-tea, Iconography of Athenian Art between 430-400 B.C., Diss. University of Oxford 1993.

3 Der Streit wurde zur Zeit der Herrschaft des Königs Kekrops (des Älteren) in Athen ausgetragen und endete in den Jahren unmittelbar nach dem Tode des Erechtheus; s. Ti-verios a. O. (Anm. 1) 303, 304 ff., 308 Abb. 3, 309 Abb. 6-7. Zu diesem Streit s. auch M. Tiverios, “Athéna et Poséidon se disputent les faveurs d’Athènes,” in A. Samara-Kauffmann, La Mer des dieux, des héros et des hommes dans l’art grec antique, Athen 2008, 125 ff.; Cruccas a. O. (Anm. 1) 43 ff. Zu mit dieser Hydria zusammenhängenden Deutungsfragen s. auch u. Anm. 90.

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und der ihnen eben zur Zeit der Entstehung des Gefäßes entscheidend ge-holfen hatte, die Athener zu besiegen.4 Die Herausstellung des Poseidon zu Lasten der Athena auf einem attischen Gefäß muss in der Tat verwundern, ist aber erklärlich, wenn man in Rechnung stellt, dass die Darstellung, e-benso wie einige andere gleichzeitige, vom spartafreundlichen Klima be-einflusst ist, das zu dieser Zeit in Athen herrschte und vor allem vom Re-gime der Dreißig propagiert wurde, die unmittelbar nach dem Ende des Pe-loponnesischen Krieges die Macht an sich gebracht hatten.5

Die Herausstellung des Poseidon auf dem Gefäß aus Pella, der bemer-kenswerterweise ein eindrucksvolles Pferd am Zügel führt, ist wahrschein-lich aber auch dadurch zu erklären, dass dieser Gott von einer Gruppe athe-nischer Bürger besonders verehrt worden ist,6 nämlich von den Athener Oligarchen, zu denen auch die spartafreundlichen Dreißig zählten. Be-kanntlich entstammten die Oligarchen in ihrer Mehrzahl den aristokrati-schen Geschlechtern der Stadt, die über einen langen Zeitraum hinweg die Mitglieder der athenischen Ritterschaft gestellt hatten, auf die sich in dieser Zeit die Herrschaft der Dreißig stützte.7 Der Schutzgott der Athener Ritter

4 Dies zeigt sehr schön das Weihgeschenk, das die Spartaner nach ihrem Sieg bei Aigos-potamoi, der ihnen die endgültige Vorherrschaft über Athen sicherte, in Delphi aufgestellt hatten (Pausanias 10.9.7-10). Es handelte sich um eine aus etwa 40 Statuen bestehende Gruppe. In Zentrum stand Poseidon, der Lysander bekränzte, dem Sparta den Sieg in der Seeschlacht verdankte. Zu diesem Weihgeschenk s. Chr. Ioakimidou, Die Statuenreihen griechischer Poleis und Bünde aus spätarchaischer und klassischer Zeit, München 1997, 107 ff. Zum Kult des Poseidon in Sparta s. J. Mylonopoulos, Πελοπόννησο οἰκητήριον

Ποσειδῶνο: Heiligtümer und Kulte des Poseidon auf der Peloponnes, Liège 2003, 217 ff. und im allgemeinen in Lakonien s. Mylonopoulos a. O. 212 ff.; S. Wide, Lakonische Kulte,Leipzig 1893, 31 ff.; W. Cummer, “The Sanctuary of Poseidon at Tainaron, Lakonia,” Mit-teilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 93 (1978), 35 ff.; N. Papachatzis, “Ποσειδῶν Ταινάριο,” Ἀρχαιολογικὴ Ἐφηµερί 1976, 102 ff.; R. W. M. Schumacher, “Three Related Sanctuaries of Poseidon: Geraistos, Kalaureia and Taina-ron,” in N. Marinatos—R. Hägg (eds.), Greek Sanctuaries, London/New York 1993, 72 ff. Vgl. P. Cartledge, “To Poseidon the Driver: Αn Arkado-Lakonian Ram Dedication,” in G. R. Tsetskhladze et al. (eds.), Periplous, London 2000, 60 ff.

5 Tiverios a. O. (Anm. 1) bes. 307 ff. 316 f. Vgl. M. Robertson, The Art of Vase-painting in Classical Athens, Cambridge 1992, 259.

6 Für eine Analyse der Rolle des Poseidon im athenischen Theater des 5. Jahrhunderts v. Chr. s. A. Gartziou-Tatti, “Ὁ Ποσειδῶν στὸ θέατρο τοῦ ∆ιονύσου,” ∆ωδώνη 29 (2000), 237 ff. mit reicher literarischer Dokumentation.

7 Tiverios a. O. (Anm. 1) 312 f. und Anm. 90 (mit Lit.). Vgl. V. I. Anastasiades, Ἐλευσίνα: Θέατρο µία Ἀντιδραστικῆ Οὐτοπία, Athen 2006, 63 Anm. 48 mit Lit. Sehr bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Episode, die bei Xenophon, Hellenika

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Abb. 1: Pella, Archäologisches Museum Inv.-Nr. 80514.

war Poseidon Hippios, dessen Heiligtum sich auf dem Kolonos Hippios befand. Besonders bezeichnend ist die Tatsache, dass die Volksversamm-lung des Demos, die im Jahre 411 v. Chr. die demokratische Verfassung Athens aufgelöst und durch die oligarchische Herrschaft der Vierhundert ersetzt hatte, nicht auf die Pnyx, sondern in dieses Heiligtum einberufen worden war!8

3.1.4 überliefert ist: Als der Spartaner Thibron von den Athenern 300 Reiter verlangte, die sein Heer von 5000 Peloponnesiern verstärken sollten, das er nach Asien entsandt hatte, «wählten (sie) dazu Leute aus, die in der Reitertruppe der Dreißig gedient hatten, und sand-ten sie ihm in der Meinung, es könne nur ein Vorteil für die Demokratie sein, wenn jene die Stadt verließen und in der Fremde aufgerieben würden» (Übers. G. Strassburger). Vgl. Ari-stoteles, Ἀθηναίων Πολιτεία 38.2. Die enge Verbindung Poseidons zur athenischen Rei-terei ist auch durch andere Schriftquellen bezeugt. Gartziou-Tatti a. O. 237. 242 ff. erinnert z. B. daran, dass sich der bekanntlich aus aristokratischen Rittern bestehende Chor in den «Ἱππῆ» des Aristophanes an die Schutzgötter der Stadt wendet und als ersten Poseidon und erst danach Athena anruft (Z. 581-594). Vgl. auch u. Anm. 8 und 63.

8 Tiverios a. O. (Anm. 1) 313. Die einschlägige Lit. bei Gartziou-Tatti a. O. (Anm. 6) 320 Anm. 2. So wird vielleicht auch besser verständlich, weshalb Poseidon in der mit der Hydria aus Pella gleichzeitigen Gigantomachie-Darstellung, die die bekannte Amphora des

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Abb. 2: Pella, Archäologisches Museum Inv.-Nr. 80514.

Ich werde mich im Folgenden mit einigen anderen attischen Vasenbil-dern aus dem späten 5. und dem frühen 4. Jahrhundert v. Chr. beschäftigen, bei denen mit Hilfe der antiken Schriftquellen ebenfalls Einwirkungen zeit-genössischer historischer Ereignisse aufgezeigt werden können, die sich unmittelbar nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges in Athen abge-spielt haben; zu nennen sind hier vor allem die Aufrichtung des Regimes der Dreißig sowie dessen baldige Beseitigung und die Wiedereinführung der Demokratie.9 In diesen Vasenbildern spiegelt sich auch die latente

Suessula-Malers im Louvre Inv. S 1677 schmückt, zu Pferd kämpft; s. z. B. ARV2 1344.1; W. Kraiker, Die Malerei der Griechen, Stuttgart 1958, Taf. 56; Samara-Kauffmann a. O (Anm. 1), 56-57. Auf einem kampanischen Glockenkrater in Madrid, Museo Arqueológico Nacional Inv. 11095, dessen Thema ebenfalls der «Streit» zwischen Athena und Poseidon um den Besitz Athens ist, ist Poseidon mit einem Flügelpferd mit menschlichem Kopf dar-gestellt, s. z. B. LIMC VII (1994) 474 Nr. 243, s. v. Poseidon (E. Simon).

9 Aus der reichen Lit. zu den historischen Ereignissen dieser Zeit in Athen s. U. Hackl, Die oligarchische Bewegung in Athen am Ausgang des 5. Jahrhunderts v. Chr., Diss. Mün-chen 1960; D. Lotze, Lysander und der Peloponnesische Krieg, Berlin 1964; Cl. Mossé, Ἀθήνα: Ἱστορία µία ∆ηµοκρατία, Athen 1983 (= Histoire d’une démocratie: Athènes,Paris 1971) 115 ff., 119 ff. (Übers. D. Angelidou); G. A. Lehmann, “Die revolutionäre Machtergreifung der «Dreißig» und die staatliche Teilung Attikas (404-401/0 v. Chr.),” in R. Stiehl—G. A. Lehmann (eds.), Antike Universalgeschichte. Festschrift Hans Erich Stier,Münster 1972, 201 ff.; E. Lévy, Athènes devant la défaite de 404, Paris 1976; P. Krentz, TheThirty at Athens, Ithaca, NY/London 1982; Th. C. Loening, The Reconciliation Agreement of 403/402 B.C. in Athens, Stuttgart 1987; B. S. Strauss, Athens after the Peloponnesian War. Class, Faction and Policy 403-386 B.C., London/Sydney 1986; G. Németh, Kritias

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«spartafreundliche» Atmosphäre wider, die nach dem Ende des Krieges für rund 5-10 Jahre vor allem innerhalb der Partei der Oligarchen in Athen ge-herrscht hat.10 Diese «spartafreundliche» Haltung wurde durch das für die besiegten Athener vorteilhafte Verhalten seitens der Spartaner selbst in ent-scheidenden Fragen dieser Zeit gefördert. So gaben die Spartaner nicht dem Drängen ihrer Verbündeten nach, die nach der Niederlage Athens die Ver-nichtung der Stadt forderten, und spielten andererseits bei der Versöhnung der demokratischen und der oligarchischen Bürger Athens sowie bei der Wiederherstellung der Demokratie eine entscheidende Rolle.11

Auf dem Deckel einer Lekanis von der Akropolis, der im Archäologi-schen Nationalmuseum in Athen (Inv. Acr. 594) aufbewahrt wird [Abb. 3-4, Zeichn. 1] und um 400 v. Chr. zu datieren ist, war offenbar ebenfalls der Streit zwischen Athena und Poseidon um den Besitz Athens dargestellt. Das Gefäß ist eine Arbeit des Töpfers Mikion, und sein Maler, der konven-tionell als Mikion-Maler bezeichnet wird, hat—wenn wir die Signatur auf dem Deckel korrekt ergänzen [Abb. 3(a)]—möglicherweise den Namen Euemporos getragen.12 Obwohl der Deckel also eine interessante Darstel-lung trägt, hat er, wahrscheinlich wegen seines fragmentarischen Erhal-tungszustands, in der Forschung nur wenig Beachtung gefunden. Die vier

und die dreißig Tyrannen: Untersuchungen zur Politik und Prosopographie der Führungs-elite in Athen 404/403 v.Chr., Stuttgart 2006; Anastasiades a. O. (Anm. 7) besonders 29 ff., 71 ff.

10 Wenn die «Saltantes Lacaenae» des Kallimachos im Erechtheion, der gemeinsamen Kultstätte der Athena, des Poseidon und des Erechtheus, gestanden haben, dann spiegelt wahrscheinlich auch dies die den Spartanern günstige Haltung des offiziellen athenischen Staates in dieser Zeit wider, s. M. A. Tiverios, “Saltantes Lacaenae,” Ἀρχαιολογικὴ

Ἐφηµερί 1981, 25 ff. und bes. 29 f., 37. Vgl. O. Palagia, “A Niche for Kallimachos’ Lamp?,” American Journal of Archaeology 88 (1984), 518.

11 Tiverios a. O. (Anm. 1) 307 ff.; s. auch Anastasiades a. O. (Anm. 7) 77 f. mit Anm. 9. Vgl. Aristoteles, Ἀθηναίων Πολιτεία 38.4.

12 ARV2 1341.1 (Mitte); B. Graef—E. Langlotz, Die antiken Vasen von der Akropolis zu Athen II, Berlin 1933, 54 Nr. 594, Taf. 45 Nr. 594 a-c. e; J. Boardman, Athenian Red Figure Vases: The Classical Period, London 1989, 168, 176 Abb. 331; Robertson a. O. (Anm. 5) 249 f.; A. Delivorrias, “Ein klassischer Statuentypus des Poseidon,” in V. M. Strocka (ed.), Meisterwerke. Internationales Symposion anlässlich des 150. Geburtstages von Adolf Furt-wängler, München 2005, 165 und Anm. 51 zu dem oben Zitierten, dort auch die gesamte Lit. zu diesem Gefäß. s. auch Cruccas a. O. (Anm. 1) 45 f. und Tiverios a. O (Anm. 3) 131 ff., Fig. 4; U. Kron, Die zehn attischen Phylenheroen: Geschichte, Mythos, Kult und Dar-stellungen, Berlin 1976, 261 K 23 nimmt zu Unrecht an, dass es sich nicht um eine Lekanis, sondern um eine Pyxis handelt; s. auch LIMC VI 1, 1087 Nr. 25, s. v. Kekrops (I. Kasper-Butz—I. Krauskopf).

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erhaltenen Fragmente des Deckels,13 über deren Anordnung Vermutungen angestellt werden können, lassen auf einen Durchmesser von etwa 0,45 m schließen. Rechts von Fragment Inv. 594a [Abb. 3(a)], auf dem der Ober-körper der nach links gewandten Athena und ein Teil ihres Ölbaums erhal-ten sind, ist das Fragment Inv. 594 e [Abb. 3(b)] anzuordnen, das einen Teil des schlangenleibigen Kekrops zeigt,14 der ein Zepter hält und sich eben-falls nach links wendet. Seine Platzierung hinter Athena ist durch andere Darstellungen dieses Themas belegt.15 Links von Athena ist das Fragment Inv. 594 b [Abb. 4(a)] zu rekonstruieren, auf dem man links Felsen auf dem Meeresgrund und weiter rechts zwei Fische erkennt.16 Hier haben wir of-fensichtlich die Welt des Poseidon und damit zugleich dessen Geschenk an Athen, das «Meer», vor uns.17 Am rechten Rand der Scherbe ist die große Zehe eines offenbar rechten Fußes einer nach links stehenden Gestalt erhal-

13 Jedes dieser vier Bruchstücke mit Ausnahme von Nr. 594 c [Abb. 4(b)] besteht aus mehreren Scherben, von denen einige erst nach der Publikation von Graef—Langlotz a. O. aufgefunden und angefügt worden sind. So konnte an das Bruchstück 594 e [Abb. 3(b)] eine neue Scherbe angefügt werden, die die Gestalt des hier dargestellten Kekrops erheblich be-reichert. An dieser Stelle ist anzumerken, dass auf dieser Scherbe eine von den anderen Scherben abweichende Farbigkeit der sekundären Schmuckflächen festzustellen ist. So be-sitzen z. B. das schmale Band, das der Komposition als Grundlinie dient, und die Unterkante des Randes bei dieser Scherbe einen «helleren Schwarzton», während die entsprechenden Zonen bei den übrigen Scherben (s. z. B. Abb. 4(a-b) tonfarbig sind. In Wirklichkeit waren diese Zonen der Lekanis ursprünglich mit einem schwach bräunlichen Schlicker bemalt, der auf der Scherbe Nr. 594 e [Abb. 3 (b)] infolge eines «zweiten Brandes» den erwähnten «hel-leren Schwarzton» angenommen hat. An die Scherbe 594 b [Abb. 4(a)] ist links und rechts jeweils eine weitere Scherbe angesetzt worden, auf denen Abschnitte des felsigen Grundes des “Meeres” des Poseidon (links) und des Akropolisfelsens (rechts) erhalten sind. Bei der links angefügten Scherbe handelt es sich möglicherweise um die Scherbe 594 d, die zwar bei Graef—Langlotz erwähnt, aber nicht abgebildet ist.

14 Kron a. O. (Anm. 12) 98. Zu diesem mythischen König s. zuletzt L. Gourmelen, Ké-krops, le roi-serpent: Imaginaire athénien, représentations de l’humain et de l’animalité en Grèce ancienne, Paris 2004.

15 s. z. B. Tiverios a. O. (Anm. 1) 308 Abb. 2. 4; 310 Abb. 9. Dasselbe ist auch im Westgiebel des Parthenon der Fall.

16 Hier sind außer den beiden Fischen noch zwei-drei Wellen in Form von Gruppen kon-zentrischer Halbkreise in weißer Zusatzfarbe angegeben, die heute weitgehend abgeplatzt ist; s. Graef—Langlotz a. O. Anm. 12. Alle Spuren an dieser Stelle des Gefäßes rühren von Abplatzungen her, s. Graef—Langlotz a. O. (Anm. 12).

17 Eine entsprechende Darstellung des «Geschenks» des Poseidon findet sich auf dem kampanischen Glockenkrater in Madrid, Museo Arqueológico Nacional Inv. 11095 (s. o. Anm. 8), dessen Thema ebenfalls der «Streit» zwischen Athena und Poseidon ist.

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ten. M. E. gehört er zur Gestalt der Athena, und zwar nicht nur weil ihr Platz in der Nähe des «Meeres» des Poseidon angemessen ist, sondern auch weil die vertikale Linie auf dem oberen Abschnitt der links anschließenden Felsenlandschaft offenbar den linken Kontur des Olivenbaumes markiert, von dem zwei Zweige auf der Scherbe Nr. 594 a [Abb. 3(a)] genau vor A-thena dargestellt sind. Wenn der auf dem vierten Fragment Nr. 594 c [Abb. 4(b)] erhaltene nackte rechte Fuß einer nach rechts gewandten Gestalt zu Poseidon gehört, was ich für sehr wahrscheinlich halte, dann ist dieses Fragment unmittelbar links der Scherbe Nr. 594 b [Abb. 4(a)] anzuord-nen.18 Wie zu erwarten, wendet sich der Gott nach rechts Athena zu und hatte seinen etwas angehobenen linken Fuß auf den Felsen gestellt, dessen unterer Abschnitt auf der Scherbe Nr. 594 b [Abb. 4(a)] erhalten ist. In die-sem Fall wäre der Gott des Meeres in einem Standmotiv wiedergegeben gewesen, das auch durch zahlreiche Gruppenkompositionen aus der Zeit der Lekanis bekannt ist, die ebenfalls seinen Streit mit Athena zum Inhalt haben.19 Durch diesen Ergänzungsvorschlag für den fehlenden Teil der Darstellung an dieser Stelle wird auch der große Raum oberhalb der Felsen-landschaft und des «Meeres» des Poseidon auf der Scherbe Nr. 594 b [Abb. 4(a)] in befriedigender Weise ausgefüllt. Einen großen Teil der Fläche rechts wird der Olivenbaum mit seinen Zweigen eingenommen haben, links von dem der Meeresgott wahrscheinlich mit seinem Dreizack dargestellt war. Weitere Hinweise auf die Benennung dieser Gestalt kann die folgende auf der Scherbe Nr. 594 c erhaltene Figur beisteuern, die sich mit ausgrei-fendem Schritt nach rechts bewegt. Sie ist mit dem Chiton, einem reich ge-schmückten Ependytes und hohen Stiefeln bekleidet und wird gewöhnlich mit Dionysos identifiziert,20 der allerdings innerhalb der Darstellungen des Streits zwischen Athena und Poseidon stets auf Seiten der Göttin steht,21 während die auf dem Deckel dargestellte Gestalt aufgrund ihrer

18 Für die Nachbarschaft der Scherben Nr. 594 b [Abb. 4(a)] und 594 c [Abb. 4(b)] spre-chen auch die Ähnlichkeit der Spuren des Rades auf diesen beiden Scherben und die Farb-schattierungen. Auf der Grundlage des Mäanderbandes, das die vertikale Fläche des Randes schmückt, kann der Abstand, der die beiden Scherben voneinander trennt, auf die Breite von zwei Mäanderplatten geschätzt werden (Zeichn. 1).

19 s. z. B. Tiverios a. O. (Anm. 1) 316 Anm. 117 mit Abb. 13 und Delivorrias a. O. (Anm. 12) 158 ff. mit Abb. 1-10.

20 s. z. B. Kasper-Butz—Krauskopf a. O. (Anm. 12) und Kron a. O. (Anm. 12) 98 Anm. 446. 21 s. z. B. Tiverios a. O. (Anm. 1) 300 ff., 308 Abb. 2-4, 310 Abb. 11, 314. Ich weise

darauf hin, dass auch auf dem in Anm. 8 und 17 genannten kampanischen Glockenkrater in Madrid hinter Athena Dionysos erscheint, was auch auf den bekannten Hydrien aus Pella

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Abb. 3(a)-(b): Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv.-Nr. Acr. 594.

Abb. 4(a)-(b): Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv.-Nr. Acr. 594.

und in St. Petersburg der Fall ist, s. z. B. Tiverios a. O. (Anm. 1) 308 Abb. 2-4, 310 Abb. 11. Hinter Athena ist Dionysos auch auf einem etruskischen (faliskischen) Kelchkrater aus der Sammlung Hirschmann dargestellt, der sich heute im Louvre Inv. CA 7426 befindet; er stammt aus der Zeit um 380-360 v. Chr. und trägt ebenfalls eine Darstellung des «Streits» zwischen Athena und Poseidon um den Besitz Athens, s. H. Bloesch (ed.), Griechische Va-sen der Sammlung Hirschmann, Zürich 1982, 86 f. (H. Bloesch) und LIMC VII (1994) 481 Nr. 11, s. v. Poseidon/Nethuns (I. Krauskopf).

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Zeichn. 1: Teilrekonstruktion der Darstellung auf dem Deckel der attisch rotfigurige Lekanis in Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv.-Nr. Acr. 594

(Zeichn.: G. Miltsakakis).

Bewegungsrichtung zur Partei des Poseidon gehört haben muss. Einen wichtigen Hinweis auf ihre Benennung gibt das zwischen den Buchstaben des Namens «ΜΙΚΙΩ[Ν]» oberhalb eines Felsens erhaltene untere Ende einer Fackel,22 die sie offenbar in ihrer linken Hand gehalten hat. Sucht man nun nach einem möglichen Kampfgefährten des Poseidon bei seiner Auseinandersetzung mit Athena, der mit einem «priesterlichen» Ependytes, einem «thrakisches Gewand», bekleidet sein könnte und eine Fackel hält, so fällt die Wahl fast zwangsläufig auf dessen Sohn Eumolpos. Wie oben bereits gesagt, nimmt diese thrakische und zugleich eleusinische Gestalt an der Seite ihres Vaters aktiv am Kampf der Götter um den Besitz Athens teil. Wenn diese Vermutung zutrifft, dann könnte der über dem Namen «ΜΙΚΙΩ[Ν]» erhaltene Buchstabe «E» den Anfangsbuchstaben des Namens «E[ΥΜΟΛΠΟΣ]» gebildet haben.23 Die Anwesenheit des Eumolpos führt

22 Graef—Langlotz a. O. (Anm. 12) versehen die Deutung als Fackel mit einem Frage-zeichen; sie ist jedoch durch die erhaltene Spur eines horizontalen Riemens gesichert.

23 Diese Möglichkeit gewinnt durch die Tatsache an Wahrscheinlichkeit, dass auf dem Fragment mit der Gestalt der Athena die Namen auf dieselbe Weise und in derselben Rei-henfolge beigeschrieben sind: Auf beiden Stellen des Gefäßes stehen jeweils in der ersten Reihe der Name der dargestellten Gestalten ΑΘΗΝΑ (oder ΑΘΗΝΑ[ΙΑ)-Ε[ΥΜΟΛΠΟΣ]und unmittelbar darunter die Signaturen der Töpfer (ΕΥΕ[Μ]ΠΟ[ΡΟΣ]/ΕΓ[ΡΑΨΕΝ]-ΜΙΚΙΩ[Ν ΕΠΟΙΗΣΕΝ]). Langlotz las aufgrund der Nachbarschaft der Worte und der fast

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zu der Annahme, dass hinter Athena analog zu diesem wahrscheinlich Erechtheus dargestellt gewesen ist. Aufgrund der Größe der Lekanis ist mit Sicherheit anzunehmen, dass zusätzlich zu den erhaltenen und zu Erechtheus noch weitere Gestalten dargestellt gewesen sind, wie etwa analog zu Kekrops der zur Partei des Poseidon gehörige Triton. Es ist nicht auszu-schließen, dass das hinter Eumolpos erhaltene Ende eines stabartigen Gegenstands [Abb. 4(b)], der kaum mit diesem in Verbindung gebracht werden kann, zum Dreizack (oder Zepter) des Triton gehört hat.24

stoichedon angeordneten Buchstaben hinter der Gestalt der Athena Ἀθηνα[ίαι ἀνέθηκεν]/Εὐέ[µ]πο[ρο ὁ δείνα] ἐπ[οίησεν] und vor Eumolpos ἔ[γραψεν]/Μικίω[ν, s. Graef—Langlotz a. O. (Anm. 12). Nach dem Fund einer weiteren Lekanis, die die ebenfalls stoichedon geschriebene Signatur «Μικίω[ν]/ἐποίη[σεν» trägt, verliert die Lesung von Langlotz an Wahrscheinlichkeit, s. ARV2 1341.2 (Mitte). Zu den Inschriften auf den Lekani-den von der Akropolis und der Pnyx, die alle mit weißer Zusatzfarbe ausgeführt sind, s. auch H. R. I. Immerwahr, A Corpus of Attic Vase Inscriptions 1, Preliminary Edition 1998, 332-333 Nr. 1405 und 428 Nr. 1871. Der Name ΜΙΚΙΩ[Ν, unter dem das Wort ΓΡΑΨΑΣ er-scheint, begegnet auch auf einem rotfigurigen Votivpinax von der Akropolis heute im Athe-ner Archäologischen Nationalmuseum Inv. Acr. 1051, s. ARV2 1341 (Mitte) und Add.2 367 (1341); Graef—Langlotz a. O. (Anm. 12) Taf. 81; Immerwahr a. O. 346 Nr. 1469. Das Werk wird gegenüber der Lekanis von der Akropolis als stilistisch älter eingestuft, s. ARV2

1341 und Robertson a. O. (Anm. 5) 250. In der Tat scheint der Stil der hier dargestellten Gestalten altertümlicher als derjenige der Gestalten der Lekanis. Die Palmetten auf dem Votivpinax sind allerdings gut mit solchen auf attischen Vasen des späten 5. Jahrhunderts v. Chr. vergleichbar, so dass ich es nicht für ausgeschlossen halte, dass dieser Pinax ein—wenn auch älteres—Werk desselben Vasenmalers sein könnte, der die beiden Lekaniden des Mi-kion von der Akropolis und der Pnyx bemalt hat; vgl. Robertson a. O. (Anm. 5) 250. In die-sem Fall könnte die ebenfalls mit weißer Zusatzfarbe und fast stoichedon aufgetragene Sig-natur auf dem Pinax wie folgt ergänzt werden: Μικίω[ν ἀνέθηκεν ho/γράψα [Εὐέµπορο.Ein anderer Lekanisdeckel von der Akropolis, heute im Athener Archäologischen National-museum Inv. Acr. 1478, trägt die eingeritzte Inschrift: ΜΙΚΙΩ..., s. Graef—Langlotz a. O. (Anm. 12) Taf. 91 Nr. 1478 und Immerwahr a. O. 385 Nr. 1673.

24 Es könnte auch die Personifikation Attikas (oder Athens) dargestellt sein, was sehr wahrscheinlich bei dem Kelchkrater in München, Staatliche Antikensammlungen Inv. 6488 (2392) der Fall ist. Dieses in den ersten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts v. Chr. entstandene Gefäß ist zwar in Attika gefunden worden, gilt aber als böotisch, s. LIMC III (1986) 19 Nr. 1, s. v. Attike (G. Berger-Doer); LIMC VII (1994) 474 Nr. 244, s. v. Poseidon (E. Simon) mit Lit. Bei den von A. Andreiomenou in Akraiphnio in Böotien durchgeführten Ausgrabungen ist ein weiteres (attisch?) rotfiguriges Gefäß (Teller) vom Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. mit einer Darstellung des Streits zwischen Athena und Poseidon um den Besitz Athens ge-funden worden. Vielleicht hat die Rolle, die Theben bei der Wiederherstellung der Demo-kratie in Athen gespielt hat, zur Aufnahme dieses Themas in Böotien beigetragen.

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Poseidon bewegt sich innerhalb dieser Komposition nach rechts, in die Richtung also, die innerhalb der Ikonographie gewöhnlich die Sieger cha-rakterisiert.25 Wenn dies kein Zufall ist, dann kommt hierdurch vielleicht die Sympathie des Vasenmalers (oder des Auftraggebers des Gefäßes) für diesen Gott zum Ausdruck. Und weiter: Wenn man die Haltung der Athena dahingehend deutet, dass die Götter nicht im Kampf aufeinander prallen, sondern ihren Streit mit friedlichen Mitteln beilegen, dann liegt die Frage nahe, ob der Vasenmaler nicht vielleicht vom allgemeinen Klima beein-flusst worden ist, das zu dieser Zeit in Athen geherrscht und nach der Ver-söhnung der Demokraten und der Oligarchen in der Stadt—und warum nicht auch Athens und Spartas—verlangt hat. Das friedliche Nebeneinander der beiden Gottheiten war auch in einer wahrscheinlich zeitgenössischen Statuengruppe dargestellt, die auf der Athener Akropolis aufgestellt war. Nachklänge dieser Gruppe sind auf einem römischen Puteal, späteren atti-schen Münzen, Medaillons, Siegelsteinen und vielleicht auch durch verein-zelte römische Kopien überliefert, die zeigen, dass Poseidon in dieser Gruppe ebenfalls nach rechts gewendet war.26 Wahrscheinlich geht auch eine Darstellung auf einem zeitgenössischen attisch rotfigurigen Gefäß auf diese Gruppe zurück.27

Auch die Anwesenheit des eleusinischen Eumolpos innerhalb einer Dar-stellung dieser Zeit, die den Streit zwischen Athena und Poseidon zum In-halt hat, kann nicht allein durch die bezeugte Teilnahme des Heros an die-ser göttlichen Auseinandersetzung gerechtfertigt werden, denn Eleusis, wo Poseidon wahrscheinlich als Vater des Eumolpos als «Patroos» verehrt

25 s. H. Luschey, Rechts und Links: Untersuchungen über Bewegungsrichtung, Seiten-ordnung und Höhenordnung als Elemente der antiken Bildsprache, Berlin 2002.

26 Zu diesem Werk, das von einigen Forschern ins 5. Jahrhundert v. Chr. datiert, von an-deren dagegen als klassizistisch eingestuft wird, s. Tiverios a. O. (Anm. 1) 316 mit Anm. 117 und bes. Delivorrias a. O. (Anm. 12) 162 ff. mit der diesbezüglichen Diskussion und Lit. Delivorrias a. O. 158 ff. vertritt die Meinung, dass ein durch römische Kopien, darunter eine antoninische aus Eleusis, überlieferter Poseidon-Typus auf ein Original der Zeit um 440-430 v. Chr. zurückgehe. Dieser Typus sei eng mit den oben angeführten römischen Denkmälern verwandt und deshalb wie diese auf die Gruppe auf der Akropolis zurückzufüh-ren. Wenn dies zutrifft, dann hat es in Eleusis im 2. Jahrhundert n. Chr. nicht nur «Kopien» von klassischen athenischen Gebäuden und Giebelkompositionen, sondern auch von Weih-geschenken gegeben! Vgl. Tiverios a. O. (Anm. 1) 316 Anm. 117.

27 Tiverios a. O. (Anm. 1) 311 Abb. 13, 316 mit Anm. 118. Vgl. Tiverios a. O. (Anm. 3) 132 f., Fig. 8.

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wurde,28 spielte innerhalb der politischen Entwicklungen in Athen unmit-telbar nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges eine wichtige Rolle. Die Dreißig und ihre Parteigänger wählten Eleusis als ihren Sitz, und dorthin flohen sie nach der Wiederherstellung der Demokratie in Athen. Gemäß den Bedingungen für die Aussöhnung, die durch die, wie schon gesagt, ausschlaggebende Vermittlung Spartas zwischen den Demokraten und den Oligarchen erreicht wurde, erhielt Eleusis den Status eines unabhängigen Staates, der fast zwei Jahre lang Bestand hatte.29

Mit dem Krieg zwischen Athen und Eleusis, der, wie gesagt, als Teil der Auseinandersetzung zwischen Athena und Poseidon um den Besitz Athens angesehen wurde, muss noch eine weitere Darstellung aus der Zeit um 395-390 v. Chr. in Zusammenhang stehen. Sie findet sich auf der Vorderseite eines bedauerlicherweise ebenfalls nur fragmentarisch erhaltenen, in O-lynth gefundenen großen Glockenkraters, der im Archäologischen Museum von Polygyros aufbewahrt wird [Abb. 5-6].30 Das Vasenbild ist mit dem Stil des Pronomos-Malers in Verbindung gebracht worden, doch hat es Ian McPhee kürzlich einem Maler zugewiesen, den er als Maler von Montesar-chio T. 121 bezeichnet; er datiert den Krater in die Jahrzehnte 390-370 v. Chr.31 Poseidon, der in dieser Zeit von den Spartanern wie von den Athener Oligarchen gleichermaßen hoch geschätzte Gott, spielt auch in dieser Dar-stellung offensichtlich eine wichtige Rolle. Zahlreiche der erhaltenen Ges-talten der Komposition wenden sich zu ihm hin. Dass in seiner unmittelba-ren Nähe auch die Dioskuren dargestellt sind, wird man wohl als Anspie-lung auf Sparta selbst auffassen dürfen.32

28 A. Mommsen, Feste der Stadt Athen im Altertum, Leipzig 1898, 257 f. Anm. 1, 267. 29 Tiverios a. O. (Anm. 1) 312, 314 f. Zu diesem Thema s. auch die neueste Monogra-

phie von Anastasiades, a. O. (Anm. 7) mit der gesamten betreffenden Lit. 30 D. M. Robinson, Olynthus V, Baltimore 1933, 107 ff. Nr. 130, Taf. 77 (der Krater trug

im Grabungsinventar von Olynth die Nr. 272). F. Brommer, “Vier mythologische Vasen-bilder in Griechenland,” Athens Annals of Archaeology V (1972), 451 ff., Abb. 1-3; A. Her-mary, “Trois notes d’iconographie,” Bulletin de Correspondance Hellénique 110 (1986), 224 ff., Abb. 2-3; I. McPhee, “The Painter of Montesarchio T.121: An Athenian Vase-painter of the Fourth Century B.C.,” in J. H. Oakley et al. (eds.), Athenian Potters and Painters, Oxford 1997, 253 ff., Abb. 11-12, 256 Nr. 3 (mit. Lit.); LIMC IV 1, 931 Nr. 17, s. v. Erechtheus (mit Lit.) (U. Kron).

31 McPhee a. O. 253 ff. räumt allerdings ein, dass diese Zuweisung im Verhältnis zu an-deren Vasen, die er diesem Maler zuschreibt, «less obvious» sei.

32 Hierzu s. u. Zu entsprechenden Dioskuren-Darstellungen s. z. B. LIMC III 2 (1986) 465 Nr. 112, s. v. Dioskouroi.

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Von den erhaltenen Gestalten können die im oberen Bereich dargestellten ohne Probleme identifiziert werden. In den Gestalten rechts auf der Kline sind Poseidon und Amphitrite zu erkennen, auf die von links die beiden Dioskuren zueilen. Das Motiv der ausgestreckten linken Hand und die im Laufschritt weit auseinander gestellten Beine lassen keinen Zweifel daran, dass sie sich auf den Gott des Meeres zubewegen. In der Gestalt hinter den Dioskuren ist, wie bereits F. Brommer vorgeschlagen hat,33 mit einiger Sicherheit Hephaistos zu erkennen, der sich ebenfalls Poseidon zuwendet. Er trägt Exomis und Pilos und fasst mit beiden Händen einen Stecken oder Stiel, der sicher mit dem von ihm ausgeübten Handwerk zu tun hat.34 In der noch weiter links dargestellten und ebenfalls nach rechts gewandten, offen-sichtlich jugendlichen Gestalt, von der nur der Unterkörper erhalten ist, ist wahrscheinlich Eros (oder Himeros) zu erkennen. Wenn dies zutrifft, dann dürfte in diesem Bereich auch die Göttin Aphrodite dargestellt gewesen sein.35 Von den Gestalten in der unteren Zone haben alle Autoren, die sich bisher mit dieser Darstellung beschäftigt haben, die mit Helm und Schild ausgestattete als Athena identifiziert. Ich möchte dies zwar nicht absolut ausschließen, doch ist auch die Möglichkeit zu erwägen, dass hier nicht eine weibliche, sondern eine jugendliche männliche Gestalt dargestellt sein könnte. So erkennt Amalia Avramidou in einer vor der Veröffentlichung stehenden Untersuchung in ihr eine männliche Gestalt und deutet die Szene

33 Brommer a. O. (Anm. 30) 451. Vgl. auch F. Brommer, Hephaistos: Der Schmiedegott in der antiken Kunst, Mainz 1978, 21 f. Taf. 16, 2.

34 Brommer a. O. (Anm. 30) 451 erkennt hier einen «Gusstiegel, aus dem die Flammen in weiß aufgesetzter Farbe schlagen». Vgl. Brommer a. O. (Anm. 33). An dieser Stelle exi-stiert eine Lücke. Es ist nicht ausgeschlossen, dass hier ein Schüreisen (σκάλαυθρον,σπάλαυθρον, σπάλαθρον, σκάλευθρον) zu erkennen ist, wie es Handwerker in vergleichbarer Weise in Darstellungen mit Schmelzöfen halten und mit dem sie gewöhnlich das Brennma-terial schüren (vgl. R. Hampe—A. Winter, Bei Töpfern und Zieglern in Süditalien, Sizilien und Griechenland, Mainz 1965, 143); s. z. B. J. Noble, The Techniques of Painted Attic Pottery, New York 1965, 198 Abb. 230; 199 Abb. 231. 235-236. McPhee a. O. (Anm. 30) 257 Anm. 26 deutet den Gegenstand als Fackel. Das Objekt, in dem Brommer einen Guss-tiegel erkennt, ist wohl eher als Korb zu deuten, dessen Existenz durch den darunter darge-stellten, Früchte tragenden Baum gerechtfertigt wird. Für entsprechende Szenen s. z. B. CVAThebes 1 Taf. 76, 3. Durch diese Interpretation erklären sich auch die bereits im Korb ge-sammelten «Früchte», die mit weißer Zusatzfarbe ausgeführt sind. Wenn der Maler flüssiges Metall, Brennmaterial oder Flammen hätte angeben wollen, hätte er eher violette Zusatzfar-be verwendet. Einen Korb erkennt hier auch McPhee a. O. (Anm. 30) 257 Anm. 26.

35 In der oberen Zone der Komposition waren offenbar Gottheiten dargestellt.

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insgesamt als Ödipus auf Kolonos.36 Es ist in diesem Zusammenhang dar-auf hinzuweisen, dass die unbekleideten Körperteile bei allen drei sicher als weiblich zu deutenden Figuren des Kraters aus Olynth weiß bemalt sind, was bei der in Frage stehenden Gestalt nicht der Fall ist. Das Fehlen der Angabe der weiblichen Brust, die Tragweise des Himations und die auf die Wange herabfallende Locke passen ebenfalls eher zu einer jugendlichen männlichen Gestalt. Deutlich ist jedenfalls, dass diese und vor allem die bärtige Gestalt neben ihm, die in der linken Hand ein Zepter oder einen Stab hält und die rechte hoch erhoben hat, das Zentrum der Komposition bilden. Der Bärtige ist als Kekrops,37 Aietes(?),38 Minos39 und Ödipus40

gedeutet worden. Ich halte die Benennung als Erechtheus für die wahr-scheinlichste, da diese eine befriedigendere Interpretation aller anderen Gestalten der Komposition sowie der charakteristischen Gesten und Hal-tungen einiger von ihnen ermöglicht. Bei der jugendlichen weiblichen Ges-talt vor Erechtheus muss es sich um Nike handelt, die sich ihm mit einem Kranz oder einer Binde nähert, die sie anscheinend mit beiden Händen ge-halten hat; es allerdings auch die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass eine seiner Töchter dargestellt ist, die sich ihm mit einer familiär-vertraulichen Geste zuwendet.41 In diesem Fall wäre in ihr die Tochter zu erkennen, die sich nach dem entsprechenden Orakelspruch opfern wird, um Athen vor Eumolpos zu retten.42 Durch dieses bevorstehende Opfer würde zudem die Verzweiflung ausdrückende Geste des Erechtheus besser ver-ständlich. Mit dem erhobenen rechten Arm fleht er seinen göttlichen Ver-folger Poseidon, auf den er auch seinen Blick richtet, um Schonung und

36 s. in Kürze A. Avramidou. 37 Brommer a. O. (Anm. 30) 452. Zu den Schwierigkeiten dieser Deutung s. Kron a. O.

(Anm. 12) 260 (? K 9) und dies. a. O. (Anm. 30). 38 Robinson a. O. (Anm. 30) 107 f. 39 Hermary a. O. (Anm. 30) 225 f. 40 Avramidou a. O. (Anm. 36). 41 Diese Gestalt wird von Brommer a. O. (Anm. 30) 452 als Ge gedeutet. Vgl. Cl.

Bérard, Anodoi, Rome 1974, 172 Nr. 8 (unten). 42 Die Existenz des Früchte tragenden Baumes, dessen Früchte wahrscheinlich mit wei-

ßer Zusatzfarbe angegeben waren, vor und unter der Gestalt des Hephaistos muss nicht ver-wundern. Bäume dieser Art charakterisieren den Ort, an dem sich die dargestellte Szene abspielt. Zugleich spiegelt die häufige Darstellung solcher “paradiesischen” Gefilde auf Vasen dieser Zeit, wie bereits bemerkt worden ist, wahrscheinlich die Sehnsucht der zeitge-nössischen Athener nach der «guten alten Zeit» wider; s. u. 191 f. und L. Burn, The Meidias Painter, Oxford 1987, 19 ff.

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Abb. 5: Polygyros, Archäologisches Museum (Olynth-Ausgrabungen Inv.-Nr. 272).

Abb. 6: Polygyros, Archäologisches Museum (Olynth-Ausgrabungen Inv.-Nr. 272).

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Rettung an.43 Der Gott wird jedoch seinem Flehen nicht nachgeben, son-dern später—wie bekannt—seinen Tod bewirken,44 und dies trotz des ver-mittelnden Eingreifens der Dioskuren, wenn ich deren Herbeieilen und die Geste ihres linken Armes korrekt deute.45 Erechtheus wird außer von den Dioskuren, die seinen Bitten offenbar günstig gestimmt sind, auch von Athena tatkräftig unterstützt, wie aus ihrer Haltung und dem ausgestreckten rechten Arm hervorgeht, unter der Voraussetzung natürlich, dass in der Ge-stalt neben ihm tatsächlich die Göttin zu erkennen ist. Wenn eine männli-che gemeint ist, dann würde sie einen Sohn des Erechtheus darstellen, und zwar den «erstgeborenen» und Thronfolger46 oder—wahrscheinlicher—seinen Enkel Ion, dessen Teilnahme am Kampf der Athener gegen den Eleusiniern bezeugt ist.47 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass in dem Jüngling, den Erechtheus in den diesbezüglichen erhaltenen Versen

43 Dieselbe Geste vollführt z. B. auch die brennende Alkmene, die Zeus um Rettung an-fleht, auf dem bekannten poseidonischen Glockenkrater des Python im British Museum, s. z. B. M. Tiverios, Ἑλληνικὴ Τέχνη: Ἀρχαῖα Ἀγγεῖα, Athen 1996, 221 Abb. 206, 350. Zum Flehen und dessen Darstellung in der Kunst s. ThesCRA III 194 ff., s. v. Hikesia, Fonti lette-rarie (E. Pellizer); 202 ff., Le immagini (L. Faedo) mit Lit.

44 Der Tod des Erechtheus wird auch Zeus angelastet, s. z. B. N. Kontoleon, Τὸ

Ἐρεχθεῖον ὡ Οἰκοδόµηµα Χθόνια Λατρεία, Athen 1949, 7 f. Eine mit dem Gefäß gleichzeitige Quelle, der «Ion» des Euripides (Z. 282), führt ihn jedoch auf Poseidon zurück.

45 Diese Geste drückt vielleicht Zustimmung aus oder begleitet den Versuch, Poseidon zu beschwichtigen und ihn Erechtheus gegenüber «µειλίχιο» zu stimmen. Wenn diese Deutung der Geste der Dioskuren zutrifft, dann haben wir auch in diesem Fall eine Darstel-lung der Teilnahme der Spartaner an dem Versuch, die heiß ersehnte Aussöhnung zwischen Poseidon und Erechtheus, das heißt zwischen Athena und Poseidon und letztlich zwischen Athen und Sparta, zu erreichen. Die Dioskuren waren zwar in Athen besonders geachtet (s. z. B. H. Shapiro, Art and Cult under the Tyrants in Athens, Mainz 1989, 149 ff.; E. Köhne, Die Dioskuren in der griechischen Kunst, Hamburg 1998, 80 ff.), aber zuvörderst doch die spartanischen Heroen schlechthin, und ihre Herkunft aus Sparte ist in der Antike nie in Zweifel gezogen worden, s. hierzu im Folgenden.

46 Nach Apollodor III 15, 5 handelte es sich um Kekrops den Jüngeren. Zahlreiche For-scher, die sich auf die erhaltenen Verse des «Ἐρεχθεύ» des Euripides stützen (s. C. Austin, Nova Fragmenta Euripidea in Papyris Reperta, Berlin 1968, 25 ff. Nr. 49 und 50 Z. 22-23 und zuletzt R. Kannicht (ed.), Tragicorum Graecorum Fragmenta 5: Euripides, Göttingen 2004, 398 ff. Nr. 359 und 360 Z. 22-23), in denen sich Praxithea männliche Kinder in ihrem Haushalt wünscht, nehmen an, dass Erechtheus in dieser Tragödie keine männlichen Nach-kommen besessen habe.

47 s. Tiverios a. O. (Anm. 1) 305 f., 307. Zur Ikonographie des Ion s. H. A. Shapiro, “Apollo and Ion on Classical Athenian Vases “ (Akten Kolloquium Delphi 2004, ed. L. A-thanassaki, im Druck).

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der gleichnamigen Tragödie des Euripides berät und ermahnt, einer dieser beiden und wahrscheinlicher der zweitgenannte zu erkennen ist.48 Die unter und hinter Hephaistos sitzende weibliche Gestalt ist wahrscheinlich als die Gattin des Erechtheus Praxithea zu deuten, während in dem bekränzten Bärtigen hinter ihr, der offenbar mit der rechten Hand ein Zepter hält, von dem hinter und über seinem Kopf Spuren sichtbar sind, vielleicht Boutes, der Bruder des Erechtheus, zu erkennen ist. Zusätzlich zu den auf den erhaltenen Fragmenten des Kraters aus Olynth dargestellten Gottheiten sind in einer Komposition wie dieser noch Apollon und natürlich Athena zu erwarten, vorausgesetzt, dass sie nicht ohnehin zu den erhaltenen zählt.49

Wenn die oben vorgeschlagenen Deutungen zutreffen, dann hat sich der Vasenmaler, der das in Olynth gefundene Gefäß bemalt hat, vielleicht vom «Erechtheus» des Euripides inspirieren lassen, der wahrscheinlich im Jahre 422 v. Chr. uraufgeführt worden ist.50 Diese Aufführung ist bekanntlich mit der Errichtung des Erechtheions in Zusammenhang gebracht worden, in dem die Protagonisten der Komposition auf dem Krater aus Olynth, näm-lich Athena, Poseidon, Erechtheus, Hephaistos und Boutes, verehrt wur-den51 und das außerdem wichtige «heilige Male» barg, die mit diesen in

48 s. o. Anm. 44. Es ist auch an Xuthos, den sterblichen Gatten der Kreusa, der Tochter des Erechtheus, gedacht worden, s. z. B. A. Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen,Göttingen 1972, 369.

49 In diesem Fall wäre eine Platzierung der Athena genau unter Poseidon und hinter Ni-ke (oder der Tochter des Erechtheus) angemessen. Apollon war wahrscheinlich im linken Bereich der oberen Zone in der Nähe von Aphrodite dargestellt. Wenn wir Athena als Für-sprecherin des Erechtheus akzeptieren, dann könnte in der jugendlichen Gestalt, die wir als Eros (oder Himeros) gedeutet haben, auch Ion, der Sohn des Apollon, zu erkennen sein.

50 Lesky a. O. (Anm. 48) 368. Speziell zur Anwesenheit und zur Rolle des Poseidon in diesem Werk des Euripides s. ausführlich Gartziou-Tatti a. O. (Anm. 6) 266 ff.

51 Wann genau der Kult dieser Gottheiten auf der Akropolis eingeführt worden ist, bleibt unbekannt. So gibt es z. B. Forscher, die den Kult des Poseidon erst im 5. Jahrhundert v. Chr. beginnen lassen, s. z. B. L. H. Jeffery, “Poseidon on the Acropolis,” in Πρακτικὰ τοῦ

ΧΙΙ ∆ιεθνοῦ Συνεδρίου Κλασσικῆ Ἀρχαιολογία, Ἀθήνα, 4-10 Σεπτεµβρίου 1983, Τόµος Γ, Athen 1988, 124 ff. Die diskutierte Verwandtschaft der Grundrisse des Alten A-thenatempels und des Erechtheions, die deshalb «einzigartig» sind, weil diese Gebäude alle genannten Kulte aufnehmen mussten, macht es jedoch wahrscheinlich, dass die meisten von ihnen, wenn nicht alle, hier eine ältere Tradition besessen haben. Zu Poseidon und E-rechtheus und zum Verhältnis des ersten zu Athen, s. zuletzt S. Darthon, “Retour à la terre: fin de la Geste d’Erechtée,” Kernos 18 (2005), 69 ff.

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unmittelbarem Zusammenhang standen.52 Wenn auch Poseidon und Ere-chtheus unversöhnliche Feinde waren, so wurde schließlich doch ihre Versöhnung erreicht, die nach der Meinung einiger Forscher am Ende sogar ihre Gleichsetzung zur Folge gehabt hat.53 Den erhaltenen Versen des «E-rechtheus» des Euripides ist zu entnehmen, dass es Athena selbst ist, die vorschlägt, Erechtheus als «σεµνὸ Ποσειδῶν»(!)54 zu verehren, und wenn wir die Gottheiten auf dem Krater aus Olynth zutreffend deuten, setzen sich auch die spartanischen Dioskuren für ihre Versöhnung ein.

Die Geschichte von Poseidon und Erechtheus enthält Episoden, die sie in Athen nach der Niederlage bei Aigospotamoi außerordentlich aktuell erscheinen ließen. Die Versöhnung von Poseidon und Erechtheus konnte leicht in Parallele gesetzt und als Vorbild für die Versöhnung zwischen A-then und Sparta und warum nicht auch für die Aussöhnung zwischen Athen und Eleusis angesehen werden. Die aktive Mitwirkung von Gottheiten und vor allem von Athena beim Zustandekommen der Aussöhnung zwischen Poseidon und Erechtheus vermittelte wahrscheinlich die Botschaft, dass etwas Entsprechendes auch beim Zustandekommen des Friedens zwischen Athen und Sparta vor sich gegangen war. Durch diese Überlegungen erhält eine Nachricht bei Plutarch (Συµποσιακά 9.6 [Moralia 741 B]) besonderes Gewicht, nach der sich nämlich im Erechtheion, dem gemeinsamen Heilig-tum der Athena, des Poseidon und des Erechtheus, ein Altar der Lethe be-funden hat. Dies bedeutet, dass die Athener eine Idee heroisierten, die dar-auf abzielte, alle Zwistigkeiten aus ihrem Gedächtnis zu tilgen, die zwi-schen Poseidon und Erechtheus und vor allem zwischen Athena und Posei-don geherrscht hatten. Hierauf lassen jedenfalls die Worte des Plutarch schließen: «...Ἐνταῦθα (scil. ἐν Ἀθήναι) γοῦν καὶ νεὼ κοινωνεῖ (scil. ὁ Ποσειδῶν) µετὰ τῆ Ἀθηνᾶ, ἐν ὧι καὶ βωµό ἐστιν Λήθη ἱδρυµένο». Wir wüssten gerne, wo genau im Erechtheion dieser Altar ge-standen hat und vor allem wann und unter welchen Umständen er errichtet

52 Im Erechtheion gab es bekanntlich unter anderem «Male», die vom Streit zwischen Athena und Poseidon zeugten, sowie Spuren des Blitzes, mit dem Zeus den Erechtheus getö-tet hatte, s. Kontoleon a. O. (Anm. 44) 7 ff., 10 ff., 20 ff., 31 ff., 34 ff.

53 Kontoleon a. O. (Anm. 44) bes. 23 ff.; Gartziou-Tatti a. O. (Anm. 6) 270 ff.; M. Christopoulos, “Poseidon Erechtheus and ΕΡΕΧΘΗΙΣ ΘΑΛΑΣΣΑ,” in R. Hägg (ed.), An-cient Greek Cult Practice from the Epigraphical Evidence. Proceedings of the Second Inter-national Seminar on Ancient Greek Cult, Swedish Institute at Athens, 22-24 Nov. 1991,Stockholm 1994, 123 ff.

54 s. C. Austin a. O. (Anm. 46) 33 ff. Nr. 65 Z. 90-94 und Kannicht a. O. (Anm. 46) 410 ff. Nr. 370 Z. 90-94.

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worden ist. Die Möglichkeit kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass er von Anfang an zur Ausstattung dieses eigenwilligen Kultbaus ge-hört hat und also im Zusammenhang mit dem im Jahre 421 v. Chr. ge-schlossenen Nikias-Frieden zu sehen ist, der in Analogie zur Aussöhnung von Athena und Poseidon, die dieses Gebäude «propagierte», Hoffnungen auf eine Aussöhnung von Athen und Sparta weckte.55 Es ist allerdings e-benso gut möglich, dass der Altar der Lethe erst am Ende des 5. Jahrhun-derts v. Chr. unmittelbar nach der Seeschlacht von Aigospotamoi und dem Ende des Peloponnesischen Krieges aufgestellt worden ist. In diese Zeit fällt außer der Aussöhnung zwischen Athen und Sparta auch das Abklingen der scharfen Auseinandersetzungen zwischen den demokratischen und den oligarchischen Athenern.56 Diesen beiden Aussöhnungen hat diejenige zwi-schen Athena und Poseidon, die in dieser Zeit als die göttlichen Garanten für die politische Ordnung in Athen gelten können, ohne Zweifel als mythi-sches Vorbild gedient.57 Charakteristisch ist der Eid, den die Athener bei der diesbezüglichen Übereinkunft zur Beendigung des Bruderzwistes ab-legten und der die Formel «οὐ µνησικακέω» (= ich versichere zu verges-

55 Bezeichnend für diese Tendenz zur Aussöhnung ist vielleicht auch das Gebot Athenas an Praxithea im «Ἐρεχθεύ» des Euripides (s. Austin a. O. [Anm. 46] 33 ff. Nr. 65 Z. 65 ff. und Kannicht a. O. [Anm. 46] 410 ff. Nr. 370 Z. 65 ff.). Sie befiehlt, deren Töchter, die sich für das Vaterland geopfert hatten, unter dem Namen «Hyakinthiden» zu verehren, einem Namen, der direkt auf Sparta verweist. Zu den Hyakinthiden s. F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker III B, Leiden 1964 (photomech. Nachdruck) Nr. 325 F 4 (Phano-demos) und F. Jacoby, Fragmente der griechischen Historiker III b (Supplement) 1, Leiden 1954 (photomech. Nachdruck) 178 ff. Nr. 325 F 4. Vgl. auch Gartziou-Tatti a. O. (Anm. 6) 280 ff. und 281 Anm. 4 mit Lit. Kürzlich hat G. Marginesu, “Gli Eteobutadi e l’Eretteo: La monumentalizzazione di un’idea,” Annuario della Scuola archeologica di Atene e delle Missioni italiane in Oriente 79 (2001), 37 ff. die Ansicht vertreten, dass das Erechtheion unmittelbar mit den heftigen politischen Auseinandersetzungen zwischen den oligarchischen und den demokratischen Bürgern Athens in diesen Jahren zu verbinden sei.

56 Zur im Jahre 403 v. Chr. im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Demo-kratie in Athen verkündeten Amnestie s. J.-H. Kühn, “Die Amnestie von 403 v. Chr. im Reflex der 18. Isokrates-Rede,” Wiener Studien 80 (1967), 31 ff.; s. auch Loening a. O. (Anm. 9) 99 ff.; Lévy a. O. (Anm. 9) 209 ff., 214 ff. Zur tief gehenden Spaltung Athens am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. s. N. Loraux, Ἡ ∆ιχασµένη Πόλη: Ἡ Λήθη στὴν Μνήµη

τῆ Ἀθήνα, Athen 2001 (=La cité divisée: L’oubli dans la mémoire d’Athènes, Paris 1997) [Übers. B. Lykoudis]. Vgl. J. de Romilly, Προβλήµατα τῆ Ἀρχαία Ἑλληνικῆ

∆ηµοκρατία, Athen 1992 (=Problèmes de la démocratie grecque, Paris 1975) bes. 204 ff., 207 ff. (Übers. N. Angavanakis). Anastasiades a. O. (Anm. 7) besonders XVI, 35 ff. mit Anm. 7.

57 Vgl. Gartziou-Tatti a. O. (Anm. 6) 284.

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sen) enthielt.58 Eben aus diesem Grund halte ich es für wahrscheinlicher, dass der Altar der Lethe in diesem historischen Augenblick im Erechtheion aufgestellt worden ist. Diese Vermutung wird durch eine Nachricht bei Plu-tarch gestützt (Περὶ Φιλαδελφία 18 [Moralia 489 B-C]), nach der die Athener «τὴν... δευτέραν ἐξαιροῦσιν ἀεὶ τοῦ Βοηδροµιῶνο, ὡ ἐν ἐκείνηι τῶι Ποσειδῶνι πρὸ τὴν Ἀθηνᾶν γενοµένη τῆ διαφορᾶ».59

Dass der Streit zwischen Athena und Poseidon um den Besitz Athens mit der Wiederherstellung der Demokratie in Athen im Jahre 403 v. Chr. in Beziehung gebracht oder besser in Parallele gesetzt worden ist, geht noch aus einer weiteren Nachricht hervor, die wir wiederum dem Weisen aus Chaironeia entnehmen. Plutarch bezieht sich auf den Streit zwischen Athe-na und Poseidon und schreibt: «Obwohl Poseidon von Athena besiegt wor-den war, hat er sich als “staatsmännischer” erwiesen als Thrasyboulos, der den Sieg errungen hatte...».60 Es handelt sich um eine wichtige Stelle, die ich nicht berücksichtigt hatte, als ich kürzlich die Darstellung des Strei-tes zwischen Athena und Poseidon auf der Hydria aus Pella, die bekannt-lich aus der Zeit um 400 v. Chr. stammt, mit den Ereignissen in Athen un-mittelbar nach der Niederlage der Athener bei Aigospotamoi verbunden habe, also mit der Machtergreifung der spartafreundlichen Dreißig, der Wiederherstellung der Demokratie durch Thrasyboulos und der Versöh-nung der demokratischen und der oligarchischen Athener.61

58 s. Andokides, Περὶ τῶν Μυστηρίων 90-91. Zu diesen Eiden s. P. J. Rhodes, ACommentary on the Aristotelian Athenaion Politeia, Oxford 1993, 463 f. Zur Formel «οὐ

µνησικακέω» s. auch Loraux a. O. (Anm. 56) bes. 205 f. 59 Dieselbe Nachricht überliefert Plutarch noch ein zweites Mal: Plutarch, Συµποσιακά

9.6 (= Moralia 741 B). Für einen ausführlichen Kommentar (mit Lit.) s. Loraux a. O. (Anm. 56) bes. 239 ff. Sie zögert a. O. 244 mit Anm. 14, die «ἐξαίρεσιν τῆ δευτέρα τοῦ

Βοηδροµιῶνο» durch die Athener in die Zeit um 400 v. Chr. zu datieren, und verlegt sie ins 4. Jahrhundert v. Chr. oder danach. Hierzu ist zu bemerken, dass eine solche «ἐξαίρεσι» nach ihrer Verkündung nicht unbedingt ununterbrochen und während der ge-samten Antike gegolten haben muss. Es ist durchaus möglich, dass dies für einen gewissen Zeitraum der Fall gewesen ist und dass sie später wieder aufgehoben worden ist; sie mag zu Zeiten auch betont bzw. vernachlässigt worden sein.

60 Bedauerlicherweise ist der anschließende Text nicht erhalten, s. Loraux a. O. (Anm. 56) 213.

61 Tiverios a. O. (Anm. 1) 307 ff. I. Kasper-Butz, Die Göttin Athena im klassischen A-then: Athena als Repräsentantin des demokratischen Staates, Frankfurt/Bern/New York/ Paris 1990, 189 ff. sieht hinter den Darstellungen des Streites zwischen Athena und Poseidon um den Besitz Athens grundlegende, unterschiedliche politische Richtungen in-

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Das oben Gesagte macht die bezeichnende Präsenz der Athena und des Poseidon in der Ikonographie des antiken Athens am Ende des 5. und zu Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr. besser verständlich. Athena war fraglos die Göttin des demokratischen Athen62 und Poseidon—zumindest in dieser Zeit—der bevorzugte Gott Lysanders und allgemein des siegreichen Sparta und zugleich der Schutzgott der Athener Oligarchen.63 Die Athener hatten in der Zeit unmittelbar nach dem Peloponnesischen Krieg allen Grund, den Mythos vom Streit zwischen diesen beiden Gottheiten zu vergessen, den sie nach Plutarch (Περὶ Φιλαδελφία 18 [= Moralia 489 B]) «ἀτόπω» ge-schaffen hatten. Eben aus diesem Grund halte ich es für wahrscheinlicher, dass sie in dieser Zeit versucht haben, durch die Aufstellung eines Altars der Lethe und die Streichung des zweiten Tages des Monats Boedromion als eines Tages des Unheils und der Befleckung aus ihrem Kalender diese «ἀτοπία» zu korrigieren. Nach der Versöhnung von Athena und Poseidon gab es nun keine «Schatten» mehr, und folglich konnten die beiden Gott-heiten, wie oben ausgeführt, als Garanten für das reibungslose Funktionie-ren des athenischen Staates und als Wächter über die Einigkeit der Athener wirken. Dieser Einigkeit waren auch einige Äußerungen aus den letzten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts v. Chr. förderlich, denen zufolge Poseidon nicht nur der Schutzgott der oligarchischen Ritter sondern auch der demo-kratischen Matrosen Athens war64 und andererseits Athena den Beinamen «Hippia» trug, als die sie von den Athener Rittern angerufen wurde.65

nerhalb des athenischen Staates, von denen die eine den Schwerpunkt auf das Meer und die andere auf das Land legte.

62 s. z. B. die Monographie von Kasper-Butz a. O. Bezeichnenderweise haben die De-mokraten nach der Wiederherstellung der Demokratie in Athen im Jahre 403 v. Chr. vor allen anderen Gottheiten Athena geehrt (Xenophon, Hellenika 2.4.39, Lysias 13.81).

63 Hierzu s. o. Es ist bezeichnend, dass in den «Νεφέλαι» des Aristophanes der junge Pheidippides, der von der Seite seiner Mutter aristokratischer Abstammung ist, bei seinem Schutzgott Poseidon schwört (Z. 83), und sein Vater Strepsiades, der niederer Herkunft ist, diesem Gott das Unglück seines Sohnes anlastet (Z. 84-85). Die zahlreichen auf Poseidon geleisteten Eide im Werk des Aristophanes (s. Gartziou-Tatti a. O. [Anm. 6] 257 ff.) besit-zen möglicherweise einen politischen Hintergrund, indem bei ihm als ihrem hauptsächlichen Schutzgott häufig die aristokratisch-oligarchischen Athener schworen. Auf entsprechende politische Gründe ist wahrscheinlich auch das häufige Auftreten dieses Gottes im atheni-schen Theater des 5. Jahrhunderts v. Chr. zurückzuführen, s. Gartziou-Tatti a. O. (Anm. 6).

64 s. z. B. Sophokles, Οἰδίπου ἐπὶ Κολωνῶι Z. 707-719. Vgl. Aristophanes, Ἱππῆ Z. 551-564.

65 Ich erinnere daran, dass auf dem Kolonos außer Poseidon Hippios auch Athena Hip-pia verehrt worden ist (Pausanias I 30, 4); als Hippia wurde Athena auch in Acharnai verehrt

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Auf der Grundlage des oben Ausgeführten möchte ich im Folgenden auf die Anwesenheit der Athena und des Poseidon auf einem außergewöhnlich großen und qualitätvollen attischen Gefäß eingehen. Es handelt sich um den bekannten, fragmentarisch erhaltenen Glockenkrater, der in dem Dorf Gla-zovka (Baksy) in der Umgebung von Pantikapaion (Kertsch) gefunden worden ist und heute in St. Petersburg, Ermitage Inv. БAK 8 (Б 7207) auf-bewahrt wird [Zeichn. 2].66 Der Krater ist um 400 v. Chr. oder unmittelbar danach entstanden und ebenfalls mit der Werkstatt des Pronomos-Malers in Verbindung gebracht worden.67 In der oberen Zone auf der Vorderseite sind nebeneinander Athena und Poseidon dargestellt. Wie Brian Shefton in sei-nen eingehenden Studien zu diesem Gefäß bereits vorgeschlagen hat, ist das Thema des Vasenbildes die Apotheose des Herakles und der Dioskuren. Die Tatsache, dass der Vasenmaler um 400 v. Chr. oder unmittelbar danach eine eindrucksvolle Komposition mit dorisch-peloponnesischen Heroen als Protagonisten geschaffen hat, die zugleich auch eine wichtige Stellung in-nerhalb des athenischen Pantheons bekleiden, führt uns zu der Vermutung, dass die Darstellung von zeitgenössischen historischen Ereignissen beein-flusst ist, was auch Shefton erwogen hat.68 Es liegt also auch in diesem Fall nahe, nach politischen Symbolen Ausschau zu halten und anzunehmen, dass auch diese Komposition vom allgemeinen Klima der Versöhnung der Athener und der Spartaner, das in dieser Zeit in Athen geherrscht hat, nicht unbeeinflusst geblieben ist. Die Beziehungen des Herakles zur dorischen

(s. Pausanias I 31, 6). Außerdem sei darauf hingewiesen, dass die Ritter im Οἰδίπου ἐπὶ

Κολωνῶι (Z. 1067-1073) die «ἱππίαν» Athena ebenso verehren wie den «πόντιον» Posei-don.

66 s. B. Shefton, “The Krater from Baksy,” in D. Kurtz—B. Sparkes (eds.), The Eye of Greece. Festschrift Martin Robertson, Cambridge 1982, 149 ff. (in Folgenden: Shefton I); ders., “The Baksy Krater Οnce Μore and Some Οbservations on the East Pediment of the Parthenon,” in H. Froning et. al. (eds.), Kotinos. Festschrift für Erika Simon, Mainz 1992, 241 ff. (im Folgenden: Shefton II); s. außerdem LIMC II (1986) 312 Nr. 1083 b, s. v. Apol-lon (O. Palagia); LIMC IV (1988) 714 Nr. 472, s. v. Hera (A. Kossatz-Deissmann); LIMC V (1990) 124 f. Nr. 2871, s. v. Herakles (J. Boardman); 163 f. Nr. 3334, s. v. Herakles (A. F. Laurens); LIMC VII (1994) 472 Nr. 232, s. v. Poseidon (E. Simon). Die ursprüngliche Höhe des Gefäßes wird auf etwa 0,74 m und der Durchmesser der Mündung auf 0,76 m berechnet, s. Shefton a. O. (Shefton I) 151.

67 Shefton I a. O. (Anm. 66) 156 und vor allem Shefton II a. O. (Anm. 66) 249. McPhee a. O. (Anm. 30) 257 Anm. 23 hat das Gefäß kürzlich dem Maler von Athen 12255 zuge-schrieben.

68 Shefton I a. O. (Anm. 66) 174; vgl. Robertson a. O. (Anm. 5) 259.

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Welt sind bekannt,69 und dasselbe gilt auch für sein Verhältnis zu Athen, war er doch der Lieblingsheros der Schützerin der Stadt. Auf der anderen Seite wurden bekanntlich auch die Dioskuren in Athen verehrt. Ihrem dor-tigen Heiligtum, das Anakeion, wurde besondere Verehrung entgegenge-bracht.70 Dennoch stand ihre lakonische Herkunft nicht in Zweifel, und kein anderes Gebiet hat jemals Anspruch auf sie erhoben. Helena nennt sie in der gleichnamigen Tragödie des Euripides (Ἑλένη Z. 206) aus dem Jahr 412. Chr. «διδυµογενὲ ἄγαλµα πατρίδο», und nur die Spartaner führten auf ihren Feldzügen Bildwerke der Dioskuren mit.71 Kurz vor der See-schlacht von Aigospotamoi waren sie in der Gestalt von Sternen rechts und links des Schiffes des Lysander erschienen und hatten damit in gewisser Weise den für Sparta günstigen Ausgang angekündigt. Aus diesem Grund hatte der spartanische Admiral aus der Beute der siegreichen Seeschlacht zwei goldene Sterne im panhellenischen Heiligtum von Delphi geweiht, die offensichtlich auf diese anspielten.72 Und als kurz vor der Schlacht von Leuktra in Böotien im Jahre 371 v. Chr. diese Sterne verschwanden, wurde dies als Hinweis darauf verstanden, dass die Tyndariden Sparta verlassen würden und eine Niederlage bevorstünde.73 Dem, was Shefton über den Krater Baksy geschrieben hat, kann man kaum etwas hinzuzufügen oder widersprechen.74 Nur in einem Punkt möchte ich einen abweichenden Vor

69 Vgl. die von antiken Autoren überlieferte Nachricht (F. Jacoby, Die Fragmente der griechischen Historiker III B, Leiden 1964 [photomech. Nachdruck] Nr. 334 F 30 [Istros]), dass die Spartaner, als sie während des Peloponnesischen Krieges in Attika einfielen, «...τὴν

λοιπὴν γῆν δηιοῦντε τῆ µὲν Τετραπόλεω ἀπέσχοντο διὰ τοὺ Ἡρακλείδα...».70 Zur Anwesenheit der Dioskuren in Attika s. Shapiro a. O. (Anm. 45) und Köhne a. O.

(Anm. 45) 80 ff., 108 ff. (in archaischer Zeit), 121 ff., 176 ff. (5. Jahrhundert v. Chr.). Zum Kult der Dioskuren in Attika s. J. Larson, Ancient Greek Cults. A Guide, Milton Park, Abingdon/New York 2007, 191f.

71 M.Α. Tiverios, “Apharetides-Tyndarides,” in J.-P. Descoeudres (ed.), ΕΥΜΟΥΣΙΑ.Ceramic and Iconographic Studies in Honour of Alexander Cambitoglou, Sydney 1990, 121.

72 Tiverios a. O. 73 Tiverios a. O. 122. 74 Ursprünglich hatte Shefton I a. O. (Anm. 66) 168 f. die Gestalt, die Herakles begleitet,

als Hebe identifiziert; später hat er es dann für wahrscheinlicher gehalten, dass in dieser Gestalt, die bezeichnenderweise den Wagen des Herakles lenkt, Nike zu erkennen ist. Als Hebe benennt er die Gestalt vor den Zugpferden des Wagens des Herakles, von der nur ein kleiner Teil des Kranzes erhalten ist, den sie auf dem Kopf trägt. Er gesteht allerdings auch der Ansicht von Boardman, der die Benennung als Dionysos erwägt, eine «strong possibi-lity» zu; s. hierzu Shefton II a. O. (Anm. 66) 242 f. Was den/die Lenker/in des Wagens des

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Zeichn. 2: Zeichnerische Rekonstruktion der Komposition auf der Vorderseite des at-tisch rotfigurigen Glockenkraters in St. Petersburg, Ermitage Inv.-Nr. Б AK 8 [Б 7207]

(von B. Shefton in Kotinos. Festschrift für Erika Simon, Mainz 1992, Taf. 56, 1).

schlag zur Diskussion stellen. Links hinter den reitenden Dioskuren75

[Abb. 7] sind im linken unteren Bereich der Darstellung Teile der Beine eines Klismos und eines Tisches erhalten. Hinter dem Tisch sind die Füße mit einem Teil der Unterschenkel einer wahrscheinlich dienenden männlichen Gestalt zu erkennen, die sich eilig nach links bewegt. Man könnte vermu-ten, dass sie soeben den Tisch herbeigetragen hat oder etwas zu ihm bringt oder auf ihm ablegt. Die nach rechts gerichteten Füße einer weiblichen Gestalt, die offenbar auf dem Klismos sitzt und mit einem reich ge-schmückten Himation bekleidet ist, von dem oben links in der Höhe der Rückenlehne ein Teil erhalten ist, können m. E. mit Helena in Verbindung gebracht werden. Auf dieser Seite der Komposition wären also die Diosku-

Herakles anbelangt, so scheinen die erhaltenen Reste eher zu einer männlichen Gestalt zu passen (vgl. LIMC V (1990) 124 f. Nr. 2871, s. v. Herakles [J. Boardman]), weshalb ich der Benennung als Iolaos den Vorzug gebe; s. hierzu Shefton II a. O. (Anm. 66) 242 mit Anm. 11. Zum Vorschlag schließlich, in der Gestalt, von der nur Spuren des Kranzes erhalten sind, nicht Hebe, sondern Dionysos zu erkennen, ist zu bemerken, dass an diesem Kranz nichts Dionysisches auszumachen ist.

75 Shefton I a. O. (Anm. 66) 172 Taf. 44 b. Die Präsenz der Dioskuren wurde wegen der Poloi, die die Figuren auf dem Kopf tragen, von einigen Forschern in Frage gestellt, s. dazu M. Schäfer, Zwischen Adelsethos und Demokratie: Archäologische Quellen zu den Hippeis im archaischen und klassischen Athen, München 2002, 181 Anm. 1043.

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ren mit ihrer Schwester Helena dargestellt, wie auf der anderen Seite Hera-kles mit Hebe [Zeichn. 2]. Der Tisch und der Klismos erinnern an Theoxe-nie-Darstellungen,76 und die Szene insgesamt kann mit dem in Parallele gesetzt werden, was Euripides in seiner etwas früher entstandenen «Ἑλένη» sagt. Dort wenden sich die Dioskuren an ihre Schwester und kün-digen ihr an, dass sie dem Willen des Zeus entsprechend nach ihrem Tod zusammen mit ihnen mit Trankspenden und «ξένια» verehrt werden wür-de.77 All dies stützt zusammen mit den eindrucksvollen, originellen Poloi und Binden, die sowohl die Dioskuren als auch Herakles tragen, noch zu-sätzlich die Interpretation, dass auf dem Gefäß ihre Heroisierung dargestellt ist.78 Mit anderen Worten empfangen die von Zeus, der von Nike bekränzt wird, angeführten Olympier sowohl Herakles, den Schützling der Athena, als auch die spartanischen Dioskuren und deren Schwester [Zeichn. 2].79

Für die Anwesenheit der Helena innerhalb dieser Komposition sprechen drei andere attische Gefäße, die Darstellungen einer Theoxenie tragen, die Dioskuren und Helena gilt. Zwei davon sind unpubliziert,80 das dritte dage-

76 Zur Theoxenia mit Dioskuren s. ThesCRA II 225 ff., s. v. Banquet et al. mit Lit. (L. Bruit) und 228 f. (Fr. Lissarrague); s. außerdem K. Schauenburg, “Theoxenien auf einer schwarzfigurigen Olpe,” in Mélanges Mansel I, Ankara 1974, 101 ff.; LIMC III 1 (1986) 576 f., s. v. Dioskouroi (A. Hermary); Köhne a. O. (Anm. 45) 128 ff. Vgl. A. Hermary, “Images de l’apothéose des Dioscures,” Bulletin de Correspondance Hellénique 102 (1978), 51 ff. Allgemein zur Bedeutung der Theoxenien s. auch L. Bruit, “Les dieux aux festins des mortels: Théoxéniens et xeniai,” in A.-F. Laurens (ed.), Entre Hommes et Dieux: Le convi-ve, le héros, le prophète, Paris 1989, 13 ff.

77 Euripides, Ἑλένη 1666-1669. Das Werk ist bekanntlich im Jahre 412 v. Chr. uraufge-führt worden. Vgl. Carabatea a. O. (Anm. 2) 304.

78 Diese Deutung ist dann zwingend, wenn man der Benennung der Gestalt vor den Pferden des Wagens des Herakles als Hebe, seine göttliche Gattin, zustimmt. Vgl. auch LIMC V (1990) 124 f. Nr. 2871, s. v. Herakles (J. Boardman); 163 f. Nr. 3334, s. v. Herakles (A. F. Laurens).

79 Vom Miteinander des Herakles und der Dioskuren ist auch in der 3. Olympischen Ode des Pindar die Rede, die bekanntlich anlässlich einer Theoxenie zu Ehren der Dioskuren vorgetragen worden ist. Bezeichnenderweise heißt es in Z. 33-35: «Heut’ ist huldvollen Sinns zum Fest er (i.e., Herakles) gekommen mit Ledas—tief trägt sie ihren Gürtel—göttergleichen Zwillingssöhnen» (Übers. L. Wolde).

80 Das erste ist eine Hydria im Athener Nationalmuseum, ehemals in der Sammlung Vlastos, des Christie Malers (ARV2 1049.53). Bei dem zweiten handelt es sich um einen Kelchkrater des Niobiden-Malers, der in Pelasgia in der Phthiotis gefunden worden ist und im Archäologischen Museum von Lamia aufbewahrt wird. Auf einer Seite ist die Apolloni-sche Trias und auf der anderen die Theoxenie mit den Dioskuren und Helena dargestellt; s.

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gen schon seit langem bekannt. Es handelt sich um eine Hydria des Kad-mos-Malers, die heute im Archäologischen Museum von Plovdiv Inv. 1527 aufbewahrt wird81 und die entsprechende Darstellung auf der Schulter trägt [Abb. 8]. In der mit dem Peplos bekleideten weiblichen Gestalt vor dem Klismos, der neben der Festkline und innerhalb des durch zwei Säulen be-grenzten Raumes steht, ist m. E. Helena zu erkennen, die den charakteri-stischen Epiphaniegestus ausführt,82 und nicht, wie vorgeschlagen worden ist, eine Priesterin [Abb. 9]. Die Anwesenheit der Helena bei Theoxenien wird durch schriftliche Quellen bestätigt. Über die oben angeführte Stelle bei Euripides erinnere ich z. B. an das 3. Olympionikon des Pindar, auf das ich bereits hingewiesen habe und das anlässlich einer Theoxenie zu Ehren eben der «φιλοξείνων Τυνδαριδᾶν» und der «καλλιπλοκάµου Ἑλένα»vorgetragen worden ist.83 Das Wort «KOAΣ», das drei Mal über den Köp-fen der Dioskuren und dieser weiblichen Gestalt auf der Hydria in Plovdiv wiederholt ist, ist zwar bisher nicht gedeutet, bezieht sich aber offensicht-lich auf diese Gestalten und bestätigt in gewisser Weise ihre enge Bezie-hung zueinander, wodurch die hier vorgeschlagene Deutung weiter an Wahrscheinlichkeit gewinnt.84 Der bärtige, mit einem luxuriös Gewand

A. Stamoudi, in Ph. Dakoronia—P. Bouyia (Hrsg.), Ὁ ∆ρόµο εἶχε τὴν δική του Ἱστορία,Lamia 2002, 39 f. Abb. 45. 48.

81 ARV2 1187.36; 1686 (oben); LIMC III 1 (1986) 577 Nr. 114, s. v. Dioskouroi (A. Hermary); M. Reho, La ceramica attica a figure nere e rosse nella Tracia bulgara, Roma 1990, 43 f., Taf. 34-35; ThesCRA II 229 Nr. 76, s. v. Banquet at al. (Fr. Lissarrague).

82 s. z. B. G. Neumann, Gesten und Gebärden, Berlin 1965, 91 ff. Die drei Thymiaterien im Zentrum der Szene sind wahrscheinlich auf die Dioskuren und Helena zu beziehen. Zur Deutung dieser Darstellung sind unterschiedliche Vorschläge unterbreitet worden, die natür-lich auch die jeweilige Benennung der Gestalten betreffen (s. Reho a. O.). Es kann aller-dings kein Zweifel daran herrschen, dass hier eine Theoxenieszene mit den Dioskuren und Helena dargestellt ist. Ich erinnere daran, dass in der entsprechenden Ikonographie der Weihreliefs mit Symposion- und Totenmahldarstellungen die Kline auf die männlichen und die Sitzmöbel (wie Klismos oder Thron), wenn vorhanden, auf die weiblichen Gestalten bezogen sind.

83 Pindar, 3 Ὀλυµπιόνικο Z. 1-2. 84 Das Wort «ΚΟΑΣ» bezeichnet wahrscheinlich eine allen drei Gestalten gemeinsame

Eigenschaft, die etwa mit «θεοξένιος» gleichbedeutend sein könnte, was gut zu den drei Dargestellten passen würde. Man könnte allerdings auch «ΚΟΗΣ» lesen, da auf Werken des Kadmos-Malers häufig Worte mit deutlich dorischem Einschlag begegnen (s. z. B. ARV2

1184; H. R. Immerwahr, Attic Script: A Survey, Oxford 1990, 113. 175). Es sei daran erin-nert, dass einer der Mysterienpriester auf Samothrake, das ja nicht sehr weit vom Fundort des Gefäßes entfernt liegt, als «κοίης» (oder «κόης») bezeichnet wurde, s. K. Lehmann—D.

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bekleidete Kitharode, der an der anderen Seite der Kline steht und von der Beischrift «KOMOΣ» begleitet wird, könnte als die Personifikation eines Komos gedeutet werden,85 der zu Ehren der Tyndariden einen Hymnus vor-trägt, wie denjenigen des Pindar, den ich oben erwähnt habe. In der bärti-gen, mit einem Himation bekleideten Gestalt, die sich auf ihren Stock stützt und eine Frucht hält, wäre Tyndareos und in der weiblichen Gestalt im Peplos, die vor einem Klismos steht und einen Korb mit Früchten trägt, vielleicht Leda oder wahrscheinlicher eine Dienerin zu erkennen. Wenn diese Benennungen zutreffen, dann würde dies bedeuten, dass die Theo-xenie zu Ehren der Dioskuren und der Helena auf der Hydria des Kadmos-Malers von ihren irdischen Eltern vorbereitet wird.

Die offizielle athenische Politik der Aussöhnung von Athen und Sparta und die Beendigung der gegenseitigen Feindseligkeiten—eine Politik, die sich die Athener zwar schon früher zu eigen gemacht hatten, die aber nun nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges verbindlichen Charakter an-nahm—kann auch das Auftreten anderer Darstellungsthemen innerhalb des Repertoires der attischen Vasenmaler dieser Zeit begründen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf einige Vasenbilder, auf denen die Hochzeit von Helena und Theseus, also die Verbindung des mythischen Vertreters der athenischen Demokratie schlechthin mit der bekanntesten Spartanerin der antiken Welt, dargestellt ist. Wenn die auf einem Voluten-krater, der vor rund 35 Jahren im lukanischen Serra di Vaglio gefunden worden ist und heute in Potenza, Soprintendenza Archeologica aufbewahrt wird, dargestellten Personen nicht durch Beischriften benannt wären, wären sicherlich nur wenige zur richtigen Deutung dieser Darstellung gelangt. Auf dem um 400 v. Chr. entstandenen Gefäß, das dem Talos-Maler zuge-schrieben worden ist, ist die Hochzeit von Theseus und Helena darge-stellt.86 Diese Hochzeit ist auch durch schriftliche Quellen bezeugt, die

Spittle, Samothrace: The Altar Court, [Samothrace 4.II], New York 1964, 125 f. mit Anm. 61. Vgl. Reho a. O. (Anm. 81) 44.

85 Der Komos ist häufig, aber nicht ausschließlich, auf Dionysos bezogen; so ist er auch im Zusammenhang mit Apollon belegt. Bei den Theoxenien wurden bekanntlich Hymnen, Oden und Päane gesungen, vgl. J. M. Edmonds, Lyra Graeca II, Cambridge, Mass. 1979, 402-403, n. 197 (Simonides).

86 G. Greco, “Un cratere del pittore di Talos da Serra di Vaglio,” Rivista dell’Istituto Nazionale d’Archeologia e Storia dell’Arte, ser. 3, 8/9 (1985/86), 5 ff.; s. auch Cr. Servadei, La Figura di Theseus nella ceramica Attica: Iconografia e iconologia del mito nell’Atene arcaica e classica, Bologna 2005, 164 f., Abb. 71.; E. Mugione, “Temi figurativi della ceramica attica e committenza occidentale. Una esemplificatione: il mito di Teseo,” Ostraka

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Abb. 7: St. Petersburg, Ermitage Inv.-Nr. Б AK 8 (Б 7207).

Alan Shapiro in gewohnt scharfsinniger Weise untersucht hat.87 Es ist be-zeichnend, dass die Athener sogar versucht hatten, Helena für sich zu ver-einnahmen: Einer Überlieferung zufolge, die zur Zeit des Peloponnesischen Krieges vor allem mit Rhamnous verbunden war, war Helenas Mutter nicht Leda, sondern Nemesis gewesen.88 Hiermit hängt vielleicht noch eine ande-

6 (1997), 123 ff., Fig. 15; E. Mugione, Mitti della ceramica attica in Occidente: Problemi di trasmissioni iconografiche nelle produzioni italiote, Taranto 2000, 131 f., Fig. 7a-c.

87 H. A. Shapiro, “The Marriage of Theseus and Helen,” in H. Froning et al. (eds.), Kotinos. Festschrift für Erika Simon, Mainz 1992, 232 ff.

88 Auf diese Überlieferung gehen vielleicht die Vasenbilder zurück, die die Geburt He-lenas häufig in Anwesenheit der Dioskuren aus einem Ei wiedergeben und die in den Jahren des Peloponnesischen Krieges und kurz danach häufig im Athener Kerameikos belegt sind. Diese Darstellungen sind nicht ohne Grund mit den historischen Ereignissen der letzten Jahrzehnte des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Athen verbunden worden, s. Carabatea a. O. (Anm. 2) 65 ff.; Robertson a. O. (Anm. 5) 227 und bes. 259; L. D. Caskey—J. D. Beazley, Attic

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re Überlieferung zusammen, nach der Iphigenie, eine besonders eng mit dem attischen Brauron verbundene Heroine, nicht eine Tochter des Aga-memnon und der Klytämnestra, sondern des Theseus und der Helena war!89

Auf dem Vasenbild des Talos-Malers weist nichts darauf hin, dass hier die «Athenerin» Helena dargestellt wäre. Dies wird nicht so sehr durch die Abwesenheit der Nemesis als vielmehr durch die Anwesenheit von Leda selbst und der Dioskuren bestätigt. Diese Komposition erlaubt es uns, den Künstler denjenigen Athenern zuzurechnen, die der langjährigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen ihrer Heimatstadt und Sparta müde waren und inbrünstig, wie der Strepsiades des Aristophanes,

Vase Paintings in the Museum of Fine Arts, Boston III, Boston 1963, 70 ff. mit Anm. 10 (J. Beazley). Vgl. K. D. S. Lapatin, “A Family Gathering at Rhamnous: Who’s Who on the Nemesis Base,” Hesperia 61 (1992), 118 f.; H. A. Shapiro, “The Judgment of Helen in Athenian Art,” in J. M. Barringer- J. M. Hurwit (eds.), Periklean Athens and its Legacy,Austin 2005, 53f., 54ff.; A. Bottini, Archeologia della salvezza, Milan 1992, 64 ff.; A. Bot-tini, “Elena fra Atene e Metaponto”, Ostraka 6 (1997), 155 ff.; E. Mugione, Mitti della ceramica attica in Occidente: Problemi di trasmissioni iconografiche nelle produzioni italiote, Taranto 2000, 144 ff. Dieser Überlieferung zufolge hatte sich Zeus in Gestalt eines Schwanes mit Nemesis verbunden. Die Göttin übergab dann das von ihr gelegte Ei Leda, die es ausbrüten sollte. Dieser Überlieferung ist offenbar auch Kratinos in seiner Komödie mit dem Titel «Νέµεσις» gefolgt, doch kann der Zeitpunkt ihrer Entstehung nicht genau festge-legt werden; s. z. B. F. R. B. Godolphin, “The Nemesis of Cratinus,” Classical Philology 26 (1931), 423 ff. und A. Schöne, “Die Hydria des Meidias-Malers im Kerameikos: Zur Ikono-graphie der Bildfriese,” Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 105 (1990), 177 Anm. 77. Von besonderem Interesse ist die Scherbe eines Glo-ckenkraters, auf dem wahrscheinlich die Geburt der Helena aus dem Ei in Anwesenheit der Dioskuren dargestellt war. Das besonders Interessante an dieser Scherbe ist die Tatsache, dass sie im Grab der Spartaner gefunden worden sein soll, die 403 v. Chr. in Athen gefallen waren, s. ARV2 1344.3 (oben). Robertson a. O. (Anm. 5) 258 f. sagt bezeichnenderweise zu diesem Gefäß: «It is no surprise to find it (i.e., dieses Thema) again in the time when con-quered Athens was governed by a pro-Spartan clique; and most probably it was represented on the vase from the grave». Es sei hier angemerkt, dass dieser profunde Kenner des Athe-ner Kerameikos es für nützlich befunden hat, die Ikonographie der attischen Vasen dieser Zeit unter dem Blickwinkel der Regierung Athens durch die spartafreundlichen Dreißig zu betrachten. Bedauerlicherweise bestehen starke Unsicherheiten hinsichtlich der exakten Fundstelle der Scherbe, s. hierzu I. D. McPhee, Attic Vase-painters of the Late 5th Century B.C., Ann Arbor, Michigan 1973, 162 Anm. 1.

89 Shapiro a. O. (Anm. 87) 235.

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Abb. 8: Plovdiv, Archäologisches Regionalmuseum Inv.-Nr. 1527 (nach J. Boardman, Athenian Red Figure Vases: The Classical Period, London 1989, 163 fig. 312).

Abb. 9: Plovdiv, Archäologisches Regionalmuseum Inv.-Nr. 1527.

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den Frieden herbeisehnten.90 Sie verlangten also nach einer friedlichen und freundschaftlichen Koexistenz mit Sparta. Mit Werken dieser Art propa-gierte der Vasenmaler in gewisser Weise die athenisch-spartanische An-näherung, die nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges auch die of-fizielle Politik der Stadt angestrebt und zu verwurzeln versucht hatte.91

Diese Komposition des Talos-Malers steht offenbar nicht allein. Dasselbe Thema hat A. Shapiro scharfsinnigerweise noch auf einem weiteren von diesem Maler bemalten Gefäß erkannt, nämlich auf der Rückseite des bekannten, nach dem Vorderseitenbild benannten Talos-Kraters in Ruvo [Abb. 10].92 Die Rückseite dieses monumentalen Gefäßes ist zwar nicht gut erhalten, doch stimme ich auf der Grundlage einer alten Zeichnung und der Kenntnisse, die wir durch das neue Gefäß aus Serra di Vaglio hinzugewon-nen haben, der Deutung von Shapiro zu, der hier die frisch Vermählten Theseus und Helena sowie die Dioskuren erkennt. In der Mitte der Kompo-

90 Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass es sich bei der weiblichen Gestalt, die Dionysos auf der Hydria aus Pella begleitet und einen Efeukranz hält [Abb. 1], nicht um eine Mänade (s. Tiverios a. O. [Anm. 1] 300 f.), sondern um die Personifikation des Frie-dens (Eirene) handelt. Bekanntlich gehört Eirene am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. zum Gefolge des Dionysos, s. H. A. Shapiro, Personifications in Greek Art, Kilchberg 1993, 45 ff. Zum bekannten Altar in Brauron, auf dem Dionysos von Eirene begleitet wird, s. zuletzt G. Despinis, “Der Dionysos-Altar in Brauron,” Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 119 (2004), 41 ff. und bes. 45, 54 f., 57 Abb. 17. Ich weise darauf hin, dass Despi-nis a. O. 60 ff. dieses Monument als mit der Hydria aus Pella gleichzeitig einstuft. Despinis verdanke ich den Hinweis auf eine antike Schriftquelle, in der Eirene als «kranztragend»bezeichnet wird, s. D. A. Campbell, Greek Lyric V, Cambridge, Mass. 1993, 416 Nr. 1018. Wenn die Benennung der dionysischen Gestalt auf der Hydria aus Pella als Eirene zutrifft, dann bildet sie das Gegengewicht zur oberhalb von Poseidon dargestellten Gestalt des Ky-doimos oder Kelados (des Dämons der «ἐν τῆι µάχηι ταραχῆ, ἀλαλητοῦ καὶ

ἀλαλαγµοῦ» oder der Personifikation des Schlachtengetümmels und des Kriegsgeschreis) auf der anderen Seite der Komposition der Hydria, s. Tiverios a. O. (Anm. 1) 306 f. Ich er-innere daran, dass die Athener später, der unausgesetzten Kampfhandlungen müde, gleich-zeitig mit dem Abschluss des Waffenstillstandes 374 v. Chr. den Kult der Eirene eingeführt haben, s. z. B. H. W. Parke, Festivals of the Athenians, London1977, 32 f.; F. Jacoby, Fragmente der griechischen Historiker III b (Supplement) 1, Leiden 1954 (photomech. Nachdruck) 523 ff. Nr. 328 F 151. S. Drougou erkennt in der Dionysos begleitenden Gestalt auf der Hydria aus Pella die Personifikation von Eleusis, s. S. Drougou, “Krieg und Frieden im Athen des späten 5. Jahrhunderts v. Chr.,” Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 115 (2000), 192 f., 211.

91 s. Shapiro a. O. (Anm. 87) 234; vgl. Burn a. O. (Anm. 42) 25, 70 Anm. 61. Carabatea a. O. (Anm. 2) 287 bezieht sich auf dieses Vasenbild des Talos-Malers und sagt, dass es «reflect(s) the Athenian dream to dominate Sparta and atticize its cults».

92 Shapiro a. O. (Anm. 87) 236.

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sition erscheint Athena selbst, die große Göttin der Stadt, die sich bemer-kenswerterweise nicht den frisch Vermählten, sondern mit einer bezeich-nenden Geste den Dioskuren zuwendet. Wenn wir diese richtig deuten, handelt es sich um eine abweisende Geste oder mit Shapiro's Worten eine «restraining gesture»,93 so als wolle die Göttin die Dioskuren daran hin-dern, mit dem wahrscheinlichen Ziel der Verhinderung der Hochzeit in At-tika einzudringen.94 Die Göttin gibt dieser Verbindung ihre Zustimmung und sanktioniert damit zugleich die friedliche Koexistenz von Athen und Sparta.

Eine hiermit zusammenhängende Darstellung, deren Deutung ebenfalls durch Beischriften gesichert ist, findet sich auf einer gleichzeitigen Hydria aus Halai in Böotien, die sich heute im Archäologischen Museum von The-ben Inv. E 173 befindet [Abb. 11 und Zeichn. 3]. V. Sabetai schreibt das Gefäß in ihrer ausführlichen Publikation dem Pronomos-Maler zu und da-tiert es um 400 v. Chr.95 In einer «paradiesischen» Umgebung sind Helena und ihre Freundinnen sorglos mit dem Sammeln von Früchten beschäftigt. Theseus packt diese Gelegenheit beim Schopf und eilt mit seinem treuen Freund Peirithoos herbei, um Helena zu überraschen und zu entführen. Die Anwesenheit der von Eros (oder Himeros) begleiteten Aphrodite deutet auf das Gelingen des Unternehmens hin. Die häufige Darstellung «paradiesi-scher Gärten» in der Vasenmalerei dieser Zeit sind von L. Burn treffend mit der allgemeinen Atmosphäre in Zusammenhang gebracht worden, die in dieser Epoche in Athen geherrscht hat. Die vom langjährigen Krieg ge-peinigten Athener sehnten sich nach einem Leben an einem solchen Platz, weshalb «Idyllen» dieser Art in dieser Zeit häufig auf attischen Gefäßen dargestellt werden.96

Das Klima der Annäherung zwischen Athen und Sparta, das in dieser Zeit in Athen geherrscht hat, macht die auf attischen Vasen des späten 5.

93 Shapiro a. O. 94 Für eine vergleichbare Geste mit der entsprechenden Bedeutung des Verbietens oder

Verhinderns vgl. diejenige des Apollon, der auf dem bekannten apulischen Volutenkrater in Neapel, Museo Nazionale Inv. 82270 mit der Darstellung des Orest in Delphi den Erinyen «verbietet» bzw. sie «hindert», s. z. B. Tiverios a. O. (Anm. 43) 209-210 Abb. 194-195, 343 Nr. 194-196. Vgl. auch die Geste der Athena auf einer Darstellung des Altamura-Malers mit einem entsprechenden Thema, s. Shapiro a. O. (Anm. 87) 233 und Taf. 50, 2.

95 CVA Thebes 1, 82 ff., Taf. 75-77, Abb. 35 und 42 (V. Sabetai); s. außerdem Servadei a. O. (Anm. 86) 157, 159, 166 f. und Abb. 65.

96 Burn a. O. (Anm. 42) bes. 19 ff., 95; s. auch o. Anm. 42. Anders Schöne a. O. (Anm. 88) 177 f.

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und frühen 4. Jahrhunderts v. Chr. belegten Darstellung von Personen, die direkt mit Sparta verbunden sind, ebenso leicht verständlich97 wie einige andere gleichzeitige attische Vasenbilder, darunter dasjenige auf der sub-meidiasischen Bauchlekythos in Athen, ANM Inv. 1282 [Abb. 12].98 Dar-gestellt sind der sitzende Paris in Begleitung von Eros (oder Himeros), wahrscheinlich Helena und ungewöhnlicherweise nicht Aphrodite, sondern Athena. Die Möglichkeit, dass das «Parisurteil» dargestellt sein könnte,99

besitzt aufgrund der Abwesenheit der dritten Göttin und der Anwesenheit eines kleinen Palladions links neben Eros (oder Himeros) wenig Wahr-scheinlichkeit. A. Shapiro100 schlägt dagegen vor, hier die Athena Chalkioikos von Sparta zu erkennen, doch macht es die riesige Hausschlange, die die Göttin begleitet, eher wahrscheinlich, dass Pallas Athena, die Schutzgöttin Athens, gemeint ist. Die Anwesenheit der Athena an Stelle von Aphrodite wird vielleicht dann leichter verständlich, wenn wir sie im Zusammenhang mit der Tendenz der «Athenisierung» der Helena sehen,101 die, wie oben bereits ausgeführt, in dieser Zeit in Athen belegt ist. Man darf nicht vergessen, dass die Liebesgöttin selbst auf attischen Vasen-bildern des ausgehenden 5. Jahrhunderts v. Chr. ebenfalls häufig präsent ist102 und dass ihre Abwesenheit in dieser Komposition also nur durch eine

97 s. Tiverios a. O. (Anm. 1) 316 f. und o. Anm. 83. Zur Anwesenheit der Helena auf den Gefäßen aus der Werkstatt des Meidias-Malers s. Burn a. O. (Anm. 42) 68 ff. Sie fragt sich ebenda 70 Anm. 61, ob «the sympathetic Meidian treatment of Helen is another possible indication of Spartan sympathies on the part of the painter». Peloponnesische Heroen treten auch in der zeitgenössischen Dichtung, so bei Euripides, häufig auf. Es wäre nützlich, wenn wir sicher sein könnten, dass eine Tragödie dieser Zeit mit dem Titel «Ῥαδάµανθυ» mit den Dioskuren als Protagonisten wirklich von Kritias, dem Prominentesten der Dreißig, verfasst worden ist; s. Lesky a. O. (Anm. 48) 525. Zu Kritias als Dichter s. A. von Blumen-thal, Der Tyrann Kritias als Dichter und Schriftsteller, Stuttgart 1923.

98 LIMC IV 1 (1988) 522 Nr. 120, s. v. Helene (L. Kahil) und IV 2 (1988) 313 (Helene 120). Das Gefäß stammt aus der Zeit um 400 v. Chr.

99 C. M. Clairmont, Das Parisurteil in der antiken Kunst, Zürich 1951, 56 K 173. 100 H. A. Shapiro, “Helen Out of Doors,” in G. R. Tsetskhladze et al. (eds.), Periplous,

London 2000, 272. 101 Vgl. Lapatin a. O. (Anm. 88) und Carabatea a. O. (Anm. 2) 287. Zu einer auf Athen

konzentrierten Auffassung der Kunst während der letzten Jahrzehnte des 5. Jahrhunderts v. Chr. s. L. Burn, “The Art of the State in Late Fifth-century Athens,” in M. M. McKenzie—C. Roueché (eds.), Images of Authority. Papers Presented to Joyce Reynolds on the Occa-sion of her Seventieth Birthday, Cambridge 1989, bes. 67 ff. S. auch hier Anm. 88.

102 Zu Aphrodite in der Ikonographie des Athener Kerameikos in dieser Zeit s. z. B. Burn a. O. (Anm. 42) 26 ff.

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Erklärung wie die vorgeschlagene ausreichend begründet werden kann. Diese Göttin wird häufig in dieser Zeit von Gestalten ihres Gefolges beglei-tet, die sie ergänzen, wie Personifikationen abstrakter Begriffe, wie die ent-sprechenden Beischriften lehren. In manchen dieser Personifikationen, wie zum Beispiel der Eunomia, der Eukleia und der Peitho, erkennen einige Autoren ebenfalls politische Symbole, die auf die demokratischen und oli-garchischen Bürger der Stadt in dieser Zeit zu beziehen seien.103 Mit Si-cherheit einen politischen Symbolgehalt besitzt die Überlieferung, die The-seus nach dem attischen Synoikismos am Nordwestabhang der Akropolis ein Heiligtum für Aphrodite Pandemos und Peitho gründen lässt (Pausanias I 22, 3).104 Es ist bezeichnend, dass einige dieser Darstellungen Lekaniden, Bauchlekythen und Pyxiden schmücken,105 Gefäße also, die mit Hochzeits-feiern und allgemein mit der Welt der Aphrodite in Zusammenhang stehen. Die Athener, die sich nach den Geschenken der Liebesgöttin sehnten, die ihnen der ebenso langwierige wie zerstörerische Peloponnesische Krieg vorenthalten hatte, nehmen mit politischen Gedanken auf sie und ihr Ge-folge Bezug. Sie träumen von einer Form der Regierung ihres Landes, die der Welt der Aphrodite nicht im Wege steht. In diesem herbeigesehnten Staat würde das richtige Arbeiten der Eunomia und der Peitho, so glauben sie, auch zur Eudaimonia des Landes und zu ihrer persönlichen Eutychia beitragen.106 Zugleich hoffen sie, dass Aphrodite Pandemos ihnen helfen würde, ihre Zwistigkeiten untereinander zu überwinden, die in dieser Zeit

103 s. z. B. Burn a. O. (Anm. 42) 37 und bes. 38 f. sowie A. Cl. Smith, Political Personi-fications in Classical Athenian Art, Ann Arbor: University Microfilms 1997, bes. 63 ff., 66. Zu Peitho s. R. Buxton, Persuasion in Greek Tragedy: A Study of Peitho, Cambridge 1982, bes. 54 f.; E. Stafford, Worshipping Virtues, London 2000, 111 f.; Smith a. O. 83 ff., 88 f. Zu Eukleia und Eunomia s. K. Schefold, “Statuen auf Vasenbildern,” Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 52 (1937), 63, 71 ff.; R. Hampe, “Eukleia und Euno-mia,” Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung 62 (1955), bes. 115 ff.; D. Metzler, “Eunomia und Aphrodite. Zur Ikonologie einer attischen Vasen-gruppe,” Hephaistos 2 (1980), 73 ff.; Smith a. O. 111 f., 115 f. Die Monographie von G. Grossmann, Politische Schlagwörter aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges, Basel 1950 war mir nicht zugänglich.

104 E. Simon, Festivals of Attica, Wisconsin 1983, 49 ff.; s. auch hier im Anschluss. 105 s. z. B., Burn a. O. (Anm. 86) 115 f. Nr. MM 126-128, Taf. 21; MM 134, Taf. 19 b. 106 Zu den Darstellungen von Eudaimonia, Eukleia, Eunomia, Eutychia und Peitho s.

Shapiro a. O. (Anm. 90) 62 ff., 70 ff., 79 ff., 86 ff., 186 ff.

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Abb. 10: Ruvo, Museo Jatta Inv.-Nr. 1501 (nach G. Andreassi, Jatta di Ruvo, Bari 1996, S. 103).

besonders heftig waren, und in Eintracht miteinander zu leben.107

Die oben besprochenen attischen Vasenbilder des späten 5. und frühen 4. Jahrhunderts v. Chr. sind nicht die einzigen, die von der zeitgenössischen Athener Geschichte beeinflusst sind. Wie oben bereits gesagt, gibt es noch weitere, die mit dieser unruhigen Phase der Athener Geschichte in Zusam-menhang stehen.108 Dass diese Gefäße, deren Darstellungen «voll von

107 Vgl. Simon a. O. (Anm. 104) 50 f. Zur Einigkeit zu dieser Zeit in Athen s. Lévy a. O. (Anm. 9) 209 ff. Zum Zeitpunkt des Endes des Peloponnesischen Krieges waren die Leiden-schaften in Athen sehr aufgewühlt, s. Loraux a. O. (Anm. 56) und Romilly a. O. (Anm. 56).

108 s. Tiverios a. O. (Anm. 1) 316 f. mit Lit. Vgl. Schöne a. O. (Anm. 88) 177; Tiverios a. O. (Anm. 71) 119 ff. und o. Anm. 23 und 87. Wahrscheinlich birgt auch die Lekythos im British Museum Inv. E 696 (Art des Meidias-Malers: ARV2 1325.49), auf der Ödipus darge-stellt ist, der in Anwesenheit von Athena, Apollon, der Dioskuren und des Aineias(!) die Sphinx tötet, Anspielungen auf die zeitgenössische Geschichte Athens. Burn a. O. (Anm. 101) 68 sieht hier ein Beispiel für die in dieser Zeit in Athen feststellbare «Atticisation of non-Attic myths». Zu dieser Darstellung s. Burn a. O. (Anm. 42) 46 ff., 111 Nr. MM 78, Taf. 32.

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Abb. 11: Theben, Archäologisches Museum Inv.-Nr. E 173 (Foto: Akademie Athen, Zentrum für Altertumsforschung).

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Zeichn. 3: Zeichnerische Rekonstruktion der Komposition auf der attisch rotfigurige Hydria. Theben, Archäologisches Museum Inv.-Nr. E 173

(nach CVA Thebes 1, fig. 42).

Abb. 12: Athen, Archäologisches Nationalmuseum Inv.-Nr. 1282.

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athenischer Geschichte» sind, in der Mehrzahl weit von Athen entfernt ge-funden worden sind,109 kann weder Anlass dazu geben, an der Richtigkeit der oben angestellten Überlegungen zu zweifeln, noch einen Grund für die Annahme bilden, dass in den Besitzern dieser Gefäße unbedingt Athener erkannt werden müssten, die in der Fremde der Tod ereilt hätte, oder Frem-de, die Beziehungen zu Athen unterhalten hätten und mit den dortigen Vor-gängen vertraut gewesen wären. Es versteht sich, dass wir keine dieser Möglichkeiten von vornherein gänzlich ausschließen können, doch werden solche Fälle, sollte es sie denn gegeben haben, kaum sehr zahlreich gewe-sen sein. Die Mehrzahl der genannten Gefäße wird als «Meisterwerke» (masterpieces) des Athener Kerameikos ins Ausland gelangt sein, wo die Käufer Freude daran fanden, sie zu betrachten und zu benutzten, weshalb die Angehörigen sie dann dazu ausersehen hatten, ihre Besitzer auf ihrer letzten Reise zu begleiten.110

Bekanntlich tragen zahlreiche attisch schwarz- und rotfigurige Gefäße, die auf die Märkte Etruriens gelangt sind, Hinweise auf reale Athener, doch wird man deswegen kaum annehmen wollen, dass ihre Käufer in jedem Fall von deren Existenz oder deren Aktivitäten gewusst hätten;111 andere sind mit athenischen oder allgemein griechischen Themen bemalt, die zumindest in der überwiegenden Zahl der Fälle für die Etrusker keine besondere Be-deutung besessen haben werden.112 Im Übrigen ist es nachgewiesen, dass die Etrusker in manchen Fällen die auf den attischen Vasen dargestellten mythologischen Episoden nicht verstanden haben.113

109 Einige dieser Gefäße sind auch in Athen (oder in Attika) gefunden worden, so z. B. die Lekanis mit der Darstellung von Athena und Poseidon (s. o. 164 ff), die Bauchlekythos mit Helena und Athena (s. o. 192 f.) und die Scherbe eines Glockenkraters, auf dem wahr-scheinlich die Geburt der Helena aus dem Ei im Beisein der Dioskuren dargestellt war (s. o. Anm. 88).

110 Vgl. Tiverios a. O. (Anm. 1) 318 f. 111 Charakteristische Beispiele hierfür sind die attischen Gefäße mit Kalos-Beischriften,

die sich auf reale Athener beziehen, die den Etruskern unbekannt gewesen sein dürften. 112 Wie zum Beispiel die mit athenischen Mythen bemalten Gefäße des Kodros-Malers;

zu diesen vgl. die Dissertation von A. Avramidou, The Codrus Painter: An Iconographical Study, Diss. The Johns Hopkins University, Baltimore 2005.

113 s. z. B. M. Tiverios, “Οἱ «τυρρηνικοὶ» (ἀττικοὶ) ἀµφορεῖ: Ἡ σχέση του µὲ τοὺ «ποντιακοὺ» (ἐτρουσκικοὺ) καὶ τὸν Νικοσθένη,” Ἀρχαιολογικὴ Ἐφηµερί 1976, 55 mit Anm. 4 (mit Lit.). Zu diesem Thema s. Chr. Reusser, Vasen für Etrurien: Verbreitung und Funktionen attischer Keramik im Etrurien des 6. und 5. Jahrhunderts vor Christus I,Zürich 2002, bes. 146 ff. mit Lit. Vgl. R. Osborne, “Why did Athenian Pots Appeal to the Etruscans?,” World Archaeology 33.2 (2001), 277 ff.

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Bild und Geschichte 197

Die Athener Vasenmaler wählten ihre Darstellungsthemen aus, ohne zumindest in der überwiegenden Zahl der Fälle die Präferenzen der künfti-gen Käufer ihrer Produkte zu berücksichtigen, die sie häufig ohnehin nicht kennen lernten. Sie bezogen ihre Ideen aus der Welt der Götter, aus der mythischen Vergangenheit, öffentlichen und privaten Feiern, zeitgenössi-schen Ereignissen und dem Alltagsleben.114 Die Fälle, in denen sie die Dar-stellungsthemen mit Blick auf die künftigen Käufer ausgewählt haben, werden gering gewesen sein, und ebenso selten werden sie persönliche Be-stellungen oder Massenaufträge mit einem festgelegten Darstellungsthema ausgeführt haben.115

Es ist nichts weiter als natürlich, dass sich die attischen Vasenmaler auch von den historischen Ereignissen ihrer Zeit haben beeinflussen lassen; es ist im Gegenteil unmöglich, dass die Töpfer, die im Athener Kerameikos gearbeitet haben und die zumindest in einigen Fällen Bürger der Stadt,116

mehrheitlich aber sicherlich aktive Mitglieder der athenischen Gesellschaft waren,117 bei der Herstellung ihrer Produkte die wichtigen Ereignisse der

114 Kürzlich hat C. Marconi, “Images for a Warrior: On a Group of Athenian Vases and their Public,” in C. Marconi (ed.), Greek Vases: Images, Contexts and Controversies, Leiden 2004, bes. 38 ff. die Ansicht vertreten, dass sich die Darstellungsthemen auf den attischen Vasen an jeden denkbaren Käufer innerhalb des Mittelmeergebiets und nicht nur an die A-thener gewandt haben, was ich jedoch für unwahrscheinlich halte; s. R. Osborne, “Images of a Warrior: On a Group of Athenian Vases and their Public,” in Marconi (ed.) a. O. 42 ff.

115 Zu Vasenbestellungen s. M. Tiverios, Περίκλεια Παναθήναια, Athen 1989, 123 ff. (Perikleische Panathenäen, Gutenberg 2008, 91 ff.); J. Boardman, The History of Greek Vases, London 2001, 226 ff.

116 Die Angabe des Patronymikons auf signierten attischen Gefäßen spricht dafür, dass es sich bei den jeweiligen Töpfern wahrscheinlich um Athener Bürger gehandelt hat. In der hier interessierenden Zeit, am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr., ist z. B. der Töpfer Nikias mit Sicherheit Athener Bürger gewesen, was aus der Signatur auf dem von ihm gearbeiteten Glockenkrater im British Museum Inv. 98.7-16.6 eindeutig hervorgeht: «Νικία

Ἑρµοκλέου Ἀναφλύστιο ἐποίεσεν»; s. Immerwahr a. O. (Anm. 84) 115 Nr. 800. Ein Mann namens Phintias, der in dieser Zeit eine Eichellekythos, heute in Frankfurt, Liebieg-haus Inv. 538, mit dem Zusatz «Ἀθηναῖο» signiert (s. Para. 477 f.; CVA Frankfurt am Main 2, 32 f., Taf. 81 [K. Deppert]), wird ebenfalls Athener Bürger gewesen sein. Dasselbe gilt auch für den etwas späteren Xenophantos, von dem zwei Gefäße mit dem Signaturzusatz «Ἀθηναῖο» erhalten sind (s. M. Tiverios, “Die von Xenophantos Athenaios signierte große Lekythos aus Pantikapaion: Alte Funde neu betrachtet,” in J. Oakley et al. (eds.), AthenianPotters and Painters, Oxford 1997, 269 ff., 275 f.).

117 Vgl. I. Scheibler, Griechische Töpferkunst, München 1995², 120 ff., bes. 132 f. Ich erinnere z. B. an den Fall des Lampenherstellers Hyperboulos aus den letzten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts v. Chr., den seine bescheidene Herkunft nicht daran gehindert hat, sich aktiv am politischen Leben Athens zu beteiligen; s. hierzu I. Scheibler, “Griechische Lampen,”

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Chapter Eight 198

zeitgenössischen Geschichte ignoriert hätten.118 Bezeichnend hierfür ist die Tatsache, dass viele der Gefäße, die uns hier beschäftigt haben, von jeweils demselben Maler bemalt worden sind, so vom Talos-Maler und von Malern aus der Werkstatt des Pronomos-Malers. Dies wird hervorgehoben, weil diese Keramiker (oder die Besitzer der Töpferwerkstätten, in denen sie ge-arbeitet haben) den Aussichten auf eine Annäherung von Athen und Sparta sehr wahrscheinlich positiv gegenübergestanden haben.119

Die Beantwortung der Frage, in welchem Maß die Käufer und Besitzer dieser Gefäße, die in der Mehrzahl nichts mit Athen zu tun hatten, in der Lage gewesen sind, die Botschaften, die diese Vasenbilder vermittelten, zu entschlüsseln und zu verstehen, muss der Gegenstand einer eigenen Unter-suchung sein. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, haben sie diese Botschaften wohl in der Mehrzahl der Fälle nicht entschlüsseln können.120

Kerameikos XI, Berlin 1976, 131 f. Vgl. V. Ehrenberg, Aristophanes und das Volk von Athen, Zürich/Stuttgart 1968, 128 f.

118 Vgl. M. Tiverios, Μία «κρίσι τῶν ὅπλων» τοῦ Ζωγράφου τοῦ Συλέα, Athen 1985, 15 f.

119 Bezeichnenderweise meint Robertson a. O. (Anm. 5) 259, dass sich der monumentale Stil des Pronomos-Malers und des Talos-Malers «developed under the patronage of the Thirty Tyrants and their circle; and that a period of retrenchment and austerity followed the overthrow of the régime». Sicher wird es auch vorgekommen sein, dass eine politisch ge-färbte Komposition auf das Repertoire eines Vasenmalers eingewirkt hat, d. h. dass es in der Vasenmalerei Kompositionen gegeben hat, die nicht den Inspirationen der Vasenmaler, sondern anderer Künstler entsprungen waren und die die Vasenmaler in Kenntnis oder auch in Unkenntnis der von diesen transportierten politischen Botschaften übernahmen. Ich erin-nere daran, dass auch innerhalb des Werkes anderer Vasenmaler dieser Zeit, wie z. B. des Meidias-Malers, «aristokratische» Züge, «Spartan sympathies» (s. z. B. Burn a. O. [Anm. 42] 39, 70 Anm. 61 und o. Anm. 108) oder, wie im Fall des etwas älteren Kadmos-Malers, «Peloponnesian sympathies» festgestellt worden sind (s. z. B. Caskey—Beazley a. O. [Anm. 88] 83 [J. Beazley]). Im Werk des letztgenannten finden sich außer der oben besprochenen Theoxenie der Dioskuren auf der Hydria in Plovdiv auch andere «peloponnesische» The-men, wie z. B. die Geburt der Helena aus dem Ei (ARV2 1185.10). Von seiner Hand stammt auch der Kelchkrater in Bologna, Museo Civico Inv. 303 (ARV2 1184f., 6), auf dem in einzig-artiger Weise Theseus, der athenische Heros schlechthin, im Reich seines göttlichen Vaters Poseidon dargestellt ist. Zum Verhältnis Poseidon-Theseus s. auch Gartziou-Tatti a. O. (Anm. 6) 334 ff. «Politische» Sympathien sind auch bei attisch schwarzfigurigen Vasenma-lern festgestellt worden, so z. B. beim Priamos-Maler, s. J. Boardman, “Herakles, Peisi-stratos and the Unconvinced,” Journal of Hellenic Studies 109 (1989), 158 f.; ders., “Icono-graphic Signals in the Work of the Priam Painter,” Cronache di Archeologia 29 (1990), 19 ff.

120 Vgl. F. Lissarrague, “Voyages d’images: Iconographie et aires culturelles,” Revuedes Études Anciennes 89 (1987), 261 ff. Vgl. J. Boardman, “Iconographic Signals in the Wort of the Priam Painter,” Cronache di Archeologia 29 (1990), 19 ff.; ders. a. O. (Anm. 115) 172. Für andere Einschätzungen s. z. B. Marconi a. O. (Anm. 114) 27 ff.

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Man darf nicht vergessen, dass die Käufer die Gefäße vor allem mit Blick auf ihre Verwendbarkeit erwarben,121 wobei natürlich auch die Höhe des Preises sowie die Qualität der Herstellung und der Dekoration eine Rolle spielten. Dies soll natürlich nicht heißen, dass es nicht auch Käufer gegeben hat, die ein Gefäß aufgrund seines Darstellungsthemas ausgewählt hätten, zum Beispiel wenn darauf von ihm besonders verehrte Gottheiten oder He-roen oder Szenen dargestellt waren, die ihn oder die Seinen in irgend einer Weise persönlich betrafen;122 diese Fälle werden allerdings nicht sehr zahl-reich gewesen sein.*

121 Vgl. Reusser a. O. (Anm. 113) 124 ff.; s. auch die Aufsätze von J. de la Genière, R. Olmos, H. H. Blinkenberg, C. Isler-Kerényi, J. Gran-Aymerich, J. und L. Jehasse und B. Shef-ton in M.-Ch. Villanueva Puig et al. (réunis), Céramique et peinture grecques: Modes d’emploi. Actes du colloque international, École du Louvre, 26-27-28 avril 1995, Paris 1999.

122 Für einen Fall dieser Art s. z. B. Marconi a. O. (Anm. 114) 28 ff. Vgl. Reusser a. O. (Anm. 113) 146 ff. und Osborne a. O. (Anm. 114) 41, 52.

* Für die Genehmigung zur Abbildung der unpublizierten Scherben der Lekanis Inv. Akr. 594 danke ich dem Direktor des Archäologischen Nationalmuseums Athen, N. Kaltsas, und der Leiterin der Keramiksammlung E. Kakarounga-Stasinopoulou sehr herzlich. Für die Überlassung von Fotografien bin ich dem Archäologischen Nationalmuseum Athen, dem Archäologischen Museum Theben, dem Archäologischen Museum Pella, der 16. Ephorie für Prähistorische und Klassische Altertümer Thessaloniki, dem Archäologischen Museum Plovdiv und dem Department of Classical Museum of the State Hermitage Museum in St. Petersburg verpflichtet. Für vielfältige Unterstützung danke ich außerdem E. Kakarounga-Stasinopoulou, E. Trakasopoulou, M. Akamati, I. Akamati, M. Pipili, V. Sabetai, V. Ara-vantinos, K. Kissiov, K. V. von Eickstedt, E. Kephalidou, Y. Ilyina, Chr. Avronidaki, A. Avra-midou, L. Kokkinou, Ph. Dakoronia, M. Papakonstantinou, A. Panti, M. Geivanidou, sowie G. Kavvadia, S. Gimatzidi, G. Miltsakakis, und besonders V. Saripanidi. Für die Über-setzung meines griechischen Manuskripts ins Deutsche bin ich dem Freund Dr. W. Schür-mann zu Dank verpflichtet.