Nina Defranceschi Bilanzierung von Finanzinstrumenten mit Eigenschaften von Eigenkapital im IAS/IFRS - eine kritische Würdigung des DP/2018/1 MASTERARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science Studium: Masterstudium Wirtschaft und Recht Studienzweig: Finance Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Begutachterin Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Gudrun Fritz-Schmied Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Finanzmanagement Klagenfurt, Juni 2019
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Bilanzierung von Finanzinstrumenten mit Eigenschaften von ...
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Nina Defranceschi
Bilanzierung von Finanzinstrumenten mit Eigenschaften von Eigenkapital im IAS/IFRS - eine
kritische Würdigung des DP/2018/1
MASTERARBEIT
zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Science
Studium: Masterstudium Wirtschaft und Recht Studienzweig: Finance
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Begutachterin Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Gudrun Fritz-Schmied Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Finanzmanagement
Klagenfurt, Juni 2019
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere an Eides statt, dass ich
- die eingereichte wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die
angegebenen Hilfsmittel benutzt habe,
- die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene Unterstützung, einschließlich
2.1 Organisation und Zielsetzung der Internationalen Rechnungslegung ............................... 4 2.1.1 Das Regelwerk der IFRS.............................................................................................................. 6 2.1.2 Der Prozess der Standardsetzung ............................................................................................... 7 2.1.3 Grundsätze der Rechnungslegung nach IAS/IFRS ........................................................................ 9
3 Begriffsdefinition und Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital im IAS/IFRS ............ 11
3.2 Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital im IAS/IFRS ............................................. 14 3.2.1 Kündbare Instrumente ..............................................................................................................16 3.2.2 Erfüllungswahlrechte ................................................................................................................17
4 Die Bilanzierung von Finanzinstrumenten mit Eigenschaften von Eigenkapital im
IAS/IFRS – Ausgangslage und Problemstellung ................................................................... 19
4.1 Finanzinstrumente mit Eigenschaften von Eigen- und Fremdkapital und deren Bilanzierung ................................................................................................................................ 19
4.1.1 Die Rolle des Kriteriums des „wirtschaftlichen Gehalts“ einer Vereinbarung ..............................21 4.1.2 Ausgewählte Finanzinstrumente mit Eigenschaften von Eigen- und Fremdkapital......................22
4.2 Zusammenfassung der Problembereiche ........................................................................ 31
5 DP/2018/1 – Finanzinstrumente mit Eigenschaften von Eigenkapital ......................... 34
5.1 Die Kernpunkte des DP/2018/1 ...................................................................................... 34 5.1.1 Identifizierte Problembereiche des IASB....................................................................................34 5.1.2 Der Lösungsvorschlag des IASB .................................................................................................35
5.2 Lösungsansätze des DP/2018/1 und Analyse der Fragestellungen des Boards anhand der Comment Letters......................................................................................................................... 38
5.2.1 Einleitung .................................................................................................................................38 5.2.1.1 Section 1 des DP/2018/1 – Ziele, Umfang und Herausforderungen ...................................40
5.2.1.1.1 Erläuterungen des Boards und Fragestellung an die Anwender ....................................40
III
5.2.1.1.2 Rückmeldungen der Anwender ...................................................................................43 5.2.1.1.3 Conclusio ....................................................................................................................44
5.2.1.2 Section 2 des DP/2018/1 – Der “preferred approach“ des Boards ....................................45 5.2.1.2.1 Erläuterungen des Boards und Fragestellung an die Anwender ....................................45 5.2.1.2.2 Rückmeldungen der Anwender ...................................................................................47 5.2.1.2.3 Conclusio ....................................................................................................................48
5.2.1.3 Section 3 des DP/2018/1 – Klassifizierung von nicht derivativen Finanzinstrumenten .......50 5.2.1.3.1 Erläuterungen des Boards und Fragestellung an die Anwender ....................................50 5.2.1.3.2 Rückmeldungen der Anwender ...................................................................................53 5.2.1.3.3 Conclusio ....................................................................................................................55
5.2.1.4 Section 4 des DP/2018/1 – Klassifizierung von derivativen Finanzinstrumenten................56 5.2.1.4.1 Erläuterungen des Boards und Fragestellung an die Anwender ....................................56 5.2.1.4.2 Rückmeldungen der Anwender ...................................................................................59 5.2.1.4.3 Conclusio ....................................................................................................................60
5.2.1.5 Section 5 des DP/2018/1 – Zusammengesetzte Instrumente und Rückzahlungsverpflichtungen.............................................................................................................61
5.2.1.5.1 Erläuterungen des Boards und Fragestellung an die Anwender ....................................61 5.2.1.5.2 Rückmeldungen der Anwender ...................................................................................65 5.2.1.5.3 Conclusio ....................................................................................................................66
5.2.1.6 Section 8 des DP/2018/1 – Vertragsbestimmungen und die Beziehung zwischen Verträgen und dem Gesetz .................................................................................................................................67
5.2.1.6.1 Erläuterungen des Boards und Fragestellung an die Anwender ....................................67 5.2.1.6.2 Rückmeldungen der Anwender ...................................................................................69 5.2.1.6.3 Conclusio ....................................................................................................................71
6 Conclusio und Ausblick ................................................................................................. 73
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Struktur des IASB ........................................................................................................................ 5 Abbildung 2: Due Process des IASB ................................................................................................................. 8 Abbildung 3: Entscheidungsbaum für die Klassifizierung von Eigen- und Fremdkapitalinstrumenten ................23 Abbildung 4: Klassifizierung nach dem "preferred approach" des Boards ........................................................36 Abbildung 5: Verteilung der Comment Letter nach Kontinenten .......................................................................38 Abbildung 6: Verteilung der Comment Letter nach europäischen Staaten .........................................................39 Abbildung 7: Analysierte Comment Letter ........................................................................................................40
V
Abkürzungsverzeichnis
Abs. Absatz
AFRAC Austrian Financial Reporting and Auditing Committee
Im letzten Kapitel, welches sich mit der Conclusio und dem Ausblick beschäftigt, werden die
in Kapitel 4 identifizierten Regelungslücken mit den in Kapitel 5 präsentierten Ansätzen des
DP/2018/1 gegenübergestellt und die Forschungsfrage beantwortet. Des Weiteren gibt dieses
Kapitel einen kurzen Ausblick über die weitere Behandlung des Themas.
5 Anm.: Die Unterkapitel des DP/2018/1 werden als „Sections“ bezeichnet. In der Masterarbeit wird dieser Terminus übernommen.
4
2 Organisationsstruktur des IASB und der Standardsettingprozess in der internationalen Rechnungslegung
2.1 Organisation und Zielsetzung der Internationalen Rechnungslegung
Die weltweite Globalisierung erfordert Harmonisierungsmaßnahmen in vielen Bereichen, unter
anderem auch in der Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen von international agierenden
Unternehmen. So wurde im Jahr 1973 das International Accounting Standards Committee
(IASC) auf Initiative Großbritanniens mit dem Ziel der internationalen Harmonisierung von
Abschlüssen gegründet.6 Zu den Gründungsstaaten gehörten berufsständische Vertreter aus
Australien, Deutschland, Frankreich, Japan, Kanada, Mexiko, Niederlande, UK, Irland und den
USA.7 Im Jahr 1997 erkannte man, dass die Struktur des IASC überholt sei, was der Startschuss
einer kompletten Reorganisation war. Der Reorganisationsprozess war im Jahr 2001
abgeschlossen und endete in einer Neugründung des International Accounting Standards Board
(IASB) als Nachfolgeorganisation des IASC. Unter dem IASC wurden die internationalen
Rechnungslegungsstandards als International Accounting Standards (IAS) veröffentlicht.
Durch die Reorganisation kam es auch hier zu einer Änderung, wodurch seit dem Jahr 2001
neue Standards als International Financial Reporting Standards (IFRS) bezeichnet werden.8
Das IASB, der Standardsetter der Internationalen Rechnungslegungsstandards, ist ein Verein
mit Sitz in London und besteht aus einer unabhängigen Gruppe von Experten, mit der Aufgabe
IFRS Standards zu entwickeln und zu veröffentlichen.9 Darüber steht die Trägerorganisation,
die IFRS Foundation, die für die Überwachung und Finanzierung des IASB sowie für die
Bereitstellung der gesamten Organisationsstruktur verantwortlich ist.10 Als weitere wichtige
Organe in der Organisationsstruktur wären noch die Trustees bzw. Treuhänder der IFRS
Foundation, zuständig für die Überwachung des IASB, das IFRS Interpretations Committee
(IFRIC), zuständig für die Auslegung von praktischen Fragen im Rahmen der internationalen
Rechnungslegung sowie das IFRS Advisory Council (IFRSAC), zuständig für die fachliche und
6 Vgl. Zülch/Hendler, 2017, S. 30. 7 Vgl. Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: IAS Plus, International Accounting Standards Committee (IASC). 8 Vgl. Pellens et al., 2017, S. 51. 9 Vgl. IFRS Foundation: About the International Accounting Standards Board (Board). 10 Vgl. Pellens et al., 2017, S. 52.
5
Abbildung 1: Struktur des IASB
technische Beratung des IASB, zu nennen.11 Im Jahr 2009 wurde zudem noch das Monitoring
Board ins Leben gerufen, das die Verknüpfung zwischen den Trustees und bedeutsamen
Kapitalmarktinstitutionen herstellen soll.12 Die IFRS Foundation hat eine dreistufige
Steuerungsstruktur, wobei das Monitoring Board für die öffentliche Rechenschaftspflicht
(„public accountability“), die Trustees und die IFRS Foundation selbst für die Steuerung
(„governance“) und das IASB und das IFRS Interpretations Committee als unabhängige
Standardsetter („independent standard setting“) fungieren. Das IFRS Advisory Council ist als
Ratgeber für die Trustees und das IASB zu sehen, wobei sich das IASB auch noch vielen
weiteren Beratungsgremien und Beratergruppen bedient.13
Hier ein graphischer Überblick über die oben beschriebene Struktur des IASB:
Quelle: MAZARS.IFRS-PORTAL: Was ist der IASB?
11 Vgl. Zülch/Hendler, 2017, S. 33. 12 Vgl. Pellens et al., 2017, S. 54. 13 Vgl. IFRS Foundation: Our Structure.
Monitoring Board (bestehend aus Vertretern öffentlicher Kapitalmarktbehörden)
IFRS Advisory Council
Treuhänder der IFRS Foundation (Kontrollfunktion)
berichten an
ernennen informiert
ernennt, überwacht
informiert beaufsichtigen, prüfen die
Wirksamkeit, ernennen und finanzieren
Unterstützende Abteilungen der IFRS Foundation
International Accounting Standards Board (IASB)
IFRS Interpretations Committee (IFRIC)
Standardsetter gibt strategische
Empfehlungen
6
2.1.1 Das Regelwerk der IFRS
Wie bereits erwähnt, wird das IASB als der Standardsetter der Internationalen
Rechnungslegung bezeichnet. Das Regelungssystem des IASB besteht aus folgenden fünf
Bestandteilen:
- Preface to International Financial Reporting Standards
In den folgenden Absätzen werden die einzelnen Bestandteile näher beschrieben.
Im Preface (Vorwort) werden allgemeine Dinge, wie die Ziele des IASB oder der
Standardeinführungsprozess erläutert.
Das Conceptual Framework umfasst allgemeine Rechnungslegungsgrundsätze sowie
allgemeine Definitionen. Es ist kein Standard und keine Regelung des Conceptual Frameworks
steht über den Bestimmungen eines Standards.14 Der Zweck des Conceptual Frameworks ist es,
dem IASB bei der Entwicklung von zukünftigen Standards und bei der Überarbeitung von
bestehenden Standards eine Guideline zur Verfügung zu stellen sowie den Anwendern und
Prüfern bei auslegungsbedürftigen Themen eine Hilfestellung zu bieten. Im Prinzip richtet sich
das Conceptual Framework primär an den Standardsetter selbst.15 Das derzeit anzuwendende
Conceptual Framework stammt aus dem Jahr 1989 und wurde in den letzten Jahren
überarbeitet. Am 29. März 2018 wurde das neue überarbeitete Conceptual Framework
veröffentlicht. Die Erstanwendung hat per 01. Jänner 2020 zu erfolgen.
Die einzelnen Standards sind nach Themenbereichen gegliedert. So beschäftigt sich
beispielsweise der IAS 1 mit der Darstellung des Abschlusses, der IFRS 9 mit dem Ansatz und
der Bewertung von Finanzinstrumenten und der IAS 32 mit der Darstellung von
Finanzinstrumenten. Die Standards folgen in ihrem Aufbau keiner einheitlichen Systematik. In
14 Vgl. EY, 2017, S. 41. 15 Vgl. Grünberger, 2017, S. 57.
7
der Regel erfolgt eine Untergliederung in Zielsetzung, Anwendungsbereich, Definition, Ansatz
und erstmalige Bewertung, Folgebewertung, Anhangangaben, Übergangsvorschriften und
Zeitpunkt des Inkrafttretens.
Das IFRIC hat unter anderem die Aufgabe bei Rechnungslegungsfragen von allgemeinem
Interesse, die nicht ausdrücklich in Standards geklärt sind, Leitlinien (Interpretations) zu
erstellen.16 Diese Leitlinien werden vom IASB autorisiert und sind daher verbindlich
anzuwenden.17
Application Guidances (AG) geben eine Hilfestellung in der Anwendung von Standards. Sie
sind integraler Bestandteil des jeweiligen Rechnungslegungsstandards und somit verpflichtend
anzuwenden.
Die Implementation Guidances (IG) sollen bei der Einführung von neuen IFRS Standards eine
Hilfestellung bieten. Eine weitere Hilfestellung bieten die Illustrative Examples (IE), die die
Umsetzung von Regelungen anhand von praktischen Beispielen darlegen. Diese beiden
Leitlinien haben Empfehlungscharakter und stellen somit keinen integralen Bestandteil der
Rechnungslegungsstandards dar.18
2.1.2 Der Prozess der Standardsetzung
Das oberste Ziel der IFRS Foundation ist es, ein Regelwerk mit hoher Qualität zu entwickeln,
das verständlich, durchführbar und weltweit anerkannt ist und auf klaren Prinzipien basiert.19
Der Standardsettingprozess (auch „due process“) ist höchst transparent und involviert in jeder
Stufe öffentliche Konsultationen um ein besseres Verständnis für
Rechnungslegungsalternativen zu bekommen und die potentiellen Effekte auf betroffene
Akteure zu verstehen.20 Zur Sicherstellung der Qualität und einer globalen Akzeptanz werden
16 Vgl. Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: IAS Plus, IFRS Interpretations Committee. 17 Vgl. Zülch/ Hendler, 2017, S.36. 18 Vgl. Zülch /Hendler, 2017, S. 37. 19 Vgl. IFRS Foundation: Due Process Handbook, June 2016, Rz 1.1. 20 Vgl. IFRS Foundation: Due Process Handbook, June 2016, Rz 1.2.
8
Abbildung 2: Due Process des IASB
somit im Standardsetzungsverfahren auch die Standpunkte von externen Experten, wie z.B.
Anwendern, Investoren und nationalen Gesetzgebern berücksichtigt.21
Die breite Öffentlichkeit hat Zugang zu allen Schriftstücken des IASB und kann an den Board
Meetings teilnehmen oder sie via der Website verfolgen.22 Diese Prinzipien sind auch im „Due
Process Handbook for the IASB“ unter Punkt 3.1 ff festgeschrieben.
Die Schritte des Standardsettingprozesses kann man in sechs Stufen einteilen:
Quelle: Zülch/Hendler, 2017, S. 41.
Gibt es bei einem Thema ein größeres Rechnungslegungsproblem bzw. eine
diskussionswürdige Fragestellung (Stufe 1), so kann dieses Thema in das sogenannte
„Research Programme“ aufgenommen werden. In einem ersten Schritt wird das Problem
anhand der geltenden Rechnungslegungspraxis evaluiert.23 Als Output der Analyse erwartet
21 Vgl. Pellens et al., 2017, S. 66. 22 Vgl. IFRS Foundation: Who we are and what we do, 2018, S. 4. 23 Vgl. IFRS Foundation: Due Process Handbook, 2016, 4.6.
Stufe 1• Aufnahme einer diskussionswürdigen Fragestellung in das
Arbeitsprogramm
Stufe 2• Projektplanung (u.a. Klärung der Zusammenarbeit mit anderen
Standardsettern)
Stufe 3• Entwicklung und Veröffentlichung eines Diskussionspapiers (DP)
Stufe 4• Entwicklung und Veröffentlichung eines Exposure Draft (ED)
nach Auswertung der Kommentare
Stufe 5• Entwicklung und Veröffentlichung eines IFRS nach Auswertung
der Kommentare zum ED
Stufe 6• Kontinuierliche Überprüfung der Anwendbarkeit der Standards
im Lichte der sich wandelnden Rahmenbedingungen
Due Process des IASB
Setting the Agenda
Project Planning
Development and publication of a discussion paper
Development and publication of a exposure draft
Development and publication of an IFRS
Procedures after an IFRS is issued
9
man ein „Discussion Paper“ und sogenannte „Research Papers“ (Stufe 3). Das Ziel der
„Discussion Papers“ ist es, Kommentare von interessierten Akteuren zu erhalten, die dem
IASB helfen zu evaluieren, ob das Projekt in das Standardsettingprogramm aufgenommen wird
– in diesen Fällen kommen die Stufen 4 – 6 zum Tragen. „Discussion Papers“ sind in der Regel
so aufgebaut, dass sie einen Überblick über das Thema geben, auf mögliche Lösungsansätze
eingehen, die Sicht des IASB darstellen und dazu einladen, einen Comment Letter abzugeben.24
Die Comment Letters spielen eine zentrale Rolle im Entwicklungsprozess von IFRS Standards
und Interpretationen.25 In der Regel haben interessierte Akteure 120 Tage Zeit um sich am
Kommentierungsverfahren zu beteiligen.26 Die Comment Letters werden auf der Website der
IFRS Foundation auf der Seite des jeweiligen Research Projects veröffentlicht und sind somit
öffentlich zugänglich. Nach Ablauf der Frist werden die Comment Letters vom Projektteam
analysiert, zusammengefasst und dem IASB vorgelegt.27
Der oben dargestellte Prozess ist keinesfalls starr, sondern kann je nach Komplexität des
Themas zusätzliche Schleifen oder Erörterungen (z.B. in Form von Re-Exposure Drafts,
weiteren Stellungnahmen) aber auch verkürzte Standardsetzungsverfahren vorsehen.28 Des
Weiteren gibt es im Verfahren verpflichtend und nicht verpflichtend einzuhaltende Stufen. So
ist beispielsweise die Veröffentlichung eines Discussion Papers nicht zwingend vor der
Veröffentlichung eines Exposure Drafts vorgesehen.29
2.1.3 Grundsätze der Rechnungslegung nach IAS/IFRS
Im Fokus der Rechnungslegung nach IAS/IFRS ist die Nützlichkeit des Informationsgehalts für
bestehende und künftige Investoren, Kreditgeber oder andere Kreditoren, die ihre
Entscheidungen auf Basis der veröffentlichten Abschlüsse treffen. Im Gegensatz zum
österreichischen UGB, in dem das Vorsichtsprinzip im Mittelpunkt steht, steht bei den
24 Vgl. IFRS Foundation: Due Process Handbook, 2016, 4.12. 25 Vgl. IFRS Foundation: Due Process Handbook, 2016, 3.64. 26 Vgl. IFRS Foundation: Due Process Handbook, 2016, 4.17. 27 Vgl. IFRS Foundation: Due Process Handbook, 2016, 4.20. 28 Vgl. Pellens et al., 2017, S. 66. 29 Vgl. IFRS Foundation: Due Process Handbook, 2016, 3.44.
10
IAS/IFRS der Grundsatz der „true and fair view“ im Zentrum, welcher in IAS 1.15 verankert
ist.
Das Conceptual Framework (F.Q.C1-39) unterteilt die qualitativen Anforderungen eines
Abschlusses in fundamentale („fundamental“) und unterstützende („enhancing“)
Charakteristika. Zu den fundamentalen Charakteristika zählen die Relevanz („relevance“) und
die wahrheitsgetreue Darstellung („faithful representation“) der Angaben. Informationen sind
relevant, wenn ein Weglassen oder eine verfälschte Präsentation der Informationen eine
Auswirkung auf die Entscheidung hätte.30 Eine wahrheitsgetreue Darstellung liegt dann vor,
wenn die Angaben vollständig („completeness“), neutral („neutrality“) und frei von
(wesentlichen) Fehlern („free from error“) sind. Zu den unterstützenden Charakteristika zählen
die Vergleichbarkeit („comparability“), die Nachprüfbarkeit („verifiability“), die Aktualität
(„timeliness“) und die Verständlichkeit („understandability“).
Des Weiteren müssen Abschlüsse nach dem „going concern“31 Prinzip aufgestellt werden,
außer es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Unternehmen aufgelöst wird oder seine
Tätigkeit einstellen wird bzw. keine realistische Alternative zur Weiterführung hat. In diesen
Fällen ist dieser Fakt im Abschluss anzugeben und auf die Gründe einzugehen.32
Anders als im UGB ist das Vorsichtsprinzip kein Grundsatz in der Rechnungslegung nach
IFRS. Der Grund dafür ist, dass das IASB der Ansicht ist, dass es mit den Prinzipien Relevanz
und Neutralität im Widerspruch steht.33
30 Vgl. Grünberger, 2017, S. 62. 31 Anm.: Damit ist gemeint, dass Abschlüsse unter der Prämisse der Unternehmensfortführung aufgestellt werden. 32 Vgl. IAS 1.25. 33 Vgl. Grünberger, 2017, S. 63.
11
3 Begriffsdefinition und Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital
im IAS/IFRS
3.1 Begriffsdefinitionen
3.1.1 Eigenkapital und Eigenkapitalinstrumente
Dem Thema Eigenkapital ist in den IAS/IFRS kein eigener Standard gewidmet. Im Conceptual
Framework befindet sich eine recht weit gefasste Definition. Des Weiteren geht der IAS 32 auf
die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapitalinstrumenten ein.
Das Conceptual Framework bestimmt den Begriff des Eigenkapitals dahingehend, dass es die
Differenz aus sämtlichen Vermögenswerten und Schulden des bilanzierenden Unternehmens
darstellt.34 Infolgedessen ist die Höhe des Eigenkapitals abhängig von der Bewertung der
Vermögenswerte und Schulden.35
Das Conceptual Framework bestimmt hinsichtlich des Ausweises des Eigenkapitals, dass eine
Aufteilung des Eigenkapitals in Subkategorien zu erfolgen hat, soweit der Ausweis von
diversen Rücklagen (gesetzlich verpflichtend zu haltende Rücklagen,
Neubewertungsrücklagen, Gewinnrücklage) für die Investoren im Entscheidungsprozess von
Bedeutung sein kann.36 IAS 1.54 (r) fordert eine bilanzielle Aufgliederung des Eigenkapitals in
gezeichnetes Kapital und Rücklagen, die den Eigentümern der Muttergesellschaft zuzuordnen
sind. Zudem bekräftigt auch IAS 1.78 (e) das Erfordernis einer Aufgliederung, allerdings
abhängig von den Anforderungen des jeweiligen anzuwendenden IFRS Standards sowie der
Größe, Art und Funktion der einbezogenen Beträge.
Das Conceputal Framework wurde nach einer Überarbeitung in den letzten Jahren am 29. März
2018 veröffentlicht und ist per 1. Jänner 2020 anzuwenden. Die Definition des Eigenkapitals
wurde unverändert ins neue Conceptual Framework übernommen.
IAS 32 definiert den Begriff des Eigenkapitalinstruments. Demnach versteht man unter einem
Eigenkapitalinstrument gemäß IAS 32.11 einen Vertrag, „der einen Residualanspruch an den
Vermögenswerten eines Unternehmens nach Abzug aller Schulden begründet“. Somit
übernimmt das IAS 32 mehr oder weniger die Definition aus dem Rahmenkonzept.
IAS 32.16 bestimmt sinngemäß, dass nur dann ein Eigenkapitalinstrument gegeben ist, wenn
folgende Bedingungen erfüllt werden:
- keine vertragliche Verpflichtung, Vertragspartnern flüssige Mittel oder einen anderen
finanziellen Vermögenswert zu liefern oder unter potentiell nachteiligen Bedingungen
auszutauschen, oder
- ein potentiell in Eigenkapitalinstrumenten zu erfüllender Vertrag, wenn
o ein nicht derivatives Finanzinstrument, mit keiner vertraglichen Verpflichtung
eine variable Anzahl von Eigenkapitalinstrumenten zu liefern, besteht
o ein derivatives Finanzinstrument, bei dem ein Tausch von
Eigenkapitalinstrumenten gegen Entgelt möglich ist, besteht.
Im Anhang des IAS 32 unter A13 werden folgende Beispiele für Eigenkapitalinstrumente
angeführt:
- Nicht kündbare Stammaktien
- Einige kündbare Instrumente (siehe IAS 32.16A und B)
- Einige Instrumente, bei denen ein Unternehmen verpflichtet wird, bei einer
Liquidation einer anderen Partei einen proportionalen Anteil an seinem
Nettovermögen zu liefern (IAS 32.16C und D)
- Einige Arten von Vorzugsaktien (IAS 32.25 und 26)
- Optionsscheine oder Verkaufsoptionen, die zur Zeichnung oder zum Kauf einer festen
Anzahl von nicht kündbaren Stammaktien ermächtigen
3.1.2 Finanzielle Verbindlichkeiten
Auch der Begriff der „Verbindlichkeit“ wird im Conceptual Framework unter F.4.4. definiert.
Demnach ist eine „Verbindlichkeit“ eine gegenwärtige Verpflichtung, die sich aus vergangenen
Ereignissen ergibt und deren Begleichung in einem Abfluss von Ressourcen resultieren wird.
Zu dem Begriff der Schulden zählen somit neben den Verbindlichkeiten auch die
Rückstellungen. Schulden lassen sich in vier Kategorien einteilen:
13
- Finanzielle Verbindlichkeiten
- Vertragliche Schulden
- Nichtvertragliche Schulden
- Rückstellungen37
Für diese Arbeit von Bedeutung ist die Kategorie der finanziellen Verbindlichkeiten – auf
diesen Begriff wird hier eingegangen, die anderen Kategorien sind an dieser Stelle nur der
Vollständigkeit halber erwähnt.
IAS 32.11 definiert den Begriff der finanziellen Verbindlichkeiten. Demnach ist eine finanzielle
Verbindlichkeit
- eine vertragliche Verpflichtung, Vertragspartnern flüssige Mittel oder einen anderen
finanziellen Vermögenswert zu liefern oder unter potentiell nachteiligen Bedingungen
auszutauschen, oder
- ein potentiell in Eigenkapitalinstrumenten zu erfüllender Vertrag, wenn
o ein nicht derivatives Finanzinstrument, mit einer vertraglichen Verpflichtung
eine variable Anzahl von Eigenkapitalinstrumenten zu liefern, besteht
o ein derivatives Finanzinstrument, bei dem ein Tausch von
Eigenkapitalinstrumenten gegen Entgelt nicht möglich ist, besteht.
3.1.3 Finanzinstrumente
Ein Finanzinstrument ist gemäß IAS 32.11 ein Vertrag, der bei einem Unternehmen zu einer
finanziellen Verbindlichkeit und gleichzeitig bei einem anderen Unternehmen zu einem
finanziellen Vermögenswert führt. Grundsätzlich kann man unter dem Begriff
„Finanzinstrument“ alles subsumieren, was nicht immateriell (z.B. Patente, Lizenzen,
Konzessionen) oder materiell (z.B. Sachanlagevermögen, Vorräte) ist bzw. eine Ausnahme
vom Anwendungsbereich des IAS 32 bietet. Das Ausüben eines vertraglichen Rechts kann
entweder bedingt oder unbedingt erfolgen. Im Falle der bedingten Ausübung hängt es von
zukünftigen Ereignissen ab („contingent“).38
37 Vgl. Grünberger, 2017, S. 279. 38 Vgl. Barckow in: Baetge et al. (Hrsg.), 2015, S. 7.
14
Passivische Finanzinstrumente lassen sich in finanzielle Verbindlichkeiten und
Eigenkapitalinstrumente unterteilen.
Finanzinstrumente können des Weiteren in originäre Finanzinstrumente (z.B. Forderungen,
Zahlungsverpflichtungen oder Eigenkapitalinstrumente) und derivative Finanzinstrumente
(z.B. Optionen, Swaps, Termingeschäfte) unterteilt werden. Bei derivativen
Finanzinstrumenten werden Rechte und Verpflichtungen begründet was bedeutet, dass
Finanzrisiken der zugrunde liegenden originären Finanzinstrumente separat übertragbar sind.39
3.2 Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital im IAS/IFRS
Die Abgrenzung zwischen Eigenkapital und Schulden richtet sich nicht danach, wie ein
Finanzinstrument rechtlich ausgestaltet ist, sondern nach den Definitionsmerkmalen des IAS
32.40 IAS 32.15 bestimmt, dass das Finanzinstrument bzw. dessen Bestandteile beim
erstmaligen Ansatz entsprechend der wirtschaftlichen Substanz der vertraglichen Vereinbarung
einzustufen ist („substance over form“).
Maßgeblich für die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital ist insbesondere die
Negativabgrenzung41 zu einer finanziellen Verbindlichkeit. Laut den Bestimmungen des IAS
32.11 und IAS 32.16 ist zum einen die vertragliche Verpflichtung, flüssige Mittel oder
finanzielle Vermögenswerte zu liefern bzw. finanzielle Vermögenswerte oder finanzielle
Verbindlichkeiten zu potentiell nachteiligen Bedingungen auszutauschen und zum anderen die
Möglichkeit einen Vertrag in Eigenkapitalinstrumenten zu erfüllen, maßgeblich für die
Klassifizierung als Eigenkapitalinstrument oder finanzielle Verbindlichkeit.
Bei Ersterem42 ist im eigentlichen Sinn somit eine bestehende (Rück-)Zahlungsverpflichtung
entscheidend und nicht der Residualcharakter.43 Sobald eine vertragliche Verpflichtung
39 Vgl. IAS 32.A15 f. 40 Vgl. Petersen et al. (Hrsg.), 2018, S. 262. 41 Anm.: Die Definition von finanziellen Verbindlichkeiten gem. IAS 32.11 ergibt im Umkehrschluss die Merkmale von Eigenkapitalinstrumenten, die in IAS 32.16 verankert sind. 42 Anm.: Der vertraglichen Verpflichtung flüssige Mittel oder finanzielle Vermögenswerte zu liefern bzw. finanzielle Vermögenswerte oder finanzielle Verbindlichkeiten zu potentiell nachteiligen Bedingungen auszutauschen. 43 Vgl. Petersen et al. (Hrsg.), 2018, S. 266.
15
enthalten ist, ein Zahlungsmittel oder einen anderen finanziellen Vermögenswert zu liefern,
muss eine Klassifizierung als Schuldinstrument erfolgen.44 Das heißt jedoch nicht, dass keine
Zahlungen während der Laufzeit erfolgen dürfen, sondern nur, dass sie nicht vertraglich
vorbestimmt sein dürfen.45 Eine vertragliche Verpflichtung heißt grundsätzlich, dass man sich
der Leistung nicht entziehen kann. Zu einer vertraglichen Verpflichtung zählt auch das Recht,
in der Zukunft eine Zahlungsverpflichtung herbeizuführen.46 Liegt die Auszahlung nicht im
Ermessen des Unternehmens, so liegt eine Schuld vor. Im Falle von Dividenden liegt die
Zahlung im Ermessen des Unternehmens, wonach Aktien als Eigenkapitalinstrumente zu
klassifizieren sind.47 Bei ewigen Schuldinstrumenten, wie beispielsweise ewigen Anleihen,
liegt eine unendliche Laufzeit vor, was bedeutet, dass es zu keiner Rückzahlungsverpflichtung
kommt. Allerdings haben die Inhaber in der Regel ein vertragliches Recht Zinszahlungen zu
erhalten. IAS 32.AG6 bestimmt dazu, dass in solchen Fällen das Finanzinstrument als
finanzielle Verbindlichkeit zu klassifizieren ist.
Bei Zweiterem, nämlich einer Begleichung in eigenen Eigenkapitalinstrumenten, kommt eine
Einstufung als Eigenkapitalinstrument nur in Frage, wenn ein festes Austauschverhältnis mit
der Höhe der Gegenleistung der Zahlung und den zu liefernden Eigenkapitalinstrumenten
besteht.48 Dies wird in der Literatur als die „fixed-to-fixed“ Regel bezeichnet. Ist die Anzahl
der Eigenkapitalinstrumente variabel, so ist zwingend eine finanzielle Verbindlichkeit zu
bilanzieren.49 Ist festgelegt, dass die Höhe variabel bemessen wird, so liegt ebenfalls eine
finanzielle Verbindlichkeit vor, weil das Unternehmen eine variable Anzahl von
Eigenkapitalinstrumenten verwendet, wodurch der Vertrag keinen Residualanspruch
begründet50.
Wie in diesem Unterkapitel eingangs erwähnt, ist bei der Klassifizierung als Eigen- oder
Fremdkapital die wirtschaftliche Substanz des Finanzinstruments maßgeblich („substance over
form“). IAS 32.18 geht in diesem Zusammenhang auf eine Vorzugsaktie ein, bei der der
44 Vgl. Zülch/Hendler, 2017, S. 295. 45 Vgl. Barckow in: Baetge et al. (Hrsg.), 2015, S. 19. 46 Vgl. Zülch/Hendler, 2017, S. 296. 47 Vgl. Grünberger, 2017, S. 296. 48 Vgl. Barckow in: Baetge et al. (Hrsg.), 2015, S. 22. 49 Vgl. IAS 32.21 und IAS 32.24. 50 Vgl. IAS 32.21.
16
Emittent eine Rückkaufspflicht hat bzw. dem Inhaber das Recht einräumt, den Rückkauf „zu
einem festen oder festzulegenden Geldbetrag“ vom Emittenten zu verlangen. Rechtlich stellt
dies Eigenkapital dar, ist aber aufgrund ihrer wirtschaftlichen Substanz als finanzielle
Verbindlichkeiten zu klassifizieren.
3.2.1 Kündbare Instrumente
Kündbare Instrumente werden auch als „puttable instruments“ bezeichnet, das bedeutet, dass
dem Inhaber das Recht der Rückgabe eingeräumt wird. Das Gegenteil davon wären „callable
instruments“ bei denen dem Emittenten das Recht eingeräumt wird, ein Instrument vorzeitig
zurückzunehmen.51
Kapitalformen mit einem Kündigungsrecht sowie Kapitalformen mit begrenzter Laufzeit sind
grundsätzlich als Schulden einzustufen. Davon ausgenommen sind kündbare Instrumente, die
der Definition des IAS 32.16A-D entsprechen.52
Die im IAS 32.18 genannte Ausnahme53 wurde in einer Änderung des IAS 32 im Jahr 2008
bewirkt. Auslöser dafür war ein Bilanzierungsproblem das sich ergibt, wenn ein Gesellschafter
einer Personengesellschaft ausscheidet. In der Regel ist im Gesellschaftsvertrag geregelt, dass
bei Ausscheiden eines Gesellschafters die geleistete Einlage zuzüglich Gewinnansprüche
zurückzuzahlen ist. Angesichts der Bestimmungen des IAS 32.18 wäre hier eine Bilanzierung
als finanzielle Verbindlichkeit erforderlich, obwohl bis zum Zeitpunkt der Klassifizierung
keine gegenwärtige Verpflichtung besteht. Dieses Problem wurde bereits von einem
Boardmitglied im Rahmen der Finalisierung der Überarbeitung des IAS 32 im Jahr 2003
erkannt. Dieses Boardmitglied argumentierte damals, dass die Erfassung einer Schuld in Höhe
des Herausgabeanspruchs widersprüchlich zur Fremdkapitaldefinition steht, da keine
gegenwärtige Verpflichtung in Höhe des Rückgewährungsanspruches vor dem Ereignis der
Kündigung besteht. Er argumentierte weiter, dass kündbare Gesellschaftsanteile genau
dieselben Rechte gewähren wie auch nicht kündbare Aktien, lediglich mit der Ausnahme des
vertraglichen Kündigungsrechtes. Da sich die gegenwärtige Verpflichtung bei einem solchen
Sachverhalt lediglich auf das Kündigungsrecht und nicht den Beteiligungsanspruch in Summe
51 Vgl. Barckow in: Baetge et al. (Hrsg.), 2015, S. 16 f. 52 Vgl. IAS 32.18. 53 Vgl. IAS 32.18 iVm IAS 32.16 A-D.
17
bezieht, war er der Ansicht, dass eine Abspaltung des Kündigungsrechtes als eigenständiges
Derivat und eine gesonderte Abbildung erforderlich sei.54 Im Jahr 2003 erfolgte ein
Mehrheitsbeschluss ohne Berücksichtigung des Einwurfs des Boardmitglieds. Da aber auch die
Kritik von IFRS bilanzierenden Unternehmen lauter wurde, wurde der IAS 32 um
Bestimmungen zu kündbaren Instrumenten (IAS 32.16 A – D) im Jahr 2008 ergänzt.
Nach IAS 32.16A ist ein kündbares Finanzinstrument, bei dem bei Ausübung der
Kündigungsoption das Finanzinstrument gegen flüssige Mittel oder einem anderen finanziellen
Vermögenswert zurückgekauft wird, als Eigenkapitalinstrument einzustufen, wenn alle der
folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- Der Inhaber hat das Recht, einen proportionalen Anteil am Nettovermögen zu erhalten,
wenn das Unternehmen liquidiert wird.
- Das Instrument zählt zu den nachrangigen Finanzinstrumenten.
- Alle Instrumente der Klasse haben dieselben Merkmale.
- Es bestehen keine über die Abfindung bei Kündigung hinausgehenden
Zahlungsverpflichtungen.
- Die Zahlungsflüsse, die während der Laufzeit für das Instrument erwartet werden,
betreffen im Wesentlichen Gewinne oder Verluste, die das Unternehmen erwirtschaftet.
IAS 32.AG28 bestimmt, dass bei bedingten Erfüllungsvereinbarungen, deren Eintreten höchst
unwahrscheinlich ist für die Einstufung als Eigenkapitalinstrumente nicht schädlich sind.
Daraus kann abgeleitet werden, dass außerordentliche bzw. gesetzliche Kündigungsrechte die
nicht im ständigen Ermessen des Inhabers und nur in Extremfällen vorgesehen sind, einer
Einstufung als Eigenkapitalinstrument nicht schaden.
3.2.2 Erfüllungswahlrechte
Enthält ein Finanzinstrument eine bedingte Erfüllungsvereinbarung, so ist grundsätzlich eine
Klassifikation als Fremdkapitalinstrument vorzunehmen, da sich ein Unternehmen der
entsprechenden Verpflichtung nicht entziehen kann. Eine bedingte Erfüllungsvereinbarung
wäre beispielsweise, dass eine Verpflichtung zur Lieferung erst abhängig durch eine bestimmte
Entwicklung von Indizes, Zinssätze, Verschuldungsgrade, etc. des Unternehmens schlagend
54 Vgl. Barckow in: PiR 10/2015, S. 270.
18
wird. Eine Klassifizierung als Eigenkapitalinstrument würde hier nur in Frage kommen, wenn
das bedingte Ereignis äußerst ungewöhnlich und sehr unwahrscheinlich ist oder eine
Zahlungsverpflichtung nur im Falle einer Liquidation des Emittenten entsteht.55
IAS 32.25 bestimmt, dass bei einer Abhängigkeit der Zahlung von externen Faktoren (z.B.
convertible bonds“) oder bedingte Pflichtwandelanleihen („contingent convertible bonds“
bzw. „CoCo Bonds“).
Das Merkmal der klassischen Wandelanleihe ist, dass es zum Laufzeitende ein Wahlrecht
zwischen Kapitalrückzahlung und Wandlung in Aktien gibt. Die Bilanzierung erfolgt hier, wie
eingangs in diesem Kapitel beschrieben, als zusammengesetztes Finanzinstrument. Auf die
klassische Wandelanleihe wird nicht weiter eingegangen, da die Vorschriften zur Bilanzierung
gut im IAS 32 abgebildet werden.
4.1.2.1.1 Pflichtwandelanleihen
Bei der Pflichtwandelanleihe besteht kein Wandlungswahlrecht, was bedeutet, dass bereits bei
Zeichnung klar ist, dass der Vertrag durch die Ausgabe von Aktien erfüllt wird.69 Das bedeutet
jedoch auch, dass der Investor im Falle von sinkenden Aktienkursen einem Verlustrisiko
ausgesetzt ist. Zur attraktiveren Gestaltung der Anleihe wird häufig vereinbart, dass während
der Laufzeit Zinszahlungen vom Emittenten erfolgen und dass das Wandlungsrecht auch bereits
69 Vgl. Bardens et al. in: PiR 7/2013, S. 218.
Gibt es eine vertragliche Verpflichtung, der sich der Emittent nicht entziehen kann?
Gibt es eine Verpflichtung eine variable Anzahl von Aktien zu emittieren?
Gibt es eine Verpflichtung mit einer variablen Anzahl von Aktien die Rückzahlung zu erfüllen, wobei der Buchwert variabel ist?
Eigenkapital
JA
JA
NEIN
NEIN
NEIN
JA
Hat das Instrument dem Eigenkapital ähnliche Charakteristiken?
Ist IAS 32.16A-D anwendbar?
Eigenkapital
Fremdkapital Zusammengesetzt
JA
JA NEIN
NEIN
24
während der Laufzeit ausgeübt werden kann.70 Des Weiteren wird oft eine variable Anzahl von
Aktien – abhängig vom Marktpreis zum Laufzeitende – vereinbart, wobei es hier oft zu einer
Beschränkung nach oben und unten (Mindest- und Maximalanzahl, „collar“) kommt.71
Für die Bilanzierung von solchen Pflichtwandelanleihen ist das Kriterium des IAS 32.16 (b) (i)
relevant. Die Schlussfolgerung daraus ergibt, dass bei einer Verpflichtung, eine festgelegte
Anzahl an Aktien auszugeben („fixed-to-fixed“ Regel) – etwaige Zinszahlungsverpflichtungen
vorbehalten – eine gänzliche Bilanzierung als Eigenkapital erforderlich ist. Variiert die Anzahl
der Aktien hingegen – etwaige Zinszahlungsverpflichtungen vorbehalten - so liegt zur Gänze
Fremdkapital vor.72 Besteht hingegen bis zur Wandlung eine Zinszahlungspflicht, so stellt
dieser Teil eine Fremdkapitalkomponente dar, dessen Barwert als Verbindlichkeit anzusetzen
ist.73 Hier liegt somit ein zusammengesetztes Finanzinstrument vor, bei dem eine Unterteilung
in die Eigen- und Fremdkapitalkomponente erforderlich ist.
Schwieriger wird die Einstufung schon, wenn Erfüllungsalternativen vertraglich vorgesehen
sind. Wird beispielsweise vereinbart, dass eine Pflichtwandelanleihe in einer variablen Anzahl
von Aktien zu erfüllen ist (alleinige Betrachtung stellt auf eine Klassifizierung als Fremdkapital
ab) und wird zusätzlich eine Maximal- und Minimalanzahl (collar) von Aktien vereinbart,
sowie ein Kündigungsrecht während der Laufzeit, wobei allerdings die Maximalanzahl von
Aktien zu leisten ist, so wird die Einstufung schon sehr komplex.74 Der Emittent erhält hier das
Recht, eine fixe Anzahl von Aktien während der Laufzeit zu liefern. Alternativ könnte der
Vertrag aber auch erst zum Laufzeitende mittels einer variablen Anzahl von Aktien unter
Berücksichtigung des collars erfüllt werden. Hier stellt sich die Frage, ob das
Erfüllungswahlrecht während der Laufzeit mittels einer fixen Anzahl von Aktien („fixed-to-
fixed“ Regel) die Klassifizierung beeinflusst und so aus einem Schuldinstrument (Erfüllung
mittels einer variablen Anzahl von Aktien) ein Eigenkapitalinstrument (Erfüllung mittels einer
fixen Anzahl von Aktien) macht.75
70 Vgl. Burckhardt-Böck in: IRZ 2/2017, S. 61. 71 Vgl. Bardens et al. in: PiR Nr. 7/2013, S. 218. 72 Vgl. Bardens et al. in: PiR Nr. 7/2013, S. 219. 73 Vgl. Lüdenbach et al., 2018, §20 Rz 16. 74 Anm.: Ausführliche Darstellung des Beispiels siehe Freiberg in PiR Nr. 5 vom 10.05.2013, S. 166. 75 Vgl. Freiberg in: PiR 5/2013, S. 166.
25
Eine ähnliche Anfrage in Bezug auf Erfüllungswahlrechte wurde auch an das IFRIC
herangetragen. Der Antwort des IFRIC ist folgendes zu entnehmen: „The Interpretations
Committee noted that if the issuer has the contractual right to choose to settle a non-derivative
financial instrument in cash or a fixed number of its own equity instruments, that financial
instrument would meet the definition of an equity instrument in IAS 32 as long as the instrument
does not establish an obligation to deliver cash (or another financial asset) indirectly through
its terms and conditions.“ 76
Das bedeutet, dass das Instrument als Eigenkapital zu klassifizieren ist, wenn der Emittent aus
eigener Kraft in der Lage ist, eine Bilanzierung als Eigenkapital herbeizuführen, wobei immer
zu prüfen ist, dass sich aus den Vertragsbestimmungen keine indirekte Verpflichtung ableiten
lässt.77
Der Ausschluss von indirekten Verpflichtungen ist auch im Standard unter IAS 32.20 verankert.
Nähere Bestimmungen und Ausführungen dazu sind jedoch im Standard nicht zu finden.
Freiberg kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass „solange eine Erfüllung durch eine
variable Anzahl von Aktien nicht in jedem denkbaren Szenario ausgeschlossen werden kann“,
eine finanzielle Verbindlichkeit zu bilanzieren ist.78
Dieser Ansicht steht lt. Bardens et al. die Bestimmung des IAS 32.20 entgegen, die die
Bestimmung so auslegt, dass eine Abwägungsentscheidung getroffen werden muss.
Bardens/Fladt/Meurer kommen nach einer Durchleuchtung der möglichen qualitativen und
quantitativen Betrachtungsweisen einer „indirekten Verpflichtung“ zur Conclusio, dass hier die
zentrale Frage sein muss, ob es „denkbar ist, dass der Emittent das Kündigungsrecht ausübt
und damit die Entstehung eines Fremdkapitalausgangs tatsächlich verhindert“.79 Das
Vorliegen eine indirekten Verpflichtung, d.h. eine Gesamtwürdigung, ob „unter keinen
Umständen ein Szenario denkbar ist, in dem es für den Emittenten rational ist, die
76 Vgl. IASB, IFRIC Update Mai 2013. 77 Vgl. Bardens et al. in: PiR 7/2013, S. 220. 78 Vgl. Freiberg in: PiR 5/2013, S. 167. 79 Vgl. Bardens et al. in: PiR 7/2013, S. 225.
26
Pflichtwandelanleihe vorzeitig zu kündigen“ muss daher fallbezogen geprüft werden. Bardens
et al. lehnt somit die Ansicht von Freiberg ab.80
4.1.2.1.2 Bedingte Pflichtwandelanleihen
Unter einer bedingten Pflichtwandelanleihe (einem sogenannten „contingent convertible bond“
oder kurz „CoCo Bond“) versteht man eine Pflichtwandelanleihe, die bei Eintritt eines
bestimmten Ereignisses oder bestimmter Bedingungen in Eigenkapital gewandelt wird.81 Der
Eintritt dieses Ereignisses („trigger event“) liegt weder im Einflussbereich des Emittenten noch
im Einflussbereich des Inhabers. Tritt dieses Ereignis ein, hat der Inhaber ein Wandlungsrecht,
nicht jedoch eine Wandlungspflicht. Tritt das Ereignis nicht ein, so wird die Anleihe klassisch
rückgeführt.82
Die Tatsache, dass das Recht bedingt ist bedeutet nicht, dass dieses Finanzinstrument keine
Eigenkapitalkomponente hat. Diese Eigenkapitalkomponente liegt vor, wenn eine Wandlung
eines bestimmten Betrages in eine fixe Anzahl von Aktien vereinbart ist, d.h. in diesem Fall
würde es sich um ein zusammengesetztes Finanzinstrument handeln.83
Alternative Finanzierungsformen, wie beispielsweise bedingte Pflichtwandelanleihen haben in
den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Die erste Emission eines sogenannten
CoCo Bonds erfolgte im Jahr 2013. Seitdem wurden beinahe 200 CoCo Bonds mit einem
Gesamtvolumen von rund 160 Milliarden Euro im EU Raum emittiert.84
Bedingte Pflichtwandelanleihen spielen insbesondere im Bankensektor seit der stufenweisen
Einführung von Basel III ab dem Jahr 2013 eine größere Rolle. Mit Basel III hat der Basler
Ausschuss für Bankenaufsicht die Anforderungen für aufsichtsrechtliches Kernkapital als
Reaktion auf die Finanzkrise verstärkt. Das sogenannte „bedingte Kapital“, welches als
Additional-Tier-1 Kapital (AT-1-Anleihen)85 in der Eigenmittelberechnung berücksichtigt
80 Vgl. Bardens et al. in: PiR 7/2013, S. 225 f. 81 Vgl. Glanzmann in GesKR 4/2011, S. 489. 82 Vgl. EY (2017), S. 3500. 83 Vgl. EY (2017), S. 3500. 84 Vgl. Breadsworth/Glover in: Bloomberg, Contingent Convertibles, 2019. 85 Anm.: Nähere Definitionskriterien siehe VO (EU) 575/2013 Artikel 51 f.
27
werden kann, hat hierbei die Aufgabe, bei Eintritt eines risikobasierten Ereignisses (wenn z.B.
das harte Kernkapital unter einen bestimmten Schwellenwert sinkt) die Zeichner dieses
„bedingten Kapitals“ an den Rettungskosten der Bank zu beteiligen. AT-1-Anleihen müssen
gemäß EU (VO) 575/2013 Artikel 51f CRR zeitlich unbefristet sein, Zinszahlungen müssen im
Ermessen des Emittenten liegen und lediglich für den Emittenten ein Kündigungs-, Rückkaufs
oder Rückzahlungsrecht mit vorheriger Erlaubnis der Finanzmarktaufsicht vorsehen. Hierbei
ist in der Ausgestaltung zwischen bedingten Pflichtwandlungen („CoCo Bonds“) und
Herabschreibungsanleihen („write-down bonds“) zu unterscheiden.86 Der Terminus
„Herabschreibung“ hat sich aus der offiziellen deutschen Übersetzung der CRR ergeben, im
englischen Originaltext wird der Terminus „write down“ verwendet.87 Art. 54 Abs. 2 CRR
bestimmt, dass sich durch eine Herabschreibung oder Wandlung hartes Kernkapital ergeben
muss.
AT-1-Herabschreibungsanleihen sind somit dadurch gekennzeichnet, dass bei Eintritt des
auslösenden Ereignisses der Rückzahlungsbetrag sowie der Nennbetrag zu herabzuschreiben
sind. Eine Wiederhochschreibung liegt – nach Besserung der wirtschaftlichen Situation - im
Ermessen des Emittenten.88 Diese Anleihen sind als Eigenkapital gemäß IAS 32 zu
klassifizieren, da weder eine Rückzahlungsverpflichtung noch eine laufende Zinszahlung
vorgesehen ist.
Bei der bedingten Pflichtwandelanleihe kommt es zu einer Wandlung in
Eigenkapitalinstrumente, wenn das Ereignis eintritt. In der Regel ist ein variables
Wandlungsverhältnis vereinbart. Hier gibt es im Hinblick auf die Bilanzierung unterschiedliche
Auffassungen:
- Die Anleihe wird zur Gänze als Fremdkapitalinstrument bilanziert, da gemäß IAS 32.25
iVm IAS 32.11 b dies bei einem variablen Wandlungsverhältnis so vorgesehen ist.
- Bilanzierung als zusammengesetztes Finanzinstrument gemäß IAS 32.28 mit der
Begründung, dass die Lieferverpflichtung von variablen Anteilen als Fremdkapital zu
bilanzieren ist, aber die Zinszahlungen als Eigenkapitalinstrument zu sehen sind, da sie
Änderungen in der Klassifizierung würden durch den neu präsentierten
Klassifizierungsgrundsatz beispielsweise bei Finanzinstrumente mit fixen Rückflüssen (z.B.
kumulative unbefristete Vorzugsaktien) schlagend werden. Diese wären nach dem neuen
Vorschlag des Boards als finanzielle Verbindlichkeit zu klassifizieren. Nach dem geltenden
IAS 32 Regelwerk stellen sie Eigenkapitalinstrumente dar, da ein unbedingtes Recht besteht
die Zahlung auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben.113
Das in der Einleitung des DP/2018/1 vorgestellte Grundprinzip wurde in mehrere Sections mit
unterschiedlichen Schwerpunkten unterteilt und vertiefend erläutert. Am Ende einer jeden
Section werden ein oder mehrere Fragen formuliert, die das IASB durch die breite
Öffentlichkeit bestehend aus Interessierten, Adressaten, Interessensvertretungen und Anwender
gerne beantwortet hätte.
Die Themenbereiche und Fragestellungen des DP/2018/1 gliedern sich wie folgt:
Section Themenbereich Frage
1 Ziele, Umfang und Herausforderungen Frage 1
2 Die bevorzugte Herangehensweise des Boards Frage 2
3 Klassifizierung von nicht derivativen Finanzinstrumenten Frage 3 und 4
4 Klassifizierung von derivativen Finanzinstrumenten Frage 5
5 Zusammengesetzte Instrumente und Rücknahmeverpflichtungen Frage 6
6 Präsentation Frage 7 und 8
7 Offenlegung Frage 9
8 Vertragliche Bestimmungen Frage 10 und 11
Die Sections 6 und 7 wurden im Rahmen dieser Arbeit nicht näher beleuchtet, da die
Darstellung und Offenlegung („presentation and disclosure“) nicht im Fokus stehen.
113 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz IN22.
38
5.2 Lösungsansätze des DP/2018/1 und Analyse der Fragestellungen des
Boards anhand der Comment Letters
5.2.1 Einleitung
In Summe langten 128 Comment Letter beim IASB ein, 126 davon bis zum Ende der
Kommentierungsfrist am 7. Jänner 2019. Zwei Comment Letters, einer vom Ministry of
Finance China - China Accounting Standards Committee (CASC) und einer vom Chartered
Financial Institute (CFA Institute) wurden erst verspätet an das IASB übermittelt und
veröffentlicht. Von diesen 128 Comment Letters stammt mehr als die Hälfte, nämlich 77 (60%)
aus Europa, 26 (20%) aus Asien, 10 (8%) aus Nordamerika, 7 (6%) aus Südamerika, 4 (3%)
aus Ozeanien und 3 (2%) aus Afrika. Ein Comment Letter (1%) konnte keinem Kontinenten
zugeordnet werden, da es sich um eine Privatperson handelt, von der nur der Name bekannt ist.
Quelle: Verfasserin.
Abbildung 5: Verteilung der Comment Letter nach Kontinenten
Es ist klar ersichtlich, dass die Rücklaufquote aus Europa am Höchsten ist. Innerhalb von
Europa wurden die meisten Comment Letter aus dem Vereinten Königkreich (UK) mit 19
Comment Letters, gefolgt von Deutschland mit zwölf Comment Letters und Frankreich mit
zehn Comment Letters. Aus Österreich wurden zwei Comment Letters dem IASB übermittelt,
nämlich vom Austrian Financial Reporting and Auditing Committee (AFRAC) sowie der Erste
Bank Group.
39
Die Verteilung der 77 Comment Letters aus Europa ist wie folgt:
Quelle: Verfasserin
Abbildung 6: Verteilung der Comment Letter nach europäischen Staaten
Für die Analyse der Comment Letters, die Eingang in dieses Arbeit finden, wurde eine Auswahl
getroffen. Es wurde entschieden, alle Comment Letter aus der DACH-Region (Deutschland,
Österreich, Schweiz) für die Analyse heranzuziehen. Die Auswahl kann damit begründet
werden, dass in den drei Ländern ähnliche Gesellschaftsformen vorherrschen, Deutschland und
Österreich ähnliche nationale Grundlagen für die Bilanzierung haben und die Schweiz und
Österreich von der Größe her vergleichbar sind.
Somit werden im Rahmen dieser Arbeit in Summe 19 Comment Letters, davon zwei aus
Österreich, fünf aus der Schweiz und zwölf aus Deutschland analysiert. In der folgenden
Tabelle ist ersichtlich, um welche Rückmelder114 es sich handelt und wer auf welche Fragen
geantwortet hat. Einige Comment Letters enthalten lediglich allgemeine Rückmeldungen zum
präsentierten Ansatz und gingen nicht weiter auf die einzelnen Fragestellungen ein – diese sind
durch eine graue Hinterlegung gekennzeichnet:
114 Anm: Die Bezeichnung der Rückmelder in der Tabelle basiert auf den Wortlaut, in dem die Comment Letters auf der Seite des IASB (URL: https://www.ifrs.org/projects/work-plan/financial-instruments-with-characteristics-of-equity/comment-letters-projects/dp-fice/#comment-letters) veröffentlicht sind.
8
1 1
12
10
2 2 21
2 2
45 5
1
18
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
COMMENTLETTERSEUROPA
9
1
12
10
2 2 21
2 2
45 5
1
19
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
COMMENTLETTERSEUROPA
9
1
12
10
2 2 21
2 2
5 5 5
19
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
COMMENTLETTERSEUROPA
40
Quelle: Verfasserin.
Abbildung 7: Analysierte Comment Letter
In den folgenden Unterabschnitten werden die Kernpunkte der analysierten Sections des
DP/2018/1 wiedergegeben, die Comment Letters zu den jeweiligen Fragen analysiert und in
Folge versucht, Rückschlüsse des präsentierten Ansatzes auf die bestehenden Regelungslücken
zu ziehen.
Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den ausgewählten Rückmeldern um Unternehmen
aus unterschiedlichen Branchen bzw. Interessensvertretungen handelt, bei denen nicht jeder im
selben Ausmaß von den Regelungslücken des IAS 32 betroffen ist.
5.2.1.1 Section 1 des DP/2018/1 – Ziele, Umfang und Herausforderungen
5.2.1.1.1 Erläuterungen des Boards und Fragestellung an die Anwender115
In Rz. 1.25 des DP/2018/1 nennt das IASB Wandelschuldverschreibungen und Put Optionen
auf non-controlling interests mit einem Fair Value als Ausübungspreis als explizite Beispiele,
bei denen Herausforderungen in der Klassifizierung aufgetreten sind.
115 Anm.: Ein Comment Letter kann von jeder Person verfasst und an das IASB übermittelt werden. In dieser Arbeit werden die Verfasser der Comment Letter als „Anwender“ bzw. „Rückmelder“ bezeichnet.
41
Bei den bedingten Wandelschuldverschreibungen hebt das IASB insbesondere AT-1-Anleihen
hervor, die in der Regel dadurch charakterisiert sind, dass die Zinszahlung im Ermessen des
Emittenten liegt und es verpflichtend zu einer Wandlung in eine variable Anzahl von Aktien
kommt, wenn der Emittent gegen den Tier-1-Eigenmittel-Ratio116 verstößt.117
Das IASB sieht es als unumgänglich ein klares Grundprinzip für die Klassifizierung zu schaffen
und dabei eine Balance zwischen Kosten, Nutzen und Komplexität zu finden.118
Beim derzeit gültigen IAS 32 wird kritisiert, dass unterschiedliche Merkmale für die
Klassifizierung herangezogen werden, jedoch ohne erkennbares Muster119 was zu
Inkonsistenzen führt, die Vergleichbarkeit erschwert und die Abschlüsse weniger verständlich
macht.120 Des Weiteren beklagen Anwender auch, dass es in Bezug auf Finanzinstrumente mit
Eigenschaften von Eigen- und Fremdkapital auch ungenügend Informationen in den Notes gibt
(z.B. allgemeine Bedingungen und Risiken von Finanzinstrumenten).121
Das DP/2018/1 sieht Herausforderungen auf der konzeptionellen Ebene sowie auf der
Anwendungsebene. Konzeptionelle Schwierigkeiten entstehen, wenn unterschiedliche
Merkmale unterschiedliche Auswirkungen auf den Zahlungsfluss haben können. Die
Merkmale, auf die es dabei ankommt sind der zeitliche Aspekt („timing“), der Betrag („amount
of the claim“) und die Priorität („priority“). Die Details dieser drei Merkmale „timing“,
„amount of the claim“ und „priority“ sind laut Ansicht des Boards wichtig für die
Abschlussadressaten und könnten die Basis für die Unterscheidung von finanziellen
Verbindlichkeiten und Eigenkapital darstellen.122
116 Anm.: Gemäß Basel III muss die Mindesteigenmittelausstattung von Kreditinstituten zu 4,5% aus hartem Kernkapital, zu 6% aus Kernkapital (4,5% hartes Kernkapital + 1,5% zusätzlichem Kernkapital) und zu 8% aus Gesamteigenkapital (4,5% hartes Kernkapital + 1,5% zusätzliches Kernkapital und 2% Ergänzungskapital) bestehen. Das harte Kernkapital und das zusätzliche Kernkapital werden gemeinsam als Tier 1 Kapital bezeichnet, während das Ergänzungskapital als Tier 2 Kapital bezeichnet wird. Mit Tier-1-Eigenmittel-Ratio ist somit die Kernkapitalquote gemeint. 117 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz 1.25. 118 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz 1.27. 119 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz 1.30. 120 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz 1.31. 121 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz 1.41. 122 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz 1.28.
42
In Rz. 1.35 f werden einige Anwendungssachverhalte aufgegriffen, die aus der Sicht des Boards
herausfordernd für die Anwender sind. Hier wird beispielsweise angeführt, dass Unklarheiten
bestehen, wie die „fixed-to-fixed“ Regel auszulegen ist, wenn eine Vereinbarung die Option
enthält, eine fixe Anzahl von eigenen Aktien gegen einen Fixbetrag zu tauschen und sich
dennoch die Anzahl der Aktien aufgrund von Verwässerungseffekten ändert. Des Weiteren
wird bemängelt, dass IAS 32 keine Guidelines enthält, wie Transaktionen innerhalb der
Position Eigenkapital handzuhaben sind. Im Hinblick auf bedingte
Wandelschuldverschreibungen wurde die Frage aufgeworfen, ob die Fremdkapitalkomponente
die Bedingtheit der Erfüllungsalternative berücksichtigen sollte oder nicht. Des Weiteren wird
in Bezug auf vertragliche Bestimmungen die Frage aufgegriffen, dass es in manchen Fällen
unklar ist, woraus sich die Verpflichtung ergibt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine
Verpflichtung weder explizit noch indirekt im Vertrag verankert ist, sondern bestimmte
wirtschaftliche Anreize dazu führen, dass Zahlungen geleistet werden anstatt das
Wandlungsrecht auszuüben. Auch regulatorische oder gesetzliche Regelungen können zu
bestimmten Verpflichtungen führen, die nicht explizit in einem Vertrag enthalten sind.
Neben Herausforderungen in Bezug auf die Klassifizierung von Eigen- und
Fremdkapitalinstrumenten beim Anwender hat das Board auch Herausforderungen bei den
Unternehmen, die Fremdwährungswandelanleihen begeben haben um den Markteintritt in
bestimmten Märkten zu forcieren und die Aufgrund der Ausnahmeregel des IAS 32 diese
Instrumente derzeit als finanzielle Verbindlichkeiten bilanzieren müssen.125
Aus dieser Analyse heraus wurde vom IASB folgende Frage an die Anwender herangetragen:
Frage 1126:
a) Stimmen Sie den beschriebenen Herausforderungen und den Ursachen zu? Warum oder
warum nicht? Glauben Sie, dass es noch weitere Faktoren gibt, die zu den
Herausforderungen beitragen?
b) Stimmen Sie zu, dass die identifizierten Herausforderungen wichtig für die Adressaten
von Abschlüssen sind und überzeugend genug, dass die einer Standardsetzung
bedürfen? Warum oder warum nicht?
5.2.1.1.2 Rückmeldungen der Anwender
Aus den 19 analysierten Rückmeldungen haben zwölf Anwender explizit auf die Frage 1
geantwortet.
Von den zwölf analysierten Comment Letters konnte aus elf eindeutig entnommen werden, dass
sie den Herausforderungen und Ursachen, die das Board im DP/2018/1 Section 1 präsentiert
hat, zustimmen. Lediglich bei einem Anwender (Suedzucker) konnte aus der Rückmeldung
keine klare Aussage dazu abgeleitet werden. Als weitere Faktoren die zur Herausforderung bei
der Klassifizierung von Finanzinstrumenten mit Eigenschaften von Eigenkapital beitragen
wurde folgendes genannt:
- Put Optionen auf non-controlling interests
- “Fixed-to-fixed” Kriterium
- Zusammengesetzte Instrumente mit Wandlungsoption
- Bedingte Erfüllungsvereinbarungen
- Ewige Schuldinstrumente
125 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz 1.43. 126 Anm.: Die Fragen wurden vom Verfasser so wie sie im DP/2018/1 stehen ins Deutsche übersetzt. Dies gilt für alle Fragen in allen Sections die in dieser Masterarbeit behandelt werden.
44
Die UBS Group äußerte sich zu dieser Frage sehr allgemein und stellte fest, dass die
präsentierten Herausforderungen nicht im Detail jenen Schlüsselherausforderungen
entsprechen, die bisher zu Problemen geführt haben. Eine explizite Nennung der
Schlüsselherausforderungen erfolgte durch die UBS Group im Comment Letter nicht.
Auf die Frage, ob es aufgrund der Herausforderungen bei der Klassifizierung von
Finanzinstrumenten mit Merkmalen von Eigenkapital eines neuen Standards bedarf,
antworteten zwei Anwender mit ja (Commerzbank, Erste Group Bank). Sieben Anwender sind
der Meinung, dass kein neuer Standard erforderlich ist. Die Anwender gaben folgende
alternativen Lösungsansätze an:
- Überarbeitung des IAS 32
- Konzeptionalisierung der bestehenden Logik
- Erlass eines IFRIC
- Umfassendere Anhangsangaben
Ein Anwender, nämlich das deutsche DRSC (Deutsches Rechnungslegungs Standards
Committee), war einerseits der Meinung, dass die Herausforderungen dafür sprechen, einen
neuen Standard zu erlassen, jedoch andererseits zu beachten ist, dass die Probleme nur auf einen
kleinen Teil von Finanzinstrumenten zutreffen. Daher wurde hier vorgeschlagen, dass in einem
ersten Schritt eine Änderung bzw. Ergänzung im IAS 32 und in einem zweiten Schritt ein
robustes Klassifizierungsprinzip erarbeitet werden sollte.
Unabhängig von der gestellten Frage äußerten drei Anwender (DSCG, UBS Group, Institut der
Wirtschaftsprüfer in Deutschland) ihre Zweifel darüber, ob der präsentierte Zugang tatsächlich
zu einer Verbesserung führen wird.
5.2.1.1.3 Conclusio
Im Hinblick auf die in Kapitel 4.2 identifizierten Problembereiche wurden vom IASB explizit
die Klassifizierung von Erfüllungsalternativen, die Bilanzierung von AT-1-Anleihen und die
Regelungen zur Klassifizierung nach dem wirtschaftlichen Gehalt einer Vereinbarung
angesprochen. Zwar war die Rückmeldequote auf diese Frage mit zwölf aus 19 Comment Letter
relativ hoch und die Frage, ob die präsentierten Herausforderungen tatsächlich existieren,
wurde von fast allen Rückmeldern mit ja beantwortet, dennoch ist auch vielen Comment Letter
45
zu entnehmen, dass die wenigsten von den präsentierten Herausforderungen tatsächlich
betroffen sind. Die Probleme stellen sich – wie in Kapitel 4 ausführlich beschrieben –
hauptsächlich bei komplexen Instrumenten. Komplexere Instrumente werden insbesondere im
Finanzdienstleistungssektor eingesetzt und daher war es auch nicht verwunderlich, dass sich
mit der Erste Group und der Commerzbank AG zwei Banken für einen neuen Standard
aussprachen. Den Comment Letters war auch zu entnehmen, dass der IAS 32 für den Großteil
der Finanzinstrumente wie einfache Schuldverschreibungen, zusammengesetzte Instrumente
mit eingebetteten Derivaten sowie einfache Wandelschuldverschreibungen gut funktioniert.
Dadurch ergibt sich auch, dass ein großer Teil der Anwender, deren Comment Letter analysiert
wurden, zwar die Herausforderungen erkennt, sich jedoch für eine Überarbeitung des IAS 32
ausspricht. Die tatsächlichen Klassifizierungsschwierigkeiten betreffen – wie auch im
DP/2018/1 festgehalten – nur bestimmte Instrumente, die wiederum nur von einem
eingeschränkten Kreis begeben werden.
Aus der Analyse des IASB im DP/2018/1 Section 1 und den Antworten aus den analysierten
Comment Letter zur Frage 1 kann man ableiten, dass das IASB die Problembereiche kennt, und
dass es bestätigt bekommen hat, dass die Problembereiche nicht die breite Masse betreffen.
Somit wäre es das in Section 1 bereits definierte Ziel des IASB, eine Grundsatzregelung zu
schaffen, durch die es zu keinen großen Änderungen in der Klassifizierung im Vergleich zum
IAS 32 kommt, jedoch das Grundprinzip so robust sein sollte, dass die Grundsätze die
Regelungslücken abdecken.
5.2.1.2 Section 2 des DP/2018/1 – Der “preferred approach“ des Boards
5.2.1.2.1 Erläuterungen des Boards und Fragestellung an die Anwender
Im ersten Unterabschnitt präsentiert das Board, welche Merkmale von Ansprüchen es für die
Klassifizierung als finanzielle Verbindlichkeit oder als Eigenkapital als wesentlich erachtet.
Dabei geht das Board näher auf das „timing feature“ und das „amount feature“ ein und erklärt
die Merkmale anhand von einfachen Schuldverschreibungen und Stammaktien. Besteht eine
Verpflichtung, wirtschaftliche Ressourcen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu transferieren, so
ist laut Ansicht des Boards eine Klassifizierung als finanzielle Verbindlichkeit erforderlich. Die
zeitliche Komponente - also der „bestimmte Zeitpunkt“ - kann entweder als fixes Datum, als
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Kuponzahlungsdatum, als Zinszahlungsdatum, als zahlbar auf Verlangen, als Zahlungsdatum
der Nominale oder als ein bestimmter Ausübungszeitpunkt spezifiziert sein.
Dieses „timing feature“ ist aus Ansicht des Boards das Hauptkriterium, um finanzielle
Verbindlichkeiten von Eigenkapitalinstrumenten zu unterscheiden. 127
Das zweite Hauptkriterium ist die quantitative Komponente („amount feature“). Die
Spezifizierungen der quantitativen Komponente können eine fixe Anzahl einer
Währungseinheit, Nennwerte, Zinszahlungen, indexbasierende Werte oder Anteile an
wirtschaftlichen Ressourcen nach Abzug aller Verpflichtungen sein.128
Neben der Definition von finanziellen Verbindlichkeiten unterbreitet das Board auch die
Definition von Eigenkapital, nämlich als „the residual interest in the assets of the entity after
deducting all of its liabilities“129.
Das Board tritt nach den Erläuterungen mit folgenden Fragen an die Anwender heran:
Frage 2:
Nach dem “preferred approach”130 des Boards sollte eine Klassifizierung als Verbindlichkeit
dann erfolgen, wenn
a) eine unvermeidbare Verpflichtung besteht, wirtschaftliche Ressourcen zu einem
bestimmten Zeitpunkt – mit der Ausnahme von der Liquidation – zu transferieren
und/oder
b) eine unvermeidbare Verpflichtung besteht, eine Verbindlichkeit unabhängig von den
verfügbaren wirtschaftlichen Ressourcen zu befriedigen.
Aus Sicht des Boards ist die Information über diese Merkmale (Anm.: „timing“ und „amount“)
relevant, um die Vermögenslage und die finanzielle Performance zu beurteilen.
Es ist die vorläufige Schlussfolgerung des Boards, dass Informationen zu anderen Merkmalen
von Ansprüchen in der Darstellung und Offenlegung („presentation and disclosure“)
abzubilden sind.
Stimmen Sie zu? Warum oder warum nicht?
127 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz. 2.3 ff. 128 Vgl. IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz. 2.7. 129 IFRS Foundation, DP/2018/1, Rz. 2.34. 130 Anm.: mit „preferred approach“ ist das Grundprinzip, wie in Kapitel 5.1.2 präsentiert, gemeint.
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5.2.1.2.2 Rückmeldungen der Anwender
Eine konkrete Antwort auf die Fragestellung lieferten 13 der 19 analysierten Comment Letter.
Eine konkrete Zustimmung für das präsentierte Konzept konnte lediglich dem Comment Letter
von The European Federation of Financial Analysts Societies (EFTAS) entnommen werden.
Einziger Kritikpunkt von EFTAS war, dass der Kontext mit Liquidation etwas verwirrend ist
und überarbeitet werden sollte.
Aus dem Comment Letter der Swiss Holding und von Siemens konnte keine klare Aussage
abgeleitet werden. Die Swiss Holding hebt zum einen hervor, dass das präsentierte Konzept
rational und verständlich ist, aber es andererseits kritisch betrachtet wird, dass Ausnahmen aus
dem IAS 32, wie beispielsweise die Ausnahme zu den „kündbaren Instrumenten“ im neuen
Konzept übernommen werden müssen, da das neue Klassifizierungsprinzip dies nicht löst.
Siemens stellt unter anderem eine mangelnde Analyse der Interaktion mit anderen Standards
(IFRS 9, IFRS 10 und IAS 33) sowie einen Interpretationsspielraum durch neue Terminologie
in den Raum.
Den Comment Letters aller anderen Anwender, die eine Rückmeldung zu dieser Frage
abgegeben haben, ist zu entnehmen, dass sie dem vorgestellten Zugang nicht bzw. nicht zur
Gänze zustimmen können. Suedzucker, DRSC und die Commerzbank merken an, dass eine
Klassifizierung anhand von zwei Merkmalen nicht ausreichend ist. Das „timing feature“ findet
bei fünf Rückmeldern (Six Exchange Regulation, DRSC, UBS Group, Volkswagen Group,
Erste Group Bank) Zustimmung, u.a. auch, weil der derzeit gültige IAS 32 derzeit schon eine
ähnliche Regel aufweist. Kritisch gegenüber dem „timing feature“ geäußert haben sich drei
Rückmelder (UBS Group, IDW und AFRAC). Hier wird von allen dreien insbesondere die
Frage aufgeworfen, wie das „timing feature“, das in der Definition die Liquidation
miteinbezieht, bei industriespezifischen Formen von Liquidation, wie beispielsweise der
Abwicklung von Banken,131 anzuwenden ist. Das „amount feature“ wurde als nicht
angemessen für die Klassifizierung durch diese Rückmeldergruppe beurteilt. Die häufigsten
Kritikpunkte am „amount feature“ waren:
131 Anm.: Hier sind regulatorische Bestimmungen zur Abwicklung von Banken, wie die Abwicklungsrichtlinie BRRD (Bank Recovery and Resolution Directive) gemeint.
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- Das „amount feature“ passt nicht mit der existierenden Definition einer Verbindlichkeit
im Conceptutal Framework zusammen.
- Das „amount feature“ bzw. die „verfügbaren wirtschaftlichen Ressourcen“ sind
augenscheinlich aus einer anderen Perspektive zu beurteilen als das „timing feature“
(Eigentümersicht vs. Unternehmenssicht).
- Das „amount feature“ stellt auf „gone concern“132 ab, obwohl im IFRS Grundsatz des
„going concern“133 ein Grundprinzip darstellt.
- Die Liquidation als einmaliges Ereignis eines Unternehmens wird durch das Konzept
ignoriert.
- Das „amount feature“ stellt keine geeignete Basis für die Klassifizierung dar.
In den Comment Letters wurde des Weiteren Klärungsbedarf zu bestimmten neuen Termini
wie „independent of the entity’s available economic resources“, „unrecognized assets“,
„available exonomic resources“, „economic compulsion”, “liquidation” und „solvency“
gefordert.
In vier Comment Letters (Six Exchange Regulation, Siemens, DRSC, Swiss Holdings) wurden
auch Sorgen im Hinblick auf eine erforderliche nochmalige Prüfung bereits getroffener
Klassifizierungsentscheidungen und damit verbundene Kosten sowie Implementierungskosten
eines neuen Grundprinzips geäußert.
5.2.1.2.3 Conclusio
Das Abstellen der Klassifizierung auf zwei Merkmale, nämlich das „timing feature“ und das
„amount feature“, scheint bei der Komplexität der Finanzinstrumente, bei denen es derzeit
Unklarheiten in der Bilanzierung gibt, als nicht ausreichend. Nimmt man beispielsweise ein
Instrument mit unterschiedlichen Erfüllungsalternativen her, so kann zwar eine Alternative die
Voraussetzung für die Klassifizierung als finanzielle Verbindlichkeit erfüllen, aber es ist
fraglich, ob damit ein der Realität entsprechendes Klassifizierungsergebnis erzielt wird.
132 Anm.: Darunter versteht man eine bevorstehende Liquidation eines Unternehmens. 133 Anm.: Darunter versteht man die Unternehmensfortführung, ein Grundprinzip des IAS 1.25f, nach dem Abschlüsse nach IAS/IFRS grundsätzlich aufzustellen sind.
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Stellt man die Definition des „timing feature“ dem derzeit gültigen IAS 32.11 gegenüber, so
erkennt man inhaltlich keinen großen Unterschied. Auch jetzt wird in der Klassifizierung als
finanzielle Verbindlichkeit darauf abgestellt, dass es eine vertragliche Verpflichtung geben
muss, flüssige Mittel oder einen anderen finanziellen Vermögenswert zu liefern oder unter
potentiell nachteiligen Bedingungen auszutauschen. Im „preferred approach“ formuliert man
das Erfordernis etwas anders, und zwar als „an unavoidable contractual obligation to transfer
cash or another financial asset at a specified time other than liquidation“134. Fraglich bei der
neuen Definition ist jedoch, wie der Terminus Liquidation tatsächlich auszulegen ist. Die UBS
Group, das AFRAC und das IDW haben in diesen Zusammenhang auf branchenspezifische
regulatorische Bestimmungen hingewiesen, die im vorliegenden DP/2018/1 nicht
berücksichtigt wurden.
Das zweite Merkmal, das „amount feature“, zielt auf einen gänzlich neuen Zugang ab, der bis
jetzt so nicht im IAS 32 zu finden war. Die Phrase „independent of the entity’s available
economic resources“135 wirft die Frage auf, warum ein potentielles Liquidationsereignis
Eingang in die Definition dieses Merkmals findet. Die Unternehmensfortführung, also das
Prinzip des „going concern“ ist ein Grundprinzip der IFRS/IAS Rechnungslegung - verankert
in IAS 1.25f - wonach Abschlüsse grundsätzlich auf Basis der Annahme einer
Unternehmensfortführung aufzustellen sind, außer das Management beabsichtigt das
Unternehmen aufzulösen, das Geschäft einzustellen oder das Management hat keine
realistische Handlungsalternative mehr. Angesichts der Tatsache, dass die Klassifizierung als
Eigen- oder Fremdkapitalinstrument beim erstmaligen Ansatz getroffen werden muss, kann
hier die Formulierung und somit auch die Absichten des Boards nicht gänzlich nachvollzogen
werden. Das „amount feature“ war auch in den Comment Letters durchgehender Kritik
ausgesetzt.
Die Einführung von neuen Termini, die im DP 2018/1 nicht oder unzureichend definiert sind,
wirft neue Fragen bzw. Interpretationsspielräume auf, die die Beurteilung des vom IASB
unterbreiteten Zugangs schwierig macht.
Ob der präsentierte „preferred approch“ tatsächlich eine Hilfestellung für existierende