Abschlussarbeit für die fachspezifische Ausbildung in Existenzanalyse BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEM MODELL DER ERSTEN PERSONAL-EXISTENTIELLEN GRUNDMOTIVATION IN DER EXISTENZANALYSE UND DER EMDR-METHODE Im November 2007 Eingereicht von : Dr. med. Rudolf Leuenberger Buchseeweg 33 CH-3098 Köniz Eingereicht bei: Lic. phil. Brigitte Heitger-Giger, Bern, Dr. med. et phil. Alfried Längle, Wien Angenommen am.......................von: Angenommen am.......................von:
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BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEM MODELL DER ERSTEN … · According to the verbal statements of patients made before, during and aafter treatment, it can be concluded that of the relevant
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Abschlussarbeit für die fachspezifische Ausbildung in Existenzanalyse
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEM MODELL DER ERSTEN
PERSONAL-EXISTENTIELLEN GRUNDMOTIVATION IN
DER EXISTENZANALYSE UND DER EMDR-METHODE
Im November 2007
Eingereicht von : Dr. med. Rudolf Leuenberger
Buchseeweg 33
CH-3098 Köniz
Eingereicht bei: Lic. phil. Brigitte Heitger-Giger, Bern, Dr. med. et phil. Alfried Längle, Wien
Angenommen am.......................von:
Angenommen am.......................von:
Zusammenfassung
In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass aufgrund der während vier Jahren in einer ärztlichen
Grundversorgerpraxis mit der EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprozessing)-
Methode gesammelten Erfahrungen zur Behandlung psychisch traumatisierter Patienten mit
einem PTBS (posttraumatische Belastungsstörung)) über die gängigen, zum Teil hypotheti-
schen neurobiologischen Erklärungsversuche hinaus, die Existenzanalyse sehr viel zum psy-
chologischen wie auch philosophischen Verständnis dieser Methode beitragen kann. Aus den
verbalen Äusserungen der Patienten vor, während und nach der Behandlung kann geschlossen
werden, dass von den betroffenen Defiziten der vier Grundmotivationen der Existenzanalyse
die der ersten Grundmotivation am meisten Bedeutung haben. Anhand von 23 Krankenge-
schichten werden die Wirkfaktoren der EMDR-Methode mit den Begriffen der ersten Grund-
AbstractThis thesis should demonstrate that existential analysis can make a substantial contribution to
the psychological as well as philosophical understanding of the EMDR (Eye Movement De-
sensitization and Reprozessing) method of treating mentally traumatized patients with a
PTSD (Posttraumatic Stress Disorder), and thus extends beyond the common, and to some
degree hypothetical, neurobiological attempts at explaining this method. The study is based
on the experiences collected over a period of four years in the practice of a general
practitioner who used the EMDR method in the treatment of patients suffering from PTSD.
According to the verbal statements of patients made before, during and aafter treatment, it can
be concluded that of the relevant deficiencies in the areas of the four fundamental motivations
of existential analysis, those having to do with the first fundamental motivation bear the most
significance. On the basis of 23 medical histories the effective factors of the EMDR method
will become understandable from an existential-analytic point of view by using the concepts
of the first fundamental motivation.
Keywords: EMDR method, trauma, existential analysis, fundamental motivation
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InhaltsverzeichnisEinleitung...................................................................................................................................41. Existenzanalyse..................................................................................................................... 61.1 Geschichte, Entwicklung...................................................................................................... 61.2 Kurzdarstellung der vier Grundmotivationen....................................................................... 82. Die 1. Grundmotivation........................................................................................................92.1 Schutz..................................................................................................................................102.2 Raum................................................................................................................................... 102.3 Halt......................................................................................................................................113. EMDR.................................................................................................................................. 143.1 Einleitung............................................................................................................................143.2 Die Entstehungsgeschichte der EMDR- Methode ............................................................. 153.3 Neurobiologische Grundlagen............................................................................................ 163.4 Das EMDR-Therapiekonzept..............................................................................................203.4.1 Die acht Phasen der EMDR-Methode .............................................................................20
1. Phase: Anamnese und Behandlungsplanung............................................................ 202. Phase: Vorbereitung................................................................................................. 213. Phase: Die Selbsteinschätzung des Patienten........................................................... 214. Phase: Desensibilisierung (Reprozessierung) .........................................................225. Phase: Verankerung..................................................................................................236. Phase: Überprüfung der Körperempfindungen.........................................................237. Phase: Abschluss...................................................................................................... 238. Phase: Überprüfung (wobei der Patient die Zielerinnerung der letzten Sitzung
visualisiert)................................................................................................... 244. EMDR-Erfahrungen in der Allgemeinpraxis...................................................................244.1 Drei EMDR-Therapieberichte aus der Praxis..................................................................... 264.1.1 EMDR-Protokoll einer PTBS, deren traumatische Grundlage im ICD-10, Z63.4
enthalten ist und als pathologische Trauer bezeichnet werden kann...............................264.1.2 EMDR-Protokoll einer PTBS, deren traumatische Grundlage ein einmaliges Ereignis
betrifft, einen sexuellen Missbrauch bzw. Übergriff, wie er im ICD-10, Z61.5 festgehalten ist ................................................................................................................ 30
4.1.3 Beispiel einer EMDR-Therapie unter Zeitdruck und Beschränkung auf eine einzige Sitzung bei einer Patientin mit dem Erscheinungsbild einer phobischen Störung festgehalten im ICD-10, F40.2........................................................................................ 33
4.2 Zusammenfassung der in der Praxis durchgeführten EMDR-Therapien............................355. Reflexion und Diskussion................................................................................................... 376. Literaturverzeichnis........................................................................................................... 40
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Einleitung
Wie ich zu meinem Thema gekommen bin: Die erste Spur dazu führt zurück zur Teilnahme
an meinem ersten GLE-Kongress in Hannover im Frühjahr 2001 zu Beginn meiner Ausbil-
dung in Existenzanalyse und Logotherapie, der die Methoden der Existenzanalyse und Logo-
therapie zum Inhalt hatte. Im Reigen der Methodenvorstellungen faszinierte mich der Beitrag
von Herrn Prof. Friedhelm Lamprecht, dem Leiter der Abteilung Psychosomatik und Psycho-
therapie der Medizinischen Hochschule Hannover; er stellte die EMDR-Methode vor, die vor
allem bei der Therapie des posttraumatischen Belastungssyndroms mit Erfolg zur Anwendung
kommt. Es gelang mir damals nicht, dieses für mich völlig neue Therapiekonzept im Kontext
der Methoden und der Philosophie der Existenzanalyse und Logotherapie einzuordnen, die
ersten Hinweise dämmerten mir erst gute zwei Jahre später auf. In der Zwischenzeit legte ein
Psychiater die zweite Spur: Er behandelte eine meiner Patientinnen mit der EMDR-Methode
und lud mich nicht nur zur Einsichtnahme des Therapieverlaufs auf Videoaufnahmen ein,
sondern ermunterte mich auch, an einem EMDR-Seminar im November 2002 teilzunehmen,
das in Bern von Prof. Lamprecht angeboten wurde. Mit Theorie, Videobeispielen wie auch
praktischen Übungen wurden wir mit dieser Methode vertraut gemacht und auch ermuntert
und ermutigt damit in der Praxis eigene Erfahrungen zu sammeln.
Und diese Erfahrungen, gesammelt in den letzten vier Jahren an Patienten in meiner Praxis
für Allgemeinmedizin, legten die dritte Spur zu meinem Thema: Die für die EMDR-Therapie
geeigneten Patienten1 äusserten nämlich ihre Leiden, Probleme und Defizite vor der Behand-
lung in Begriffen, die sich am besten im Zusammenhang mit mir schon Vertautem, nämlich
mit der Existenzanalyse, insbesondere mit dem Modell der ersten personal-existentiellen
Grundmotivation nach A. Längle, verstehen lassen. Dies trifft ebenso zu für die Formulierun-
gen, die die Patienten gebrauchten, um ihre wiedergewonnenen Fähigkeiten, Einsichten und
Erleichterungen nach dem EMDR-Prozedere auszudrücken.
Dieser Eindruck bewegte mich dazu, in meiner Abschlussarbeit zu zeigen, dass die Existenz-
analyse, insbesondere eine der Grundsäulen, die erste personal-existentielle Grundmotivation,
auch in der Durchführung des EMDR-Verfahrens zum Ausdruck und zum Tragen kommt und
sich in diesem Licht auch ein vertiefteres Verständnis dafür auftut.
Damit Leser, die mit den vorgenannten Begriffen oder Therapiekonzepten nicht vertraut sind,
dennoch dem Dargelegten folgen können, soll vorerst in gedrängter Form auf die Entwick-
1 einfachheitshalber wird im weiteren Text stets das Maskulinum erscheinen, selbstverständlich ist auch das Femininum damit angesprochen.
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lung der Existenzanalyse eingegangen werden. Dem folgt eine Einführung in separaten Kapi-
teln in die erste personal-existentielle Grundmotivation der Existenzanalyse und die EMDR-
Methode; und schliesslich sollen im praktischen Teil die Berührungspunkte zwischen diesen
beiden herausgearbeitet werden.
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1. Existenzanalyse
1.1 Geschichte, Entwicklung
Unter Existenzanalyse wird eine psychotherapeutische Richtung verstanden, die zwischen
1926 und 1933 von Viktor E. Frankl auf dem Hintergrund der Existenzphilosophie (vor allem
derjenigen Max Schelers) entwickelt worden ist. Sie ist auch als Reaktion auf die damals
gängigen psychotherapeutischen Wienerschulen zu verstehen, die die Triebfeder menschli-
cher Existenz, in äusserster Reduktion gefasst, als den „Willen zur Lust“ (Psychoanalyse, S.
Freud) oder den „Willen zur Macht“ (Individualpsychologie, A.Adler) auffassten. Dem setzt
V. Frankl einen „Willen zum Sinn“ entgegen, abgeleitet aus seinem Menschenbild, das um
die wesentliche menschliche Dimension der Geistigkeit, Freiheit und Verantwortung erweitert
ist.
Die praktische Umsetzung seiner existenzanalytischen Anthropologie in der Beratung oder
psychotherapeutischen Methode nannte Frankl Logotherapie. Sie konzentriert sich im wesent-
lichen auf die genannten geistigen Aspekte, die beim therapeutischen Sinnfindungsprozess
zum Tragen kommen, durch die Hingabe des Menschen an eine Sache, Aufgabe oder einen
andern Menschen, ein Ausgerichtetsein auf etwas, das nicht wieder er selbst ist (von Frankl
als Selbsttranszendenz bezeichnet). Diese Werte werden unterschieden in drei Wertekategori-
en; Frankl nannte sie die "drei Hauptstrassen zum Sinn". Es geht dabei um die Verwirkli-
chung von erstens „schöpferischen Werten“ (durch ein Tun) zweitens von „Erlebniswerten“
(durch Erleben der Welt in Natur, Kunst und Beziehungen), wo aber der Zugang zu diesen
zwei Wertkategorien in einer hoffnungslosen Situation unabänderlichen Leids verschlossen
ist, bleibt dem Leidenden noch die Besinnung auf eine dritte Wertkategorie, nämlich auf die
„Einstellungswerte“, verwirklicht in einer Haltung oder Einstellung, mit der dem ausweg-
losen Schicksal begegnet werden kann.
„Das heisst aber, dass nicht nur im Schaffen und im Freuen das menschliche Leben sich zu
erfüllen vermag, sondern auch noch im Leiden.“ (Frankl, 1952, 83)
Es ist noch anzumerken, dass Sinn dem Patienten nicht vom Therapeuten oder Berater gege-
ben werden kann, er ist im therapeutischen bezw. beraterischen Prozess der jeweiligen
Lebenssituation angepasst gemeinsam zu finden.
Der Hauptschlüssel, gewissermassen das „Sesam öffne dich“ zur Logotherapie ist die
„existentielle Wende“ von Frankl auch die „kopernikalische Wende“ genannt:“Das Leben
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selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom
Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten – das Leben zu ver-antworten hat.“
(Frankl 1952, 48) Diese Umkehr oder Abwendung, weg von der Erwartungshaltung an das
Leben hin zur Orientierung auf eine Offenheit gegenüber den Anforderungen und Aufforde-
rungen seiner jeweiligen Lebenssituationen eröffnet dem Menschen neue Perspektiven der
Welt-, Sinn- und Wertewahrnehmung sowie des Eingebundenwerdens in die Verantwortung
für das eigene Leben.
Obwohl Frankl sowohl „den Emotionen des Menschen eine tiefe Weisheit, die vor aller
Rationalität steht, die rationaler Nützlichkeit sogar widerspricht“ (Frankl 1952, 85) seine
Referenz erweist, als auch mit dem Begriff „Werterleben des schlichten und einfachen
Menschen“ (Frankl 1996, 17) im Zusammenhang mit der Sinnfindung über die drei schon
genannten Wertekategorien ein Erleben, das heisst eine emotionale Dimension andeutet, wird
diese in der praktischen Umsetzung kaum fruchtbar gemacht. „Sie stand noch im Schatten
der sichtbaren und philosophisch mehr reflektierten Themen wie Sinn, Gewissen und
Verantwortung.“ (Längle 2003, 37)
Aus diesem Schattendasein hat A. Längle die Emotionalität mit der „personalen Wende“ ans
Licht gebracht, die in Analogie zu Frankls „existentieller Wende“ für die Entwicklung der
„Personalen Existenzanalyse“ steht, einer „Anleitung für den (psychotherapeutischen)
Prozess der Entwicklung einer autonomen, authentischen, emotional erfüllten, sinnvollen und
personal verantworteten Existenz“ (A. Längle, 1997-2000, PEA), als ein Existieren mit
innerer Zustimmung, die ihrerseits eine Wertfindung auf der persönlich-individuellen
Erlebnisebene voraussetzt. Es ist dies eine durch Beziehungsaufnahme mit dem Wert erlebte
Wertberührung, die vor allem gefühlt werden muss. (Längle, 2003, 27-41; 49-76) Um mit
Zustimmung leben zu können bedarf es der Einwilligung in die drei Grundbedingungen der
erfüllten Existenz, die A. Längle als personal-existentielle Grundmotivationen beschrieben
hat. Mit diesen drei Grundmotivationen hat der existenzanalytisch orientierte Therapeut oder
Berater ein wertvolles therapeutisches Instrumentarium zu Hand, eine Art „Existenz-
Checkliste“, die gewissermassen die existentielle Vorbedingung zur Sinnstrebigkeit (Frankl
spricht von der „bedingungslosen Sinnträchtigkeit des Lebens“[Frankl, 1982, 242]) und
Sinnfindung ist, die bei A. Längle der vierten Grundmotivation zugeordnet wird.
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1.2 Kurzdarstellung der vier Grundmotivationen
"1. Es bewegt den Menschen die Grundfrage der Existenz: Ich bin da – aber kann ich (als
ganzer Mensch) da sein? Habe ich den Raum, den Schutz, den Halt dafür? Diesen erfährt
der Mensch vor allem im Angenommensein, was ihm selbst wieder erlaubt, annehmen zu
können. Annehmen können hat somit die Sicherheit der eigenen Existenz zur Vorausset-
zung, andernfalls muss um diese erst gekämpft werden.
2. Es bewegt den Menschen die Grundfrage des Lebens: Ich lebe – aber mag ich eigentlich
leben? Erlebe ich die Fülle, die Verbundenheit, das Zeithaben für Werte? Das Leben als
Wert erfährt der Mensch vor allem durch Zuwendung, Nähe,Liebe. Das öffnet ihn selbst
wieder, um sich anderem (Menschen, Dingen) zuwenden zu können. Sich etwas oder
jemandem zuwenden zu können hat zur Voraussetzung, dass das eigene Leben als Wert
empfunden wird. Dieser Grundwert besteht in dem tiefen Gefühl, dass es gut ist da zu sein
(„dass es mich gibt“). Das Grundwertgefühl ist die Bedingung für die Wertfühligkeit.
3. Es bewegt den Menschen die Grundfrage der Person: Ich bin ich – aber darf ich so sein,
wie ich bin? Erfahre ich die Wertschätzung, die Achtung, den Respekt, den Selbstwert?
Dieser entsteht durch Anerkennung, durch Ernst-genommen-Werden und aktiv durch das
Einstehen für sich. Das erleichtert umgekehrt, andere Menschen anerkennen zu können.
Anerkennen-Können hat zur Voraussetzung die sichere Abgrenzung des Eigenen von dem
anderen.
4. Es bewegt den Menschen die Sinnfrage der Existenz: Ich bin hier - aber was soll
damit werden? Was ist heute zu tun, damit mein Leben in einem sinnvollen Ganzen steht?
In welchen grösseren Zusammenhängen, in denen es nicht nur um mich geht, verstehe ich
mich (bis ins Religiöse)? - wofür lebe ich? - Der Mensch erfährt Sinn durch Aufgaben und
Wertangebote, durch Zugehörigkeit zu grösseren Strukturen, durch Entwicklung (Reifung)
seiner selbst und durch die Religion. Das erleichtert ihm, sich mit seiner Welt in
Übereinstimmung zu bringen und seinen persönlichen Sinn in jeder Situation zu finden
und zu realisieren.“ (Längle, 1999, 141)
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2. Die 1. Grundmotivation
Die Darstellung folgt den Ausführungen von A. Längle (Längle, 2004). Es sollen insbe-
sondere die für das Thema und das Verständnis der Abschlussarbeit relevanten Begriffe
beleuchtet werden jedoch so, dass dem Leser trotz der gerafften Darstellung ein Einblick in
die Fülle des im Lernskriptum vorliegenden Materials möglich ist.
Das durchgängige Motiv der 1. Grundmotivation ist das (Da)-Sein-Können; es geht um die
Bedingungen, Vorgaben und Prozesse, die dieses Sein-Können ermöglichen. Die Verknüp-
fung von Können und Sein als Grund aller Motivation (Motivation verstanden als
Verschränkung von innerem Bewegtsein mit äusseren Handlungs- bezw. Beweggründen,
beides Kräfte, die in ihrer Gesamtheit das Verhalten des Menschen bestimmen, ihn in
Bewegung bringen und in seiner Richtung festlegen [aus Notizen in der Existenzanalyse-
Ausbildung nachformuliert]), zeigt, dass „das Können deshalb so grundlegend für die
Motivation ist, weil es den Zugang zum Sein erschliesst. Alles was wir tun, ist letztlich
Bezugnahme zum Sein, ein Umgang mit Sein. Auf dem Sein gründet alles – es trägt die
Existenz.“ (Längle, 2004, 4). Und die Grundfrage der Existenz des Menschen: Ich bin , kann
ich sein? kann unter der Voraussetzung bejaht werden, dass der Mensch einerseits genügend
Schutz und Raum hat und einen Halt spürt, und andererseits, dass er aktiv das Sein
ausserhalb seiner selbst (physische Welt, Gesellschaft etc.) wahrnimmt und durch das
Betrachten des Faktischen feststellt, was ist. Das In -Einklang-bringen des faktischen ausser
ihm bestehenden Seins mit seinem eigenen Sein heisst für den Menschen „das Faktische des
Lebens annehmen (= sein lassen können) und seine Belastungen aushalten können;
Akzeptanz (Annahme) der Menschen, sie sein lassen können, weil sie keine Bedrohung mehr
sind bzw. die Person sich schützen kann, mit dem Bedrohlichen umgehen kann. Ich bin da in
dieser Welt, hineingestellt in bestimmte Gegebenheiten und Bedingungen. Kann ich sie
annehmen, aushalten, so lassen?“ (Längle, 2004, 60). Damit ist der Mensch angefragt, ob er
den für die Existenz erforderlichen aktiven Prozess, die basale Leistung zum Dasein-Können,
das Annehmen und Aushalten erbringen kann.
Gelingt dies nicht - stellen sich Motivationsblockaden, (z.B. bei Schutzlosigkeit, Haltverlust
oder wenn der Raum dafür nicht gegeben ist), Nicht-Können, Scheitern, Nicht-Akzeptieren-
Können der Realität, eigene Schwächen (was man von sich nicht annehmen kann) in den Weg
- so führt dies zum existentiellen Grundgefühl des ständigen Bedrohtseins, der Unsicherheit
und der Angst. Dieses bedrohliche Defizit-Grundgefühl kann automatisch ablaufende
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Verhaltensreaktionen (bzw. Schutzreaktionen) in Gang setzen, die der unmittelbaren Bewälti-
gung der Situation dienen, sie können auch als Psychodynamik der Überlebens-sicherung
verstanden werden. Ihre Muster zeigen sich in Ablehnung bzw. Auflehnung, Flucht, Kampf,
Vernichtung (Hass), Lähmung, es sind dies die so genannten Coping-reaktionen; sie sind
von der Natur als sinnvolle Reflexe gegeben; sie sind jedoch bei pathologischer Fixierung die
Ursache von Neurosen.
Auf die drei oben angedeuteten spezifischen Voraussetzungen für das Annehmen-und
Aushalten-Können, Schutz, Raum und Halt, soll noch etwas näher eingegangen werden:
2.1 Schutz
Schutz erfährt der Mensch in der Erfahrung des Angenommenseins, beginnend in der
frühsten Kindheit von den Eltern oder anderweitigen Schutz-Verantwortlichen, später von
Bezugspersonen wie Lehrer, Kameraden usw. Es ist dies der stärkste Schutz für das Sein-
Können, besonders aber auch im Zusammenklang mit der religiösen Erfahrung des bedin-
gungslosen Angenommenseins (des im religiösen Schutzraum beheimateten Menschen) mit
all seinen Schwächen von der höheren Macht, Gott. Schutz vermittelt das basale Erleben:
"Du darfst da sein."
„Je mehr Angenommensein man in sich trägt, desto mehr ist man freigegeben zum
Annehmen-Können (des anderen) und desto leichter wird die Selbstannahme.“ (Längle,
2004, 28).
2.2 Raum
Das inkarnierte Dasein ist an Räume gebunden, primär an den Körper, der einem Raum gibt
und zugleich auch den Kontakt und Austausch mit dem grösseren Raum, der Welt, vermittelt.
Im psychisch-geistigen Sinn gewinnen wir Raum durch Abstand, der uns beispielsweise
Distanz zu Problemen, ein Loslassen und damit Freiräume für etwas Neues gewährt. Abstand,
auch von sich selbst (Selbstdistanz), ergibt sich beim beim Betreten des äusseren Raumes
(wandern, radeln, schwimmen etc.); beim Aufsuchen anderer Räume im örtlichen Sinn (Bar,
Verkaufsräume z.B.) wie auch im übertragenen Sinn (Themawechsel, um dann aus anderen
Themenkreisen wieder darauf zurückkommen zu können); durch das Zurücktreten, damit
wird auch Übersicht gewonnen; wenn wir uns zurücknehmen, anderen den Raum lassen; beim
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sich Zeit lassen („Zeitraum gewinnen“); im Gespräch, beim Schreiben (Tagebuch,
Abschlussarbeit), musizieren; wenn wir einer Hoffnung Raum geben.
Physischen Lebensraum haben (Wohnraum, erweiterter Lebensraum bzw. Aussenraum wie
auch Zufluchts-und Schutzräume, Herkunftsräume wie Elternhaus, Heimat) oder auch im
übertragenen Sinn bei Menschen Raum haben, bedeutet Angenommensein durch die Welt.
Unter vielen weiteren Raumthemen sei noch der Rhythmus herausgegriffen, er schafft Raum
im Erleben, Gertrud Loos formulierte es so: „Es gibt keine andere pränatal oder präverbal
organisierte Struktur ausser dem Rhythmus, der lebenslang nicht-sprachlich und nicht
gegenständlich imstande ist, Räume der Weltordnung zu schaffen, sozusagen ein Nachhause-
kommen zu ermöglichen.“(Gertrud Loos, 1966, zit. nach Längle, 2004, 35) (Den Rhythmus
erwähne ich deshalb, weil ich ihm im EMDR-Verfahren auch eine gewisse Bedeutung
zumesse, worauf ich im 5. Kapitel noch zurückkommen werde).
2.3 Halt
Diese Voraussetzung zum Annehmen-und Aushalten-Können finden wir von A. Längle
prägnant formuliert: “Halt gibt uns Festigkeit, Stabilität,Rückhalt, Kraft. Er schützt vor dem
Fallen, gibt daher Sicherheit, bietet aber notwendigerweise auch Widerstand - was Halt gibt
muss in sich fest sein und dem anderen widerstehen können. Sonst kann man sich nicht darauf
„ver-lassen“. Ein Boden gibt Halt und vermittelt zugleich, dass man nicht nur auf sich allein
gestellt, sondern durch den Bezug auf etwas anderes etwas gewinnt. - Halt gibt auch frei."
(Längle, 2004, 36)
Halt im Leben erfährt der Mensch durch erfüllte Grundvoraussetzungen der Existenz, auf die
in der Literatur über die vier Grundmotivationen eingegangen wird. (Eine zitierte
Kurzdarstellung findet sich im 1. Kapitel dieser Arbeit.) Insbesondere gibt das Annehmen
dessen, was ist, Halt. (In der Diskussion wird noch einmal darauf eingegangen).
1. Auf der Ebene des Weltbezugs, dem Sein-Können in dieser Welt, dem Thema der ersten.
Grundmotivation, wird der Halt vermittelt durch das Annehmen-Können von Ordnung,
Struktur, Regelmässigkeiten, Normen und Gesetzen wie auch Traditionen und Ritualen.
2. Auf der Ebene der Beziehungen (zum Wert des Lebens), entsprechend den Inhalten der
zweiten Grundmotivation, gibt Halt sowohl das Erleben von Verbundenheit mit
Menschen, Tieren, Pflanzen wie auch die Beziehungen zu Heimat und Kultur. Ebenso
erfahren wir Halt im Erleben des Bestandhabens von Verlässlichkeit, Treue (der
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verlässliche Halt in der Beziehung), Verbindlichkeit, Unverbrüchlichkeit (da ist jemand,
immer wieder, trotz allem) und Unnachgiebigkeit.
3. Auf der Ebene des Ich selbst, (Person), womit sich die dritte Grundmotivation
auseinander setzt, kommt der Halt aus dem Vertrauen auf sich selbst, Vertrauen auf seine
Fähigkeiten, den eigenen Mut (Vertrauen in die Lebenskraft), und den Körper, aber auch
aus der Beziehung zu sich im Sich-verlassen-Können sowohl auf die eigene Lebenskraft,
Vitalität wie auch auf Erfahrung und Vorerfahrung in ähnlichen Situationen, und letztlich
daraus, dass man zu sich und seinem Gewissen stehen darf.
4. Der Halt ist der stärkste, der in der Ebene der geistigen Inhalte in der Welt, auf die sich
die geistige Haltung bezieht, begründet ist; es geht somit hier auch um die vierte
Grundmotivation, wo den Fragen der Sinnzusammenhänge nachgegangen wird. Der Weg
führt in die Haltung des Glaubens, in höhere uns umschliessende Wahrheiten, die nicht
mehr mit unseren Kategorien zu fassen sind, jedoch unsere Vertrauenskräfte
herausfordern.
Zusammengefasst „stammt der Halt aus der Erfahrung, dass da etwas ist,worauf man sich
verlassen kann: sowohl in einem selbst als auch in der Welt.“ (Längle, 2004, 43) Und „das
Erleben von Halt fordert zur persönlichen Antwort auf den Halt heraus: zum Vertrauen.“
(Längle, 2004, 45). Grundlegend für das Finden des Haltes ist, wie bereits auf Seite 7
festgehalten, das Wahrnehmen dessen, was ist, es sein lassen, feststellen, das Gegebene,
Faktische (das Tatsächliche, Wirkliche) annehmen; gemeinsam mit dem Erkennen, d. h.
Erfassen der Gesetze, Regeln, Regelmässigkeiten und Gemeinsamkeiten ergibt sich die
psychologische Grundfunktion der 1. Grundmotivation.
Halt haben zeigt sich in der Ruhe und Gelassenheit, weil man sich getragen und gehalten
fühlt. Hat man überdies den Raum (Platz, Geborgenheit, Heimat), der Schutz gewährt, so
„führt dies zum Erleben des SEINSGRUNDES (tiefstes, anhaltendes Gefühl von einem
grösseren Grund, worin sich der Mensch letztlich gehalten fühlt). Die Erfahrung des
Seinsgrundes führt zum Ur-und Grundvertrauen (sich im tiefen Vertrauen auf den letzten
Halt einlassen).“ (Längle, 2004, 60).
Defizite auf der Ebene der 1. Grundmotivation sind ein Risikofaktor für psychopathologische
Entwicklungen hin zu Angststörungen, Phobien, Panik, Zwangskrankheiten und
Schizophrenie (bei letzterer betrifft der Risikofaktor die psychogene Komponente der
Erkrankung).
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Mit diesem Ausschnitt aus der Fülle der Aspekte, die es gemäss der 1. Grundmotivation für
eine gelingende Existenz zu berücksichtigen gilt, zeigt sich wie bedeutsam es für Pädagogen,
Psychologen und Psychiater ist, diese in Prophylaxe und Therapie mit einzubeziehen.
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3. EMDR
Das Merkwürdige Paradox ist, dass ich mich verändern kann, wenn ich mich so
akzeptiere, wie ich bin.
Carl Rogers
3.1 Einleitung
Das Kürzel EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprozessing; dabei handelt
es sich um eine von Francine Shapiro vor 20 Jahren entdeckte Psychotherapiemethode, bei
der Augenbewegungen integriert sind (Eye Movement); Desensitization und Reprozessing
bedeuten Immunisierung (Desensibilisierung) und Verarbeitung, womit der Prozess des
Erkennens, Aushaltens und Annehmens von traumatischen Erlebnisinhalten gemeint ist. Diese
Form der Verarbeitung wird vornehmlich zur Therapie von posttraumatischen Belastungs-
störungen eingesetzt (PTBS). Die Kriterien für diese Erkrankung sind im ICD-10
(Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 2000, 43.1) sehr eng gefasst: "Diese
entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine
Situation aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmasses (kurz oder
langanhaltend), die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Hierzu gehören
eine durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophe, eine Kampf-
handlung, ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer
von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen zu sein."
Prädisponierende psychische Störungen können vorliegen und den Ausbruch eines PTBS
begünstigen; und weiter zur Symptomatik: "Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben
des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, flashbacks), oder in
Träumen, vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtheit und emotionaler
Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der
Umgebung gegenüber, Anhedonie2, sowie von Vermeidung von Aktivitäten und Situationen,
die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Üblicherweise findet sich Furcht vor
und Vermeidung vor und Vermeidung von Stichworten, die den Leidenden an das
ursprüngliche Trauma erinnern könnten. Selten kommt es zu dramatischen akuten
Ausbrüchen von Angst Panik oder Aggression, ausgelöst durch ein plötzliches Erinnern und
2 Nicht-Geniessen-Können
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intensives Wiedererleben des Traumas oder der ursprünglichen Reaktion darauf. Gewöhnlich
tritt ein Zustand vegetativer Übererregbarkeit mit Vigilanzsteigerung, einer übermässigen
Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit auf. Angst und Depression sind häufig mit den
genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten.
Drogeneinnahme oder übermässiger Alkoholkonsum können als komplizierende Faktoren
hinzukommen." (ICD-10, F 43. 1, 2000)
In den diagnostischen Leitlinien ist auch das Zeitfenster verankert, das für die sichere
Diagnose bindend ist: Die PTBS soll nur dann diagnostiziert werden, wenn sie innerhalb von
6 Monaten nach einem traumatisierenden Ereignis von aussergewöhnlicher Schwere
aufgetreten ist. Wenn von PTBS gesprochen wird, so hält man sich meist an diese ICD-10
-Kriterien, zum Beispiel: (U. Schnyder, 2005; G. Hüther, 2005; A. Längle, 2005, F.
Lamprecht, 2001).
Traumatisierte Patienten, die diesem engen Korsett der oben genannten Kriterien entsprechen,
werden kaum je beim Allgemeinpraktiker Hilfe suchen. Wenn dieser aber von der EMDR-
Methode so sehr angetan ist, dass er damit seinen Patienten etwas Gutes tun und zugleich
damit Erfahrungen sammeln möchte, so muss er den Traumabegriff und die PTBS sowie das
Indikationsspektrum erweitern. Damit findet er sich in guter Gesellschaft, denn die erste
Selbsterfahrung und zugleich Entdeckung des EMDR-Verfahrens beruhte nicht auf einer
ICD-10-konformen PTBS:
3.2 Die Entstehungsgeschichte der EMDR- Methode
Im Mai 1987 machte Francine Shapiro folgende zufällige Entdeckung: Während eines
Parkbummels stellte sie mit Verblüffung fest, dass gewisse sie belastende und verfolgende
Gedanken sich plötzlich auflösten, verschwanden. Dieselben Gedanken, wieder in Erinnerung
gerufen, zeigten überdies eine Abschwächung der Bedrohung und Belastung. Ihre Erfahrung
bis dahin war: Gedanken dieser Art verhielten sich wie ein immer wieder abgespieltes
Endlosband, das erst verstummte, wenn man etwas dagegen unternahm, was in der
geschilderten Situation gerade nicht der Fall war. Was war geschehen, was steckte dahinter?
Dank genauer Beobachtung kam sie dem Phänomen auf die Spur: Sie bemerkte, dass bei den
erwähnten belastenden Gedanken (ihre eigene Krebserkrankung und deren mögliche mentale
Beeinflussung sowie die Suche nach einem Dissertationsthema) ihre Augen spontan anfingen
sich schnell in einer Diagonalen hin-und her zu bewegen. Sie machte die Probe aufs Exempel
und wiederholte die Augenbewegungen absichtlich bei gleichzeitiger Konzentration auf
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belastende Gedanken und Erinnerungen, dabei stellte sie dieselbe Wirkung fest wie bei den
vorher unwillkürlich erfolgten rhythmischen Augenbewegungen: Die erwähnten Erinne-
rungen und Gedanken verloren den belastenden Charakter. (Shapiro, 1998, 20, 28-29).
Francine Shapiro erprobte ihre neuen Erkenntnisse sehr bald an Freunden, Kollegen und
Kursteilnehmern, die belastende Erinnerungen, Überzeugungen wie ebenso belastende
aktuelle Situationen, von Demütigungen in frühster Kindheit bis zu gegenwärtigen
beruflichen Frustrationen reichend, als Ursache ihrer Schwierigkeiten angaben.
In kürzester Zeit entwickelte sie aus den damit gemachten positiven Erfahrungen ein
Standardverfahren, das sich vorerst auf die Linderung von Angstzuständen konzentrierte, so
wie es bei ihrer Initialerfahrung auch im wesentlichen um Angstgefühle ging. Sehr bald aber
wandte sie die Methode in einer kontrollierten Studie bei typischen PTBS-Patienten an
(Kriegstraumata bei Vietnam-Veteranen, Vergewaltigungsopfer). (Shapiro, 1998, 30-36).
Immer mehr Therapeuten integrierten diese neue Methode in ihre eigenen Therapiekonzepte;
im Jahre 2002 waren es schon 50'000 weltweit. Prof. Lamprecht fasst in zwei Metaanalysen
zusammen: "Im Lichte dieser Ergebnisse kann die EMDR-Behandlung bis zum
gegenwärtigen Zeitpunkt als die effektivste Behandlungsmöglichkeit bei PTBS- Patienten
angesehen werden. (Lamprecht, 2001, 57).
3.3 Neurobiologische Grundlagen
Gewiss ist, dass die Seele den Vorgang, durch welchen etwas Erinnerung wird, dem Leibe wie durch ein Zeichen einprägt; doch muss eben die Seele diese Einprägung machen und dann ihre eigene Einprägung wahrnehmen, wie sie etwas Äusseres wahrnimmt.
( Rudolf Steiner, 1976, 53)
Die EMDR-Methode hat die Integration belastender (traumatischer) Erinnerungen zum Ziel,
„dem Leibe wie durch ein Zeichen eingeprägt“, wie es Rudolf Steiner schon 1904 formulierte.
Aus der Fülle der sehr umfangreichen neurobiologischen Forschung über das Gedächtnis des
Körpers soll der folgende kleine Ausschnitt zum Verständnis beitragen, wie einerseits
belastende Erinnerungen entstehen und zu krankhaften Symptomen beitragen und andrerseits
auch wie die EMDR-Methode wirken könnte.
„Die Erfahrung hinterlässt eine Spur. Diese Feststellung wurde durch die jüngsten Errungen-
schaften der Neurobiologie experimentell bestätigt, die eine Plastizität des Nervensystems
16
nachweisen, welche die Speicherung der Erfahrung ermöglicht.“ (Kandel E. R., zit. nach
Ansermet und Magistretti, 2005, 9) und: „Künftig geht man davon aus, dass die feinsten
Elemente, die am Informationsübertragungsprozess zwischen Neuronen beteiligt sind,
nämlich die Synapsen, ständig in Abhängigkeit von der erlebten Erfahrung umgestaltet
werden. Die Mechanismen der Plastizität sind während des ganzen Lebens eines Individuums
tätig und bestimmen auf entscheidende Weise seine Entwicklung.“ (Ansermet und
Magistretti, 2005, 9-10). Diese Autoren führen dann weiter aus, wie die Erfahrungen bzw.
Wahrnehmungen Erinnerungsspuren hinterlassen, dynamische Spuren, die Veränderungen
unterliegen. Es bildet sich so eine innere Wirklichkeit, die teils ins Bewusstsein gehoben
werden kann, teils aber dem Bereich des Unbewussten angehören. Diese Spuren, im System
der Synapsen eingefangen, werden aufgezeichnet, verbinden sich, verschwinden, verändern
sich im Lebenslauf durch die Tätigkeit der neuronalen Plastizität, bestimmen die Beziehungen
der Person zur Aussenwelt, wirken auf sein Schicksal. Die von der Neurobiologie
beschriebenen Mechanismen der Plastizität bedeuten die Bildung einer dauerhaften, ja
permanenten Spur zur Bewahrung der Identität des Individuums.
„Gewiss bedeutet die Platizität an sich eine Form von Determinismus, aber während sie diese
Art von Determination des Subjekts realisiert, befreit sie es vom Determinismus der Gene.“
(Ansermet und Magistretti, 2005, 13). Damit sind wir auf der Ebene der Gene angelangt und
wie der bis vor kurzer Zeit ihnen noch zugebilligte Anspruch auf Determination des Subjekts
durch Vererbung relativiert wird, darüber gibt Joachim Bauer in seinem Buch „Das
Gedächtnis des Körpers“(J. Bauer, 2006) Aufschluss: Die Gene sind gewissermassen unser
ererbtes Arbeitsinstrument dessen optimaler Gebrauch nämlich erst durch die Regulation der
Genaktivität Sinn macht, seine Bestimmung realisiert. Diese Aktivität beinhaltet die
Produktion von biologisch aktiven Substanzen wie Neurotransmittermoleküle (sie
ermöglichen den Informationsaustausch zwischen den Nervenzellen und ihren Netzwerken),
Hormonen usw. Diese Regulation bedeutet nichts weniger als eine Loslösung von der
alleinigen Determination des Daseins des Menschen durch die Gene und ermöglicht ihm
Verantwortung, da es weitgehend beeinflussbare Faktoren (soweit sie der Kontrolle des
Individuums unterstehen) sind, welche die genannte Regulation aktivieren: zuoberst auf der
Rangliste stehen die zwischenmenschlichen Beziehungen, sie haben den grössten Einfluss auf
die Regulation der Nervenzellgene, dann aber alle sonstigen Erlebniseindrücke, bewusste und
unbewusste über unser Nervenzellsystem der Sinne vermittelte Wahrnehmungen; damit
17
eigentlich alle Erfahrungen, die aufgrund der Plastizität eine Spur in den Netzwerken,
vornehmlich im Zentrum der emotionalen Intelligenz (limbisches System), legen.
Ist die oben erwähnte Kontrolle nicht gegeben, weil Schutz und Halt bei einer Überflutung
von Bedrohung in einer äusseren Gefahrensituation, das heisst bei einem Trauma, verloren
gehen, entsteht im Gehirn ein Alarmbild, das sich in den Gedächtnisspeicher des Zentrums für
emotionale Intelligenz einbrennt. Dort kommt es zu einer Erhöhung der Sensibilisierung von
Alarm-Nervenzellen sowie zu einer bleibenden „Superverstärkung“ von denjenigen Synap-
sen, die Nervenbotenstoffe (Neurotransmitter) auf den Weg in Richtung der Alarmzentren des
Gehirns schicken. Diese durch das Traumaerlebnis ausgelöste bleibende Überempfindlichkeit
im Zentrum für emotionale Intelligenz bedeutet, dass die Seele und ihr emotionaler
Gedächtnisspeicher von da an wesentlich empfindlicher auf Alltagssituationen reagieren und
Symptome bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln.
Um EMDR etwas spezifischer erfassen zu können, wenden wir den Blick ab von den Genen
und Neuronen und betrachten die Kommunikation zwischen den beiden Gehirnhälften:
Bedeutsam ist, dass das oben geschilderte eingebrannte Alarmbild nach Traumatisierungen
ein Eigenleben im Zentrum für emotionale Intelligenz führt, abgespalten von der linken
Gehirnhälfte, die für die cognitiv-verbale Erfassung von Erfahrungen und Wahrnehmungen
und deren sprachlichen Ausdruck zuständig ist, so dass dieses Alarmbild auch keinem neuen
Bedeutungszusammenhang zugänglich ist, das heisst "ein Martinshorn zum Beispiel ist
immer das Martinshorn, was mit dem vor zehn Jahren geschehenen Unfall in Zusammenhang
stand, und kann nicht in einem neuen Kontext interpretiert werden“ (Lamprecht F.,2001, 37),
der alte Kontext wird vergegenwärtigt und die Symptome der PTBS können Oberhand
gewinnen. Diese eine Komponente unter vielen anderen zeigt, dass die Informations-
verarbeitung gestört ist, welche damit zu tun haben könnte, „dass es in PTBS-Patienten zu
etwas kommt, was man als funktionelle Dissoziation beider Gehirnhälften bezeichnen könnte,
sodass es zu einer Situation kommt, wo die emotionale Perzeption der rechten Gehirnhälfte
verbal nicht erkannt wird und über Sprache kommuniziert werden kann.“ Weiter: „Sie leiden
unter dem Mangel an Vertrautheit3 und können nicht mehr heimisch3 werden. So verstanden
würde Alexithymie4 auch den Verlust bedeuten, Zugang zu den Funktionen der rechten
Gehirnhälfte zu haben, wodurch Vulnerabilität, Konfabulation, Verleugnung und emotionale
Indifferenz bis hin zur Apathie gefördert würde “(Lamprecht F.,2001, 40). Die zwei Zitate
3 vom Autor kursiv gesetzt3 vom Autor kursiv gesetzt4 Unvermögen seine Gefühle zu entziffern
18
zeigen ein wesentliches Merkmal der PTBS-Patienten: Halt-Verlust, und Copings der ersten
Grundmotivation, wie Ablehnung, Auflehnung, Flucht, Kampf, Vernichtung (Hass) und
Lähmung.
Ergänzend soll noch ein Text von Philip Manfield die Bedeutung der Kommunikation der
beiden Gehirnhälften in der Psychotherapie, vor allem aber bei der EMDR- Methode
unterstreichen: „Die linke Hemisphäre ist für viele der Funktionen zuständig, die für eine
Psychotherapie erforderlich sind, beispielsweise für die Fähigkeit, die Sprache zu benutzen,
um Abstand von der Quelle der Belastung zu gewinnen, die Fähigkeit, sich in der Zeit zu
orientieren, und für die Fähigkeit, den Sinn einer eigenen Erfahrung zu begreifen. Da die
linke Hemisphäre bei der Erinnerung an eine traumatische Erfahrung inaktiv ist, ist es kaum
verwunderlich, dass sich Psychotherapien, die ausschliesslich mit verbalen Mitteln arbeiten,
bei der Behandlung von Klienten dieser Art als relativ unwirksam erwiesen haben. EMDR
stellt eine nonverbale Methode zur Verfügung, die offenbar die interhemisphärische Aktivität
stimuliert, wodurch es Klienten mit schweren Kindheitstraumata möglich wird, ihre
schmerzlichen Erinnerungen zu reaktivieren und sie auf eine die Adaptation des Erlebten
fördernde Weise fortzusetzen. EMDR stimuliert jedoch nicht nur die Kommunikation
zwischen den beiden Hemisphären bei Menschen, deren Hirn durch eine durch ein Trauma
verursachte abnorme Lateralisation charakterisiert wird, sondern einige der Veränderungen
scheinen auch dauerhaft zu sein. Van der Kolk und seine Mitarbeiter (Van der Kolk 1997a)
hat kürzlich das Resultat einer Pilotstudie (Van der Kolk 1997b) beschrieben, derzufolge es
nach Abschluss einer EMDR-Behandlung zu einer anhaltenden Steigerung der bilateralen
hemisphärischen Aktivität kam. Die genauen Mechanismen, durch die Augenbewegungen
(oder andere alternierende sensorische Stimuli) die interhemisphärische Kommunikation
stimulieren, ist nicht bekannt." (Manfield Philip, 2000, 21)
Es bleibt noch die naheliegendste Erklärung anzufügen, die offenbar nicht bewiesen ist, dass
nämlich in der REM-Phase (Rapid Eye Movements), während des Träumens im Schlaf durch
die raschen Augenbewegungen unbewusstes Material verarbeitet wird:
" Obwohl EMDR nicht aufgrund eines theoretischen Ansatzes entwickelt wurde, hat sich
herausgestellt, dass eine Verbindung zwischen der Wirkungsweise dieser Methode und der
Z62.0 ungenügende elterliche Überwachung und Kontrolle
Z62.1 elterliche Überfürsorglichkeit
Z62.3 Feindseligkeit gegenüber dem Kind und ständige Schuldzuweisung an das Kind
Z62.4 emotionale Vernachlässigung eines Kindes
Z62.6 unangebrachter elterlicher Druck und sonstige abnorme Erziehungsmerkmale
Z63 sonstige Probleme in der primären Bezugsgruppe, einschliesslich familiärer
Umstände
Z63.1 Probleme in der Beziehung zu den Eltern oder zu angeheirateten Verwandten
Z63.2 ungenügende familiäre Unterstützung
Z63.3 Abwesenheit eines Familienangehörigen
Z63.4 Verschwinden oder Tod eines Familienangehörigen
Diese paar ausgewählten "Probleme" können sowohl als einmaliges traumatisches Ereignis
(zB Z61.0; Z61.1; Z61.4; Z61.5; Z61.7; Z61.8; Z63.4) wie auch als chronisch
traumatisierende Lebensumstände erlebt werden, beides kann ein PTBS in einem weiter
gefassten Verständnis zur Folge haben, so wie es Lewis Engel ausdrückt,..."dass Traumata,
die durch bestimmte Ereignisse, durch problematische Beziehungen zu den eigenen Eltern
oder durch beides zusammen entstanden sind, letztlich die meisten psychischen Probleme
verursachen." ( Lewis Engel in Manfield Philip (Hrsg), 2000, 163) Und diese psychischen
25
Probleme, als eine Form des PTBS aufgefasst, sind auch einer EMDR-Behandlung
zugänglich.
4.1 Drei EMDR-Therapieberichte aus der Praxis
4.1.1 EMDR-Protokoll einer PTBS, deren traumatische Grundlage im ICD-10, Z63.4 enthalten ist und als pathologische Trauer bezeichnet werden kann.
Frau M, geb. 1924, steht seit 1979 in meiner hausärztlichen Betreuung wegen verschiedener
akuter wie auch chronischer Leiden, die sie dank eines heiteren Gemütes, das ihr immer
wieder erlaubt, den Dingen eine positive Seite abzugewinnen, wieder erstaunlich gut
wegstecken kann (u.a. fortschreitende Maculadegeneration, rezidivierende Schwindelattacken
und Beschwerden aus dem rheumatischen Formenkreis). Die Kurzanamnese zeigt insgesamt
eine harmonische Kindheit. Mit der Heirat (mit 21 Jahren) beginnt ein schicksalsschweres
Leben, der Ehemann litt an Ängsten, Zeichen von Verfolgungswahn sind deutlich (versteckt
überall Revolver hinter den Vorhängen...), Alkoholismus, Veruntreuungen, Straffälligkeit,
Amtsenthebung, damit auch Rauswurf aus der Freimaurerloge, Trennung. Frau M ist nun
(und eigentlich schon lange vorher) alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und einem
Mädchen, die alle einen Berufsabschluss erlangen. Der Älteste ist ihre Stütze, humorvoll,
souverän und kommunikativ, er leidet an Asthma bronchiale, der zweite Sohn an
Depressionen, und die Jüngste entwickelt bereits vor der Pubertät eine chronisch verlaufende
Magersucht, sie ist seit vielen Jahren invalid und berentet, fast täglich kommt sie zur Mutter,
die über Jahre von den zahlreichen Therapeuten die Schuldzuweisungen anhören musste,
gemäss dem gängigen Klischee, wonach die Magersucht ätiologisch ein Mutter-Tochter-
Problem sei. 1991 bricht für sie die Welt zusammen: Sie verliert den ältesten Sohn, 45-jährig
durch Suizid! Der psychische Leidensdruck, ausgelöst durch Albträume mit abstrusen
Inhalten, Fluchtreaktionen, wenn ihr ein Doppelgänger ihres verstorbenen Sohnes begegnete,
liess sich durch häufige begleitende Gespräche wohl etwas lindern, es fehlte mir damals aber
sowohl der diagnostische wie auch therapeutische Schlüssel für eine nachhaltige Behandlung:
PTBS und EMDR. Die somatische Antwort auf die hohe Belastung könnte das 1995
festgestellte Mammacarcinom sein; ein Jahr nach der Operation kam es zur Metastasierung,
eine erneute Operation mit anschliessender Nachbestrahlung brachte die Patientin an die
Grenze des Ertragbaren. Zurück blieb eine chronische Neuralgie des rechten Armes mit
Bewegungsbehinderung. Und trotz aller Misslichkeit verstand Fr. M immer wieder, sich
Oasen von Lebenswerten zu schaffen: Ferien, Einladungen und v.a. auch Pflege ihrer
26
kunsthandwerklichen Gaben. 2003, die Patientin war damals 79-jährig, 12 Jahre nach dem
Ereignis, brach das unter einer dünnen Eisschicht konservierte, aber immer erkennbar
gewesene PTBS voll durch: Erstmals erzählte sie von den Realitätsentfremdungen, der Sohn
lebe noch, alles sei gar nie gewesen, dazu kamen Zwangsvorstellungen: Den toten Sohn
bekam sie wegen seiner Entstellung (wegen des Kopfschusses, wie man ihr sagte) nicht mehr
zu Angesicht, und im Wissen, dass er einen Organspenderausweis auf sich trug, verfolgten sie
ganz andere Ursachen von Entstellungen (was sie bisher nie jemandem habe anvertrauen
können) nämlich bei Tag und bei Nacht die Horrorbilder ihres "ausgeweideten" Sohnes und
dass im einen oder anderen Menschen, dem sie begegne, ein Organ ihres Sohnes weiterlebe.
In dieser Notlage fasste ich den Entschluss eine erste EMDR-Behandlung zu wagen; das
Protokoll ist unvollständig, weil ich von den heftigen emotionalen Reaktionen der Patientin
bewegt war. Das anvisierte Zielbild bezieht sich in dieser ersten Sitzung auf den
Realitätsverlust, sie fokussiert auf die Doppelgängerbegegnungen, die sie jeweils in
Verzweiflung bringen und Fluchtreaktionen auslösen. Die negative Kognition5 lautet: "Ich bin
defekt, eine Hälfte ist aus mir herausgerissen". Der SUD6 betrug 8 und stieg in den folgenden
ABS7 auf 10, nach zehn ABS war er auf 1 und die anfängliche positive Kognition8 "Ich kann
das Geschehene annehmen (aber noch nicht aushalten...)" formuliert sie um in: "Ich kann
besser damit umgehen", was dann auch verankert wurde bis die VoC9 den Wert 7 erreicht
hatte. Zehn Tage später berichtete sie, dass ein Annehmen an die Stelle des Haderns mit Gott
getreten sei, dass der zwischenzeitliche Besuch am Grabe anlässlich seines Geburtstages noch
nie so harmonisch gewesen sei und sie nun Ja zu seinem Tod sagen könne, was bislang
unmöglich gewesen sei. (Die Verarbeitung hatte sich zu Hause fortgesetzt10). Ermutigt von
diesem ersten günstigen Verlauf nahmen wir uns nach weiteren zehn Tagen vor, dass
Horrorbild zum Ziel zu nehmen, das allerschrecklichste, sie dauernd bedrängende Bild, dem
sie wehrlos ausgeliefert ist, nämlich wie ihr Sohn übel zugerichtet auf dem Schragen liegt.
Die negative Kognition lautet: "Ich bin machtlos." Die positive Kognition: "Ich bewundere
seine Haltung." Die Gesamtbelastung auf der SUD-Skala wird mit dem Maximum von 10
Punkten angegeben, was was auch deutlich erlebbar ist. Von dieser Sitzung liegt das Protokoll
vor:
5 vergl. S. 206 vergl. S 207 Augenbewegungsserien8 vergl. S. 209 vergl. S. 2010 vergl. S. 22; 7. Phase
27
SUD ABS Assoziationen10 1. "es blutet weniger"- 2. "er hat ja nichts gespürt"6 3. "er hats gewollt, und vielleicht aus Schuldabzahlung, wenn, dann..." (?)- 4. "ich glaube es. Das Bild verliert Farbe, ist im Hintergrund, ich kanns fast
nicht fassen"2 5. "ich habe während dieser Serie atmen können"1 6. "ich will euch Ruhe geben"0 - "ich fühle mich erlöst"
Diese letzte Assoziation wird als als neue positive Kognition eingesetzt und mit ABS
verankert.
Eine Woche später äussert die Patientin: "Es hat nachgelassen, ich fühle eine relativ grosse
Distanz zum letzten Bild." Auch diesmal arbeitete es in ihr weiter, v. a. tauchte ein heftiges
Schuldgefühl ihrem verstorbenen Sohn gegenüber neu wieder auf, das folgende Entstehungs-
geschichte hatte: Als Frau M in die Situation der alleinerziehenden Mutter kam, anerbot sich
ein Freimaurer-Logenbruder den ältesten Sohn, der damals etwa 18-jährig war, zu sich zu
nehmen und für ihn zu sorgen, auf diese Weise könne er noch etwas für den fehlbaren
Logenbruder tun. Sie lehnte ab, und als alle Kinder ihre Berufsabschlüsse hatten, verkündete
sie stolz, das hätte sie nun alles geschafft ohne Ehemann oder Fremdhilfe und erwähnte das
damalige grosszügige Angebot des Logenbruders. Da sparte der Älteste nicht mit heftigen
Vorwürfen, dass sie ihn damals nicht gefragt habe, dass sie ihm die Gelegenheit finanzieller
Unabhängigkeit, sogar ein Studium mit Karriere-Möglichkeiten vereitelt habe. Diese
Vorwürfe brannten ihr schwere Schuldgefühle ein, ihre grosse Genugtuung, die Familie
zusammengehalten zu haben, sei wie am Boden zerstört gewesen. Wir packen die Gelegen-
heit zu einer dritten EMD-Sitzung: Das anvisierte Bild lässt die Szene mit den Vorwürfen
wiedererstehen, das Gefühl am Boden zerstört zu sein. Die negative Kognition lautet: "Ich
habe ihm die Chance genommen", die positive Kognition:"Ich habe uneigennützig das Beste
getan." (Damit ist gemeint, dass ihr die Schuld abgenommen ist).
SUD ABS Assoziationen9 1. "warum, warum?"
28
- 2. "ich hätte nicht so handeln dürfen, wie wenn etwas mich bestimmt hätte"- 3. "du hast müssen"- 4. "warum zweifle ich eigentlich?"5 5. "ich bin geführt worden, zuerst meinte ich, der Teufel habe mich geritten"- 6. "ich bin froh"2-3 7. "Gott sei Dank habe ich auf mein Inneres gehört"1 - -
Es folgte nun noch die Verankerung der positiven Kognition, die von Anfang auf der VoC-
Skala einen Wert von 7 erreichte. Zwei Wochen später berichtete sie, dass es wahnsinnig viel
besser sei, manchmal habe sie Angst an die Bilder zu denken, versuche sich sorgfältig
anzunähern, um dann festzustellen: es geht, es passiert nichts! Die Freimaurergeschichte sei
wie erledigt, sie sei beeindruckt über die Ruhe, mit der sie in der Zwischenzeit mit dem
zweiten Sohn habe darüber sprechen können, und sein Kommentar sei kurz und bündig
gewesen: "Das wäre ganz falsch herausgekommen." Überdies stellte sie fest, dass sich auch in
der schwierigen Beziehung zur Tochter dadurch eine gewisse Entspannung ergeben habe,
dass sie es nun annehmen könne, dass sich diese nicht helfen lassen wolle; ein Hinweis
darauf, dass sich die Bearbeitung der fokussierten Probleme und Belastungen in einer anderen
ähnlichen problematischen Beziehung wirksam gezeigt hat.
Bei der Überprüfung der Nachhaltigkeit der drei EMDR-Sitzungen nach 4 Jahren erklärte die
nun 83-jährige Frau M, dass die verarbeiteten belastenden Erlebnisse sie nie mehr eingeholt
hätten, Doppelgänger habe sie immer wieder mal gesehen, sie könne das gut einordnen und es
habe nie mehr etwas negatives in ihr ausgelöst.
Aus existenzanalytischer Sicht erkennt man in der Leidensgeschichte von Frau M erhebliche
Defizite im Bereich der ersten Grundmotivation, die dem Sein-Können in der Welt die
Grundlage entzogen haben, zum einen durch den Haltverlust auf der körperlichen Ebene
(Krebsleiden mit den damit verbundenen Ängsten, heftige Schwindelattacken, die zusätzlich
zur Sehbehinderung den physischen Bodenkontakt und den Bewegungsradius einschränken)
zum andern durch das psychische Leiden mit der PTBS, bei der zeitweise der Bezug zur
Realität, zur Wirklichkeit, verloren gegangen ist indem sie noch nach Jahren den Tod des
geliebten Sohnes nicht annehmen konnte, und sie dadurch sogar paradoxerweise irrealen
Horrorbildern von seiner sterblichen Hülle ausgeliefert war (paradoxerweise, weil sie ja
29
zeitweise meinte, er lebe noch). Die EMDR-Behandlungen stärkten Frau M ganz wesentlich
indem wieder eine Verankerung in der ersten Grundmotivation möglich wurde.
4.1.2 EMDR-Protokoll einer PTBS, deren traumatische Grundlage ein einmaliges Ereignis betrifft, einen sexuellen Missbrauch bzw. Übergriff, wie er im ICD-10, Z61.5 festgehalten ist
Im Unterschied zur ersten Falldarstellung handelt es sich zum einen um eine Patientin, die
bisher noch nie in unserer Praxis war und zum andren um eine Kurzzeitbehandlung mit nur
acht Sitzungen inklusive einer einzigen EMDR-Behandlung.
Frau R, eine alleinstehende, 69-jährige ehemalige Kindergärtnerin, meldet sich telefonisch an
wegen "Ängsten, vor allem Weltängsten", mit letzterem meint sie Panik begleitet von
Verfolgungswahn. Da sie bereits bei der ersten Begegnung nach ein paar einleitenden Sätzen
ein sexuelles Missbrauchserlebnis im Alter von acht Jahren erwähnt, ist eine mögliche PTBS
in Erwägung zu ziehen. Fr. R wirkt unsicher, gehemmt, die Anamnese enthüllt deutliche
Selbstwertstörungen und eingeschränkte Selbstannahme, gut zu verstehen auf dem
Hintergrund des erlebten elterlichen Erziehungsstils mit mangelnder Wertschätzung der
Patientin als jüngere Schwester eines privilegierten Bruders, eine Tatsache, die sich bis hin in
die Gegenwart belegen lässt, hat der Bruder doch das elterliche Haus unlängst von der Mutter
zugesprochen erhalten und die Schwester gibt sich mit einer symbolischen Abfindung
zufrieden mit dem Kommentar, dies stehe ihm zu, da er (angeblich?) keine Pension beziehe,
weil er als Akademiker nichts verdient habe, was sie in keiner Weise hinterfragt. Die
Abhängigkeit von den Eltern war enorm, lebte sie doch bis zum Alter von 26 Jahren bei ihnen
und besuchte sie hernach täglich ein bis zwei mal um ihnen behilflich zu sein. Diese
Abhängigkeit steigerte sich noch in einer Wohngemeinschaft mit einer älteren
Sprachtherapeutin, die ihr eine Ausbildung versprochen hatte, sie jedoch über 15 Jahre als
Dienstmädchen versklavte und ihr nicht nur den Lohn vorenthielt sondern denjenigen aus
ihrer beruflichen Tätigkeit als Kindergärtnerin für sich einforderte....Kontakte,
zwischenmenschliche Beziehungen zu Drittpersonen duldete die Unterdrückerin nicht.
Zweierlei Ängste plagen sie: Eine lebensbegleitende, die Angst vor dem Nicht-Können und
Versagen bei Erwartungen und Anforderungen der Öffentlichkeit, was in Sprachblockaden
zum Ausdruck kommt. Die andere ist die aktuell panische Angst mit Verfolgungswahn
("diffuse schauerliche Mächte, unfassbar"), ausgelöst durch nächtliche unerträgliche
Lärmimmissionen (Schreien, Gelächter, TV und Radio auf voller Lautstärke, Duschen und
30
Baden zu jeder Nachtzeit) in der darunterliegenden Wohnung seit dort ein junges Paar mit
anderen Zeit-und Rücksichtsvorstellungen eingezogen ist. Reklamationen, freundlich-verbale
wie auch Klopfen, wurden mit üblen Schimpfwörtern wie auch Lärmverstärkung beantwortet.
Schlaflosigkeit, "Herz-und Nervenschmerzen", Depression und fortschreitender Gewichts-
verlust stellten sich ein. Sie schrieb mir: "Ausweglosigkeit - Eingeschlossen - völlig ohne Ich-
Kräfte - ohne Willensmöglichkeit zur Überwindung". Und in der schriftlichen Schilderung
des Kindheitstraumas wird die Ausweglosigkeit, das Eingeschlossensein, das Nicht-Fliehen-
Können, der Täter, der in der Türe steht und ihr den Fluchtweg abschneidet, zum
Furchterregendsten; das Betasten ihrer Intimregion und seine exhibitionistisch zur Schau
gestellte Erektion sei für sie kaum traumatisch gewesen, sie habe es damals noch nicht
gänzlich wahrnehmen und v. a. nicht einordnen können, erst mit 18 Jahren habe sie sich in
einem Buch darüber klug gemacht. Ausweglosigkeit, Eingeschlossensein, wie vor 61 Jahren
in der traumatischen Situation, das zieht sich als eine PTBS wie eine "Seins-Bremse" (z.B. die
Versklavungszeit) durch ihr Leben. In der 5. Sitzung wird eine EMDR-Behandlung angesetzt.
Das auslösende traumatische Kindheitserlebnis wird als Zielbild gewählt; die negative
Kognition lautet: "Ich sehe keinen Ausweg", die positive Kognition: "Ich kann raus." Als
Körperempfindung wird ein Druck im Bauch angegeben. Der SUD-Wert beträgt lediglich 3.
31
SUD ABS Assoziationen3 1. "beim Einatmen am Ende der ABS ist der Druck weggegangen"3 2. kein Kommentar5 3. "ich sehe mehr, der Ausgang ist versperrt, der Übeltäter rückt in die
Ferne, ich spüre jetzt das Herz"- 4. "Zustand ist dumpf-belastend, schwer im Atem, dumpfer, weniger
aggressiv"- 5. "wie befreit; die diagonal geführte ABS tut gut, die horizontale ist
furchtbar"- 6. kein Kommentar3 7. "es wird sachlich, es tut mir wohl im Bauch, ich könnte jetzt um Hilfe
schreien, ich bin mich"0 8. "der Typ ist mir völlig wurst, ich habe keine Angst mehr raus zu gehen"
Die positive Kognition "ich kann raus" wird als absolut stimmig eingeschätzt, der Voc9 wird
mit dem Maximum, also mit der Zahl 7 bewertet und so mit einer ABS verankert. Ihre
Empfindung am Schluss der EMDR-Sitzung: "ich fühle mich so frei, befreit, ein wunderbares
Gefühl." Innert kürzester Zeit findet die Patientin eine ruhige Wohnung, fünfeinhalb Wochen
nach der EMDR-Sitzung ist Frau R umgezogen. Nach drei weiteren Sitzungen möchte die
Patientin die Therapie abschliessen, es gehe ihr gut, sie sei noch nie im Leben so frei
gewesen, sie könne nicht einsehen, wozu die Therapie weiterhin noch nötig sei. Eingedenk
der Erörterungen A. Längles in einer Diskussion ("Ohne Wertung könne der Therapeut keine
Therapie machen. Es müsse ja festgestellt werden, ob etwas überhaupt behandelns-wert sei,
ob also Störungen oder Defizite vorlägen. Das beurteile der Patient zunächst einmal selber,
aber der Therapeut als Fachperson beurteile es mit. Der Therapeut müsse auch wissen, wann
Therapie zu Ende sei. Einerseits brauche er sehr wohl das kritische Beurteilen und Bewerten
des Therapievorganges und der vorliegenden Störungen. Eine Störung bestehe überall da, wo
jemand nicht mit seiner Zustimmung leben könne, und das sei existenzanalytisch
behandelnswert." [A. Längle, 2000, 7]), mache ich die Patientin behutsam auf ihre Defizite
(mangelnde Abgrenzungsfähigkeit, Selbstvertrauen, Verarbeitung anerzogener und fixierter
negativer Einstellungen gegenüber ihrem Selbstwert) aufmerksam. Sie brachte
unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie mit belastenden Problemen wieder zur Therapie
käme, jetzt aber seis gut so. Mit dem obigen Kriterium bestärkt, dass der Kernpunkt die
9 vergl. S. 20
32
innere Zustimmung zum Leben sei, liess ich die Patientin trotz meiner inneren Zweifel
ziehen, denn diese Zustimmung war zweifelsfrei vorhanden. Nach einem halben Jahr
begegnete ich ihr zufällig; spontan bekräftigte sie, wie befreit von den Ängsten sie sich fühle.
Die erste Grundmotivation scheint verankert zu sein, ist doch das Dasein-Können wieder
möglich geworden, insbesondere hat sie den Raum gefunden, der ihr den verloren
gegangenen Schutz wieder gewährt. Bei der dritten dürfte die Eisschicht noch dünn sein,
wenn man bedenkt, wie lange sie selbst in ihrem Leben kaum vorkam, oft gelebt wurde, und
ein selbst gestaltetes und verantwortetes Leben nur sehr marginal realisiert werden konnte.
4.1.3 Beispiel einer EMDR-Therapie unter Zeitdruck und Beschränkung auf eine einzige Sitzung bei einer Patientin mit dem Erscheinungsbild einer phobischen Störung festgehalten im ICD-10, F40.2
Frau G, 46-jährig, verheiratet, Mutter von vier Kindern, ist seit über 20 Jahren mit ihrer
Familie in meiner hausärztlichen Betreuung; die Anamnese ist unauffällig, in all den Jahren
sind keine schwerwiegenden Erkrankungen vorgekommen. Sie führt sich vorerst mit einem
febrilen grippalen Infekt ein, wechselt dann bald das Thema: Eigentlich komme sie wegen
Lampenfieber. Als gute Amateurgeigerin hat sie kürzlich das Musikstudium begonnen, mit
dem Ziel den Berufsabschluss als Geigenlehrerin zu erlangen. Sie schildert nun ganz genau
mit allen Begleitumständen, wie sie bei der letzten Vortragsübung, einem Vorspiel vor
Publikum, gleich beim ersten Stück, einer Sonate, vom zweiten Ton an ein Schlottern in den
Beinen verspürte, sich plötzlich wie neben sich stehend erlebte, wie in der Folge die
Aufmerksamkeit vom Musikvortrag abgezogen wurde und dadurch dessen Qualität
enttäuschte. Im zweiten Stück holte sie die Vorerfahrung vom ersten ein. Nur wenn sie schon
daran denke, spüre sie, wie sich die Beine selbständig machen, Wallungen über dem
Brustbein auftreten, verbunden mit einem Taubheitsgefühl. So könne sie nicht mehr auftreten,
aber an Ostern, d. h. in 6 Tagen, müsse sie in der Kirche spielen....Eine Erwartungsangst
(ICD-10, F40.2) hat sich nach der traumatisch erlebten Vortragsübung ähnlich einer PTBS
etabliert, und mit dieser Interpretation kann man ja in der Not den Hilfeversuch mit einer
EMDR-Behandlung wagen. Die kurze Vorbesprechung enthüllt ihre hohen Ansprüche an die
perfekte Interpretation..
Die negative Kognition lautet: "Ich habe keine Kontrolle mehr." Die positive Kognition: Ich
will nur Musik machen. Als Körperempfindungen werden Klemmen und Drücken auf der
Brust angegeben sowie "gramslige" Beine. Der SUD wird mit 9-10 beziffert.
33
SUD ABS Assoziationen9-10 1. "ich habe keine Kontrolle mehr"- 2. "Beine werden warm"8 3. "Beine unterhalb des Knies sind warm, Arme gramslig, bis zu einem
bestimmten Punkt der ersten Sonate komme ich, dann verliert es sich"9 4. "ich spüre im Takt er Augenbewegungen das Klemmen und Drücken auf
der Brust, ist nicht angenehm"6-7 5. "weniger schlimm als vorher, kein rhythmisches Klemmen mehr,
allgemein angenehmer, die Beklemmung hat stark abgenommen, aber noch derselbe Punkt", neue negative Kognition: "Ich habe versagt", und gleich neue Version: "ich wollte zu perfekt spielen" oder auch: "ich habe mich überfordert"
- 6. kein Kommentar6 7. "ich habe an Mozart, das zweite Stück gedacht"6 8. "ich spüre es nicht mehr so auf der Brust, mehr Wärme, Gramsle im
Kopf, besser erträglich als auf der Brust" und wieder neue negative Kognition: "Ich habe es zu perfekt machen wollen"
4-5 9. "weniger angenehm,es klemmt wieder auf der Brust"- 10. "ich habe mir falsche Vorstellungen gemacht", (wieder eine andere
negative Kognition)4 11. "ich wollte perfekt sein" (letzte Fassung einer negativen Kognition) 2-3 12. "ich finde es verunsichernd, dass die Belastungsziffern sinken und es mir
besser geht, das Klemmen fast weg ist ohne mein Dazutun, es sträubt sich etwas in mir dagegen, die Kontrolle abgeben zu müssen"
1-2 "klemmt gar nicht mehr, nur noch leichtes Kribbeln in den Händen"
Anschliessend wird die positive Kognition mit einer ABS verankert.
10 Tage später berichtet sie, dass sie an Ostern gespielt habe, es habe alles geklappt und sie
habe sich auch musikalisch gut ausdrücken können. Sie könne auch gut an das Primärereignis
zurückdenken, es fahre ihr nicht mehr ein, es sei völlig neutral. Die Sicherheit und das
Vertrauen seien wieder eingekehrt. Die telefonische Rückfrage nach 2 1/2 Jahren ergab, dass
sie nie mehr in dem Ausmass geplagt gewesen sei, es habe sich wie ein Knoten gelöst; sie
müsse immer etwa mal daran arbeiten, sie denke immer wieder an diese Behandlung zurück.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Frau G ihre Befindlichkeit nach dieser
therapeutischen Intervention positiv mit Begriffen erfüllter Bedingungen der ersten
Grundmotivation ausdrückt: Sicherheit, Vertrauen.
34
4.2 Zusammenfassung der in der Praxis durchgeführten EMDR-Therapien
Es liegen 36 auswertbare EMDR-Protokolle bei 23 Patienten vor, d. h. bei 14 Patienten wurde
eine, bei 5 Patienten zwei und bei 4 Patienten 3 EMDR-Sitzungen durchgeführt. Die Defizite
und Schwächen, die den Existenzvollzug bei den Patienten beeinträchtigen und die auch als
Folge von akuten Traumatisierungen wie auch traumatisierenden chronischen
Langzeitverletzungen feststehen, sind in der Kurzformel der negativen Kognition als
Insuffizienzgefühl am besten fassbar. Am häufigsten, nämlich in der Hälfte (18 mal) dieser
Aussagen, kommt das existentielle Thema der Macht zum Ausdruck: "Ich bin machtlos", "ich
bin ausgeliefert", "ich habe die Kontrolle verloren", "ich fühle die Ohnmacht", Gefühle, die
als ein Nicht-Können zu verstehen sind, was auch so wörtlich in 7 weiteren Formulierungen
erscheint, z.B.: "Ich kann nicht zu mir stehen", "ich kann nicht raus", "ich kann mich nicht
rechtfertigen" (z.B. bei ungerechten, unreflektierten Strafen wie Schläge, Einsperren,
tagelanges Schweigen der Mutter). 5 mal wird ein Nicht-Annehmen-Können bzw. Nicht-
Angenommen-Sein oder ein Nicht-Aushalten-Können verbalisiert; und 6 mal wird eine
EMDR. Grundlagen&Praxis.Handbuch zur Behandlung traumatisierter Menschen. Paderborn: Junferman Verlag
Hüther G (2005) Die neurobiologische Verankerung traumatischer Erfahrungen. In: Existenzanalyse 22, 2, 27-32
Lamprecht F (2001) Praxis der Traumatherapie. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta
Längle A (1987) Sinnvoll leben, Angewandte Existenzanalyse. St. Pölten: NP Buchverlag
Längle A (1998) Viktor Frankl. Ein Porträt. München: Piper
Längle A (1997-2000) Lexikon für Existenzanalyse und Logotherapie. In: Stumm G, Pritz A (2000) Wörterbuch der Psychotherapie. Wien: Springer-Verlag
Längle A (1999) Existenzanalyse - Die Zustimmung zum Leben finden. In: Fundamenta Psychiiatrica (1999; 12, 141) F.K. Schattauer Verlagsgesellschaft mbH
Längle A (2003) Emotion und Existenz. In: Längle A (Hrsg) Emotion und Existenz. Wien: GLE-Verlag, 27-42
Längle A (2004) Lernskriptum zur Existenzanalyyse (Logotherapie). Die Grundbedingung der Existenz: Sein-Können in der Welt oder die 1. Grundmotivation. Wien: by Alfried Längle
Längle A (2005) Persönlichkeitsstörungen und Traumagenese. In: Existenzanalyyse, 22,2, 4-18
Längle S , Sulz M (Hrsg) (2005) Das eigene Leben. Ein Lesebuch zur Existenzanalyse.Wien: GLE-Verlag