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Berechnung reeller Integrale mit dem Residuensatz Bakkalaureatsarbeit Institut für Analysis und Scientific Computing TU Wien Betreuer Dr. Wolfgang Herfort, Dr. Stefan Krause von Florian Rötzer 0925939 8. November 2012
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Berechnung reeller Integrale mit dem Residuensatzherfort/BAKK/Roetzer.pdf · 2012. 11. 8. · Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung, Motivation1 2 Benutzte Notation2 3 Behandlung rationaler

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Berechnung reeller Integrale mit demResiduensatz

Bakkalaureatsarbeit

Institut für Analysis und Scientific ComputingTU Wien

BetreuerDr. Wolfgang Herfort, Dr. Stefan Krause

vonFlorian Rötzer

09259398. November 2012

Page 2: Berechnung reeller Integrale mit dem Residuensatzherfort/BAKK/Roetzer.pdf · 2012. 11. 8. · Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung, Motivation1 2 Benutzte Notation2 3 Behandlung rationaler

AbstractLine integrals in complex analysis do not always require an antiderivative to be foundfirst. One may instead use residue theorem to get an analytic result - provided that theintegral path allows this.First, a special formula for dealing with rational integrands will be given and analyzed.

Afterwards, further definite integrals will be dealt with. Those are several integral trans-forms of rational functions and the normal distribution, as well as the Fresnel integral.The integrals in this collection will be distinguished by the methods used to solve them.Finally, the problem of diffraction at a half-plane will be solved as a two dimensional

field problem, using residue theorem. This is also to show an example of how translatio-nally symmetric field problems can be solved using complex analysis.

KurzzusammenfassungPfadintegrale werden in der komplexen Analysis nicht zwingend auf die Findung einerStammfunktion zurückgeführt. Stattdessen wird, wenn der Pfad es erlaubt, der Residu-ensatz verwendet, um schnell zu einem analytischen Ergebnis zu gelangen.Es wird zunächst eine spezielle Formel zur Behandlung rationaler Integranden her-

geleitet und analysiert. Danach werden weitere Beispiele von bestimmten Integralenbehandelt. Diese umfassen diverse Integraltransformationen von rationalen Funktionenund der Normalverteilungsdichte-Funktion und das Fresnel-Integral. Es wurden dabeimethodische Ansätze unterschieden und die Integrale danach eingeteilt.Zuletzt wird die Beugung elektromagnetischer Wellen an der Halbebene als zweidi-

mensionales Feldproblem mit dem Residuensatz gelöst. Es wird dadurch exemplarischgezeigt, wie eindimensional translationsinvariante Feldsituationen in die komplexe Ana-lysis übertragen werden können.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung, Motivation 1

2 Benutzte Notation 2

3 Behandlung rationaler Integranden, eine universelle Formel 33.1 Integration über R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33.2 Allgemeiner Integrationsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

4 Typische Anwendungsbeispiele 94.1 Pfadschließung im Unendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

4.1.1 Fourier-Transformation von R(z) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94.1.2 Transformationen einer Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . 104.1.3 Die sinc-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114.1.4 Integration von R(z) log(z) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

4.2 Lösung durch ein Ersatzproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144.2.1 Nicht-ganzzahligrationale Funktion (Mellin-Transformation) . . . . 144.2.2 Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164.2.3 Fresnel-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene 205.1 Das Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205.2 Konstruktion der Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215.3 Berechnung der Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235.4 Das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

6 Schlussbetrachtungen 31

Abbildungsverzeichnis 32

Literaturverzeichnis 33

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1 Einleitung, Motivation

1 Einleitung, MotivationDie analytische Berechnung von bestimmten Integralen gestaltet sich in der reellen Ana-lysis oftmals sehr aufwändig. Obwohl es für das Ergebnis nicht zwingend erforderlich ist,muss erst eine allgemeine Stammfunktion gesucht werden, diese an die Integrationsgren-zen angepasst werden und schließlich ein Lösungsausdruck berechnet werden.Die Funktionentheorie bietet eine Auswahl mächtiger Methoden, um diese Problem-

stellungen schneller bzw. manche davon überhaupt abzuwickeln. So können etwa unange-nehme Substitutionen umgangen werden, Partialbruchzerlegungen gemieden werden undIntegrationswege anschaulich und günstig transformiert, erweitert oder verkürzt werden.Die Idee ist dabei, ein Integral auf einem reellen Intervall in die komplexe Ebene

einzubetten und die analytische Fortsetzung des Integranden in der komplexen Ebenezu betrachten. Erfüllt der Integrand einige Voraussetzungen, kann das gesuchte reelleIntegral leicht durch ein Pfadintegral im Komplexen entweder ersetzt oder konkludiertwerden.In der vorliegenden Arbeit wird speziell auf die Berechnung reellwertiger Integrale mit

dem Residuensatz eingegangen. Dabei wird die Herausforderung u.a. darin bestehen,das reelle Integrationsintervall zu einem geschlossenen Pfad zu erweitern, um anschlie-ßend den Residuensatz benutzen zu können. Es kann dabei durchaus vorkommen, dassder Integrand gewechselt wird, wodurch dann aus der Lösung eines Ersatzproblems dasgesuchte Integral abgelesen werden kann. Zum besseren Verständnis wird auch auf dieRiemannschen Flächen zu bestimmten Integranden eingegangen.Es werden zunächst einige Beispiele von (mehrheitlich uneigentlichen) Integralen ge-

zeigt, deren Berechnung mit dem Residuensatz deutlich komfortabler bzw. überhaupterst ermöglicht wird. Anschließend wird auf eine Anwendung im Bereich von Beu-gungsphänomenen eingegangen.

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2 Benutzte Notation

2 Benutzte NotationFür die bessere Lesbarkeit der Arbeit werden hier die verwendeten Symbole aufgeschlüs-selt. Die Kenntnis des Residuensatzes, sowie anderer Sätze und Definitionen (Pfadver-formung, Riemannsche Fläche, meromorphe Funktion etc.) werden vorausgesetzt undsind in der Literatur nachzuschlagen.

Zeichen BedeutungZ,R, C Menge der ganzen, reellen bzw. komplexen ZahlenKr(z) Offene Kreisscheibe mit Radius r und Mittelpunkt z∂Kr(z) Kreis mit Radius r und Mittelpunkt z (Rand von Kr(z))C C ∪ {∞}C,D Wegzusammenhängende glatte Kurven∂C Endpunkte (Rand) von Cα(t) Gewählter (geschlossener) Integrationsweg; αk(t) sind Teilwegeαk ⊕ αl Zusammenfassung zweier WegeC Nicht näher bestimmte, endliche Konstante (analog: Ck)ε Kleine reelle - oder je nach Kontext auch komplexe - ZahlC[z] Ring der Polynome in z mit Koeffizienten aus CR(z) = p(z)/q(z) Rationale Funktion mit p, q ∈ C[z] bzw. p, q ∈ R[z]F [y(x)](jν) Fourier-Transformierte von y(x) in der Variablen νL2[y(x)](s) Beidseitige Laplace-Transformierte von y(x) in sE, ~E Elektrische FeldstärkeB, ~B Magnetische FlussdichteS, ~S Poynting-Vektor

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3 Behandlung rationaler Integranden, eine universelle Formel

3 Behandlung rationaler Integranden, eine universelle FormelEs sollen zunächst rationale Integranden der Form R(z) = p(z)/q(z) mit p, q ∈ R[z] alsPolynome behandelt werden. Es ist R(z) meromorph auf ganz C und erfüllt damit dieVoraussetzungen für die Verwendung des Residuensatzes geradezu ideal.

3.1 Integration über R

Man betrachte zunächst den einfachen Fall eines Integrals der Form:∞∫−∞

R(z)dz

Für die Existenz des Integrals muss gelten, dass Grad(p) + 1 < Grad(q) ist und R(z) aufder reellen Achse keine Singularitäten besitzt. In diesem Fall kann der Integrationswegüber einen Halbkreisbogen mit Radius r →∞ geschlossen werden, wodurch alle isoliertenSingularitäten einer Halbebene eingeschlossen werden. Der Integrationsweg α bestehealso aus den Teilen:

α1(t) = t , t ∈ [−r; +r]α2(t) = reit , t ∈ [0;π]

//Re(z)

OOIm(z)

•r

•−r

// //α1

__α2

��

Abbildung 1: Integrationsweg für∫RR(x)dx

Eine einfache Abschätzung zeigt nun, dass das Integral entlang des Kreisbogens beir → ∞ wegfällt, wodurch das gesuchte Integral gleich der Summe der Residuen einerHalbebene sein muss.

limr→∞

∣∣∣∣∣∣π∫

0

R(reit)reitidt

∣∣∣∣∣∣ ≤ limr→∞

π∫0

C

|r|2|r|dt ≤ lim

r→∞Cπ

|r|= 0

3

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3 Behandlung rationaler Integranden, eine universelle Formel

Das Ergebnis kann sofort angeschrieben werden und ist für die untere Halbebeneanalog zu konstruieren, da die isolierten Singularitäten und Residuen an der imaginärenAchse gespiegelt sind.

∞∫−∞

R(z)dz = 2πi∑

Im(zk)>0Res (R(z), zk)

3.2 Allgemeiner IntegrationswegSpeziell rationale Integranden können mit dem Residuensatz aber auch auf beliebig ge-arteten Intervallen und Integrationswegen exakt behandelt werden. Im Folgenden sollenIntegrale der Form ∫

C

R(z)dz, C ⊂ C, ∂C = {a, b}

behandelt werden. Es seien hier die Polynome p, q ∈ C[z], um die Aussagen möglichstallgemein zu formulieren. Die Kurve C ist ein nicht-geschlossener, wegzusamenhängenderglatter Integrationsweg in der komplexen Ebene, auf dem keine Pole von R(z) liegen.Die Endpunkte der Kurve seien mit a und b benannt und der Durchlaufsinn zeige von anach b.

•a

•b

--C

◦◦

◦◦

Abbildung 2: Allgemeiner Integrationsweg über R(z) in der komplexen z-Ebene

Hierfür ist es nötig, ein Ersatzproblem zu betrachten. Man betrachte zunächst dieFunktion:

h(z) := log(z − bz − a

)Der Ausdruck innerhalb des Logarithmus ist eine Möbiustransformation, die den Punkta nach −∞ und b nach 0 abbildet. Man kann somit die Definitionslücke des Logarithmusin h(z) genau mit dem Integrationsweg C zwischen den Punkten a und b zusammenfallenlassen.

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3 Behandlung rationaler Integranden, eine universelle Formel

Durch die Mehrdeutigkeit des Logarithmus ergibt sich für den Imaginärteil von h(z)eine Riemannsche Fläche, wie sie in Abbildung 3 für (a, b) = (−1, 1) dargestellt ist.

Abbildung 3: Riemannsche Fläche zu Im log(z−1z+1

); Realteil ist nicht mehrdeutig.

Die Funktion h(z) verhält sich bezüglich dieser Fläche nun so, dass auf einem Kreispfadum a so, dass a rechts davon liegt (im Uhrzeigersinn!), sich der Funktionswert genau um2πi ändert, bzw. bei b um −2πi ändert.Anschaulich bedeutet das, dass nach der Transformation von a auf −∞ ein solcher

Kreispfad mit unendlich großem Radius in positiver Richtung durchlaufen wird (da-her +2πi) und am auf 0 transformierten Punkt b ein Kreispfad in negativer Richtungdurchlaufen wird.

∆ah(z) =∫

−∂Kε(a)\C

dζ = 2πi , ∆bh(z) = −2πi

Dadurch unterscheidet sich das Integrationsergebnis über h(z) entlang C auf zweiverschiedenen Ebenen der Riemannschen Fläche um Vielfache von 2πi mal der Längevon C. Diese Tatsache wird nun für das Ersatzproblem genutzt.

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3 Behandlung rationaler Integranden, eine universelle Formel

Man betrachtet den neuen Integranden R(z)h(z). Dieser gehört zur gleichen Riemann-schen Fläche wie h(z), da die rationale Funktion ja eindeutig ist. Die Riemannsche Flächewird dann allerdings nicht mehr so eben sein wie in Abbildung 3. Es möge nun der vor-gegebene Integrationspfad C von einem neuen Integrationspfad α umschlossen werden,welcher in negativer Richtung (im Uhrzeigersinn) durchlaufen wird.Dieser Weg α liege nahe genug an C, um keine Singularitäten von R(z)h(z) einzuschlie-

ßen. Er umläuft also in positiver Richtung alle isolierten Singularitäten des Integranden.Der neue Pfad α lässt sich in vier Teile gliedern - zwei offene Kreispfade αa, αb um aund b, sowie einen Weg αL links von C und einen Weg αR rechts davon.

αa = ∂Kε(a)\C , αb = ∂Kε(b)\CαL = C + ε , αR = C − ε

•a

•b

--C

//αL

αb

ooαR

αa

◦◦

◦◦

Abbildung 4: Kurve C und umschließender Integrationspfad α

Bezüglich der Riemannschen Fläche verläuft α auf jener Ebene, auf welcher C liegt,entlang C, geht in einem Kreispfad weiter auf eine andere Ebene, verläuft dort genauunter C und kehrt in einem Kreispfad wieder auf die erste Ebene zurück.Die im Folgenden benutzten Grenzwerte für αL und αR müssten auf der Riemannschen

Fläche also gar nicht als Grenzwerte formuliert werden. Der Anschaulichkeit halber wirdaber die Herleitung aus der Literatur [1] verwendet.Es wird nun also α in der komplexen Ebene an C herangeführt (auf der Riemann-Fläche

kann αL sogar mit C zur Deckung gebracht werden, da hier keine Definitionslücke desLogarithmus auftritt). Dabei ergeben sich für die Kreispfade um die Endpunkte a und b,unter der Voraussetzung, dass sich das Riemann-Integral nicht ändert, wenn der Punktauf C zum Kreispfad hinzugefügt wird, die nachfolgenden Abschätzungen (für a und b

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3 Behandlung rationaler Integranden, eine universelle Formel

analog).∫αaR(z) log

(z−bz−a

)dz ≤ maxz∈∂Kε(a)(R(z))

∫∂Kε(0) log

(ζ+(a−b)

ζ

)dζ =

= maxz∈∂Kε(a)(R(z))∫ 2π

0 log(εeit+(a−b)

εeit

)εeitidt ≤

≤ C1ε∫ 2π

0 log(C2ε

)dt =

= C3ε log(C2ε

)⇒ lim

ε→0

∫αa

R(z)h(z)dz = 0

Für die anderen beiden Pfadteile αL, αR gilt nun der oben hergeleitete Umstand, dasssich h(z) um genau 2πi ändert.∫

αR

R(z)h(z)dz = −∫αL

R(z) (h(z)− 2πi) dz

Die Pfadteile werden gegensinnig durchlaufen - deshalb gilt für ihre Summe:∫αL⊕αR

R(z)h(z)dz = 2πi∫αL

R(z)dz =∫α

R(z)h(z)dz

Mit dem letzten Gleichheitszeichen erlaubt sich nun die Verwendung des Residuensat-zes. Da ja vom Pfad α alle isolierten Singularitäten von R(z)h(z) in C umlaufen werden,ergibt sich das gesuchte Integral als äquivalent zur Summe aller Residuen.∫

C

R(z)dz =∑k

Res(R(z) log

(z − bz − a

), zk

)

Zusätzlich kann der im Ersatzproblem enthaltenen Möbiustransformation auch einkonstanter Vorfaktor hinzugefügt werden, ohne das Ergebnis zu ändern, da die Summealler Residuen von R(z) gleich null ist (R(z) besitzt nach Voraussetzung nur isolierte, au-ßerwesentliche Singularitäten) und der Res(·)-Operator linear ist (was das Herausziehender Residuensumme von R(z) mit Vorfaktor log(c) erlaubt).∫

C

R(z)dz =∑k

Res(R(z) log

(cz − bz − a

), zk

)

Nunmehr ist es möglich, diese allgemein hergeleitete Formel für reelle, beschränktebestimmte Integrale zu verwenden. Es ist allerdings auch möglich, mit der gefundenenFormel eine Stammfunktion zu finden, sofern man nur die Polstellen des IntegrandenR(z) kennt.

b∫a

R(z)dz =∑k

Res(R(z) log

(z − bz − a

), zk

)= F (b)− F (a)

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3 Behandlung rationaler Integranden, eine universelle Formel

Kann man das Ergebnis in diese Form bringen, so muss F (z) +C offensichtlich Stamm-funktion von R(z) sein. Dadurch wird eine gelegentlich aufwändigere Partialbruchzerle-gung gegen die Residuenberechnung getauscht.Zusätzlich besteht auch die Möglichkeit, Integrale der Form

∞∫0

R(z)dz

direkt zu berechnen. Es wird dazu durch Möbiustransformation die positive reelle Achseauf das Intervall [−1; 1] transformiert und wieder die obige Formel benutzt. Es ergibtsich die Formel: ∞∫

0

R(z)dz = −∑k

Res(R(z) log(z), zk)

Abschließend sei noch erwähnt, dass diese einfache Formel nicht nur für rationale In-tegranden Gültigkeit hat, sondern ganz allgemein für beliebige meromorphe Funktionenangewendet werden kann. Sie kann - rein formal - also auch verwendet werden, um übereine Normalverteilung zu integrieren. Leider hat diese - wie auch jede andere elementareFunktion, die auf die Exponentialfunktion zurückgeführt werden kann - eine wesentlicheSingularität im unendlich fernen Punkt. Man wird dadurch auf die Reihenentwicklungzurückgeworfen und kommt nach gliedweiser Integration zum selben Ergebnis wie in derreellen Analysis.

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4 Typische Anwendungsbeispiele

4 Typische AnwendungsbeispieleNachfolgend werden einige andere typische Beispiele für die Anwendung des Residuen-satzes vorgestellt. Es zeigt sich dabei, dass es eine Reihe von Möglichkeiten gibt, dieLösung eines bestimmten Integrals auf den Residuensatz zurückzuführen.

4.1 Pfadschließung im UnendlichenNeben der bereits besprochenen Behandlung rein rationaler Intagranden, können nochandere Integrale durch verschiedene Pfadschließungen im unendlich fernen Punkt be-rechnet werden.

4.1.1 Fourier-Transformation von R(z)

Es seien Integrale der Form∞∫−∞

p(z)q(z) cos(z)dz,

∞∫−∞

p(z)q(z) sin(z)dz,

∞∫−∞

p(z)q(z) exp(iz)dz

zu berechnen. Auf diese Form lassen sich beispielsweise das Fourier- oder Laplace-Transformationsintegral für eine rationale Funktion zurückführen. Die drei Variantensind über die Eulersche Beziehung (Winkelfunktion auf Exponentialfunktion) und par-tielle Integration (Winkelfunktion auf Winkelfunktion) natürlich uneingeschränkt in-einander überführbar. Es wird daher nur der Fall der Exponentialfunktion im Detailbetrachtet.Es existiert das Integral nur, wenn Grad(p) + 1 ≤ Grad(q) gilt. Der Integrand weise

außerdem keine Singularitäten auf R auf. Für die obere Halbebene gilt dann außerdem:

limr→∞

∣∣∣∣∣∣π∫

0

p(reit)q(reit) exp(ireit)rieitdt

∣∣∣∣∣∣ = 0

Es reicht also aus, die Residuen in der oberen Halbebene aufzusummieren.

∞∫−∞

p(z)q(z) exp(iz)dz = 2πi

∑Im(zk)>0

Res(p(z)q(z) exp(iz), zk

)

Es finden sich für die Cosinus- bzw. Sinus-Transformation analog Lösungen:

∞∫−∞

p(z)q(z) cos(z)dz = πi

∑Im(zk)>0

Res((

p(z)q(z) + p(−z)

q(−z)

)exp(iz), zk

)

∞∫−∞

p(z)q(z) sin(z)dz = π

∑Im(zk)>0

Res((

p(z)q(z) −

p(−z)q(−z)

)exp(iz), zk

)

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4 Typische Anwendungsbeispiele

4.1.2 Transformationen einer Normalverteilung

Es ist natürlich auch möglich, eine Anzahl anderer Funktionen einer Fourier-Transformationzu unterwerfen. Einen universellen Lösungsweg kann man jedoch nicht angeben. Betrach-ten wir als weiteres Beispiel die Normalverteilungsdichtefunktion. Es soll die (beidseitige)Laplace-Transformierte einer Normalverteilungsdichte N(µ, σ2, x) errechnet werden. Esist dies die gespiegelte momenterzeugende Funktion [5] Mz(−s).Die Ableitungen von Mz(s) in 0 geben dann die statistischen Momente der Normal-

verteilung wieder.Gesucht sei also das Integral:

Mz(s) = L2[N(µ, σ2, z)

](−s) =

∞∫−∞

N(µ, σ2, z)eszdz

N(µ, σ2, z) = 1σ√

2πe−

12 (x−µ

σ )2

Durch eine Substitution y = (x− µ)/(σ√

2) kommt man zunächst auf:

Mz(s) = esµ√π

∞∫−∞

exp(−(y2 + sσ√

2︸ ︷︷ ︸=:a

y))dy

Durch quadratisches Erweitern des Exponenten und Substitution gelangt man zu ei-nem bekannten Problem.

Mz(s) = esµ√πea24

∞∫−∞

e−(y+a2 )2dy

//Re(z)

OOIm(z)

•+r

•+r + a

2

•−r

•−r + a

2

��

//

KK

oo

Abbildung 5: Integrationsweg zu∫R+a

2e−z

2dx

Die Anwendung des Residuensatzes erlaubt die Abschätzung [1], dass sich das Inte-gral über die Normalverteilungsdichte bei Verschieben des Integrationsweges R entlang

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4 Typische Anwendungsbeispiele

der imaginären Achse nicht verändert, da die Normalverteilung keine Pole hat und dieVerbindungswege im Unendlichen keinen Beitrag mehr liefern.

∞+a2∫

−∞+a2

e−x2dx =

∞∫−∞

e−x2dx =

√π

Es gilt dann die Lösung:

Mz(s) = L2[N(µ, σ2, z)

](−s) = esµe

s2σ22

Zusätzlich liegt in der komplexen s-Ebene auch die imaginäre Achse im Konvergenzbe-reich der Laplace-Transformation. Man kann also die Substitution s = −iν vornehmenund erhält sofort die Fourier-Transformierte der Funktion N(µ, σ2, z).

F[N(µ, σ2, z)

](iν) = eiνµe−

ν2σ22

4.1.3 Die sinc-Funktion

Es sei das Integral entlang der positiven reellen Achse über die Spaltfunktion (SinusCardinalis) gesucht:

∞∫0

sin(z)z

dz

Da der Integrand im Sinne der reellen Analysis gerade ist, kann der Integrationswegauf die gesamte reelle Achse erweitert und das Ergebnis dann halbiert werden. Es ergibtsich eine Vorgangsweise analog zur oben gezeigten Fourier-Sinus-Transformation einerrationalen Funktion z−1.

∞∫0

sin(z)z

dz = 12

∞∫−∞

sin(z)z

dz = 12

∞∫−∞

exp(iz)− exp(−iz)2iz dz

Es kommt nun allerdings die Singularität des Integranden auf dem Integrationsweg zuliegen. Diese muss also in einem kleinen Radius umrundet werden, damit das Integralnach dem Cauchyschen Integralsatz den richtigen Wert hat.Der Integrationspfad entlang der reellen Achse ist nun einmal für die Funktion exp(iz)

in der oberen Halbebene und für exp(−iz) in der unteren Halbebene zu schließen. Da-durch bleibt als Ergebnis der Integration die Hälfte des Residuums des ursprünglichenIntegranden.

12

∫R

sin(z)z

dz = Res(exp(iz)

4iz , 0)

= π

2

Das Ergebnis der Integration über ganz R ist nun ein Cauchyscher Hauptwert, da übereine Singularität hinweg integriert wurde. Da nun aber die Singularität des Integrandenim Ursprung hebbar ist, folgert man, dass das Integral existieren muss.

11

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4 Typische Anwendungsbeispiele

//Re(z)

OOIm(z)

•−r

•−ε

•ε

•r

// //

__��

77◦0

Abbildung 6: Integrationsweg zu∫R+

sin(z)z dz

∞∫0

sin(z)z

dz = π

2

4.1.4 Integration von R(z) log(z)

Gesucht ist ein Integral der Form:∞∫

0

log(z)1 + z2︸ ︷︷ ︸f(z)

dz

Man wählt den Logarithmus-Zweig mit Definitionslücke auf der negativen Imagi-närachse und betrachtet zunächst den geschlossenen Integrationspfad aus den Teilenα1 bis α4, definiert durch einen Parameter r > 1.

α1(t) = t , t ∈[−r;−1

r

]α2(t) = 1

rei(π−t) , t ∈ [0;π]

α3(t) = t , t ∈[

1r ; r]

α4(t) = reit , t ∈ [0;π]

Der Integrationsweg schließt einen Pol in i ein. Es gilt daher:

2πi Res(f, i) = π2

2 i =∫α1

f(t)dt+∫α2

f(t)dt+∫α3

f(t)dt+∫α4

f(t)dt

Untersucht man nun zunächst die Integrale entlang α1 und α3, so erkennt man derenGleichheit bis auf einen additiven Anteil, da die rationale Funktion gerade ist und sich

12

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4 Typische Anwendungsbeispiele

//Re(z)

OOIm(z)

•−r

•−1r

•1r

•r

//α1

''α2

//α3

__α4

��

◦+i

◦−i

Abbildung 7: Integrationsweg zu∫R+

log(z)1+z2 dz; Logarithmuszweig liegt auf der negativen

Imaginärachse

der Logarithmus in gleicher Art ändert, wie schon bei den Herleitungen im vorigenAbschnitt. ∫

α1

f(z)dz =r∫

1r

log(z) + πi

1 + z2 dt =∫α3

f(z)dz + πi

r∫1r

11 + z2dt

Anschließend wird der Grenzübergang r → ∞ gebildet und die Integrale entlang derHalbkreisbögen α2 und α4 abgeschätzt.

limr→∞

∣∣∣∣∣∣∫α2

f(z)dz

∣∣∣∣∣∣ = limr→∞

∣∣∣∣∣∣0∫−π

log(1reit)

1 + 1r2 ei2t

1rieitdt

∣∣∣∣∣∣ ≤ limr→∞

∣∣∣∣C log(r)r

∣∣∣∣ = 0

limr→∞

∣∣∣∣∣∣∫α4

f(z)dz

∣∣∣∣∣∣ = limr→∞

∣∣∣∣∣∣π∫

0

log(reit)1 + r2ei2t

rieitdt

∣∣∣∣∣∣ ≤ limr→∞

∣∣∣∣C log(r)r

∣∣∣∣ = 0

In der obigen Gleichung für das Residuum in i fallen also bis auf das gesuchte Integralalle Anteile heraus.

π2

2 i = 2∞∫

0

log(z)1 + z2dz + πi

∞∫0

11 + z2dz

Auf der linken Seite der Gleichung stehen nun zwei reelle Integrale. Trennung vonReal- und Imaginärteil liefert gleich zwei Ergebnisse. Eines davon ist bereits bekannt(siehe oben).

∞∫0

log(z)1 + z2dz = 0 und

∞∫0

11 + z2dz = π

2

13

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4 Typische Anwendungsbeispiele

Diese Vorgangsweise lässt sich für gerades R(z) mit Grad(p) + 1 < Grad(q) jedenfallsverallgemeinern. Die obigen Abschätzungen bleiben gleich. Allgemein ergibt sich derAusdruck:

∞∫0

R(z) log(z)dz = 12

∑Im(zk)>0

Res(R(z) log(z), zk)− πi∞∫

0

R(z)dz

, R(z) gerade

4.2 Lösung durch ein ErsatzproblemDa der Integrand nicht immer (nur isolierte, außerwesentliche) Singularitäten auf Caufweist, bzw. diese anderweitig ungünstig beschaffen sind, ist es manchmal nötig, dieLösung als Teillösung eines Ersatzproblems zu definieren. Dies erreicht man etwa, wennman durch geschicktes Umformen Definitionslücken - und damit Singularitäten - erzeugt.

4.2.1 Nicht-ganzzahligrationale Funktion (Mellin-Transformation)

Gegeben sei ein Integral der Form:∞∫

0

xλ−1R(x)dx, λ ∈ R+\Z

Es sei R = p/q rationale Funktion, wobei das Nennerpolynom q(z) keine Nullstellen aufR+ aufweist. Vorausgesetzt wird, dass das Integral existiert (Grad(p) + λ < Grad(q)).Nun betrachte man zunächst die Funktion:

f(z) = (−z)λ−1R(z), (−z)λ−1 = exp((λ− 1) log(−z))

Diese ist für z ∈ C\R+ holomorph, wenn der Hauptzweig des Logarithmus gewählt wird.Wir definieren eine geschlossene Kurve aus den Teilen α1 bis α4, festgelegt durch einen

Winkel ϕ ∈ [0; 2π) und einen Radius r > 1, entlang welcher f integriert werden kann:

α1(t) = teiϕ , t ∈[

1r ; r]

α2(t) = reit , t ∈ [ϕ; 2π − ϕ]α3(t) = −te−iϕ , t ∈

[−r;−1

r

]α4(t) = 1

rei(2π−t) , t ∈ [ϕ; 2π − ϕ]

Für hinreichend großes r und kleines ϕ gilt nun, dass alle Residuen des Integrandenumschlossen werden:∫

α1

f(z)dz +∫α2

f(z)dz +∫α3

f(z)dz +∫α4

f(z)dz = 2πi∑zk

Res(f, zk)

Beim Grenzübergang ϕ → 0 verschwinden die Integrale entlang der entstehendenKreise α2 und α4, wie man durch einfache Abschätzung zeigt. Für die beiden anderen

14

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4 Typische Anwendungsbeispiele

//Re(z)

OOIm(z)

• 1reiϕ

•reiϕ

•re−iϕ

•1re−iϕ

88α1

eeα2

��

��

99

ffα3

**

jjα4

Abbildung 8: Integrationsweg fürM[R(z)]

15

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4 Typische Anwendungsbeispiele

Anteile setzt man die Definition von −z über den Logarithmus ein:

∫α1

f(z)dz = eiϕr∫

1r

exp((λ− 1)(log(t) + log(−eiϕ)))R(teiϕ)dt

Da ϕ klein werden soll, befindet sich der Teilpfad α1 in der oberen Halbebene und esgilt wegen der Wahl des Logarithmus-Hauptzweigs:

log(−eiϕ) = i(−π + ϕ)

Insgesamt gilt also:

limϕ→0

∫α1

f(z)dz = e−(λ−1)πir∫

1r

tλ−1R(t)dt = −e−λπir∫

1r

tλ−1R(t)dt

Analog setzt man für das Integral entlang α3 ein und erhält:

limϕ→0

∫α3

f(z)dz = −e(λ−1)πir∫

1r

tλ−1R(t)dt = eλπir∫

1r

tλ−1R(t)dt

Es muss nun nur noch der Grenzübergang r →∞ gebildet werden. Nach Summationder Teilergebnisse ergibt sich unschwer die lösende Gleichung:

2i sin(λπ)∞∫

0

tλ−1R(t)dt = 2πi∑zk

Res(f, zk)

∞∫0

tλ−1R(t)dt = π

sin(λπ)∑zk

Res(f, zk)

4.2.2 Normalverteilung

Es sei das Integral über die Gaußsche Normalverteilungsdichte zu berechnen.∞∫−∞

e−z2dz

Man bedient sich hier der bereits bekannt vorausgesetzten Eigenschaft des Integran-den, dass sich das Integral nicht verändert, wenn der Integrationsweg verschoben wird[1]. Wir nehmen also eine komplexe Konstante a an.

∞∫−∞

e−z2dz =

∞∫−∞

e−(z+a)2dz = e−a

2∞∫−∞

e−z2e−2azdz

16

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4 Typische Anwendungsbeispiele

Aus dem linken und dem rechten Ende ergibt sich schließlich die nachfolgende Glei-chung und die weitere Argumentation.

0 =∞∫−∞

e−z2(1− e−a2

e−2az)dz

=⇒∞∫−∞

e−z2dz =

∞∫−∞

e−z2

1− e−a2e−2az︸ ︷︷ ︸f(z)

dz −∞∫−∞

e−(z+a)2

1− e−a2e−2az dz

Wir bezeichnen den ersten Integranden auf der rechten Seite nun mit f(z). Die Integra-le der rechten Seite sind offenbar nicht äquivalent. Wenn es also möglich ist, den zweitenIntegranden auf die Form f(z+a) zu bringen, so ist ein passender Integrationspfad überf gefunden, der mindestens eine Singularität einschließt. Es gilt dann auch:

f(z)− f(z + a) = e−z2

Eine passende Konstante wäre etwa a =√πei

π4 .

f(z) = e−z2

1 + e−2az

Der zu betrachtende geschlossene Integrationsweg über f ist nun ein Parallelogrammmit den Eckpunkten −r,r,r + a,−r + a. Die Funktion f hat einfache Pole der Formzk = a/2 + ka. Der Pol an a/2 wird als einziger eingeschlossen.

//Re(z)

OOIm(z)

•+r

•+r + a

•−r

•−r + a

??

oo

��

//

◦−a

2

◦a2

◦3a2

Abbildung 9: Integrationsweg für das Ersatzproblem zu∫R+ e−z

2dz

Beim Grenzübergang r →∞ liefert nun das Residuum in a/2 das gesuchte Ergebnis.Die Integrale entlang der Verbindungsstücke zwischen r und r+a bzw. zwischen −r und−r + a werden zu null, da f extrem schnell abfällt.

∞∫−∞

e−z2dz = 2πi Res

(f,a

2

)=√π

17

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4 Typische Anwendungsbeispiele

4.2.3 Fresnel-Integral

Es seien die sogenannten Fresnel-Integrale zu berechnen:

C =∞∫

0

cos(z2)dz , S =∞∫

0

sin(z2)dz

Diese werden als Real- und Imaginärteil eines Integrals E interpretiert.

C + iS =∞∫

0

eiz2dz = E

E hat wiederum starke Ähnlichkeit mit der Gaußschen Normalverteilung, auf die esnun auch zurückgeführt wird. Man betrachtet also einen geschlossenen Integrationspfad,bestehend aus drei Teilen α1 bis α3.

α1(t) = t , t ∈ [0; r]α2(t) = reit , t ∈

[0; π4

]α3(t) = (r − t)ei

π4 , t ∈ [0; r]

//Re(z)

OOIm(z)

•0

•r

•rei

π4

//α1

VV α2��α3

Abbildung 10: Integrationsweg für∫R+ eiz

2dz

Der gewählte (oktantenförmige) Integrationsweg schließt keine Singularitäten ein. Esist daher nach dem Cauchyschen Integralsatz die Summe der Integrale entlang α1 bis α3gleich null. ∫

α1

eiz2dz +

∫α2

eiz2dz +

∫α3

eiz2dz = 0

Nach dem Grenzübergang r →∞ zeigt eine Abschätzung, dass die Summe entlang α2verschwindet. Das gesuchte Integral ist dann genau jenes entlang α1.

limr→∞

∫α2

eiz2dz ≤ lim

r→∞|r−1|

π4∫

0

∣∣∣e−r2 sin(2t)∣∣∣ dt = 0

18

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4 Typische Anwendungsbeispiele

limr→∞

∫α3

eiz2dz = lim

r→∞−ei

π4

r∫0

e−(r−t)2dt = −ei

π4

∞∫0

e−u2du = −ei

π4

√π

2

=⇒∞∫

0

eiz2dz = ei

π4

√π

2

Für die beiden - offensichtlich gleichwertigen - Integrale C und S gilt also:

C = Re(eiπ4

√π

2

)=√π

8

S = Im(eiπ4

√π

2

)=√π

8

19

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

5 Eine praktische Anwendung: BeugungsphänomeneIn diesem Abschnitt wird ein Problem vorgestellt, welches mit dem Residuensatz undanderen Werkzeugen der Funktionentheorie gelöst wurde.Konkret wird die Lösung des Beugungsproblems von elektromagnetischen Wellen be-

trachtet, wie sie von Arnold Sommerfeld [3] hergeleitet wird. Als exakte Lösung gilt siefür alle Wellenlängen und ist somit in der Optik wie auch in der Telekommunikationfür Abschattungsprobleme heranzuziehen. Es wird hier nur das Modell der Beugung ander Halbebene behandelt, jedoch ist klar, dass auf dieselbe Art auch andere Geometrienbehandelt werden können.Die Behandlung des Lösungswegs wird mit komplexen Größen vorgenommen, wie es

in der Elektrotechnik üblich ist. Die Umlegung auf reelle Größen ist jedoch leicht zubewerkstelligen.

5.1 Das ModellEs liege im R3 ein ideal leitfähiger Schirm S in der Halbebene:

S ={

(x1, x2, x3)T |x1 ≥ 0, x2 = 0}⊂ R3

Der restliche Feldraum SC ist leer und einfach zusammenhängend. Die Feldsituation istdaher translationsinvariant bezüglich der x3-Achse.Der Wellenvektor (die Ausbreitungsrichtung) sei daher gegeben durch:

~k = −k(cos(α), sin(α), 0)T , α ∈ (0;π)

Es wird der elementare Ausbreitungsfall von ebenen, linear polarisierten Wellen be-handelt, wobei einmal die Komponente E3 und einmal die Komponente B3 nullgesetztsei. Es wird davon abgesehen, von TE- bzw- TM-Wellen zu sprechen, da die Trans-versalität hier zur x3-Achse und nicht zum Wellenvektor gegeben ist. Der Beweis einervollständigen Beschreibung durch diese zwei Fälle folgt aus den Rotorgleichungen.Da die Welle also in der Einfallsebene und durch eine skalare Größe vollständig be-

schrieben wird, kann das Problem in die komplexe Ebene eingebettet werden.Die beschreibende Feldkomponente (E3 bzw. B3) wird in Polarkoordinaten als u(r, ϕ)

ausgedrückt und in die (zeitlich fouriertransformierte) Wellengleichung eingesetzt.

(∆ + k2)u =(∂2

∂r2 + 1r

∂r+ 1r2

∂2

∂ϕ2 + k2)u(r, ϕ) = 0

Die einfallende ebene Welle wird entsprechend als u0 bezeichnet.

u0(r, ϕ) = e−ikr cos(ϕ−α)

Zusätzlich werden an die gesuchte Lösung eine Reihe von Randbedingungen gestellt.

20

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

•0 S

��~k

����

Abbildung 11: Einfallsebene mit Schirm S und Wellenvektor k

Bei der Beschreibung von E3 durch u wird die Sprungbedingung für elektrische Felder,bzw. von B3 jene für magnetische Felder, auf der Schirmebene S benötigt.

B3 = 0 =⇒ u = 0 bzw. E3 = 0 =⇒ ∂u

∂n= 0 , ϕ ∈ {0; 2π}

Außerdem verlangt man, dass u(r, ϕ) im gesamten Feldraum r 6= 0 beschränkt undstetig ist, und sich die Wellenanteile mit Quellen im Endlichen im Grenzfall r →∞ wieauslaufende Zylinderwellen verhalten:

limr→∞

√r

(∂v

∂r− ikv

)= 0 , v =

{u− u0, im geometrisch beleuchteten Bereichu, im geometrischen Schatten

Abschließend wird noch festgelegt, dass die Schirmkante nicht leuchten darf. Hierzuwird definiert, dass die radiale Komponente Sr des Poynting-Vektors keinen Pol ersteroder höherer Ordnung in r = 0 haben darf.

limr→0

ru∂u

∂r= 0 , wobei u

∂u

∂r∝ Sr

5.2 Konstruktion der LösungDas Problem wird nun zuerst - in Analogie zur Kutta-Joukowski-Transformation in derStrömungslehre - per konformer Abbildung t in ein bekanntes Problem transformiert.

t : z 7→√z

Dadurch wird die Halbebene des Schirms S auf die Ebene x1 ∈ R transformiert, bzw. diepositive reelle z-Achse auf die gesamte reelle Achse projiziert. Es kann also im weiterenderselbe Lösungsansatz verwendet werden, wie beim Spiegel-Problem. Vorher müssenallerdings noch einige Konsequenzen der Transformation abgeklärt werden.Die Wurzelfunktion ist eine mehrdeutige Funktion. Daher definieren wir die verwen-

dete Transformation t(z) als positiven Teil der Wurzelfunktion.

t : reiϕ 7→ +√reiϕ/2

Weiters ist das Urbild der Transformation festzulegen, da ja eigentlich eine Lösung fürdas nicht transformierte Problem gesucht ist. Da der Winkel (das komplexe Argument)

21

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

•0S

vv

~k(α2)

hh

~k(−α

2)

Abbildung 12: Transformierte Einfallsebene mit Schirm S und Wellenvektor k, sowiegespiegeltem Wellenvektor

halbiert wird, wird also nicht die komplexe Ebene, sondern eine Riemannsche Fläche alsDefinitionsmenge der Transformation verwendet.

r ∈ R+0 ϕ ∈ [−2π; +2π]

Diese Riemannsche Fläche lässt sich etwa durch zwei komplexe Ebenen übereinanderdarstellen und hat Verzweigungspunkte in 0 und ∞.Es können nun also Lösungen analog zum Spiegelproblem konstruiert werden, d.h. die

Feldsituation in der oberen Halbebene des transformierten Problems wird einfach an derreellen Achse gespiegelt und im Vorzeichen so gewählt, dass die Randbedingungen amSchirm erfüllt sind. Die transformierte Lösung ist dann 2π-periodisch in ϕ/2 bzw. diegesuchte Lösung ist 4π-periodisch in ϕ.

u(r, ϕ) = U(r, ϕ− α)∓ U(r, ϕ+ α) ,

{B3 = 0E3 = 0

22

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

Die lösende Funktion U(r, ψ) habe dabei folgende Eigenschaften:

• 4π-Periodizität:U(r, ψ + 4π) = U(r, ψ)

• U ist gerade in ψ (folgt aus der Spiegelungsmethode):

U(r, ψ) = U(r,−ψ)

• U erfüllt die elektrodynamischen Randbedingungen bei ϕ ∈ {0, 2π}:

U(r, ϕ− α)− U(r, ϕ+ α) = U(r,−α)− U(r, α) = 0

bzw.∂U

∂n(r, ϕ− α) + ∂U

∂n(r, ϕ+ α) = ∂U

∂ψ(r,−α) + ∂U

∂ψ(r, α) = 0

• U ist stetig und beschränkt auf ganz C.

• Übereinstimmung mit den Beschreibungen der geometrischen Optik (Zylinderwellen-Bedingung):

limr→∞

U(r, ψ) ={e−ikr cos(ψ) , 0 < |ψ| < π0 , π < |ψ| < 2π

• Schirmkante leuchtet nicht:limr→0

ru∂u

∂r= 0

Die letzten drei Eigenschaften gilt es nach Findung einer Lösung zu überprüfen, da esRandbedingungen sind, die aus der Physik kommen.

5.3 Berechnung der LösungDie gefundene Lösung ist noch zu allgemein, da die letzten beiden Eigenschaften erfülltsein können oder auch nicht. Es wird im weiteren eine elementare Lösung für die Ein-strahlung einer ebenen Welle berechnet. Man gehe zunächst von der Darstellung derLösungen der Wellengleichung als Wellenpakete aus.

uallg =∫A(β)e−ikr cos(ϕ−β)dβ

Dabei sei A eine beliebige Amplitudenfunktion (Gewichtungsfunktion) und die In-tegrationsvariable β der jeweilige Einfallswinkel. Es ist dadurch möglich, die einfallen-de ebene Welle u0 mit einer 2π-periodischen Amplitudenfunktion (u0 ist ja auch 2π-periodisch) mit einfachem Pol in α durch ein Umlaufintegral zu beschreiben (A ist dabeiwillkürlich gewählt und der Vorfaktor dem Residuum angepasst).

u0(r, ϕ) = 12π

∫∂Kε(α)

11− ei(α−β)︸ ︷︷ ︸

A(β)

e−ikr cos(β−ϕ)dβ

23

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

Es wird dabeiA(β) absichtlich 2π-periodisch angesetzt und erst später als 4π-periodischangenommen. Nach dem Satz über die Wegdeformation kann der Integrationsweg belie-big verformt werden, solange keine weiteren Singularitäten des Integranden eingeschlos-sen werden. Betrachtet man das Verhalten des Integranden in der komplexen Ebene, sozeigt sich, dass er auf rechteckig begrenzten Gebieten im unendlich fernen Punkt alter-nierend gegen Null und Unendlich strebt. In Abbildung 13 sind die Gebiete, auf denene−ikr cos(β−ϕ) endlich bleibt, schraffiert eingezeichnet.

//Re(β)

OOIm(β)

•ϕ− 2π

•ϕ− π

•ϕ

•ϕ+ π

•ϕ+ 2π

◦α

Abbildung 13: Musterung aufgrund der Konvergenz von e−ikr cos(β−ϕ) komplexen β-Ebene

Es ist also möglich, den Integrationsweg auf jenen Gebieten, auf welchen der Inte-grand für r → ∞ gegen Null geht, zum unendlich fernen Punkt hin zu erweitern. DerIntegrationsweg teilt sich dann in zwei Schleifen, zusammengefasst als C, und zwei Ver-bindungswege D1 und D2 = D1 + 2π. Eine solche Wegverformung ist in Abbildung 14dargestellt.Durch die 2π-Periodizität des Integranden heben sich die Beiträge der gegensinnig

durchlaufenen Kurven Dk gegenseitig auf. Der Integrationsweg C liefert damit denselben

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

//Re(β)

OOIm(β)

•ϕ− 2π

•ϕ− π

•ϕ

•ϕ+ π

•ϕ+ 2π

��D1 TTD2

ooC

//C

◦α

gg

Abbildung 14: Die Pfade C und Dk in der (gemusterten) komplexen β-Ebene

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

Wert wie das Umlaufintegral.

u0(r, ϕ) = 12π

∫C

11− ei(α−β) e

−ikr cos(β−ϕ)dβ

Da die gesuchte Lösung nun allerdings nicht 2π-periodisch sondern 4π-periodisch ist,muss auch A(β) so gewählt werden. Zur Erinnerung: Die Amplitudenfunktion kann be-liebig gewählt sein. Es sei lediglich gefordert, dass das Residuum im Pol bei α auf 1/2πinormiert sei.Die angesprochenen Beiträge entlang der Dk heben sich nun nicht mehr gegenseitig

auf, werden aber absichtlich weggelassen. Genau dadurch entstehen dann beim Ergebnisdie gesuchten Beugungsphänomene. Würde man nämlich einen geschlossenen Integrati-onsweg wählen, wäre nach dem Residuensatz nur wieder u0 erzeugt worden. Es ergibtsich dann für die lösende Funktion U :

U(r, ϕ− α) = 14π

∫C

11− ei

α−β2e−ikr cos(β−ϕ)dβ

Die Musterung in der Abbildung verschiebt sich nun allerdings gemeinsam mit demIntegrationsweg in Abhängigkeit vom Winkel ϕ. Deshalb substituiert man im Integral:

ψ = ϕ− α , γ = β − ϕ

=⇒ U(r, ψ) = 14π

∫C

11− e−i

γ+ψ2e−ikr cos(γ)dγ

Anschließend wird der Weg C erneut deformiert. Die obere Schlinge von C wird in dieobere Hälfte von D1 übergeführt bis vor den Punkt γ = −π, weiter in der offenen oberenHalbebene auf die Verbindungsstrecke zu γ = π gelegt und mit der oberen Hälfte vonD2 zur Deckung gebracht. Die untere Schlinge von C wird analog in der offenen unterenγ-Halbebene deformiert.Je nach Lage des Pols in α, welcher in der komplexen γ-Ebene auf γ = α − ϕ = −ψ

transformiert wurde, hat die lösende Funktion U(r, ψ) nun also einen additiven Anteil,der starke Ähnlichkeit mit u0 hat und einen für r → ∞ abklingenden Beugungsfeld-Anteil, der von den Beiträgen entlang der Dk herrührt. Beachte: der Pol in α wirdnicht vollständig umlaufen, da die obere Schlinge von C in der offenen oberen Halbebeneverläuft und die untere Schlinge in der offenen unteren Halbebene. Es kann also nicht dieAussage des Residuensatzes geltend gemacht werden, dass das Residuum im Pol einengenau definierten Anteil liefert, solange der Pol vom Integrationspfad umschlossen ist.Die Funktion U ist stetig im gesamten 4π-periodischen Definitionsbereich und sicher

beschränkt auf r 6= 0. Der scheinbare Sprung in ψ = ±π an der Grenze zwischen geo-metrischem Licht und Schatten ist tatsächlich keiner. Die Integralanteile entlang der Dkverschwinden im Gegensatz zum Anteil beim Umlauf eines Pols nicht plötzlich. Stattdes-sen wirkt sich der Pol im Fall |ψ| > π stetig schwächer aus. Das bedeutet auch, dass diegebeugte Welle azimuthal abnimmt, je tiefer ein Aufpunkt im geometrischen Schatten

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

//Re(γ)

OOIm(γ)

•−2π

•−π

•0

•π

•2π

TTD1 ��D2

ooC

//C

Abbildung 15: Die Pfade C und Dk in der (gemusterten) komplexen γ-Ebene

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

liegt. Es reicht also, den Fall |ψ| > π zu betrachten und nicht dezidiert einen Term fürdie einfallende Welle u0 in der Lösung mitzuführen.Für r = 0 gilt nun, dass der Faktor e−ikr cos(γ) im Integranden zu 1 wird und die

Konvergenz des Integrals fraglich wird. Durch die Substitutionen z = eiγ2 und ζ = e−i

ψ2

findet man - abgesehen von Vorfaktoren - das Integral:z1∫z0

1z − ζ

dz = ln(z1 − ζz0 − ζ

)={

0 obere Schlingeiπ untere Schlinge

Das Paar (z0, z1) stellt dabei die Endpunkte der oberen bzw. unteren Schlinge von Cnach der Substitution dar.Für r →∞ wurde der Wert von U bereits vorweggenommen. Die Beiträge der Beugung

verschwinden und es bleibt je nach Lage des Pols u0 oder 0 übrig. Auch hier ist U damitbeschränkt. Der stetige Übergang zwischen Licht und Schatten schrumpft auf die Linie|ψ| = π zusammen. Als schärfere Bedingung kann auch noch der Grenzwert aus demModell berechnet werden:

limr→∞

√r

(∂U

∂r− ikU

)= 0 , |ψ| > π

Dies geht bereits aus einer einfachen Abschätzung hervor, da im Grenzwert r →∞ derAnteil der Beugung exponentiell abklingt, während der Vorfaktor

√r weitaus langsamer

wächst. Lediglich der Integralanteil bei γ = ±π ist nicht unmittelbar einsichtig und mussseparat behandelt werden. Hierbei wird auf die Literatur verwiesen.

5.4 Das ErgebnisNunmehr ist es von Interesse, die Lösung auszurechnen. Die Integralanteile auf D1 undD2 summieren sich wegen D2 = D1 + 2π und der gegensinnigen Durchlaufrichtung zu:

U(r, ψ) = 14π

∫D2

e−ikr cos γ(

11− e−i

γ+ψ2− 1

1 + e−iγ+ψ

2

)dγ

Die Differenz in der Klammer wird ausgerechnet und γ 7→ π+ η substituiert, sodass derIntegrationspfad punktsymmetrisch wird.

U(r, ψ) =−i cos ψ2

π

−π2 +i∞∫0

eikr cos η cos η2cosψ + cos ηdη

Anschließend wird die gesuchte Funktion auf u0 bezogen und nach r differenziert, umden Nenner im Integranden aufzuheben.

V (r, ψ) = U(r, ψ)u0(r, ψ) =⇒ ∂V

∂r= −

k cos ψ2π

−π2 +i∞∫0

eikr(cosψ+cos η) cos η2dη

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

Umwandeln der Winkelfunktionen mittels Summensätzen ergibt im Exponenten:

cosψ + cos η = 2 cos2 ψ

2 − 1 + 1− 2 sin2 η

2 = 2 cos2 ψ

2 − 2 sin2 η

2Es verbleibt dadurch ein Integral der Form:

∂V

∂r= −

k cos ψ2π

e2ikr cos2 ψ2

−π2 +i∞∫0

e−i2kr sin2 η2 cos η2dη

Durch erneute Substitution 2kr sin2(η/2) 7→ τ2 entsteht schließlich ein Fresnel-Integral.Die Integrationsgrenzen schließen die positive reelle Achse in der Integrationsvariablenτ ein (der Summand π/2 in der oberen Integrationsgrenze wurde absichtlich günstiggewählt).

−π2 +i∞∫0

e−i2kr sin2 η2 cos η2dη =

√2kr

∞∫0

e−iτ2dτ =

√2kr

(C − iS) = 1− i2

√π

kr

Die Konstanten C und S kommen aus den Ergebnissen im vorigen Abschnitt (Fresnel-Integral). Insgesamt ergibt sich für die bezogene Funktion V :

∂V

∂r= 1− i

2 cos ψ2∂

∂r

∫ √k

πre2ikr cos2 ψ

2 dr

Eine letzte Substitution 4kπ cos2(ψ/2)r 7→ τ2 führt schließlich zur Lösung für U .

U(r, ψ) = u01− i

2

ρ∫−∞

eiπτ2/2dτ , ρ = 2

√kr

πcos ψ2

Die letzte Substitution wurde dabei absichtlich so gewählt, dass sich das Ergebnis wiedergenau mit jenem aus der Literatur deckt.Die gefundene Lösung wurde zunächst nur für den geometrischen Schatten berechnet.

Es stellt sich die Funktion U jedoch durch die Verflechtung ihrer Parameter r und ψim Ausdruck ρ als Lösung für den gesamten 4π-periodischen Definitionsbereich heraus.Vergleiche hierzu auch die Ausführungen oben bezüglich der Wegdeformation.Abschließend gilt es noch, die Randbedingung an der Kante zu prüfen. Es gelte:

limr→0

ru∂u

∂r= 0

Dabei ist die Funktion U selbst und damit auch u beschränkt laut Forderung und besitzteine Majorante. Die Ableitung wächst für r → 0 nur mit 1/

√r, sodass der Grenzwert

sicher verschwindet.Es ist also die gewünschte exakte Lösung für die Beugung am Schirm bei Einstrahlung

einer ebenen Welle gefunden. Selbstverständlich kann nun auch mit den oben benutzten

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5 Eine praktische Anwendung: Beugungsphänomene

Integralen C und S die Richtigkeit der Lösung bezüglich des Verhaltens bei r → ∞gezeigt werden.

limr→∞

U(r, ψ) = u01− i

2

∞∫−∞

eiπτ2/2dτ = u0

1− i2

1 + i

2 = u0

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6 Schlussbetrachtungen

6 SchlussbetrachtungenEs wurde also aufgezeigt, wie mit der Funktionentheorie, insbesondere Residuensatzund Wegdeformation, die Methoden der reellen Analysis ergänzt werden können, um dieMöglichkeiten der analytischen Integration zu erweitern.Pfadschließungen auf der Riemannschen Zahlenkugel und die Erzeugung Riemann-

scher Flächen durch die Multiplikation eines meromorphen Integranden mit einer Logarithmus-Funktion sind Beispiele dafür. Auch die Lösung eines Integrals durch Rückführung aufein Ersatzproblem, in dem die Verteilung isolierter Singularitäten günstiger ausfällt, isteine wichtige Methode.Im Allgemeinen kann keine universelle Methode für die Benutzung des Residuensatzes

angegeben werden. Hier ist die Kreativität des Anwenders gefordert. Es sind allerdingsLösungswege für eine große Zahl von Integraltypen bereits bekannt, wie auch die Bei-spielsammlung in dieser Arbeit gezeigt hat.Die Vorstellung einer praktischen Anwendung aus der Wellenausbreitung hat außer-

dem gezeigt, wie eindimensional translationsinvariante Feldprobleme sofort in die kom-plexe Analysis übertragen werden können. Die möglichen Anwendungsfälle des Residu-ensatzes und der komplexen Analysis decken damit eine breite Palette von Standardpro-blemen ab, wodurch sie für Elektrotechniker jedenfalls nützliche Werkzeuge darstellen.

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Abbildungsverzeichnis1 Integrationsweg für

∫RR(x)dx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Allgemeiner Integrationsweg über R(z) in der komplexen z-Ebene . . . . . 43 Riemannsche Fläche zu Im log

(z−1z+1

); Realteil ist nicht mehrdeutig. . . . . 5

4 Kurve C und umschließender Integrationspfad α . . . . . . . . . . . . . . . 65 Integrationsweg zu

∫R+a

2e−z

2dx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

6 Integrationsweg zu∫R+

sin(z)z dz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

7 Integrationsweg zu∫R+

log(z)1+z2 dz; Logarithmuszweig liegt auf der negativen

Imaginärachse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Integrationsweg fürM[R(z)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Integrationsweg für das Ersatzproblem zu

∫R+ e−z

2dz . . . . . . . . . . . . 17

10 Integrationsweg für∫R+ eiz

2dz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

11 Einfallsebene mit Schirm S und Wellenvektor k . . . . . . . . . . . . . . . 2112 Transformierte Einfallsebene mit Schirm S und Wellenvektor k, sowie

gespiegeltem Wellenvektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2213 Musterung aufgrund der Konvergenz von e−ikr cos(β−ϕ) komplexen β-Ebene 2414 Die Pfade C und Dk in der (gemusterten) komplexen β-Ebene . . . . . . . 2515 Die Pfade C und Dk in der (gemusterten) komplexen γ-Ebene . . . . . . . 27

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Literatur

Literatur[1] Heinrich Behnke, Friedrich Sommer Theorie der analytischen Funktionen ei-

ner komplexen Veränderlichen,3. Auflage, Springer, 1955

[2] Eberhard Freitag, Rolf Busam Funktionentheorie 1,4. Auflage, Springer, 1942

[3] Arnold Sommerfeld Vorlesungen über theoretische Physik - Band 4 (Optik),3. Auflage, Deutsch, 1978

[4] Stefan Krause, Andreas Körner Komplexe Analysis,Skriptum zur begleitenden Vorlesung, TU Wien, 2010

[5] Wikipedia Momenterzeugende Funktion,http://de.wikipedia.org/wiki/Momenterzeugende_Funktion,letzter Aufruf: 16. Oktober 2012.

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Hiermit erkläre ich, dass die vorliegende Arbeit ohne unzulässige Hilfe Dritter undohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt wurde. Die ausanderen Quellen oder indirekt übernommenen Daten und Konzepte sind unter Angabeder Quelle gekennzeichnet. Die Arbeit wurde bisher weder im In– noch im Ausland ingleicher oder in ähnlicher Form in anderen Prüfungsverfahren vorgelegt.

Wien, 8. November 2012 Florian Rötzer