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Fakultät Bauingenieurwesen Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen Heft 58
BEMESSUNG IM WASSERBAU KLIMAANPASSUNG, UNTERSUCHUNGEN,
REGELN, PLANUNG, AUSFÜHRUNG
DIMENSIONING IN HYDRAULIC
ENGINEERING
CLIMATE ADAPTATION, STUDIES, STANDARDS,
PLANNING, CONSTRUCTION 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017 09. – 10. März 2017
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Bibliografische Informationen
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Die bibliografischen Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
BEMESSUNG IM WASSERBAU Klimaanpassung, Untersuchungen, Regeln, Planung, Ausführung
Technische Universität Dresden, Fakultät Bauingenieurwesen, Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik. Dresden: Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik, 2017 (Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen; Heft 58) Zugl.: Dresden, Techn. Univ., 2017 ISSN 0949-5061 ISBN 978-3-86780-509-4
Herausgegeben im Auftrag des Rektors der Technischen Universität Dresden von:
Univ.-Prof. Dr.-Ing. J. Stamm Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. K.-U. Graw
Technische Universität Dresden Fakultät Bauingenieurwesen Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik 01062 Dresden
Tel.: +49 351 463 34397 Fax: +49 351 463 37120 E-Mail: [email protected] WWW: http://iwd.tu-dresden.de
Redaktion: Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Aigner
Redaktionsschluss:
10.02.2017
Verlag: Selbstverlag der Technischen Universität Dresden
Foto Deckblatt:
HRB Neuwürschnitz (Sachsen) im Bau (Quelle: LTV/BPM)
Der Nachdruck des Heftes bedarf der Genehmigung durch die Redaktion.
Wir danken dem Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft für die Unterstützung bei der Herstellung dieses Heftes.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ i
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Kai-Uwe Graw
1
Block A1 – Saal 3 Eröffnung/Grußworte/Keynote
Bemessung im Wasserbau im Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst Claus Kunz
3
Block A2 – Saal 3 Einwirkungen unter veränderlichen Randbedingungen
Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren? Hans-Ulrich Sieber
13
Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von Hochwasserrückhaltebecken (HRB) Juliane Schulz, Matthias Kufeld, Georg Johann
25
Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter instationären Bedingungen Christoph Mudersbach, Jens Bender, Fabian Netzel
35
Block B2 – Saal 5 Bauwerk und Systemantwort 1
Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich des gebäudetypolo-gischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz Carlos Rubín, Johannes Nikolowski, Karen Riedel, Stephan Gerber
45
Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von Hochwasserentlastungsanlagen Carla Schneefeld, Max Heß, Tilo Vollweiler, Dirk Carstensen
57
Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung Sebastian Golz, Christoph Bohnenkamp
67
Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen zum Hochwasserrückhalt Olaf Düser
77
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ii Inhaltsverzeichnis
Block A3 – Saal 3 Eingangswerte für die wasserbauliche Bemessung
Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten? Marc Scheibel, Paula Lorza
87
Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen Björn Fischer, Uwe Büttner, Karin Kuhn
97
Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasser-strömung und die Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau Héctor Montenegro, Bernhard Odenwald
107
Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten Oliver Buchholz, Robert Mittelstädt, Alpaslan Yörük
117
Block B3 – Saal 5 Bauwerk und Systemantwort 2
Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen Antje Bornschein
125
Schwingungen unterströmter Schütze Christian Kohout, Jörg Kranawettreiser, Konrad Thürmer
135
Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation Hans-Peter Günther, Heribert Herold, Peter Weiß
143
Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser Hartmut Wibbeler
153
Block A4 – Saal 3 Fallbeispiele und Umweltschutz
HRB Neuwürschnitz – Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk Dr. Holger Haufe, Uwe Beetz, Dominik Fiedler, Matthias Höhne, Olaf Kornmann, Holger Rosenkranz, Martin Stärker
161
Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor Daniel Schmidt, Marcel Härtel, Reinhard Hassinger, Holger Pabsch
171
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„Bemessung im Wasserbau“ iii
Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit Holger Pabsch
181
Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker Ingo Schnauder, Christoph Gerstgraser, Thomas Koch, Wilfried Uhlmann
191
Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum Adrian Schulz, Thomas Geyer, Konrad Thürmer, Ennes Sarradj, Jennifer Stapel
201
Block B4 – Saal 5 Normen und technische Bemessungsregeln
Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel? Friedhelm Garbe
211
Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700 Reinhard Pohl
221
Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau Bernhard Odenwald
231
Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511 - Carl Stoewahse, Michael Heibaum, Katja Werth
241
Block C1 – Saal 3 Fallbeispiele
Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung Andre Jurides, Dorit Müller-Gericke, Wolfram Kritzner
251
Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen Andreas Rudolf, Jörg Schreiter
261
Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe Christian Maerker, Imad al Diban, Holger Haas, Ingolf Burisch
271
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iv Inhaltsverzeichnis
Block D1 – Saal 5 Bemessung mit ökologischer Zielstellung
Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen Ulf Helbig, Philipp Lübcke, Christian Jähnel, Jürgen Stamm
281
Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemes-sung von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise Jessica Klein, Mario Oertel
291
Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen Mark Musall, Tim Kerlin, Frank Seidel, Peter Oberle und Daniel Schmidt
301
Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen Gereon Hermens, Gerrit Fiedler
311
Block C2 – Saal 3 Neue und weiterentwickelte Bemessungsansätze
Wellenumlenker in der Freibordbemessung Reinhard Pohl
321
Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen Stefan Schmid
331
Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen Claudia Berger, Boris Lehmann
339
Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests Bas Berbee, Gert-Ruben van Goor, Eugen Martac
351
Block D2 – Saal 5 Modelle als Bemessungshilfe 1
Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrschein-lichkeit von Hochwasserereignissen im Rückstaubereich von Sperrwerken Edgar Nehlsen, Peter Fröhle
361
Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb Alexander Rötz, Christian Bouillon, Stephan Theobald
373
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„Bemessung im Wasserbau“ v
Block D3 – Saal 5 Modelle als Bemessungshilfe 2
3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau Max Heß, Carla Schneefeld, Tilo Vollweiler, Dirk Carstensen
383
3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt Bashar Ismael, Detlef Aigner, Robert Haas, Rüdiger Opitz
393
Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen Stefan Leschka, Oliver Stoschek, Jann Best
403
Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme Michael Sabrowski, Sebastian Weichelt, Jens Sauerwein
413
Förderverein
Satzung der Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes für Wasserbau und THM an der TU Dresden e. V.
423
Übersicht der Hefte „Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen“ 429
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Gewässermonitoring bei Baumaßnahmen? Zügige Ergänzung bestehender Messnetze? Rasche und flexible Überwachung im Fall von Havarien und Naturkatastrophen? Aufbau temporärer
Netze für Forschungsvorhaben?
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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
Vorwort
Die natürliche Realität ist komplex. Dies wirkt sich im Baubereich besonders
auf den Bereich Wasser(bau) und Umwelt aus. Für eine sinnvolle Gestaltung
wasserbaulicher Konstruktionen müssen wir unsere Vorgehensweise immer
wieder hinsichtlich von Änderungen im komplexen System des Wasserkreis-
laufs, der lokalen Limno- und Biosphäre sowie anthropogener Nutzungen unter-
suchen. Wir müssen uns immer wieder mit verbesserten Techniken und Materia-
lien sowie geänderten Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Alles dieses fin-
den wir im Thema des Dresdner Wasserbaukolloquiums 2017
BEMESSUNG IM WASSERBAU.
Der Untertitel
KLIMAANPASSUNG, UNTERSUCHUNGEN, REGELN, PLANUNG, AUSFÜHRUNG
soll noch einmal verdeutlichen, dass wir wirklich auf den gesamten Umfang des
Themas eingehen und entsprechend der Tradition der Veranstaltung Ergebnisse
der Forschung und aus der praktischen Umsetzung einbeziehen möchten.
Den Auftakt der Veranstaltung bildet – nach den zur Tradition gewordenen
Grußworten des Landes, der Verbände und des Fördervereins, der das Institut
bei der Organisation des Dresdner Wasserbaukolloquiums wie immer unterstützt
– ein Übersichtsbeitrag, der uns die einleitend beschriebene Themenstellung
noch einmal verdeutlichen wird, ehe wir uns dann in parallelen Sessions mit den
vielen Detailproblemen beschäftigen.
Zum diesjährigen Wasserbaukolloquium wurden Beiträge von Behörden, Inge-
nieurbüros und Firmen sowie aus Universitäten und Forschungsinstitutionen
eingereicht. Damit und mit der ebenso breit gestreuten Teilnehmergemeinschaft
kann das jährliche Kolloquium erneut seine Brückenwirkung zwischen Theorie
und Praxis und die gute Verzahnung der grundlagenorientierten Forschung mit
der Anwendung nachweisen. Wieder wurde – um dem regen Interesse Rechnung
zu tragen – ein Teil des Kolloquiums in zwei parallele Sessions aufgeteilt. Wie
üblich ergänzt darüber hinaus eine Fachausstellung die angebotenen Informatio-
nen.
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2 Vorwort
Für die Unterstützung bei der Durchführung der Veranstaltung möchten wir
vielmals danken:
- den Teilnehmern für Ihr Kommen,
- den Referenten und Autoren für Ihren persönlichen Beitrag zum Gelingen der
Veranstaltung,
- den Ausstellern für ihre Unterstützung und die Sichtbarmachung des Praxis-
bezuges der Veranstaltung,
- dem Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft für die
Unterstützung der Veranstaltung,
- den Landesverbänden von DWA und BWK für die ideelle Begleitung der
Veranstaltung.
Die Vorbereitung der Veranstaltung lag wesentlich in den Händen der Mitarbei-
ter der Professur für Technische Hydromechanik, die Durchführung erfolgt kol-
legial durch Mitarbeiter und Studierende des Instituts für Wasserbau und Tech-
nische Hydromechanik. Die Auswahl der Beiträge erfolgte durch das wissen-
schaftliche Komitee, dem auch Mitglieder des Institutsvorstands und des Vor-
standes des Fördervereins angehören. Allen Beteiligten, insbesondere Prof. Pohl,
der federführend mit der Koordination betraut war, möchte ich an dieser Stelle
ebenfalls vielmals danken.
Ich hoffe, dass es dem Dresdner Wasserbaukolloquium gelungen ist, nicht nur
viele, sondern vor allem viele interessante Beiträge anzubieten, die neue Denk-
anstöße und möglicherweise sogar Lösungsansätze geben. Und ich hoffe, dass
alle Teilnehmer Zeit und Gelegenheit finden, die behandelten Themen in Dis-
kussionen zu vertiefen und neue Kontakte zu knüpfen. In diesem Sinne wünsche
ich dem Dresdner Wasserbaukolloquium 2017 einen erfolgreichen Verlauf.
Prof. Dr.-Ing. habil. Kai-Uwe Graw
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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Bemessung im Wasserbau -
Spannungsfeld zwischen Regelkonformität
und Ingenieurskunst
Claus Kunz
Eine Bemessung im Wasserbau ist in der Regel immer durch Normen und andere
Regelwerke bestimmt, die eine Regelkonformität erfordern und die Ingeni-
eurskunst mehr oder weniger einschränken, so dass ein Spannungsfeld entsteht.
Der Impulsbeitrag zum 40. Wasserbaulichen Kolloquium zeigt Wesen, Funktion
und Entwicklung der Normung auf und versucht, hierbei die Möglichkeiten der
Ingenieurskunst zu berücksichtigen. Führt das Spannungsfeld zum Widerspruch
oder erlaubt es ein konstruktives Miteinander ?
Stichworte: Norm, Regelwerke, Wasserbau, Ingenieurskunst
1 Einführung
Bemessen, Bauen und Erhalten von Bauwerken und Infrastrukturen, auch im
Wasserbau, scheinen in Deutschland mehr und mehr durch Normen und Regel-
werke bestimmt zu werden. Abbildung 1 legt nahe, dass die Normung allgegen-
wärtig zu sein scheint. Der Wunsch des Veranstalters für einen Impulsvortrag
für das 40. Dresdner Wasserbaukolloquium mit dem Gesamttitel „Bemessen im
Wasserbau“ sollte sich mit dem Spannungsfeld von Bemessungsregeln einerseits
und Ingenieurkunst andererseits beschäftigen.
Ist das prinzipiell ein Widerspruch ? Schränken Regelwerke die Ingenieurskunst,
also das „Ingenium“ und damit auch Kreativität, ein ? Aus der Sicht eines im
Normungsgeschäft beim Normenausschuss Wasserwesen (NAW), aber auch im
Normenausschuss Bau (NABau) ehrenamtlich Tätigen soll dieser Fragestellung
im Folgenden nachgegangen werden. Bleibt es ein Widerspruch oder lässt sich
dieser lösen ?
Etwa 120 Regelwerkssetzer konkurrieren in Deutschland um die Gunst des An-
wenders; europäisch und international gibt es weitere, die zum Zwecke eines
gemeinsamen Marktes bzw.im Rahmen einer Globalisierung agieren.
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4 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst
Abbildung 1: Ist denn hier alles alles genormt … ? (Quelle: DIN)
Normung entstanden zunächst national aus Eigenantrieb zwecks Vereinfachun-
gen und Standardisierungen sowie zur Regelung von Schutzbedürfnissen. Mitt-
lerweile entstehen Normungen aus internationalen Interessen, die eine nationale
Übernahme erfordern.
2 Vom Wesen einer Norm
2.1 Die erste deutsche Norm
Norm stammt aus dem lateinischen „norma“, was ursprünglich für „Winkel-
maß“, dann aber auch für Richtschnur, Maßstab, Regel oder Vorschrift steht,
Wikipedia (2016). Normen gibt es auf verschiedensten Gebieten. Die wichtigs-
ten Normen sind Rechts- und Sozialnormen, die das Miteinander von Menschen
innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft regeln. Im Weiteren sollen aber techni-
sche Normen, vor allem mit Bezug zum Bauingenieurwesen und zum Wasser-
bau, adressiert werden.
Am 1. März 1918 erschien die allererste DIN-Norm, damals noch Deutsche In-
dustrie Norm, unter der Bezeichnung DI Norm 1 ,DIN (2013a). Sie legte Maße
und Werkstoffe für Kegelstifte fest. Das sind konische Verbindungselemente,
die in entsprechende Bohrungen eingebracht werden, um Maschinenteile (in
wieder lösbaren Verbindungen) zusammenzuhalten. Die Veröffentlichung der
Norm erfolgte gerade mal zehn Wochen nach Gründung des Normenausschus-
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ses der Deutschen Industrie im Dezember 1917. Die Vorarbeiten begannen al-
lerdings bereits im Sommer 1917 unter dem Dach des Vereins Deutscher Inge-
nieure (VDI) in einem Gremium, das sich Normalienausschuss für den deut-
schen Maschinenbau nannte. Eine damalige Umfrage bei 120 Maschinenbauun-
ternehmen lieferte ausführliche Anregungen, aber auch den gemeinsamen
Wunsch nach einer Vereinheitlichung, die zu Massenfertigung, größerer Genau-
igkeit, schnellerer und billigerer Beschaffung sowie zur Beschränkung der La-
gervorräte führen sollte. DIN 1 wurde zuletzt 1981 herausgegeben und ist im
Oktober 1992 inhaltlich in eine Europäische Norm, DIN EN 22339, überführt
worden. Die erste Norm im Bereich des Wasserbaus übrigens war als Norm für
Schachtabdeckungen in 1929 erschienen, DIN (2013b).
Die Frage, was eine Norm ist, klärt eine DIN-Norm, Grimm (2013). Nach DIN
EN 45020 (2007) handelt es sich um ein „Dokument, das mit Konsens erstellt
und von einer anerkannten Institution angenommen wurde und das für die all-
gemeine und wiederkehrende Anwendung Regeln, Leitlinien oder Merkmale für
Tätigkeiten oder deren Ergebnisse festlegt.“ Normen beruhen auf abgestimmten
Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Praxis, Gabler (2016). Technische
Normen beziehen sich auf „Tätigkeiten oder deren Ergebnisse“.
2.2 Normen im (Wasser-)Bauwesen
Für das (Wasser-)Bauwesen kann man die Beschreibung „Tätigkeiten oder de-
ren Ergebnisse“ leicht nachvollziehen. Denn hier gibt es einerseits „Verfahrens-
normen“, die die fachgerechte Ausführung von Bauwerken regeln, und anderer-
seits „Produktnormen“, die zum Beispiel festlegen, welche Baustoffe oder Bau-
teile für bestimmte Einsatzbereiche als Norm empfohlen werden. Außerdem gibt
es „Prüfnormen“, die Handlungsanweisungen dafür geben, wie die Baustoffin-
dustrie die geforderten Eigenschaften ihrer Produkte in Prüfungen nachweisen
kann, Grimm (2013). Verfahrensnormen adressieren am ehesten das Thema des
40. Wasserbau-Kolloquiums „Bemessen“, weil hierin auch Schutzziele und
Nachweisformate festgelegt werden.
Heute gibt es weit über 30.000 DIN-Normen. Davon fallen allein rund 3.000 in
den Bereich des Normenausschuss Bauwesen (NABau), rund 1.200 in den Be-
reich des Normenausschuss Wasserwesen (NAW). Auf diese DIN-Normen und
auf Regeln weiterer Regelwerkssetzer werden im Übrigen durch rund 8.000
Rechtsvorschriften verwiesen, Cyris (2010). Interessant ist beim Blick auf die
künftig immer stärker bedeutsame europäische Normung, dass in den letzten 30
Jahren der Bestand an Normen in Europa von rund 150.000 auf rund 20.000 re-
duziert werden konnte, DIHK (2015). Rund 80% der veröffentlichten Normen
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6 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst
sind europäischer bzw. internationaler Herkunft, Abbildung 2, so dass die be-
reits in der Einführung erwähnte Abhängigkeit und Vernetzung deutlich wird.
Abbildung 2: Neu erschienene DIN-Normen nach ihrer Herkunft, in [%] (Quelle: Hövel
(2016))
Demgegenüber beklagen Normen-Anwender in Deutschland eine deutliche Zu-
nahme des Normenumfangs gegenüber früher rein nationalen Normen, vgl.
Scheffler (2010), Steiner (2011), mit zum Teil einer Verdoppelung des Seiten-
umfangs.
Das DIN ist aufgrund eines Vertrages mit der Bundesrepublik die nationale
Normungsorganisation Deutschlands, BISTech (2016). Es vertritt die deutschen
Interessen in der internationalen Normung. Dazu ist das DIN Mitglied bei den
europäischen Organisationen CEN und CENELEC sowie international bei ISO
und IEC. Das DIN ist ein Selbstverwaltungsorgan aller an der Wirtschaft Betei-
ligten. Die Inhalte der Normen und Standards werden von rund 28.000 Experten
aus Wirtschaft, öffentliche Hand, Forschung und Gesellschaft erarbeitet.
Arbeitsergebnisse sind eine DIN (Nationale Norm) oder eine DIN EN (Über-
nahme einer Europäischen Norm) oder eine DIN EN ISO (Übernahme einer In-
ternationalen Norm, die europäisch harmonisiert ist) oder eine DIN ISO (Über-
nahme einer Internationalen Norm, die nicht europäisch harmonisiert ist) oder
eine DIN SPEC (Ergebnis der nicht konsensbasierten, schnellen Standardisie-
rung).
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Fachverbände erstellen eigene Regelwerke und/oder arbeiten in den Normungs-
gremien des DIN mit, um die Interessen ihrer Mitglieder in der nationalen, euro-
päischen und internationalen Normung zu vertreten. Hier sind beispielhaft der
Verein Deutscher Ingenieure (VDI- Richtlinien), der Verband Deutscher Ma-
schinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA-Einheitsblätter), die Deutsche Vereini-
gung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA-Merkblätter), der Deut-
scher Ausschuss für Stahlbeton im DIN (DAfStb- Richtlinien) zu nennen.
Aufgrund seiner Anerkennung durch die Bundesregierung und der zugedachten
Vertretungswirkung in internationalen Normengremien ist das DIN die zentrale
Normungsorganisation. Durch Normen, die im staatlichen Auftrag der Ausfüh-
rung von gesetzlich verankerten, abstrakten Schutzzielen dienen und zudem das
Verwaltungshandeln standardisieren sollen, hat auch hier das DIN die Stellung
des primus inter pares. Fachverbänden, die ebenfalls regelwerk-setzend arbeiten,
kommt sinnvollerweise die Aufgabe von prä- und post-normativen Bearbeitun-
gen, wie z.B. Forschungsprojekte, Merkblätter, Ausführungsleitfäden zu. Dies
passt auch sinnvollerweise zur 3-Stufen-Theorie der Normung.
2.3 Nutzen von Normen
Die Normung ist ein Instrument der Selbstverwaltung aller am Wirtschaftsleben
Beteiligten, DIHK (2015). Sie dient dem Nutzen der Allgemeinheit und nicht
dem wirtschaftlichen Sondervorteil Einzelner. Interessen, die den Schutz und die
Sicherheit der Allgemeinheit zum Ziel haben, werden in der Normungsarbeit in
der Regel von Experten der öffentlichen Hand, von Bund, Ländern und Kom-
munen vertreten. Im Gegenzug verweist der Staat in seiner Gesetzgebung auf
DIN-Normen, anstatt selbst technische Regelungen festzulegen. Somit trägt
Normung zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau bei. Dieses Prinzip wird
in der deutschen Normung seit fast 100 Jahren gelebt und ist seit fast 40 Jahren
im sogenannten Normenvertrag fixiert. Es war Vorbild für eine ähnliche Koope-
ration (New Approach) auf europäischer Ebene.
Normen entlasten den Staat. Nationale Rechtsvorschriften beschränken sich auf
die Festlegung wesentlicher Rahmenbedingungen und Schutzziele. Für deren
technische Ausgestaltung verweisen sie auf Normen, die konsensbasiert die ge-
setzlichen Sorgfaltspflichten konkretisieren. Sie beschreiben die allgemein aner-
kannte Regel der Technik (a.a.R.d.T.), für die juristisch auch ein Vermutungs-
tatbestand für deren Richtigkeit besteht, diese aber nicht immer haben bzw. ha-
ben können. Die Bundesregierung hat sich in ihrem „Normungspolitischen Kon-
zept“ im September 2009 ausdrücklich zur technischen Selbstverwaltung beim
DIN bekannt, Cyris (2010). Normung ist somit zum integralen Bestandteil der
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8 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst
Wirtschafts- und Innovationspolitik geworden. Damit Normung nicht zum Inno-
vationshemmnis wird, sollte sie nach Auffassung der Bundesregierung keine
Einzellösungen beschreiben, sondern technologieoffen sein.
Die Neue Konzeption (englisch: New Approach) ist ein politisches Prinzip der
Europäischen Union zur technischen Harmonisierung und Normung, DIHK
(2015). Die Neue Konzeption erstreckt sich auf derzeit 30 Europäische Richtli-
nien, die grundlegenden Anforderungen, z. B. an die Produktsicherheit zu einem
bestimmten Sektor (z. B. Maschinen, Dienstleistungen. Bauprodukte), enthalten.
Spezielle von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Europäische
Normen (sogenannte harmonisierte Normen) konkretisieren diese grundlegen-
den Anforderungen. Die Anwendung dieser Normen, die auch als harmonisierte
Normen bezeichnet werden, begründet die Vermutung der Konformität, also die
Übereinstimmung mit der Richtlinie.
Abbildung 3: Regelwerkssetzung durch europäische Organisationen (Quelle: DIN (2016))
Der Nutzen der Normung wird in Studien als Anteil an der Wachstumsrate des
Bruttoinlandsprodukts bewertet und beträgt für Deutschland rund 0,75 %, was
für 2016 zum Beispiel einen Nutzen von rund 23 Mrd. € bedeutet, Blind et al.
(2011). Weitere volkswirtschaftliche Nutzen liegen in der Reduzierung von Un-
fällen infolge von Arbeitsplatz- und Sicherheitsnormen sowie auch dem Schutz
der Umwelt durch Umweltnormen.
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2.4 Bindungswirkung von Normen
Normen haben grundsätzlich nur den Charakter von Handlungsempfehlungen,
Grimm (2013), DIN (2016). Dass manche DIN-Normen dennoch verpflichtend
sind, hängt mit der offiziellen Baugesetzgebung zusammen, die an vielen Stellen
ausdrücklich auf die Normen verweist. Rechtsverbindlichkeit erlangen Normen,
wenn Gesetze oder Rechtsverordnungen wie zum Beispiel bauaufsichtliche Ein-
führungen der Bundesländer, landesspezifische Listen der wasserbaulichen all-
gemein anerkannten Regeln der Technik oder auch EU-Richtlinien auf sie ver-
weisen. Daneben können Vertragspartner die Anwendung von Normen auch in
Vereinbarungen verbindlich festlegen.
3 Ingenieurskunst
Nach dem Duden beinhaltet die Ingenieurskunst das „besondere Geschick der
Ingenieure bei der Entwicklung und Konstruktion von Maschinen, Fahrzeugen,
Gebäuden oder Ähnlichem“, Duden (2016). Mit Ingenieurskunst werden ansons-
ten auch neue Technologien in Verbindung gebracht. Kunst kommt bekanntlich
auch von „Können“.
Wo wollen wir Ingenieurskunst walten lassen ? Bei der Festlegung von Schutz-
zielen, wie z. B. Sicherheit und Ordnung oder bei Berechnungsmethoden (die
Norm legt das (Schutz-)Ziel fest, lässt dem Anwender aber frei, wie er dieses
Ziel nachweist ?) oder bei Ausführungsregeln ? Ingenieurskunst im Wasserbau
könnte man aus der rein hydromechanischen Sichtweise mit der Anwendung
von Kontinuitätsgleichung, Impuls- und Energiegleichung verstanden wissen.
Wozu brauche ich über Physik und Mechanik/Dynamik hinaus dann noch Nor-
men ? Ingenieurskunst beinhaltet auch sämtliche durch einen Ingenieur gewon-
nene und für einen Projekterfolg eingesetzte Berufserfahrung. Reicht demnach
Ingenieurskunst allein aus oder bedarf es des gewogenen Verhältnisses zwischen
Regelsetzung einerseits und Ingenieurskunst andererseits ?
(Wasser-)Bauingenieure sind überwiegend für Infrastrukturen tätig, für die nun
einmal staatliche Schutzziele vorgegeben sind und auch häufig Regeln für trag-
fähige, gebrauchstaugliche und dauerhafte Konstruktionen. Ingenieurkunst ist
nach der oben aufgeführten Definition auch nicht mit einem grenzenlosen Frei-
raum verbunden, anders als es zum Beispiel gestaltende Künstler sein können.
Ingenieurkunst zeigt sich möglicherweise gerade bei der Anwendung und Aus-
legung von Regelwerken, indem Freiräume, die allerdings vorhanden sein müs-
sen, genutzt werden.
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10 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst
Derartige Freiräume in den Normen sind interessanterweise gerade in den –
durch ihren Regelungsumfang auch kritisierten - europäischen Normen, den Eu-
rocodes, enthalten, DIN EN 1990 (2010). Über sinngemäße Formulierungen
„Werte dürfen im Nationalen Anhang angegeben sein“ sowie „… im Einzelfall
festgelegt werden“ bis hin zu „… durch Versuche bestimmt werden“ sind Öff-
nungen möglich, die Bauherr und Ingenieur im Projekt Freiheiten erlauben.
Von diesen Öffnungen wird künftig auch verstärkt Gebrauch gemacht werden
müssen, da mit Urteil des Europäischen Gerichtshof (Rechtssache C-100/13)
vom 16. Oktober 2015 ein Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen die
Bauproduktenrichtlinie (RL 89/106/EWG) festgestellt wurde, da durch harmoni-
sierte Normen erfasste Bauprodukte zusätzliche Anforderungen durch die Bau-
regellisten gestellt wurden, die den wirksamen Marktzugang von Bauprodukten
mit CE-Kennzeichnung behinderten. Hier wird man mindestens für eine Über-
gangszeit auf Projektebene, also jeweils „im Einzelfall“, reagieren müssen. Der
Ingenieur wird mit seiner Ingenieurskunst gefragt sein. Allerdings dringt auch
hier bereits wieder der Wunsch nach einer standardisierten Vorgehensweise
durch.
4 Regelwerke und/oder Ingenieurskunst ?
Bei der Frage nach einerseits Regelsetzung und andererseits Ingenieurskunst
dürfte aus den vorigen Ausführungen das gewogene Verhältnis die zielführende
Vorgehensweise sein. Durch die Betrachtung der langjährigen Entwicklung von
Normen und Regelwerken, vgl. Abschnitt 2, und dem Wesen der Ingenieurkunst
wird ersichtlich, dass in einen Großteil der Normen immer wieder Ingenieur-
kunst eingeflossen ist, sei es bei der Hinterlegung von Berechnungsmethoden
oder auch bei der Entwicklung von Bauteilen und Produkten. Normen als Inno-
vationsförderer belegen die Inkorporation der Ingenieurskunst.
Dem Vorwurf an Normen, dass sie häufig das technisch Machbare beschreiben
und nicht das Notwendige, vgl. Cyris (2010), kann einerseits durch ausgewoge-
ne Zusammensetzung der Normungsgremien, andererseits aber auch durch die
Entscheidung, was stringent geregelt wird und was Empfehlung bleibt, Abhilfe
geschaffen werden. Letztere Elemente nutzen die Eurocodes sehr stark, z. B.
durch „Anmerkungen“ oder auch „informative Anhänge“. Die Ingenieurkunst
sollte also bereits bei der Erstellung von Regelwerken eingebracht werden, auch
mit dem Ziel, die Ingenieurkunst bei der Anwendung dieser Regelwerke nutzen
zu können. Ein individuelles Abwägen des Regelungsinhaltes muss über die
transparente Einleitung, Erstellung und Verabschiedung einer Norm erfolgen.
Das Einbringen der Ingenieurskunst vor und bei der Regelwerkssetzung, dann
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aber auch bei der Anwendung bleibt auch im Einklang mit der 3-Stufen-Theorie,
indem z. B. Verfahren vom Stand der Wissenschaft und Technik zum Stand der
Technik weiterentwickelt werden, um danach Aufnahme in Regelwerke zu einer
a.a.R.d.T. zu werden.
5 Ausblick
Auf der Grundlage eines europäischen Gemeinschaftsraums und infolge fort-
schreitender Globalisierung wird die technische Regelsetzung internationaler
motiviert sowie gemeinschaftsbestimmt sein und wird einer gesamtwirtschaftli-
chen Bedeutung Rechnung tragen. Die europäische Normung bei CEN und
CENELEC ersetzt zunehmend die nationale Normung. Im Bereich der Produkt-
normung gibt es – zumindest im harmonisierten Bereich - so gut wie keine nati-
onalen Normen mehr. Der Trend geht zu sogenannten Performance-Normen, wo
neben den Leistungsanforderungen und Leistungserwartungen allenfalls noch
die Schnittstellen beschrieben werden, seien sie mechanisch, elektrisch oder
elektronisch, Cyris (2010). Normung wird so zu einem offenen Techniksystem,
bei dem eigentlich die Ingenieurskunst gefordert und gefördert sein wird.
Regelkonformität und Ingenieurkunst müssen daher kein Widerspruch sein,
sondern können ein konstruktives Spannungsfeld bilden, bei dem immer wieder
die Notwendigkeit zur Regelung eines Sachverhalts mit den ingenieurmäßigen
Freiheiten abgewogen wird.
Gerne wird bei diesem Ausblick auf anstehende Überarbeitungen von wasser-
baulichen DIN-Normen hingewiesen, wozu u.a. bei Zeisler/Kunz(2015), aber
auch bei immer wiederkehrenden Aufrufen in einschlägigen Fachzeitschriften
von DIN, DWA, BWK etc. um eine Mitarbeit geworben wird. Vorteile einer
Mitarbeit sind bekanntlich ein Austausch mit anderen Experten, ein Wissensvor-
sprung, ein Gelegenheit zur Mitgestaltung und Einbringen der Ingenieurskunst
sowie auch das Vordenken bei künftig europäischer bzw. internationaler Bedeu-
tung des Regelwerks.
6 Literatur
BISTech (2016): Normungsorganisationen in Deutschland. BISTech Fachinformationen.
www.fachinfo.bistech.de. Abgerufen: 30.12.2016
Blind, K.; Jungmittag, A.; Mangelsdorf, A. (2011): Der gesamtwirtschaftliche Nutzen der
Normung – Eine Aktualisierung der DIN-Studie aus dem Jahr 2000. DIN (Hrsg),
Berlin, 2011.
Page 20
12 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst
Cyris, G. (2010): Technische Regelsetzung im Selbstverwaltungsbereich in Deutschland
und Europa. In: energie wasser-praxis 5/2010.
DIHK (2015): 1x1 der Normung – Ein praxisorientierter Leitfaden für KMU.
DIHK/DIN/ZDH, 2015).
DIN (2013a): Vor 95 Jahren erschien die erste deutsche Norm. Presse-Mitteilung des
DIN vom 01.03.2013.
DIN (2013b): Normenausschuss Wasserwesen – Wasser zum Leben, Normen für Wasser.
DIN – NAW, Berlin, 2013.
DIN (2016): Rechtsverbindlichkeit von Normen:http://www.din.de/de/ueber-normen-
und-standards/normen-und-recht/rechtsverbindlichkeit-durch-normen.Abgerufen:
30.12.2016
DIN EN 1990 (2010): Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung
EN 1990:2002 + A1:2005. Beuth-Verlag, Berlin, 2010-12.
DIN EN 45020 (2007): Normung und damit zusammenhängende Tätigkeiten -
Allgemeine Begriffe (ISO/IEC Guide 2:2004); Dreisprachige Fassung EN
45020:2006. Beuth-Verlag, Berlin, 2007-03.
Duden (2016): In|ge|ni|eurs|kunst. In: www.duden.de, Abgerufen: 30.12.2016.
Gabler (2016): Gabler Wirtschaftslexikon, http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/
54979/norm-v7.html, abgerufen: 30.12.2016. Springer Gabler Verlag (Hrsg.)
Grimm, R. (2013): DIN-Normen: Welche Bedeutung haben Sie für das Bauwesen ?
http://www.baustoffwissen.de/wissen-baustoffe/baustoffknowhow/grundlagen/
baurecht/din-normen-welche-bedeutung-haben-sie-fuer-das-bauwesen/
Hövel, A. (2016): Strategische Normung – DIN SPEC und europäische Normung
(Vortrag). DIN, Berlin, 2016.
Scheffler, M. (2010): Zwischenruf: Ziele und Nutzen Technischer Standards. In:
Bautechnik 87(2010), Heft 6. Verlag W.Ernst & Sohn, Berlin, 2010.
Steiner J. (2011): Neue Normen und Computergläubigkeit. Vortrag auf Arbeitstagung der
Vereinigung der Prüfingenieure Baden-Württemberg, Baden-Baden, 29.06.2011.
Wikipedia (2016): Internet-Abfrage nach Norm; am 30.12.2016.
Zeisler, G.; Kunz, C. (2015): Normen für den konstruktiven Wasserbau. In: Bautechnik
92(2015), Heft 8. Verlag W.Ernst & Sohn, Berlin, 2015.
Autor:
Ltd. Baudirektor Dipl.-Ing. Claus Kunz
Bundesanstalt für Wasserbau
Abteilung Bautechnik
Kussmaulstraße 17
76187 Karlsruhe
Tel.: +49 761 9726-3200
Fax: +49 761 9726-2150
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die
Bemessung von Talsperren?
Hans - Ulrich Sieber
Die Klimawandelprojektionen in die Zukunft weisen auf eine deutliche Klimaer-
wärmung und auf signifikante Veränderungen im Wasserhaushalt hin. Talsperren
werden von diesen Veränderungen – regional sicherlich unterschiedlich – betrof-
fen sein. Das betrifft sowohl die Beanspruchung der Absperrbauwerke wie auch
die Inanspruchnahme und Beschaffenheit der gestauten Wasserkörper. Insoweit
wirken sich klimawandelbedingten Veränderungen auch signifikant auf die Be-
wirtschaftung der Talsperren aus. Der Beitrag befasst sich mit den klimawandel-
bedingten Wirkungen auf die Anlagen und zeigt den erforderlichen Überprüfungs-
und eventuellen Anpassungsbedarf auf. Gezeigt wird auch, dass Talsperren auf-
grund ihres Vermögens, Wasser zu speichern und Stauräume vorzuhalten, gut ge-
eignet sind, den erwarteten Auswirkungen des Klimawandels im Hinblick auf
Hochwasserschutz und Wasserbereitstellung erfolgreich zu begegnen. Jedoch
kann sich auch die Nutzungskonkurrenz bei multifunktionalen Talsperren ver-
schärfen. Grundlagen des Beitrages bilden die DWA-Themen T2/2014 „Anpas-
sungsstrategien für Stauanlagen an den Klimawandel“ (DWA 2014) und der dazu
vom Autor verfasste Aufsatz (Sieber 2014).
Stichworte: Stauanlagen, Talsperren, Bemessung, Beanspruchung, Klimawandel,
Anpassungsstrategie, Hochwasser, Trockenperiode, Stauraum, Spei-
cherbewirtschaftung
1 Potentielle Auswirkungen des Klimawandels auf Talsperren
Talsperren sind bautechnische Anlagen, die dem freien Angriff der Naturgewal-
ten uneingeschränkt und vor allem über eine außerordentlich lange Lebens- und
Nutzungsdauer ausgesetzt sind. Während die wirtschaftlichen Nutzungsdauern
solcher Anlagen mit etwa 100 Jahren angesetzt werden, reicht ihre die techni-
sche Lebensdauer in aller Regel weit darüber hinaus. In Deutschland sind heute
noch Talsperren („Kunstteiche“) in Betrieb, die vor rund 500 Jahren im Harz
und im Erzgebirge für bergbauliche Nutzungen errichtet worden sind. Analog
gilt diese Betrachtung selbstverständlich auch für alle anderen Arten von Stau-
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14 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?
anlagen, wie Hochwasserrückhalte-, Pumpspeicher- und Sedimentationsbecken
sowie Staustufen. Vor diesem Hintergrund spielt der Klimawandel für Talsper-
ren eine besondere und signifikante Rolle. Zu beachten sind dabei sowohl sich
mit der Zeit verändernde unmittelbare Klimaelemente, wie z. B. Temperatur und
Niederschlag, als auch mittelbare Folgeeffekte, wie z. B. veränderte Wasser-
haushaltsbilanzen. Im Hinblick auf Bemessungsaufgaben für Talsperren sind die
mit diesen Veränderungen einhergehenden veränderten Einwirkungen auf bzw.
Beanspruchungen von baulichen und ausrüstungstechnischen Anlagen zu be-
rücksichtigen. Aber auch den Änderungen von Speicherleistungs- und Wasser-
beschaffenheitsparametern der angestauten Wasserkörper ist gebührende Auf-
merksamkeit zu schenken. Insoweit sind von den Klimaveränderungen sowohl
bautechnische als auch wasserwirtschaftliche Bemessungsgrößen und -aufgaben
betroffen.
Darüber hinaus werden mit Klimaveränderungen auch Folgen für die nutzungs-
seitigen Anforderungen an Talsperren verbunden sein. So können einerseits in-
folge ausgeprägterer Trockenperioden die Bedürfnisse hinsichtlich der Wasser-
bereitstellung zum Beispiel für die Wasserversorgung, die Bewässerung oder die
Niedrigwasseraufhöhung steigen. Andererseits kann auch eine Verbesserung der
Hochwasserschutzwirkung durch eine Vergrößerung des gewöhnlichen Hoch-
wasserrückhalteraumes von Interesse sein. Bei multifunktonal genutzten Tal-
sperren kann dies zu einer erheblich verstärkten Nutzungskonkurrenz führen, da
die jeweils anzustrebenden Stauziele diametralen Charakter haben (siehe Abbil-
dung 1).
Abbildung 1: Nutzungskonkurrenz in multifunktionalen Talsperren (aus Sieber (2014))
Aus veränderten Nutzungsansprüchen können wiederum bemessungsrelevante
Konsequenzen erwachsen, zum Beispiel infolge Festsetzung neuer Stauziele für
den Dauerbetrieb, die ihrerseits dann auch neue Bemessungswasserstände für
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die auf Stauziel auflaufenden Bemessungshochwasser BHQ1 und BHQ2 bewir-
ken. Selbstverständlich ist dann auch die wasserwirtschaftliche Bemessung an-
zupassen.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die klimawandelbedingten Auswir-
kungen auf die Bemessung von Talsperren unmittelbarer und mittelbarer Natur
und zudem außerordentlich komplex sein können.
2 Welche Klimaelemente können für Talsperren relevant sein?
2.1 Wirkungen mit Bezug zur Anlagensicherheit
Sowohl die Veränderungen der meteorologischen-hydrologischen Klimaelemen-
te als auch die Wirkungen aus der Kombination von Veränderungen der Klima-
elemente müssen berücksichtigt werden. Bei der Beurteilung müssen zudem die
Effekte aus der Änderung in der zeitlichen Abfolge und der statistischen Vertei-
lung der jeweiligen Einwirkungen Eingang finden.
Die Erhöhung der Lufttemperaturen ist die erkennbarste und unbestrittene Folge
des Klimawandels. Mit der Temperaturerhöhung steigt das Feuchtigkeitsauf-
nahmevermögen in der Atmosphäre. Dies wiederum beeinflusst die Bewölkung,
die Niederschlagsbildung sowie die Sonneneinstrahlung und die Strahlungsbi-
lanz. Weitere Auswirkungen betreffen die Verdunstung, die bei vorhandener
Wasserverfügbarkeit mit Temperaturzunahme steigt, die zeitliche und quantita-
tive Veränderung der Schneelagen sowie die Eisbildung und Vergletscherung.
Von Belang sind aber auch temperaturbedingte biochemische und bio-
geochemische Veränderungsprozesse, die im Boden und im Wasserkörper statt-
finden können.
Die derzeitigen Klimaprojektionen weisen in unseren Breiten grundsätzlich auf
steigende Jahresmitteltemperaturen und Extremtemperaturen hin, die in Folge
der meteorologisch-hydrologischen Zusammenhänge auch und besonders zu ei-
ner Veränderung der Abflussdynamik der Fließgewässer führen. Abbildung 2
zeigt beispielhaft die Projektion für die Lufttemperaturentwicklung bis 2100 in
Sachsen.
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16 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?
Abbildung 2: Lufttemperaturentwicklung in Sachsen (LfULG 2011))
Aus den Klimaprojektionen in die Zukunft werden für Deutschland hinsichtlich
des Abflussgeschehens im Allgemeinen folgende grundsätzlichen Tendenzen
abgeleitet.
Bei den Niedrigwasserabflüssen wird außer im Alpenraum wird mit einem deut-
lichen Rückgang gerechnet. Zudem werden länger andauernde Trockenperioden
erwartet.
Abbildung 3: Niedeschlagsentwicklung in Sachsen (LfULG 2011)
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Bei den mittleren Abflüssen wird allgemein mit einer Zunahme im Herbst /
Winter und einer Abnahme im Frühjahr / Sommer, also vor allem mit einer Ver-
änderung der zeitlichen Niederschlagsverteilung gerechnet. Die erwarteten Ver-
änderungen für das Gebiet Sachsens verdeutlicht beispielhaft Abbildung 3.
Bei den Hochwasserabflüssen wird erwartet, dass zumindest die Häufigkeit
kleiner und mittlerer Ereignisse zunimmt. Hinsichtlich seltener und extremer
Hochwasser sind keine einheitlichen Tendenzen aus den Klimamodellen ableit-
bar, obgleich aufgrund der physikalischen Zusammenhänge auch bei den selte-
nen Niederschlägen und Hochwasserabflüssen eine Vergrößerung denkbar ist.
Statistisch gesicherte quantitative Erkenntnisse hinsichtlich der (seltenen) Be-
messungshochwasserzuflüsse für Stauanlagen liegen ergo nicht vor. Aus Vor-
sorge- oder Vorsichtsgründen kann jedoch, wie zum Beispiel in Bayern und Ba-
den-Württemberg (siehe Tabelle 1), durch Einführung mehr oder weniger pau-
schaler Faktoren > 1,0 den bestehenden Unwägbarkeiten Rechnung getragen
werden um Reserven für die Anlagensicherheit zu schaffen.
Tabelle 1 Klimaänderungsfaktoren für unterschiedliche Hochwasser-Jährlichkeiten
Windstärke und Windrichtung haben für die Wellenbildung im Stausee aus-
schlaggebende Bedeutung. Nachhaltige Veränderungen der Wetterlagen und
damit der Windwirkungen eine große Bedeutung. In Bezug auf die Bauwerkssi-
cherheit stellen der Windstau und der Wellenauflauf eine bemessungsrelevante
Eingangsgröße für die Festlegung des Freibords des Absperrbauwerkes dar.
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18 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?
2.2 Wirkungen bezüglich der Talsperrenbewirtschaftung
Veränderungen der Lufttemperatur und damit der Wasserverdunstung führen
zudem noch in Verbindung mit einem veränderten Niederschlagsgeschehen zu
Veränderungen in den Wasserhaushaltsbilanzen. Diese besitzen große Bedeu-
tung für wasserwirtschaftliche Bemessungsaufgaben, insbesondere für die Be-
messung der für die Wassermengen- und für die Wassergütebewirtschaftung von
Talsperren maßgebenden Volumina der Stauraumlamellen.
Veränderte Windverhältnisse können das limnologische Regime von geschichte-
ten Wasserkörpern beeinflussen und insoweit wassergütewirtschaftliche Aus-
wirkungen haben.
In unseren Breiten ist – wenn auch regional mit unterschiedlicher Intensität –
aufgrund abnehmender und zeitlich anders verteilter Niederschläge und tempe-
raturbedingt zunehmender Wasserverdunstung mit einer teils signifikanten Ver-
schlechterung der Wasserbilanz zu rechnen (siehe Abbildung 4).
Abbildung 4: Änderung der klimatischen Wasserbilanz in Sachsen (aus Enke et. al. (2006))
Modellrechnungen für verschiedene sächsische Talsperren und für unterschied-
liche Klimawandelszenarien zeigen einheitlich, dass neben der bereits oben er-
wähnten veränderten jahreszeitlichen Zuflussverteilung in Summe mit einer Zu-
flussabnahme und damit auch mit einer reduzierten Speicherabgabeleistung zu
rechnen sein wird. Abbildung 5 verdeutlicht das beispielhaft für das Talsperren-
system Lehnmühle-Klingenberg-Rauschenbach im Osterzgebirge bei Ansatz
von zwei unterschiedlichen Werex III-Szenarien.
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Abbildung 5: Abgabeleistungsentwicklung für Talsperren im Osterzgebirge (Dittrich 2001)
3 Bemessungs- und sicherheitsrelevanter Überprüfungsbedarf
Wie bereits festgestellt, können durch den Klimawandel bedingte veränderte
Beanspruchungen Einfluss auf die Gebrauchstauglichkeit sowie auf die hydrau-
lische und bautechnische Sicherheit von Stauanlagen respektive Talsperren ha-
ben. Ob eine klimawandelbedingte Sensitivität besteht, wird im Einzelfall durch
entsprechende Untersuchungen zu klären sein. Insbesondere die im technischen
Regelwerk für Stauanlagen vorgeschriebenen turnusmäßigen oder gegebenen-
falls auch ereignisbezogenen vertieften Überprüfungen sollten zu diesem Zweck
mit einem „Klimawandelcheck“ verbunden werden. In diesem Rahmen sind die
meteorologisch, hydrologisch und hydraulischen determinierten Bemessungs-
werte und Lastannahmen zu überprüfen sowie die erforderlichen Nachweise der
Gebrauchstauglichkeit und Anlagensicherheit gegebenenfalls neu zu führen.
Für die praktische Durchführung des angeratenen „Klimawandelchecks“ bieten
die DWA-Themen T 2/2014 (DWA 2014) Checklisten an, die jeweils getrennt
die potentiellen Einwirkungen aus den Wirkgrößen Wasser, Temperatur, Wind
und sonstige mittelbare Wirkungen erfassen. Die aus (DWA 2014) abgeleiteten
Tabellen 2 bis 4 zeigen auf, welche Effekte auftreten können und was zu deren
Beherrschung unternommen werden kann. Selbstverständlich können in der
Checkliste betrachtete Einflüsse und Effekte unter Umständen auch durch ande-
re Faktoren als den Klimawandel verursacht werden. Ebenso erheben die Check-
listen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
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20 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?
Tabelle 2: Checkliste für Wasser- und Wasserstandeinwirkungen
Einwirkung Wasser
Was kann auftreten? Welche Effekte kann das
nach sich ziehen?
Was kann dagegen unternommen werden
(Prävention/Kompensation)?
Intensivere und längere
Niederschlagsereignisse
- Bodenvernässung
- Bodenerosion
- Böschungs- / Hangrutschun-
gen
- Einbau von Dränsystemen
- Stabilisierungsmaßnahmen auf der Oberfläche
- Böschungsabflachung
- Bewuchsoptimierung
Höhere Wasserstände - Freiborddefizite
- Dammüberströmung
- Wellenbeanspruchung in
ungeschützten Bereichen
- Höhere Belastung von
Dammscharten
- Sicherheitszuschläge zum Freibord
- Klimawandelzuschläge auf Bemessungswerte (BHQ)
- Anpassung der Bewirtschaftung/Steuerung der Stauanlagen
- Leistungsanpassung von Entnahme- und Entlastungsanlagen
- Kronensicherung, z. B. durch Wellenumlenker
- Befestigung von Überlaufstrecken und Böschungen
- Erhöhung des Absperrbauwerkes
Größere Zu- und Durchflüsse - Veränderte Hochwasserbe-
messungszuflüsse
- Veränderte Belastungen von
Betriebseinrichtungen
- Überlastung Tosbe-
cken/Unterlauf)
- Überprüfung der Hochwasserbemessung, ggf. Anpassung und
Risikoanalyse
- Umbau, Erneuerung, Ergänzung von Betriebseinrichtungen
(Entlastungs- und Entnahmeanlagen)
- Notentlastungsanlagen vorsehen
- Kolk- und Erosionsschutzmaßnahmen
Länger andauernde Niedrig-
wasserperioden / Trockenpe-
rioden
- Trockenfallen von Bauteilen
- Austrocknung der Grasnarbe
bzw. des Oberbodens auf
Dämmen und Deichen
- Austrocknung von Erdstoff-
dichtungen, Rissbildung,
Undichtigkeiten
- Bewässerungsmaßnahmen
- Bewuchsoptimierung (z. B. Einsatz trockenheits-resistenter
Saatgutmischungen)
- Alternative Oberflächengestaltung (z.B. Stein-schüttungen)
- Größere Überdeckungshöhe von Dichtungen
- Dickere Dichtungen
- Gezieltes Monitoring
Niedrigere Wasserstände (z.
B. infolge Vergrößerung des
gewöhnlichen Hochwasser-
rückhalteraums IGHR)
- Wellenbeanspruchung in
ungeschützten Bereichen
- Wasserqualitätsverschlech-
terung / korrosive Wirkung an
Materialoberflächen
- Befestigungsmaßnahmen
- Wasserqualitätsverbessernde Maßnahmen (im Wasserkörper
und/oder im Einzugsgebiet)
- Oberflächenbeschichtungen
- Reinigungsmaßnahmen
Tabelle 3: Checkliste für Temperatureinwirkungen
Einwirkung Temperatur
Was kann auftreten? Welche Effekte kann das
nach sich ziehen?
Was kann dagegen unternommen werden
(Prävention/Kompensation)?
Höhere Temperaturen und
größere Temperatur-
gradienten
Mehr Sonnentage, erhöhte
UV-Bestrahlung
- Stärkere Materialbeanspru-
chung
- Versprödung, Rissbildung,
Deformation;
- Wasserqualitätsverschlech-
terung / korrosive Wirkung auf
Materialoberflächen (z. B.
Algenbewuchs)
- Prüfung temperaturbezogener Bemessungswerte und Lastan-
nahmen, bei Bedarf neue Nachweisführung und ggf. techn.
Anpassungsmaßnahmen (z. B. Dehnungsfugen)
- Einkapseln/Abdecken von Dichtungen, Beschichtungen
- Verstärkung von Bauteilen
- Anpassung von Wasserentnahmeanlagen zur Flexibilisierung
der Entnahmetiefen
- Wasserqualitätsverbessernde Maßnahmen zur Verringerung
der Nährstoffbelastung / des Algenwachstums
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Verändertes Frost–Tau-
Wechsel-Regime
- Setzungen / Hebungen
- Böschungsinstabilitäten
- Schnellere Alterung / Ermü-
dung v. Baustoffen/Bauteilen
- Schutz von Bauteilen, z. B. durch Vorsatzschalen/-elemente,
Dämmung usw.
- Ersatz von angreifbaren durch resistente Bauteile
Tabelle 4: Checkliste für Windeinwirkungen
Einwirkung Wind
Was kann auftreten? Welche Effekte kann das
nach sich ziehen?
Was kann dagegen unternommen werden
(Prävention/Kompensation)?
Änderung der Hauptwind-
richtung (veränderte Häufig-
keit der Wetterlagen)
- Änderung der Wellenauf-
laufparameter (Windstau,
Wellenauflauf)
- Freiborddefizite
- Dammüberströmung
- Anpassung der Freibordbemessung, ggf. technische Anpas-
sungsmaßnahmen (wie bei höheren Wasserständen)
- Kronen- und Böschungssicherungsmaßnahmen
Zunahme von Starkwinder-
eignissen (veränderte Häu-
figkeit der Windgeschwindig-
keiten)
- Änderung der Wellenauf-
laufparameter (s. o.)
- Freiborddefizite
- Dammüberströmung
- Verstärkter Windwurf und
erhöhter Treibgutanfall
- Verklausungsgefahr an
Entlastungs- und Entnahme-
anlagen sowie an Brücken
- Anpassung der Freibordbemessung, ggf. technische Anpas-
sungsmaßnahmen
- Kronen- und Böschungssicherungsmaßnahmen
- Verklausungsschutz, Wildholzsperren, Treibgutfang errichten
- Räumliche Rechenkonstruktionen verwenden
- Anwendung robuster Bauweisen Notfallvorsorge treffen
4 Anpassungsmaßnahmen und -strategien
4.1 in bautechnischer Hinsicht
Sofern sich aus den bemessungs- und sicherheitsrelevanten Überprüfungen De-
fizite ergeben, kann zunächst geprüft werden, ob und in wie weit diesen durch
eine Intensivierung der Überwachung und/oder der Unterhaltung der Stauanlage
begegnet werden kann. In diesem Fall sind die Betriebsvorschriften anzupassen.
Wenn eine Erweiterung der Überwachung und Unterhaltung als Kompensations-
und Anpassungsmaßnahme nicht ausreicht, um die Gebrauchstauglichkeit bzw.
die technische Sicherheit der Stauanlage auf Dauer zu gewährleisten bzw. das
bestehende Risiko nicht akzeptiert werden kann, sind bautechnische bzw. kon-
struktive Maßnahmen erforderlich. Gegebenenfalls kann auch eine veränderte,
den Sicherheitsbedürfnissen angepasste Steuerung und Bewirtschaftung der
Stauanlage eine Lösung sein.
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22 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?
4.2 hinsichtlich der Wasserbewirtschaftung
Um unter den Bedingungen des Klimawandels die Erfüllung der wasserwirt-
schaftlichen, energiewirtschaftlichen oder auch touristischen Aufgaben der Tal-
sperren weiterhin zu gewährleisten, sind notwendigenfalls geeignete Anpas-
sungsmaßnahmen zu ergreifen. Folgende Maßnahmen kommen in Betracht:
- Optimierung /Anpassung der Wassermengenbewirtschaftung bzw. der Be-
triebsweise z. B. durch Neuaufteilung der nutzungsbezogenen Staulamel-
len, Flexibilisierung der Stauziele zwecks adaptiver Stauanlagenbewirt-
schaftung und/oder Verbundbewirtschaftung von Stauanlagen
- Optimierung/Anpassung der Wassergütebewirtschaftung z. B. durch Er-
gänzung von Entnahmeanlagen zur Flexibilisierung der Bewirtschaftung,
Errichtung von Vorsperren oder Anordnung von Umgehungsleitungen
- Anpassung der Hochwassersteuerung und/oder der Hochwasserentlas-
tungsanlagen z. B. durch Vergrößerung der Entlastungskapazität, Verbes-
serung der Steuerbarkeit oder prognoseabhängige Vorentlastung
- Organisatorisch-administrative Maßnahmen, z. B. Aufstellung von Son-
derbewirtschaftungsplänen oder Notfallplänen
Die vielfältigen Möglichkeiten zur Anpassung von Talsperren an Auswirkungen
von Klimaveränderungen machen deutlich, dass Talsperren zwar vom Klima-
wandel selbst betroffen sind, aber dank ihrer vielfältigen Nutzungs- und Steue-
rungsmöglichkeiten und ihrer Robustheit zugleich ungünstigen Klimawandelef-
fekten in der Wasserwirtschaft effektiv entgegenwirken können.
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5 Literatur
Dittrich & Partner (2001): Auswirkungen von Klimaänderungen auf die Bewirtschaftung
des Talsperrensystems Klingenberg, Lehnmühle, Wilde Weißeritz im Osterzgebirge
DWA (2014): DWA-Themen 2/2014 Anpassungstrategien für Stauanlagen an den
Klimawandel. Hrsg.: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und
Abfall e. V., Juni 2014
Enke, W., Spekat, F., Kreienkamp, F. (2006): Zwischenbericht Transiente Szenarien –
WEREX IV, Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie, April 2006
Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie (2016a): Grafik für Temperatur erstellt
unter Nutzung DWD-Daten und WEREX V-Ensemble-Berechnungen 2011
Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie (2016b): Grafik für Niederschlag
erstellt unter Nutzung DWD-Daten und WEREX V-Ensemble-Berechnungen 2011
Sieber, H.-U. (2014): Anpassungsstrategien für Stauanlagen an den Klimawandel. KW
Korrespondenz Wasserwirtschaft Heft 11/2014. Hrsg.: Deutsche Vereinigung für
Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.
Autor:
Dr.-Ing. Hans – Ulrich Sieber
Deutsches Talsperrenkomitee e. V.
Niedersedlitzer Platz 13
01259 Dresden
Tel.: +49 351 5007407
Fax: +49 351 2032026
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≤≥
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Aus dem Inhalt:
// Hydraulisches Versuchswesen// Gerinneströmung// Hydraulik der Wasserbehandlungsanlagen// Hydraulische Probleme// Rohrnetze
von Helmut Martin, Reinhard Pohl u. a.3., überarbeitete Au� age 2014.ca. 416 S. A5. Gebunden.ca. 68,00 EUR | ISBN 978-3-410-24172-0Erscheint Juni 2014
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Beuth Verlag GmbH Am DIN-Platz Burggrafenstraße 6 10787 Berlin
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken
auf die Bemessung von
Hochwasserrückhaltebecken (HRB)
Juliane Schulz
Matthias Kufeld
Georg Johann
Die Emschergenossenschaft konnte in den vergangenen Jahren einen signifikanten
Trend in der Zunahme von Starkregenereignissen feststellen sowie für die Stark-
regenintensitäten eine Tendenz zur Niederschlagserhöhung ausmachen. Um zu
untersuchen, ob sich diese Entwicklung auch auf den Hochwasserrückhalt mittels
HRB auswirkt, wurde eine Klimaeinwirkungsstudie für fünf maßgebende HRB im
Emschergebiet durchgeführt. Diese basiert auf einer fortgeschriebenen Zeitreihe
der Zuflüsse und betrachtet sowohl den technischen Ausbauzustand als auch den
Zustand nach ökologischer Verbesserung des Gewässeroberlaufes. Im Ergebnis
zeigt sich, dass sich der Bemessungszufluss auf Grundlage der heute vorliegenden
Zeitreihe gegenüber der Planung erhöht, die ökologische Verbesserung der Ge-
wässer jedoch zu einer Reduktion der Bemessungszuflüsse führt. Des Weiteren
wurde die Robustheit der HRB gegenüber Abflussänderungen analysiert. Als kri-
tische Abflussänderung erweist sich dabei neben der Verlängerung der Anlaufzeit
vor allem die Erhöhung des Spitzenzuflusses, also die Zunahme der Regenintensi-
täten. Bis zu welchem Grad eine Änderung der Starkregencharakteristiken tole-
riert werden kann, ist Ergebnis der einzelnen Untersuchungen der HRB.
Stichworte: Hochwassermerkmalsimulation, Hochwasserrückhaltebecken, Kli-
mawandel, Starkregen, Gewässerökologie
1 Einleitung
Schon seit einigen Jahren findet die Thematik des Starkregens auch im Zusam-
menhang mit dem Klimawandel zunehmend Eingang in fachliche Diskussionen
und Untersuchungen. Die Emschergenossenschaft hat in den vergangenen Jah-
ren bereits Studien zur Entwicklung des Niederschlagsgeschehens im Emscher-
gebiet durchgeführt. Als Ergebnis wurde ein signifikanter Trend in der Zunahme
von Starkregenereignissen festgestellt und es wird davon ausgegangen, dass sich
dieser Trend mit dem Klimawandel fortsetzen wird. Auch die Starkregenintensi-
täten zeigten in den relevanten Dauerstufen eine Tendenz zur Erhöhung (Pfister,
2016). Besonders Starkregenereignisse lösen im Emschergebiet, aufgrund des
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Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von
Hochwasserrückhaltebecken (HRB)
hohen Anteils versiegelter Flächen Hochwasserereignisse aus (Grün et al.,
2014).
Fragestellungen, die derzeit in Fachwelt und Öffentlichkeit zum Thema Starkre-
gen diskutiert werden, betrachten zumeist, ob Trends hinsichtlich der Starkre-
genentwicklung feststellbar sind und befassen sich mit den zukünftigen Ent-
wicklungen und Eigenschaften von Starkregenereignissen. Untersucht wird da-
bei, ob solche Ereignisse zukünftig häufiger auftreten und ob zunehmende Nie-
derschlagsintensitäten zu erwarten sind. Auch Möglichkeiten zur Vorsorge und
Risikominimierung finden Eingang in die Diskussion (Stemplewski et al., 2015).
Diese reichen wie beim Flusshochwasser von individuellen Präventions- und
Vorsorgemaßnahmen bis hin zu zentralen technischen Schutzmaßnahmen.
In diesem Zusammenhang noch wenig untersucht sind die Auswirkungen der
Starkregenereignisse auf bestehende Hochwasserschutzeinrichtungen sowie die
Dimensionierung dieser unter Berücksichtigung der Erkenntnisse zur zukünfti-
gen Niederschlagsentwicklung. Unter anderem HRB stellen dabei, vor allem in
urbanen Regionen, in denen durch die hohe Flächenversiegelung hohe Abfluss-
spitzen infolge von Starkniederschlägen zu erwarten sind, ein wichtiges Element
dar, um die Abflusswellen zu dämpfen. Die Bemessung der HRB erfolgte je-
doch oft schon vor vielen Jahren und ist selten auf die zukünftigen Nieder-
schlagsentwicklungen ausgelegt. Es stellt sich also die Frage, wie sich diese
Entwicklung auf den Hochwasserrückhalt mittels HRB im Emschereinzugsge-
biet auswirkt, die durch die urbane Ausprägung dieses Gebietes eine große Be-
deutung im Hochwasserschutz besitzen. Dabei wird auch das veränderte Ab-
flussregime durch die ökologische Verbesserrung der Fließgewässer im Em-
schergebiet berücksichtigt (Johann & Frings, 2016).
Um diese Frage zu beantworten, wurde die nachfolgend vorgestellte Klimaein-
wirkungsstudie für fünf maßgebende HRB im Emschereinzugsgebiet durchge-
führt. Ziel der Studie ist es zum einen den Einfluss von Starkregenereignissen
auf die Rückhaltewirkung und die Dimensionierung von HRB zu bestimmen.
Zum anderen werden mögliche Änderungen im Abflussgeschehen ermittelt und
die Auswirkungen dieser auf die Robustheit der HRB evaluiert.
2 Methodik
2.1 Datengrundlage
Die Datengrundlage der Klimaeinwirkungsstudie umfasst die hydrologisch mo-
dellierten Zuflussganglinien der fünf HRB Phoenixsee, Mengede, Bergmühle,
Hüller Bach und Landwehrbach im Emschergebiet für die Jahre 1950 bis 2015.
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Damit sind im Vergleich zum Planungszeitpunkt der HRB erweiterte Zuflussda-
ten vorhanden. Die Ganglinien wurden aus Langzeitsimulationen mit NA-
Modellen generiert. Grundlage hierfür waren die aufbereiteten, lückenlosen
Niederschlags- und Klimazeitreihen der Emschergenossenschaft (Krüger &
Pfister, 2016).
Für die HRB Bergmühle, Hüller Bach, Mengede und Landwehrbach sind so-
wohl Ganglinien für den technischen Ausbauzustand als auch Ganglinien für
den Zustand bei ökologisch verbessertem Oberlauf vorhanden. Für das HRB
Phoenixsee ist nur der ökologisch verbesserte Zustand des Oberlaufes relevant.
2.2 Abgrenzung von anderen Klimastudien
Die Vorgehensweise der vorliegenden Klimaeinwirkungsstudie unterscheidet
sich von dem Vorgehen anderer Klimastudien. Üblicherweise bestimmen Kli-
mastudien ausgehend von Szenarien der zukünftigen Entwicklung der Emission
klimarelevanter Gase und von Klimamodellrechnungen aus den Ergebnissen
dieser abgeleitete Szenarien der Änderung des Niederschlagsgeschehens und
letztlich die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen. Diese Modellkette bewirkt
massive Unsicherheiten bezüglich der Ergebnisse und der Erkenntnisgewinn für
die Planung und Bewirtschaftung wasserwirtschaftlicher Anlagen ist oft gering.
Vorliegend wird das Vorgehen umgekehrt und zunächst untersucht, welche Än-
derungen des Abflussverhaltens Anpassungen bei Planung und Bewirtschaftung
notwendig machen. Aus dem Vergleich mit beobachteten Trends und genauer
werdenden Szenarienrechnungen wird konkreter Anpassungsbedarf identifiziert.
Abbildung 1: Arbeitsschritte und Methoden
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Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von
Hochwasserrückhaltebecken (HRB)
Die verwendeten Methoden und die Abfolge der Arbeitsschritte sind in der
nachfolgenden Abbildung dargestellt. Dabei dienen die ersten beiden Schritte
(vgl. Abbildung 1) dazu, den Einfluss von Starkregenereignissen auf die Dimen-
sionierung von HRB zu ermitteln sowie die Entwicklung der Spitzenzuflüsse
herauszuarbeiten. Die Schritte 3 bis 5 thematisieren dagegen den Hochwasser-
rückhalt mittels HRB bei sich änderndem Niederschlagsgeschehen.
2.3 Angewendete Methoden
Im Rahmen der extremwertstatistischen Analyse wird zunächst untersucht, wel-
chen Einfluss die Berücksichtigung der vollständigen Zeitreihe auf die Bemes-
sungsgrößen (BHQ3, IGHR) hat. Die Analyse ermöglicht Aussagen über Wieder-
kehrintervalle und Unterschreitungswahrscheinlichkeiten gewählter Abflüsse
oder die Abschätzung der Intensität eines Abflussereignisses mit einem beliebi-
gen Wiederkehrintervall. Die Bemessungsgrößen der ursprünglichen Planung
und unter Berücksichtigung der vollständigen Zeitreihe werden verglichen.
Die sich anschließende Trendanalyse beinhaltet drei verschiedene Trendberech-
nungen. Ziel dieser ist es, Entwicklungen der Spitzenzuflüsse herauszuarbeiten,
die einen Einfluss auf die Bemessungsgrößen und somit auf die Dimensionie-
rung der HRB haben. Anwendung finden die Trendberechnungen der Dekaden-
auswertung und des Regressionsansatzes sowie die Einteilung des gesamten Be-
trachtungszeitraums in zwei gleichlange Zeitfenster und die getrennte Ermitt-
lung des Bemessungszuflusses BHQ3 dieser zwei Zeitfenster mittels extrem-
wertstatistischer Analyse.
Die weiteren Arbeitsschritte betrachten den Hochwasserrückhalt mittels HRB
bei sich änderndem Niederschlagsgeschehen. Bei der Speichernachrechnung er-
folgt die Anpassung ausgewählter Ganglinien an die aktualisierte Bemessungs-
größe BHQ3. Die Welle wird dabei linear auf das in Schritt 1 ermittelte BHQ3
skaliert, bevor anschließend die Stauraumfüllung bei einer Belastung des HRB
mit der so erstellten Welle berechnet wird. Ziel ist es, das Volumen des Rück-
halteraumes dahingehend zu prüfen, ob dieses auch für die Bemessungszuflüsse
auf Grundlage der vollständigen Zeitreihe ausreichend groß ist. Die lineare Ska-
lierung führt jedoch zu einer Überdimensionierung des Wellenvolumens. Daher
wird die Methode der Hochwassermerkmalsimulation herangezogen, um Hoch-
wasserganglinien zu generieren, die auf den Eigenschaften der beobachteten
Ganglinien beruhen und dadurch das Wellenspektrum der HRB besser abbilden.
Bei der Hochwassermerkmalsimulation handelt es sich um eine statistische Me-
thode zur Bestimmung extremer Hochwasserereignisse auf Grundlage gemesse-
ner Abflussdaten. Die gemessenen Abflusswellen werden dabei zunächst mithil-
fe von vier Parametern (Spitzenzufluss, Formfaktor der Wellenäste und Anlauf-
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zeit) anhand mathematischer Funktionen nachgebildet. Mithilfe der Verteilungs-
funktionen der ermittelten Parameter werden anschließend in einer Monte-
Carlo-Simulation beliebig viele Ganglinien generiert, auf deren Grundlage
schließlich eine Aussage zum Hochwasserschutzgrad möglich ist. So kann ge-
prüft werden, ob der Rückhalteraum auch für die Bemessungszuflüsse auf
Grundlage der vollständigen Zeitreihe ausreichend groß ist.
Die Ergebnisse der Merkmalsimulation werden als Basis für die Sensitivitäts-
analyse genutzt. Ziel dieser Analyse ist die Ermittlung des Ausbaugrades der
HRB für verschiedene Abflussänderungen. Hierzu werden die zuvor generierten
Wellenparameter nacheinander um ± 10 % und ± 20 % variiert. Die jeweils ver-
änderten Parameter werden abschließend wiederum als Eingangsdaten für eine
weitere Merkmalsimulation verwendet, in deren Anschluss der Ausbaugrad der
HRB unter Berücksichtigung der Abflussänderungen bestimmt wird.
3 Ergebnisse
3.1 Entwicklung der Spitzenzuflüsse und Einfluss auf die Dimensionierung
Extremwertstatistische Analyse
Die extremwertstatistische Analyse zeigt den Einfluss der Verlängerung der
Zeitreihe der jährlichen Spitzenzuflüsse von 1950 bis 2015 auf die Bemessungs-
größe BHQ3 der untersuchten HRB. Die Analyse wurde mit Ausnahme des HRB
Phoenixsee für alle HRB sowohl im technischen Ausbauzustand als auch im
ökologisch verbesserten Zustand durchgeführt. Die ermittelten Bemessungszu-
flüsse auf Grundlage der vollständigen Zeitreihe sowie der Bemessungszufluss
ursprünglicher Planung sind in Tabelle 1 dargestellt.
Tabelle 1 Ergebnis der extremwertstatistischen Analyse für die HRB im technischen
Ausbauzustand und im ökologisch verbesserten Zustand des Oberlaufs
Technischer Ausbauzustand
Ökol. verbesserter
Zustand
Planung
(BHQ3)
Auf Grundlage der
vollst. Zeitreihe
(BHQ3, vollst. ZR)
Auf Grundlage der
vollst. Zeitreihe
(BHQ3, vollst. ZR, Ö)
Phoenixsee 18,3 m³/s 19,4 m³/s
Mengede 123 m³/s 137 m³/s 107 m³/s
Landwehrbach - 39,4 m³/s 23,6 m³/s
Hüller Bach - 72,6 m³/s 42,1 m³/s
Bergmühle 53 m³/s 51,3 m³/s 45,5 m³/s
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Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von
Hochwasserrückhaltebecken (HRB)
Es zeigte sich dabei, dass die Bemessungszuflüsse auf Grundlage der vollständi-
gen Zeitreihe mit Ausnahme des HRB Bergmühle größer sind als die Bemes-
sungszuflüsse, die im Rahmen der Planung der HRB ermittelt wurden. Für die
HRB Hüller Bach und Landwehrbach ist diesbezüglich keine Aussage möglich,
da hier die Bemessungszuflüsse nicht aus hydrologischen Langzeitsimulationen
stammen. Zudem ist ein Vergleich zwischen den Daten im technischen sowie
den Daten im ökologisch verbesserten Zustand möglich. Hierbei ist zu erkennen,
dass die Bemessungszuflüsse im ökologisch verbesserten Zustand immer gerin-
ger sind als die entsprechenden Zuflüsse im technischen Ausbauzustand.
Trendanalyse
Der Anstieg der Bemessungsgröße BHQ3 unter Berücksichtigung der vollstän-
digen Zeitreihe lässt zunächst einen Trend in der Entwicklung der Spitzenzu-
flüsse erwarten, der dazu führt, dass unter Einbeziehung der Spitzenzuflüsse
späterer Jahre das BHQ3 steigt. Allerdings lässt die Trendanalyse keine systema-
tische Entwicklung der Spitzenzuflüsse erkennen. Zwar besitzt die Trendgerade
nach dem Regressionsansatz meist eine steigende Tendenz, jedoch wird diese
durch die beiden anderen Trendberechnungen nicht bestätigt. Vielmehr zeigt
sich, dass der Verlauf der Trendgerade und die Höhe der Bemessungszuflüsse
der beiden Zeitfenster lediglich durch einzelne Ereignisse im Betrachtungszeit-
raum beeinflusst werden. Beispielhaft ist das Ergebnis der Trendanalyse für das
HRB Phoenixsee in Abbildung 2 dargestellt. Zu erkennen ist darin der schwan-
kende Verlauf der Dekadenmittelwerte sowie der deutlich sinkende Verlauf der
Trendgeraden für das zweite (gelbe) Zeitfenster, während der lineare Trend für
den gesamten Zeitraum steigend ist.
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nzu
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ss [
m³/
s]
Jahr
Entwicklung des Spitzenzuflusses(1951 bis 2015)
Spitzenabflüsse, jährliche Serie Dekadenmittelwert Linear (gesamter Zeitraum)
Linear (Zeitfenster 1) Linear (Zeitfenster 2) Abbildung 2: Ergebnis der Trendberechnungen für das HRB Phoenixsee im ökologisch
verbesserten Zustand
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Zur Beurteilung einer systematischen Entwicklung, die eine Auswirkung auf die
Dimensionierung der HRB hat, ist daher weniger die Entwicklung aller Spitzen-
abflüsse einer jährlichen Serie als vielmehr die Entwicklung der Abflüsse ein-
zelner Extremereignisse zu betrachten. Hierzu sind sehr lange Zeitreihen als Da-
tengrundlage erforderlich, die hier nicht vorliegen.
3.2 Entwicklung der Schutzziele und Robustheit gegenüber Abflussände-
rungen
Hochwassermerkmalsimulation
In der Merkmalsimulationen, die auf der vollständigen Zeitreihe von 1950 bis
2015 beruht, wird ermittelt, wie oft und bei welchen Spitzenzuflüssen die Regel-
abgabe bei einer Belastung mit den 1.000 simulierten Wellen überschritten wird.
So kann eine Aussage zur Jährlichkeit getroffen werden, mit der die Regelabga-
be der HRB überschritten wird, und überprüft werden, ob der Rückhalteraum
auch für die BHQ3 basierend der vollständigen Zeitreihe ausreichend groß ist.
Sensitivitätsanalyse
Das mittels Hochwassermerkmalsimulation abgebildete Spektrum der Wellen-
formen der HRB-Zuflüsse ermöglicht Aussagen dazu, welche Wellenformen
eine hohe Belastung des Speicherraumes darstellen und welche Formen für die
Auslastung des Rückhalteraumes unkritischer sind.
-20% -10% 0% 10% 20% -20% -10% 0% 10% 20%
Ausbaugrad 80 28 13,6 8,5 5,34 Ausbaugrad 19 16,2 13,6 11,5 10,5
-20% -10% 0% 10% 20% -20% -10% 0% 10% 20%
Ausbaugrad 11,6 12,5 13,6 14,5 15,7 Ausbaugrad 13,1 13,2 13,6 13,6 13,8
Variation des Spitzenzuflusses Qs Variation der Anlaufzeit tA
Variation des Formfaktors man Variation des Formfaktors mab
-20% -10% 0% 10% 20%
Ausbaugrad 80 28 13,6 8,5 5,34
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Ausbaugrad 19 16,2 13,6 11,5 10,5
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Ausbaugrad 13,1 13,2 13,6 13,6 13,8
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Ausbaugrad 11,6 12,5 13,6 14,5 15,7
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Abbildung 3: Veränderung des Ausbaugrades (in Jahren) bei Variation der Wellenparame-
ter um ±10 % und ±20 %; HRB Bergmühle im technischen Ausbauzustand
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Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von
Hochwasserrückhaltebecken (HRB)
Die Sensitivitätsanalyse ermöglicht Aussagen dazu, welche Änderungen im Ab-
flussgeschehen welchen Einfluss auf den Ausbaugrad der HRB haben, um so die
Robustheit, den Bereich für den eine ausreichende Leistungsfähigkeit der HRB
vorliegt, zu bestimmen. Die Ergebnisse sind beispielhaft für das HRB Bergmüh-
le in Abbildung 2 und 3 dargestellt. Während im technischen Ausbauzustand
erst ab einer Verringerung des Spitzenzuflusses um 10 % der Zielausbaugrad
erreicht wird, wird dieser im ökologisch verbesserten Zustand bis zu einer Erhö-
hung um 20 % gehalten. Die Leistung des Beckens im ökologisch verbesserten
Zustand ist sehr robust.
-20% -10% 0% 10% 20% -20% -10% 0% 10% 20%
Ausbaugrad 250 125 45 28,5 18,6 Ausbaugrad 60 60 45 40 37
-20% -10% 0% 10% 20% -20% -10% 0% 10% 20%
Ausbaugrad 45 45 45 45 45 Ausbaugrad 42 45 45 52 55
Variation des Spitzenzuflusses Qs Variation der Anlaufzeit tA
Variation des Formfaktors man Variation des Formfaktors mab
-20% -10% 0% 10% 20%
Ausbaugrad 250 125 45 28,5 18,6
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Ausbaugrad 42 45 45 52 55
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Ausbaugrad 45 45 45 45 45
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Abbildung 4: Veränderung des Ausbaugrades (in Jahren) bei Variation der Wellenparame-
ter um ±10 % und ±20 %; HRB Bergmühle, ökologisch verbesserten Zustand
Aus der Analyse der Ergebnise für die fünf HRB ergeben sich die
nachfolgenden Erkenntnisse zur Auswirkung einer Abflussänderung auf den
Ausbaugrad. Der Spitzenzufluss hat im Vergleich aller vier Parameter den
größten Einfluss auf den Ausbaugrad, was an der großen Steigung der
Ergebniskurve erkannbar ist. Auch die Anlaufzeit hat einen erkennbaren
Einfluss auf den Ausbaugrad; dieser fällt jedoch nicht so hoch aus wie der
Einfluss des Spitzenzuflusses auf den Ausbaugrad. Den geringsten Einfluss
besitzen die Formfaktoren, wobei der Formfaktor mab mitunter zu erkennbaren
Unterschieden des Ausbaugrades führt, während der Formfaktor man meist nur
sehr geringe Anstiege bzw. Verringerungen des Ausbaugrades hervorruft.
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Zusammenfassend ist festzuhalten:
1) Höhere Spitzenabflüsse sind ungünstiger als niedrige Spitzenabflüsse.
2) Lange Anlaufzeiten sind ungünstiger als kurze Anlaufzeiten.
3) Niedrige Formfaktoren sind ungünstiger als hohe Formfaktoren.
4 Zusammenfassung und Diskussion
Ziel der vorliegenden Studie ist es, den Einfluss veränderter Starkregencharakte-
ristika auf den Hochwasserrückhalt mittels HRB zu untersuchen. Hierzu wird in
mehreren Arbeitsschritten die Entwicklung der Spitzenzuflüsse und der Einfluss
auf die Dimensionierung untersucht sowie die Auswirkung von möglichen Ab-
flussänderungen infolge des Klimawandels analysiert.
Es ist nicht möglich, die genauen Auswirkungen des Klimawandels zu benennen
oder zu quantifizieren. Im Rahmen einer Hochwassermerkmalsimulation und
der darauf aufbauenden Sensitivitätsanalyse kann jedoch ein breites Spektrum
möglicher Abflussänderungen betrachtet und die jeweiligen Auswirkungen die-
ser Abflussänderungen auf den Hochwasserrückhalt unter Angabe des jeweili-
gen Ausbaugrades der HRB veranschaulicht werden. Einbezogen werden dabei
nicht nur Abflussänderungen infolge veränderter Starkregencharakteristiken,
sondern auch Änderungen, die sich aus der ökologischen Verbesserung des
Oberlaufes der HRB durch den Emscherumbau ergeben. Hierzu wird neben dem
technischen Ausbauzustand der HRB auch der Ausbaugrad bei einer ökologi-
schen Verbesserung des Oberlaufes betrachtet. Infolge der ökologischen Ver-
besserung ist dabei eine Änderung der Ganglinienformen auszumachen, bei der
es zu einer Verringerung des Spitzenzuflusses und zu einer Verbreiterung der
Ganglinie, das heißt zu einer längeren Dauer der Hochwasserwellen kommt. Das
Volumen der Welle bleibt infolge der ökologischen Verbesserung gleich.
Die durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass einige HRB eine hohe Robust-
heit gegenüber Abflussänderungen aufweisen. Anzuführen ist hier vor allem das
HRB Phoenixsee, das auch bei großen Änderungen des Abflussgeschehens noch
das vorgesehene Schutzziel erreicht. So beträgt der Ausbaugrad auch bei einer
20-prozentigen Erhöhung des Spitzenabflusses noch mehr als 100 Jahre. Die
anderen HRB besitzen dagegen eine geringere Robustheit gegenüber der Ände-
rung des Abflussgeschehens. Als kritisch hinsichtlich des Hochwasserrückhalts
haben sich im Rahmen der Sensitivitätsanalyse die Erhöhung des Spitzenzuflus-
ses, beispielsweise infolge zunehmender Niederschlagsintensitäten bei gleich-
bleibender Niederschlagsdauer, und eine Verlängerung der Anlaufzeit der
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Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von
Hochwasserrückhaltebecken (HRB)
Hochwasserganglinien, beispielsweise infolge länger anhaltender Regenereig-
nisse hoher Intensität, herausgestellt. Vor allem die Erhöhung des Spitzenabflus-
ses, also die Zunahme der Regenintensitäten, ist dabei als kritischer Einflussfak-
tor auf die Performance der HRB festzuhalten.
Vor diesem Hintergrund ist der festgestellte Trend zur Zunahme der Häufigkeit
von Starkregenereignissen weiter zu beobachten. Es ist darüber hinaus zu prü-
fen, ob auch für die Starkregenintensitäten ein signifikanter Trend festzustellen
ist, der dazu führt, dass der Robustheitsbereich der Becken überschritten und
eine Anpassung der HRB erforderlich wird. In Hinblick auf die potentielle An-
passung der HRB sind zudem die Auswirkungen der ökologischen Verbesserung
des Oberlaufes auf die Ganglinienformen zu berücksichtigen, um eine optimale
Anpassung der Becken an die zu erwartenden Wellenformen zu gewährleisten.
5 Literatur
Pfister, A. (2016): Langjährige Entwicklung von Starkregen – Handlungsempfehlungen
für die Zukunft. In: Tagungsband Essener Tagung 2016, Essen, 2016
Grün, E.; Johann, G.; Pfister, A. (2014): Hochwassersicherheit im urbanen Raum. In:
Tagungsband Essener Tagung 2014, Essen, 2014
Johann, G.; Frings, H (2016): Hochwasserrisiko mindern und Ziele des Gewässer-
schutzes erreichen - geht das? Ein Praxisbeispiel: Die ökologische Verbesserung
des Gewässersystems der Emscher. In: 39. Dresdner Wasserbaukolloquium 2016
Gewässerentwicklung & Hochwasserrisikomanagement, Dresden, 2016
Stemplewski, J.; Johann, G.; Bender, P.; Grün, B. (2015): Das Projekt „Stark gegen
Starkregen“. In: KW Korrespondenz Wasserwirtschaft 2015 (8) Nr. 2
Krüger, A.; Pfister, A. (2016): Anwendung von Starkregenindex-Verfahren zur
Unterstützung der Risikokommunikation in der Emscher-Lippe-Region. In: KW
Korrespondenz Wasserwirtschaft 2016 (9) Nr. 7
Autoren:
Dipl.-Hydrologe Georg Johann
Emschergenossenschaft/Lippeverband
Geschäftsbereich Technische Services
Kronprinzenstraße 24
45128 Essen
Tel.: +49 201 104 22 49
E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Mathias Kufeld
M. Sc. Juliane Schulz
Ingenieurgesellschaft Dr. Ing. Nacken mbH
Leonhardstraße 23-27
52064 Aachen
Tel.: +49 241 942 617 - 19
Fax: +49 241 942 617 - 28
E-Mail: [email protected]
[email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter
instationären Bedingungen
Christoph Mudersbach
Jens Bender
Fabian Netzel
Ein wesentlicher Aspekt in der wasserwirtschaftlichen Bemessungspraxis ist die
Ermittlung von hydrologischen Bemessungsgrößen. Zur Festlegung dieser Be-
messungsgrößen bedient man sich häufig extremwertstatistischer Methoden. Die
klassischen Verfahren der Extremwertstatistik, welche sich auch in den einschlä-
gigen Regelwerken wiederfinden, setzen voraus, dass die Daten stationär sind, al-
so keine langfristigen zeitlichen Änderungen aufweisen. Es zeigt sich jedoch deut-
lich, dass hydrologische Zeitreihen zumeist kein stationäres Verhalten aufweisen.
Bei instationären hydrologischen Rahmenbedingungen ändern sich nicht nur die
hydrologischen Kenngrößen, sondern zugleich auch die Wahrscheinlichkeiten ext-
remer Ereignisse. In der wasserwirtschaftlichen Praxis besteht gegenwärtig eine
Lücke im systematischen Umgang mit sich ändernden Bemessungswerten. Für die
nachhaltige Bemessung von wasserwirtschaftlicher Infrastrukturen bedarf es so-
mit neuer Konzepte, die diesen Änderungen in den Zeitreihen Rechnung tragen.
Mit dem vorgestellten Bemessungsansatz liegt ein systematischer Ansatz zur Be-
messung von wasserwirtschaftlichen Infrastrukturanlagen bei instationären Be-
dingungen vor, bei dem die Bemessung auf der Vorgabe einer Bauwerkslebens-
dauer und einer Überschreitungswahrscheinlichkeit innerhalb dieser Bauwerksle-
bensdauer basiert.
Stichworte: Jährlichkeit, Bemessung, wasserwirtschaftliche Infrastruktur, Insta-
tionariät, Extremwertstatisik, Zeitreihen, Wahrscheinlichkeit, Kli-
mawandel
1 Einleitung
Ein wesentlicher Aspekt in der wasserwirtschaftlichen Bemessungspraxis ist die
Ermittlung von hydrologischen Bemessungsgrößen. Dies können Bemessungs-
regenereignisse, -abflüsse oder -wasserstände sein. Zur Festlegung der Bemes-
sungsgrößen bedient man sich i.d.R. extremwertstatistischer Methoden. Basie-
rend auf beobachteten oder modellierten Daten (z.B. Regen- oder Abflusszeit-
reihen) werden mittels Extremwertverteilungsfunktionen Quantile (z.B. 99%-
Quantil der Unterschreitungswahrscheinlichkeit) berechnet, die dann als Basis
für die Festlegung von Bemessungswerten (z.B. HQ100) verwendet werden kön-
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Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter
instationären Bedingungen
nen. Die klassischen Verfahren der Extremwertstatistik setzen voraus, dass die
Daten stationär sind, also keine langfristigen zeitlichen Änderungen aufweisen
(vgl. Witt et al. 1998)
Es zeigt sich jedoch deutlich, dass hydrologische Zeitreihen kein stationäres
Verhalten aufweisen (vgl. Milly et al. 2008). Das IPCC (Field 2012) betont, dass
eine andauernde Erderwärmung die Häufigkeit, die Intensität und die räumliche
Verteilung von klimatischen Extremereignissen verändern wird. Es wurde durch
vielfältige Studien gezeigt, dass klimatische Extremereignisse in den letzten
Jahrzehnten zugenommen haben (Comou und Rahmstorf 2012, van den Bessel-
aar et al. 2012). In diesem Zusammenhang wird regelmäßig einerseits die Frage
nach der Signifikanz und andererseits nach der Ursache der Instationaritäten
(anthropogene Ursache vs. klimatische Änderungen) diskutiert (vgl. Obeysekera
und Salas 2016). Diese Fragen sind nach Meinung der Autoren berechtigt, je-
doch nicht Gegenstand der vorliegenden Veröffentlichung.
Es ist auffällig, dass derzeit in den einschlägigen Regelwerken zur methodischen
Ermittlung der Bemessungsereignisse noch keine instationären Ansätze imple-
mentiert sind (z.B. DWA 2012a, 2012b). In der wasserwirtschaftlichen Praxis
besteht somit gegenwärtig eine Lücke im systematischen Umgang mit sich än-
dernden Bemessungswerten.
Für die nachhaltige Bemessung wasserwirtschaftlicher Infrastrukturen bedarf es
somit neuer Konzepte, die diesen Änderungen in den Zeitreihen Rechnung tra-
gen. Hierzu gibt es einige Publikationen mit Ansätzen, die das Konzept der Jähr-
lichkeit auf den instationären Fall übertragen.
Für eine ausführlichere Version dieser Veröffentlichung wird verwiesen auf
Mudersbach und Bender (2017).
2 Stationäre und instationäre Bemessungsansätze
Das Konzept der Jährlichkeit T basiert auf der Annahme, dass die Wahrschein-
lichkeit für das Auftreten eines Ereignisses z in jedem Jahr gleich ist und zudem
voneinander unabhängig. Die Wahrscheinlichkeit 𝑝𝑒 (engl.: exceedance proba-
bility) für das Auftreten bzw. die Überschreitung des Ereignisses z (z.B. Ab-
fluss) in einem Jahr ergibt sich dann aus
𝑝𝑒 =1
𝑇
(1)
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Der zugehörige Abflusswert kann aus der Quantilfunktion der verwendeten Ext-
remwertverteilung (z.B. Verallgemeinerte Extremwertverteilung (GEV) oder
Verallgemeinerte Pareto Verteilung (GPD)) berechnet werden. Aus der Annah-
me der Stationarität und der Unabhängigkeit der Ereignisse kann nun in einem
weiteren Schritt mittels der Binomialverteilung das sogenannte hydrologische
Risiko für das Auftreten eines Ereignisses Z innerhalb einer Zeitspanne n be-
rechnet werden. Für eine wasserwirtschaftliche Anlage ist in der Regel die Frage
von Bedeutung, wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass ein Ereignis Z
innerhalb einer Zeitspanne von n Jahren keinmal (k = 0) eintritt. Es gilt zu-
nächst:
𝑝𝑘=0 = (1 − 𝑝𝑒)𝑛 (2)
woraus beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für das Nicht-Auftreten eines
100-jährlichen Ereignisses (𝑧100) innerhalb einer Zeitspanne von n = 100 Jahren
berechnet werden kann zu:
𝑝𝑘=0 = (1 − 𝑝𝑒)𝑛 = (1 − 0,01)100 = 0,366 (3)
Das komplementäre Ereignis, welches zugleich der Überschreitungswahrschein-
lichkeit für die Zeitspanne n entspricht und als hydrologisches Risiko bezeichnet
wird, ergibt sich dann zu:
𝑝𝑘≥1 = 1 − 𝑝𝑘=0 = 1 − (1 − 𝑝𝑒)𝑛 = 0,634 (4)
Für die Bemessung von wasserwirtschaftlichen Anlagen kann nun als Zeitspan-
ne n zweckmäßigerweise die geplante Lebensdauer N des Bauwerkes angesetzt
werden. Der Zusammenhang zwischen der Lebensdauer N und der Überschrei-
tungswahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses ist in Abbildung 1 am
Beispiel von drei Ereignissen mit den Jährlichkeiten T = 50 a, 100 a, 200 a dar-
gestellt. Für die Überschreitungswahrscheinlichkeiten innerhalb der Lebensdau-
er N wird hier die Bezeichnung EPN (engl. exceedance probability N) einge-
führt. Aus der Grafik ist ein elementarer Zusammenhang für den Fall zu erken-
nen, dass die Jährlichkeit des Ereignisses gleich der Lebensdauer des Bauwerkes
(T = N) ist. Für diesen Fall ergibt sich jeweils eine EPN von:
𝐸𝑃𝑁 = 0,634 = 63,4% (5)
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Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter
instationären Bedingungen
Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Lebensdauer N und Überschreitungswahrschein-
lichkeit EPN eines Ereignisses mit vorgegebener Jährlichkeit T auf Basis der
Binomialverteilung.
Bei instationären Bedingungen ist die Überschreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒 ei-
nes Ereignisses 𝑧𝑇 über die Zeit nicht konstant, sondern ändert sich. Liegt bei-
spielsweise in der zu untersuchenden Zeitreihe ein ansteigender Trend vor, so
steigt auch die Überschreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒 stetig an bzw. die Unter-
schreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑛𝑒 sinkt kontinuierlich. Insofern muss eine zeit-
liche Entwicklung von 𝑝𝑒 und 𝑝𝑛𝑒 berücksichtigt werden, indem für jedes Jahr i
entsprechende Werte 𝑝𝑒,𝑖 und 𝑝𝑛𝑒,𝑖 berechnet werden. Das EPN-Konzept kann
konsequent auf den instationären Fall erweitert werden, wobei die Betrachtun-
gen immer von einem Referenzjahr (z.B. aktuelles Jahr; Index 0) und von einem
Planungshorizont (= Referenzjahr + Lebensdauer N; Index N) ausgehen. Als
Beispiel ist ein bestimmter Abfluss Q gegeben, der zum Referenzjahr eine Jähr-
lichkeit von T = 100 a aufweist. Damit erhält dieser Abfluss die Bezeichnung
𝑧100,0 mit der zugehörigen Überschreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒,0 =
0,011
𝑎 (𝑇0 = 100 𝑎) im Referenzjahr. Unter der Annahme eines ansteigenden
Trends in der Zeitreihe nimmt auch die Überschreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒,𝑖
bis zum Planungshorizont stetig zu, bis dass ein Wert von 𝑝𝑒,𝑁 erreicht ist.
Ausgehend von Gleichung (4) kann die EPN für den stationären Fall auch ge-
schrieben werden als
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𝐸𝑃𝑁 = 1 − (1 − 𝑝𝑒)𝑁 = 1 − ∏(1 − 𝑝𝑒)
𝑁
𝑖=1
(6)
Für den instationären Fall gilt somit analog
𝐸𝑃𝑁 = 1 − ∏(1 − 𝑝𝑒,𝑖)
𝑁
𝑖=1
(7)
Unter der Annahme, dass im stationären Fall bei einer Bauwerkslebensdauer
von N = 100 Jahren eine EPN von 63,4% als ein ausreichendes Sicherheitsni-
veau für die zu planende wasserwirtschaftliche Anlage angesehen wird, kann
nun im instationären Fall basierend auf Gleichung (7) diejenige Überschrei-
tungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒,0 für das Referenzjahr numerisch ermittelt werden,
für welche sich auch im instationären Fall eine EPN von 63,4% ergibt. Die
Überschreitungswahrscheinlichkeit für das Referenzjahr 𝑝𝑒,0 ist im instationären
Fall somit der für die Bemessung gesuchte relevante Parameter, weshalb für die-
sen Parameter die Bezeichnung DEP (engl.: design exceedance probability) ein-
geführt wird. Für die Jährlichkeit im Referenzjahr wird die Bezeichnung DRP
(engl.: design return period) verwendet, wobei gilt
𝐷𝑅𝑃 =1
𝐷𝐸𝑃
(8)
Mit der konsequenten Erweiterung des EPN-Konzeptes auf den instationären
Fall liegt somit ein systematischer Ansatz zur Bemessung von wasserwirtschaft-
lichen Infrastrukturanlagen bei instationären Bedingungen vor. Die eigentliche
Bemessung basiert dabei im Gegensatz zum stationären Fall nicht auf der allei-
nigen Vorgabe eines Sicherheitsniveaus in Form einer Jährlichkeit T, sondern
auf der Vorgabe einer EPN und einer Bauwerkslebensdauer N. Der beschriebene
Bemessungsansatz wurde von Rootzén und Katz (2013) mit der Bezeichnung
Design Life Level (DLL) erstmalig publiziert. In der vorliegenden Arbeit wird
ergänzend zu Rootzén und Katz (2013) der Schwerpunkt der Bemessung auf die
Bestimmung der maßgebenden Überschreitungswahrscheinlichkeit für das Refe-
renzjahr (DEP) gelegt.
Eine wesentliche Grundlage für die Anwendung des instationären Bemessungs-
ansatzes bildet die Berechnung der zeitabhängigen Veränderungen der Über-
schreitungswahrscheinlichkeiten 𝑝𝑒,𝑖. Diese können über die Methoden der in-
stationären Extremwertstatistik berechnet werden, deren Grundlagen an dieser
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40
Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter
instationären Bedingungen
Stelle nicht weiter ausgeführt werden und stattdessen auf weiterführende Litera-
tur verwiesen wird (z.B. Coles 2001, AghaKouchak et al. 2013). Im sich an-
schließenden Beispiel finden Ergebnisse einer instationären Extremwertstatistik
Anwendung.
3 Beispielauswertung am Pegel Köln
Der in Abschnitt 2 beschriebene instationäre Bemessungsansatz wird am Bei-
spiel der Abflusszeitreihe des Pegels Köln (Rhein) angewendet. Als Ausgangs-
daten standen die Abflussdaten als Tagesmittelwerte vom 01.11.1900 bis zum
31.10.2013 zur Verfügung, welche von der Bundesanstalt für Gewässerkunde
(bfg) bereitgestellt wurden. Aus den Daten wurde zunächst basierend auf hydro-
logischen Jahren die Zeitreihe der Jahreshöchstwerte (AMAX) ermittelt. Die
Zeitreihe weist einen linearen Trend von 𝑠 = 10,3𝑚3
𝑠⋅𝑎± 5,3
𝑚3
𝑠⋅𝑎 auf, was unter
Zugrundelegung des 1𝜎-Bereiches einen signifikanten Trend darstellt.
Auf Basis der AMAX-Zeitreihe wurde eine instationäre extremwertstatistische
Analyse durchgeführt, indem die Verallgemeinerte Extremwertverteilung (engl.:
generalized extreme value distribution, GEV) mit zeitabhängigen Parametern an
die Daten angepasst wurde. Die allgemeine Form der instationären GEV lautet
(Coles 2001):
𝐺𝐸𝑉(𝑥, 𝑡) = 𝑒𝑥𝑝 [− (1 − 𝑘(𝑡) ⋅𝑥 − 𝑎(𝑡)
𝑏(𝑡))
−1
𝑘(𝑡)
] (9)
wobei 𝑥 der entsprechende Merkmalswert ist und 𝑎(𝑡), 𝑏(𝑡), 𝑘(𝑡) die zeitab-
hängigen Parameter der Verteilungsfunktion (Lage-, Streuungs- und Krüm-
mungsparameter) sind. Im vorliegenden Fall wurde nur für den Lageparameter
ein lineares Zeitmodell der Form 𝑎(𝑡) = 𝑎1𝑡 + 𝑎2 verwendet und die Parame-
ter 𝑎1 und 𝑎2 über ein gleitendes Zeitfenstermodell mit einer Fensterlänge von
30 Jahren mittels der L-Momente (Mudersbach 2009) geschätzt. Der Streuungs-
und Krümmungsparameter wurden als konstant angesetzt; dieses Modell wird
allgemein mit der Bezeichnung GEV(1.0.0) versehen, wobei die 1 für ein linea-
res Zeitmodell und die 0 für ein zeitunabhängiges Modell steht.
Mittels Gleichung (7) kann nun die EPN für jedes Hochwasserereignis mit der
Jährlichkeit 𝑇0 im Referenzjahr berechnet werden (Abbildung 2). Beispielsweise
ergibt sich für das Hochwasserereignis von 𝑧100,0 = 11.351 𝑚³/𝑠, was im Re-
ferenzjahr eine Jährlichkeit von 𝑇0 = 100 𝑎 hat, für eine angenommene Lebens-
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dauer eines Hochwasserschutzbauwerks (z.B. Deich) von 100 Jahren eine EPN
von 87,2 %. Dies liegt deutlich über der EPN im stationären Fall von 63,4 %.
Anhand der markierten Referenzlinie von 63,4 % kann abgelesen werden, dass
bei den vorliegenden instationären Bedingungen am Pegel Köln ein Hochwas-
serereignis mit einer Jährlichkeit zwischen 𝑇0 = 200 𝑎 und 𝑇0 = 500 𝑎 im Re-
ferenzjahr (DRP) gewählt werden muss, um das gleiche Sicherheitsniveau wie
im stationären Fall gewährleisten zu können.
Um diese Angabe weiter im Detail betrachten zu können, werden wiederum mit-
tels Gleichung (7) die EPN für eine Lebensdauer von N = 100 a am Pegel Köln
für die Jährlichkeiten 𝑇0 = (10, 20, 30, 40, … ,1000) 𝑎 berechnet. Hieraus ergibt
sich eine benötigte Jährlichkeit im Referenzjahr von 𝐷𝑅𝑃 = 230 𝑎. Damit lässt
sich die Bemessungsaufgabe für das behandelte Beispiel wie folgt zusammen-
fassen: Bei einer vorgegebenen Bauwerkslebensdauer von N = 100 a und einem
gewählten Sicherheitsniveau (EPN) von 63,4 % muss bei gegebenen instationä-
ren Bedingungen am Pegel Köln eine Jährlichkeit im Referenzjahr von 𝐷𝑅𝑃 =
230 𝑎 (𝐷𝐸𝑃 = 4,3 ⋅10−3
𝑎) gewählt werden.
Abbildung 2: Entwicklung der EPN am Pegel Köln für definierte Jährlichkeiten (Referenz-
jahr 2013) bei instationären Bedingungen
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Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter
instationären Bedingungen
4 Zusammenfassung und Fazit
Für die nachhaltige Bemessung von wasserwirtschaftlichen Infrastrukturen unter
instationären Bedingungen bedarf es neuer Konzepte, die diesen Änderungen in
den Zeitreihen Rechnung tragen. Ein geeignetes Konzept basiert auf dem soge-
nannten hydrologischen Risiko, welches die Wahrscheinlichkeit dafür angibt,
dass innerhalb der Bauwerkslebensdauer ein bestimmtes Ereignis überschritten
wird. Diese Wahrscheinlichkeit lässt sich mittels der Binomialverteilung be-
rechnen und auch auf instationäre Bedingungen übertragen. Die eigentliche Be-
messung basiert dabei im Gegensatz zum stationären Fall nicht auf der alleini-
gen Vorgabe eines Sicherheitsniveaus in Form einer Jährlichkeit T, sondern auf
der Vorgabe einer Bauwerkslebensdauer (N) und einer Überschreitungswahr-
scheinlichkeit (EPN) innerhalb dieser Bauwerkslebensdauer.
Grundsätzlich sei angemerkt, dass eine wesentliche Grundlage zur Anwendung
der hier vorgestellten Methodik die vorherige instationäre extremwertstatistische
Analyse der zugrunde liegenden Daten darstellt (vgl. Abschnitt 2). Für die An-
wendung solcher instationärer Extremwertmethoden gibt es derzeit noch keine
einheitlichen Empfehlungen, weshalb eine detaillierte Prüfung der zur Verfü-
gung stehenden mathematischen Modelle unerlässlich ist. Für eine kritische
Diskussion zu dieser Thematik wird verwiesen auf Serinaldi und Kilsby (2015).
Auch im betrachteten Beispiel ist das Ergebnis abhängig von den gewählten
Zeitmodellen für die Parameter der Verteilungsfunktion und deren Extrapolation
in die Zukunft, was jeweils kritisch hinterfragte werden sollte. Grundsätzlich
kann aber festgehalten werden, dass die Extrapolation von (Verteilungs-
)Parametern in einem instationären Klima unerlässlich ist. Es ist weiterhin un-
wahrscheinlich, dass sich zukünftige Änderungen streng linear verhalten wer-
den, allerdings birgt die Anwendung nicht-linearer Funktionen für eine Extrapo-
lation häufig noch größere Unsicherheiten. Daher können lineare Funktionen
durchaus als geeignete Modelle für die Beschreibung langfristiger Änderungen
angesehen werden (AghaKouchak et al. 2013).
Der hier beschriebene instationäre Bemessungsansatz stellt eine systematische
Methode zum Umgang mit instationären Zeitreihen dar und ermöglicht daher
eine objektivere Ermittlung der benötigten Bemessungswerte unter instationären
Bedingungen.
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5 Literatur
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in a Changing Climate. Detection, Analysis and Uncertainty. Dordrecht: Springer
Dordrecht Heidelberg New York London (Water Science and Technology Library,
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Coles, S. (2001): An Introduction to Statistical Modeling of Extreme Values.
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DWA (Hg.) (2012a): DWA-A 531 Starkregen in Abhängigkeit von Wiederkehrzeit und
Dauer. Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall.
DWA (Hg.) (2012b): DWA-M 552 Ermittlung von Hochwasserwahrscheinlichkeiten.
Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall.
Field, C.B. (2012): Managing the risks of extreme events and disasters to advance
climate change adaptation. Special report of the Intergovernmental Panel on
Climate Change. New York: Cambridge University Press.
Milly, P.C.D., Betancourt, J., Falkenmark, M., Hirsch, R., Kundzewicz, Z.W.,
Lettenmaier, D.P., Stouffer, R.J. (2008): Climate change. Stationarity is dead:
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Mudersbach, C. (2009): Untersuchungen zur Ermittlung von hydrologischen
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Obeysekera, J., Salas, J.D. (2016): Frequency of Recurrent Extremes under
Nonstationarity. In: J. Hydrol. Eng. 21 (5), S. 04016005. DOI:
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Review E 58 (2), S. 1800–1810.
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44
Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter
instationären Bedingungen
Prof. Dr.-Ing. Christoph Mudersbach
Fabian Netzel, M.Sc.
Hochschule Bochum
Lehrgebiet Wasserbau & Hydromechanik
Lennershofstr. 140
44801 Bochum
Tel.: +49 234 3210249
E-Mail:
[email protected]
Dr.-Ing. Jens Bender
wbu consulting Ingenieurgesellschaft mbH
Schelderberg 16a
57072 Siegen
Tel.: +49 271 31342968
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017 „Bemessung im Wasserbau -
Klimaanpassung, Untersuchungen, Regeln, Planung, Ausführung“
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Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Unter-
suchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen:
Vergleich des gebäudetypologischen Ansatzes mit
dem flächennutzungsbezogenen Ansatz
Carlos Rubín
Johannes Nikolowski
Karen Riedel
Stephan Gerber
Vor dem Bau neuer Hochwasserschutzanlagen ist deren Wirtschaftlichkeit zu prü-
fen. Im Zuge der Planung technischer Hochwasserschutzmaßnahmen an Fließge-
wässern sind daher Nutzen-Kosten-Untersuchungen durchzuführen. Der durch die
Hochwasserschutzmaßnahmen verhinderte Schaden (= Nutzen) wird den Kosten
der Maßnahmen gegenübergestellt. Zur Ermittlung dieser Hochwasserschäden in
den überfluteten Flächen werden zwei unterschiedliche methodische Ansätze
verwendet: Im flächennutzungsbezogenen Ansatz sind die überfluteten Flächen
nach ihrer Nutzungsart zu klassifizieren. Die Hochwasserschäden werden mittels
nutzungsspezifischer Schadensfunktionen und Vermögenswerten berechnet.
Demgegenüber werden im gebäudetypologischen Ansatz die Gebäude im Unter-
suchungsgebiet aufgenommen, nach speziellen Kriterien klassifiziert und jeweils
einem repräsentativen Gebäudetyp zugeordnet. Die Gebäude-Repräsentanten wer-
den anschließend einer synthetischen, stufenweisen Flutung unterzogen. Aus den
zugehörigen Wiederherstellungskosten werden Wasserstand-Schaden-Beziehun-
gen entwickelt. Beide Ansätze werden in Planungen verwendet: Je nach Lage (ur-
ban oder ländlich), Baustruktur, Gebäudebestand und Größe des Untersuchungs-
gebietes kann der flächennutzungsbezogene, der gebäudetypologische Ansatz o-
der auch eine Kombination beider Ansätze verwendet werden, um mit belastbaren
Schadensprognosen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen.
Stichworte: Hochwasserschäden, Schadenserwartungswerte, Nutzen-Kosten-
Untersuchungen, flächennutzungsbezogener Ansatz, gebäudety-
pologischer Ansatz
1 Einleitung
Als Konsequenz aus den hohen Schäden, die das Augusthochwasser 2002 verur-
sacht hatte, beschloss das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Land-
wirtschaft (SMUL), den Wiederaufbau der wasserwirtschaftlichen Infrastruktu-
ren und die Schaffung geeigneter Hochwasserschutzmaßnahmen auf der Grund-
lage eines landesweiten Gesamtkonzeptes zu organisieren (SMUL 2005). Dazu
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Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich
des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz
wurde die Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen (LTV) mit der
Erarbeitung von insgesamt 47 Hochwasserschutzkonzepten (HWSK) (Socher et
al. 2006) beauftragt, die zwischen März 2003 und März 2005 erstellt wurden.
Die darin erarbeiteten Maßnahmenvorschläge wurden und werden seither umge-
setzt. Im Zuge der konkreten Umsetzung sind die in den HWSK durchgeführten
Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen mittels projektbezogener Nutzen-Kosten-
Untersuchungen (NKU) zu konkretisieren bzw. zu aktualisieren. Diese NKU,
die dem Nachweis der wirtschaftlichen Effizienz der umzusetzenden techni-
schen Hochwasserschutzmaßnahmen dienen, vergleichen den zu erwartenden
Nutzen der Maßnahmen bzw. von Maßnahmenkombinationen mit ihren geplan-
ten Kosten. Auf der Kostenseite werden die Investitionskosten, die laufenden
Unterhaltungs- und Betriebskosten sowie die Reinvestitionskosten einzelner An-
lagenteile erfasst und nach den Vorgaben der Leitlinien zur Durchführung dy-
namischer Kostenvergleichsrechnungen (KVR-Leitlinien) (DWA 2012a) in
Barwerte umgerechnet. Für den Nutzen wird analog verfahren: Der jährliche
Nutzen der Hochwasserschutzmaßnahmen, welcher sich aus den Schadenser-
wartungswerten ableitet, wird ebenfalls in einen Barwert umgerechnet.
2 Methoden zur Bestimmung des Nutzens
2.1 Grundlagen der Methoden
Die Ermittlung des Nutzens technischer Hochwasserschutzmaßnahmen basiert
auf dem Vergleich des Zustandes ohne (die neu geplanten) Hochwasserschutz-
maßnahmen (Istzustand) mit dem Zustand nach Umsetzung der Hochwasser-
schutzmaßnahmen (Planungszustand).
Da Hochwasserereignisse stochastischer Natur sind, werden die Schäden als so-
genannte Erwartungswerte in der Einheit [Euro je Jahr] durch „Integration“ der
Schadenswahrscheinlichkeitsfunktion angegeben (siehe Abbildungen 1 und 2).
Die Schadensberechnung erfolgt für jedes betroffene Objekt im Ist- und im Pla-
nungszustand für maßgebende Stützstellen der Schadenswahrscheinlichkeits-
funktion, beginnend beim Schadensbeginn über charakteristische Hochwasser-
jährlichkeiten bis zum HQextrem. Die Differenz der beiden Flächen stellt den er-
warteten Nutzen des Vorhabens dar (siehe auch DVWK 1985, BWK 2001 und
DWA 2008).
Die Schäden für jede Hochwasserjährlichkeit werden auf der Grundlage der
Hochwasserbelastung an einem Objekt berechnet. Dieses Objekt kann z.B. eine
Fläche, ein Gebäude oder ein anderer Vermögensgegenstand sein. Die Höhe des
Schadens wird in der Regel durch den Wasserstand quantifiziert. Der Wasser-
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„Bemessung im Wasserbau“ 47
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stand wird mittels ein- oder zweidimensionaler hydraulischer Modelle ermittelt.
Basis dieser Modelle sind detaillierte Vermessungen des Gewässerschlauches,
der Bauwerke sowie ein gutes digitales Geländemodell des Vorlandes. Die hyd-
rologischen Eingangsgrößen der hydraulischen Modelle werden z.B. als Ab-
flusswerte an definierten Querschnitten oder instationäre Zuflussganglinien be-
reitgestellt.
Abbildung 1: Schadenserwartungswert im Istzustand ohne Hochwasserschutzmaßnahme
Abbildung 2: Schadenserwartungswert im Planungszustand mit Hochwasserschutzmaß-
nahme (Beispiel Schutzziel HQ50)
Die Umrechnung des Wasserstandes am Objekt in einen Hochwasserschaden
geschieht über sog. Schadensfunktionen, die den Zusammenhang zwischen
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48
Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich
des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz
Hochwasserschaden und Einstauhöhe beschreiben und dabei unterschiedliche
Schadensarten berücksichtigen, z.B. Substanzschäden an den Gebäuden, Vor-
rats- und Inventarschäden oder Schäden an Infrastruktureinrichtungen. Zur De-
finition und Anwendung der Schadensfunktionen werden verschiedene Mög-
lichkeiten und Bezüge verwendet: Die Höhe des Schadens kann als ein absoluter
Schaden je Objekt, als ein relativer Schaden je Flächeneinheit oder als Scha-
densgrad betrachtet werden. Bezugsobjekte können Flächen (Gebäudeflächen,
Grundstücks- oder Nutzungsflächen) oder Punkte (Einzelobjekte) sein. Im Zuge
der anfangs erwähnten Nutzen-Kosten-Untersuchungen werden unter anderem
in Sachsen zwei unterschiedliche Ansätze verwendet:
die flächennutzungsbezogene Abschätzung der Hochwasserschäden mit
nutzungsspezifischen Vermögenswerten und
die objektspezifische Ermittlung der Schäden nach dem gebäudetypologi-
schen Ansatz.
Neben diesen beiden Ansätzen, die in den nachfolgenden Abschnitten beschrie-
ben und verglichen werden, gibt es weitere Ansätze: In Thüringen und Baden-
Württemberg werden landesweite Schadensabschätzungen auf der Grundlage
der Gebäudeumrisse aus der Automatisierten Liegenschaftskarte (ALK) mit nut-
zungsspezifischen Vermögenswerten durchgeführt. Eine weitere Methodik, die
aus der Verletzbarkeit der Gebäude und der Überflutungshöhe Schadensgrade
ableitet, wurde von Maiwald und Schwarz 2012 beschrieben.
2.2 Flächennutzungsbezogener Ansatz
Im flächennutzungsbezogenen Ansatz werden die überfluteten Flächennutzun-
gen ihrer Nutzungsart entsprechend klassifiziert und mit nutzungsspezifischen
Schadensfunktionen in Abhängigkeit des Wasserstandes - ggf. unter Berücksich-
tigung der Fließgeschwindigkeiten - Schädigungsgrade ermittelt. Diese Schädi-
gungsgrade werden auf der Grundlage definierter nutzungsspezifischer Vermö-
genswerte in absolute Schäden umgerechnet und aufsummiert.
Die Grundlage dieser Methodik wurde im Rheinatlas der IKSR 2001 entwickelt
und für die HWSK sowie die Gefahrenhinweiskarten (GHK) (LfUG 2005) des
Freistaates Sachsen teilweise angepasst und wiederverwendet. Dieser Ansatz
wurde also für großräumige Untersuchungsgebiete verwendet, ermöglicht je-
doch auch auf Projektebene eine erste Einschätzung des vorhandenen Scha-
denspotenzials. Die Vermögenswerte werden aus der Gegenüberstellung des
Nettoanlagevermögens in Sachsen mit den entsprechenden landesweiten Flä-
chen ermittelt und bei Bedarf fortgeschrieben.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 49
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Die Flächennutzungsinformationen werden der ALK entnommen und entspre-
chend einem festgelegten Schema nach Nutzungsklassen typisiert (siehe nach-
folgende Tabelle 1). Für jede dieser Nutzungsklassen liegen z. T. differenziert
nach immobilen und mobilen Werten sowie für flache und steile Gewässer
Schadensfunktionen vor. Für steile Gewässer wurden Schadensfunktionen in
Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Wasser und Geologie der Schweiz
entwickelt, bei denen nicht der Wasserstand, sondern der spezifische Abfluss
(Wasserstand × Fließgeschwindigkeit) relevant ist.
Tabelle 1 Typisierung der ALK-Nutzungen zu Nutzungsklassen
Nutzungs-
klasse
Nutzungsart ALK-Schlüssel
1 Siedlungsflächen 1300, 1400, 1800, 1990 anteilig
2 Gewerbeflächen 1700, 1990 anteilig
3 Verkehrsflächen 5100 bis 5500
4 landwirtschaftliche Nutzflächen 6100
5 Grünland 6200
6 Gartenland 6300
7 Forst 7100, 7200, 7300
8 sonstige Grünanlagen 4270, 4290
Die Schadensfunktionen weisen jeder betroffenen ALK-Fläche einen Schädi-
gungsgrad zu, der, multipliziert mit dem Vermögenswert dieser Fläche, einen
absoluten Schaden ergibt.
2.3 Gebäudetypologischer Ansatz
Der nachfolgend dargestellte Ansatz findet sich in zahlreichen Publikationen
wieder (etwa Naumann et al. 2015 und Weller et al. 2016) und zielt auf die Zu-
ordnung von Einzelgebäuden zu einer Gebäudetypologie (Baualtersstufe und
Baustruktur). Basierend auf der Gebäudetypologie eines definierten Untersu-
chungsgebietes werden für jeden quantitativ relevanten Gebäudetyp spezifische
Schadensfunktionen entwickelt bzw. bestehende Schadensfunktionen übertra-
gen.
Für die Entwicklung der Schadensfunktionen bildet eine detaillierte baukon-
struktive und nutzungsspezifische Analyse charakteristischer Repräsentanten die
Grundlage. Darauf aufbauend werden Überflutungsstufen definiert, für die eine
genaue Schadensabschätzung erfolgt. Auf der Grundlage einer exemplarisch ge-
nauen Mengenermittlung entstehen Leistungsverzeichnisse, welche die notwen-
digen Instandsetzungsleistungen für jede Überflutungsstufe nachvollziehbar
gliedern und durch einheitliche Kostenansätze bewerten.
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Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich
des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz
Mit Hilfe der Leistungsverzeichnisse werden die Kosten zur Wiederherstellung
ermittelt. Aus den absoluten Kosten werden anschließend die jeweils auf die
Grundfläche des Gebäudes (GGF) bezogenen relativen Kosten bestimmt. Der
Bezug zur Grundfläche gewährleistet die Vergleichbarkeit der Sanierungskos-
ten, da diese bei der Flächenidentifizierung durch Luftbilder und digitale Karten
eine schnelle und einfach zu ermittelnde Gebäudekenngröße darstellen. Als ein
wesentliches Ergebnis entstehen Schadensfunktionen für ausgewählte Repräsen-
tanten der jeweils relevanten Gebäudetypen im Untersuchungsgebiet.
Für zahlreiche Gebäudetypen liegen nach und nach aus bereits durchgeführten
Untersuchungen Schadensfunktionen vor, welche bei Übereinstimmung mit den
in einem Gebiet dokumentierten Gebäudetypen angepasst bzw. übertragen wer-
den können. In Einzelfällen wird eine Ergänzung des Datenbestandes an Scha-
densfunktionen nach dem zuvor beschriebenen Verfahren notwendig.
Abbildung 3: Synthetische Schadensfunktionen für verschiedene Gebäudetypen (Naumann
et al. 2009)
In einer speziellen Untersuchung im Stadtgebiet von Pirna wurde der gebäude-
typologische Ansatz noch um eine hydrodynamische Komponente der Scha-
densabschätzung und Kalkulation von Wiederherstellungskosten ergänzt (z.B.
Beschädigung eines Gebäudes durch mitgeführtes Treibgut oder Unterspülung
der Gebäudegründung).
Sämtliche Anlagen der Technischen Gebäudeausrüstung können vor allem bei
Nichtwohngebäuden die Verletzbarkeit eines Gebäudes stark erhöhen. Die Wie-
derherstellungskosten für das Inventar und die Haustechnik können daher bei
Nichtwohngebäuden die Wiederherstellungskosten für die Gebäudesubstanz
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übersteigen. Aus diesem Grund erfolgen bei Nichtwohngebäuden häufig Einzel-
fallbetrachtungen (auch als Hotspot-Analyse bezeichnet).
Nachfolgend werden die erarbeiteten gebäudetypenspezifischen Schadensfunk-
tionen mit den identifizierten Gebäudetypen im Untersuchungsgebiet verknüpft.
Durch eine Überlagerung mit den prognostizierten Wasserständen können somit
die Hochwasserschäden für verschiedene Hochwasserszenarien abgeschätzt
werden.
Der beschriebene Ansatz wurde in zahlreichen Untersuchungsgebieten im Auf-
trag der LTV angewendet. Hierzu zählen etwa das Stadtgebiet von Pirna (2005,
150 ha), Rote Weißeritz (2015, 127 ha), Lungwitzbach (2016, 190 ha), Schwar-
zenberg (2016, 48 ha), Freiberger Mulde/Bobritzsch (in Bearbeitung) und die
Vereinigte Weißeritz in Freital (2016, 100 ha).
3 Methodenvergleich
Für die Untersuchungsgebiete der Roten Weißeritz und der Vereinigten Weiße-
ritz in Freital liegen Ergebnisse für Nutzen-Kosten-Untersuchungen zu den je-
weils geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen für beide beschriebene Ansätze
vor. In beiden Projekten wurde in einem ersten Schritt der flächennutzungsbe-
zogene und in einem zweiten Schritt, zur Präzisierung der Betroffenheit, der ge-
bäudetypologische Ansatz angewandt.
Abbildung 4: Schadenswahrscheinlichkeitsfunktionen für die Gebäudesubstanz in den Sied-
lungs- und Gewerbeflächen des Untersuchungsgebietes Rote Weißeritz für
den Istzustand
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Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich
des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz
Während an der Roten Weißeritz beide Ansätze Ergebnisse ähnlicher Größen-
ordnungen liefern (siehe Abbildung 4), ergibt der gebäudetypologische Ansatz
im Untersuchungsgebiet in Freital deutlich höhere Schadenswerte als der flä-
chennutzungsbezogene Ansatz (siehe Abbildung 5). Dies liegt vor allem an der
unterschiedlichen Siedlungsstruktur der beiden Untersuchungsgebiete: Während
an der Roten Weißeritz eine durchschnittliche, ländliche Siedlungsstruktur vor-
zufinden ist, handelt es sich in Freital um ein städtisch geprägtes, dicht besiedel-
tes Gebiet.
Abbildung 5: Schadenswahrscheinlichkeitsfunktionen im Untersuchungsgebiet der Verei-
nigten Weißeritz im Stadtgebiet Freital für die Siedlungs- und Gewerbeflä-
chen für den Istzustand (Schäden ohne Hotspots)
Der flächennutzungsbezogene Ansatz, der auf der Auswertung landesstatisti-
scher Vermögenswerte und landesweiter Flächentypisierungen basiert, ergibt für
Gebiete mit ähnlich verteilten Nutzungen gute Ergebnisse. In städtischen Gebie-
ten mit gegenüber dem Landesdurchschnitt höheren Bebauungsdichten liefert
der gebäudetypologische Ansatz zutreffendere Ergebnisse. Die Auswahl des ge-
eigneten Ansatzes ist durch Vorabuntersuchung des Bearbeitungsgebietes bzgl.
der Nutzungsverteilung und der Bebauungsdichte denkbar.
Bezüglich des Bearbeitungsaufwandes unterscheiden sich beide Ansätze. Der
gebäudetypologische Ansatz erfordert eine Erfassung der Einzelobjekte vor Ort,
deren Typisierung durch geschultes Personal und ggf. die Erstellung von zusätz-
lichen bisher nicht ermittelten Schadensfunktionen für die ausgewählten Reprä-
sentanten oder besondere Gebäudetypen. Der Aufwand zur Ermittlung neuer
Schadensfunktionen reduziert sich jedoch mit fortschreitender Anwendung der
Methodik, da immer mehr auch in vergleichbare Gebiete übertragbare Repräsen-
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tanten mit Schadensfunktionen zur Verfügung stehen. In Sachsen existiert auf-
grund umgesetzter Untersuchungen bereits ein Datenpool von über 50 Repräsen-
tanten und zugehörigen Schadensfunktionen, auf die im Bedarfsfall zugegriffen
werden kann. Für die Anwendung des flächenbezogenen Ansatzes sind Vor-Ort-
Arbeiten nicht erforderlich, alle benötigten Daten stehen über statistische Aus-
wertungen und dem Flächenverschnitt im GIS zur Verfügung.
Die Untersuchung von Hotspots (z.B. Produktionsanlagen, Schwimmbäder,
Krankenhäuser) ist methodenunabhängig, bietet sich jedoch besonders beim ge-
bäudetypologischen Ansatz an, da diese Hotspots teilweise erst im Zuge der
Ortsbegehung erkannt und erfasst werden können. Denkbar wäre die Hotspot-
Erhebung aber auch beim flächennutzungsbezogenen Ansatz, wenn eine Ge-
bietsbereisung durchgeführt werden würde. Um den Erhebungsaufwand des ge-
bäudetypologischen Ansatzes zu reduzieren, ist für Wohnbebau-
ung/Siedlungsbereiche auch eine Kombination beider Ansätze möglich und wird
in der Praxis auch häufig angewandt.
Der flächennutzungsbezogene Ansatz eignet sich gut für große (ländliche) Un-
tersuchungsräume, nicht nur für projektbezogene Untersuchungen, sondern bei-
spielsweise auch, um Planungs- oder Finanzierungprioritäten für landesweite
Bauprogramme (Hochwasserschutzprogramme) festlegen zu können. Mit dem
gebäudetypologischen Ansatz können kleinere und/oder städtische Gebiete ge-
nauer erfasst und Hotspots besser einbezogen werden. Die Ortsbegehung ermög-
licht zusätzlich die Erfassung der eingelagerten Gewerbenutzungen und damit
die Erfassung des Gewerbeinventars und möglicher Wertschöpfungsverluste.
Die Verwendung beider Ansätze in Nutzen-Kosten-Untersuchungen kann zwei-
stufig erfolgen. Im ersten Schritt dient der flächennutzungsbezogene Ansatz zur
ersten Abschätzung der Schadenserwartungswerte. Lässt sich die Wirtschaft-
lichkeit damit bereits verlässlich darstellen (Nutzen-Kosten-Verhältnis
(NKV) >> 1), sind weitere Untersuchungen nicht zwingend erforderlich, denn
auch die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen unterliegen dem
Wirtschaftlichkeitsgebot. Im zweiten Schritt können Untersuchungen mit dem
gebäudetypologischen Ansatz einschl. Berücksichtigung wesentlicher Hotspots
erfolgen.
4 Zusammenfassung
Beide beschriebenen Ansätze haben, auch wenn sie zum Teil unterschiedliche
Ergebnisse liefern, ihre Berechtigung. Der flächennutzungsbezogene Ansatz
kann für große Gebiete mit durchschnittlicher Nutzungsverteilung, für große und
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Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich
des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz
kleine Gebiete mit „robustem“ NKV (deutlich über 1,0) sowie für Projekte an-
gewandt werden, die sich in einer sehr frühen Planungsphase befinden, z.B. in
einer Machbarkeitsstudie bzw. in der Vorplanung. Die Eingangsparameter der
NKU (Schutzwirkung, Kosten) sind zu diesem Zeitpunkt noch großen Schwan-
kungen unterworfen, so dass die generalisierende Flächenmethode ausreichend
genaue Ergebnisse liefert.
Der gebäudetypologische Ansatz liefert für kleinere und/oder städtische Gebiete
(ggf. mit Untersuchung von Hotspots) und für Projekte, die sich voraussichtlich
an der Grenze der Wirtschaftlichkeit befinden, gute Ergebnisse. Auch ist er für
Gebiete geeignet, die unerwartete oder nicht plausible Ergebnisse bei der An-
wendung des flächennutzungsbezogenen Ansatzes liefern, z.B. bei großen Ab-
weichungen zwischen realen (d.h. nach abgelaufenen Ereignissen erfasste Scha-
denssummen) und prognostizierten Hochwasserschäden.
5 Literatur
BWK (2001): Hochwasserschadenspotenziale, Bericht 1/2001. Bund der Ingenieure für
Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau e.V., Düsseldorf 2001
DVWK (1985): Ökonomische Bewertung von Hochwasserschutzwirkungen, DVWK-
Mitteilungen Nr.10. Deutscher Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau, Bonn
1985
DWA (2008): Arbeitshilfe Hochwasserschadensinformationen. Deutsche Vereinigung für
Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Hennef 2008
DWA (2012a): Leitlinien zur Durchführung dynamischer Kostenvergleichsrechnungen
(KVR-Leitlinien). Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und
Abfall e.V., Hennef 2012
DWA (2012b): Schadensanalyse und Projektbewertung im Hochwasserrisikomanage-
ment. Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.,
Hennef 2012
IKSR (2001): IKSR-Rheinatlas 2001. Internationale Kommission zum Schutze des
Rheins, Koblenz 2001
LfUG (2005): Gefahrenhinweiskarten des Freistaates Sachsen. Landesamt für Umwelt
und Geologie, Dresden 2005
Maiwald, H.; Schwarz, J. (2012): Neue Ansätze zur ingenieurmäßigen Bewertung der
Verletzbarkeit von Bauwerken. In: Schadensanalysen und Projektbewertung im
Hochwasserrisikomanagement. p. 80-103, DWA-Themen T1/2012, Deutsche
Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Hennef 2012
Naumann, Th.; Nikolowski, J.; Golz, S. (2009): Der gebäudetypologische VERIS-Elbe-
Ansatz zur Ermittlung von Überflutungsschäden an Gebäuden im Klimawandel. In:
Mörsdorf, F. L.; Ringel, J.; Strauß, C. (Hrsg.): Anderes Klima, Andere Räume!
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Zum Umgang mit Erscheinungsformen des veränderten Klimas im Raum.
Norderstedt: Books on Demand 2009. S. 249-262
Naumann, Th.; Nikolowski, J.; Golz, S. (2015): Typologie von Bauobjekten und
Hochwasserschäden für das Untersuchungsgebiet. In: Schanze, J.; Schwarze, R.;
Horlacher, H.-B.; Deilmann, C.: Veränderung und Management der Risiken
extremer Hochwasserereignisse in großen Flussgebieten – Am Beispiel der Elbe.
Schweizerbart, Stuttgart 2015
SMUL (2005): Ergebnisse der landesweiten Priorisierung von Hochwasserschutz-
maßnahmen. Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft,
Dresden 2005
Socher, M.; Dornack, S.; Defér, E. (2006): Hochwasserschutzkonzepte im Freistaat
Sachsen - eine Einführung. In: Hydrologie und Wasserbewirtschaftung 50, H. 6,
S. 303-308.
Weller, B.; Fahrion, M.-F.; Horn, S.; Naumann, Th.; Nikolowski, J. (2016): Bau-
konstruktion im Klimawandel. Springer Vieweg, Wiesbaden 2016
Autoren:
Dipl.-Ing. Carlos Rubín
ProAqua
Ingenieurgesellschaft für
Wasser- und Umwelttechnik mbH
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52066 Aachen
Tel.: +49 241 94992-12
Fax: +49 241 94992-29
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Dr.-Ing. Johannes Nikolowski
GB1 Ingenieure
Büro für Gebäude, Baukonstruktion und
Schadensanalyse GmbH
Friedrich-Hegel-Straße 29
01187 Dresden
Tel.: +49 351 424 68 36
Fax: +49 351 424 68 37
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Dipl.-Ing. Karen Riedel
Landestalsperrenverwaltung des
Freistaates Sachsen
Referat Wasserbau
Bahnhofstraße 14
01796 Pirna
Tel.: +49 3501 796-299
Fax: +49 3501 796-105
eMail: [email protected]
Dr. rer. nat. Stephan Gerber
Landestalsperrenverwaltung des
Freistaates Sachsen
Referat Wasserbau
Bahnhofstraße 14
01796 Pirna
Tel.: +49 3501 796-489
Fax: +49 3501 796-105
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Das „Handbuch der Hydraulik“ bildet das gesamte Spektrum der Hydraulik in Wasserbau und Wasser-wirtschaft ab. Es ist als erweitertes Nachschlagewerk für Ingenieure, Studierende und Auszubildende konzipiert und eine hilfreiche Ergänzung der Fachbuchreihe „Technische Hydromechanik“. Speziell auf die Lösung von praktischen hydromechanischen Aufgabenstellungen ausgerichtet, enthält das Hand-buch die wichtigsten Berechnungsgrundlagen, mathematische Formeln einschließlich der notwendigen geometrischen und physikalischen Tafelwerte. Die Autoren benennen typische Probleme, beschreiben sie kurz und führen die zur Lösung erforderlichen Gleichungen und Beiwerte auf. Die Lösung eines Problems ist einerseits mit Hilfe von Diagrammen oder Tabellen möglich, kann aber auch andererseits aus Gleichungen und Beiwerten selbst gefunden werden.
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// Allgemeines// Mathematische Grundlagen, wichtige geometrische Werte// Physikalische Größen und Einheiten// Hydrostatik// Hydrodynamische Grundgleichungen// Druckrohrströmung// Freispiegelströmung// Überfälle und Hochwasserentlastungsanlagen// Wasserstrahlen// Sicker- und Grundwasserströmungen
Beuth WissenHandbuch der Hydraulikfür Wasserbau und Wasserwirtschaftmit Grafi ken und Tabellenvon Prof. Dr.-Ing. Detlef Aigner und Dr. Gerhard Bollrich1. Aufl age 2015. 514 S. 24,0 x 17,0 cm. Gebunden.79,00 EUR | ISBN 978-3-410-21341-4
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren
zur Optimierung von Hochwasserentlastungsanlagen
Carla Schneefeld
Max Heß, Tilo Vollweiler, Dirk Carstensen
Mit Hilfe von physikalischer sowie numerischer Modellierung im wasserbaulichen Ver-
suchswesen können wichtige Informationen für die Planung, den Erhalt und den Umbau was-
serbaulicher Anlagen gewonnen werden. Anhand des Fortschritts der Computertechnik, der
Steigerung der Leistungsfähigkeit von Rechnerressourcen sowie den Weiterentwicklungen
von Softwarelösungen haben die Möglichkeiten und die Effizienz numerischer Lösungsver-
fahren bei der Bewältigung und Visualisierung dreidimensionaler hydrodynamischer Prob-
lemstellungen enorm zugenommen. Durch eine Vielzahl an programminternen Parametern
zur Steuerung der numerischen Verfahren sowie durch die Qualität des verwendeten Berech-
nungsgitters werden die Berechnungsergebnisse bei der 3d-HN-Modellierung beeinflusst und
können so voneinander abweichende Lösungen erzeugen. Zur Beurteilung der berechneten
Lösung auf deren realitätsgetreue Abbildung eines Strömungszustandes kann dazu ein physi-
kalischer Modellversuch durchgeführt werden. Als Kombination aus der physikalischen und
numerischen Modellierung stellt die hybride Modellierung ein wertvolles Tool zur Untersu-
chung von hydraulischen Fragestellungen sowie bei der Bemessung wasserbaulicher Anlagen
dar.
Die Komplexität von 3d-CFD-Anwendungen sowie die große Bandbreite an Softwarelösun-
gen war Grund für eine Untersuchung zweier Softwarepakete im Hinblick auf deren Unter-
schiede und Übereinstimmungen in Methodik und berechneten Resultaten sowie deren Über-
einstimmung mit einem gegenständlichen Modellversuch. Als Untersuchungsobjekt diente ein
Standardwehrüberfall mit anschließendem Tosbecken im Sinne eines klassischen, wasserbau-
lichen Anwendungsfalls in Anlehnung an eine Hochwasserentlastungsanlage. Die Untersu-
chungen zeigten gute Übereinstimmung in Teilbereichen auf, aber auch die Herausforderung,
in Bereichen von hoher Turbulenz und Lufteintrag eine akzeptable Annäherung an die Natur
zu schaffen.
Stichworte: Hybride Modellierung, Hochwasserentlastungsanlagen, Tosbecken,
OpenFOAM, StarCCM+
1 Hybride Modellierung bei wasserbaulichen Untersuchungen
Eine Hochwasserentlastung (HWE) ist ein fester Bestandteil von Stauanlagen
wie Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken. Zur Untersuchung an be-
reits bestehenden Anlagen sowie Anlagen in der Planungsphase im Hinblick
auf deren hydraulische Optimierung dient die hybride Modellierung als
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Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von
Hochwasserentlastungsanlagen
Kombination aus numerischen und physikalischen Modellversuchen als ein
nützliches Tool. Physikalische Modellversuche können, unter Verwendung
entsprechender Modellgesetze, analytische Berechnungen hinterlegen und
Aufschluss über Funktionalität und mögliche Schwachstellen eines Bauwerks
geben. Mittels diverser Messtechniken können dabei Strömungsparameter
wie Fließgeschwindigkeiten und Wassersspiegellagen meistens nur punktuell
oder in der Fläche ermittelt werden. Oftmals scheitert die Umsetzung gegen-
ständlicher Modelle jedoch an räumlichen Beschränkungen oder der Mög-
lichkeit den notwendigen Durchfluss zu gewährleisten. Die numerische Mo-
dellierung ist hierbei nicht limitiert und ermöglicht im Ergebnis ein schnelles
Abgreifen und Visualisieren von Strömungsgrößen in jeder Zelle eines dis-
kretisierten Modellgebiets und kann so ein sehr detailliertes Abbild einer
Strömungssituation geben. Die verfügbaren Lösungsverfahren bieten in der
Hydronumerik jedoch sehr viele Möglichkeiten zur Festlegung verschiedens-
ter Parameter und Randbedingungen, wodurch sich eine Vielzahl an Lösun-
gen mit jeweils unterschiedlichen Ergebnissen produzieren lässt. Zur Beur-
teilung der berechneten Lösungen auf ihre wahrheitsgetreue Abbildung einer
Strömungssituation können die erfassten Messwerte eines identischen, phy-
sikalischen Modellversuchs herangezogen werden. So können die Vorteile
beider Modellierungsvarianten effizient genutzt werden, um Optimierungs-
möglichkeiten an wasserbaulichen Anlagen aufzudecken. Zudem kann durch
numerische Voruntersuchungen der Aufwand für den Bau und Umbau eines
physikalischen Modells reduziert werden. Das mittlerweile breite Spektrum
an freien und lizenzpflichtigen 3d-CFD (Computational Fluid Dynamics) -
Programmpaketen wirft für den Anwender die Frage nach der Wahl der
Software und der zu setzenden Parameter auf, um, im Rahmen der
Möglichkeiten, möglichst naturnahe Ergebnisse zu erzielen.
Im Folgenden ist die hybride Modellierung eines Wehrüberfalls mit
Tosbecken, im Sinne eines typischen Bestandteils einer HWE beschrieben.
Das Fallbeispiel dient zum Vergleich zweier 3d-CFD-Programme unter
Anwendung angeführter Randbedingungen und numerischer Methoden. Die
Anwendung der hybriden Modellierung und die daraus resultierenden
Vorteile im Laufe der Entwurfsplanung einer HWE werden anschließend
anhand eines realen Bauvorhabens herausgestellt.
2 Hybride Modellierung eines Wehrüberfalls mit Tosbecken
unter Anwendung zweier 3d-CFD-Programme
Ein physikalischer Modellversuch sollte im Maßstab 1:1 durch ein
dreidimensionales, hydrodynamisch-numerisches Modell möglichst naturnah
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nachgebildet werden. Ziel der Grundlagenuntersuchung war die Optimierung
von Softwareeinstellungen, die Ermittlung des Grades der Annäherung der
Simulation an das physikalische Modell sowie das Erlangen von Kentnissen
über die Korrespondenz der beiden Programme.
Die Simulationen wurden mit OpenFOAM, eine Open Source Software und
Star-CCM+, einem lizenzpflichtigen Programm durchgeführt.
2.1 Physikalisches Modell
Der physikalische Modellversuch wurde in einer 0,4 m breiten Rinne aufge-
baut und das Wehrprofil als Standardüberfallprofil (nach Oficerov, in
Aristowski & Berger (1955)) umgesetzt. Das Tosbecken wurde mit 120 cm
Länge und einer Tiefe von 7,5 cm dimensioniert. Bei einem konstanten
Durchfluss von Q = 35 l/s wurde der Unterwasserstand auf 15,1 cm über der,
an das Tosbecken anschließenden, Gerinnesohle eingestellt, sodass der
entstehende Wechselsprung im Tosbecken gehalten wurde. Mit einem
Flügel-Anamometer wurden die Fließgeschwindigkeiten in
Hauptströmungsrichtung an 287 Messpunkten ermittelt. Hierbei erfolgte für
jeden Messpunkt eine zeitliche Mittelung über 20 Sekunden. Die
Messergebnisse wurden an Referenzmesspunkten mit Hilfe einer Staudruck-
Sonde validiert.
2.2 Numerisches Modell
OpenFOAM und StarCCM+ sind 3d-CFD-Programme, welche beide eine
Vielzahl an Möglichkeiten zur Berechnung strömungstechnischer
Problemstellungen liefern. Basierend auf der Finite Volume Methode (FVM)
werden die Navier-Stokes-Gleichungen zur Massen- und Impulserhaltung
newtonscher Fluide gelöst und damit Strömungsfelder berechnet.
OpenFOAM (Open Field Operation and Manipulation) ist eine auf C++
basierende Softwarebibliothek mit frei einsehbarem und modifizierbarem
Quellcode, wodurch erfahrenen Nutzern ermöglicht wird, spezifische
Anpassungen vorzunehmen oder eigene Toolboxen zu implementieren. Star-
CCM+ ist eine proprietäre Software mit grafischer Benutzeroberfläche und
somit benutzerfreundlicher Bedienung mit einem ebenfalls breitgefächertem
Anwendungsspekrum.
Die Modellierung der Medien Wasser und Luft in verschienden Fließ- bzw.
Strömungszuständen, von Turbulenzbewegungen und Freispiegelabflüssen
oder der Abfluss durch Rohrleitungen sind typisch für wasserbauliche
Anwendungen und werden durch die Auswahl geeigneter Randbedingugen
und numerischer Methoden umgesetzt.
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Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von
Hochwasserentlastungsanlagen
Berechnungsgitter
Das Modellgebiet umfasst einen 8 cm breiten Bereich, der einen halben Meter
vor der Wehrkante beginnt und einen Meter hinter der Tosbeckenendschwelle
endet. Die seitlichen Wände wurden in beiden Programmen mit der Eigenschaft
slip (reibungsfrei), die Sohle mit no-slip belegt. Da die Diskretisierung einen
wesentlichen Einfluss auf die Simulation hat, wurde das aus OpenFOAM expor-
tierte Berechnungsgitter auch für die Star-CCM+ Simulation verwendet. Somit
konnten Differenzen der Simulationsergebnisse untereinander aufgrund von Git-
terunterschieden ausgeschlossen werden. Mit einer Grundgitterweite von 4 cm
im Luftbereich, einer maximal dreifachen Verfeinerung im Bereich der Wasser-
spiegellage, des Überfallrückens und im Tosbeckenbereich sowie drei dünnen
Layerschichten an der Sohle besteht das Modell aus rund 166.000 Zellen.
Numerische Methoden
Neben dem identischen Berechnungsgitter sowie der Verwendung gleicher
bzw. vergleichbarer Randbedingungen wurde bei der Auswahl von Lösern,
Mehrphasenansatz und Turbulenzmodell jeweils entsprechende Methoden
gewählt. Für beide Modelle wurden Löser für inkompressible
Mehrphasenströmungen verwendet. Bei OpenFOAM kann dies durch den
Löser interFOAM umgesetzt werden, welcher in Kombination mit einem
VOF (Volume of Fluid) -Verfahren eine Definition zweier Phasen ermöglicht
und neben Druck und Geschwindigkeiten in allen drei Raumrichtungen die
Phasenkonzentration in jeder Zelle ermittelt. Als maximale Courant-Zahl
wurde 0,5 sowie als maximale Zeitschrittweite 0,001 s eingestellt.
Für Star-CCM+ wurde der Löser Segregated Flow zusammen mit dem
Modell Eulerian Multiphase und VOF verwendet. Für das implizite
Verfahren wurde in Anlehnung an die OpenFOAM Berechnung ebenfalls
eine Zeitschrittweite von 0,001 s gewählt.
Die VOF-Methode gibt Aufschluss über Lage und Form der
Phasengrenzschicht. Hierzu wird für jede Zelle zusätzlich zu den
Erhaltungsgleichungen eine Advektionsgleichung für den Phasenanteil
gelöst. Zum Entgegenwirken numerischer Diffusion im Bereich der
Grenzschicht wird ein Kompressionsterm eingefügt, welcher nur im Bereich
der Grenzschicht aktiv wird (Schulze & Thorenz (2014)). Luftblasen bzw.
Wassertropfen kleiner als die vorhandene Zellgröße können mit der VOF-
Methode nicht abgebildet werden.
Die Wahl eines Turbulenzmodells ist grundsätzlich abhängig von der
benötigten Genauigkeit einer Berechnung in Bezug auf die Abbildung von
Ablösungen und Wirbelstrukturen. Eine direkte numerische Simulation
(DNS) ist aufgrund des übermäßig hohen, numerischen Aufwandes in den
meisten, praxisrelevanten Fällen nicht geeignet (Oertel, Böhle, & Reviol
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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(2015)). Stattdessen wird auf Turbulenzmodelle zurückgegriffen, welche rein
mathematisch die turbulenten Strömungen berechnen. Im Rahmen ähnlicher
Anwendungsfälle am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der TH
Nürnberg (IWWN) wurden mit dem DES (Detached-Eddy Simulation) Tur-
bulenzmodell nach Spalart-Allmaras gute Ergebnisse im Hinblick auf reali-
tätsgetreue Abbildung der Turbulenz unter akzeptablem Einsatz von Rechen-
ressourcen erzielt. Das Modell wird auch in diesem Anwendungsfall ver-
wendet. DES koppelt die beiden Turbulenzansätze LES (Large-Eddy Simula-
tion) und RANS (Reynolds-Averaged-Navier-Stokes) in getrennten, instatio-
nären Modelregionen (The Steve Portal (2016)), wobei durch RANS eine
zeitliche Mittelung der Strömungsgrößen in den Randbereichen und durch
LES (in Abhängigkeit von der Gitterfeinheit) eine direkte, räumliche und
zeitliche Simulation grobskaliger Strömungsbewegungen im restlichen
Modellgebiet erfolgt. Für kleinskalige Bewegungen werden auch hier
Modelle und Approximationen angewandt. Die empfohlenen Standardein-
stellungen des Turbulenzmodelles wurden in beiden Programmen nicht ver-
ändert.
Als Beispiel für die Auswirkungen eines Turbulenzmodells auf die Berech-
nungen ist in Abbildung 1 in einer Momentaufnahme vergleichend ein
Längsschnitt durch den hinteren Teil des Tosbeckens mit einem reinen
RANS- und einem Spalart-Allmaras DES Turbulenzmodell (wie im Folgen-
den verwendet) nach Erreichen eines quasi-stationären Zustands dargestellt.
Durch die zeitliche Mittelung der Navier-Stokes-Gleichungen kommt es im
Fall des RANS-Modells zu einer „Glättung“ der Wirbelstrukturen. Die Strö-
mung im Tosbecken wird somit auf eine große Walze reduziert, während das
DES-Modell eine große Anzahl an Wirbeln abbildet und somit näher an der
Realität liegt.
Abbildung 1: Betragsmäßige Geschwindigkeiten und Vektoren im Längsschnitt für den
Bereich mit einem Wasseranteil > 50% bei einer RANS (links) und einer
DES Spalart-Allmaras-Simulation (rechts) mit Star-CCM+
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Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von
Hochwasserentlastungsanlagen
2.3 Auswertung
Nach Durchführung der Modellversuche wurden das physikalische und die bei-
den numerischen Modelle verglichen. Hierbei wurden vor allem die Fließge-
schwindigkeiten betrachtet. Ein visueller Vergleich erfolgte auch für den Luf-
teintrag und die Ausbildung des Wasserkörpers.
Abbildung 2: Grafische Darstellung der zeitlich gemittelten Fließgeschwindigkeiten in x-
Richtung [m/s] im Bereich des Tosbeckens im Vergleich
Der Vergleich der Fließgeschwindigkeiten erfolgte durch eine zeitliche
Mittelung über 20 Sekunden. Betrachtet wurde dabei die generelle
Strömungsausbildung in einem Längsschnitt durch das Modellgebiet (vgl. Ab-
bildung 2) sowie eine direkte gegenüberstellung der Fließgeschwindigkeiten an
10 Messpunkten (vgl. Abbildung 2 und Abbildung 3).
Das physikalische Modell weist im Bereich des gerichteten Schusstrahls
zwischen Messpunkt 1 und 6 etwas geringere, im zweiten Abschnitt des
Tosbeckens höhere Geschwindigkeiten als die Simulationen auf. Im
Einmündungsbereich des Schussstrahls in das Tosbecken sind im physikalischen
Modell messtechnisch bedingt weitaus geringe Werte zu erkennen als in den
Simulationen. Ursache hierfür ist die schräge Anströmung des, an allen
Messpunkten, vertikal in die Strömung eingebrachten Flügel-Anamometers und
eine daraus folgende Abschirmung durch dessen Gehäuse. Somit kommt es hier
bei der Erfassung der Fließgeschwindigkeit in Hauptströmungsrichtung (x-
Richtung) zu einem erkennbaren Messfehler. Beim optischen Vergleich der
Simulationen ist eine Annäherung der Geschwindigkeitsausbildung der
Strömung festzustellen. Abweichungen ergeben sich in der Ausbildung des
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Schussstrahls. Bei OpenFOAM hebt sich dieser am Fuß des Wehrrückens etwas
weiter ab und verläuft im Folgenden flach über der Sohle, während in der
STAR-CCM+-Simulation ein deutlicheres Ablösen des Strahls von der Tosbe-
ckensohle und ein losgelösterer Verlauf der Hauptströmung zu beobachten ist.
Die Auswertung der Geschwindigkeiten an zehn Messpunkten (MP) in der Mit-
telachse des Tosbeckens (Lage der Punkte vgl. Abbildung 2, Nr. 1 bis 10) zeigt
eine relativ gute Übereinstimmung von physikalischem Modell und den Simula-
tionen zwischen MP 3 und MP 6 mit einer maximalen Abweichung von rund
10 %, was in Anbetracht möglicher Messungenauigkeiten eine gute Annäherung
bedeutet (vgl. Abbildung 3). Auch die beiden Simulationen liegen hier nah bei-
einander. In der zweiten Tosbeckenhälfte ist der Schussstrahl durch die Energie-
dissipation des Wechselsprungs deutlich abgeschwächt. Es kommt zu größeren
turbulenten Schwankungen und Luftdurchmischung im Wasserkörper. Die er-
mittelten Geschwindigkeiten zwischen MP 7 und MP 10 liegen in den Simulati-
onen deutlich unterhalb der gemessenen Werten. Maßgebend für die Differenz
zwischen den beiden Simulationen ist hauptsächlich der unterschiedliche Ver-
lauf der Hauptströmung im genannten Abschnitt. Ursachen für die Abweichun-
gen von den physikalischen Messwerten können mögliche, messtechnisch be-
dingte Ungenauigkeiten (wie beschrieben im Bereich der schrägen Einströmung
zu Beginn des Tosbeckens) sowie numerische Ursachen, wie die unzureichend
genaue Abbildung der Luftblasen mit dem VOF-Verfahren, mögliche Wandef-
fekte oder Einstellungen am Turbulenzansatz sein.
Abbildung 3: Vergleich zeitlich gemittelter Fließgeschwindigkeiten in x-Richtung [m/s] an
10 Messpunkten im Tosbecken
Bei der Luftdurchmischung im Tosbeckenbereich konnten durch Einstellung des
Schärfungsfaktors bei beiden Simulationen nahezu deckungsgleiche Ergebnisse
erzielt werden, welche optisch, im Rahmen der Möglichkeiten von VOF, dem
physikalischen Modell nahe kommen. Anhand eines rein visuellen Vergleichs
wurde beobachtet, dass die Ausbildung des Wasserkörpers im Star-CCM+ Mo-
dell etwas flacher als im OpenFOAM-Ergebnis ausfällt.
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64
Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von
Hochwasserentlastungsanlagen
Schlussfolgernd konnte für den Bereich der klaren Hauptströmung eine gute
Annäherung der Numerik an die physikalischen Messwerte festgestellt werden.
Im Bereich von hoher Turbulenz und Lufteintrag liegen die Messwerte weiter
auseinander, was die Schwierigkeit der Naturapproximation bei steigender
Komplexität der Strömung hervorhebt und somit für den Einsatz von hybrider
Modellierung als Ergänzung von physikalischem und numerischem Modell
spricht. Durch eine weitergehende Kalibrierung des Modells könnten die Ergeb-
nisse ggf. weiter angenähert werden. Zudem wäre für eine weiterführende Para-
meterstudie mit den verwendeten Programmen ein berührungsfreies Messver-
fahren im gegenständlichen Modell, beispielsweise mittels PIV (Particle Image
Velocimetry) Laser, sinnvoll, um Messungenauigkeiten der Referenzwerte ent-
gegenzuwirken.
3 Hybride Modellierung der Sösetalvorsperre
Am IWWN konnte durch hybride Modellierung des geplanten
Entlastungsbauwerks der Sösetalvorsperre in Niedersachsen, beauftragt
durch die Harzwasserwerke GmbH, eine Optimierung des Bauwerks
stattfinden (Carstensen, Heß, Schneefeld, & Vollweiler (2016)) (vgl. Abbil-
dung 4).
Abbildung 4: Visuelle Gegenüberstellung der physikalischen (links) und numerischen
Modellierung der Sösetalvorsperre bei HQ100
Durch die numerische Simulation ausgewählter Entwürfe mit dem
Softwarepaket OpenFOAM konnten Vorzugsvarianten ermittelt werden,
welche anschließend in einem physikalischen Modellversuch im Maßstab
1:22,5 umgesetzt wurden. Die Numerik zeigte schon bei den
Voruntersuchungen, dass eine relativ schmale und sich verjüngende
Schussrinne zu übermäßig hohen Fließgeschwindigkeiten auf dieser führte.
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Die Geometrie konnte in Absprache mit dem Auftraggeber und dem Planer
(Ramboll IMS Ingenieurgesellschaft mbH) angepasst und somit schon eine
optimierte Variante im gegenständlichen Modell umgesetzt werden. Durch
die Vorarbeiten mittels der numerischen Modellierung wurden notwendige
Umbauten im physikalsichen Modell auf Detailarbeiten beschränkt und ein
„Ausprobieren“ verschiedenster Varianten innerhalb weniger Wochen
ermöglicht.
Eine Gegenüberstellung der numerischen und physikalischen
Modellversuche erfolgte ausführlich anhand des Lastfalls HQ100 für eine der
optimierten Varianten. Über 10s gemittelte Fließgeschwindigkeiten (in
Hauptströmungsrichtung) und Wasserspiegellagen an verschiedenen Punkten
des Modellgebiets wurden miteinander verglichen. Bei den
Fließgeschwindigkeiten wurde eine Annäherung der Numerik auf 86 bis zu
98 % an die physikalischen Messwerte erreicht. Bei höheren Fließgeschwin-
digkeiten (bis zu 12 m/s) wurden tendenziell die größeren Abweichungen
verzeichnet. Der Vergleich der Wasserspiegellage erfolgte über 8
Messpunkte (MP) von der Vorsperre (MP 1) über die Schussrinne (MP 2 bis
7) bis in die Hauptsperre (MP 8) (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5: Gegenüberstellung der Wasserspiegellagen [m NHN] für ausgewählten Last-
fall, Messpunkte 1 bis 8
Mit Ausnahme der Wasserspiegellage im Unterwasser am MP 7 liegen die
numerischen Werte nur leicht unter den Messwerten des physikalischen Mo-
dellversuchs. An MP 7 ergibt sich eine größere Abweichung von 1,06 m (Na-
turmaßstab). Diese Abweichungen sind unter anderem auf die bereits er-
wähnten, begrenzten Abbildungsmöglichkeiten von Luft-Wasser-Gemischen
in numerischen Modellen zurückzuführen. Der am Ende der Schussrinne ent-
stehende, schäumende Bereich kann numerisch nur näherungsweise abgebil-
det werden (vgl. Abbildung 4).
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66
Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von
Hochwasserentlastungsanlagen
4 Schussfolgerungen
Die Hybride Modellierung hydraulischer Systeme ist ein bewährtes Tool im
Rahmen der Planung wasserbaulicher Anlagen. Sie wurde am IWWN im Zu-
sammenhang mit der Optimierung von Hochwasserentlastungsanlagen mehrfach
angewendet. Die numerischen Modelle ermöglichen schnelle ‚Umbauten‘ und
die Simulation beliebiger Geometrien, wodurch eine gezieltere Umsetzung im
physikalischen Modell ermöglicht wird. Unter Beachtung zu erwartender Unge-
nauigkeiten in der Simulation von Wasser-Luft-Gemischen können Messgrößen
von Strömungsparametern des physikalischen Modellversuchs ergänzend heran-
gezogen werden. Die vorliegenden Untersuchungen zeigen mit Abschnitten
starker Turbulenzen und hohen Lufteintrags Bereiche auf, in welchen gesondert
Wert auf Kalibrierung gelegt werden muss bzw. die Möglichkeiten der numeri-
schen Methoden eingeschränkt sind, die Natur eins zu eins abzubilden.
5 Literaturverzeichnis
Aristowski, W., & Berger, K. (1955). Entwurfsgrundlagen zum Wehrbau. Berlin: Verlag
Technik.
Carstensen, D., Heß, M., Schneefeld, C., & Vollweiler, T. (2016). Forschungsbericht 2016-
07; Vorsperre der Sösetalsperre 3d-CFD-Simulationen und physikalischer
Modellversuch für ein Kombinationsbauwerk. Nürnberg.
Oertel, j., Böhle, H., & Reviol, T. (2015). Strömungsmechanik für Ingenieure und
Naturwissenschaftler. Springer .
Schulze, L., & Thorenz, C. (2014). The Multiphase Capabilities of the CFD Toolbox
OpenFOAM for Hydraulic Engineering Applications. Hamburg: ICHE 2014.
The Steve Portal. (2016). Von User Guide Star-CCM+: https://steve.cd-adapco.com/
Autoren:
M.Eng. Carla Schneefeld
Technische Hochschule Nürnberg
Georg-Simon-Ohm
Institut f. Wasserbau und Wasserwirtschaft
Keßlerplatz 12
90489 Nürnberg
Tel.: +49 0911/5880-1141
Fax: +49 0911/5880-5164
E-Mail: [email protected]
M.Eng. Max Heß
Dipl.-Ing (FH) Tilo Vollweiler
Prof. Dr.-Ing. habil. Dirk Carstensen
TH Nürnberg Georg Simon Ohm
Institut f. Wasserbau und Wasserwirtschaft
Keßlerplatz 12
90489 Nürnberg
E-Mail: [email protected]
[email protected]
[email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfra-
strukturen gegenüber Überflutung
Sebastian Golz
Christoph Bohnenkamp
Straßenverkehrsinfrastrukturen (SVIS) bilden die notwendigen Voraussetzungen
für eine funktionale räumliche Erschließung. Die erheblichen strukturellen Schä-
den an SVIS nach bisherigen Überflutungsereignissen unterstreichen den Bedarf
einer vertieften ingenieurwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den maßge-
benden Einwirkungen, Schadensmechanismen und Schadensbildern, um u. a. rea-
litätsnahe Prognosen zukünftig zu erwartender Schäden an SVIS im Überflutungs-
fall zu unterstützen und Adaptationsstrategien abzuleiten. Ein wesentlicher Ar-
beitsschritt ist hierbei die Systematisierung relevanter Schadensmechanismen.
Stichworte: Straßenverkehrsinfrastrukturen, Schadensanfälligkeit, Überflutung
1 Einleitung
Öffentliche technische Infrastrukturen bilden die notwendigen Voraussetzungen
für eine funktionale räumliche Erschließung. Zu den gesellschaftlich bedeuten-
den technischen Infrastrukturen zählen insbesondere die Anlagen des Straßen-
verkehrs. Zahlreiche verschiedenartige Überflutungsereignisse verdeutlichten in
den letzten beiden Dekaden in Deutschland den signifikanten Anteil der Kosten,
die zur Beseitigung direkter Schäden an Straßenverkehrsinfrastrukturen (SVIS)
notwendig sind (z. B. Müller 2010, S. 146 ff.).
Für viele Regionen Mitteleuropas ist infolge des Klimawandels von einer Zu-
nahme der Wahrscheinlichkeit und Magnitude von Starkniederschlägen auszu-
gehen, die grundsätzlich das Potential haben, häufiger zu Überflutungen von
Siedlungsräumen zu führen, ohne dass ein unmittelbarer Gewässerbezug vor-
liegt. Diese Überflutungen sind, trotz ihrer statistisch beschreibbaren Auftritts-
wahrscheinlichkeit, in der Regel außergewöhnliche Einwirkungen, welche die
Entwurfsanforderungen von SVIS übersteigen und daher zu erheblichen struktu-
rellen Schäden führen können.
Die Systematisierung von Schadensbildern sowie die fachlich fundierte Erkun-
dung der zu Grunde liegenden Schadensmechanismen und ihrer Randbedingun-
gen dienen vielzähligen wissenschafts- und praxisbezogenen Zwecken (Golz et
Page 76
68 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung
al. 2017). Die Analysen der Schadensanfälligkeit (physische Vulnerabilität) leis-
ten zum Beispiel einen wesentlichen Beitrag
für schnelle und präzise Prognosen direkter Schäden vor, während bezie-
hungsweise unmittelbar nach Hochwasserereignissen,
für die Monetarisierung von Wiederherstellungskosten und somit auch für
die Erstellung von Risikokarten gemäß Artikel 6 der Europäischen Hochwas-
serrisikomanagement-Richtlinie sowie
für die Ableitung effizienter Gestaltungs- und Dimensionierungsvorschläge
für den Straßenneubau und geeigneter Adaptationsmaßnahmen für den Stra-
ßenbestand in Abhängigkeit von hydraulischen Bemessungswerten und ihren
Wiederkehrintervallen.
2 Schadensanalyse
2.1 Vorgehen und Datenbasis
Die Analyse der Schadensanfälligkeit basiert auf empirischen Untersuchungen,
das heißt auf der systematischen Auswertung vorliegender Schadensinformatio-
nen. Diese Schadensinformationen stammen aus verschiedenen Quellen, wie
etwa aus der einschlägigen Fachliteratur über Straßenkonstruktionen, aus publi-
zierten Hochwasserereignisberichten von Fachbehörden, aus bislang unveröf-
fentlichten Schadensdokumentationen (Schadensbilder, Schadensdatenbanken)
von Landesämtern sowie aus acht Experteninterviews mit Fachkundigen aus den
Bereichen Straßen- und Tiefbau, konstruktiver Ingenieurbau sowie Siedlungs-
wasserwirtschaft und Kanalnetzbetrieb (Bohnenkamp 2016).
Die Auswertung dieser Daten zeigt, dass die Erfassung und Dokumentation
überflutungsbedingter Schäden an SVIS derzeit keinem erkennbar systemati-
schen und einheitlich geregelten Vorgehen folgt. Aufgrund verschiedener Bau-
lastträger ist die persistente Speicherung der heterogen vorliegenden digitalen
Schadensinformationen in Datenbankstrukturen zudem dezentral organisiert.
Aus diesen Gründen besteht zunächst die Herausforderung, existierende Daten-
banken zu recherchieren (z. B. Bundes- und Landesfachbehörden, Landesbetrie-
be, kommunale Verwaltungen) und relevante Schadensinformationen zu extra-
hieren und zu analysieren.
Dieser Beitrag fokussiert die relevanten Schadensmechanismen (siehe Ab-
schnitt 2.3), das heißt er beschreibt die spezifischen Prozesse, die bei überflu-
tungsbedingten Einwirkungen zu spezifischen Schadensbildern an SVIS führen.
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2.2 Überflutungsbedingte Einwirkungen
Patt und Jüpner (2013, S. 6 ff.) folgend, zählen Sturzfluten, starkregenbedingte
Überflutungen, Sturmfluten und Flussüberschwemmungen aufgrund der Häu-
figkeit ihres Auftretens, ihrer Magnitude und ihrer nachteiligen Folgen zu den
relevanten Hochwasserarten. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrer räumli-
chen Ausdehnung, der verfügbaren Vorwarnzeit und der mittleren Dauer des
Überflutungsereignisses. Zu den ereignisabhängigen Parametern zählen insbe-
sondere die Wassertiefe (Überflutungshöhe) und die Fließgeschwindigkeit, die
je nach Intensität zahlreiche Schadensmechanismen an SVIS auslösen können.
Die hydraulischen Beanspruchungen exponierter SVIS reichen folglich von
Überschwemmungen mit geringer Wasserhöhe bis zu Überströmungen mit ma-
terialreichen Wasser-Feststoff-Gemischen.
Übliche Straßenbefestigungen bestehen aus einer beziehungsweise mehreren
gebundenen Deckschichten oder einer Pflasterdecke sowie darunter befindlichen
ungebundenen Tragschichten. Die Beanspruchungen der Straßenbefestigungen
infolge Überflutung zählen in der Regel nicht zu den veränderlichen Einwirkun-
gen, die in den üblichen Entwurfsanforderungen von Straßen enthalten sind.
Gleichwohl die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Überflutung mit einer
bestimmten Magnitude statistisch beschreibbar ist, ordnen z. B. Gebbeken und
Teich (2011) Überflutungen den außergewöhnlichen Einwirkungen zu. Kombi-
nationsregeln, welche diese außergewöhnliche Bemessungssituation berücksich-
tigen, sind bislang nicht normativ festgesetzt. Die Auswertung von Schadensin-
formationen ex post ermöglicht die Abgrenzung der folgenden maßgebenden
Einwirkungsarten im Überflutungsfall (Bohnenkamp 2016):
Hydrodynamische Einwirkungen, die vor allem bei Sturzfluten relevant und
die durch einen Oberflächenabfluss mit bestimmter Fließtiefe, Fließge-
schwindigkeit, Fließrichtung und Abflussdauer charakterisiert sind. Die Ein-
wirkungen (Überströmungen) münden vor allem in hydrodynamischen
Druck- und Schubbeanspruchungen des Straßenkörpers, welche die nachfol-
gend beschriebenen Schadensmechanismen auslösen. Hydrodynamische
Einwirkungen sind insbesondere in schmalen Gebirgstälern sowie entlang
geneigter und kanalisierter innerörtlicher Straßenverläufe relevant.
Hydrostatische Einwirkungen als Folge der Überflutung eines Straßenab-
schnittes, die zum Beispiel aufgrund hydraulisch überlasteter Straßenentwäs-
serungen während eines Starkregenereignisses oder aufgrund ausgedehnter
Flussüberschwemmungen auftreten. Die ereignisspezifischen Parameter sind
hier die Wasserhöhe und Wasserstanddauer. Hydrostatische Einwirkungen
sind insbesondere in Verbindung mit einer unmittelbaren, veränderlichen Be-
anspruchung durch Achsübergänge des Schwerlastverkehrs relevant.
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70 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung
2.3 Schadensmechanismen
Die zwei genannten Einwirkungsarten lösen verschiedene Prozesse aus, die wie-
derum zu nachteiligen Folgen für die SVIS führen. Die Untersuchung und Ab-
grenzung dieser Schadensmechanismen basieren auf einem physikalisch-
analytischen Ansatz, der die Auswirkungen der außergewöhnlichen Überflu-
tungseinwirkungen anhand ingenieurwissenschaftlich abgeleiteter Zusammen-
hänge beschreibt (synthetische Ursache-Wirkungs-Beziehungen). Alle Scha-
densmechanismen führen grundsätzlich zu vielfältigen strukturellen Schäden am
Verkehrsweg. Zu den wesentlichen Schadensmechanismen zählen die
äußere Erosion und äußere Suffosion,
innere Erosion und innere Suffosion,
Fugen- und Kontakterosion,
Exfiltration und Infiltration,
Plastifizierung und Verkehrsbelastung,
Sickerströmungen sowie der
Porenwasserüberdruck.
Die nachfolgend ausgewählten, kursorisch skizzierten Schadensmechanismen
wirken in den überwiegenden Fällen nicht als einzelner Prozess, sondern treten
gemeinsam auf und überlagern sich in vielfältiger Weise.
Äußere Erosion und äußere Suffosion
Die äußere Erosion und die äußere Suffosion beschreiben die durch hydrodyna-
mische Einwirkungen ausgelöste Mobilisierung und den Abtransport von Mate-
rial an der freien Oberfläche. Beide Erscheinungen treten auf, sobald die durch
das abfließende Wasser hervorgerufenen vorhandenen Schubspannungen größer
sind als die maximalen aufnehmbaren Schubspannungen der betroffenen Kon-
struktionsschicht (Wieprecht 2000). Der spezifische Erosionswiderstand resul-
tiert maßgeblich aus dem Eigengewicht des Materials und den Bindungskräften
zwischen seinen Komponenten (Schweim 2005). Die Schubspannungen an der
Grenzfläche zwischen Material und Strömung nehmen mit dem Quadrat der
Fließgeschwindigkeit zu. Die durch Oberflächenwasser ausgelösten Erosions-
prozesse führen zum Beispiel durch Umlagerung und Abtransport zum Verlust
nahezu aller Kornfraktionen eines Erdstoffes. Infolge äußerer Erosionsprozesse
besteht die Möglichkeit, dass sich Einzelsteine aus dem Verband von Pflaster-
flächen lösen oder dass Deckschichten von Fahrbahnen oder Deckwerke von
Straßendämmen abgleiten. Im Bereich von Böschungen und Geländesprüngen
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mit Stützbauwerken kann diese Erscheinung zum Stabilitätsversagen, das heißt
zum Böschungs- beziehungsweise Geländebruch, führen. Die äußere Suffosion
zählt zu den Materialtransportvorgängen innerhalb einer Konstruktions- bezie-
hungsweise Bodenschicht, welche in Richtung einer freien Oberfläche verlau-
fen. Da die nachfolgend erläuterte innere Suffosion eine wesentliche Vorausset-
zung für die äußere Suffosion bildet, wird in diesem Beitrag auf eine Differen-
zierung dieser beiden Mechanismen verzichtet.
Fugen- und Kontakterosion
Die Fachliteratur verwendet inhaltlich abweichende Definitionen für die beiden
Erosionsprozesse (vgl. z. B. Patt und Jüpner 2013, BAW 2013). Fugenerosion
beziehungsweise Piping bezeichnet den schichtenparallelen Partikeltransport
entlang von Grenzflächen infolge hydrodynamischer Einwirkungen (Si-
ckerströmung). Diese Grenzflächen liegen jeweils im Kontaktbereich (i) ver-
schiedener Bodenschichten, etwa zwischen bindigen und unterlagernden, durch-
lässigen Bodenschichten, (ii) zwischen Fahrbahndeckschichten und darunter lie-
genden ungebundenen Tragschichten oder (iii) zwischen massiven Bauwerken
(z. B. Kanalisation) beziehungsweise Bauteilen (z. B. Straßenausstattung) und
dem Baugrund vor (Laursen 2011). In der Folge treten Unterspülungen der
Deckschichten, der Bauwerke beziehungsweise der Bauteile auf (Boley 2012).
Fugenerosion ist eine häufige Ursache des Erosionsgrundbruchs (z. B. Patt und
Jüpner 2013, S. 196). Kontakterosion beschreibt hingegen den schichtennorma-
len Transport feiner Bodenpartikel in einen angrenzenden grobkörnigen Boden,
in dem sich der Prozess als innere Suffusion und Kolmation fortsetzt
(BAW 2013).
Exfiltration und Infiltration
Während eines Überflutungsereignisses besteht die Möglichkeit der Exfiltration
von Abwasser aus der Kanalisation, das bedeutet, dass Wasser aus unterirdi-
schen Abwasserkanälen austritt und anschließend Feinanteile aus dem Kornge-
rüst des Bodens verlagert (innere Suffosion), angrenzende Bodenpartikel voll-
ständig verdrängt (innere Erosion) und Schadstoffe ins Grundwasser einträgt.
Exfiltration führt zu einer rückschreitenden Erosion, das heißt einer sich gegen
die Fließrichtung des Wassers ausbildende Störung, die wiederum Setzungen
und Einbrüche darüber liegender Bodenschichten und der Straßenkonstruktion
bedingen kann (Witt 2014). Das Abwasserkanalsystem füllt sich im Überflu-
tungsfall vollständig mit Wasser, sofern keine Schutzeinrichtungen, wie etwa
verschließbare Schachtdeckel oder mobile Barrieren, das Eindringen verhindern.
Je höher der Wasserstand über dem Gelände ist, desto höher steigt der Druck im
vollständig gefüllten Kanal, der in der Regel als Freispiegel- und nicht als
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72 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung
Druckwasserleitung bemessenen ist. Aufgrund des vorherrschenden Drucks
strömt Wasser aus undichten Kanälen aus, zum Beispiel durch Risse, an Bruch-
und Fehlstellen oder an klaffenden Fugen beziehungsweise offenen Muffen, die
durch Korrosion, mechanischen Verschleiß, Verformungen oder Lageabwei-
chungen hervorgerufen werden können (Stein und Stein 2014).
Bei hoch anstehendem Grundwasser oder Schichtenwasser kann der beschriebe-
ne Prozess hingegen in umgekehrter Richtung verlaufen. Steigt das Grund- be-
ziehungsweise Schichtenwasser über die Kanalhaltung hinaus, wirkt drückendes
Wasser von außen auf den Abwasserkanal ein. In diesem Fall kann Grundwasser
zusammen mit transportierten Bodenmaterialien (Suffosion) durch Undichtig-
keiten in die Kanäle eindringen (Infiltration). Der Infiltrationsprozess hängt so-
wohl von der Größe und Form der Undichtigkeit des Kanals als auch von der
Korngrößenverteilung und Lagerungsdichte des Bodens ab (Stein und
Stein 2014). Als Folgen sind auch bei diesem Phänomen Hohlraumbildungen,
das Stabilitätsversagen des Bodengefüges sowie Einbrüche in der Kanalumge-
bung und der darüber liegenden Straße anzusprechen. Vorliegende Schadensdo-
kumentationen von Straßeneinbrüchen weisen die Exfiltration und Infiltration
als signifikante Schadensmechanismen nach.
Plastizität und Verkehrsbelastung
Der vorliegende Schadensmechanismus beruht (i) auf der Plastizität, das heißt
der nachteiligen Veränderung der Verformbarkeit und Tragfähigkeit, intensiv
durchfeuchteter bindiger Bodenschichten als Folge einer statischen Überflutung
sowie (ii) einer erhöhten dynamischen Belastung von Straßenoberbauten durch
Schwerlastverkehr. Die Zunahme des Wassergehalts führt insbesondere bei
feinkörnigen bindigen Böden zu einer Zunahme der Verformbarkeit und einer
Minderung der Tragfähigkeit. Eine erhöhte Verkehrsbelastung resultiert zum
Beispiel aus
dem Einsatz von Schwerlastfahrzeugen des Rettungs- und Katastrophen-
schutzes (z. B. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Bundeswehr), die wäh-
rend eines Ereignisses auf überfluteten Verkehrsflächen fahren,
der Verwendung schwerer Räum- und Entsorgungsfahrzeuge (z. B. Contai-
nerfahrzeuge), die unmittelbar nach einem Überflutungsereignis Sperrmüll,
Schutt und Geschiebe abtransportieren oder
der planmäßigen Verkehrsfreigabe für den regulären Schwerlastverkehr, etwa
aufgrund der hohen Kritikalität des Straßenabschnittes, bevor die mechani-
sche Tragfähigkeit der gesamten Straßenkonstruktion überprüft und gegebe-
nenfalls wieder hergestellt ist.
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Die Folgen der Plastizitätsänderungen bei gleichzeitiger Verkehrsbeanspruchung
sind zum Beispiel lastabhängige vertikale Verformungen des Straßenaufbaus,
wie etwa Setzungen, Senkungen oder Sackungen.
Porenwasserüberdruck
Bei unzureichender Wasserdurchlässigkeit ungebundener Tragschichten, etwa
aufgrund zu geringer Durchlässigkeitsbeiwerte oder infolge eines verminderten
Abtransports des eingetretenen Wassers über den Untergrund beziehungsweise
über die Seitenflächen der Straßenbefestigung, kann der Wassergehalt in der
Konstruktionsschicht bis zur Sättigung unerwünscht ansteigen. Da in diesem
Fall das Wasser bei Aufbringen einer äußeren (Verkehrs-)Last nicht unmittelbar
aus dem Porenraum entweichen kann, bildet sich bis zur Konsolidation ein Po-
renwasserüberdruck. Dieser Mechanismus führt zum Beispiel zur Bodenverfor-
mung und somit zu Straßenunebenheiten, Stufenbildungen an Betonplattenrän-
dern oder Zerstörungen von Pflasterdecken und reduziert somit signifikant die
Lebensdauer der Straßenbefestigung.
2.4 Schadenstypen und Schadensbilder
Charakteristische Schadenstypen
Gleichwohl bei der Schadensanalyse ex post an überfluteten Straßen mitunter
eine zunächst unübersichtliche Vielfalt an Schadensbildern vorliegt, lassen sich
dennoch charakteristische Schadenstypen abgrenzen. Die Systematisierung von
potenziellen Überflutungsschäden leistet somit einen Beitrag zur Schadensprog-
nose ex ante. Alle wesentlichen Schadensbilder an SVIS, die infolge von Über-
flutungsereignissen auftreten, lassen sich zunächst den folgenden vier charakte-
ristischen Schadenstypen zuordnen:
Schäden an Straßendämmen, Böschungen und Stützbauwerken
Schäden an Fahrbahnoberflächen beziehungsweise Deckschichten
Schäden an Trag- und Frostschutzschichten, an Unterbauten und am Unter-
grund
Schäden an Straßenausstattungen
Dieser Aufsatz beschreibt auszugsweise die beiden Schadenstypen Schäden an
Straßendämmen, Böschungen und Stützbauwerken sowie Schäden an Fahrbahn-
oberflächen beziehungsweise Deckschichten. Weiterführenden Informationen
enthält u. a. Golz et al. (2017).
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74 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung
Schäden an Straßendämmen, Böschungen und Stützbauwerken
Die Auswertung vorliegender Schadensdaten belegt, dass die Gruppe der Schä-
den an Böschungen und Stützbauwerken insbesondere für außerörtliche Land-
straßen von signifikanter Bedeutung ist, während Schäden an innerörtlichen
Stadtstraßen vorrangig den drei anderen Schadenstypen zuzuordnen sind. Über-
strömt Hochwasser einen geneigten Straßendamm (Regelböschungsneigung
1:1,5), steigen in Abhängigkeit von der Fließtiefe und Fließgeschwindigkeit un-
ter anderem die Gefahren, dass
sich die vorhandenen Deckwerksmaterialien von der Dammflanke (Vegetati-
onsdeckwerk) in Richtung des Dammfußes umlagern, sofern die auftretenden
Schubspannungen die maximal aufnehmbaren Schubspannungen des – in der
Regel grasbewachsenen – Deckwerkes überschreiten,
sich am Fuß des Dammes aufgrund der dort auftretenden erhöhten Fließge-
schwindigkeiten und der starken Turbulenzen Kolke bilden, die anschließend
wiederum eine sich rückschreitend ausbreitende Erosion auslösen oder
dass die Stabilität des Straßendamms versagt, der Damm bricht und sich eine
Bresche bildet.
Zu den relevanten Schadensbildern an Böschungen und Stützbauwerken zählen
u. a. der Böschungsbruch, das heißt das Abrutschen eines Erdkörpers an Bö-
schungen, Hängen und Dämmen, sowie der Geländebruch, der auf dem Versa-
gen eines Geländesprungs mit einem Stützbauwerk beruht (Hettler 2000). Maß-
gebliche Schadensprozesse sind hierbei zum Beispiel das Unterspülen von Bö-
schungs- beziehungsweise Stützwandfüßen (Fugenerosion) oder der Abtrag von
Böschungsoberflächen (äußere Erosion). Die infolge der Wassereinwirkungen
ausgelösten Bruchmechanismen führen in der Regel zum Verlust der Standsi-
cherheit.
Darüber hinaus bilden konstruktive Quer- beziehungsweise Unterführungsbau-
werke, wie etwa Düker, Durchlässe oder Verrohrungen, die den Straßendamm
kreuzen, Diskontinuitäten, an denen ebenfalls eine erhöhte Wahrscheinlichkeit
des Standsicherheitsverlustes infolge Fugenerosion beziehungsweise rückschrei-
tender Erosion besteht. Die Problematik massiver Querbauwerke in Straßen-
dämmen ist kongruent zur Zuverlässigkeitsbewertung und Schwachstellenidenti-
fikation hochwasserbeanspruchter Flussdeiche (Heyer und Stamm 2014).
Schäden an Fahrbahnoberflächen beziehungsweise Deckschichten
Schäden an Fahrbahnoberflächen gehören, neben Schäden an Trag- und Frost-
schutzschichten sowie Schäden an Straßenausstattungen, zu den relevanten
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Schadenstypen an innerörtlichen Stadtstraßen. Übliche Schadensbilder an Deck-
schichten sind, in Abhängigkeit von der Einwirkungsintensität und der konstruk-
tionsspezifischen Erosionsstabilität,
das lokale Versagen einzelner Deckschichtkomponenten, wie etwa die Erosi-
on von Einzelsteinen,
das Abgleiten der gesamten Fahrbahndecke im hydraulisch belasteten Be-
reich sowie
das Ausbrechen (Ausbeulen) der Deckschicht infolge zu hoher Horizontal-
kräfte.
Pflasterdeckschichten verfügen über eine vergleichsweise kleinteilige, regelmä-
ßige oder regellose Struktur mit einem hohen Fugenanteil. Das Eigengewicht
der einzelnen Pflastersteine ist in der Regel relativ gering. In vielen Fällen wei-
sen Pflasterbauweisen einen geringen Flächenverbund (z. B. ungebundenes Mo-
saiksteinpflaster) auf. Die Rauheit der Deckschichtoberfläche verstärkt Turbu-
lenzen und hydrodynamische Druckschwankungen.
Diese vier Eigenschaften mindern folglich den charakteristischen Erosionswi-
derstand der Pflasterdecke, so dass Erosionsprozesse bereits bei geringeren
Fließgeschwindigkeiten einsetzen. Ein ausreichender Erosionswiderstand des
Einzelsteins, welcher auf dem Nachweis der Auftriebssicherheit unter Berück-
sichtigung hydrodynamischer Druckschwankungen basiert, bildet eine notwen-
dige Bedingung für die Deckschichtstabilität. Die Lockerung des Pflasterstein-
verbandes infolge freigelegter Fugen beeinflusst die Auftriebssicherheit und so-
mit den Erosionswiderstand nachteilig.
3 Ausblick
Weiterführende ingenieurwissenschaftliche Untersuchungen sollten ein metho-
disches Gesamtkonzept beschreiben, das die multikriterielle Bewertung der
Schadensanfälligkeit (physische Vulnerabilität) überflutungsbeanspruchter SVIS
erlaubt. Für diesen Zweck ist die Verwendung eines weiter konkretisierten syn-
thetischen Schadensmodells denkbar, welches auf den hier vorgestellten Scha-
densmechanismen und Schadenstypen aufbaut. Das synthetische Schadensmo-
dell basiert folglich auf ingenieurwissenschaftlich fundierten Ursache-
Wirkungs-Beziehungen, welche die kausalen Wirkungszusammenhänge zwi-
schen definierten Überflutungsbeanspruchungen und den nachteiligen Folgen,
das heißt direkten, physisch auftretenden Schäden an der Straßenkonstruktion,
für unterschiedliche Straßentypen erklären. Eine Herausforderung stellt in die-
Page 84
76 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung
sem Zusammenhang auch die Erarbeitung einer Typologie für SVIS dar, welche
die Schadensanfälligkeit mit bestimmten Straßentypen verknüpft. Dieser Schritt
wäre ein innovativer Ansatz zur Ermittlung der Schadensanfälligkeit von SVIS,
der sich auf verschiedene räumliche Bezugsebenen skalieren ließe.
4 Literatur
Bohnenkamp, C. (2016): Untersuchung der Schadensanfälligkeit ausgewählter
Verkehrsinfrastrukturen gegenüber Hochwassereinwirkungen. Diplomarbeit.
Technische Universität Dresden.
Gebbeken, N.; Teich, M. (2011): Zur Sicherheit kritischer Infrastrukturen unter
außergewöhnlichen multiplen Gefährdungen. In: Bautechnik, 88 (10), 663–667.
Golz, S.; Bohnenkamp, C.; Heyer, T. (im Erscheinen): Überflutungsbedingte Schäden an
Straßenverkehrsinfrastrukturen. WasserWirtschaft.
Laursen, C. (2011): Nachweis gegen Fugenerosion gemäß dem Merkblatt
„Standsicherheit von Dämmen an Bundeswasserstraßen“. In: BAW (Ed.)
Geohydraulische Aspekte bei Bauwerken der WSV. BAW Mitteilungen Nr. 94.
Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).
Müller, U. (2010): Hochwasserrisikomanagement – Theorie und Praxis. Wiesbaden:
Vieweg + Teubner Verlag.
Patt, H.; Jüpner, R. (Eds) (2013): Hochwasser-Handbuch – Auswirkungen und Schutz. 2.
neu bearbeitete Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer Vieweg.
Schweim, C. (2005): Modellierung und Prognose der Erosion feiner Sedimente.
Dissertation. Rheinisch-Westfälische Universität Aachen.
Stein, D.; Stein, R. (2014): Instandhaltung von Kanalisationen – Band 1. 4. Auflage.
Bochum: Stein & Partner.
Wieprecht, S. (2000): Morphodynamische Prozesse in Fließgewässern – Literaturstudie.
Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA).
Witt, K.-J. (2014): Suffosion nichtbindiger Böden – Phänomen und Nachweismethode.
In: BAW (Ed.). BAW-Kolloquium: Filter und hydraulische Transportvorgänge im
Boden. Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).
Autoren:
Dr.-Ing. Sebastian Golz
Leibniz-Institut für ökologische
Raumentwicklung (IÖR)
Weberplatz 1
01217 Dresden
Tel.: +49 351 4679 263
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Christoph Bohnenkamp
Leibniz-Institut für ökologische
Raumentwicklung (IÖR)
Weberplatz 1
01217 Dresden
Tel.: +49 351 4679 263
E-Mail: [email protected]
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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen
und kleinen Straßendämmen zum Hochwasser-
rückhalt
Olaf Düser
Hochwasserrückhalt im Bereich der Entstehung von abflusswirksamen Niederschlägen führt
insbesondere bei kleineren Einzugsgebieten zu einem merklich verbesserten Hochwasser-
schutz.
Ländliche Wege, die Talquerungen in leichter Dammlage überbrücken, können im Zuge von
Neubaumaßnahmen mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen für den dezentralen Hoch-
wasserschutz ausgebaut werden. Die Dammkonstruktion ist überströmungssicher zu gestalten.
Werden in einem Einzugsgebiet mehrere Talquerungen entsprechend ausgebaut, kann leicht
ein Speichervolumen geschaffen werden, das der Größe eines mittleren Hochwasserrückhal-
tebeckens gemäß DIN 19700-12 [1] entspricht. Die Sicherung für den Fall einer Überströ-
mung ist mit einfachen geotechnischen Methoden erzielbar. Ein derart modifizierter Damm-
körper fügt sich auch weiterhin gut in das Landschaftsbild ein.
1 Einleitung
Im Zuge von Flurbereinigungsmaßnahmen werden u.a. Feldwege neu angelegt
bzw. für den heutigen landwirtschaftlichen Verkehr ausgebaut. Im Bereich von
Talquerungen werden die Wegetrassen meist in leichter Dammlage angelegt.
Dort, wo Fließgewässer gekreuzt werden, sind meist Durchlässe angeordnet, die
annähernd den Abflussquerschnitt des durchströmenden Gewässers bieten. Ein
Rückstau soll dadurch zumindest bei kleineren und mittleren Hochwasserereig-
nissen unterbunden werden. Die Feldwege dienen in der Regel nicht zur Auf-
rechterhaltung von Verkehrsverbindungen bei Extremereignissen. Das Erforder-
nis für einen rückstaufreien Abfluss liegt vorwiegend in landwirtschaftlichen
Interessen.
Dabei können derartige Talquerungen als Speicherkaskaden zumindest für einen
temporären Hochwasserrückhalt und damit für eine deutliche Retentionswirkung
stehen. Nachfolgend wird an einem Beispiel gezeigt, wie mit vergleichsweise
einfachen Mitteln ein derartiges Speichersystem geschaffen werden kann.
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78
Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen
zum Hochwasserschutz
2 Allgemeine Angaben
Durch die Ortslage der Bad Saulgauer Teilgemeinde Moosheim verläuft in ver-
dolter Form der Nonnenbach, s. Abb. 1. Unterhalb der Ortslage mündet das
Fließgewässer in die Schwarzach, ein Nebengewässer der Donau. Der Nonnen-
bach hat ein vergleichsweise kleines Einzugsgebiet von unter 10 km². Das Ge-
lände ist mäßig steil. Es herrscht Grünlandwirtschaft vor. Der oberflächennahe
Untergrund ist zumeist gering sickerfähig. Bei Starkniederschlägen kommt es
rasch zu Gewässerausuferungen und im Bereich des Gewässereintritts in die
Verdolung Ortseingangs von Mooshausen zum Rückstau. Überflutungen im
Ortsbereich sind die Folge. Durch eine Retentionswirkung mehrerer oberstromig
anzulegender Speicherkaskaden soll die Hochwassersituation für die Ortslage
entschärft werden.
Abbildung 1: Einmündung des Nonnenbachs am Ortsrand von Moosheim in die Verdolung
Im Einzugsgebiet des Nonnenbachs oberstrom von Moosheim bieten sich vor-
nehmlich drei Bereiche zur Zwischenspeicherung an. In Abb. 2 sind die Lage
dreier temporärer Speicherbecken und das jeweilige, grob abgeschätzte Spei-
chervolumen bei Einstauhöhen um einen Meter angegeben.
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Abbildung 2: Mögliche Retentionsräume zur temporären Speicherung von Oberflächen-abflüssen sowie weitere Angaben zur örtlichen Situation
Es zeigt sich, dass mit drei kleineren Becken bereits Speichervolumina von rund
130.000 m³ geschaffen werden können. Gemäß DIN 19700-12 (Stauanlagen –
Rückhaltebecken [1]) entspricht dieses Volumen bereits einer mittleren Becken-
größe.
Grundsätzliche Voraussetzungen für die Wahl der Retentionsräume sind:
bereits vorhandene Wegequerungen in der Talebene,
keine Bauwerke im potenziellen Stauraum,
kurze Einstauzeiten (i.d.R. nur für Stunden),
Grünlandnutzung im Retentionsraum und
Große Breite des Talbodens bzw. niedriges Gefälle bestehender Hänge.
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80
Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen
zum Hochwasserschutz
3 Wegeausbau im Bereich der Retention 1
In diesem Abschnitt wurde der Wegeausbau bereits zum großen Teil ausgeführt.
Die bisherige Trassenführung quer zur Talebene war annähernd geländegleich.
Nunmehr wurden die Trasse um ca. 0,7 m angehoben sowie die Fahrspur auf
3 m verbreitert und mit einer Asphaltdecke befestigt. Im Bereich des bestehen-
den Gewässerdurchlasses DN 1800 Stb wurde auf der Stauraumseite ein regu-
lierbares Drosselorgan eingebaut. Bei der Konstruktion sollte eine zeitweise
Dammüberströmung eingeplant werden; denn eine Hochwasserentlastung war
nicht vorgesehen.
Der Untergrund im Bereich der Baumaßnahme besteht vornehmlich aus organi-
schen Schwemmsedimenten mit Torf- bzw. Anmoor-Zwischenlagen.
Auf der Stauraumseite wurde der kiesige und damit stark wasserdurchlässige
Straßenunterbau mit einer Vorlage aus schluffigem-sandigem Kies (Bodengrup-
pe GU* nach DIN 18196 [2]) auf einer Breite von ein bis zwei Metern kraft-
schlüssig abgedeckt. Zur Luftseite wurde ebenfalls eine derartige Andeckung
vorgesehen. Die Böschungsneigungen wurden mit 1:3 und flacher ausgeführt, so
dass die landwirtschaftliche Nutzbarkeit wie vor der Maßnahme sichergestellt
ist.
Auf der Stauraum abgewandten Seite wurde die Böschung derart modelliert,
dass bei einer Überströmung des Weges ein ggf. eintretender Wechselsprung
und die damit einhergehende Kolkgefahr möglichst weit vom Wegedamm weg
verlagert wird. In Abb. 3 ist dieser Wechselsprungeffekt im Bereich eines über-
strömten Straßenabschnitts während des Hochwasserereignisses im August 2005
an der Oberen Iller dargestellt. Der Wasserstand im Straßenbereich lag bei ca.
0,3 m. Die Dammhöhe ist ähnlich gelagert, wie zuvor geschildert. Deutlich ist
die Ausbildung der Deckwalze auf der linken Seite am Böschungsfuß zu erken-
nen.
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Abbildung 3: Überströmter Straßenkörper; deutlich erkennbar ist die Deckwalze am talsei-
tigen Fuß des Straßendamms
Zum Schutz vor äußerer Erosion infolge einer Überströmung sind - neben der
Wahl eines gut verdichtbaren Kieses der Bodengruppe GU* - der Einbau von
dehnsteifen Geogittern sowie die Ausbildung eines flächendeckenden Grasbe-
wuchses vorgesehen. Durch die landwirtschaftliche Nutzung ist eine regelmäßi-
ge Pflege sichergestellt, so dass sich ein intensiver Wurzelfilz ausbilden kann.
Überströmungssicherheit ist damit gegeben.
Bedingt durch die seitliche, gering wasserdurchlässige Andeckung (Dichtungs-
schürze) und den bindigen Untergrund ist eine permanente Entwässerung des
Wegeunterbaus nicht sichergestellt, so dass zur Gewährleistung der Frostsicher-
heit Entwässerungsstränge zur Talseite hin einzusetzen sind. In Abb. 4 ist die
Konstruktion im Schnitt dargestellt.
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Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen
zum Hochwasserschutz
Abbildung 4: Geplanter Aufbau des Wegedamms im Bereich von Retentionsraum 1.
Berechnungen zum Böschungs- und Geländebruch bei Volleinstau mit begin-
nender Überströmung (außergewöhnliche Bemessungssituation BS-A gemäß
Teilsicherheitskonzept DIN 1054 [3]) weisen ein ausreichend standsicheres Sys-
tem mit einem Ausnutzungsgrad um 0,7 nach, s. Abb. 5. Weitergehende
Nachweise bezüglich Gleiten, Spreizen, innerer Erosion und Suffosion zeigen in
dieser Situation ebenfalls ausreichende Standsicherheit an.
Abbildung 5: Böschungs- und Geländebruch; der höchste Ausnutzungsgrad errechnet sich
bei Überströmung und Verkehrsbelastung zu µ = 0,7, BS-A.
Nach erfolgter Vorplanung mit Festlegung der Materialanforderungen wurde die
Bauausführung zeitlich gestaffelt vorgenommen. So konnte beispielsweise für
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das Andeckmaterial sehr kostengünstig auf Erdaushub einer größeren benach-
barten Baumaßnahme zurückgegriffen werden. Der örtliche Oberboden konnte
zur Andeckung wieder verwendet werden. Abb. 6 zeigt ein Lichtbild mit Ab-
schub des Oberbodens und Beginn des Einbaus der wasserseitigen Dichtung; der
bestehende Feldweg dient als Baustraße.
Abbildung 6: Beginn der Baumaßnahme mit Einbau der stauraumseitigen Dichtung
Abb. 7 zeigt die Situation nach Fertigstellung der Dammtrasse und bewachsenen
Seitenandeckungen. Der Retentionsraum liegt linksseitig des Dammes. In Bild 8
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Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen
zum Hochwasserschutz
ist ein Einstauereignis festgehalten. Im Bildvordergrund ist das eingestaute
Drosselorgan zu erkennen.
Abbildung 7: Wegedamm kurz vor Aufbau der Asphaltdecke. Die Seiten sind begrünt und
landwirtschaftlich nutzbar.
Abbildung 8: Blick von der gegenüberliegenden Talseite beim Teileinstau. Im Vordergrund
ist das Drosselorgan zu erkennen [Foto: Herr Egle, IB Schranz, Bad Saulgau]
Die vorgestellte Dammertüchtigung mit den Dichtungsschürzen und den zu be-
achtenden Aspekten gemäß Abb. 3 sind praktisch überall bis Dammhöhen um
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einen Meter realisierbar. Das Mitwirken eines Sachverständigen für Geotechnik
/ Wasserbau bei der optimalen Gestaltung der Konstruktion ist dabei anzuraten.
4 Literatur
[1] DIN 19700-12: Stauanlagen – Teil 12: Hochwasserrückhaltebecken, Stand 07.2004,
Beuth-Verlag, Berlin
[2] DIN 18196: Erd- und Grundbau, Bodenklassifikation für bautechnische Zwecke, Stand
05.2011, Beuth-Verlag, Berlin
[3] DIN 1054: Baugrund – Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau – Ergänzende
Regelungen zu DIN EN 1997-1 (Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in
der Geotechnik), Stand 12.2010, mit Aktualisierungen A1: 08.2012 und A2:11.2015,
Beuth-Verlag, Berlin
Autor:
Dr.-Ing. Olaf Düser,
Geschäftsführer
Dr. Ebel & Co. Ingenieurgesellschaft für Geotechnik und Wasserwirtschaft mbH,
St.-Ulrich-Straße 21
D-88410 Bad Wurzach
Tel.: +49 7564 94897 13
Fax: +49 7564 94897 99
E-Mail: [email protected]
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2., neu bearb. Aufl. 2016, XIII, 559 S. 332Abb., 264 Abb. in Farbe.
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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung
– zu viel oder zu wenig Daten?
Marc Scheibel
Paula Lorza
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Vielfalt und dem Umgang von was-
serwirtschaftlichen Daten, welche für die Bemessung und den Betrieb wasserwirt-
schaftlicher Anlagen notwendig sind. Mit der Steigerung der Qualität von Mess-
und Fernerkundungsdaten stiegen allerdings auch parallel die Anforderungen an
die Anlagen (und an die Einbindung von Messdaten in den Betrieb).
Neben langen historischen Zeitreihen, welche jedoch „nur“ punktuell vorliegen
stehen mittlerweile auch flächenmäßig erfasste Klimagrößen durch z.B. Wetterra-
dare oder Satelliten zur Verfügung. Diese jedoch erst seit einem wesentlich kürze-
ren und damit statistisch noch nicht so repräsentativen Zeitraum.
Der Beitrag soll einen Überblick geben welche Daten zur Verfügung stehen und
welche Vorteile, aber auch Problemstellungen sich bei der Auswertung für eine
entsprechende Anwendung ergeben.
Stichworte: Unsicherheiten, Kommunikation, Bemessungsansätze
1 Einleitung
Wasserbauliche Anlagen sind aufgrund ihrer meist auf mehrere Dekaden ausge-
legten Abschreibungs- und Betriebsdauern während dieser langen Zeiträume
regelmäßig auf veränderte Randbedingungen, Anforderungen und Nutzungsan-
sprüchen zumindest zu überprüfen. Oftmals ergeben sich daraus auch Anpas-
sungserfordernisse, welche Maßnahmen in Bau und Betrieb nach sich ziehen.
Damit ist es nicht mit einer einmaligen Planung und Bemessung getan sondern
eine Daueraufgabe die Anlagen zu prüfen, zu ergänzen, zu ändern oder auch zu-
rück zu bauen.
Die Erfordernis des Baus einer Anlage im Wasserbau ergab sich in der Vergan-
genheit auf der Basis von Erfahrungen einzelner Situationen. Die Bemessungen
wurden mittels historischer Aufzeichnungen an einzelnen, punktuellen Stationen
über abgeleitete Reihen aufgebaut und mit Modellen ergänzt. Mittlerweile liegen
jedoch nicht nur punktuelle Messgrößen vor, sondern werden durch flächenhafte
Erfassungen wie Satelliten- oder Radardaten ergänzt. Die Bemessungsgrößen
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88 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?
werden nun nicht mehr nur durch statistische Auswertungen von historischen
Daten ermittelt, sondern auch mit Szenarien möglicher zukünftiger Entwicklun-
gen der Einflussgrößen verglichen. Hierbei handelt es sich nicht nur um die kli-
matologischen Kenngrößen (aus regionalen und globalen Zirkulationsmodellen
zur Klimavorhersagen), sondern auch Randbedingungen wie Flächenentwick-
lungen, Einwohnerzahlen oder z.B. die Entwicklung des Wasserverbrauches.
Durch die Vielfalt der Daten entstehen jedoch neue Unsicherheiten, welche jede
Methode der Erhebung und Auswertung mit sich bringen. So entstehen Spann-
breiten bei der Bemessung für die Zukunft einer Anlage – denn dafür wird sie
schließlich bemessen und nicht für die Vergangenheit – die berücksichtigt und
kommuniziert werden müssen.
2 Eingangsdaten für die Bemessung
2.1 Punkt- und Gebietsniederschlag
Abbildung 1: Verteilung der Niederschlagsstationen beim Wupperverband und Auflösung
des Rasters „Radar Essen“ (Bildquelle: Wupperverband 2017)
Eine wesentliche Eingangsgröße für die Bemessung wasserwirtschaftlicher An-
lagen ist der Niederschlag, bzw. der effektive, also zum Abfluss kommende
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Niederschlag. Messungen finden Eingang in unterschiedliche Abflussmodellie-
rungsansätze als Belastungsgröße. In der Praxis liegen in räumlicher und zeitli-
cher Auflösung unterschiedlich ausgeprägte Datensätze vor. Beim Wupperver-
band stehen zum Beispiel seit mehr als hundert Jahren Tageswerte zur Verfü-
gung, Schreiberdaten in höherer zeitlicher Auflösung (aktuell in Minuten) seit
über 60 Jahren und aufbereitete Radardaten des Deutschen Wetterdienstes seit
15 Jahren (Verteilung der Stationen und Auflösung des Rasters der Radarstation
Essen - siehe Abbildung 1).
Die Langjährigen Reihen haben den Vorteil statistisch höchst repräsentativ zu
sein, da sie bereits mehrere Wetterzyklen durchlaufen haben und trockene wie
feuchte Perioden verschiedenster Ausprägung beinhalten. Da die Tageswerte
jedoch zur Bemessung urbaner, schnell reagierender Systeme nicht hoch genug
aufgelöst sind muss man hier auf die kürzeren Datensätze der Schreiber zurück-
greifen. Gerade für konvektive Ereignisse können die kleinräumigen Strukturen
der Regenzellen jedoch durch die vorhandene räumliche Dichte nicht ausrei-
chend erfasst werden – hier haben die Regenradarerfassungen einen entschei-
denden Vorteil (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1 Kenngrößen der unterschiedlichen Datensätze (Quelle: Scheibel 2017)
Messtyp Zeitliche Auflösung Räumliche Verteilung Klimatologische
Repräsentanz
Tageswerte niedrig niedrig bis mittel hoch
Schreiber mittel bis sehr hoch mittel hoch bis mittel
Radar hoch hoch niedrig
Bei der vergleichenden Betrachtung der Zeitreihen ergeben sich somit Unter-
schiede bedingt durch die zeitliche durch und räumliche Verteilung. Diese wir-
ken sich auf die abzuleitenden (statistischen) Bemessungsgrößen aus. Beispiel-
haft zu welchen Spannbreiten eine unterschiedliche Datenbasis führen kann,
wird in Abbildung 2 der 10-jährliche Niederschlag mit der Dauerstufe 60 Minu-
ten von 4 verschiedenen Stationen dargestellt und mit der zugehörigen Kachel
des KOSTRA-DWD-2000 aus DWD (2005) als blauer Balken verglichen. Einer-
seits wird mit den roten Balken das Ergebnis für die langjährige Statistik der
Stationen (mehrere Jahrzehnte) und mit den grünen Balken für die Serie aus dem
vergleichenden Zeitraum der Radardaten (ca. 10 Jahre) gegenübergestellt. Man
kann die Zufälligkeit des Auftretens der prägenden Ereignisse dadurch erken-
nen, das mal die langjährige und mal die kurze Serie höhere Werte liefert.
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90 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?
Abbildung 2: Statistische Niederschlagsmengen für die Dauerstufe 60 Minuten und eine
Wiederkehrhäufigkeit von 10 Jahren an den Untersuchungsstationen (Bild-
quelle: Wupperverband 2014)
Die Unterschiede, welche sich aufgrund der „flächenhaften“ (eigentliche Volu-
men) „Messung des Niederschlages“ (eigentlich Reflektion) zu der punktbasier-
ten Messung ergeben zusätzliche Unsicherheitsbereiche. Je nach Entfernung und
damit Ausrichtung und Auflösung des Rasters und entsprechender Höhe des
Niederschlagsscans ergeben sich – beeinflusst durch weitere Faktoren – unter-
schiedliche Vergleichswerte (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Ausgewählte Regenschreiberstationen und die zugehörigen Radarpixel unter-
schiedlicher (drei) Einzelradars nebst Kompositprodukt (links) und der Ver-
gleich der partiellen Serien aus Station und umgebenden Pixeln für eine Dau-
erstufe 60 Minuten (Bildquelle: Wupperverband 2014)
Resultierend gibt es somit aus den bestehenden Untersuchungen bereits Spann-
breiten der zur Bemessung entscheidenden Ereignisse von gut 20 %. Ergebnisse
aus Scheibel, M. et al. (2014).
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2.2 Historische und Prognosedaten
Neben den aufgeführten Unterschieden in den historischen (Mess-)datensätzen
ist die Frage wie repräsentativ sind diese auch für zukünftige Systemzustände.
Da die Zukunft unbekannt ist lassen sich nur aus den Erfahrungen und unter Ab-
schätzung von zukünftigen Randbedingungen Bemessungszustände für einen
längeren Gültigkeitszeitraum entwickeln. Diese bleiben aber immer mit den ent-
sprechenden Unsicherheiten – einerseits aus den, den Hypothesen zugrunde lie-
genden historischen Erkenntnissen, als auch aus der zukünftigen tatsächlichen
Entwicklung behaftet.
Abbildung 4: Aus der Historie das Wissen für Zukunft ableiten (Bildquelle: Wupperver-
band 2017)
Zusätzlich zu der Ableitung der statistischen Kenngrößen als gültige Bemes-
sungsgrößen für eine geplante Betriebsdauer können aus globalen Zirkulations-
modellen und regionalen Klimamodellen aus dem Bereich der Klimafolgenfor-
schung ebenfalls Abschätzungen für zukünftige Entwicklungen z.B. des Nieder-
schlagsgeschehens getroffen werden. Diese sind allerdings aufgrund der ange-
nommenen Emissionsszenarien und dem „störungsanfälligen“ System Wetter
mit noch größeren Unsicherheiten behaftet.
Um die Eignung der Modelle für entsprechende Fragestellungen zu überprüfen,
werden die sogenannten Referenzzeiträume (Zeiträume in denen Beobachtungen
und Modelle verglichen werden – ähnlich der hydrologischen und hydraulischen
Kalibrierung) betrachtet. Weichen Modell und Beobachtung voneinander ab,
gibt es zwei Möglichkeiten: a) Anpassung des Modelles – Zugriff der Wasser-
wirtschaft auf die Modelle ist hier aber nicht gegeben oder b) Bias Korrekturen.
Hierbei ist zu beachten, dass nach Korrektur einzelner Parameter wie dem Nie-
derschlag die Wasserbilanz wieder stimmen muss – heißt auch weitere Parame-
ter wie Verdunstung müssen angepasst werden. Aufgrund des Aufwandes und
der Unsicherheiten durch nachträgliches „Justieren“ alleine des Outputs der
Modelle (es wird ja nicht das Modell kalibriert) sollte die Bias Korrektur aber
nur in begründeten Fällen, sprich signifikanten Abweichungen durchgeführt
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92 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?
werden. In Abbildung 5 kann man erkennen, dass für die ausgewählte Station
Korrekturen durch den Vergleich überregionaler und allgemeinverfügbarer Pro-
dukte zu einer Verschlechterung führen.
Abbildung 5: Vergleiche von unterschiedlichen Referenzdatensätzen mit und ohne Bias-
Korrektur (Bildquelle: Wupperverband 2016)
Beispielrechnungen mit unterschiedlichen Datensätzen von Referenzzeiträumen
zeigen auch die Sensitivität auf die Abflussmodellierung (siehe Abbildung 6).
Hierbei ist noch zu beachten, dass die Vergleichsdaten meist aus Punktmessun-
gen erhoben sind und lediglich auf ein Raster (z.B. durch Kriging) projiziert
werden, was wiederum Unsicherheiten birgt.
Abbildung 6: Hydrologische Vergleichsrechnungen mit unterschiedlichen Datensätzen aus
Zirkulationsmodellen (Bildquelle: Wupperverband 2016)
2.3 Flächen- und Einwohnerentwicklung
Veränderungen und Trends im Einzugsgebiet sind hydrologisch unter Umstän-
den noch prägender als die Entwicklung der Niederschlagsbelastung in Deutsch-
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land. Daher gilt es auch immer Vergleichsrechnungen der Signale aus einzelnen
Veränderungen getrennt voneinander zu betrachten (unterschiedliche Modellläu-
fe z.B.) um die einzelne Signifikanz erkennen zu können und eine Überlagerung
der Effekte (eventuelle auch Ausgleich untereinander) zu vermeiden. Kenngrö-
ßen für Flächenentwicklungen und Wasserverbrauchszahlen sind wasserwirt-
schaftlich gesehen die sensitivsten Parameter. Die Entwicklung in Nordrhein-
Westfalen zeigt z.B. einen leichten Rückgang des Flächenverbrauches für Sied-
lungs- und Verkehrsflächen seit Mitte der 2000er Jahre, stagniert aber in den
letzten Jahren immer noch bei ca. 10 ha täglichem Zuwachs. Das eigentlich an-
gestrebte Ziel der Landesregierung NRW von 5 ha bis 2020 ist damit noch nicht
zu erkennen – aus MKULNV NRW (2017).
y = -3,153x + 45,687R² = 0,9489
y = 2,0265x + 40,286R² = 0,7903
y = 1,0361x + 78,697R² = 0,7603
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
2000 2005 2010 2015
Fläc
he
[km
²]
Jahr
Wuppertal, krfr. Stadt - Landnutzungsänderungen
Landwirtschaftsfläche Waldfläche Siedlungs- und Verkehrsfläche
Linear (Landwirtschaftsfläche) Linear (Waldfläche) Linear (Siedlungs- und Verkehrsfläche)
Abbildung 7: Entwicklung der Landnutzungsänderung am Beispiel Wuppertal (Bildquelle:
Wupperverband 2016, Datenquelle: IT.NRW (2016))
Für ein konkretes Einzugsgebiet müssen also die Flächennutzung bei der Be-
rücksichtigung der wasserwirtschaftlichen Flächen abgeschätzt werden – hierzu
helfen die Zahlen der statistischen Landesämter – Beispielauswertungen für
NRW in Abbildung 7 und 8:
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94 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?
y = -0,1623x + 9,4795R² = 0,712
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
2000 2005 2010 2015
Fläc
he
[km
²]
Jahr
Wuppertal, krfr. Stadt - Landnutzungsänderungen (Landwirtschaftsfläche)
Landwirtschaftsfläche Grünland / Wiese Ackerland
Linear (Landwirtschaftsfläche) Linear (Grünland / Wiese) Linear (Ackerland)
Abbildung 8: Entwicklung der Landwirtschaftlichen Flächen am Beispiel Wuppertal (Bild-
quelle: Wupperverband 2016, Datenquelle: IT.NRW (2016))
Man erkennt auch hier die sich weiteren ergebenen Unsicherheiten aus Entwick-
lung und Zielen. Ein Beispiel ist die Dimensionierung von Kläranlagen: hierfür
wurde in der Vergangenheit aufgrund der statistischen Erhebungen ein viel hö-
here Wasserverbrauch prognostiziert, als er sich aktuell zeigt (um die 135 Liter
pro Einwohner und Tag in NRW – siehe Abbildung 9) und somit höhere Reini-
gungskapazitäten geplant wurden.
Abbildung 9: Entwicklung des Wasserverbrauches pro Kopf in NRW (Bildquelle: Wupper-
verband 2016, Datenquelle: IT.NRW (2016))
2.4 Gewässerentwicklungen
Hier nur erwähnt, aber nicht zu vernachlässigen sind die Veränderungen der
Gewässer. Waren es vor Allem in der Historie – zuletzt in der Region in den
60er Jahren – die technischen Ausbaumaßnahmen, sind es nun (auch vor dem
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„Bemessung im Wasserbau“ 95
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Hintergrund der Umsetzung der EU Wasserrahmenrichtlinie) die Renaturierun-
gen der Gewässer, welche für ein verändertes hydraulisches Regime sorgen.
Auch hier sind Entwicklungen teilweise nur abzuschätzen, da die Umsetzung
der Maßnahmen von unterschiedlichen Randbedingungen – wie Flächenverfüg-
barkeit – abhängen.
3 Bemessungskonzepte
Aus der Vielzahl an Datensätzen und der Überlagerung von Unsicherheitsberei-
chen, müssen zukünftig Konventionen zur Berücksichtigung getroffen werden.
Die Verwendung aller Daten (siehe Abbildung 10) unter Berücksichtigung des
Wissens zu Vertrauensbereichen und sich ergebenden Maßnahmenvarianten
führt zu notwendiger Kenntnis für die Entscheidungsfindung – Daten müssen zu
Informationen werden.
Bei der Dimensionierung von Talsperren z.B. werden bereits sehr hohe Wahr-
scheinlichkeiten angesetzt, welche somit bereits ein geringeres Restrisiko erlau-
ben. Beim Betrieb für die Niedrigwasseraufhöhung werden Unsicherheiten aus
den Messdaten (hier sehr relevant) jedoch nicht berücksichtig, was zu erhöhten
(Verluste für die Wasserbereitstellung) oder zu niedrigen Abgaben (nicht ausrei-
chende Wasserführung für die Biozönose) führen kann.
Abbildung 10: Basis für Entscheidungen – ein vielfältiger Daten und Informationspool
(Bildquelle: Wupperverband 2016)
Die Unsicherheit aus Zeitreihen und gerade den Prognoserechnungen sollte eher
zur Betrachtung und Verwendung von Phänomen (extreme Dürre oder Hoch-
wasserperioden z.B.) und repräsentativer statistischer Indizes zur Kennzeich-
nung führen, als viele Varianten der Langzeitsimulation und deren Auswertung
heranzuziehen. Ansätze aus der Kombination historisch begründeter und prog-
nostizierter Anfangsbedingungen mit Bemessungsniederschlägen führen zu Sze-
Page 104
96 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?
narien, welche in Ihren Auswirkungen (von bis) betrachtet und für die Bemes-
sung und den Betrieb verglichen werden können. Solche Szenarien können je-
derzeit fortgeschrieben und in vergleichbaren Situationen zur Entscheidungsfin-
dung herangezogen werden.
4 Umgang in der Kommunikation
Die Kommunikation von Unsicherheiten in der Bemessung und dem Betrieb der
Anlagen macht Entscheidungsprozesse in der ersten Betrachtung sicher nicht
leichter und erfordert ein höheres Maß an die Kenngrößen begleitende Informa-
tionen. Aber erstens kann damit der Entscheidungsprozess transparenter gestal-
tet werden und bei gleichzeitiger Kommunikation der jeweiligen Risiken, Kon-
sequenzen und Handlungsoptionen auch durch geeignete Vorsorge Risiken mi-
nimiert werden. Ein Beispiel sind hier die Tendenzen in der Warnung vor mar-
kanten Wetterwarnungen, welche durch begleitende Informationen der Unsi-
cherheiten und Entscheidungsfindung verbessert werden sollen und die Ein-
schätzung der „Kunden“ welche Handlungen sich ergeben sollten begleiten.
5 Literatur
DWD (2005) KOSTRA-DWD-2000, Starkniederschlagshöhen für Deutschland (1951-
2000) [Book], DWD, Offenbach am Main 2005.
MKULNV NRW (2017): http://www.flaechenportal.nrw.de, Ministerium für
Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen, Abgerufen am 12.01.2017
Scheibel, M. et al. (2014): Statistische Auswertungen aus 10 Jahren Radarmessungen und
Vergleich mit Regenschreibern. Wetterradar - Anwendungen für die
Wasserwirtschaft. Tagungsband zum VDI-Expertenforum, KRdL-Schriftenreihe 49,
Düsseldorf, 2014
Autoren:
Marc Scheibel
Wupperverband
Wassermengenwirtschaft
Untere Lichtenplatzer Straße 100
42289 Wuppertal
Tel.: +49 202 583-246
E-Mail: [email protected]
Paula Lorza
Wupperverband
Wassermengenwirtschaft
Untere Lichtenplatzer Straße 100
42289 Wuppertal
Tel.: +49 202 583-333
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenn-
größen in Sachsen
Björn Fischer
Uwe Büttner
Karin Kuhn
Hydrologische Abflusskenngrößen spielen eine entscheidende Rolle für die Pla-
nung und Bemessung wasserbaulicher Anlagen und dienen den Wasserbehörden
zu Prüfungszwecken. Dabei sind nicht nur Hochwasserkennwerte von Bedeutung,
z. B. zur Bemessung von Brücken, sondern auch Mittel- und Niedrigwasserkenn-
größen (ökologische Funktion der Gewässer).
Um diese Abflusskenngrößen verfügbar zu machen, wurden in den letzten Jahren
in Sachsen verschiedene Forschungsprojekte durch das Sächsische Landesamt für
Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) betreut und zusammen mit Part-
nern aus der Praxis bearbeitet.
Im Rahmen des Projektes KLiWES (Abschätzung der Auswirkung der für Sach-
sen prognostizierten Klimaveränderungen auf den Wasser- und Stoffhaushalt in
den Einzugsgebieten der sächsischen Gewässer – Teil Wasserhaushalt) wurde die
DHI WASY GmbH beauftragt, auf Basis einer landesweiten Regionalisierung
Niedrigwasserkennwerte (MNQ) zu ermitteln und diese webbasiert bereitzustel-
len. Für die Regionalisierung wurde die Verfahrenskombination Multiple lineare
Regression zur Bestimmung der MNQ und Top Kriging zum Ausgleich der Resi-
duen verwendet. Die Ergebnisse wurden in eine Datenbank überführt und können
seit 5/2014 im webbasierten Wasserhaushaltsportal Sachsen
(www.wasserhaushaltsportal.sachsen.de) abgefragt werden.
Zur flächendeckenden Bestimmung von Hochwasserkennwerten wurde im Zuge
des FuE-Vorhabens „Flächenhafte Bestimmung von Hochwasserspenden“ in den
Jahren 2009/2010 ein für das Gebiet Sachsens einheitliches Verfahren durch die
DHI WASY GmbH erarbeitet. Hierbei wurde die Verfahrenskombination Multip-
le lineare Regression zur Bestimmung des mittleren Hochwassers (MHQ), Top
Kriging zum Ausgleich der Residuen und das Index-Flood-Verfahren zur Be-
stimmung der Hochwasserabflüsse mit Wiederkehrintervall (HQT) verwendet.
2015 wurden die MHQ und HQT auf Basis einer aktualisierten Datengrundlage
neu berechnet. Um einen breiten Zugriff auf diese Kennwerte zu ermöglichen,
wurden die Ergebnisse in eine Datenbank überführt und werden in Kürze im Was-
serhaushaltsportal Sachsen abrufbar sein.
Ergänzend zu den bereits zur Verfügung stehenden Abflusskenngrößen werden
aktuell durch die DHI WASY GmbH flächendeckend Mittelwasserkennwerte
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98 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen
(MQ) ermittelt. Dabei kann auf Ergebnisse des KliWES-Projektes zurückgegrif-
fen werden. Auch diese Kennwerte werden im Wasserhaushaltsportal Sachsen
webbasiert abrufbar sein.
Im Ergebnis dieser Arbeiten können Hoch-, Mittel- und Niedrigwasserkennwerte
für Sachsen über das Wasserhaushaltsportal Sachsen abgerufen werden und ste-
hen Wasserbehörden, Betrieben sowie Planern frei zur Verfügung.
Stichworte: Niedrigwasser-, Mittelwasser- und Hochwasserkenngrößen, Wasser-
haushaltsportal Sachsen
1 Einleitung
In Sachsen wurden in den letzten Jahren verschiedene Forschungsprojekte durch
das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG)
zur Regionalisierung von Abflusskenngrößen betreut und zusammen mit Part-
nern aus der Praxis bearbeitet. Der vorliegenden Artikel gibt einen Überblick zu
den aktuellen Arbeiten und Ergebnissen. Aufgrund des Umfangs der Arbeiten
kann an dieser Stelle nur ein Teil der Arbeiten aufgezeigt werden. Für tieferge-
hende Recherchen zu den Daten, Methoden und Ergebnissen sein auf die Veröf-
fentlichungen LfULG (2012), DHI WASY (2015a), LfULG (2017) oder die
Web-Anwendung im Wasserhaushaltsportal Sachsen
(www.wasserhaushaltsportal.sachsen.de) mit dem enthaltenen Leitfaden verwie-
sen.
2 Methodik
Für die Regionalisierung von Durchflusskenngrößen sind in der Literatur eine
ganze Reihe von Methoden beschrieben. Zum Erreichen optimaler Ergebnisse
wurden für unterschiedliche Durchflusskenngrößen voneinander abweichende
Methoden bzw. Verfahrenskombinationen in Sachsen angewendet. Das war zum
einen in der zur Verfügung stehenden Datengrundlagen und zum anderen auf
den zu erzielenden Ergebnissen begründet.
Im Ergebnis eines Auswahlprozesses wurde für die Regionalisierung von Nied-
rigwasserkenngrößen und der mittleren Hochwasserabflüsse (MHQ) folgende
Verfahrenskombination verwendet:
multiple lineare Regression zwischen Durchflusskenngrößen und Ein-
zugsgebietskenngrößen und
regionale Analyse und Ausgleich der Residuen der multiplen linearen Re-
gression mit Top Kriging.
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Bei der Bestimmung der Hochwasserabflüsse mit Wiederkehrintervall (HQT)
kam darüber hinaus die
Bestimmung der höheren Momente (Varianz und Schiefe) der regionalen
Verteilungsfunktion mit dem Index-Flood-Verfahren
zur Anwendung.
Für die Regionalisierung von Mittelwasserabflüssen wurde auf vorhandene Er-
gebnisse aus dem KLiWES-Projekt zurückgegriffen. Aus diesem Grund wurden
die Daten im ersten Schritt mit der aktuellen Teileinzugsgebietsstruktur ver-
schnitten und anschließend die
regionale Analyse und Ausgleich der Residuen mit Top Kriging
durchgeführt.
Bei der multiplen linearen Regression werden Durchflusskenngrößen von Pe-
geln und Gebietskenngrößen der Pegeleinzugsgebiete durch Regressionsmodelle
miteinander verknüpft. Dabei wird davon ausgegangen, dass mit den aufgestell-
ten Modellen auch für unbeobachtete Gewässerquerschnitte, deren Gebietskenn-
größen bekannt sind, Durchflusskenngrößen bestimmt werden können.
Top Kriging gehört zur Gruppe der geostatistischen Verfahren, die auf der An-
nahme beruhen, dass benachbarte Gebiete ein ähnliches Abflussverhalten zeigen
(BLÖSCHL, 2006), da sich Klima und Gebietseigenschaften nur allmählich im
Raum ändern. Geostatistische Verfahren werden zur räumlichen Interpolation
vieler hydrologischer Größen wie Grundwasserstand, Niederschlag oder Boden-
feuchte verwendet und wurden auch in anderen Regionen schon erfolgreich zur
Bestimmung von regionalen Hochwasserkennwerten (z. B. MERZ und
BLÖSCHL, 2005) und auch Niedrigwasserkennwerten angewandt (LAAHA,
2008).
Für die aktuellen Arbeiten wurden anstatt Durchflusskenngrößen Residuen ver-
wendet. Mit den regionalisierten Residuen (Differenzen zwischen den mittels
der multiplen linearen Regression berechneten Durchflüssen und den Durchflüs-
sen aus der Pegelstatistik) können die mittels der multiplen linearen Regression
bestimmten Durchflüsse beaufschlagt werden. Im Ergebnis zeigen die Pegelein-
zugsgebiete annähernd die beobachteten Durchflüsse. Des Weiteren werden die
Abweichungen zwischen beobachteten und berechneten Durchflüssen auf ähnli-
che Gebiete in der jeweiligen Nachbarschaft übertragen, so dass mögliche
Durchflussüber- bzw. -unterschätzungen durch die Regressionsmodelle in den
unbeobachteten Gebieten in gewissem Maße ausgeglichen werden können.
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100 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen
Das Index-Flood-Verfahren (DALRYMPLE, 1960) ist die bekannteste Methode,
welche auf der Bestimmung homogener Regionen beruht. Das Verfahren besteht
aus drei Schritten. Im ersten Schritt werden homogene Regionen gefunden. Im
zweiten Schritt werden die Hochwasserwahrscheinlichkeitskurven der Pegel in-
nerhalb der homogenen Region mit dem MHQ (der Index-Flood) normiert und
zu einer einzigen regionalen Verteilung zusammengefasst. Für Pegelgebiete mit
Durchflussmessungen werden schließlich in einem dritten Schritt die aus den
Durchflussmessungen bestimmten MHQ mit der regionalen Verteilung multipli-
ziert, wodurch sich die gesuchten Hochwasserscheiteldurchflüsse mit Jährlich-
keit HQT ergeben. Für Gebiete ohne Durchflussmessungen werden die MHQ aus
Beziehungen zu diversen Einzugsgebietscharakteristika ermittelt, z. B. über eine
multiple lineare Regression.
3 Datengrundlagen
Die Datengrundlage für die Regionalisierung von Niedrig- bis Hochwasser-
durchflüssen bilden beobachtete Durchflussdaten hydrologischer Pegel von
Fließgewässern in Sachsen. Vor der weiteren Verwendung der Daten war eine
Reihe von Vorarbeiten notwendig:
Verlängerung der Pegel-Beobachtungsreihen (mit Vorgänger- und Nach-
folgepegeln)
Datenkorrekturen und Lückenfüllung in den Beobachtungsreihen der Pe-
gel
Überprüfung auf Beeinflussungen der Pegel und Kürzen der Beobach-
tungsreihen bzw. Entfernen der Pegel aus dem Datenkollektiv
Auf Basis dieser Daten wurden anschließend die Durchflusskennwerte MNQWin-
ter, MNQSommer, MNQGesamtjahr, MQ und MHQ bestimmt. Zur Ermittlung der HQT
mit T = 2, 5, 10, 20, 25, 50, 100 und 200 Jahren kam das Programm zur Berech-
nung von Hochwasserwahrscheinlichkeiten HQ-EX 4.0 (DHI WASY 2015b)
zur Anwendung.
Zur Bestimmung der mittleren Durchflüsse in Sachsen wurde auf vorhandene
Ergebnisse aus dem KLiWES-Projekt zurückgegriffen, in dem bereits für den
Großteil von Sachsen entsprechende Durchflüsse ermittelt wurden.
Für die anzuwendenden Regionalisierungsverfahren multiple lineare Regression
und Top Kriging waren Geodaten und daraus für räumliche Einheiten abgeleite-
te Gebietskenngrößen notwendig. Im Zuge der Modellerstellung wurden diese
Gebietskenngrößen zunächst für die Einzugsgebiete der verwendeten Fließge-
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wässerpegel und später für alle Einzugsgebiete gemäß Digitalem Flächenver-
zeichnis (Stand August 2015) bereitgestellt.
Die Auswahl der Gebietskenngrößen, die in die Regionalisierung einzubeziehen
waren, gestaltete sich insofern schwierig, dass die Gebietskenngrößen, die einen
signifikanten Einfluss auf die Durchflüsse haben, a priori nicht bekannt sind.
Aufbauend auf den Erfahrungen bei der Hochwasserregionalisierung in Bran-
denburg (DHI WASY 2009), Sachsen (LfULG, 2013), Rheinland-Pfalz
(DHI WASY 2010) und Thüringen (DHI WASY 2012) kamen folgende Ge-
bietskenngrößen für die Regionalisierung prinzipiell in Frage:
Hydrographische und morphologische Kenngrößen, z. B. Einzugsgebiets-
fläche, Einzugsgebietsform, Fließgewässerdichte, Geländegefälle, Gelän-
dehöhe
Meteorologische und hydrologische Kenngrößen, z. B. mittlerer Jahres-
niederschlag, mittlerer jährlicher Zufluss zum Speicher der langsamsten
unterirdischen Abflusskomponente, Rückgangskonstante der langsamsten
unterirdischen Abflusskomponente
Landnutzungskenngrößen, z. B. Waldanteil, Anteil der bebauten Fläche
Bodenkenngrößen, z. B. nutzbare Feldkapazität
Grundsätzlich müssen die ausgewählten Gebietskenngrößen flächendeckend,
d. h. auch für die außerhalb des Territoriums Sachsens zu berücksichtigenden
Einzugsgebietsanteile, ableitbar sein. Die Grundlage für die Ermittlung der Ge-
bietskenngrößen ist daher eine konsistente digitale Geodatenbasis für das ge-
samte über Sachsen hinausgehende Untersuchungsgebiet.
4 Ergebnisse
Nach Anwendung der Regionalisierungsverfahren lagen für 3349 Zu- und 6240
Ausflussquerschnitte der Teileinzugsgebiete Durchflüsse und Durchflussspen-
den vor.
Diese Ergebnisse wurden anschließend einer Reihe von Tests und anschließen-
den Korrekturen und Plausibilisierungen unterzogen. Es wurden untersucht:
unplausibel geringe Abflussspenden,
lokale Konsistenz der Abflussspenden,
Plausibilisierung der Abflüsse im Flusslängsschnitt.
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102 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen
Abbildung 1: Durchflussspende für MNqGesamtjahr, Mq und Hq100 an den Ausflussknoten der
Teileinzugsgebiete
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Beispielsweise wurde als eine unplausibel geringe Abflussspende für
MNqGesamtjahr ein Abfluss von 0,3 l/(s*km²) festgelegt, da dies in etwa dem Wert
entspricht, den die verwendeten Pegel mit den geringsten Abflussspenden im
Untersuchungsgebiet besitzen. Wurden geringere Abflussspenden registriert,
erfolgte eine Anhebung der Abflussspende auf den genannten Wert.
Die Einhaltung der lokalen Konsistenz fordert, dass an einem Querschnitt z. B.
MNQGesamtjahr ≤ MNQSommer ≤ MNQWinter < MQ ist.
Bei Verletzung der lokalen Konsistenz wird der entsprechende Durchflusswert
auf den kleinsten plausiblen Wert angehoben. Verfahrensbedingt ist bei den
HQT ist die lokale Konsistenz immer gegeben.
Bei der Plausibilitätsprüfung im Flusslängsschnitt wurde festgelegt, dass die Ab-
flüsse im Längsschnitt zunehmen bzw. zumindest konstant bleiben sollten. Da-
bei werden mehrere Fälle unterschieden. Bei einer Verletzung der Plausibilitäts-
kriterien wurde der entsprechende Abfluss auf den kleinstmöglichen plausiblen
Wert angehoben.
In Abbildung 1 sind beispielhaft die berechneten, korrigierten und plausibilisier-
ten Abflussspenden für MNqGesamtjahr, Mq und Hq100 an den Ausflussknoten der
Teileinzugsgebiete enthalten.
5 Webanwendung im Wasserhaushaltsportal
Über das Wasserhaushaltsportal Sachsen werden die regionalisierten Abfluss-
kenngrößen in einer Browserumgebung für Wasserbehörden und andere An-
wender schnell und komfortabel bereitgestellt.
Die internetbasierte Anwendung setzt auf die GIS-Standard-Software ArcGIS-
Server der Fa. Esri und auf Software von DHI WASY auf. Basis der in der We-
banwendung dargestellten und abfragbaren Themen bildet ein Kartendokument
mit den in einer Datenbank gespeicherten Projektergebnissen, welches veröf-
fentlicht wird. Als Hintergrundkarte wurde der WMS Dienst WebAtlasSN
(Stand 2015) mit Informationen aus dem Digitalen Landschaftsmodell und den
Hauskoordinaten aus dem Liegenschaftskataster integriert.
Die Durchflüsse und Durchflussspenden können für beliebig wählbare Fließge-
wässerabschnitte abgefragt werden. Die Auswahl des Querschnitts kann interak-
tiv in der Karte durch Setzen eines beliebigen Punktes im Fließgewässernetz o-
der über eine Auswahlliste der Gewässer erfolgen. Die berechneten Kennwerte
werden längengewichtet zwischen dem Zufluss und -Ausfluss des gewählten
Einzugsgebietes interpoliert und in einer Tabelle für den Anwender dargestellt.
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104 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen
In Abbildung 2 ist beispielhaft die Benutzeroberfläche der Webanwendung an
einem ausgewählten Gewässerabschnitt mit den Abflussspenden für MNqWinter,
MNqSommer, MNqGesamtjahr, Mq dargestellt.
Abbildung 2: Benutzeroberfläche der Webanwendung „MNQ, MQ und Querbauwerke“ mit
ausgewähltem Gewässerquerschnitt und Stammdatenblatt
Die in der Webanwendung hinterlegten Kennwerte bzw. Durchflüsse sind von
den Nutzern in der wasserwirtschaftlichen Praxis jeweils unter Beachtung des
entsprechenden Anwender-Leitfadens zu verwenden (Abbildung 3). Diese erläu-
tern die wichtigsten fachlichen Hintergründe und zeigen, wie die betreffenden
Kennwerte im webbasierten „Wasserhaushaltsportal Sachsen“ hinterlegt sind
und von dort abgerufen werden können.
Die seit 2014 für die Öffentlichkeit freigebende bisherige Webanwendung
“Niedrigwasserkennwerte“ wurde im Zuge der Aktualisierung der Datengrund-
lagen 2015 sowie der Erweiterung um Mittelwasser- und Hochwasserkennwerte
überarbeitet und wird der breiten Öffentlichkeit ab Mitte 2017 zur Verfügung
stehen.
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Abbildung 3: Leitfaden Niedrigwasserkennwerte (bisheriger Stand 2014)
6 Literatur
BLÖSCHL, G. (2006): Geostatistische Methoden bei der hydrologischen
Regionalisierung. In: Wiener Mitteilungen, Wasser-Abwasser-Gewässer, Band,
197, Technische Universität Wien, pp. 21-40.
DALRYMPLE, T. (1960): Flood-frequency analysis - manual of hydrology, part 3. U. S.
Geolo-gical Survey, Water Supply Paper 1543-A, Washington.
DHI WASY (2009): Landeseinheitliche Regionalisierung von Hochwasserabflüssen im
Land Brandenburg. Schlussbericht, DHI-WASY GmbH im Auftrag des
Landesumweltamtes Brandenburg.
DHI WASY (2010): Überarbeitung des im Land Rheinland-Pfalz genutzten Verfahrens
zur Regionalisierung von Hochwasserabflüssen. Schlussbericht, DHI-WASY
GmbH im Auftrag des Landesamtes für Umwelt, Wasserwirtschaft und
Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz.
DHI WASY (2012): Hochwasserregionalisierung Thüringen. Schlussbericht, DHI-WASY
GmbH im Auftrag der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie.
DHI WASY (2015a): Neubestimmung von Hochwasser-wahrscheinlichkeiten nach dem
Hochwasser im Jahr 2013. DHI WASY GmbH im Auftrag des Sächsischen
Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie.
Page 114
106 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen
DHI WASY (2015b): HQ-EX 4.0 – Programm zur Berechnung von
Hochwasserwahrscheinlichkeiten. Benutzerhandbuch, DHI WASY GmbH.
LAAHA, G. (2008): Aspekte der statistischen Modellierung raumbezogener
Umweltdaten am Beispiel von Abflussdaten. Universität für Bodenkultur Wien;
Habilitation im Fach Umweltstatistik.
LfULG (2012): Flächenhafte Bestimmung von Hochwasserspenden. Schriftenreihe des
Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Heft 3/2012.
LfULG (2017): KLIWES - Klimawandel und Wasserhaushalt in Sachsen. Schriftenreihe
des Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie,
(Veröffentlichung geplant).
MERZ, R. and BLÖSCHL, G. (2005): Flood frequency regionalisation – spatial
proximity vs. catchment attributes. Journal of Hydrology, 302, 283-306.
Autoren:
Dipl.-Hydrol. Björn Fischer
DHI WASY GmbH
Abteilung Solution
Volmerstraße 8
12489 Berlin
Tel.: +49 (0)30 67 99 98 602
Fax: +49 (0)30 67 99 98 99
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Hydr. Uwe Büttner
Sächsisches Landesamt für Umwelt,
Landwirtschaft und Geologie
Referat 45
Pillnitzer Platz 3
01326 Dresden
Tel.: +49 0351 8928 4512
Fax: +49 0351 8928 4099
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Hydr. Karin Kuhn
Sächsisches Landesamt für Umwelt,
Landwirtschaft und Geologie
Referat 44
Pillnitzer Platz 3
01326 Dresden
Tel.: +49 0351 8928 4400
Fax: +49 0351 8928 4099
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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Einfluss dynamischer Laständerungen auf die
Grundwasserströmung und die Spannungsvertei-
lung bei Erdbauwerken im Wasserbau
Héctor Montenegro
Bernhard Odenwald
Dynamische Laständerungen, seien es mechanische oder hydraulische, z. B. in-
folge Wellen oder variierende Speicherwasserstände, können Porenwasserströ-
mungen sowie Bodenverformungen auslösen, die unter bestimmten Bedingungen
zum Versagen von Gründungen, Böschungen usw. führen können. Hierbei kommt
es zum Verlust der Scherfestigeit bis hin zur weitgehenden Fluidisierung, oder es
werden Transportvorgänge wie Erosion, Suffusion, Kolmation induziert. Gasein-
schlüsse im Grundwasser spielen für das Auftreten solcher Ungleichgewichte eine
wesentliche Rolle. Dies ist in der Ingenieurpraxis wenig bekannt und wird in den
Bemessungsregelwerken derzeit nicht hinreichend berücksichtigt.
Stichworte: gekoppeltes Grundwasserströmungs-und Verformungsverhalten;
Gaseinschlüsse im Boden; Bemessungssituationen für Erdbauwerke
1 Hydraulisch induzierte Verformungs- und Strömungsvorgänge
Eine mechanische Beanspruchung eines wassergesättigten Bodens wirkt sich auf
die Bodenkörner und das deutlich kompressiblere Korngerüst aus. Bei geringer
hydraulischer Durchlässigkeit jedoch steift das nahezu inkompressible Poren-
wasser die Kornmatrix aus und übernimmt die Laständerung. Hierbei entstehen
je nach Art der Beanspruchung (Be- oder Entlastung) lokale Porenwasserüber-
drücke oder –defizite, die eine Ab- oder Zuströmung induzieren. Die Lastände-
rungen werden sukzessiv vom Porenwasser auf das Korngerüst übertragen bis
zum Erreichen des neuen Gleichgewichtzustands. Die hierbei auftretenden
Strömungs- und Verformungsprozesse wurden erstmals von Terzaghi erkannt
und gingen bereits früh in Bemessungsregelwerke ein (Fredlund et al. 2012).
Bei hydraulischen Laständerungen wird im Allgemeinen eine unverzügliche
Ausbreitung des veränderten Druckniveaus im Boden und somit ein sofortiges
Erreichen eines neuen Gleichgewichtzustands angenommen. Dies setzt eine
vollständige Sättigung des Porenraums mit einem nahezu inkompressiblen Fluid
voraus. Wenn diese (stillschweigenden) Annahmen nicht vorliegen, und das
kommt gerade im Wasserbau häufig vor, bauen sich, gleichsam einer mechani-
Page 116
108 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die
Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau
schen Beanspruchung, Porenwasserdruckunterschiede auf, die wiederum Po-
renwasserströmungen und Spannungsänderungen auslösen. Unter bestimmten
Bedingungen kann es hierbei zum Versagen von Gründungen, Böschungen usw.
infolge Abminderung der Scherfestigkeit, Fluidisierung und/oder Transportvor-
gänge wie Erosion, Suffusion, Kolmation kommen. Derartige Ungleichge-
wichtszustände bei hydraulischen Beanspruchungen sind in der Ingenieurpraxis
kaum bekannt und werden in den Regelwerken zur Bemessung unzureichend
berücksichtigt, siehe Montenegro (2016).
1.1 Gaseinschlüsse unterhalb des Grundwasserspiegels
Geringste Gasanteile in Form feiner, im Porenraum eingeschlossener Bläschen
etwa infolge von fluktuierenden Wasserständen oder biogenen Ursprungs dürf-
ten in natürlichen Böden aber auch in Meer- und Flusssedimenten eher die Regel
als die Ausnahme sein. Aufgrund der beträchtlichen Kompressibilität der Gas-
phase und je nach Einwirkungsgeschwindigkeit und Durchlässigkeitseigenschaf-
ten kann sich das Erreichen des neuen Gleichgewichtszustands nach hydrauli-
schen Laständerungen deutlich verzögern, siehe Köhler und Montenegro (2003).
Unter Vernachlässigung von Oberflächenspannungseffekten kann man in erster
Näherung die Kompressionssteifigkeit des Wasser-Gas-Gemischs Kwg basierend
auf die Kompressionssteifigkeiten von Wasser Kw [F/L2] und Gas Kg [F/L2] so-
wie den Sättigungsgrad [-] berechnen. Gemäß dem Boyle-Mariotte-Gesetz ent-
spricht die Gaskompressibilität dem jeweils vorherrschenden absoluten Druck
p0, der der Summe aus atmosphärischem Druck pa [F/L2] und Porenwasserdruck
pw [F/L2] entspricht, siehe Fredlund et al. (2012).
(1)
Ist die Kompressibilität des Porenfluids (Wasser-Gas-Gemisch) gegenüber der
Kompressibilität des Korngerüsts nicht vernachlässigbar, so wirken hydraulische
Laständerungen auf das Fluid und das Korngerüst ein und bewirken eine Ände-
rung sowohl des Porenwasserdrucks als auch der effektiven Spannungen. Ein
Maß für die Aufteilung ergibt sich aus dem Kontrast der Kompressionssteifig-
keiten von Boden (entspricht dem Steifemodul Es [F/L2] bei 1D-Belastung) und
Fluid Kwg [F/L2] unter Berücksichtigung der Porosität n [-]. Dies lässt sich in
Anlehnung an Skemptons B-Parameter durch einen dimensionslosen Lastauftei-
lungsparameter, der zwischen 0 und 1 variieren kann, ausdrücken, siehe Stelzer
et al. (2014):
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(2)
Zur Veranschaulichung kann man sich einen (raschen) Anstieg des Wasser-
stands in einem Gewässer vorstellen, der zu einer Erhöhung des Porenwasser-
drucks an der Sohle und Böschung führt. Hierdurch werden die in der Korn-
matrix eingeschlossenen Gasbläschen komprimiert. Bevor sich die durch den
Aufstau bedingte Druckänderung weiter im Boden ausbreiten kann, muss Was-
ser nachfließen und das komprimierte Gasvolumen ausgleichen. Je nach aufzu-
füllendem Gasvolumen und Bodendurchlässigkeit kann dies jedoch eine Zeit
dauern, während der ein Druckungleichgewicht vorherrscht. Dieses induziert
eine in Richtung des Potentialgefälles gerichtete Strömungskraft, die sich au-
genblicklich als Erhöhung der effektiven Spannungen auswirkt. Abhängig von
den Durchlässigkeitseigenschaften und der Länge des effektiven Dränagewegs
strömt Wasser nach, wodurch das anfängliche Druckungleichgewicht nach und
nach abgebaut wird bis zum Erreichen eines zur hydraulischen Laständerung
kompatiblen neuen Gleichgewichts, siehe Stelzer et al. (20114). Ein rascher Ab-
sunk löst die gleichen dynamischen Ungleichgewichte aus, die jedoch problema-
tischer sein können, weil die Druckgradienten/Strömungskräfte vom Boden nach
außen weisen und die Standsicherheit der Böschung beeinflussen können, wie in
Montenegro und Stelzer (2014), Montenegro et al. (2015) beschrieben.
2 Gekoppelte Strömungs- und Verformungsberechnung
Montenegro hat 2015 die für das gekoppelte Strömungs- und Verformungsver-
halten in einer Bodensäule bei hydraulischer Beanspruchung unter Berücksichti-
gung von Gaseinschlüssen maßgebenden Parameter identifiziert. Die sich infol-
ge einer Wasserstandsänderung h [L] einstellende Porenwasserdruckverteilung
p(z,t) [F/L2] wird von der Länge des Dränagewegs/Mächtigkeit der Boden-
schicht L [L], der Absunkdauer t [T], der hydraulischen Durchlässigkeit k
[L/T] und schließlich dem Verhältnis der Kompressionssteifigkeiten von Korn-
gerüst Es und Fluid Kwg bestimmt. Die Fluidsteifigkeit ist, wie oben dargestellt,
vom Sättigungsgrad sowie vom Umgebungsdruck abhängig.
2.1 Analytische Lösung
In Theory of Linear Poroelasticity weist Wang (2000) auf eine analytische Lö-
sung für ein thermodynamisches Problem vom Boussinesq-Typ hin, das auf die
gekoppelte 1D-Strömungs-Verformungs-Berechnung übertragbar ist. Die analy-
Page 118
110 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die
Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau
tische Lösung liefert den Porenwasserüberdruck p(z,t) in einer Bodenschicht
während einer gleichmäßigen Auflaständerung Δσ[F/L2] (d. h. mit konstanter
Geschwindigkeit v = Δσ/Δt [F/L2T]). Der analytische Ausdruck, der Gasein-
schlüsse explizit über die Fluidkompressibilität berücksichtigt, konnte auf hyd-
raulische Einwirkungen erweitert werden. Es zeigt sich, dass die Porenwasser-
drücke infolge mechanischer Einwirkung sich komplementär zu den Porenwas-
serdrücken infolge hydraulischer Einwirkung verhalten, siehe Stelzer et al.
(2014). Bei hydraulischer Belastung lautet die analytische Lösung:
(3)
Mit cv = k/{(1/Es+n/Kwg)∙γw} [L2/T] taucht der bereits von Terzaghi eingeführte
Konsolidationsfaktor auf, der das Verhältnis von Durchlässigkeits- zu Speicher-
eigenschaften des Bodens ausdrückt. Dies verdeutlicht, dass Einschätzungen der
Geschwindigkeit der Laständerung v = Δh/Δt mit Begriffen wie „schnell“ oder
„langsam“ stets im Kontext der Durchlässigkeitseigenschaften zu bewerten sind,
sie umfassen auf der Zeitskala eine Bandbreite von Sekunden bis Monaten.
Das für eine Bemessung maßgebende Maximum des Porenwasserüberdrucks
tritt am Ende der Belastungsdauer ein, da die simultan zur Einwirkung ablaufen-
de Dissipation für eine kontinuierliche Abnahme vom Druckungleichgewicht
sorgt, siehe Montenegro (2015). Man kann Gleichung (3) in ein dimensionsloses
Diagramm überführen (s. Abbildung 1), mit dem man den maximalen Poren-
wasserüberdruck p(z, t=Δt) am Ende der Laständerung (Anstieg oder Absunk)
bestimmen kann. Abhängig vom Betrag des Porenwasserüberdrucks lässt sich
der für eine sichere Bemessung erforderliche Analyseaufwand beurteilen. Fol-
gende Parameterkurven wurden mittels gekoppelter FE-Berechnung verifiziert.
Die einzelnen Kurven werden über den Parameter Δt/τ [-] differenziert. Hierbei
charakterisiert τ =L2/cv [T] das während der Belastungsdauer Δt zur Verfügung
stehende Dränagevermögen. Die dimensionslose Darstellung in Abbildung 1 er-
laubt für jede denkbare Kombination von Elastizitäts- und Durchlässigkeitsei-
genschaften, für beliebige Sättigungsgrade, die indirekt über Kwg im Parameter
B* berücksichtigt werden, sowie Schichtmächtigkeit und Belastungsgeschwin-
digkeit die Porenwasserüberdrücke auszuwerten. Druckungleichgewichte wer-
den stets auf den (hydrostatischen) Gleichgewichtszustand am Ende der Lastän-
derung bezogen. Folglich ist ein Absunk positiv definiert und induziert Poren-
wasserüberdrücke (positives Vorzeichen). Ein Aufstau wird negativ definiert
und bewirkt einen Porenwasserdruckdefizit (negatives Voreichen).
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Abbildung 1: Dimensionslose Darstellung des Porenwasserüberdrucks in einer Boden-
schicht am Ende einer linear variierenden hydraulischen Belastung.
Weist eine Auswertung basierend auf obigem Diagramm auf unschädliche Po-
renwasserüberdrücke hin, so kann gemäß den anerkannten Bemessungsverfah-
ren vorgegangen werden. Man kann sich mittels eines Grundwasserströmungs-
modells das Potentialfeld ausrechnen und dieses für die Spannungs-
Verformungsanalyse übernehmen. Sind diese Porenwasserüberdrücke jedoch
nicht unerheblich, dann sollte eine gekoppelte Strömungs-Verformungs-
Berechnung zum Einsatz kommen. Bei jeder Anwendung sind die zugrunde ge-
legten Annahmen, homogener Aufbau, linear-elastisches Verhalten sowie ein-
dimensionale Belastung stets im Auge zu halten.
2.2 Säulenversuche
Zur Untersuchung von Wasser-Boden-Wechselwirkungen unter komplexen hyd-
raulischen Randbedingungen wurde in der BAW Karlsruhe eine Wechseldurch-
strömungsanlage (WDA) entwickelt. Details zum Aufbau der Anlage, der er-
fassten Zustandsgrößen sowie der Auswertung ausgewählter Experimente finden
sich in Ewers (2016). Nicht-bindige Böden wurden in einen Plexiglaszylinder
(Höhe ca. 0,8 m, Durchmesser ca. 0,33 m) eingebaut, der mit Drucksensoren in
unterschiedlichen Höhenlagen ausgestattet ist. Die Wechseldurchströmungsan-
lage ist schematisch in Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.
links dargestellt. Der untere Rand der Säule ist undurchlässig, während am obe-
ren wasserdurchlässigen Rand eine mit definierter Geschwindigkeit veränderli-
che Wasserstandsänderung aufgebracht wird. Die Versuchsanlage erlaubt unter-
schiedliche Druckhöhen einzusteuern, wodurch sich unterschiedliche Wassertie-
fen realisieren lassen. Zur Validierung des oben vorgestellten Ansatzes eignet
Page 120
112 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die
Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau
sich eine Versuchsreihe, bei der sowohl die Laständerung von Δh = 3 m WS, in
diesem Falle ein Absunk, und die Lastdauer Δt = 15 s (Absunkgeschwindigkeit
v = 0,2 m/s) bei allen Experimenten vorgegeben wurden. Lediglich der absolute
Wasserdruck in der Bodensäule wurde in den einzelnen Versuchen von 140 bis
500 kPa variiert, was Wassertiefen von 4 bis 40 Metern entspricht. Die unter-
schiedlichen Druckniveaus wirken sich aufgrund der Gaskompressibilität auf die
Kompressionssteifigkeit der Gasphase aus. Die Versuchsanlage erlaubt die auf-
grund der Wasserstandsänderungen auftretenden Wasserflüsse aus der Bo-
densäule zu erfassen. Unter der Annahme, dass diese Wasserflüsse vorwiegend
die Volumenänderung der Gasphase (Dekompression beim Absunk) und nicht
so sehr die Matrixdeformation widerspiegeln, kann man Die Fluidkompressibili-
tät berechnen und damit das Steifigkeitsverhältnis zwischen Matrix und Fluid
über den Parameter B* bestimmen, siehe Ewers (2016). Die mittels Potential-
gradienten bestimmte hydraulische Durchlässigkeit lag bei k ≈ 1,2 – 2,0 10-4
m/s. Der Betrag des Steifemoduls Es wurde abgeschätzt. Die Versuchsparameter
sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Tabelle 1 Parameter zur Auswertung der Bodensäulenversuche
Absolut-
druck
Durchläs-
sigkeit
Steife-
modul
Porosität Kompressions-
modul Fluid
Sättigungs-
grad
Lastauftei-
lung
p0 k Es n Kwg S B*
kPa m/s kPa - kPa - -
140 1.3E-04 18850 0.42 1061 0.87 0.119
180 1.3E-04 18850 0.42 1895 0.91 0.195
300 1.3E-04 18850 0.42 5455 0.95 0.411
500 1.3E-04 18850 0.42 16667 0.97 0.681
Der Vergleich zwischen gemessenen Porenwasserüberdrücken und Auswertung
mittels analytischer Lösung für die gekoppelte Strömungs-Verformungs-
Berechnung gemäß Gleichung (3) ist in Abbildung 2, rechts dargestellt. Man
kann für sämtliche Experimente eine gute Übereinstimmung zwischen analyti-
schem Ansatz und Versuchsergebnissen feststellen.
Die Experimente spiegeln den Einfluss des Gasgehaltes auf den Betrag und Ver-
teilung der Porenwasserüberdrücke am Ende des Absunks wider. Während bei
einem Druckniveau von 140 kN/m2 (4 m Wassertiefe, Sättigungsgrad 87 %) am
unteren Rand der Bodensäule noch Überdrücke in der Größenordnung von ca.
50 % der Laständerung auftreten, sind das bei einem Druckniveau von
500 kN/m2 (40 m Wassertiefe, Sättigungsgrad 97 %) weniger als 4 %. Was be-
messungsrelevant ist, muss der Ingenieur im Kontext des zu behandelnden
Nachweises entscheiden. Die Gradienten des Porenwasserüberdrucks im oberen
Bereich induzieren Strömungskräfte und diese können im Kontext der Bewer-
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tung der Filterstabilität gegenüber einer Deckschicht oder einer etwaigen hydro-
dynamischen Bodenverlagerung durchaus kritische Werte annehmen.
Abbildung 2: Schematische Darstellung der Säulenversuche in der WDA (links). Gemesse-
ne (Symbole) und analytisch ausgewertete Porenwasserüberdrücke.
2.3 Druckverteilung in einem Erddamm nach Stauspiegelabsenkung
Das in Schottland 1957 errichtete Glen Shira Pumpspeicherbecken wird durch
einen ca. 17 m hohen Erddamm eingestaut, siehe Paton und Sample (1961). In
dem aus Moränenmaterial (k = 1,6∙10-8 m/s, E-Modul = 100 MPa) gebauten
Damm, der wasserseitig mit einer Steinschüttung versehen ist, fungiert eine Be-
tonwand als Kerndichtung. Beim Bau wurden Porenwasserdruckaufnehmer in-
stalliert, um die Reaktion des Porenwasserdrucks auf Speicherspiegeländerun-
gen aufzuzeichnen. Der Aufbau des Erddamms sowie die Lage der 5 Piezometer
sind in Abbildung 3 dargestellt.
Abbildung 3: Schnitt durch den Glen Shira Damm Paton und Sample (1961).
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114 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die
Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau
Bei der Analyse der Messdaten fanden Paton und Semple (1961) erhebliche Un-
terschiede zwischen der theoretisch zu erwartenden (Abbildung 4 links) und der
auf Grundlage der interpolierten Messdaten ausgewerteten Potentialverteilung
(Abbildung 4 rechts) am Ende einer Probeabsenkung. Die Messdaten zeigten,
dass am Ende des Absunks, der immerhin 4 Tagen dauerte, im feinkörnigen
Dammkern deutlich höhere Potentiale vorherrschen als erwartet. Folglich treten
nach außen weisende hydraulische Gradienten entlang der Böschung sowie an
der Basis oberhalb einer Filterschicht auf.
Abbildung 4: Theoretisch erwartete (links) und gemessene Potentialverteilung (rechts) im
Glen Shira Damm am Ende einer Probeabsenkung (Potentialhöhen in Fuß)
aus Paton und Sample (1961).
Die gemessene Potentialverteilung weist auf einen verzögerten Druckausgleich
während der Speicherleerung hin und wurde von Paton und Sample (1961) mit
dem Vorhandensein von Gaseinschlüssen erklärt. Eine ähnliche Verzögerung
des Druckausgleichs infolge volumetrischer Bodenverformungen während des
Absunks, so wie sie Pinyol et al. 2008 annahmen, kann aufgrund der hohen Bo-
densteifigkeit nicht als Erklärung dienen, siehe Stelzer et al. (2014).
Der oben vorgestellte analytische Ansatz sollte eine Abschätzung der Porenwas-
serüberdrücke im Dammkern ermöglichen. Wenn man die reale 2D-
Belastungssituation, bei der die Wasserstandsänderung sowohl an der Böschung
als auch an der Dammbasis wirkt, auf eine 1D-Situation übersetzt, dann kann
man eine Trennstromlinie in der Winkelhalbierenden des Dammkörpers anneh-
men, was einer „fiktiven“ Dränagelänge von L = 5 m entspricht. Unter der An-
nahme einer „mittleren“ Wassertiefe während der Absenkung von 5 m (Abso-
lutdruck p0 = 150 kPa), einer Porosität von n = 0,25 und einem angenommen
Gasvolumen von 2 % (ein Wert den man in Säulenversuchen häufig vorfindet)
erhält man eine Kompressionssteifigkeit für das Fluid Kwg = von 7,5 MPa und
somit einen Lastaufteilungsfaktor von B* = 0,22. Mit Δt/τ = 0,45 ergibt sich aus
Ablesung im dimensionslosen Diagramm in Abbildung 1 der maximale Poren-
wasserüberdruck zu p/A0 = 0,63 und nach Auswertung von A0 zu p = 51 kPa.
Alle zur Auswertung erforderlichen Größen sind in Tabelle 2 aufgelistet.
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Tabelle 2 Parameter für die Auswertung des Porenwasserüberdrucks im Innern des
Glenn Shira Damms.
Der mit dem dimensionslosen Diagramm abgeschätzte Porenwasserüberdruck
im Innern des Damms (ca. 5 m oberhalb der Aufstandsfläche) beträgt ca. 51 kPa.
Eine Auswertung mittels FE-Grundwasserströmungsmodell ergäbe im Innern
des Dammkerns hingegen Saugspannungen. Eine gekoppelte FE-Strömungs-
Verformungs-Berechnung von Stelzer (2016) ergab im Bereich zwischen
Druckaufnehmer 2 und 4, etwa 5 m oberhalb der Aufstandsfläche, am Ende des
Probeabsunks einen Porenwasserüberdruck von 60 kPa, was trotz der vereinfa-
chenden Annahmen sehr gut mit der analytischen Auswertung übereinstimmt.
3 Schlussfolgerungen
Gerade im maritimen und auch im Binnenbereich sorgen Wasserstandsänderun-
gen nicht selten für dynamische Ungleichgewichte in Form großer Porenwasser-
überdrücke und/oder Porenwasserströmungen. Obwohl solche Phänomene das
Strömungs-Verformungs-Verhalten im Boden/porösen Medium entscheidend
beeinflussen können, werden sie derzeit nur ungenügend in den Nachweisver-
fahren berücksichtigt. Verantwortlich hierfür ist die bislang nicht hinreichend
verknüpfte bodenmechanische und geohyraulischen Analyse der interagierenden
Strömungs- und Verformungsprozesse im Boden. Der vorliegende Beitrag legt
die maßgebenden Mechanismen dar und erläutert die Rolle von Gaseinschlüssen
bei der Entstehung von Ungleichgewichten infolge hydraulischer Laständerun-
gen. Es wird ein Ansatz vorgestellt, um das etwaige Auftreten dynamischer Un-
gleichgewichte abzuschätzen und so den erforderlichen Analyseaufwand be-
gründet festzulegen.
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Ohde-Kolloquium". BAW und TU Dresden. BAW-Mitteilungen Nr. 99.
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Montenegro, H., Stelzer, O. (2014). Untersuchung des Einflusses von Gaseinschlüssen
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Montenegro, H., Stelzer, O. Odenwald, B. (2015): Parameterstudie zum Einfluss von
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Paton, J. and Semple (1961), N.G. Investigation of the Stability of an Earth Dam Subject
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Stelzer, O., Montenegro, H., Odenwald, B. (2014) Consolidation Analyses Considering
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Stelzer, O. (2016): Zur Berücksichtigung der Kopplung von Grundwasserströmung und
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Porenwasserdruckverteilung. BAW-Mitteilungen Nr. 99.
Wang, H. F. (2000): Theory of Linear Poroelasticity with Applications to Geomechanics
and Hydrogeology. Princeton University Press.
Autoren:
Dr.–Ing. Héctor Montenegro
Bundesanstalt für Wasserbau
Abteilung Geotechnik
Kußmaulstraße 17
76187 Karlsruhe
Tel.: +49 721 9726-4250
Fax: +49 721 9726-4830
E-Mail: [email protected]
Dr.–Ing. Bernhard Odenwald
Bundesanstalt für Wasserbau
Abteilung Geotechnik
Kußmaulstraße 17
76187 Karlsruhe
Tel.: +49 721 9726-3620
Fax: +49 721 9726-4830
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch
urbane Sturzfluten
Oliver Buchholz
Robert Mittelstädt
Alpaslan Yörük
Aktuelle Studien untersuchen den Zusammenhang zwischen Klimawandel und
den Starkregenereignissen, die in den Sommermonaten der vergangenen Jahre
auftraten und vielerorts urbane Sturzfluten verursachten. Einhergehend mit dichter
Besiedlung und intensiver landwirtschaftlicher Nutzung führten diese zu hohen
wirtschaftlichen Schäden.
Ein nach den aktuellen Bestimmungen geplantes Kanalnetz ist für extreme Nie-
derschläge nicht ausgelegt. Ein Großteil des Niederschlags gelangt zudem nicht in
die Kanalisation. Verschärft wird der Effekt durch Einläufe zusetzende, schlamm-
und geröllführende Abflüsse aus hängigen Außenbereichen.
Zu ermitteln, wohin Niederschlagswasser fließt und wo es Schaden anrichtet, er-
fordert eine örtliche, sehr detaillierte, modellgestützte Untersuchung mit hoch-
aufgelösten Daten.
GIS-Analysen des digitalen Geländemodells (DGM) liefern wichtige erste Er-
kenntnisse zur Abflusskonzentration des betrachteten Gebiets sowie Anhaltspunk-
te für besonders gefährdete Bereiche.
Gute Erfahrungen für die Modellierung der hochdynamischen Fließprozesse bei
Starkregen liegen mit der 2D-hydronumerischen Simulation vor. Modulare und
gestufte Modellkonzepte liefern belastbare Ergebnisse auf verschiedenen Skalen.
Flächig verfügbare Daten (Laserscan-DGM, Landnutzung, Gebäudebestand ALK)
erlauben die Aufstellung großflächiger, aussagekräftiger Modelle.
Die Stufen 2D-Grobanalyse, Identifikation von Risikobereichen, detaillierte 2D-
Fließanalyse von Schadensschwerpunkten bis hin zur kleinräumigen Kopplung
mit Kanalmodellen, Integration von Gewässermodellen und der Nachweis von
Schutzmaßnahmen decken das ganze Spektrum städtischer Sturzfluten ab.
Die EU hat in der HWRM-RL als mögliche Arten von Hochwasser auch „Sturz-
fluten“ und „Hochwasser in Städten“ aufgeführt. Es ist erforderlich, auch diese
Hochwasserarten in einem der nächsten Berichtszyklen in die Risikobetrachtun-
gen aufzunehmen.
Die Inhalte urbaner Gefahren- und Risikokarten sind noch im Einzelnen zu defi-
nieren. Sie sollten flächig die Fließwege des Wassers, die zu erwartenden Fließge-
schwindigkeiten und Fließtiefen darstellen und auf sensible Nutzungen und Infra-
Page 126
118 Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten
struktureinrichtungen hinweisen. Für Behörden und die Öffentlichkeit können aus
ihnen spezielle Informationen abgeleitet und zur Verfügung gestellt werden.
Im Vortrag werden vor dem Hintergrund der Projekterfahrung des Autorenteams
verschiedene Fragestellungen aus dem Kontext urbaner Sturzfluten kritisch disku-
tiert.
Stichworte: Starkregen, urbane Sturzfluten, Extremniederschläge, 2D-
Modellierung, Hochwassergefahrenkarten, kommunaler Hochwas-
serschutz
1 Starkregenereignisse
In den vergangenen Jahren kam es deutschlandweit häufig zu sehr starken Re-
genfällen, die lokal verheerende Sturzfluten mit Toten und Sachschäden in Mil-
liardenhöhe verursachten. In Erinnerung sind die Ende Mai und Anfang Juni
2016 aufgetretenen zahlreichen Gewitter mit Extremniederschlägen und anhal-
tenden Regenfällen, verursacht durch die beiden Tiefs Elvira und Friederike.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. v. (GDV) zieht
im Dezember 2016 eine Bilanz der Schäden, die durch Starkregenereignisse in
den letzten Jahren gemeldet wurden (GDV 2016).
Abbildung 1: Starkregen-Tiefs mit den höchsten Versicherungsschäden (GDV 2016)
Meteorologen und Klimaforscher können aus den verfügbaren Wetterdaten zur-
zeit keinen klaren Trend zur Zunahme solcher Ereignisse in Deutschland ablesen
oder einen eindeutigen Zusammenhang mit dem Klimawandel ableiten. Der
DWD schlussfolgert aber, dass die bekannten physikalischen Zusammenhänge
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einen durch den Klimawandel verursachten Anstieg der Extremniederschläge für
die Zukunft vermuten lassen (DWD 2016).
Eine weltweite statistische Analyse von Regendaten aus den Jahren 1901 bis
2010 zeigt für den Zeitraum seit 1980 einen Anstieg von Rekord-Regen-
Ereignisse um 12 Prozent verglichen mit einem Szenario ohne Klimawandel
(Lehmann 2015).
2 Größere Kanäle bieten keinen höheren Schutz
Häufig versuchen Kommunen künftige Schäden zu verhindern, indem sie Ab-
wasserkanäle und -bauwerke überprüfen und noch größer dimensionieren. Doch
das ist aus folgenden Gründen nicht das Mittel der Wahl:
1) Ein nach den aktuellen Normen, Bestimmungen und Genehmigungskriterien
geplantes und gebautes Kanalnetz ist definitiv nicht in der Lage, solche Was-
sermengen abzuleiten.
2) Abflüsse entstehen bei einem Starkregen direkt auf allen befestigten Flächen
und vor allem auf gesättigten Böden. Das führt dazu, dass ein großer Teil des
abfließenden Wassers Schaden anrichten kann, bevor es überhaupt in die Nähe
der Kanalisation gelangt.
3) Die Kanalnetze sind vielerorts bereits baulich an ihrer Leistungsfähigkeit an-
gelangt. Eine Vergrößerung der Querschnitte und Rückhalteräume ginge mit
hohen Kosten und großem Flächenverbrauch einher.
Konsequenterweise können Kanalnetzmodelle nur ein Teil der Modellumgebung
sein, mit der sich Maßnahmen zur Vorsorge vor urbanen Sturzfluten konzipieren
lassen.
3 Kommunale Starkregen-Schutzkonzepte entwickeln
Bei der Aufstellung kommunaler Starkregen-Schutzkonzepte sind die hydrolo-
gisch-hydraulischen Bedingungen vor Ort genau zu berücksichtigen. Folgende
Schritte sollten dazu erfolgen:
• Gefährdungs- und Risikoanalyse
• Risikobewertung und Festlegung von Schutzzielen
• Konzeption und Umsetzung von Maßnahmen mit Wirkungsanalyse
• Risikokommunikation
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120 Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten
Zunächst ist die Gefährdung für die gesamte Kommune zu ermitteln. Folgende
Fragen sind zu klären: Wohin und wie schnell fließt oberflächig abströmendes
Regenwasser? Wo staut sich der Abfluss? An welchen Stellen wird das Kanal-
netz überstaut? Welche Gewässer treten im städtischen Bereich über die Ufer?
Das DWA-Merkblatt M 119 "Risikomanagement in der kommunalen Überflu-
tungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starkregen", macht Vorgaben, an
denen sich Kommunen und Ingenieurbüros orientieren können (DWA 2016).
Eine anschließende Risikoanalyse zeigt auf, ob und in welchem Umfang durch
die Überflutungen Schäden entstehen können. Eine einfache Risikoanalyse kann
sich darauf beschränken zu ermitteln, ob wichtige Infrastrukturen wie Kranken-
häuser, öffentliche Gebäude oder Versorgungseinrichtungen betroffen sind. Mit
einer detaillierten Risikoanalyse können auch die potenziellen wirtschaftlichen
Schäden ermittelt werden.
Hohe Fließtiefen und hohe Geschwindigkeiten können gleichermaßen zu Gefah-
ren werden. Die detaillierte hydrodynamische Modellierung zeigt beides räum-
lich sehr differenziert. Gefahren- und Risikobereiche können so ausgewiesen
werden.
Den absoluten Schutz vor Überflutungen gibt es nicht. Deshalb ist es wichtig,
die ermittelten Risiken zu bewerten und angemessene Schutzziele festzulegen,
d. h. zu definieren, welche Maßnahmen entsprechend Eintrittswahrscheinlichkeit
oder Wasserstand sinnvoll und wirksam sind. Hier empfiehlt sich eine Kosten-
Nutzen-Abwägung.
Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse ist es möglich, ein Maßnahmen-
konzept aufzustellen, um die Kommune künftig wirksam vor Schäden durch ur-
bane Sturzfluten schützen.
Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern spielt eine große Rolle, um
ein Bewusstsein für die bestehenden Risiken zu schaffen. Damit wird es mög-
lich, Maßnahmen mit Interessengruppen abzustimmen und potenziell Betroffene
zu eigenverantwortlichem Handeln zu bewegen.
4 Gefahren- und Risikoermittlung mit GIS-Analysen und
hydrodynamischer 2D-Modellierung
4.1 Topografische Analysen
Einen Eindruck von den Gebietseigenschaften vermitteln topografische Analy-
sen des digitalen Geländemodells (DGM) hinsichtlich der folgenden Aspekte:
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Hangneigung
potenzielle Fließwege
Schummerung (s. Abbildung 2)
Ermittlung von Senken und Mulden
Daraus lassen sich erste wichtige Erkenntnisse über gefährdete Bereiche im Ein-
zugsgebiet gewinnen, die jedoch durch eine 2D-hydraulische Berechnung noch
zu untermauern und zu quantifizieren sind.
Abbildung 2: GIS-Analyse: Schummerung macht kleine abflussrelevante Strukturen sichtbar.
4.2 Hydrodynamische 2D-Modellierung
Mit einem effektiven Modellierungsverfahren lassen sich die Gefahren ermit-
teln, die auf dem Gebiet einer Kommune bei Starkregenereignissen durch urba-
ne Sturzfluten entstehen (s. Abbildung 3). Es wurde bereits mehrfach in der Pra-
xis angewandt z. B. für die Gemeinde Wachtberg bei Bonn und die Stadt Gre-
venbroich.
Das hydrodynamische 2D-Modell HYDRO_AS-2D (Nujic 2017) ermöglicht es,
die auftretenden Oberflächenabflüsse instationär und räumlich hochaufgelöst
unter Lösung der vollständigen 2D-Flachwassergleichungen zu modellieren und
den Prozess der Abflusskonzentration in natürlichen und urbanen Einzugsgebie-
ten sehr detailliert abzubilden. Dazu wird das Modellnetz mit einem Effektiv-
niederschlag belastet, der zeitlich und räumlich variabel sein kann. Das ermög-
licht die realitätsnahe Abbildung von Starkniederschlägen mit unterschiedlicher
Eintrittswahrscheinlichkeit.
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122 Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten
Die Gefahrenanalyse mit dem 2D-Modell erfolgt in zwei Schritten:
1. Das Screening-Modell basiert auf dem DGM inkl. der Gebäude. Es identifi-
ziert die Gefahrenbereiche und ermöglicht eine Abgrenzung der zu untersuchen-
den Gebiete.
Abbildung 3: Die 2D-hydrodynamische Modellierung ermöglicht es, oberflächlich abflie-
ßendes Niederschlagswasser zu simulieren und macht die durch Sturzfluten ge-
fährdeten Bereiche einer Besiedlung erkennbar.
2. Ein detailliertes 2D-Modell mit hoher Auflösung (inkl. Bruchkanten, Straßen,
Gebäude, evtl. Gewässer etc.) und integrierten maßgeblichen Kanalnetzpunkten
(Schächten) liefert genaue Angaben über die zu erwartenden Überflutungstiefen
und Fließgeschwindigkeiten. Das aus der Kanalisation austretende Wasser wird
durch die Kopplung eines Kanalnetzmodells im 2D-Modell berücksichtigt.
Die mit der Modellierung gewonnenen Informationen können beispielsweise in
Gefahren- und Risikokarten (s. Abbildung 4) dargestellt und veröffentlicht wer-
den.
5 Urbane Gefahren- und Risikokarten
Die Europäische Union hat in der Begründung der EG-
Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie als mögliche Arten von Hochwasser
auch „Sturzfluten“ und „Hochwasser in Städten“ aufgeführt. Es ist davon auszu-
gehen, dass diese Hochwasserarten in einen der nächsten Berichtszyklen in die
Hochwassergefahren- und Risikokarten aufzunehmen sind.
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Abbildung 4: Urbane Gefahrenkarten enthalten detaillierte Informationen über sturzflut-
gefährdete Bereiche. Karten dieser Art wurden von Hydrotec im Rahmen der
oben genannten Projekte erstellt.
Die Inhalte urbaner Hochwasser- und Gefahrenkarten sind noch im Einzelnen zu
definieren und zu standardisieren. Ihre Darstellung geht räumlich über die einer
detaillierten Überflutungsmodellierung des Grenzfalls der Kanalisation hinaus.
Die Karten sollten flächig die Fließwege des Wassers, die zu erwartenden Fließ-
geschwindigkeiten und Fließtiefen darstellen und sensible Nutzungen und Infra-
struktureinrichtungen enthalten (s. Abbildung 4).
Für Fachbereiche wie Stadtplanung, Stadtentwässerung und Katastrophenschutz
sowie die Öffentlichkeit können aus ihnen spezielle Informationen abgeleitet
und zur Verfügung gestellt werden.
Als hilfreich hat sich in vielen Gemeinden ein Hochwasseraudit nach DWA oder
die Einführung von Hochwasserpässen für Gebäude erwiesen (DKKV 2016).
Viele Kommunen erarbeiten zurzeit mit staatlicher Förderung ein Klimaanpas-
sungskonzept für ihre Stadt, um den zu erwartenden Wetterextrema besser be-
gegnen zu können. Es behandelt die Aspekte Hitze, Sturm und Starkregen und
beschreibt Maßnahmen, die zu einer Verringerung der Gefährdung führen. Bei
diesem vielversprechenden Ansatz ist interdisziplinäre Zusammenarbeit aus den
Bereichen Stadt- und Landschaftsplanung, Geografie, Hydrologie und Hydraulik
erforderlich.
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124 Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten
6 Ausblick und Fazit
Auch wenn die Ursache und die zukünftige Wahrscheinlichkeit von Extrem-
ereignissen hierzulande aktuell noch nicht geklärt sind, sollten auf allen Ebenen
Anstrengungen unternommen werden, die Gefährdungslage von Kommunen
abzuschätzen und Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um Schäden zukünftig zu
verhindern.
Die hydronumerische 2D-Modellierung in Kombination mit GIS-Analysen lie-
fert wertvolle und verlässliche Aussagen zur Gefährdung besiedelter Bereiche
durch Starkregen und urbane Sturzfluten, ermöglicht die Konzeption von
Schutzmaßnahmen und stellt damit ein elementares Werkzeug zur Vorsorge dar.
7 Literatur
DWA (2016) Merkblatt DWA-M 119, November 2016. Risikomanagement in der
kommunalen Überflutungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starkregen,
Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. -DWA-,
Hennef
DWD (2016): Starkniederschläge in Deutschland. Deutscher Wetterdienst, Offenbach am
Main, Deutschland
DKKV (2016): Newsletter Juni 2016, Starkregen in Deutschland, Deutsches Komitee
Katastrophenvorsorge e.V., Bonn
GDV (2016): Naturgefahrenbilanz, Pressemitteilung der Versicherungswirtschaft vom
28.12.2016, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., Berlin
Lehmann, J., Coumou, D., Frieler, K. (2015): Increased record-breaking precipitation
events under global warming. Climatic Change [DOI: 10.1007/s10584-015-1434-y]
Nujic, M., Hydrotec (2017): HYDRO_AS-2D - Programm zur 2D-hydrodynamischen
Modellierung von Fließgewässern, Version 4.2; Dr. Nujic, Rosenheim; Hydrotec
Ingenieurgesellschaft für Wasser und Umwelt mbH, Aachen; 2017
Autoren:
Dr.-Ing. Oliver Buchholz
Dipl.-Ing. Robert Mittelstädt
Prof. Dr.-Ing. Alpaslan Yörük
Hydrotec Ingenieurgesellschaft
für Wasser und Umwelt mbH
Bachstr. 62-64
52066 Aachen
E-Mail: [email protected]
[email protected]
alpaslan.yörü[email protected]
Tel.: +49 241 94689-0
Fax: +49 241 506889
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen
Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen
Antje Bornschein
Die Erstellung von Katastrophenschutzplänen für den hypothetischen Bruch eines
Staubauwerkes basiert auf verschiedenen Bruchszenarien. Derzeit existieren viele
empirische Formeln und einige Sedimenttransportmodelle für die Breschenbil-
dung, die jedoch nur für homogene Dämme entwickelt wurden. Der Artikel stellt
zunächst einige historische Talsperrenbrüche vor, bei denen Dämme mit Dichtun-
gen versagten. Danach werden Modellversuche zum Versagen von Dämmen mit
und ohne Dichtungen erläutert. Es zeigt sich, dass der Einfluss der Dichtungsele-
mente auf den Bruchverlauf auch abhängig von der Böschungsneigung des Dam-
mes ist.
Stichworte: Talsperrenbruch, Modellversuche, Breschenausfluss
1 Motivation
Talsperren sind sichere Bauwerke. Jedoch stellt der Versagensfall ein Restrisiko
dar. In vielen Ländern sind dem Betreiber oder Eigentümer des Absperrbauwer-
kes Studien zur Abschätzung des Restrisikos vorgeschrieben. Ergebnisse solcher
Studien sind Katastrophenschutzpläne mit Informationen zum möglichen Über-
schwemmungsgebiet und zum Fortschreiten der Flutwelle mit Ankunftszeiten
und maximalen Wasserständen. Zusätzlich werden Angaben zu zuständigen Be-
hörden und Ansprechpartner, zum Ablauf notwendiger Evakuierungen usw. be-
nötigt. Die Daten zum Ablauf einer hypothetischen Talsperrenbruchwelle beru-
hen im Allgemeinen auf hydro-numerische Berechnungen.
Eingangsgrößen für hydro-numerische Berechnungen sind neben geografischen
Daten zum Gelände und zur Landnutzung mögliche Ganglinien für den Bre-
schenausfluss. Letztere sind abhängig von der Art und Größe der Talsperre, der
Bruchentwicklungszeit und Kenngrößen des Reservoirs wie der Wasserstands-
Volumen-Beziehung und möglicherweise zu berücksichtigende Hochwassersze-
narien.
Für die Erstellung von Ausflussganglinien für Staudämme stehen viele empiri-
sche Formeln zur Verfügung (Wahl 1998). Jedoch sind diese streng genommen
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126 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen
nur für homogene Dämme anwendbar. Der Einfluss von Dichtungselementen
auf das Bruchverhalten ist noch nicht ausreichend untersucht und quantifiziert.
2 Beispiele historische Talsperrenbrüche
Nachfolgend sollen kurz einige Beispiele für historische Talsperrenbrüche von
inhomogenen Dämmen dargestellt werden. Schwerpunkt liegt hierbei auf die
Bruchentwicklung und wie diese möglicherweise durch die Dichtungselemente
beeinflusst wurde. In Tabelle 1 sind wichtige Kenngrößen zu den vorgestellten
Talsperren zusammengefasst.
Taum Sauk
Das Oberbecken des Pumpspeicherkraftwerkes Taum Sauk in Missouri, USA
hatte einen Steinschüttdamm mit einer Außendichtung als Staubauwerk. Am
14.12.2005 am Ende des Pumpzyklus kam es zu einer Überströmung der Kro-
nenmauer an mehreren Stellen. Erst 20 Minuten später stoppten die Pumpen. Da
hatte die Breschenbildung bereits begonnen. Nach 8 Minuten trat der maximale
Breschenausfluss ein. Innerhalb von 35 Minuten war das Becken mit einem In-
halt von 5,38 Mio. m³ ausgelaufen. (FERC 2006)
Abbildung 1: Bruch des Oberbeckens des Pumpspeicherkraftwerkes Taum Sauk, USA,
Zustand ca. 5 Minuten nach dem Versagen der Kronenmauer, ca. 50 % des
Dammkörpers sind abgetragen (nach Rogers et al. 2010)
Nachfolgende Berechnungen (Rogers et al. 2010) zeigten, dass die Außendich-
tung aus bewehrtem Beton maßgeblich dafür verantwortlich war, dass der Ero-
sionsprozess so schnell verlief. Der Beton bildete ein scharfkantiges Wehr und
begünstigte die schnelle Ausbildung eines tiefen Kolkes unterhalb (vgl. Abbil-
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dung 1). Der verbliebene Rest des Dammes brach dann, zusammen mit dem Au-
ßendichtung, sehr schnell und erzeugte einen sehr großen Ausflussscheitel.
Tabelle 1 Kenngrößen von historischen Talsperrenbrüchen.
Talsperre Damm-
höhe
[m]
Bruchent-
wicklungszeit
[h]
Maximaler
Ausfluss
[m³/s]
Quelle
Taum Sauk 25,6 0,33 7730 FERC 2006
Ibrastausee 10 k. A. 600 Glatthaar & Kuttler 1979
Dehli 13,1 1,5 1960 IPE 2010
Gouhou 71 „rasch“ 15000 Vischer 1994
Ibrastausee
Der Ibrastausee ist ein Freizeitsee in Hessen. Der Damm mit Außendichtung aus
Asphalt wurde 1974-1975 erbaut. In der Zeit von Dezember 1975 bis Mai 1977
wurden mehrere Probestaue durchgeführt, wobei immer wieder Undichtigkeiten
und Leckagen festgestellt wurden. Eine endgültige Abnahme des Staubauwerkes
erfolgte nicht (MLU 1977).
Am 22.8.1977 wurde zunächst ein Wasseraustritt am Damm in Form einer Fon-
täne festgestellt. Kurz nach 15:00 brach der Damm. Linke untere Begrenzung
der Bresche war der Grundablass, was auf eine Sickerröhrenbildung als mögli-
che Bruchursache hinweisen würde. Als mögliche Ursachen wurden Baumängel
oder Planungsfehler vermutet, die genaue Ursache wurde jedoch nie ermittelt.
(HR-online 2012) Leider kann der genaue zeitliche Ablauf des Bruches nicht
mehr rekonstruiert werden.
Dehli
Die Talsperre Dehli in Iowa, USA war 1922-1929 als ein Kombinationsbauwerk
mit Erdschüttdämmen links und rechts eines Massivbauwerkes erbaut worden.
Das Massivbauwerk enthielt ein Krafthaus und die Hochwasserentlastungsanla-
ge. Der rechte Erdschüttdamm, der während eines Hochwasserereignisses 2010
gebrochen ist, hatte als Dichtungselement eine Kernmauer, die aber nur bis in
eine Höhe von ca. 1,8 m unterhalb der Dammkrone reichte (IPE 2010).
Beim Hochwasser am 24.7.2010 konnte die Hochwasserentlastungsanlage das
Wasser nicht vollständig abführen, auch weil eins der drei Tore nicht vollständig
geöffnet werden konnte. Durch den hohen Wasserstand kam es zunächst zu ei-
ner Durchströmung des Bauwerkes mit Sickerröhrenbildung. Gegen 10:00 be-
gann die Überströmung des rechten Dammes. Nachdem der Belag der Straße,
die auf der Dammkrone verlief, abgetragen wurde, erfolgte eine von unten nach
oben fortschreitende Erosion des luftseitigen Dammkörpers. Die Dichtungsmau-
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128 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen
er hielt der Überströmung noch eine Zeitlang stand, bis sie schließlich gegen
13:00 zerbrach. (IPE 2010)
Gouhou
Die Talsperre Gouhou liegt in China und wurde 1988 in Betrieb genommen.
Kurz nach dem Ersteinstau gab es starke Sickerwasserverluste. Nach einer Re-
paratur an der Außendichtung aus bewehrtem Beton wurde die Talsperre im
Teilstau betrieben und keine Sickerwasseraustritte mehr beobachtet. Doch ab
Juli 1993 wurde der Wasserspiegel wieder angehoben, am 26.8.1993 der Voll-
stau erreicht. Einen Tag später brach der Damm. Die Breschenbildung wird als
rasch beschrieben, was auf den Einfluss der Außendichtung zurückgeführt wer-
den könnte. (Vischer 1994)
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sowohl Innen- als auch Außendich-
tungen die Breschenentwicklung eines Dammes beeinflussen können. Für Au-
ßendichtungen ist dokumentiert, dass sie wie ein Wehr wirken und so eine
schnelle Erosion des Dammmaterials durch Auskolkung befördern. Für Innen-
dichtungen ist dies nicht so eindeutig nachzuweisen. Wenn die Innendichtung
aus einem ausreichend stabilen Material besteht, kann sie den Bruchprozess ver-
langsamen, indem sie z. B. einer Überströmung noch einige Zeit standhält. Je-
doch ist auch in diesem Fall darauf hinzuweisen, dass die Wasserspiegeldiffe-
renz aufrecht gehalten und im Fall des Bruch eine großer Fließquerschnitt plötz-
lich freigegeben wird.
3 Modellversuche
Zwischen 2013 und 2016 wurden im Hubert-Engels-Labor des Institutes für
Wasserbau und Technische Hydromechanik der TU Dresden hydraulische Mo-
dellversuche zum Bruchverhalten von inhomogenen Dämmen durchgeführt. Der
prinzipielle Versuchsaufbau, die Versuchsdurchführung und die verwendete
Messtechnik wurden schon in Bornschein (2014) vorgestellt. In Abbildung 2 ist
eine Skizze des Versuchsstandes gezeigt. In Tabelle 2 sind die Parameter für die
4 Versuchsreihen zusammengestellt.
Insgesamt wurden 34 Versuche durchgeführt. Der Modelldamm war dabei bei
32 Versuchen 0,4 m hoch. Bei den anderen 2 Versuchen wurde das Bruchverhal-
ten eines 0,3 m hohen und eines 0,2 m hohen Dammes untersucht. Wesentliches
Unterscheidungskriterium für die einzelnen Versuchsreihen war die Böschungs-
neigung, wobei sowohl die Wasserseite als auch die Luftseite des Dammes die
gleiche Neigung aufwiesen.
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Abbildung 2: Skizze Versuchsstand und Messgeräte für die Versuchsreihe 1 (Längsschnitt,
Maßangaben in [m], Bildquelle: Bornschein 2014)
Nach dem Aufbau des Modelldammes und der Herstellung einer Initialbresche
wurde das Reservoir gefüllt bis der Kronenstau erreicht wurde bzw. ein signifi-
kanter Ausfluss aus der Initialbresche den Bruchvorgang eingeleitet hatte. Der
Ausflussvorgang mit Breschenbildung wurde in einem Film dokumentiert und
der zeitabhängige Wasserstand im Reservoir vermessen.
Tabelle 2 Parameter und Anzahl der Modellversuche.
Versuchsreihe Böschungsneigung Anzahl Versuche
ohne Dichtung
Anzahl Versuche
mit Dichtung
1 1:2,5 5 3
2 1:4 6 3
3 1:3,25 11 4
4 1:1,7 - 2
Nach dem Leerlaufen des Reservoirs wurde die Größe der Endbresche (vgl. Ab-
bildung 3) aufgemessen. Dafür kamen verschiedenen Messverfahren zum Ein-
satz.
Abbildung 3: Bresche eines homogenen Dammes (links), eines Dammes mit Außendich-
tung (Mitte) und eines Dammes mit Innendichtung (rechts).
Bei der Versuchreihe 2 wurde z. B. ein 3D-optisches Messsystem von AICON
verwendet. In der Versuchsreihe 3 wurden Querschnitte der Bresche mit einer
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130 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen
Laserabstandsmessung aufgenommen. Weitere Details zu den Modellversuchen
finden sich in Bornschein (2014).
4 Auswertung
In Tabelle 3 ist der maximale Breschenausfluss für 3 Versuchsreihen zusam-
mengefasst. Bei mehreren Versuchen zum gleichen Modelldamm (gleiche Bö-
schungsneigung, gleiches Dichtungselement) ist der Mittelwert aus den Versu-
chen aufgeführt. In Abbildung 4, 5 und 6 sind die zugehörigen Ganglinien zu
sehen.
Tabelle 3 Ergebnisse der Modellversuche – Maximaler Breschenausfluss.
Böschungsneigung Dammart/
Dichtungselement
Maximaler Ausfluss
[m³/s]
Max. Ausfluss
[%]
1:2,5 homogen 0,047 100
1:2,5 Außendichtung 0,063 135
1:2,5 Innendichtung 0,062 132
1:3,25 homogen 0,035 100
1:3,25 Außendichtung 0,044 125
1:3,25 Innendichtung 0,056 157
1:4 homogen 0,027 100
1:4 Außendichtung 0,029 108
1:4 Innendichtung 0,023 86
Aus den Ergebnissen in Tabelle 3 kann geschlussfolgert werden, dass ein Damm
mit einer steileren Böschungsneigung und damit einem schmaleren Dammquer-
schnitt schneller erodiert und einen größeren maximalen Breschenausfluss er-
zeugt. Dies gilt auch für Dämme mit Dichtungselementen.
Da die vorhandenen empirischen Modelle mehrheitlich für homogene Dämme
gelten, ist es wichtig zu untersuchen, inwieweit sich der maximale Breschenaus-
fluss bei einem Damm mit Dichtungselement gegenüber einem homogenen
Damm verändert. Dafür wurde in Tabelle 3 der maximale Breschenausfluss als
Referenzwert genommen und die prozentuale Veränderung für die Dämme mit
Dichtungen bestimmt.
Für die Dämme mit einer Außendichtung ergibt sich immer ein höherer maxi-
maler Breschenausfluss gegenüber den homogenen Dämmen. Darüber hinaus ist
die prozentuale Zunahme umso größer, je steiler die Böschungsneigung ist.
Für die Modelldämme mit Innendichtung ist das Ergebnis nicht eindeutig. Für
die beiden Böschungsneigung 1:2,5 und 1:3,25 ergibt sich ein deutlich höherer
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maximaler Breschenausfluss, für die Böschungsneigung von 1:4 jedoch nicht.
Auch ergibt sich die höchste prozentuale Zunahme nicht für die steilste Bö-
schungsneigung. Hier ist der tatsächliche Bruchmechanismus der Mauer ent-
scheidend. Bleibt sie aufgrund der eigenen Stabilität stehen und bricht „im Gan-
zen“ oder versagt sie schrittweise.
Abbildung 4: Ausflussganglinien (Böschungsneigung 1:2,5).
Abbildung 5: Ausflussganglinien (Böschungsneigung 1:3,25).
Die inkonsistenten Ergebnisse bei den Modelldämmen mit Innendichtungen
können auch auf Modelleffekte zurückzuführen sein. Es ist nicht sicher, ob die
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132 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen
errichteten Innendichtungen immer die gleichen Eigenschaften, wie z. B. die
Breite, aufwiesen. Auf jeden Fall bedarf es hier weitere Untersuchungen.
Abbildung 6: Ausflussganglinien (Böschungsneigung 1:4).
Die Analyse der Modellversuche umfasste des Weiteren die Endbreschengröße,
das erodierte Volumen sowie die zeitliche Entwicklung der Breschenbreite und -
tiefe. Die Daten werden demnächst veröffentlicht und stehen zur Verifizierung
empirischer und numerischer Modelle zur Verfügung.
5 Zusammenfassung und Ausblick
Eine Analyse von historischen Talsperrenbrüchen zeigt einen dokumentierten
Einfluss einer Außendichtung auf die Breschenentwicklung. Durch die Ausbil-
dung eines Wehrüberfalles an der Kante der Außendichtung wird der Erosions-
prozess durch Kolkbildung unterhalb stark beschleunigt. Bei Dämmen mit In-
nendichtungen wird dagegen vermutet, dass sie den Bruchprozess verlangsamen,
weil sie bei ausreichender Standsicherheit dem Wasserdruck noch etwas länger
standhalten können. Dies spielt im Katastrophenmanagement eine wichtige Rol-
le.
Es wurden Modellversuche zum Bruchverhalten von Dämmen mit und ohne
Dichtung vorgestellt. Ausführlich wurde der maximale Breschenausfluss be-
trachtet.
Für die Dämme mit einer Außendichtung ergibt sich für alle 3 Versuchsreihen
ein höherer maximaler Breschenausfluss als bei den homogenen Dämmen mit
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gleicher Böschungsneigung. Darüber hinaus ist die prozentuale Zunahme des
maximalen Ausflusses umso größer, je steiler die Böschungsneigung ist.
Für die Modelldämme mit Innendichtung ist das Ergebnis nicht eindeutig. Für
die beiden Böschungsneigung 1:2,5 und 1:3,25 ergibt sich ein deutlich höherer
maximaler Breschenausfluss, für die Böschungsneigung von 1:4 jedoch nicht.
Auch ergibt sich die höchste prozentuale Zunahme nicht für die steilste Bö-
schungsneigung. Weitere Untersuchungen sind hier notwendig.
6 Danksagung
Die Autorin möchte sich an dieser Stelle bei der Gesellschaft der Förderer des
Hubert-Engels-Institutes für Wasserbau und Technische Hydromechanik e.V.
für die finanzielle Unterstützung beim Bau des Versuchstandes bedanken. Den
Aufbau des Versuchsstandes übernahmen Herr Just und Herr Gräfe. Die Mess-
technik lag in den Händen von Herrn Martin. Bei allen möchte ich mich für ihre
Unterstützung bedanken.
An dem Versuchstand haben viele Studenten einen Teil ihrer universitären Aus-
bildung abschließen können. Ich möchte mich bei Christina Ruggeri, Gözde
Aklan, Sabin Pahari, Anne Häschel, Lydia Hermann und Tommy Breuer für ihre
Arbeit bedanken.
7 Literatur
Bornschein, A. (2014): Breschenentwicklung bei Dämmen mit Dichtungen. In:
Wasserbauliche Mitteilungen, Institut für Wasserbau und Technische
Hydromechanik, TU Dresden, Heft 50, S. 303-312
Wahl, T. L. (1998): Prediction of Embankment Dam Breach Parameneters – A Literature
Review and Needs Assessment. U.S. Department of the Interior, Bureau of
Reclamation, Dam Safety Office, DSO-98-004, Juli 1998
FERC (2006): Report of Findings on the Overtopping and Embankment Breach of the
Upper Dam – Taum Sauk Pumped Storage Project, FERC No. 2277, 28.4.2006
Glatthaar, D., Kuttler, W. (1979): Dammbruchbedingte Hochwasserschäden auf Talauen.
Natur und Museum, Bd. 109, Heft 5, Frankfurt a.M., S. 156-164
HR-Online (2012): Als der Seepark-Staudamm brach. Hessenschau vom 8.2.2012,
http://www.hr-online.de/website/archiv/hessenschau/hessenschau.jsp?t=20120208&
type=v, Zugriff am 4.4.2012
IPE (2010): Report on Breach of Dehli Dam. Independent Panel of Engineers, 1.12.2010
Page 142
134 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen
MLU (1977): Antwort des Ministers für Landwirtschaft und Umwelt auf die kleine
Anfrage des Abg. Stanitzek (CDU) betreffend Staudammbruch in Kirchheim,
Landtag Hessen, Drucksache 8/5380 vom 12.12.1977,
http://starweb.hessen.de/cache/DRS/08/0/05380.pdf, Zugriff am 5.1.2016
Rogers, J. D., Watkins, C. M., Chung, J.-W. (2010): The 2005 Upper Taum Sauk Dam
Failure – A Case History. Environmental & Engineering Geoscience, Vol. XVI, Nr.
3, August 2010, S. 257-289
Vischer, D. (1994): Bruch einer chinesischen Talsperre. Wasser, Energie, Luft, 86. Jg.
Heft 3/4, S. 114
Autor:
Dr.-Ing. Antje Bornschein
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
Technische Universität Dresden
01062 Dresden
Tel.: +49 351 46334696
Fax: +49 351 46337141
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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Schwingungen unterströmter Schütze
Christian Kohout
Jörg Kranawettreiser
Konrad Thürmer
Unterströmte Schütze können bei großem Schützenhub in Schwingungen geraten,
wenn die resultierende Druckkraft aus Ober- und Unterwasserstand im unteren
Rollen- oder Kipplager oder tiefer angreift. In diesem Fall wird das obere Lager
entlastet und das Schütz kann Drehschwingungen um das untere Lager ausführen.
Voraussetzung ist eine Abstimmung der Eigenfrequenz des Schützes (einschließ-
lich der mitschwingenden Wassermasse) mit der Erreger- und der Eigenfrequenz
der Strömung sowie eine Rückkopplung (über die Umlauffrequenz der Walze im
Unterwasser des Schützes). Die strömungsbedingten Frequenzen können mittels
der Theorie von Bünger ermittelt werden.
Stichworte: Schwingung, Schütz, Eigenfrequenz der Strömung, Erregerfre-
quenz der Strömung
1 Frequenzen
1.1 Eigenfrequenz des Schützes
Die Eigenfrequenz des Schützes bei Drehung um das untere Lager ergibt sich
aus dem Trägheitsmoment des Schützes unter Berücksichtigung der mitschwin-
genden Wassermasse. Aus den Untersuchungen zum Wehr Gnevsdorf ist be-
kannt, dass diese mitschwingende Wassermasse als Walze mit der Eintauchtiefe
des Schützes ins Unterwasser als Durchmesser berechnet werden kann. Tatsäch-
lich wird der Querschnitt dieser Walze nicht kreisförmig sein, sondern eher zu
einem Dreieck verformt, für die Berechnung ist aber die Annahme der Kreis-
form ausreichend. Die Berücksichtigung der mitschwingenden Wassermasse
führt dazu, dass die Eigenfrequenz des Schützes f0 von der Eintauchtiefe ins Un-
terwasser abhängt.
1.2 Frequenzen der Strömung
Am Wehr Gnevsdorf konnte nachgewiesen werden, daß die von der Bünger-
schen Theorie vorausgesagten Frequenzen
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136 Schwingungen unterströmter Schütze
Erregerfrequenz der Strömung fE = g/(2*v)
Eigenfrequenz der Strömung fS = v/(2*R)
(jeweils gebildet mit der Geschwindigkeit v im freigegebenen Öffnungsquer-
schnitt und dem hydraulischen Radius im engsten Querschnitt µ*a) miteinander
in einem resonanznahen Zustand sein müssen (+/- 30 %), damit Schwingungen
auftreten können. Weiterhin muß dieser Resonanzzustand mit der Eigenfrequenz
des Schützes oder einem ganzzahligen Vielfachen davon abgestimmt sein.
1.3 Frequenzen der Walzen
Stromab des Schützes verengt sich der Ausflussstrahl von der freigegebenen
Öffnungshöhe a (Schützenhub) auf µ*a. Verbunden ist damit, dass sich am
Schütz eine Walze mit der Höhe hUW - µ*a und der Länge 6*(hUW - µ*a) ausbil-
det, wenn sowohl der Schützenhub a als auch die Unterwassertiefe hUW auf den
Fachbaum bezogen werden. Diese Walze wird – genauso wie die Walze der mit-
schwingenden Wassermasse – von der Strömungsgeschwindigkeit v im engsten
Querschnitt angetrieben. Die Frequenzen, welche mit der Bewegung dieser
Walzen verbunden sind, sind die Umlauffrequenzen. Sie ergeben sich aus dem
Walzenumfang, dividiert durch die Antriebsgeschwindigkeit (= Strahlgeschwin-
digkeit UWOW hhgv **2 ).
Für die mitwirkende Walze ergibt sich der Umfang zu p*(hUW-a), demnach die
Umlauffrequenz zu fU,mW = v/(p*(hUW-a)).
Die strahlbedingte Walze kann als Ellipse aufgefaßt werden mit der kleinen
Halbachse A = 0,5*(hUW-a) und der großen Halbachse B = 3*(hUW-a) sowie dem
Umfang U = p*[1,5*(A+B) – Wurzel(A*B)] = p * 4,025 * (hUW-a) und damit
fU = v/(p*4,025 *(hUW-a)) = fU,mW/4,025.
In der Schnittzeichnung (Abbildung 2) sind die Walzen als Kreis und Ellipse
eingezeichnet, welche sich durchdringen. Tatsächlich wird sich jedoch die
mitwirkende Walze eng an das Schütz anschmiegen (und dabei vom Kreis zu
einem Dreieck verformen), so daß sich beide (mit gleicher Umfangs-
geschwindigkeit v angetriebenen!) Walzen berühren.
Die Berechnungen werden am Beispiel des Einlaßwehres Neuwerben an der
Havelmündung vorgestellt. An diesem Wehr traten zeitlich sehr eng begrenzt
Schwingungen bei Schützenhüben von ca. 4,5 m auf, welche bei Verringerung
des Schützenhubes (bei gleichbleibenden Ober- und Unterwasserständen)
aufhörten.
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„Bemessung im Wasserbau“ 137
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Abbildung 1: Schnitt durch das Schütz
Abbildung 2: Schematische Anordnung der Walzen
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138 Schwingungen unterströmter Schütze
2 Rückkopplung
Die oben angegebenen Erreger- und Strömungsfrequenzen treten im engsten
Querschnitt des Strahls hinter dem Schütz auf. Damit sie auf das Schütz einwir-
ken können, ist eine Rückkopplung erforderlich. Diese erfolgt zum einen durch
eine „mitwirkende Walze“, welche direkt am Schütz, unterwasserseitig, mit dem
Durchmesser gleich der Eintauchtiefe des Schützes ins Unterwasser, die Verbin-
dung vom Strahl zum Schütz herstellt und gleichzeitig mit ihrer Masse die
schwingende Masse des Schützes vergrößert. Die Existenz und Größe dieser
Walze wurde bei den Modelluntersuchungen am Wehr Gnevsdorf ermittelt. In
Abbildung 2 ist diese Walze blau gezeichnet.
Wird die Ausbildung dieser Walze gestört, z.B. durch Anbringen von Platten am
Untergurt des Schützes, so kann unter Umständen die Rückkopplung unterbun-
den werden.
Eine zweite Rückkopplung stellt sich ein, weil der Strahl unter dem Schütz
Wasser aus dem Unterwasser aufnimmt, welches dann wieder abgegeben wer-
den muss. Damit stellt sich eine Walze ein, deren vertikale Abmessung gleich
der Entfernung vom Unterwasserspiegel bis zur Strahlgrenze ist, während die
horizontale Abmessung gleich dem Sechsfachen dieses Wertes ist. Diese Walze
ist rot eingetragen.
3 Schwingungsgefährdung des Schützes
Mit den vorstehenden Erläuterungen ist es nun möglich, für einen beliebigen
Zustand des Wehres Neuwerben, charakterisiert durch Oberwasserstand der El-
be am Pegel Neuwerben Elbepegel, Unterwasserstand der Havel am Pegel
Quitzöbel Binnenpegel sowie Schützenhub, alle maßgebenden Frequenzen
• Erregerfrequenz fE,
• Strömungsfrequenz fS,
• Walzen-Umlauffrequenzen fU und fU,mW,
• Eigenfrequenz des Schützes f0
zu berechnen und daraus abzuleiten, ob die Gefahr der Drehschwingung um das
untere Kipplager besteht oder nicht. In den folgenden grafischen Darstellungen
sind jeweils die Fenster der Abstimmung von Erregerfrequenz, Strömungsfre-
quenz und Umlauffrequenz der mitwirkenden Walze einerseits und Eigenfre-
quenz des Schützes und Walzen-Umlauffrequenz andererseits rot umrahmt. Zu
bemerken ist, dass die ganzzahligen Vielfachen der Eigenfrequenz durch das
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obere Fenster verlaufen und damit auch eine Abstimmung der oberen drei Fre-
quenzen mit der Eigenfrequenz vorhanden ist.
Es ist jeweils an Hand des Schützenhubes erkennbar, ob ein Schwingungszu-
stand vorliegt oder nicht.
Abbildung 3: keine Schwingungen
In Abbildung 3 ist der Schützenhub von 2,5 m soweit von den Fenstern der
möglichen Abstimmung entfernt, dass keine Schwingung möglich ist. Die
vierfache Eigenfrequenz des Schützes liegt zwar sehr nahe bei der Erreger-
frequenz der Strömung, aber es fehlt die Rückkopplung über die Walzen. Deren
Frequenzen liegen zu weit entfernt.
Mit fortschreitender Füllung der Havel nimmt der Oberwasserstand ab und der
Unterwasserstand zu. Damit verändern sich auch die Abstimmungsfenster. Bei
einem Schützenhub von 3,8 m beginnen die Schwingungen (Abbildung 4), wenn
der Balken des Schützenhubes das Abstimmungsfenster berührt.
Bei weiterer Erhöhung des Schützenhubes auf 4,5 m (Abbildung 5) liegt der
Balken des Schützenhubes ganz im Abstimmungsfenster und es treten
ausgeprägte Schwingungen auf.
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140 Schwingungen unterströmter Schütze
Abbildung 4: Schwingungen beginnen
Abbildung 5: ausgeprägte Schwingungen
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Abbildung 6: Schwingungen bei 4 m Schützenhub und Erlöschen der
Schwingungen bei Verringerung des Schützenhubes auf 2,9 m
Bei einer Verringerung des Schützenhubes ist wieder keine Abstimmung mehr
möglich, weil die Rückkopplung fehlt. Außerdem ist dann die notwendige
Voraussetzung, dass die resultierende Druckkraft im Kipplager oder unterhalb
angreift, nicht mehr gegeben.
4 Zusammenfassung
Unter Nutzung der Erkenntnisse über die mitschwingende Wassermasse bei
eingetauchten Schützen und der Erreger- und Eigenfrequenzen nach Bünger
kann für ein beliebiges Schütz ermittelt werden, ob eine Schwingungs-
gefährdung vorliegt oder nicht, wenn die notwendige Bedingung der Entlastung
des oberen Dreh- oder Kipplagers gegeben ist. An Hand der Beobachtung der
Schwingungen am Wehr Neuwerben konnte nachgewiesen werden, dass ein
solches Vorgehen erfolgreich ist.
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142 Schwingungen unterströmter Schütze
5 Literatur
Kranawettreiser, J.; Schneider, O. (1986): Untersuchungen zum Sommerstauwehr Gnevs-
dorf. Hydrolabor Schleusingen 1986, (unveröffentlicht)
Kranawettreiser, J. (1986): Schwingungsuntersuchungen am Wehr Gnevsdorf. Hydro-
labor Schleusingen 1986 (unveröffentlicht)
Kohout, C.; Sauerwein, J.; Wilhelm, C.; Kranawettreiser, J. (2011): Modelluntersuchun-
gen am Wehr Neuwerben. Hydrolabor Schleusingen 2011 (unveröffentlicht)
Autoren:
Dipl.-Ing. Christian Kohout
Institut für Wasserwirtschaft, Siedlungs-
wasserbau und Ökologie (IWSÖ) GmbH
Coudraystraße 4
99423 Weimar
Tel.: +49 3643 4581851
Fax: +49 3643 4581852
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr.-Ing. habil. Jörg Kranawettreiser
Institut für Wasserwirtschaft, Siedlungs-
wasserbau und Ökologie (IWSÖ) GmbH
Hydrolabor Schleusingen
Themarer Straße 16c
98553 Schleusingen
Tel.: +49 36841 530911
Fax: +49 36841 530915
E-Mail: joerg.kranawettreiser@uni-
weimar.de
Dr.-Ing. Konrad Thürmer
Brandenburgische Technische Universität
Cottbus-Senftenberg
Lehrstuhl Wassertechnik
Siemens-Halske-Ring 8
03046 Cottbus
Tel.: +49 355 69 4303
Fax: +49 355 69 3025
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Ringkolbenventile mit Innenbelüftung -
eine neue Generation
Hans-Peter Günther
Heribert Herold
Peter Weiß
Der ausströmende Strahl aus Ringkolbenventilen tritt an der äußeren Oberfläche kegel-
förmig, spitz zusammen laufend aus. Bei niedrigen Öffnungsgraden ergibt sich diese
Kontur auch im Inneren des Strahls. Da der statische Druck unmittelbar im Austrittbe-
reich Null ist, nimmt das Wasser den energieärmsten Zustand an. Es zerfällt in Tröpf-
chen, zwischen denen ein Vakuum entsteht, welches sich mit Luft auffüllt.
Dieser Vorgang tritt auch im Inneren des Austrittsstrahles auf. Dort steht aber nur ein
begrenztes Luftvolumen zur Verfügung. Nach Absaugen dieser Luftmenge entsteht im
Hohlraum ein Unterdruck, der zwangsläufig zu einer Erhöhung der vorhandenen
Druckhöhe H führt. Somit erhöht sich der Ausfluss. Ab einer bestimmten Größe des
Unterdrucks wird in das Innere des Ringkolbenventiles ein Wasser-Luft-Gemisch aus
dem Austrittstrahl zurück gesaugt. Danach verringern sich H und der Ausfluss Q wie-
der. Der Wechsel geschieht mit einer Frequenz von 275 Hz.
In Folge jeglicher Veränderung von Q ergeben sich Druckstöße. Die Druckstöße sind
Ursache für Schwingungen im Rohrleitungssystem. Durch die kontinuierliche Luftzu-
fuhr in das Innere des Ringkolbenventils entfällt der ständige Wechsel von Sog und
Auffüllen des Innenraums, so dass keine Druckstöße und damit Schwingungen mehr
auftreten.
1 Ringkolbenventile
Zur Regelung von Drücken und Durchflüssen wird der Querschnitt in der Arma-
tur erweitert oder verringert. Während bei Schiebern oder Klappen asymmetri-
sche Querschnitte entstehen, ist beim Ringkolbenventil in jeder Stellung stets
ein symmetrischer ringförmiger Querschnitt vorhanden, der damit eine nahezu
lineare Regelkurve ermöglicht.
Vom Eintrittsflansch bis zum Drosselquerschnitt wird der Querschnitt im Ring-
kolbenventil stetig verringert und die Strömung in einer geometrisch optimierten
Form am tropfenförmigen Innenkörper entlang geführt. Zur flexiblen Verände-
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144 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation
rung des Austrittsquerschnitts wird ein Zylinderkolben axial im Innenkörper
verschoben.
Seine lineare Bewegung entsteht aus der Umsetzung der Drehbewegung an der
Antriebswelle durch den innenliegenden Schubkurbelmechanismus und gewähr-
leistet in jeder Position einen definierten ringförmigen Querschnitt.
Abbildung 1: Ringkolbenventil in 3D-Schnittdarstellung (VAG)
2 Schwingungen durch Ringkolbenventil
2.1 Darstellung des Erscheinungsbildes
An Stelle des bisherigen Ringkolbenventils (RKV) DN 600 wurde an einer gro-
ßen Talsperre in Thüringen in den Entnahmeturm ein RKV DN 800 eingebaut,
siehe Günther, WWT 1-2-11. Ein Ringkolbenventil mit der Nennweite DN 800
wurde gewählt, da die nunmehr hergestellten RKV am Ende einen Gehäusewin-
kel von ca. 45° aufweisen. Gegenüber der ursprünglichen RKV-Konstruktion
mit 30° Gehäusewinkel ist dadurch der hydraulisch wirksame Querschnitt klei-
ner und demzufolge auch das Abflussvermögen. Dieser Unterschied stellt sich in
dem niedrigeren Ausflussbeiwert µE max = 0,58 gegenüber µE max = 0,64 deut-
lich dar.
Nach kurzer Betriebszeit wurden bei einem Öffnungsverhältnis von ca. 20 % des
neuen Ringkolbenventils und damit bei einer Abgabe von 0,69 m³/s Schwingun-
gen am Ringkolbenventil, an der Entnahmeleitung und dem gesamten Entnah-
meturm festgestellt. Der Entnahmeturm aus Stahlbeton besitzt immerhin einen
Außendurchmesser von 14 m, eine Höhe von ca. 30m und eine Turmwanddicke
von 1 m. Derartige Schwingungen wurden bisher an keiner anderen Anlage fest-
gestellt und waren nicht erklärbar. Gemäß DIN 19 700 Teil 11 ist auf einen
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schwingungs- und kavitationsfreien Betrieb von Verschlüssen besonders zu ach-
ten. Natürlich waren die Schwingungen des Entnahmeturms bezüglich der Riss-
freiheit des Betons und insbesondere der außen aufgebrachten Dichtung bedenk-
lich. Bekannt ist auch, dass die Festigkeit von Stahl bei dynamischer Belastung
gemäß der Wöhler-Linie mit steigender Schwingzahl stetig abnimmt.
Die Erhöhung der Masse des RKV DN 800 durch Befestigung mit dem Baukör-
per sollte eine Veränderung der Eigenfrequenz erwirken, um somit Resonanz-
schwingungen zu vermeiden. Eine Veränderung der Schwingungen wurde je-
doch nicht erreicht.
Erneute Schwingungsmessungen zeigten, dass sich die Schwingungsfrequenz
gegenüber dem nicht befestigten RKV nicht verändert hatte und keine nennens-
werten Beschleunigungen im niederfrequenten Bereich bis 275 Hz auftraten. An
der Turmwand des Entnahmeturms selbst wurde eine Frequenz von 140,6 Hz
gemessen. Das Rätsel der Schwingungsanfachung war nicht gelöst.
2.2 Mathematische Analyse der Ursachen
Um die weiteren Schlussfolgerungen besser verstehen zu können, wird nachfol-
gend die zugeschnittene Bernoulli-Gleichung für die Berechnung des Ausfluss-
vorganges aus einer Rohrleitung mit einem Regelverschluss am Ende angege-
ben.
2)(
1
2
E
DN
mD
L
HgAQ
(1)
mit
ADN m² Fläche der Nennweite des Regelverschlusses
AE m² engste Fläche am Sitz der Dichtung
D m Rohrdurchmesser
H m Stauhöhe, Differenz zwischen OW-Spiegel und Rohrachse Regel-
verschluss
L m Rohrlänge
Q m³/s Ausfluss
g m/s² Erdbeschleunigung
m - Flächenverhältnis AE/ADN
- Rohrreibungsverlust
- Einzelverlustbeiwert
E - Austrittsbeiwert bezogen auf AE
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146 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation
Nach der Einstellung eines bestimmten Öffnungsgrades eines Ringkolbenventils
sind auf der rechten Seite der Gleichung außer H alle anderen Größen konstant.
Diese mathematische Überlegung führte dazu, dass sich H nur durch Strö-
mungseinflüsse ändern kann, da die Stauhöhe konstant bleibt.
Bei sehr kleinen Öffnungsgraden (< 5%) tritt der Austrittsstrahl noch kreisför-
mig als Hohlstrahl aus, so dass Luft in das innere Unterdruckgebiet gelangen
kann. Mit steigendem Öffnungsgrad mit höheren Ausflüssen schließt sich der
Hohlstrahl. Der ausströmende Strahl aus Ringkolbenventilen tritt an der äußeren
Oberfläche kegelförmig, spitz zusammen laufend aus.
Abbildung 2: Konischer Austrittsstrahl
Bei niedrigen Öffnungsgraden besteht diese Kontur auch im Inneren des Strahls.
Da der statische Druck unmittelbar im Austrittsbereich Null ist, nimmt das Was-
ser den energieärmsten Zustand an. Es zerfällt in Tröpfchen, zwischen denen ein
Vakuum entsteht, welches sich mit Luft auffüllt.
Dieser Vorgang tritt auch im Inneren des Austrittsstrahles auf. Dort steht aber
nur ein begrenztes Luftvolumen zur Verfügung. Nach Absaugen dieser Luft-
menge entsteht im Hohlraum ein Unterdruck, der zwangsläufig zu einer Erhö-
hung der vorhandenen Druckhöhe H führt. Somit erhöht sich der Ausfluss. Ab
einer bestimmten Größe des Unterdrucks wird in das Innere des Ringkolbenven-
tiles ein Wasser-Luft-Gemisch aus dem Austrittstrahl zurück gesaugt. Danach
verringern sich H und der Ausfluss Q wieder. Der Wechsel geschieht mit einer
Frequenz von 275 Hz.
Der Unterdruck führt zwangsläufig zu einer Erhöhung von H. Er muss zur geo-
dätischen Stauhöhe addiert werden. Folglich muss sich auch nach der o. a.
Bernoulli-Gleichung (1) der Ausfluss Q erhöhen. Vermindert sich der Unter-
druck wieder, verringert sich der Ausfluss Q ebenfalls. Danach wird der Unter-
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druck wieder ansteigen usw. In Folge der Veränderung des Ausflusses Q erge-
ben sich Druckstöße. Da sich Wasser nicht komprimieren oder auseinander zie-
hen lässt, muss sich die Rohrwandung der Entnahmeleitung bei höherem Durch-
fluss dehnen, um einen größeren Querschnitt zu erreichen. Bei niedrigerem
Durchfluss zieht sie sich wieder zusammen. Die Druckstöße durchlaufen das
gesamte Rohrleitungssystem, werden reflektiert und überlagert. Das ist die Ur-
sache für die Schwingungen – eigentlich ein einfacher Sachverhalt.
Da das Rohrsystem und auch das Ringkolbenventil im Bauwerk aufgelagert
sind, übertragen sich die Schwingungen aus diesem System natürlich auch auf
das Bauwerk.
Bereits in der Dissertation von Herzer (1975) wurde eine Rückströmung in der
Mitte des Austrittsstrahls dokumentiert, jedoch nicht weiter verfolgt. Auch die
Fa. Erhard hat zu den Strömungsverhältnissen ein interessantes Bild veröffent-
licht.
Abbildung 3: Strömungsverhältnisse im RKV nach Fa. Erhard
3 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung
3.1 Konstruktive Lösung
Um den ständigen Wechsel von Sog und Auffüllen des Innenraums zu vermei-
den, ist eine kontinuierliche Luftzufuhr in das Innere des Ringkolbenventils er-
forderlich. Dadurch kann sich der zwischen den Tröpfchen des Austrittstrahls
bildende Hohlraum ständig mit Luft aufgefüllt werden. Es entfällt der ständige
Wechsel von H und Q, so dass keine Schwingungen mehr auftreten.
Bei dem Versuch an der Talsperre Eibenstock hat sich gezeigt, dass ein Be- und
Entlüftungsventil auf der Luftzufuhr erforderlich ist, da bei größeren Öffnungs-
graden Wasser aus dem Inneren des RKV austritt. Infolge der Veränderung der
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148 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation
inneren Kontur und der beengten Verhältnisse für den Austrittsstrahls sammelt
sich Wasser im inneren Gehäuse, allerdings mit ganz geringem Druck. Diese
Erfahrung ist auch wichtig für die Konstruktion der Ringkolbenventile, insbe-
sondere im Hinblick auf die Werkstoffauswahl und die Abdichtung der Welle
Abbildung 4: Ringkolbenventil mit Luftzufuhr ins Innere
.
3.2 Versuch mit Prototyp
Im Februar 2013 wurde an der TS Eibenstock ein Versuch mit einem Ringkol-
benventil DN 400 durchgeführt. Die Ausmündung erfolgt durch eine plötzliche
Erweiterung auf 2 x DN. Das RKV DN 400 besitzt eine Innenbelüftung mit auf-
gebautem Lüftungsventil.
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Abbildung 5: RKV DN 400 mit Innenbelüftung und Lüftungsventil DN 50
Der Versuch hat ergeben, dass die Innenbelüftung im Bereich zwischen 5% und
25 % Öffnungsgrad wirksam ist. Die Strahleigenschaften ohne und mit Innenbe-
lüftung waren im genannten Öffnungsgradbereich unterschiedlich. Ohne Innen-
belüftung ist der Austrittsstrahl diffuser, mit Innenbelüftung mit mehr Luft
durchsetzt.
Abbildung 6: Diagramm mit den Durchflussmesswerten für Wasser und für Luft
Schwingungen wurden nicht festgestellt, was auch darin liegt, dass die Grundab-
lassrohre einbetoniert sind.
Bei frei verlegten und auch erdverlegten Rohrleitungen werden Druckstöße
wirksamer ausgebildet, weil sich die Rohre verformen können. Deshalb sollten
Ringkolbenventile mit Innenbelüftung dafür angewendet werden.
Für die Belüftung der äußeren Strahloberfläche werden Belüftungsrohre mit ei-
nem Durchmesser von 30% der Nennweite des RKV eingesetzt. Diese Festle-
gung resultiert aus Forschungsergebnissen der TU Dresden und hat sich be-
währt. Für die Belüftung der inneren Strahloberfläche gibt es keine Forschungs-
ergebnisse und noch keine Festlegung. Aus der Überlegung, dass die Oberfläche
des inneren Strahles im Belüftungsbereich kleiner ist, als die des äußeren
Strahls, kann man abschätzen, dass 10% der Nennweite des RKV für die Nenn-
weite der Innenbelüftung ausreichend sind.
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150 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation
Abbildung 7: Austrittsstrahl bei 20 % Öffnung ohne Belüftung
Abbildung 8: Austrittsstrahl bei 20 % Öffnung mit Belüftung
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Literatur
Günther, H.-P. (2011): WWT 1-2-11, Talsperre Zeulenroda, Entnahmeleitung saniert
Herzer, Volkmar (1975): Dissertation: Wirkungsweise und Funktionssicherheit der
Ausmündungskonstruktionen von Grundablassanlagen
Fa. Erhard: Optimierte Technik – Konstruktion bei TALIS
VAG (2013): Versuche an Ringkolbenventilen in der Talsperre Eibenstock
Autoren:
Dipl.-Ing. Hans-Peter Günther
EDR GmbH München
Dillwächterstraße 5
80686 München
Tel.: +49 351 3104331
Fax: +49 89 547112-50
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Heribert Herold
VAG
Carl-Reuther-Str.1
68305 Mannheim
Tel.: +49 621 749-1925
Fax: +49 621 749 29-1925
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Peter Weiß
Wilhelmstr. 17
09117 Chemnitz
Tel.: +49 371 8448131
E-Mail: [email protected]
Page 160
• Einstieg in die numerische Strömungssimulation im Bau- und Wasserwesen
• Schnelles Verstehen durch zahlreiche Zwischenschritte
• Programmierte Beispiele zum Verständnis und zur Abwandlung für analoge Probleme
Bei der Darstellung der numerischen Methoden wurde keine Voll-ständigkeit angestrebt, sondern versucht, durch eine ausführliche Beschreibung der Zusammenhänge mit vielen Zwischenschritten eine „aufsteigende Wissenslinie“ darzustellen. Dem Buch sind vier lau� ähige Programme beigefügt, mit denen die Beispiele im Buch gelöst und bearbeitet werden können. Die Programme stehen unter http://extras.springer.com zur Verfügung.
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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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Klimaanpassung:
Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und
Hochwasser
Hartmut Wibbeler
Die zunehmenden starken Regenfälle, auch in Gebieten fernab der Überflutung,
können Sturzfluten freisetzen und plötzlich heftige Überschwemmungen und
Hochwasser im urbanen Raum auslösen. Die Sommerhitze und starker Regen
wechseln schnell und der genaue Ort und Zeitpunkt eines Starkregenereignisses
kann meist nicht genau vorhergesagt werden.
Blickdichte Betonwände an Gewässern sind im Zuge des Klimawandels mit der
Sommerhitze ungeeignet, in vielen Fällen von den Bürgern unerwünscht, mindern
die Lebensqualität und sorgen für Konflikte zwischen Hochwasserschutz und dem
Städtebau. Etablierte Handlungsschemata für diese neue Art von Hochwasser- und
Starkregen-Ereignissen gibt es noch nicht und eine Vorsorge wird für die Bürgern
und Verantwortlichen der Stadt immer wichtiger und eine Gemeinschaftsaufgabe
sein.
Der Klimawandel ist im vollen Gange und die unvermeidliche Klimaanpassung
mit neuen Schritten zum Schutz vor heftigen Überschwemmungen sind: Erster
Schritt mit den Bürgern eine moderne, breite Kommunikation einer Wettervorher-
sage und präzise gemessenen Wetterdaten wie einer Unwetterwarnung aufzustel-
len. Zweiter Schritt einen schnellen, autarken und von jedermann aufzubauenden
Flutschutz mit Hinweisplänen „Flutschutzplänen“ incl. Aufbauwerkzeug für die
rasche Orientierung und schadensmindernden Einsatz einzurichten. Dritter Schritt:
eine einfache Übung zu etablieren.
Stichworte: Klimaanpassung, Warnung, Sturzfluten, Starkregenereignisse,
Hochwasserschutz, Hochwasser, urbaner Raum, Fließgewässer, Un-
wetter
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154 Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser
1 Problemstellung:
Der Klimawandel ist im vollen Gange und es gibt immer öfter Unwetter: Im Ju-
ni sintflutartige Regenfälle und schwülen Sommerhitze in ganz Deutschland. Im
Sommer 2014 heftige Gewitterstürme in Münster und NRW. Es gab Tote und
Verletzte und Schäden in Milliardenhöhe. Wir werden Infolge des Klimawan-
dels eine deutliche Zunahme von extremen Hitzetagen, extremen Stürmen sowie
extremen Hochwasser- und Starkregenereignissen bekommen
Sintflutartiger Regen lässt kleine unscheinbare Gewässer schnell anschwellen
reißt vieles mit sich, versperren die Durchlässe und setzt Alles unter Wasser.
Gewitterstürme werfen Bäume um und versperren die Straßen. Die Infrastruktur
wird stark getroffen. Hilferufe im Sekundentakt, Polizei und Feuerwehr kom-
men den 100en Notrufen nicht mehr nach und stoßen an Ihre Grenzen.
Die Stadt und Ihre Bevölkerung sind aber nicht vollkommen hilflos. Das Ziel
sollte sein: eine topografische Gefährdungsanalyse zu erstellen und mit den Er-
kenntnissen eine Flutwarnung auf den lokalen Bereich abzustimmen, die gefähr-
deten Bereiche so umzugestalten, dass bei einer kritischen Wetterlage bzw. Un-
wettervorhersage oder einem Starkregenalarm durch schnelles Handeln der Bür-
ger und der Einsatzkräfte die kritische Infrastruktur geschützt, das Wasser ein-
gedämmt, kontrolliert oder weiterleitet wird. So werden die Städte und Kommu-
nen widerstandsfähiger gegen Extremwetterereignisse.
In Zeiten des Klimawandels ist Wasser in der Stadt für die Menschen wichtig:
Wasserlandschaften schaffen Grünkorridore, verbessern die Luftqualität, spei-
chern vor Ort das Wasser, reduzieren die extreme Sommerhitze und erhöhen die
Lebensqualität der Menschen. Gewässer zu Ablaufrinnen einzubetonieren ist
keine Lösung und mit dem zukünftigen Städtebau nicht vereinbar.
2. Die Bevölkerung im Kontext mit Sturzfluten und Schutzmaß-
nahmen:
Ein Flutereignis betrifft schnell großflächig Ortschaften oder ganze Stadtteile
und wird zur Katastrophe, wenn die Bürger nicht vorbereitet sind. Ein guter und
wirksamer Hochwasserschutz zeichnet sich dadurch aus, dass er mit den einzel-
nen Schritten ein breites Publikum erreicht. Eine nachhaltige Verhaltensände-
rung bzw. eine neuen Umgang mit dem Hochwasser in der Bevölkerung erzielt
und die Maßnahmen der öffentlichen Hand und deren Grenzen anerkennt. Statt-
liche Hilfen ist oft begrenzt, kann nicht so schnell vor Ort sein und muss die kri-
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tische Infrastruktur wie Strom-, Wasser, Telekommunikation, Krankenhäuser
usw. managen.
Abhilfe schaffen kann ein Drei-Schritte-Konzept zum Schutz vor Sturzfluten
und Hochwasser im urbanen Raum:
Abbildumg 1: Drei Schritte zum Schutz vor Sturzfluten
1. Unwettervorhersagen mit gezielte Warnung auf eine modernen
Kommunikationsebene (Apps) bringen und visuelle Flutschutzpläne (wie
Brandschutzpläne) am, bzw. im Gebäude anbringen,
2. Einbau eines schnellen, autark von jedermann (trainierte Bürger)
aufzubauenden mobilen Hochwasserschutzes und
3. die einfache Übung und Wartung des ganzheitlichen Flutschutzes.
Durch Unwettervorhersagen der Wetterdienste, Warnungen durch Regen- und
Pegelmelder auf das Smartphone, oder auch ein Sirenenalarm und
Flutschutzpläne im Gebäude (wie ein Brandschutzplan) wird das
Hochwasserrisiko für die verschiedenen Zielgruppen anschaulich kommuniziert.
Das sachlich kommunizierte Risiko wird durch die App-Warnmeldungen und
den Flutschutzplan erkennbar und motiviert zu einem planvollen Handeln der
Bürger, Einsatzkräfte und der Entscheidungsträger. Die App-Flutwarnungen und
Flutschutzpläne erzeugen nicht nur eine einmalige Aufmerksamkeit, sondern
kommunizieren kontinuierlich den Flutschutz und halten die Erinnerung (eine
Hochwasser-Sensibilität) aufrecht, denn „Nach der Flut ist vor der Flut“.
Risiken haben viel mit Emotionen zu tun und entfernen die Kommunikation oft
von der sachlichen Ebene. Übung, Schulung und Wartung der Systeme schafft
dann bei den trainierten Bürgern Verantwortung und Akzeptanz der
Notwendigkeit zu eigenständigem Handeln. Die anschauliche Darstellung der
Flutwarnung und der einfache Aufbau eines Flutschutzsystemes - auch für
„Nicht-Fachleute“ - schafft Akzeptanz und Vertrauen. Denn nur ein informierter
Bürger kann im Ereignisfall planvoll handeln.
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156 Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser
3. Die Technik der drei Schritte
3.1 Erster Schritt: Gezielte Warnungen mit Regen- /Pegelwarnern und den
neuen Apps
Eine Unwetterwarnung im Fernsehen und Rundfunk wird gemeldet (1). Die Be-
völkerung ist sensibilisiert.
Ein autarker Regen-/und Pegelwarner (1a) misst im Gefahrenbereich in Echtzeit
die Wasserstands-, und Regenwerte und gibt eine Mikroflutvorhersage.
Die WarnWetter-App vom Deutschen Wetterdienst (DWD) und/oder die Warn-
App des Bundes „NINA“, enthalten wichtige Wetterwarnungen und versorgen
die Bürger wie die Einsatzkräfte mit wichtigen Hinweisen zur aktuellen Warn-
und Wettersituation wie Hochwasserinformationen.
Alle Daten werden über das Internet auf das Smartphone (1b), Tablett oder den
PC übertragen und können auf einen aktuellen Standort abgestimmt werden.
3.1b Ein visueller Flutschutzplan = Die erste Information / der erste Meter
Flutschutzpläne (wie Brandschutzpläne) (1c) erlauben den Bürgern des Gebietes
im Ernstfall die rasche Orientierung und damit den raschen schadensmindernden
Einsatz. Aus diesem Grund sollten Flutschutzpläne ausgehängt werden. Flut-
schutzpläne bieten eine wesentliche Unterstützung in der stressreichen Krisensi-
tuation direkt am Anfang. So werden beispielsweise aus einem Flutschutzplan
die ersten Arbeitsschritte, Informationen über Wetterdienste, Schutzwandsyste-
me, der Standort von Aufbauwerkzeug, Pumpen, Licht usw. bestimmt, oder
Hinweise über Elektrogefahren, Schieber, Stromanschlüsse usw. aufgeführt.
Der Flutschutzplan (1c) hängt z. B. an einem flachen Lagerschrank (1d), der
vorzugsweise gut zugänglich in einem Flur eines Gebäudes befestigt ist oder
auch ein Lagerschrank im Außenbereich am Einsatzort. Beim Einsatz wird auf
den Flutschutzplan geschaut und der Lagerschrank wird aufgeklappt (2a). Das
gesamte Aufbauwerkzeug (2a) steht zur Verfügung und der Organisationsablauf
wie der Aufbau eines vor Ort eingebauten Schutzsystems werden enorm be-
schleunigt.
3.2 Zweiter Schritt: Mobile Schutzsysteme
Gerade in einer stressigen Krisensituation, wie es eine Sturzflut ist, ist ein mobi-
ler Schutz gefragt, der möglichst ohne lose Teile (keine Schrauben und andere
Kleinteile) auskommt, um einen schnellen Aufbau nicht zu verzögern. Am bes-
ten sollte der mobile Schutz am Einsatzort gelagert sein, um den größten Zeit-
faktor „die Logistik“ zu verringern oder ganz zu vermeiden.
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Das System muss einfach und robust konstruiert sein, so dass starke Strömung
und Treibgut abgehalten werden. Bei Beschädigungen wie Löchern, fehlenden
bzw. defekten Schrauben oder auch Aufbaufehlern dürfen die Schutzsystem
nicht versagen. Diese Defekte sollten dann während des Hochwassers schnell
und einfach repariert werden können.
Als Weiteres ist eine Autarkie eines modernen Hochwasserschutzes anzustre-
ben, der von Jedermann (trainierte Bürger)aufzubauen ist, d. h. der Aufbau sollte
ohne viele Hilfsmittel und Transportwege auskommen und auch bei schlechtem
Wetter (nachts um 3:00 Uhr bei Regen) funktionieren.
Starkregenereignisse werden oft unterschätzt. Ein Gebiet kann innerhalb von
weniger als einer Stunde vollständig unter Wasser stehen und Zufahrtswege
können durch umgefallene Bäume versperrt oder überflute sein.
Aufwendige Lagerhaltung und umständliche Logistik sind gerade in zeitkriti-
schen Krisensituationen keine Lösung und würden das Problem nur verschärfen
weil wertvolle Zeit, die nicht mögliche Transportlogistik auf versperrten Straßen
und viele Personen mit dem Aufbau des mobilen Schutzes gebunden sind.
Die mobile Schutzwand (2b) ist eine Stahl-, Edelstahlnetz- Planen-Konstruktion.
Bei Nicht-Gebrauch ist sie in einem Betonkanal gelagert, welcher Teil eines
Bürgersteiges oder Ähnlichem ist. Bei einem Hochwassereinsatz ist die Schutz-
wand in extrem kurzer Zeit aufgebaut. Nach einem Einsatz wird sie wieder in
den Betonkanal verstaut.
Praxisbeispiel: Die Schutzwand in Roßwein (Sachsen) Schutzhöhe 1,6 Meter
Gesamtlänge 30 Meter
Abbildung 2: 2.1 eingebauter Zustand | 2.2 Aufbau des Schutzsystems |
2.3 die 11 m lange Schutzwand ist in 10 Minuten aufgebaut.
Praxisbeispiel: Eine Schutzwand in Kirchheim unter Teck Schutzhöhe 1,0 Meter
Länge 20 Meter
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158 Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser
Abbildung 3: 3.1 eingebauter Zustand | 3.2 Aufbau (von Jedermann) | 3.3
die 20 m lange Schutzwand ist in 15 Minuten aufgebaut.
3.3 Dritter Schritt: Übung Schulung Wartung
Ohne Übung ist es nicht einfach, sich auf eine urbane Sturzflut vorzubereiteten.
Daher sind Starkregenübungen in einem festgesetzten Zeitintervall zwingend
notwendig. Dann wissen alle Bürger und alle Einsatzkräfte Was zu tun ist und
wie die Schutzwände aufgebaut werden. Die Starkregenübungen könnten als
Informationsveranstaltung, Beratungstag oder Ideenwettbewerb, z. B. „Tag des
Starkregens“, verbunden mit einer Wartung (3a), laufen. Dieses gibt den Be-
wohnern ein Bewusstsein von Sicherheit, Qualität und Verfügbarkeit.
Abbildung 4: die drei Schritte im Detail
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Die Übung bzw. Wartung (3a) des ganzheitlichen Hochwasserschutzes ist recht
einfach und schnell (mit einer eingebundenen Schulung) durchzuführen. Diese
beinhaltet: den Aufbau, das Reinigen (3b), die Überprüfung der Funktionsfähig-
keit und eine evtl. Reparatur möglicher Schäden.
Wenn dann von den Wetterdiensten ein Unwetter gemeldet wird oder die Mess-
stationen draußen an den Bächen einen Flutalarm auslösen, stehen auf den Flut-
schutzplänen die ersten Arbeitsschritte (die erste Information). Die Bürger und
Einsatzkräfte wissen, was sie machen müssen und wo sie hin müssen.
4. Maßnahmenbeispiele
In der Krisensituation sind die starken Regengüsse nur oberirdisch
einzudämmen und abzuleiten, da die fließenden Gewässer in der Stadt nicht so
viel Platz haben und die Kanalisation weder unter wirtschftlichen noch
technischen Aspekten auf Extremwettereirgeinisse ausgelegt werden kann. Und
bei einem Starkregenereignis völlig überfordert ist.
Die Anforderungen moderner Stadtgestaltung mit einem Starkregenschutz zu
vereinen ist nicht konfliktfrei:
Zum einen sollten die fließenden Gewässer in der Stadt den Bürgern frei
zugänglich sein. Der Mensch lebt mit dem Wasser, Wasser inspiriert, bietet eine
hohe Lebensqualität, schafft Grüngürtel, reduziert die Sommerhitze und sorgt
für eine gute Luftqualität.
Zum anderen sollte die Straßengestaltung barrierefrei sein und eine hohe
Aufenthalts- und Verkehrsqualität besitzen.
Abhilfe schaffen kann hier der mobile Flutschutz.
Mit einem schnellen und einfach aufzubauenden Flutschutz kann das Wasser
oberirdisch eingedämmt und abgeleitet werden. Die Gewässer werden nicht
zubetoniert und die Verkehrsgestaltung nicht behindert.
5 Das Szenario
Die Bürger werden durch eine Wetterwarnung aus dem Fernsehen und Rund-
funk sensibilisiert. Die Warn-Wetter-Apps der Wetterdienst und / oder die Flut-
melder schlagen an. Die Flutschutzpläne geben eine optimale Orientierung von
Anfang an und bei den Bürgern wie Einsatzkräften beginnt die Routine des Auf-
baus der Schutzwände. Das Gebiet ist gesichert.
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160 Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser
6 Fazit und Ausblick
Die drei Schritte: Warn-Wetter-Apps der Wetterdienste wie autarke Regen- und
Pegelwarner an den Gewässern, die visuellen Flutschutzpläne und die autarken
mobilen Schutzwände mit eine einfachen Übung können optimal auf die Be-
dürfnisse von Bürgern und Einsatzkräften der Stadt zugeschnitten werden.
Der ganzheitliche Flutschutz leistet einen konkreten Beitrag zum verbesserten
Schutz der Bevölkerung in von Starkregen gefährdeten Gebieten.
Die neuen Schritte sind nicht nur Information selbst, sondern bieten Schutz und
erzeugen ein Bewusstsein mit einem Hochwasserrisiko planvoll umzugehen.
Die Klimaanpassung beinhaltet eine neue Kultur im Umgang mit Hochwasser.
Wir müssen aus der Zukunft lernen und der unvermeidbare Klimawandel erfor-
dert eine Anpassung mit der Gesellschaft. Hochwasser und Starkregen gelten als
die Naturgefährdungen, bei denen das richtige Risikobewusstsein und die richti-
ge Vorsorge den größten schadenmindernden Effekt haben. Der Hochwasser-
schutz ist eine essentielle Zukunftsaufgabe und wird zum Stadtortfaktor für
Wirtschaft und Bürger.
Autor:
Hartmut Wibbeler
AQUABURG Hochwasserschutz GmbH
Linckensstraße 115
48165 Münster
Tel.: +49 2501 927 8000
Fax: +49 2501 927 8004
E-Mail: [email protected]
Internet: www.aquaburg.com
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echnische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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HRB Neuwürschnitz –
Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen
Lösungen für das Absperrbauwerk
Dr. Holger Haufe
Uwe Beetz
Dominik Fiedler
Matthias Höhne
Olaf Kornmann
Holger Rosenkranz
Martin Stärker
Im Rahmen der Umsetzung des Hochwasserschutzkonzeptes Nr. 27 realisiert die
Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen von 2014 bis 2017 das Ab-
sperrbauwerk des gesteuerten Hochwasserrückhaltebeckens (HRB) Neuwür-
schnitz südwestlich vom Chemnitz.
Das als ökologisch durchgängiges Trockenbecken mit einer Öko-Schlucht konzi-
pierte HRB besitzt als Absperrbauwerk einen Steinschüttdamm mit Asphaltinnen-
dichtung. Mit einer Dammhöhe über Gelände in der Talsohle von 12,5 m und ei-
ner Kronenlänge von ca. 535 m kann bei Vollstau ein Volumen von 923.000 m³
zurückgehalten werden. Zur Durchleitung des Beuthenbachs und zur Gewährleis-
tung der Wanderungsbewegungen der aquatischen und terrestrischen Fauna wurde
ein großzügig dimensioniertes, nach oben offenes Durchlassbauwerk (Auslauf-
bauwerk) errichtet. In die dort angeordnete Stauwand aus Stahlbeton sind zwei
ölhydraulisch angetriebene Betriebsauslässe und die Hochwasserentlastungsanla-
ge integriert. Um den besonderen Randbedingungen gerecht zu werden, welche
sich durch die Forderung der ökologischen Durchgängigkeit ergeben, wurde für
die Energieumwandlungsanlage die Sonderkonstruktion einer Tosmulde gewählt.
Nach dem Modellversuch an der TU Dresden 2010/11 und der Erteilung des Plan-
feststellungsbeschlusses in 07/2012, begann 02/2014 der Bau des Absperrbauwer-
kes, der im 1. Halbjahr 2017 vollendet werden soll.
Der Beitrag stellt Einzelschwerpunkte der wasserbaulichen Planung vor und gibt
einen Überblick über die entwickelten ingenieurtechnischen Lösungen hinsicht-
lich Hydraulik, Geotechnik, Tragwerksplanung, Stahlwasserbau, messtechnischer
Bauwerksüberwachung und Bautechnik. Anschließend werden wichtige Phasen
der Ausführung erläutert und die dabei gewonnenen Erkenntnisse präsentiert.
Stichworte: Hochwasserrückhaltebecken, ökologische Durchgängigkeit, Ab-
sperrbauwerk, Untergrundinjektion, Herdmauer, Asphaltinnendich-
tung, Dammschüttung, Stahlwasserbau, Betriebsauslässe, Tosmulde
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HRB Neuwürschnitz –
Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk
1 Einleitung
Oberhalb der Ortslage Neuwürschnitz, einem Ortsteil der Stadt Oels-
nitz/Erzgebirge, errichtet der Betrieb Freiberger Mulde/Zschopau der Landestal-
sperrenverwaltung des Freistaates Sachsen (LTV) das gesteuerte Hochwasser-
rückhaltebecken (HRB) Neuwürschnitz. Das als ökologisch durchgängiges Tro-
ckenbecken ausgebildete HRB ist gem. DIN 19700-12 (2004) als mittleres Be-
cken klassifiziert. Der Beckenstandort befindet sich im oberen Einzugsgebiet
(AE ca. 12 km²) der Würschnitz am Beuthenbach. Der Gesamtstauraum beträgt
923.000 m³. Der Einstau beginnt ab einem Zufluss von 5 m³/s, der in etwa dem
HQ5 entspricht. Die Bemessungshochwasserzuflüsse an der Sperrstelle betragen
HQ100 = 14,1 m³/s (BHQ3), HQ500 = 20,8 m³/s (BHQ1), HQ5.000 = 32,2 m³/s
(BHQ2) und HQmax = 47,4 m³/s.
Im Auftrag der LTV hat die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Hydroprojekt Ingeni-
eurgesellschaft mbH (jetzt Lahmeyer Hydroprojekt GmbH) / ARCADIS
Deutschland GmbH (jetzt ARCADIS Germany GmbH) seit 2008 die Planungs-
unterlagen erstellt (ARGE HPI / ARCADIS 2011, ARGE HPI / ARCADIS 2013)
und die Bauausführung begleitet.
Abbildung 1: Absperrbauwerk Wasserseite mit Wildholzsperre, Bauzustand 09/2016
2 Absperrbauwerk
2.1 Allgemeines
Das Absperrbauwerk ist ein Steinschüttdamm (Kronenlänge ca. 535 m, Höhe
ca. 12,5 m über Gelände, Böschungsneigungen beidseitig 1:2 mit Bermen) mit
Asphaltinnendichtung (AID) und integriertem Auslaufbauwerk (Abbildung 1).
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Das Auslaufbauwerk vereint dabei Stauwand, Hochwasserentlastung sowie Be-
triebsauslässe. Zur Gewährleistung der Durchgängigkeit für die aquatische, am-
phibische, terrestrische und fliegende Tierwelt sowie für das Makrozoobenthos
wurde es großzügig als nach oben offenes Durchlassbauwerk (Ökoschlucht) ge-
plant (s. a. Haufe et al. 2007). Das durch das Bauwerk hindurch führende Gerin-
ne des Beuthenbaches wurde hinsichtlich der Durchwanderbarkeit für unter-
schiedliche Betriebszustände bemessen und umfangreich abgestimmt, um allen
Anforderungen gerecht zu werden. Als Energieumwandlungsanlage wurde zur
Gewährleistung der ökologischen Durchgängigkeit die Sonderkonstruktion einer
Tosmulde gewählt. Die hydraulische Funktionsfähigkeit des Bauwerkes wurde
im Modellversuch 2010/11 an der TU Dresden untersucht, optimiert und nach-
gewiesen (Stoebenau et al. 2012).
Mit der gewählten Lösung wurde ein Kompromiss zwischen Hochwasserschutz
und den Zielen der EU-WRRL gefunden, so dass unter Berücksichtigung der
geplanten Kompensationsmaßnahmen der durch das Bauwerk zu verzeichnende
Eingriff in Natur und Landschaft ausgeglichen werden konnte. Weitere Details
können Haufe et al. (2013), Höhne et al. (2016) und der Internetseite der LTV
(www.hrb-neuwuerschnitz.de) entnommen werden. Nach Durchführung des
Ausschreibungsverfahrens 09/2013 begann 02/2014 der Bau des Absperrbau-
werks als vierte von insgesamt sechs Vergabeeinheiten.
2.2 Dammbauwerk
Herdmauer
Die Herdmauer aus unbewehrtem Beton (Breite 3,0 bis 5,5 m, Höhe 2,0 bis
3,5 m) als Verbindungselement zwischen der AID und dem Festgesteinsunter-
grund wurde im Pilgerschrittverfahren hergestellt und ist von ausschlaggebender
Bedeutung für die Wirksamkeit der gesamten Abdichtung des Absperrbauwer-
kes (Abbildung 2). Durch die Wahl der Geometrie und die Verwendung langsam
erhärtenden Betons mit geringem Zementgehalt und 63 mm Größtkorn konnte
Rissbildung verhindert werden. In der Mitte der Blockfugen wurde zur Anbin-
dung der Fugenbänder an die AID eine Tasche (Breite 0,25 m, Tiefe 0,15 m)
angeordnet. Der Übergang zwischen Herdmauer und AID wurde mittels As-
phaltmastix (Handeinbau) hergestellt.
Untergrundinjektion
Im Ergebnis der bei Planungsbeginn durchgeführten Baugrundhauptuntersu-
chung wurde festgestellt, dass die im Untergrund vorhandenen Baugrundschich-
ten nicht durchgängig erosionssicher sind. Deshalb wurde die Herstellung einer
Untergrundvergütung in Form eines zweireihigen Injektionsschleiers (Einpres-
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HRB Neuwürschnitz –
Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk
sen von Zementsuspension, Abstand der Reihen 1,0 m, Abstand der Bohrungen
in der Reihe 2,0 m, versetzt in den Reihen, Herstellung im Pilgerschrittverfah-
ren) geplant. Der Ausführungsbereich sollte sich auf die zerklüfteten Bereiche in
der Talsohle (Länge 260 m) mit einer Endteufe von 10 m unter Gründungssohle
der Herdmauer beschränkten. Die Ausführung erfolgte im Anschluss an die Er-
richtung der Herdmauer, die gleichzeitig als Verpresswiderlager wirkte. Wegen
der geringen Abmessungen des Widerlagers musste der Einpressdruck begrenzt
werden, um ein Aufpressen zu vermeiden.
Während der Injektionsarbeiten, die auf Grundlage der vom Planer für die Qua-
litätssicherung erstellten Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTV)
„Untergrundinjektion“ erfolgten, wurden lokal ungünstigere Bodeneigenschaf-
ten angetroffen, als der Planung zu Grunde gelegt. Der vorgegebene WD-Wert
konnte bereits im Probefeld bereichsweise in den Kontrollbohrungen nicht er-
reicht werden. Deshalb wurde bei Bedarf lokal auf einer Tiefe von 6 m das In-
jektionsraster verdichtet und vorsorglich die seitliche Ausdehnung des Injekti-
onsbereichs auf insgesamt 392 m Länge erweitert.
Abbildung 2: Herstellung Herdmauer und AID einschl. Übergangszonen mit Fertiger
Asphaltinnendichtung
Die Anforderungen an das Dichtungselement (Wasserundurchlässigkeit, Ver-
formbarkeit, Filterstabilität, Erosionsbeständigkeit, Einbaufähigkeit; Parameter:
optimale, kontinuierlich abgestufte Korngrößenverteilung der Zuschlagsstoffe,
Hohlraumgehalt 3 Vol.%, Bindemittelgehalt ca. 6%, Einbautemperatur
160 ... 180°C) wurden in der ZTV „Asphaltinnendichtung“ fixiert. Mit Beginn
der Dammschüttung waren im Rahmen von Schütt- und Verdichtungsversuchen
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sowie weiterer Laboruntersuchungen die o. g. Materialparameter zu bestätigen
bzw. zu präzisieren. Die beiderseitigen Übergangszonen (Breite jeweils 1,50 m,
Mineralgemisch (MG) 8/63) wurden mit der AID in einem Arbeitsgang mit ei-
nem Fertiger der 3. Generation hergestellt (Abbildung 2). Der Bau wurde durch
die Eigenüberwachung (EÜ) des AN Bau und eine Fremdüberwachung (FÜ)
eines Asphaltprüflabors begleitet.
Dammschüttung
Der luft- und wasserseitige Stützkörper wurde aus gut verdichtbarem Stein-
schüttmaterial (MG 0/600) hergestellt, dessen Körnungslinie langestreckt, kon-
kav und nahezu ohne Feinanteile ist. Die Schüttung wurde in ihrem Fortschritt
den Herstellungsbedingungen der AID mit den beiderseitigen Übergangszonen
anpasst. Mit dem Schüttprozess wurden auch die Messeinrichtungen der Bau-
werksüberwachung eingebaut und am luftseitigen Dammfuß ein Sickerprisma
aus grobem Schüttmaterial (MG 63/600) mit darüber liegendem Vlies herge-
stellt, um die Ableitung des Sickerwassers aus dem luftseitigen Stützkörper zu
gewährleisten. Die Parameter der Übergangszonen wurden hinsichtlich Korn-
aufbau, Schichtdicke, Filterstabilität, Verformungsverhalten usw. den Über-
gangsbedingungen von der AID zum Stützkörper angepasst. Die Kornzusam-
mensetzung wurde so vorgesehen, dass nur eine einschichtige Übergangszone
erforderlich ist. Die wasserseitige Übergangszone wurde injizierfähig und mit
einem Feinstkornanteil gestaltet, um eine selbstdichtende Wirkung zu ermögli-
chen. Die luftseitige Übergangszone wurde für die sichere Abführung eventuell
anfallenden Sickerwassers ausgebildet und die Abdeckung des gesamten Schütt-
körpers mit Abdeckmaterial MG 0/63 vorgesehen. Die Details der Schüttarbei-
ten wurden vom Planer in der ZTV „Dammschüttung und Dammaufstandsflä-
che“ fixiert.
Kurz vor dem Baubeginn wechselte der AN Bau seinen angebotenen Rohstoff-
lieferanten (Steinbruch). In Probefeldern wurden von 09/2014 bis 05/2015 Eig-
nungsprüfungen des Mineralgemischs mit Feld- und Laboruntersuchungen
durchgeführt, um den Materialeinbau in der für den Regelbetrieb vorgesehenen
Technologie zu testen und zu optimieren. Dabei gab es erhebliche Probleme,
weil das Material aus dem „neuen“ Steinbruch nicht den geforderten und ur-
sprünglich angebotenen Eigenschaften entsprach. Nach der Testphase erstellte
der AN Bau eine Ausführungsrichtlinie für den Regelbetrieb. Der Dammbau
begann in 05/2015 mit dem linken Hang (bis 10/2015 Baufortschritt bis 4 m un-
ter Krone), wurde ab 10/2015 am rechten Hang fortgesetzt und nach erneutem
Umsetzen des AID-Fertigers auf den linken Hang bis 10/2016 fertiggestellt.
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HRB Neuwürschnitz –
Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk
Das Stützkörpermaterial (MG 0/600) wurde nach dem Antransport von einer
Planierraupe verteilt und anschließend mit einer Polygonwalze mit drei Über-
fahrten mit zugeschalteter Vibration verdichtet. Im Übergangsbereich zur AID
wurden größere Steine/Blöcke entfernt. Bei Abweichungen von den Soll-
Tragfähigkeitswerten erfolgten zusätzliche dynamische Überfahrten mit einer
Polygonwalze. Die Arbeiten wurden durch eine vom Bauherrn direkt beauftragte
geotechnische Fachbauleitung begleitet, deren Schwerpunkte die visuelle Begut-
achtung des Liefermaterials und die Überwachung der Verdichtung waren. Wei-
tere Kontrollen erfolgten durch die EÜ des AN Bau und eine FÜ (mit Baustoff-
prüfstelle).
2.3 Auslaufbauwerk
Massivbauwerk
Das Auslaufbauwerk aus Stahlbeton (Gesamtlänge 59,0 m) wurde monolithisch
hergestellt und unterteilt das Dammbauwerk in der Gewässerachse in einen
rechten und einen linken Abschnitt und trägt die Betriebseinrichtungen (Abbil-
dung 3). Der Trogteil (Länge 27,8 m) besitzt parallele Seitenwände mit einem
lichten Abstand von 6,6 m. Die wasser- und luftseitig angeordneten Flügelwän-
de (Länge je 16,0 m) knicken mit einem Winkel von 12,5° ab und sind auf un-
bewehrten Streifenfundamenten gegründet. Die Kronenbreite der Seitenwände
beträgt über die gesamte Länge konstant 1,0 m. Die dammseitigen Außenwände
wurden mit einer Neigung von 10:1 zur besseren Anbindung des Dammbauma-
terials ausgeführt.
In Dammachse schließt die AID an 1:1 geneigte Flügelwände an (Abbildung 2).
Die zur Gewährleistung der durchgängigen Befahrbarkeit der Dammkrone er-
forderliche Brücke (Fahrbahnbreite 3,5 m) wurde monolithisch in das Auslauf-
bauwerk integriert. Als Stauraumabtrennung wurde eine 1,0 m dicke Stauwand
ausgeführt. In dieser sind die luftseitig angeordneten BA verankert. Um eine
Überströmung der im Bau befindlichen Dammschüttung im Falle eines bauzeit-
lichen Hochwassers sicher ausschließen zu können, wurde in der Stauwand eine
bauzeitliche 3. Öffnung vorgesehen, die nach Erreichen der finalen Schütthöhe
mit Beton verschlossen wurde.
Die Bodenplatte ist 2,50 m dick und wurde zur Minderung der frühen Zwangs-
spannungen in zonierter Bauweise hergestellt. Das Bewehrungsraster ist 15 cm x
15 cm. Um einlagig bewehren zu können sind in der oberen Lage Bewehrungs-
stäbe 32 mm erforderlich. Die Stöße dieses Durchmessers wurden durch
Schraubverbindung hergestellt. Damit konnte Stahl gespart und die Betonierbar-
keit verbessert werden. Auf den Einsatz von Luftporenbildner wurde in massi-
gen Bauteilen verzichtet. Stattdessen wurden an frei bewetterten Oberflächen
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wasserabführende Schalungsbahnen zur Erhöhung der Dauerhaftigkeit einge-
setzt.
Abbildung 3: Auslaufbauwerk Wasser- und Luftseite
Betriebsauslässe
Das HRB verfügt über zwei Betriebsauslässe (BA), mit denen der Abfluss zum
Beckeneinstau im Hochwasserfall gesteuert und das Becken anschließend ent-
leert werden kann. Die BA sind Gleitschütze nach DIN 19704 zum Verschluss
der lichten Durchflussöffnungen B x H 1,4 m x 1,4 m. Die Gleitschütze und die
im Beton vergossenen Teile sind aus nichtrostendem Stahl nach DIN EN 10088
– Werkstoff-Nr. 1.4571 gebaut. Der BA 1 liegt im Hauptgerinne. Der BA 2 liegt
auf der Berme oberhalb des Gerinnes. Beide BA sind außer im Einstaufall stän-
dig geöffnet und gewährleisten so die ökologische Durchgängigkeit. Beide BA
haben einen ölhydraulischen Antrieb mit einem Hydraulikaggregat in einer
Kammer auf der luftseitigen Berme des Dammes (Abbildung 3).
Das HRB kann automatisiert pegelgesteuert oder händisch gesteuert werden. Die
händische Steuerung hat drei Bedienebenen: aus der Ferne von der Flussmeiste-
rei Chemnitz, vor Ort am Bedienschrank und am Handantrieb des Hydraulikag-
gregates. Die Dichtflächen der Schütze sind beheizt. Die hydraulische Leis-
tungsfähigkeit beträgt bei Vollstau 16,7 m³/s für den BA 1 und 16,2 m³/s für den
BA 2. Nach dem Einbau der Stahlwasserbauteile und der Antriebe wurden die
BA in 11/2016 erfolgreich auf Funktionsfähigkeit mit Wassereinwirkung geprüft
und damit die Voraussetzung für den Probebetrieb geschaffen.
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HRB Neuwürschnitz –
Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk
HWE
Die Hochwasserentlastungsanlage (HWE) ist als rundkroniger Überfall (Bogen
150°, Radius 1,0 m, Breite 6,6 m) mit beidseitiger Belüftung als oberer Ab-
schluss der Stauwand angeordnet. Die hydraulische Leistungsfähigkeit der HWE
bei Kronenstau beträgt 41,1 m³/s.
Raugerinnebeckenpass
Zur Gewährleistung der Fischdurchgängigkeit wurden in Abstimmung mit dem
Sachverständigen für Fischereiwirtschaft (FSV) zur Schaffung eines Raugerin-
nebeckenpasses im Hauptgerinne im Abstand von 2,0 m Querriegel (B x H
0,2 m x 0,3 m) angeordnet (Sohlpflaster: Einzelsteine als Steinsatz in Beton mit
20 cm tiefen Fugen und speziellen Haltesteinen für Sohlsubstrat; Querriegel: in
Beton gesetzte Natursteine). Der Niedrigwasserabfluss erfolgt durch wechselsei-
tig angeordnete Schlitze in den Querriegeln (Sohlbreite 0,16 m). Zur Qualitätssi-
cherung begleitete der FSV die Errichtung eines Probefeldes und überwachte die
Herstellung der Steinriegel einschl. deren Abnahme (s. a. Höhne, M. et al.
2016).
Tosmulde
Um den besonderen Randbedingungen gerecht zu werden, welche sich durch die
Forderung der ökologischen Durchgängigkeit ergeben, wurde für die Ener-
gieumwandlungsanlage die Sonderkonstruktion einer Tosmulde gewählt. Nach
der Optimierung im Modellversuch wurde diese durch eine 5,0 m hinter den
Auslässen gelegene Erhöhung des Gefälles auf 3% auf einer Länge von 40 m,
einen 10 m langen Abschnitt ohne Längsgefälle und ein Gegengefälle mit -5%
ausgeführt. Dadurch ergibt sich insgesamt eine Eintiefung um 0,8 m gegenüber
der Gerinnesohle. Die Tosmulde besitzt eine maximale Breite von 21 m. Die
Berandung der Tosmulde besteht aus einer Böschung, die umlaufend bis auf ei-
ne Höhe von 428,00 m ü. NHN geführt wurde.
2.4 Messtechnische Bauwerksüberwachung
Der Umfang der Bauwerksüberwachung ist an die konstruktive Gestaltung und
die Besonderheiten der Nutzung als HRB angepasst und orientiert sich an den
Empfehlungen des DWA-M 514 (DWA 2011). Das Messsystem ist sowohl zur
Erfassung des Langzeitverhaltens als auch zur Überwachung während des Pro-
bestaus und bei späteren Einstauereignissen ausgelegt. Bereits vor Baubeginn
waren im Umfeld des Dammes Messstellen zum Grundwassermonitoring vor-
handen. Ein Teil dieser Pegelrohre wird in das neue Überwachungssystem inte-
griert, so dass an diesen Stellen besonders lange Messreihen zur Verfügung ste-
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hen werden. Weitere Messstellen zur Bestimmung des Grundwasserstands wur-
den zusammen mit dem Bauwerk errichtet. Um Informationen über die Dichtig-
keit der AID zu erhalten, befinden sich in deren Fußbereich oberhalb des erwar-
teten luftseitigen Grundwasserstands Drainageleitungen. Das dort anfallende
Sickerwasser wird in Messschächte geleitet. Zusammen mit den ebenfalls luft-
seitig der Dichtung angeordneten Sickerlinienpegeln kann im Einstaufall das
Verhalten der AID erfasst und bewertet werden. Die gesamte Sickerwassermen-
ge wird dauerhaft automatisiert gemessen. Zur Überwachung des langfristigen
Deformationsverhaltens sowohl des Dammes als auch des Auslaufbauwerks sind
in mehreren Querschnitten Objektpunkte zur Erfassung der Vertikal- und Hori-
zontalverschiebungen angeordnet. Details für den Einbau der Anlagen des Bau-
werksmonitorings wurden vom Planer in der ZTV „Messtechnische Bauwerks-
überwachung“ fixiert.
Schon vor der Fertigstellung des Bauwerks liegt eine von der LTV erstellte
Messanweisung einschließlich der zugehörigen Formulare vor, so dass unmittel-
bar mit den Messungen begonnen werden kann.
3 Fazit
Das HRB Neuwürschnitz als erstes mittleres HRB mit Ökoschlucht in Sachsen
befindet sich seit 02/2014 im Bau, wobei das Absperrbauwerk weitestgehend
hergestellt ist. Die zu Grunde liegende Planung wurde umgesetzt. Baubegleitend
wurden geringfügige Anpassungen vorgenommen. Nach der geplanten Vollen-
dung im 1. Halbjahr 2017 wird das HRB einen signifikanten Beitrag zum
Hochwasserschutz der Gemeinden entlang der Würschnitz und im weiteren Ver-
lauf bis nach Chemnitz leisten sowie gleichzeitig die ökologische Durchgängig-
keit gewährleisten.
Das vorgestellte Projekt kann als ausgewogener Kompromiss zwischen wasser-
baulichen Erfordernissen und ökologischen Forderungen angesehen werden.
4 Danksagung
Die Autoren danken dem Auftraggeber LTV und dem ARGE-Partner
ARCADIS für die Zusammenarbeit.
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HRB Neuwürschnitz –
Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk
5 Literatur
ARGE HPI / ARCADIS (2011): HRB Neuwürschnitz – Entwurfs- und
Genehmigungsplanung. unveröffentlicht, Dresden/Freiberg 2011
ARGE HPI / ARCADIS (2013): HRB Neuwürschnitz – Ausführungsplanung und
Vorbereitung der Vergabe. unveröffentlicht, Dresden/Freiberg 2013
DIN 19700-12 (2004) Stauanlagen - Hochwasserrückhaltebecken. Berlin: Beuth-Verlag,
2004
DWA (2011): DWA-Merkblatt DWA-M 514, Bauwerksüberwachung an Talsperren,
Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Juli 2011
Haufe, H., et al. (2007): Neue Aspekte zur ökologischen Durchgängigkeit von
Hochwasserrückhaltebecken. Dresdener Wasserbauliche Mitteilungen Heft 35,
Seiten 125-133, Dresden 2007
Haufe, H. et al. (2013): Hochwasserrückhaltebecken Neuwürschnitz – Stand der Planung
für ein mittleres HRB mit Ökoschlucht, Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen
Heft 48, Seiten 259-268, Dresden 2013
Höhne, M. et al. (2016): HRB Neuwürschnitz – Lösungsansätze für den Zielkonflikt
zwischen EU-WRRL und Hochwasserschutz, Dresdener Wasserbauliche
Mitteilungen Heft 57, Seiten 57-66, Dresden 2016
Stoebenau, S., et al. (2012): Physikalische Modellierung des
Hochwasserrückhaltebeckens Neuwürschnitz, Dresdener Wasserbauliche
Mitteilungen Heft 47, Seiten 187-194, Dresden 2012
Autoren:
Dr.-Ing. Holger Haufe
Dipl.-Ing. Uwe Beetz
Dipl.-Ing. Dominik Fiedler
Dipl.-Ing. Matthias Höhne
Ing. Olaf Kornmann
Dipl.-Ing. Martin Stärker
Lahmeyer Hydroprojekt GmbH
Geschäftsbereich Dresden
Ludwig-Hartmann-Straße 40
01277 Dresden
Tel.: +49 351 21123 0
Fax: +49 351 21123 88
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Holger Rosenkranz
Lahmeyer Hydroprojekt GmbH
Geschäftsbereich Weimar
Rießnerstraße 18
99427 Weimar
Tel.: +49 3643 746 210
Fax: +49 3643 746 435
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der
Standort gibt die Lösung vor
Daniel Schmidt Marcel Härtel
Reinhard Hassinger
Holger Pabsch
Die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit an kleinen, mittleren und gro-
ßen Fließgewässern hat nach wie vor einen hohen Stellenwert insbesondere zur
Erreichung der Bewirtschaftungsziele im Zusammenhang mit der Umsetzung der
Wasserrahmenrichtlinie. Durch das DWA-Merkblatt M-509, Stand 2014, werden
zahlreiche Vorgaben im Hinblick auf die großräumige Positionierung und die ge-
ometrischen sowie die hydraulischen Anforderungen an Fischaufstiegsanlagen
gemacht. Dennoch ist die Erfüllung aller Vorgaben an vielen Standorten aufgrund
planerischer Zwangspunkte nicht vollumfänglich möglich. Die Entwicklung in der
letzten Zeit lässt dabei einen Trend hin zu sogenannten Sonderlösungen erkennen.
Anhand von zwei Beispielen soll erläutert werden, wie sich die technische Pla-
nung im Zusammenspiel mit fischökologischen Anforderungen in einem iterati-
ven, abschichtenden Prozess der abschließenden Lösung an einem schwierigen
Standort nähern kann. Neben der Auffindbarkeit und Passierbarkeit des Bauwerks
für alle Fischarten der potentiellen natürlichen Fischfauna müssen auch die An-
forderungen des Hochwasserschutzes sowie des Denkmalschutzes und ggf. weite-
re rechtliche und planerische Rahmenbedingungen, wie z:B. die Lage in Schutz-
gebieten, berücksichtigt werden.
Es soll zum einen ein früherer Wasserkraftstandort vorgestellt werden, für den
Sonderlösungen in Form einer Borstenrampenfischschleuse sowie einer Fischlift-
schleuse als mögliche Vorzugsvarianten abgeleitet wurden. Zum anderen wird ei-
ne unkonventionelle Lösung für einen Standort mit rezenter Wasserkraftnutzung
vorgestellt, bei dem durch einen Schlitzpass und ein Raugerinne die Gesamthö-
hendifferenz überwunden werden soll. Dazu ist es erforderlich, dass der Wasser-
spiegel in einem unterhalb des Wehres liegenden Kolkbereich erhöht wird, damit
die Fische über das Raugerinne aus dem Triebwerkskanal in den Kolk und von
dort über den Schlitzpass in das Oberwasser aufsteigen können.
Stichworte: ökologische Durchgängigkeit, Standortbedingungen, Sonderlösun-
gen, Fischwanderhilfen, Borstenrampenfischschleuse, Fischlift-
schleuse, Vertical-Slot, Raugerinne
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172 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor
1 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit im Lieberoser
Mühlenfließ an der Lieberoser Mühle
1.1 Ausgangssituation
Das Lieberoser Mühlenfließ ist mit knapp 20 km Länge und einem mittleren Ab-
fluss von 800 l/s einer der wichtigsten Zuflüsse des Schwielochsees. Die Liebe-
roser Mühle befindet sich am Mittellauf des Gewässers in der Ortslage Liebero-
se. Eine Wasserkraftkraftnutzung erfolgt derzeit nicht mehr, jedoch sind die we-
sentlichen Anlagenteile, insbesondere die Turbine, noch vorhanden. Die gesam-
te Mühlenanlage ist als Baudenkmal geschützt und zu erhalten. Des Weiteren ist
der gesamte Bereich um die Mühle herum als Bodendenkmal deklariert.
Abbildung 1: Blick aus dem OW auf das Mühlenge-
bäude
Abbildung 2: Blick aus dem UW auf das Mühlenge-
bäude
Der Abfluss des Lieberoser Mühlenfließes erfolgt hauptsächlich über den Leer-
schuss der Mühle. Der Turbinenkanal ist durch ein Wehrfeld mit festen Damm-
balken vom Hauptgerinne abgekoppelt und wird bei der vorhandenen Stauhöhe
nicht beaufschlagt. Im Nebenschluss der Mühle befindet sich eine Hochwasser-
entlastung in Form eines Kombinationsbauwerks aus Rohrleitung und Gewölbe-
durchlass. Die vorhandene Schützanlage im Leerschuss sowie der Hochwas-
serableiter sind gegenwärtig in einem baulich schlechten Zustand, sodass die
beiden Anlagenteile im Hochwasserfall nicht die geforderte Leistungsfähigkeit
erreichen können.
Tabelle 1: Abflüsse Lieberoser Mühlenfließ - hydrologische Fachauskunft, (LUGV 2015)
MNQ MQ HQ100 Q30 Q330
Q (m³/s) 0,322 0,588 4,2 0,38 0,81
Der Mühlenstau ist gegenwärtig für Fische und andere aquatisch gebundene Le-
bewesen nicht überwindbar und stellt aufgrund seiner standörtlichen Gegeben-
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heiten besondere Anforderungen an die Herstellung der ökologischen Durch-
gängigkeit.
1.2 Untersuchte Varianten zur Herstellung der ökologischen Durchgän-
gigkeit
Der Stau kann aus bautechnischen Gründen (u.a. Standsicherheit der Brücken-
widerlager) nicht wesentlich verändert werden. Eine Verlegung des Staus und
auch die Anordnung einer Fischaufstiegsanlage im Oberwasser sind nicht mög-
lich, da eine damit verbundene Reduzierung der Stauhöhe die Standsicherheit
der vorhandenen Bebauung gefährden kann.
Wird die Durchgängigkeit im Nebenschluss über den vorhandenen Ableiter her-
gestellt, so muss in Privateigentum eingegriffen werden. Die ökologische
Durchgängigkeit kann aufgrund der bestehenden Nutzung nur in geschlossener
Bauweise hergestellt werden, was sich durch die veränderten Lichtverhältnisse
nachteilig auf die Auffindbarkeit und die Passierbarkeit auswirken kann.
Alternativ wurde eine großräumige Lösung über ein rechts des Lieberoser Müh-
lenfließes vorhandenes Nebengerinne betrachtet. Eine solche Verbindung zum
Oberwasser ist jedoch aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sowie der vorhan-
denen Bebauungen nicht möglich. Darüber hinaus würde ein erheblicher Sack-
gasseneffekt die Auffindbarkeit und somit die Funktionsfähigkeit der FAH be-
einträchtigen.
Für den Standort wurden verschiedene Bauformen entsprechend dem DWA-M
509 (DWA 2014) untersucht. Der Einbau eines Raugerinnes würde zu erhebli-
chen Eingriffen in das Mühlengebäude führen, was von Seiten der Denkmalbe-
hörde abgelehnt wird. Die Hochwasserneutralität kann mit dieser Variante eben-
falls nicht nachgewiesen werden. In Folge dessen wurde der Bau eines Rauge-
rinnes ausgeschlossen und nicht weiter betrachtet.
Von den möglichen technischen Lösungsvarianten des DWA-M 509 wurden der
Vertical-Slot Fischpass und ein konventioneller Fischlift näher betrachtet. Auf-
grund der Örtlichkeiten und unter Berücksichtigung des Denkmal- und Boden-
schutzes wäre nur der Fischlift realisierbar, jedoch mit einem sehr hohen ge-
samtheitlichen Aufwand (technischer und finanzieller Aufwand, Unterhaltungs-
aufwand), sodass nachfolgend zusätzlich zwei Sonderlösungen (nicht explizit im
DWA-M 509 enthalten) untersucht wurden, um ggf. eine optimierte Lösung ab-
leiten zu können.
Bei den beiden untersuchten Sonderlösungen handelt es sich zum einen um eine
Kombination aus Fischlift und Fischschleuse (Fischliftschleuse, vgl. Monai
2015/2016) und zum anderen um eine Borstenrampenfischschleuse (nach Has-
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174 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor
singer 2016). Die beiden Anlagentypen können aufgrund ihrer Bauweise im
Mühlengebäude im Bereich des Turbinenkanals angeordnet werden, ohne dass
das Gebäude von außen erheblich verändert werden müsste.
Abbildung 3: 3D-Ansicht einer Fischliftschleuse Abbildung 4: 3D-Ansicht einer Borstenrampen-
Fischschleuse
1.3 Fischliftschleuse vs. Borstenrampenfischschleuse
Bei der Fischliftschleuse handelt es sich um ein Schachtbauwerk, das während
der Aufstiegsphase mit Wasser geflutet wird. Der Fangkorb wird bei dieser Va-
riante durch die Eigenkraft des Wassers mit Hilfe von Schwimmkörpern nach
oben befördert. Im Vergleich zu einem klassischen Fischlift gem. DWA ist mit
diesem System eine Fischwanderung in beide Richtungen (Fischauf- und Fisch-
abstieg) möglich. Zudem handelt es sich hierbei um ein kompaktes System, das
auch mit sehr wenig Wasser betrieben werden kann. Die platzsparende Umset-
zung erlaubt einen kostengünstigen Einsatz bspw. in beengten Siedlungsgebie-
ten und kann in bestehenden Bauwerken untergebracht werden.
In der Fangphase befindet sich der Wasserspiegel im Schacht auf dem Niveau
des Unterwasserspiegels. Der Fangkorb befindet sich auf der Höhe der unter-
wasserseitigen Gewässersohle. Vom Schachtboden gelangt die Leitströmung
über ein Verteilerrohr in Schacht und Fangkorb und durch die Einstiegsöffnung
ins UW, wodurch die Fische in den Korb geführt werden. Diese Art der zu er-
zeugenden Leitströmung hat den Vorteil, dass die Turbulenzintensität im Fang-
korb trotz Durchströmung sehr klein ist und die Fische, die sich im Fangkorb
befinden, nicht irritiert werden. Nach einer bestimmten Fangzeit wird das Un-
terwasserschütz geschlossen und der Schacht über die Dotationsleitung von un-
ten gefüllt. Um eine durchgängige Leitströmung im UW zu erzeugen und damit
die Fische im Einstiegsbereich zu halten, wird während der Aufstiegsphase (bei
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geschlossenem UW-Schütz) eine Dotationsströmung über eine Bypassleitung
erzeugt. Mit dem ansteigenden Wasserspiegel wird der Fangkorb schwimmend
nach oben befördert. Wenn der Wasserspiegel im Schacht mit dem Wasserspie-
gel des Oberwassers ausgespiegelt ist, wird das Oberwasserschütz langsam ge-
öffnet. Gleichzeitig wird das Unterwasserschütz einen Spalt geöffnet, sodass ein
Durchfluss aus dem Oberwasser durch den Schacht bis ins Unterwasser entsteht.
Der Durchfluss mit einer Strömungsgeschwindigkeit von bis zu 0,5 m/s veran-
lasst die Fische, gegen die Strömung den Schacht und damit den Fangkorb zu
verlassen. Gleichzeitig können abstiegswillige Fische in die Fischliftschleuse
einschwimmen, sofern sie z.B. mit Leiteinrichtungen nah genug an den Liftaus-
stieg herangeführt wurden. Nach erfolgtem Aus- bzw. Einstieg im Oberwasser
wird der Oberwasserschieber vollständig verschlossen. Durch den Unterwasser-
schieber (einen Spalt geöffnet) fließt das Wasser, das sich im Schacht befindet,
langsam ab. Erst wenn sich der Fangkorb wieder in der unteren Position befin-
det, wird das Unterwasserschütz vollständig geöffnet. Die abgestiegenen Fische
können nun die Fischliftschleuse ins Unterwasser verlassen (Monai 2016).
Bei einer Borstenrampenfischschleuse handelt es sich um eine Sonderform der
Fischschleuse, wie sie in der aktuellen Ausgabe des DWA-M 509 (2014) behan-
delt wird. Im Grundaufbau besteht sie aus einer Schleusenkammer sowie einem
unteren und einem oberen Verschlussorgan. Die namensgebende Besonderheit
ist, dass die Schleusenkammer mit einem Fangbereich und einer mit Borsten
besetzten Rampe ausgestattet ist. Die Borstenrampe hat erstens die Funktion,
dem in der Fangphase durchströmenden Wasser die überschüssige Energie zu
entziehen und zweitens diese Strömung quasi diffus über die gesamte Breite zu
verteilen, so dass im Fangbereich sich keine lokal irritierende Konkurrenzströ-
mung ausbildet. Drittens bildet die Borstenrampe bei der Befüllung eine nach
oben wandernde Leitstromfront aus, die die Fische über die schiefe Ebene zum
Ausstieg leiten soll. Der Aufstieg der Fische erfolgt damit ausschließlich durch
die Eigeninitiative der Tiere entgegen der Leitströmung. Eine weitere neue
Komponente besteht in einer oder mehreren Heberleitungen mit Strömungsbe-
ruhigungen, die bei geschlossenem Unterwasserschütz eine gerichtete Lock-
strömung aufrechterhalten. Über diese Heber wird der Lockstrom für den Aus-
stieg durch die Kammer durchgesetzt und auch die Entleerung vollzogen. Die
Vorteile dieser Heberleitungen mit Strömungsaufbereitern sind, dass sie keine
beweglichen Teile enthalten und dass am Unterwasserschütz nie Teilöffnungen
mit starker Strahlbildung gefahren werden, durch die herangelockte Fische wie-
der verscheucht werden. Die Entleerung wird erst durch das Abreißen der He-
berströmung (WSP auf Heberzulauföffnung) beendet (Hassinger 2016).
Aus fischökologischer Sicht handelt es sich bei der Borstenrampenfischschleuse
um die günstigere Lösungsvariante, die auch deutlich geringeren technischen
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176 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor
Aufwand (2 Elektroschützen; 1 Wasserstandsmessung, 1 Kleinsteuerung) mit
sich bringt. Im vorliegenden Fall ist wegen des Längenbedarfs für die Schleu-
senkammer mit Rampe, die nicht zu steil sein sollte, der Aufwand jedoch größer
einzuschätzen, da von einem Ersatzneubau des Gebäudes ausgegangen werden
muss. Unter Berücksichtigung aller Randbedingungen wurde die Fischlift-
schleuse für den Standort als zu bevorzugende Lösung bestimmt. Mit dieser
Konstruktion kann mit geringem Platzbedarf die ökologische Durchgängigkeit
hergestellt werden. Die Anlage wird in das vorhandene Mühlengebäude einge-
baut. Durch ihre geringen Abmessungen kann der Eingriff in den Baubestand
auf ein Minimum reduziert werden. Das vorhandene Mühlengebäude wird in
seinem äußeren Erscheinungsbild nicht wesentlich beeinträchtigt und kann fast
vollständig erhalten bleiben.
2 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit an der Großen
Mühle Hasede
2.1 Ausgangssituation
Die „Große Mühle Hasede“ liegt ca. 4 km nördlich von Hildesheim in der Ge-
meinde Giesen im Ortsteil Hasede am Ostufer der Innerste. Derzeit stellt die
Große Mühle Hasede mit ihren zwei Entlastungswehren sowie der Wasserkraft-
anlage ein unüberwindbares Hindernis für stromaufwärts wandernde Organis-
men dar. Auch eine stromab gerichtete Wanderung ist auf Grund der Turbinen
und ihrem vorgeschalteten Rechen für die meisten aquatischen Lebewesen aus-
geschlossen. Bei einer Passage durch die Turbinen ist von einem hohen Schädi-
gungspotential auszugehen. An der Großen Mühle Hasede fließt das Wasser
durch den Triebwerkskanal bzw. den Mühlengraben am Mühlenkolk vorbei in
das Unterwasser der Innerste. Ab dem maximalen Leistungsvermögen der Tur-
binen von 10,2 m³/s wird das Wasser über die Nordschleuse in den Mühlenkolk
geleitet. Die Nordschleuse befindet sich direkt oberhalb des Turbinenzulaufes.
Oberhalb des Mühlengraben soll die derzeit geschlossene und nicht mehr zu
öffnende Südschleuse mittelfristig erneuert werden, um die Hochwasserstände
oberhalb von Hasede zu senken. Die Entlastungswehre werden nur in Zeiten er-
höhter Abflüsse beaufschlagt und stellen daher für eine Auf- und Abwanderung
auch aufgrund der Wasserspiegeldifferenz zwischen Ober- und Unterwasser von
etwa 1,98 m keine Alternative dar.
Tabelle 2: Abflüsse Innerste, Gr. Mühle Hasede (Bezug: Pegel Gr. Giesen 1972-2001)
MNQ MQ max. Abfluss Turbinen Q30 Q330
Q (m³/s) 2,6 9,0 10,2 3,0 16,6
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Der Gewässerentwicklungsplan für die Innerste von der Talsperre bis zur Mün-
dung in die Leine (Jürging et al. 2012) liegt seit 2012 vor. Darin ist zur Umset-
zung des Entwicklungszieles „lineare Durchgängigkeit der Innerste“ die Maß-
nahmen „Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit an der Wasserkraftan-
lage der Großen Mühle Hasede“ enthalten.
Abbildung 5: Kolkbereich mit Blick auf die Südschleu-
se
Abbildung 6: Unterwasserkanal
Für die Innerste gilt die Barbe als Leitart. Sie zählt zu den potamodromen Mit-
teldistanzwanderern und führt Wanderungen im Verlauf des Gewässers durch,
ohne den Süßwasserbereich zu verlassen. Zusätzlich zu der Leitart werden Be-
gleitarten genannt, welche bei der Dimensionierung der Anlage mit berücksich-
tigt werden müssen (Äsche, Bachforelle, Bachneunauge, Döbel, Dreistachliger
Stichling, Elritze, Flussbarsch, Flussneunauge, Gründling, Hasel, Hecht, Koppe,
Groppe, Lachs, Quappe, Rotauge, Schmerle und Zährte). Unter diese Begleitar-
ten fällt auch der Aal, welcher als einzige heimische Fischart eine Wanderung
zwischen Süß- und Salzwasser vornimmt, um sich im Salzwasser zu reproduzie-
ren und im Süßwasser aufzuwachsen (diadrome Wanderung). Grundsätzlich sol-
len gemäß Vorgabe des DWA M 509 (2014) bei der Auslegung von Bauwerken,
die Fischwanderungen ermöglichen, alle Arten der autochthonen Fischfauna
(Referenzfauna) berücksichtigt werden, sodass das gesamte Spektrum vom leis-
tungsschwächsten bis zum größten Individuum das Wanderhindernis überwin-
den kann.
Grundsätzlich müsste eine FAH im Unterwasser der Wasserkraftanlage (WKA)
unmittelbar im Bereich des Saugschlauches positioniert werden, da die stromauf
wandernden Fische in der Regel der am stärksten ausgeprägten Strömung (Leit-
strömung) folgen. Da der Mühlenkolk nur bei deutlich erhöhter Wasserführung
durchströmt wird und in der restlichen Zeit eher einen Stillgewässercharakter
aufweist, ist davon auszugehen, dass sich die Fische im UW der WKA sammeln.
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178 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor
Aufgrund dieses Erfordernisses und der speziellen Gegebenheiten des Standor-
tes, ergeben sich komplexe Anforderungen an die Planung.
2.2 Untersuchte Varianten zur Herstellung der ökologischen Durchgän-
gigkeit
Laut des Gewässerentwicklungsplanes der Innerste (vgl. Jürging et al. 2012)
wird vom Landkreis Hildesheim eine Auf-/Abstiegslösung direkt am Mühlen-
standort favorisiert. Eine zweite Variante, die ggf. als Alternative angestrebt
werden könnte, sieht den Bau eines Umfluters um den „Haseder Busch“ herum
vor. Die Trassenführung orientiert sich dabei soweit wie möglich an vorhande-
nen Grabenmulden im Gelände. Ein Vorteil der Umfluterlösung besteht darin,
dass auf diese Weise nicht nur die Barriere der Stauanlage umgangen wird, son-
dern die Fische auch über einen größeren Teil des Rückstaubereichs hinweg ins
Oberwasser geleitet werden. Die Umfluterlösung gewährleistet jedoch aufgrund
der nicht korrekten Anordnung des Einstiegs im UW der WKA nicht die Anfor-
derungen des DWA M-509 hinsichtlich dessen Positionierung und kann somit
allenfalls eine Ergänzung zu der eigentlichen FAH darstellen.
Um den Fischen aus dem UW der WKA eine direkte Passage in das Oberwasser
zu ermöglichen, müssten sie über die Insel, die den Kolk und den UW-Kanal
voneinander trennt (vgl. Abbildung 7), am Kraftwerksgebäude vorbei ins OW
geleitet werden. Aufgrund der gegebenen Bebauung wäre dies nur über eine
aufwändige Tragwerkskonstruktion entlang der Wand des Turbinengebäudes
möglich. Die Mündung einer derartigen FAH würde zum einen unmittelbar
oberhalb des Rechens und somit im unmittelbaren Gefahrenbereich liegen, zum
anderen könnten die geometrischen und hydraulischen Anforderungen (vgl.
DWA M-509, 2014) nicht erfüllt werden.
2.3 Vorzugslösung
Die Vorzugsvariante sieht die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit
durch zwei separate Fischaufstiegsanlagen vor. Um den Fischen die Passage aus
dem UW der WKA in das OW zu ermöglichen, wird der Mühlenkolk als großes
„Ruhebecken“ verwendet. Da zwischen dem Mühlenkolk und dem UW keine
Wasserspiegeldifferenz vorhanden ist, wird am Auslauf des Mühlenkolks zu-
nächst eine Überlaufschwelle vorgesehen, mit der der Wasserspiegel im Kolk
gegenüber dem UW um 15 cm angehoben wird. Die entstandene Wasserspie-
geldifferenz ermöglicht es, über die zwischen Kolk und UW-Kanal gelegene
Insel, ein Raugerinne anzuordnen, das unmittelbar unterhalb des Saugschlauchs
mündet und den Fischen zunächst eine Passage in den Mühlenkolk ermöglicht.
Der verbleibende Höhenunterschied zwischen UW und OW kann von den Fi-
schen dann durch die Passage eines auf der orographisch linken Uferseite ange-
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ordneten Schlitzpasses überwunden werden. Zusätzlich wird ein Fischabstieg an
der WKA vorgesehen.
Abbildung 7: Übersichtsdarstellung
Im Zuge der Planung war zunächst durch ein hydraulisches Gutachten sicher zu
stellen, dass durch die vorgesehene Überlaufschwelle die Hochwasserneutralität
gewahrt bleibt. Dies konnte entsprechend belegt werden.
Durch die erforderliche Passage durch den Mühlenkolk und die dort fehlende
Fließgeschwindigkeit (reduzierte oder fehlende Rheotaxis), kann sich eine ge-
ringfügige Verzögerung innerhalb des Aufstiegs ergeben. Es konnte jedoch für
den Muldestausee in Sachsen-Anhalt mittels Radiotelemetrie nachgewiesen
werden, dass auch rheophile Arten (u.a. Barbe und Rapfen) dazu in der Lage
sind, längere Stillwasserbereiche in verhältnismäßig kurzer Zeit zu durch-
schwimmen (vgl. Fredrich 2006).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für den Standort trotz Was-
serkraftnutzung und schwieriger topographischer Verhältnisse eine Lösung für
die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit gefunden werden konnte, die
die Anforderungen des DWA M-509 bestmöglich umsetzt.
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180 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor
3 Literatur
Dwa (2014): M 509 - Fischwanderhilfen und fischpassierbare Bauwerke - Gestaltung,
Bemessung, Qualitätssicherung. DWA (Hrsg.). Meckenheim.
Fredrich, F. (2006): Monitoring zur Durchwanderbarkeit des Muldestausees für
potamodrome Fischarten. Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Talsperren-
betriebes Sachsen-Anhalt.
Hassinger, R. (2016): Funktions- und Ablaufbeschreibung der Borstenrampen-
fischschleuse nach VPUW Universität Kassel, Versuchsanstalt und Prüfstelle für
Umwelttechnik und Wasserbau, Uni Kassel.
Jürging, M., Schmida, U., Fink, S., Truh, M., Tangen, A., Unbehaun, T. (2012):
Gewässerentwicklungsplan für die Innerste von der Talsperre bis zur Mündung in die
Leine. Ingenieurgemeinschaft agwa GmbH. Landkreis Hildesheim (AG). Hannover.
LUGV – Landesamt fürUmwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2015):
Hydrologische Fachauskunft zum Lieberoser Mühlenfließ.
Monai, B. (2015): Informationsmappe zu den Fischliften des KW der Treibacher
Industrie AG an der Gurk und des KW der Leser GmbH am Löllingbach. Straßburg.
Monai, B. (2016): Wasserwirts Fischlift – eine Kombination aus Lift und Schleuse, Das
System, Pilotstandorte, bisherige Monitoringergebnisse. Straßburg.
Autoren:
Dipl.-Ing. (FH) Daniel Schmidt
IPP HYDRO CONSULT GmbH
Gerhart-Hauptmann-Str. 15
03044 Cottbus
Tel.: +49 355 75 70 05 19
Fax: +49 355 75 70 05 22
E-Mail: [email protected]
Marcel Härtel MSc.
IPP HYDRO CONSULT GmbH
Gerhart-Hauptmann-Str. 15
03044 Cottbus
Tel.: +49 355 75 70 05 31
Fax: +49 355 75 70 05 22
E-Mail: [email protected]
Dr. Reinhard Hassinger
Versuchsanstalt und Prüfstelle für Umwelt-
technik und Wasserbau
Kurt-Wolters-Str. 3
34109 Kassel
Tel.: +49 561 804 3291
Fax: +49 561 804 2684
E-Mail: [email protected]
Dr. Holger Pabsch
Ingenieurbüro Pabsch & Partner Ingeni-
eurgesellschaft mbH
Barienroder-Str. 23
31139 Hildesheim - Ochtersum
Tel.: +49 5121 2094 0
Fax: +49 5121 209 444
E-Mail: [email protected]
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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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„Bemessung im Wasserbau“
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Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei
Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit
Holger Pabsch
Am hessischen Mittelgebirgsfluss Salz sollte gemäß der Wasserrahmenrichtlinie
am Wehr oberhalb von Romsthal die ökologische Durchgängigkeit hergestellt
werden. Da gleichzeitig die Ausleitung und die Bespannung des Mühlgrabens auf-
rechterhalten werden musste, konnte das bestehende Wehr nicht alternativlos
rückgebaut werden. Um einen möglichst naturnahen Gewässerabschnitt herzustel-
len, wurde in der Gewässersohle eine Sickerrigole hergestellt. Damit entspricht
die Ausprägung des Flusses im Bereich der Maßnahme der natürlichen Gewäs-
sermorphologie dieses Abschnittes.
Stichworte: Wasserrahmenrichtlinie, ökologische Durchgängigkeit, Ausleitung,
Wehrrückbau, Sickerrigole
1 Problemstellung
Mit der Wasserrahmenrichtlinie verfolgt die Europäische Union das Ziel, in na-
türlichen Fließgewässern den guten oder sehr guten ökologischen Zustand her-
zustellen. Ein häufiger Grund für die Störung des guten Zustandes sind Wehre,
die die ökologische Durchgängigkeit der Fließgewässer reduzieren oder verhin-
dern. In vielen Fällen ist ein einfacher Rückbau nicht möglich, da die Auslei-
tung, zu deren Zweck das Wehr errichtet wurde, aufrechterhalten werden muss.
Dann sind in der Regel umfangreiche Maßnahmen wie z. B. der Bau von Sohl-
gleiten oder technischen Bauwerken erforderlich. Diese sind jedoch immer noch
als Eingriffe sichtbar und verändern das Erscheinungsbild des Gewässers.
Oberhalb der Ortslage Romsthal bei Bad Soden-Salmünster im Bundesland Hes-
sen befand sich in dem Fluss Salz ein Betonwehr, das das Wasser zur Ausleitung
in einen Mühlgraben staute. Dieses Wehr stellte eine unüberwindbare ökologi-
sche Barriere in der ansonsten sehr naturbelassenen Salz dar. Außerdem befand
sich das Wehr in einem sehr schlechten baulichen Zustand.
Die Ausleitung musste erhalten bleiben, da am Mühlgraben ein Wasserrecht be-
steht und der Mühlgraben Bedeutung für das Ortsbild hat. Daher kam ein einfa-
cher Rückbau des Wehres nicht in Frage.
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182 Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit
Im betrachteten Abschnitt ist das Gewässerbett weitgehend frei von anthropoge-
nen Einflüssen, weshalb die Errichtung eines technischen Fischpasses bei Erhalt
des Wehres als unbefriedigende und zudem aufwendige Lösung erschien.
Abbildung 1: Wehrbauwerk in der Salz mit seitlicher Ausleitung in den Mühlgraben
Abbildung 2: Unterlauf des Wehres, Zustand des unbeeinflussten Gewässers
2 Örtliche Verhältnisse
2.1 Die Salz
Die Salz gehört zum Flussgebiet der Kinzig und ist einer ihrer größten Zuflüsse.
Ihr Lauf beginnt am Zufluss zweier Quellbäche und überwindet auf 19 km Län-
ge einen Höhenunterschied von 322 m, was einem mittleren Gefälle von 1,7 %
entspricht.
Im betrachteten Abschnitt ist die Salz ein Gewässer II. Ordnung. Ca. 4 km ober-
halb, bei Sarrod, wird sie zum Gewässer III. Ordnung. Der Fluss ist der oberen
Ausleitung Mühlgraben
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Forellenregion zuzuordnen und gilt als wenig verändert, jedoch gibt es mehrere
unpassierbare Wanderhindernisse, die zu einem hohen Anteil strukturell defizi-
tärer Abschnitte führen.
2.2 Wasserwirtschaftliche Funktion des Wehres
Das in Abbildung 1 dargestellte Wehr diente dem Aufstau und der seitlichen
Ausleitung in den Mühlgraben. Diese Ausleitung war aufgrund bestehender
Wasserechte, der Löschwasserversorgung und zum Erhalt des Ortsbildes auch
nach Umsetzung der Maßnahme zu gewährleisten. Zudem stellt der Mühlgraben
eine ökologisch wertvolle Struktur dar.
Abbildung 3 zeigt den oberen Abschnitt des Mühlgrabens, bevor dieser die Orts-
lage Romsthal erreicht.
Abbildung 3: Mühlgraben oberhalb der Ortslage Romsthal
3 Planung
3.1 Konzeption
Nach Abstimmungen mit den Behörden wurde eine Lösung umgesetzt, die der
widersprüchlichen Zielstellung uneingeschränkt gerecht wird: die Herstellung
eines gegenüber den angrenzenden Bereichen unveränderten Gewässerabschnit-
tes bei gleichzeitiger Bespannung des Mühlgrabens mit 20 l/s – 80 l/s.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde in 2016 das Wehr komplett entfernt und in
einem definierten Sohlbereich der Salz eine Sickerrigole eingebaut, die das
Wasser über eine parallel zur Salz verlaufende Leitung in den Mühlgraben leitet.
Dadurch ergibt sich in der Salz eine völlig ungestörte Durchgängigkeit und da-
mit eine deutliche optische und ökologische Aufwertung. Zudem wird die Un-
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184 Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit
terhaltung erleichtert, da es kein Hindernis mehr gibt, an dem sich Bäume und
anderes Treibgut verfangen können.
Die Sickerrigole wurde etwa 50 m oberhalb des Wehres angelegt, um auch bei
Entfall des Einstaus ein ausreichendes hydraulisches Gefälle zum Mühlgraben
zu erhalten.
Unter der Gewässersohle wurde auf etwa 100 m² eine mit Geotextil eingefasste
Kieslage eingebracht, in der 8 Drainagerohre aus PE-HD verlegt wurden. Auf
dieser Sickerrigole wurde das zuvor entnommene und separat gelagerte Sohlma-
terial in einer Stärke von ca. 40 cm wieder eingebaut, sodass eine einheitliche
Sohle im Gewässerabschnitt hergestellt wurde. Im Ober- und Unterwasser wur-
de die Rigole durch massive Steinriegel gesichert (vgl. Abbildung 4 und 5).
Abbildung 4: Gewässerlängsschnitt der Sickerrigole
Die Sohle unter der Drainagerohre wurde horizontal angelegt, sodass sich auf-
grund der hydraulischen Entkopplung der Salz von der Rigole ein freier Wasser-
spiegel innerhalb der mit Drainagerohren belegten Fläche ergibt. Somit ist die
Anordnung eines Sammelschachtes für die Leitungen ausreichend.
Dieser Sammelschacht ist im linksseitigen Ufer angeordnet. Zur Durchflussre-
gulierung verfügt er über einen Drosselschieber.
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Abbildung 5: Lageplan der Sickerrigole
Vom Sammelschacht führt eine 85 m lange Freigefälleleitung DN400 aus Beton
zum Mühlgraben und mündet dort in einer rückverlegten Einleitstelle.
Die bisherige durch den Mühlgraben unterbrochene Uferlinie wurde dem allge-
meinen Gewässerverlauf entsprechend aufgefüllt. Sie erhielt eine mit Wasser-
bausteinen befestigte Absenkung, sodass der Mühlgraben die bisherige Funktion
einer Entlastung der Salz bei Hochwasser weiterhin erfüllen kann.
3.2 Bemessung
Entscheidend für die abgeführte Wassermenge ist die Durchlässigkeit der Ge-
wässersohle. Sobald das Wasser die Rigole erreicht, ist die Ausleitung über den
groben Kies aus eng gestuftem Rundkorn und die Drainageleitungen gewährleis-
tet.
Da der kf-Wert des anstehenden Sohlsubstrates uneinheitlich und schwer be-
stimmbar ist, wurde eine Bandbreite wahrscheinlicher Durchlässigkeiten ange-
nommen und zusammen mit der vereinbarten Spanne der abzuführenden Was-
sermenge wurde eine erforderliche Sickerfläche errechnet: mit der Mindestwas-
sermenge von 20 l/s dem Maximum von 80 l/s. Die Substratschicht wurde in der
Berechnung mit 40 cm berücksichtigt und darüber ein Wasserstand von 10 cm
angesetzt.
Es wurde davon ausgegangen, dass die Substratschicht komplett wassergesättigt
ist und am oberen Rand der Rigole das hydraulische Potential auf null sinkt, so-
dass sich eine Druckdifferenz von 50 cm Wassersäule ergibt.
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186 Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit
Es wurden kf-Werte von 1,5·10-4 m/s für die geringere und 7·10-4 m/s für die
größere Ausleitmenge berücksichtigt. Dies entspricht Grobsand an der Grenze
zum Mittelsand. Daraus resultiert nach Darcy eine erforderliche Rigolenfläche
von ca. 100 m².
Orientierende Schleppspannungsberechnungen haben gezeigt, dass mit einer Se-
dimentation von feinerem Material und einer Kolmation des Sohlmaterials nicht
zu rechnen ist. Erodiertes Sohlmaterial wird wieder vom Fluss aus dem Oberlauf
eingetragen, so dass von einer stabilen Sohle im Zustand der Beharrung auszu-
gehen ist.
Bei abnehmendem Abfluss in der Salz verringert sich aufgrund des sinkenden
Wasserstands auch die Sickerleistung der Rigole, sodass auf diese Weise die
Mindestwasserführung der Salz nicht unzulässig beeinträchtigt wird.
Genehmigt wurde die Maßnahme in einem wasserrechtlichen Genehmigungs-
verfahren nach §22 Hessisches Wassergesetz (Anlagen in Gewässern).
4 Bauliche Umsetzung
4.1 Bauablauf
Die einzelnen Bauwerke wurden in folgender Reihenfolge erstellt:
1. Betonleitung vom Sammelschacht zum Mühlgraben
2. Sammelschacht
3. Wehrrückbau
4. Wiederherstellung des Ufers zwischen Salz und Mühlgraben mit Entlas-
tungsmulde
5. Sickerrigole
Um den Mühlgraben im Bauzustand der Rigole auch nach dem Rückbau des
Wehres zu speisen, wurde im Bereich der späteren Rigole eine frei endende Lei-
tung zwischen dem Sammelschacht und der Salz verlegt und dort eine Vertie-
fung ausgehoben. Während der Bauzeit wurde diese von Sedimenten freigehal-
ten.
Die kritische Bauphase war der Einbau der Sickerrigole, sodass hierfür eine Ab-
flussarme Phase genutzt wurde. Am rechtsseitigen, dem Sammelschacht abge-
wandten Ufer wurde die Salz auf ca. 1 m Breite vertieft, sodass durch diese Rin-
ne temporär der gesamte Abfluss abgeführt wurde. So konnte die Rigole mit den
Drainageleitungen in einem Abschnitt erstellt werden.
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Abbildung 6: Kiesrigole mit Drainagerohren – links: Blickrichtung Sammelschacht, rechts:
Blickrichtung entgegengesetztes Ufer
Wie in Abbildung 7 dargestellt wurde die Sickerrigole seitlich und von oben mit
Geotextil einer Schichtdicke von 6,7 mm und einer Flächenmasse von 828 g/m²
abgedeckt. Die charakteristische Öffnungsweite von 0,08 mm verhindert den
Eintrag von Feinmaterial in die Rigole. Die Drainagerohre wurden nicht in Geo-
textil gefasst, damit eventuell in die Rigole eingetragenes Material wieder aus-
geschwemmt werden kann. Auf diese Weise bleiben sie spülbar. Ober- und un-
terhalb der Rigole wurde die Gewässersohle mit einer Reihe großer Steine gesi-
chert, die auch das Geotextil fixieren.
Abbildung 7: Mit Geotextil eingefasste Rigole
Das oberstrom des Wehres abgelagerte Geschiebe wurde vor dem Wehrrückbau
entnommen und gemeinsam mit dem im Rigolenbereich ausgebaggerten Sohl-
material wieder eingebracht. Dazu wurde es oberhalb der Rigole eingesetzt und
Page 196
188 Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit
hat sich dem Fließverhalten entsprechend eingespült. Anschließend wurden die
größeren Steine der Gewässersohle aufgesetzt und angedrückt.
Die Baumaßnahme wurde neben der Bauleitung durch eine ökologische Baube-
gleitung überwacht. Der Eingriff in die Natur konnte sehr gering gehalten wer-
den. Lediglich 2 Bäume mussten gefällt werden.
4.2 Fertiggestelltes Bauwerk
Ende September 2016 wurde die Maßnahme abgeschlossen (vgl. Abbildung 9).
Die Ausleitung von bis zu 80 l/s erweist sich nach Umsetzung der Maßnahme
als absolut unproblematisch. Um den Eintrag von Feinkorn in das Geotextil zu
verhindern, wurde der Drosselschieber auf ca. 40 l/s bei mittlerem Abfluss regu-
liert.
Das Sohlsubstrat entspricht dem ober- und unterhalb anstehenden Material, so
dass bisher auch bei einer abflussbedingten Substratverlagerung keine nennens-
werten Veränderungen der Gewässersohle aufgetreten sind.
Abbildung 8: Flussbett der Salz im Bereich der fertiggestellten Sickerrigole
Nach Kenntnis des Autors ist diese Lösung im Zusammenhang mit einem Wehr-
rückbau ohne Beispiel. Der bisherige Betrieb zeigt, dass so die ökologische
Durchgängigkeit bei gleichzeitig geringem Unterhaltungsaufwand in optimaler
Weise gewährleistet ist.
5 Förderung
Die Maßnahme wurde mit Mitteln des Landes Hessen gefördert, Träger war die
Stadt Bad Soden-Salmünster.
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6 Literatur
Pabsch & Partner, Ingenieurbüro (2014): Erläuterungsbericht zur Genehmigungsplanung
„Rückbau Absturz und Neugestaltung Abschlag Romsthal“, Hildesheim 2014
Ditter, G. (2014): Umgestaltung Abschlag Romsthal – Fachbeitrag Naturschutz, Erlensee
2014
Autor:
Dr.-Ing. Holger Pabsch
Ingenieurbüro Pabsch & Partner GmbH
Barienroder Straße 23
31139 Hildesheim
Tel.: +49 5121 2094-0
Fax: +49 5121 2094-44
E-Mail: [email protected]
www.ipp-consult.de
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken
für den Rückhalt von Eisenocker
Ingo Schnauder, Christoph Gerstgraser
Thomas Koch, Wilfried Uhlmann
Im Umgang mit der Eisenbelastung von Gewässern ist ein möglichst früher, de-
zentraler Rückhalt in kleinen Anlagen wünschenswert. Als wirtschaftliche Lösung
eignen sich dafür besonders Absetzbecken, in denen sich Eisenausfällungen durch
den Gravitationseinfluss langsam absetzen. Als Bemessungsgrundlagen für eine
Vordimensionierung können Ansätze für Sandfänge aus der Literatur übertragen
werden. Für die strömungsgünstige Detailgestaltung und eine optimale Ausnut-
zung des Rückhalteraumes bieten sich zusätzlich 3D-HN-Modelle an.
In der vorliegenden Studie wird dieser kombinierte Modellierungsansatz vorge-
stellt und auf die besonderen Eigenschaften von Eisenocker eingegangen.
Stichworte: Absetzbecken, Sedimentation, Numerische Modellierung, Schweb-
stofftransport
1 Einführung
Durch den Grundwasserwiederanstieg in einigen Bereichen der Lausitzer
Braunkohlefolgelandschaften kommt es zum Eintrag von saurem und eisenhalti-
gem Grundwasser. Die Oxidation des Eisens beim Austritt des Grundwassers
führt zur Bildung von Eisenhydroxid, was zur Braunfärbung der Fließgewässer
und anschließend zur Ablagerung von Eisenhydroxidschlämmen führt, die sich
negativ auf das Ökosystem Fließgewässer auswirken können (Abbildung 1).
Absetzbecken sind einfache und vom Volumenstrom her leistungsfähige Anla-
gen zum Rückhalt von Eisenocker. Die wesentlichen Faktoren für ihre Reini-
gungsleistung sind Retentionszeit, bzw. bei kontinuierlichem Betrieb die Durch-
strömgeschwindigkeit, Gesamteisenkonzentration im Zulauf sowie physikalisch-
chemische Parameter wie Temperatur, Sauerstoffgehalt, pH-Wert und Alkalini-
tät.
Grundsätzlich können für den Eisenockerrückhalt offene Becken und Makro-
phytenbecken unterschieden werden. Die Retentions- bzw. Durchlaufzeit kann
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192 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker
Abbildung 1: (a) Anlagerung von Eisenhydroxidflocken an Makrophyten in einem neutra-
len Gewässer (Foto: Uhlmann, 2000 in LfULG, 2014)
(b) Mineralbildungen durch Eisen(III)ausfällungen in einem stark sauren
Wasser mit pH = 2,9 und ca. 70 mg/L Eisen-gelöst (LfULG, 2014)
in beiden Fällen durch eine Kammerung des Gesamtvolumens erhöht werden.
Um einen optimalen Betrieb solcher Becken zu erreichen, ist jedoch eine mög-
lichst gleichmäßige Sedimentation über die gesamte Beckenfläche wünschens-
wert und die Entstehung von präferenziellen Fließwegen zu vermeiden.
Nach einer Vordimensionierung basierend auf Ansätzen für Sandfänge, lassen
sich mit Hilfe hydronumerischer Modelle Detailgestaltungen für Absetzbecken
optimieren. In der vorliegenden Studie wird das 3D HN-Modell „SSIIM“ (Ol-
sen, 2014) zur Berechnung von Strömungsstruktur, Retentionszeiten und dem
Absetzverhalten von Eisenocker eingesetzt. Mit SSIIM ist es möglich, neben der
Beckengeometrie auch überströmbare Einbauten sowie Filter- oder Makrophy-
tenstreifen als poröse Medien in das Rechengitter zu implementieren. Das ver-
wendete k-eps Turbulenzmodell mit Berechnung der turbulenten kinetischen
Energie (TKE) liefert zudem einen wichtigen Parameter für das Absetzverhalten
und hat damit Vorteile gegenüber Modellen, die nur mit einem Wirbelviskosi-
täts-Ansatz arbeiten.
a) b)
5 cm 50 cm
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2 Vordimensionierung von Absetzbecken
Bei der Vordimensionierung von Absetzbecken sind zu berücksichtigen:
Erforderliche Länge des Beckens, die sich aus der Absinkrate der Partikel
und der Durchströmgeschwindigkeit ergibt (2.1, 2.4)
Erforderliche Breite des Beckens, die sich aus der Partikelfracht (Bilanz
der aus Ein- und Austrag) und dem geplanten Beräumungszyklus ergibt
(2.2).
Strömungsgünstige Gestaltung, insbesondere der Ein- und Ausläufe, des
Breiten/Längenverhältnisses und ggf. der Kammerungen (2.3)
Vorhandenes Gefälle und nutzbare potentielle Energie für die Etablierung
einer kontinuierlichen Gerinneströmung zwischen Fließgewässer, Becken
und Vorflut.
Realisierung einer betrieblichen Infrastruktur (z.B. für Beräumung mittels
Saugbaggereinsatz und Verspülung in Trockenbeete)
Allgemeine Gestaltungsprinzipien , wie z.B. naturräumlich geeignete Lö-
sungen (Landschaftsbild, Eingriffsminimierung) und eine naturnahe Ge-
staltung.
2.1 Erforderliche Beckenlänge
Die erforderliche Beckenlänge ergibt sich aus der Sinkgeschwindigkeit der Par-
tikel und der Wassertiefe des Beckens (Abbildung 2).
Abbildung 2: Sandfang im Längsschnitt mit linearisierten, mittleren Bahnkurven für ver-
schieden große Körner (aus Patt & Gonsowski, 2011)
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194 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker
Nach dem linearen Weg-Zeit-Gesetz und wenn die effektive Absinkzeit Tv,eff (s)
gerade gleich der Durchlaufzeit Thor (s) entspricht, ergibt sich daraus für die Be-
ckenlänge L (m):
L = u ∙h
weff
(1)
mit: u mittlere Durchlaufgeschwindigkeit = L/Thor (m/s)
weff effektive Sinkgeschwindigkeit der Partikel = h/Tv,eff (m/s)
h Wassertiefe des Beckens (m)
2.2 Erforderliche Beckenbreite
Die Beckenbreite B (m) bestimmt den wirksamen Raum und muss daher in Ab-
hängigkeit von der Partikelfracht festgelegt werden. Gleichzeitig ist die Breite
so festzulegen, dass eine gleichmäßige Durchströmung gewährleistet werden
kann. Giesecke et al. (2014) geben dafür folgende Grenzwerte an:
B ≤L
8 und
h
B≈ 1,25
(2a/b)
Diese können als Richtwerte für die grobe Vordimensionierung angesetzt wer-
den. Die detaillierte Planung muss darüber hinaus eine strömungsgünstige Ge-
staltung berücksichtigen, um Turbulenzproduktion zu vermeiden und den wirk-
samen Absetzraum möglichst groß zu halten.
2.3 Strömungsgünstige Gestaltung
Strömungsablösungen und damit verbundene Turbulenzproduktion wirken sich
negativ auf das Sedimentationsverhalten und damit die Leistungsfähigkeit eines
Absetzbeckens aus. Weiterhin geht durch damit verbundene Rezirkulationsströ-
mungen und Tot-/Stillwasserzonen letztendlich auch wirksamer Absetzraum
verloren. Besonders wichtig sind der Ein- und Auslaufbereich (Abbildung 3)
sowie Ecken und Trennwände bei Kammerungen (Abbildung 4).
Auch zu beachten sind Energieverluste durch zusätzliche Turbulenz, die das
vorhandene Potentialgefälle vermindern und sich damit negativ auf die kontinu-
ierliche Durchströmung der Becken auswirken können.
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Abbildung 3: Langsandfänge (a) bei günstiger Ein- und Ausströmung und großem wirksa-
men Raum, (b) bei Strömungsablösung und damit verringertem wirksamen
Raum (aus Vischer & Huber, 1993)
Abbildung 4: Verringerung von wirksamen Raum durch Eckwalzen und Strömungsablösun-
gen mit Turbulenzproduktion in gekammerten Systemen
Page 204
196 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker
2.4 Sinkgeschwindigkeit
Die zentrale Größe für die Dimensionierung der Absetzbecken ist die Sinkge-
schwindigkeit w0 (m/s) im ruhenden Fluid. Sie wird über ein Kräftegleichge-
wicht der Auftriebs- und Widerstandskräfte beim Sinken abgeleitet. Bei geringer
Sinkgeschwindigkeit, d.h. im unteren Re-Bereich (Re < 0,25), gilt nach Stokes:
w0 =1
18 ∙ ν∙ g ∙ d2 ∙
ρS
ρ− 1
(3)
mit: d Partikeldurchmesser (m)
S Partikeldichte (kg/m³)
Dichte Wasser (kg/m³)
g Erdbeschleunigung (m/s²)
kinematische Viskosität (m²/s)
Bei durchströmten Absetzbecken muss zusätzlich die Turbulenz der Strömung
berücksichtigt werden, die den Sedimentationsprozess verzögert und zu vertika-
len Konzentrationsprofilen führt (Abbildung 5). Nach Bagnold (1966) kann die
effektive Sinkgeschwindigkeit weff (m/s) um den Betrag der vertikalen Turbu-
lenzintensität wrms (m/s) reduziert werden (Ortmann, 2006):
weff = w0 − w′rms ≡ w0 −
2
3k
0,5
(4)
mit: k turbulente kinetische Energie (m²/s²) unter Annahme
isotroper Turbulenz (urms= vrms= wrms)
Abbildung 5: Vertikale Geschwindigkeits- und Konzentrationsverteilungen bei ungünstiger
stufenartiger Aufweitung mit Strömungsablösung
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Absetzverhalten von Eisenocker
Bei der Übertragung der vereinfachten Ansätze nach Gl. (3) und (4) auf Eiseno-
cker muss die Kinetik der Ausfällung berücksichtigt werden. Dabei ist zu beach-
ten (LfULG, 2014):
Eine ausreichende Sauerstoffkonzentration im Wasser, um eine vollstän-
dige Oxidation und Hydrolyse zu Eisenhydroxid zu gewährleisten.
Eisenhydroxid ist eine Festphase und bildet im Freiwasser zunächst Mik-
roflocken, die unter schwach sauren und neutralen Bedingungen nur
schwer koagulieren und deshalb lange Zeit in der Schwebe verbleiben.
Mit der Erhöhung des pH-Wertes verbessert sich das Absetzverhalten des
Eisens deutlich.
Die Ausfällung findet bevorzugt an Grenzflächen zwischen Wasser und
Festkörpern statt. Makrophyten weisen durch ihre große Oberfläche daher
eine sehr hohe Rückhalteeffizienz auf, die durch die Sauerstoffproduktion
durch Photosynthese zusätzlich begünstigt wird.
Die genannten Faktoren beeinflussen Dichte und Durchmesser der Flocken wäh-
rend des Beckendurchlaufs und sind unter vertretbarem Aufwand eigentlich nur
integral durch Absetzversuche zu bestimmen.
3 Detailgestaltung mit Hilfe numerischer Modellierung
Die strömungsgünstige Detailgestaltung der Absetzbecken erfolgt mit Hilfe der
numerischen Strömungsmodellierung. Ziel ist dabei, Strömungsablösungen und
erhöhte Turbulenzproduktion zu vermeiden, sowie den wirksamen Absetzraum
zu maximieren und so zu einer möglichst homogenen Ablagerung gesamten Be-
cken zu kommen.
Derzeit laufen hierzu erste Untersuchungen mit dem 3D-Strömungsmodell
„SSIIM“ (Olsen, 2006). Speziell SSIIM hat dabei folgende Vorteile:
Berücksichtigung der dreidimensionalen Strömungscharakteristik im Ein-
und Auslaufbereich (Abbildung 6).
Makrophyten können über einen Porositätsansatz (Zinke, 2012) in das
Rechengitter implementiert werden (Abbildung 7).
k-eps Turbulenzmodell mit Berechnung der turbulenten kinetischen Ener-
gie, die zu einem verzögerten Absinken führt (vgl. 2.4).
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198 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker
Sedimentberechnungen für verschiedene Korngrößenklassen sind über
den Konvektions-Diffusions-Ansatz möglich (Olsen, 2014).
Abbildung 6: Offenes Becken: Fließgeschwindigkeit und Bahnlinien (berechnet mit SSIIM)
Abbildung 7: Flaches Becken mit Makrophytenstreifen im Einlauf (SSIIM)
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4 Ausblick
Dezentrale Absetzbecken, die möglichst weit im Oberlauf liegen, sind ein wich-
tiger Beitrag bei der Reduktion der Eisenbelastung in unseren Gewässern. Auf-
grund der geringen Sinkgeschwindigkeit von Eisenocker und der erheblichen
Frachten ergeben sich aber auch bei geringen Abflüssen bereits beträchtliche
Beckenvolumen. Der Absetzraum sollte durch eine strömungsgünstige Gestal-
tung effizient genutzt werden. Dabei helfen hydronumerische Modelle, in denen
auch die Wirkungen von Einbauten oder Makrophytenstreifen im Ein- oder Aus-
lauflaufbereich untersucht werden können.
Ebenfalls hilfreich bei der Optimierung sind Strömungs-Visualisierungen von
Bahnlinien und daraus bestimmten Verweilzeiten, die bei Eisenocker mehrere
Tage betragen. Eine quantitative Sedimentationsberechnung ist dagegen noch
mit großen Unsicherheiten behaftet. Hier ist sicherlich eine bessere Parametri-
sierung der Flockung und des Absetzverhaltens und damit der Auswirkungen
auf die physikalischen Eigenschaften Dichte, Form und Partikelgröße erforder-
lich.
5 Literatur
Bagnold, R. A. (1966): An Approach to the Sediment Transport Problem from General
Physics. Geological Survey Professional Paper 422 – 1, U.S. Departmenz of the
Interior.
Giesecke, J., Heimerl, S. & Mosonyi, E. (2014): Wasserkraftanlagen - Planung, Bau und
Betrieb. 6. Auflage, Springer Verlag, Berlin, 2014
LfULG (2014): Fließgewässerorganismen und Eisen. Schriftenreihe des Landesamtes für
Umwelt, Landwirtschaft udn Geologie, Freistaat Sachsen, Heft 35/2014.
Olsen, N. R. B.(2014): SSIIM User’s Manual. The Norwegian University of Science and
Technology, Trondheim, Norway (online: http://folk.ntnu.no/nilsol/ssiim/).
Ortmann, C. (2006): Entsander von Wasserkraftanlagen. Dissertation ETH Zürich Nr.
16324.
Zinke, P. (2012): Application of a porous media approach for vegetation flow resistance.
River Flow 2012 - Proceedings of the International Conference on Fluvial
Hydraulics.
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200 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker
Autoren:
Dr. Ingo Schnauder
Dr. Christoph Gerstgraser
gerstgraser -
Ingenieurbüro für Renaturierung
An der Pastoa 13
03042 Cottbus
Tel.: +49 355 48389 0 +49 355 48389 0
Fax: +49 355 48389 20 +49 355 48389 20 +49 355 48389 20
E-Mail: [email protected]
[email protected]
Dr. Thomas Koch
Lausitz Energie Bergbau AG
(LEAG)
Vom-Stein-Straße 39
03050 Cottbus
Tel.: +49 355 28872082
Fax: +49 355 28872188
E-Mail: [email protected]
Dr. Wilfried Uhlmann
Institut für Institut f. Wasser u. Boden
(IWB)
Lungkwitzer Str. 12
01259 Dresden
Tel.: +49 351 2709854
Fax: +49 351 4668800
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftli-
cher Anlagen im urbanen Raum
Adrian Schulz
Thomas Geyer
Konrad Thürmer
Ennes Sarradj
Jennifer Stapel
Der Wasser- und Bodenverband Oberland Calau errichtete zur Gewährleistung der ökologi-
schen Durchgängigkeit des Priorgrabens verschiedene wasserwirtschaftliche Anlagen im
Stadtgebiet Cottbus. Hierbei wurden vorhandene Anlagen durch Ersatzneubauten mit inte-
grierten Fischaufstiegsanlagen ersetzt. Nach Umsetzung der Baumaßnahmen kam es vermehrt
zu Beschwerden von Anwohnern bezüglich erhöhter Lärmemissionen. Dies hatte zur Folge,
dass auf dem begehbaren Steg einer Fischaufstiegsanlage eine geneigte Schallschutzwand
errichtet werden musste. Angesichts der starken Zunahme an ökologisch durchgängig ausge-
führten wasserwirtschaftlichen Anlagen ist ein ausführlicher Kenntnisstand und Erkenntnis-
bedarf über die zu erwartenden akustischen Emissionsgrößen solcher Anlagen erforderlich.
Um den Aspekt der Lärmemission für zukünftige Bauvorhaben im urbanen Raum besser mit
in die Vorplanung und Bemessung zu integrieren, wurden in Abhängigkeit der Wasserstands-
Abflussbeziehung für vier verschiedene Bauwerke der frequenzabhängige Schallleistungspe-
gel bestimmt. Hierbei galt es zu klären in welchen Größenordnungen die Belastungen für
Anwohner durch Geräuscheinwirkungen auftreten und wie man diese auftretenden Lärmemis-
sionen nachweisen bzw. messen kann.
Um diesen Fragestellungen nachzugehen, existieren eine Vielzahl von Leitlinien und Grund-
normen zur Bestimmung des Schallleistungspegels, die als Grundlage für diese spezielle Fall-
betrachtung herangezogen wurden. Zur Ermittlung eines geeigneten Messverfahrens erfolgte
eine schalltechnische Prognoseberechnung an ausgewählten Beispielen. Basierend auf der
Analyse des ermittelten Schallleistungspegels betrachteter Anlagen resultierte die Optimie-
rung des Messverfahrens zur Bestimmung des frequenzabhängigen Schallleistungspegels.
Dabei wurden verschiedene Optionen entwickelt und deren Einfluss auf die Gesamtauswir-
kung untersucht. Eine generelle Übertragbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der
Schallausbreitung je nach Bauart ist hierbei jedoch nicht ohne Einschränkungen möglich, da
je nach Standort eine spezifische Betrachtung der Umgebungsfaktoren erfolgen muss. Anhand
der Untersuchungen lassen sich jedoch für zukünftige Bauvorhaben erste Empfehlungen, hin-
sichtlich des möglichen Typs der zu errichtenden Anlage, im urbanen Gebiet abgeben.
Stichworte: Fischaufstiegsanlagen, Schallschutz, Schallleistungspegel
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202 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum
1 Problemstellung
Der Wasser- und Bodenverband „Oberland Calau“ versetze in den letzten Jahren
durch strukturelle Veränderungen und den Bau von Fischpässen an Wehranla-
gen den Priorgraben in ein naturnahes Fließgewässer zurück. Diese Maßnahmen
waren mit der Wiederherstellung der Durchgängigkeit für aquatische Organis-
men verbunden. Nach dem Umbau der Anlage an der Steinteichmühle kam es
vermehrt zum Auftreten von Anwohnerbeschwerden über Lärmbeeinflussung
infolge von Wasserrauschen. Im Zuge dessen musste an diesem Standort eine
Schallschutzwand errichtet werden (siehe Abbildung 1). Angesicht des starken
Anstiegs der Zahl der ökologisch durchgängig ausgeführten wasserwirtschaftli-
chen Anlagen ist ein ausführlicher Kenntnisstand und Erkenntnisbedarf über die
zu erwartenden akustischen Emissionsgrößen solcher Anlagen erforderlich.
Abbildung 1: Geneigte Schallschutzwand an Fischaufstiegsanlage
2 Untersuchungsgebiet
Der Priorgraben als Fließgewässer II Ordnung entspringt südöstlich von Cottbus
zwischen den Ortsteilen Madlow und Kiekebusch aus dem Mühlgraben Der
Mühlgraben ist ein circa 1,5 km langer Altarm der Spree, der linksseitig dieser
in einem großen Bogen vor dem Madlower Wehr abzweigt. Stromabwärts ver-
läuft der Priorgraben durch die Niederung der Sachsendorfer Wiesen und Glin-
ziger Fischteiche, um kurz dahinter das Koselmühlenfließ aufzunehmen. Nach
einer Gesamtlänge von 20 km mündet das Gewässer nahe der Ortschaft Babow
in das Greifenhainer Fließ. Der Priorgraben bildet damit eine wichtige Verbin-
dung zwischen der Spree und dem Oberspreewald. Eine Auflistung der betrach-
teten Bauwerke ist in Tabelle 1 aufgeführt.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 203
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Tabelle 1: Übersicht der betrachteten wasserwirtschaftlichen Anlagen
Wehr Babow
D1
Steinteichmühle
D9
Priormühle
D10
Einlaufbauwerk
D11
Fluss-km 0+700 13+650 18+500 19+900
Art der FAA Rauhgerinne-
Beckenpass
Rauhgerinne-
Beckenpass
Naturnahe Soh-
lengleite
Doppelschlitzpass
Anzahl Becken 7 8 14 10
Wehrfeld Staubohlen
(überströmt)
Schütztafel
(unterströmt)
- Schütztafel
(unterströmt)
3 Methodik
3.1 Akustik
Die wichtigste Messgröße der Akustik ist der Schalldruck p, eine Wechselgröße,
die dem statischen Luftdruck überlagert, jedoch wesentlich kleiner ist. Da der
Schalldruck als zeitabhängige Wechselgröße für die Charakterisierung der Stär-
ke eines Schalles nicht geeignet ist, wird stattdessen der Effektivwert des
Schalldrucks verwendet. Bei akustischen Messungen an Maschinen oder Indust-
rieanlagen wird dazu üblicherweise über eine Messdauer von mindestens 30 s
linear gemittelt. Da der Lautstärkeeindruck des Menschen näherungsweise einer
logarithmischen Skala folgt, wird in der Praxis der sogenannte Schalldruckpegel
(Lp) verwendet.
Um die Schallentstehung einer Maschine oder Anlage anzugeben, ist jedoch der
Schalldruckpegel eher ungeeignet, da dieser sowohl von der Entfernung zur
Schallquelle, von deren Richtwirkung, als auch generell von den örtlichen Ge-
gebenheiten am Messplatz abhängt. Stattdessen wird zur Charakterisierung einer
Schallquelle die sogenannte Schallleistung LW verwendet, welche die erzeugte
Schallenergie einer Quelle pro Zeiteinheit angibt. Wird dieser Schallleistungs-
pegel frequenzabhängig (üblicherweise in Terz- oder Oktavbändern) gemessen,
so lässt sich daraus ein Gesamtschallleistungspegel wie folgt bestimmen:
(1)
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204 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum
Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden verschiedene wasserwirtschaftliche
Anlagen in der Umgebung von Cottbus hinsichtlich ihrer Schallemission unter-
sucht. Dazu wurde an verschiedenen Positionen um und über der Anlage durch
Messungen mit einem Handschallpegelmesser der jeweilige Schalldruckpegel
bestimmt. Um eine grobe Aussage zum Einfluss der Fließgeschwindigkeit auf
die Schallerzeugung zu erhalten, wurden am Wehr in Babow sowie am Einlauf-
bauwerk zusätzliche Messungen bei einer von der ersten Messung verschiede-
nen Fließgeschwindigkeit durchgeführt.
Tabelle 2: Übersicht der verwendeten Messraster
Bez. Einlaufbau-
werk D11
Priormühle
D10
Steinteich-
mühle D9
Wehr
Babow D1
Länge Messraster m 32 48 37,5 24
Breite Messraster m 13,3 8,7 14,4 18,23
Höhe Messraster m 2,25 2,25 2,25 2,25
Messfläche m2 629,45 672,75 773,55 627,75
Anzahl Mikrofon-
positionen
- 27 41 32 32
Mikrofonabstand
in Fließrichtung
m 8 6 7,5 6
Messdauer s 30 60 60 60
Für die Bestimmung der Schallleistung einer wasserwirtschaftlichen Anlage aus
gemessenen Schalldruckpegeln gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
1. die Messung entlang eines einfach geformten, geschlossenen Pfades um die
Anlage und die Ermittlung der zugehörigen Messfläche nach DIN EN ISO 8297
(DIN8297)
2. die Messung auf einer die Quelle umschließenden Hüllfläche, entsprechend
der erreichbaren Genauigkeit nach DIN EN ISO 3744 (DIN3744) (für Genauig-
keitsklasse 2) oder DIN EN ISO 3746 (DIN3746) (Genauigkeitsklasse 3)
Obwohl eine Messung nach dem Hüllflächenverfahren (zweite Möglichkeit) bei
vielen wasserwirtschaftlichen Anlagen aufgrund deren Größe und unter Um-
ständen einer begrenzten Zugänglichkeit sehr aufwändig ist, bietet sie den Vor-
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teil, dass auch eine nach oben gerichtete Schallemission berücksichtigt wird. In
der vorliegenden Studie wurde daher die Schallleistung der unterschiedlichen
Anlagen mit Hilfe des Hüllflächenverfahrens in Anlehnung an DIN EN ISO
3746 durchgeführt. Zu diesem Zweck wurde um die Anlagen jeweils ein etwa
quaderförmiges Messraster definiert, mit dessen Hilfe die Mikrofone positioniert
werden konnten. Beidseitig der Anlagen wurde das Mikrofon dabei in zwei un-
terschiedlichen Höhen von 1,55 m und 2,25 m aufgestellt. Auf Grund der zum
Teil beschränkten Zugänglichkeit der Anlagen war es dabei jedoch nicht in je-
dem Fall möglich, die über den Anlagen befindlichen Messpunkte ebenfalls ide-
al gleichmäßig zu verteilen. Die vorliegende Studie ist daher als erste Untersu-
chung der Durchführbarkeit von Schallemissionsmessungen an solchen Anlagen
zu verstehen. Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die für die akustischen Messun-
gen verwendeten Messraster.
In Abweichung zu DIN EN ISO 3746 konnte in der vorliegenden Untersuchung
kein Störgeräusch gemessen werden, da die wasserwirtschaftlichen Anlagen
zum Zweck der Messung nicht abgeschaltet werden können. Vereinfachend wird
die laut Norm zu berechnende Fremdgeräuschkorrektur K1A an dieser Stelle als
Null angenommen. Da die Messungen im Freien stattfanden, wurde in Überein-
stimmung mit der Norm als Korrekturwert K2A für die Messumgebung ebenfalls
Null angenommen.
Alle akustischen Messungen wurden mit einem Handschallpegelmessgerät der
Klasse 1 und einem 1/4 Zoll Messmikrofon der Klasse 2 durchgeführt, welches
mit einem Windschutz versehen war. Die Messdauer betrug mindestens 30 s, in
ausgewählten Fällen 60 s. Die Messungen wurden gemäß der Norm in Terzbän-
dern mit Mittenfrequenzen von 125 Hz bis 8 kHz durchgeführt.
3.2 Abfluss-Wasserstands-Beziehung
Für die Abflussmessungen wurde als Messgerät der ADC (Acoustic Digital Cur-
rent Meter) der Fima OTT Hydromet GmbH & Co.KG verwendet. Alle vorge-
nommenen Messungen mittels des OTT ADC erfolgten unter Berücksichtigung
von LAWA: „Richtlinie für das Messen und Ermitteln von Abflüssen und
Durchflüssen“, der Pegelvorschrift Anlage D. Gemessen wurde nach dem Prin-
zip des Messlotrechten Verfahrens. An den regelbaren Wehranlagen erfolgte die
Aufnahme der Ober- und Unterwässerstände (OW & UW) durch Ablesen der
Lattenpegel. Für die naturnahe Sohlengleite resultierte die Höhendifferenz (Δh)
zwischen Ober- und Unterwasser aus Nivelliermessungen.
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206 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum
4 Ergebnisse
Abbildung 2 zeigt den Vergleich der ermittelten A-bewerteten Schallleistungs-
pegel für die untersuchten wasserwirtschaftlichen Anlagen als Funktion der
Terzmittenfrequenz. Die während der Messungen vorherrschenden Wasserspie-
geldifferenzen und Fließgeschwindigkeiten sind in Tabelle 3 angegeben (für die
beiden Anlagen, bei denen zwei Messungen durchgeführt wurden, gehört der
jeweils erste Wert zur in Abbildung 2 dargestellten Schallleistung). Es ist er-
sichtlich, dass der spektrale Verlauf bei allen Anlagen grundsätzlich ähnlich ist:
Die Schallleistung steigt von tiefen zu mittleren Frequenzen an (mit etwa 10 bis
12 dB(A) pro Frequenzverdopplung) und erreicht dann bei etwa 1000 Hz bis
1250 Hz das Maximum. Anschließend fällt der Schallleistungspegel mit weiter
steigender Frequenz wieder ab (mit etwa 6 bis 8 dB(A) pro Frequenzverdopp-
lung). Der höchste Schallleistungspegel wurde dabei für die Fischaufstiegsanla-
ge gemessen, das Maximum beträgt hier 85,9 dB(A). Die geringste Schallleis-
tung mit einem Spitzenwert von 73,9 dB(A) ergibt sich für das Wehr Babow.
Das gemessene Schallleistungsspektrum des Wehrs in Babow zeigt neben dem
globalen Maximum bei 1250 Hz noch ein weiteres, lokales Maximum bei 200
Hz. Dieses Schallleistungsmaximum kommt durch einen sehr hohen Schall-
druckpegelmesswert an der Messposition direkt auf dem Bediensteg zustande,
der sich direkt oberhalb des Wehrüberfalls befand. Bereits während der Mes-
sungen ist subjektiv festgestellt worden, dass die Lautstärke an dieser Position
vergleichsweise hoch ist.
Abbildung 2: Diagramm der Schallleistungspegel
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Tabelle 3: Abflussmessungen
Bez.
Art d. FAA
Einlaufbau-
werk D11
Doppel-
schlitzpass
Priormühle
D10
Naturnahe
Sohlengleite
Steinteich-
mühle D9
Rauhgerinne-
Beckenpass
Wehr
Babow D1
Rauhgerinne-
Beckenpass
mittlere Tiefe m 0,62 0,53 0,45 0,64 0,37 0,42
Fließquerschnitt m2 3,16 2,63 2,48 3,51 2,47 3,56
mittlere Fließge-
schwindigkeit
m/s 0,23 0,21 0,27 0,16 0,25 0,17
Abfluss m3/s 0,73 0,57 0,68 0,56 0,41 0,89
Δh (OW – UW) m 0,61 0,76 1,00 1,06 0,63 0,51
Aus den Einzelschallleistungspegeln bei den Terzmittenfrequenzen von 125 Hz
bis 8 kHz wurde anschließend nach Formel 2 der A-bewertete Gesamtschallleis-
tungspegel berechnet. Dieser ist in Abbildung 3 dargestellt. Es ist ersichtlich,
dass die untersuchten Anlagen Gesamtschallleistungspegel von etwa 82 dB(A)
bis 95 dB(A) aufweisen. Das sind Werte, die in der Tat schon als lästig empfun-
den werden können.
Abbildung 3: A-bewerteter Gesamtschallleistungspegel
Um in einem ersten Schritt die Abhängigkeit der Schallentstehung an ausge-
wählten wasserwirtschaftlichen Anlagen von der Fließgeschwindigkeit bzw., da
diese über den Gewässerquerschnitt stark variieren kann, vom Abfluss zu unter-
suchen, fanden bei zwei der Anlagen zusätzliche Messungen statt. Allerdings
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208 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum
wurde aus Zeitgründen auf eine Messung auf der kompletten Hüllfläche verzich-
tet. Stattdessen wurden Messungen auf nur einer Seite des Gewässers an jeweils
zehn Positionen durchgeführt. Die resultierenden Schalldruckpegel wurden an-
schließend gemittelt, wodurch sich für diese Fläche ein mittlerer A-bewerteter
Schalldruckpegel ergibt, der aber als proportional zum Schallleistungspegel an-
gesehen werden kann.
Abbildung 4 zeigt entsprechend den mittleren Schalldruckpegel für das Wehr in
Babow bei Abflüssen von 0,89 m³/s und 0,41 m³/s. Für den Abfluss von 0,89
m³/s ergibt sich bei einer Frequenz von 1250 Hz ein Maximum des Schalldruck-
pegels von 48,4 dB(A), für den geringeren Abfluss beträgt es 39,8 dB(A). Das
bedeutet, dass eine Abnahme des Abflusses auf etwa die Hälfte eine Reduktion
des maximalen Schalldruckpegels von fast 9 dB bewirkt. Für das Einlaufbau-
werk wurde bei einem Abfluss von 0,73 m³/s ein maximaler mittlerer Schall-
druckpegel von 47,2 dB(A) gemessen, bei 0,57 m³/s sind es nur noch 44,8
dB(A). Hier führt demnach eine Reduktion des Abflusses um etwa 20 % zu ei-
ner Reduktion des gemessenen Schalldruckpegels von fast 2,5 dB (siehe Abbil-
dung 5). Beide Beispiele machen deutlich, dass eine erste, sehr einfache Maß-
nahme zur Lärmminderung wasserwirtschaftlicher Anlagen darin bestehen
könnte, den Abfluss während der Nacht, wenn im Allgemeinen geringere Im-
missionsgrenzwerte (TA Lärm) gelten, zu reduzieren, um ihn dann tagsüber zu
erhöhen.
Abbildung 4: Schalldruckspektrum Wehr Babow
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Abbildung 5: Schalldruckspektrum Einlaufbauwerk
5 Zusammenfassung
Die Bestimmung der Schallleistungspegel für wasserwirtschaftliche Anlagen ist
generell möglich, auch wenn in der vorliegenden Studie vor allem bei tiefen
Frequenzen teilweise sehr niedrige Schalldruckpegelwerte unter 45 dB(A) ge-
messen wurden. Anhand der vorliegenden Daten ist es nicht möglich, ein Mo-
dell zur Schallvorhersage wasserwirtschaftlicher Anlagen zu erstellen. Zu die-
sem Zweck wäre eine Vielzahl weiterer Messwerte bei verschiedenen Anlagen
und mit variierenden Abflüssen nötig. Zusätzlich wäre eine Erfassung von Pa-
rametern wie der maximalen Fließgeschwindigkeit sehr sinnvoll. Trotzdem zei-
gen die vorhandenen Untersuchungsergebnisse bereits, dass ein auf einer um-
fangreicheren Studie basierendes Schallvorhersagemodell für die zukünftige
Planung wasserwirtschaftlicher Anlagen sehr hilfreich sein könnte.
6 Literatur
DIN EN ISO 3746 (2010): Akustik - Bestimmung der Schallleistungs- und Schallener-
giepegel von Geräuschquellen aus Schalldruckmessungen; Hüllflächenverfahren der
Genauigkeitsklasse 3 über einer reflektierenden Ebene. Normenausschuss Akustik,
Lärmminderung und Schwingungstechnik (NALS), Deutsches Institut für Normung
e. V., Beuth Verlag 2011
DIN ISO 8297 (2000): Akustik - Bestimmung der Schallleistungspegel von Mehr-
Quellen-Industrieanlagen für die Abschätzung von Schalldruckpegeln in der
Page 218
210 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum
Umgebung. Normenausschuss Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik
(NALS), Deutsches Institut für Normung e. V., Beuth Verlag 2000.
LAWA (1991): Pegelvorschrift Anlage D:Richtlinie für das Messen und ermitteln von
Abflüssen und Durchflüssen, Parey 1998
Stapel, J. (2014): Schallemissionen an hydrotechnischen Anlagen am Beispiel von
Sohlengleiten und Fischaufstiegsanlagen. Bachelorarbeit an der BTU Cottbus-
Senftenberg (unveröffentl.), November 2014
TA-Lärm(1998): Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm. Sechste Allgemeine
Verwaltungsvorschrift zum Bundesimissionsschutzgesetz, August 1998
Autoren:
Dipl.-Ing. Adrian Schulz
Institut für Wasserwirtschaft Siedlungs-
wasserbau und Ökologie GmbH
Siemens-Halske-Ring 8
03046 Cottbus
Tel.: +49 355 69 4315
Fax: +49 355 69 3025
E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Konrad Thürmer
Brandenburgische Technische Universität
Cottbus-Senftenberg
Lehrstuhl Wassertechnik
Siemens-Halske-Ring 8
03046 Cottbus
Tel.: +49 355 69 4303
Fax: +49 355 69 3025
E-Mail: [email protected]
B. Sc. Jennifer Stapel
Brandenburgische Technische Universität
Cottbus-Senftenberg
Fachgebiet Bauliches Recycling
Siemens-Halske-Ring 8
03046 Cottbus
Email: [email protected]
Dr.-Ing. Thomas Geyer
Brandenburgische Technische Universität
Cottbus-Senftenberg
Lehrstuhl Technische Akustik
Siemens-Halske-Ring 14
03046 Cottbus
Tel.: +49 355 69 5012
Fax: +49 355 69 4891
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr.-Ing. Ennes Sarradj
Technische Universität Berlin
Institut für Strömungsmechanik und Tech-
nische Akustik
Einsteinufer 25
10587 Berlin
Tel.: +49 30 314 25928
Fax: +49 30 314 25135
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Stauanlagenklassifizierung –
zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?
Friedhelm Garbe
Die gesetzliche Stauanlagenklassifizierung ist in Deutschland nicht einheitlich ge-
regelt und nicht auf die Klassifizierung der technischen Regelwerke abgestimmt.
Die Klassifizierung der technischen Regelwerke ist mit Blick auf die Abgren-
zungskriterien und Stauanlagentypen nicht widerspruchfrei. Die Klassifizierung
auf Grundlage des tatsächlichen Gefährdungspotentials wird in den Regelwerken
nur allgemein beschrieben und findet in Deutschland in der Praxis nur selten An-
wendung. In englischsprachigen, iberischen und skandinavischen Ländern sowie
in China ist das Gefährdungspotential das primäre Klassifizierungskriterium. Die
Bewertung dieses Potentials erfolgt gewöhnlich durch Bruch - und Überflutungs-
analysen. Die Zahl der Stauanlagen dieser Länder und ihr Anteil am Weltstauan-
lagenbestand begründet es, diese Klassifizierungsmethode als den derzeit interna-
tionalen Stand der Technik anzusehen. Mit Blick auf diesen Stand wird vorge-
schlagen, die derzeit in Deutschland festgelegten Klassifizierungskriterien zu
harmonisieren und nach dem Gefahren- und Gefährdungspotential auszurichten.
Stichworte: Stauanlagenklassifizierung, Gefahrenpotential, Gefährdungspotential
1 Zielsetzung der Klassifizierung
In Abhängigkeit von ihrer Größe und Lage sowie der Anlagenart können Stau-
anlagen ein hohes Gefährdungspotential besitzen und im Fall eines Bauwerks-
versagens erhebliche Schäden für Menschen, Sachwerte (materiell und ideell)
und die Umwelt verursachen. Eine Voraussetzung für die öffentliche Akzeptanz
von Stauanlagen ist daher neben sozioökonomischen und ökologischen Frage-
stellungen ihre Sicherheit. International besteht die Übereinkunft, dass die bauli-
che und betriebliche Sicherheit von Stauanlagen sehr hoch sein muss (ICOLD,
1987). Dies gilt umso mehr, wenn ein Versagen der Anlage Menschenleben ge-
fährden könnte.
Die Klassifizierung von Stauanlagen bei Entwurf, Bau und Betrieb bezweckt die
Abstufung der Sicherheitsanforderungen nach festgelegten, einheitlichen Krite-
rien. Hierbei wird davon ausgegangen, dass für eine große Stauanlage mit ho-
hem Gefährdungspotential die Einhaltung einer geringen Versagenswahrschein-
lichkeit erforderlich ist, während für eine kleine Anlage mit geringerem Potenti-
al eine höhere Versagenswahrscheinlichkeit gesellschaftlich akzeptiert wird.
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212 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?
-Si
che
rhe
itsg
rad
+
+ W
irts
chaf
tlic
hke
it -
Abbildung 1: Spannungsfeld von Sicherheitsgrad und Wirtschaftlichkeit
Die Klassifizierung dient vornehmlich dem Ausgleich von Sicherheitsgraden
und Wirtschaftlichkeit (Abb. 1). Sie verfolgt die Zielsetzung, durch eine Klas-
seneinteilung eine begründete, möglichst objektive Staffelung der anzusetzenden
Sicherheitsanforderungen zu schaffen.
2 Stauanlagenklassifizierung in Deutschland
2.1 Landeswassergesetze
Eine Mehrzahl der sechzehn Bundesländer hat in ihren Wassergesetzen explizit
Regelungen zur Stauanlagensicherheit getroffen. Elf Bundesländer setzen Grö-
ßenkriterien und sechs Bundesländer ergänzend das Gefährdungspotential für
die Gültigkeit besonderer Anforderungen an den Bau und Betrieb von Stauanla-
gen fest.
Diese Regelungen können auf das preußische Wassergesetz von 1913 und die
zugehörige Anleitung für den Bau und Betrieb von Talsperren von 1914 zurück-
geführt werden. Dem Jahr 1913 vorangehend wurden bereits in Sachsen (techni-
sche Vorschriften 1904, Anleitung 1908) und Preußen (Anleitung, 1908) unter-
gesetzliche Klassifizierungsregelungen getroffen.
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In den heutigen Landeswassergesetzen werden als Größenmaße die Absperr-
bauwerkshöhe h (mit unterschiedlichem unterem Bezugsniveau zur Krone) und
das gespeicherte Volumen I bei Voll-, Hochwasser- oder Kronenstau festgelegt
(Tabelle 1). Die beiden Maße werden in Baden-Württemberg, Brandenburg und
Thüringen mit „oder“ ansonsten jedoch mit „und“ verknüpft.
Tabelle 1 Gesetzliche Klassifizierung - Größenkriterien deutscher Bundesländer
Bundesland Absperrbauwerkshöhe h > 5 m von der / vom … bis zur Krone I [m3] > Ii =2)
Baden-Württemberg tiefsten Geländepunkt oder 100.000
IB
Berlin Sohle des Gewässers bzw. tiefsten Geländepunkt am Stauwerk und IB
Brandenburg Sohle des Gewässers unterhalb des Absperrbauwerkes bzw. tiefsten
Geländepunkt im Speicher oder 1.000.000 IB
Bremen Sohle des Gewässers und
100.000
IS
Hessen Sohle des Gewässers bzw. tiefsten Geländepunkt im Speicherraum und IS
Niedersachsen Sohle des Gewässers bzw. tiefsten Geländepunkt und IS
Nordrhein-
Westfalen
der Sohle des Gewässers unterhalb des Absperrbauwerks bzw. tiefs-
ten Geländepunkt im Speicher und IB
Saarland Sohle des Gewässers bzw. tiefsten Geländepunkt im Stauraum und IB
Sachsen tiefsten luftseitigen Geländepunkt am Absperrbauwerk und IS
Sachsen-Anhalt Gründungssohle des Absperrbauwerks und IG
Thüringen 1) tiefsten Punkt der Gründungssohle oder IG
1) für Staustufen h > 2,5 m | 2) Ii = Räume nach DIN 4048 Teil 1
An diese gesetzliche Klassifizierung schließen sich regelmäßig die Anforderun-
gen, dass für diese Stauanlagen gesonderte Zulassungen für Bau und Betrieb
erforderlich sind, soweit nicht bereits eine Zulassungspflicht nach Wasserrecht
besteht. Fünf Landeswassergesetze enthalten für gesetzlich klassifizierte Stauan-
lagen die Festlegung, dass diese nach den allgemein anerkannten Regeln der
Technik (a.a.R.d.T.) zu bauen und zu betreiben sind. Erfüllen bestehende Anla-
gen diese Anforderungen nicht, so sind sie anzupassen (Anpassungsgebot). Als
a.a.R.d.T. wird insbesondere die Stauanlagennorm DIN 19700 (2004) in den
Teilen 10 bis 15 angesehen. Die Aufsicht der gesetzlich klassifizierten Stauanla-
gen obliegt in der Regel staatlichen Behörden.
Als ergänzende, rechtliche Vorschrift zu den Landeswassergesetzen ist die thü-
ringische Anleitung für Stauanlagen (TMLNU, 2007) hervorzuheben. Mit vier
Klassen für Talsperren, Hochwasserrückhalte- und Pumpspeicherbecken sowie
drei Wehrklassen führt diese ein gesondertes Klassifizierungsschema nach Grö-
ßenmerkmalen und dem Gefährdungs- / Gefahrenpotential ein.
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214 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?
2.2 Technische Regelwerke
In den technischen Regelwerken Deutschlands findet sich die Klassifizierung
von Stauanlagen in der DIN 19700 (2004) und dem Merkblatt DWA-M 522
(2015). In diesen beiden Regelwerken werden Talsperren und Hochwasserrück-
haltebecken in fünf (Abbildung 2), Staustufen in drei sowie Pumpspeicher- und
Sedimentationsbecken in zwei bzw. drei Klassen unterteilt.
Das Merkblatt DWA-M 522 (2015) behandelt Talsperren und Hochwasserrück-
haltebecken mit Staudämmen und empfiehlt unter Berücksichtigung der DIN
19700 (2004) Teil 11 die Anwendung auch auf Staumauern.
15
6
4
2
groß
mittel
klein
sehr klein
klei
nst
10.000* 50.000 100.000 1.000.000
Stau*- / Gesamtstauraum [m3]
Ab
sper
rbau
wer
ksh
öh
e [m
]
Abbildung 2: Klassifizierung von Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken
Pumpspeicherbecken außerhalb vom Gewässern und Sedimentationsbecken fol-
gen der Einteilung der DIN 19700 (2004) Teil 11 in große (Talsperrenklasse 1)
sowie in mittlere / kleine Talsperren (Talsperrenklasse 2). Sedimentationsbecken
werden abweichend zur Klassifikation der DIN 19700 (2004) Teil 11 bereits mit
mehr als 100.000 m3 Gesamtstauraum der Talsperrenklasse 1 zugeordnet.
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Tabelle 2 Von der Klassenzuordnung abhängige Festlegungen
Bereich von der Klassenzuordnung abhängige Festlegungen Regelwerk
DIN 19700 DWA-M 522
Bemessung
Wahl des Bemessungshochwasserzuflusses Teile 11-13 X
Ermittlung von Verformungen Teil 11 X
Verfahren zum Erdbebennachweis Teil 11
Wahl des Betriebs- / Bemessungserdbebens Teil 11
Langfristsimulation zur Speicherbemessung Teil 11
zu berücksichtigende Tragwiderstandsbedingungen Teil 12
Freibordnachweis Teil 12 X
Entfallen von Tragsicherheitsnachweisen X
Entfallen des Betriebserdbebennachweises X
Überwachung
und
Betrieb
Notwendigkeit des Anschlusses an das Fernmeldenetz Teil 11
Redundanz von Kommunikationseinrichtungen Teil 11
Umfang des Sicherheitsberichts Teil 11
Umfang des Stauanlagenbuchs Teil 11
Turnus / Notwendigkeit zur Aufstellung des Sicherheitsberichtes Teil 12 X
Ersteller des Sicherheitsberichtes X
Häufigkeit von vertieften Überprüfungen X
Notwendigkeit von elektrischen Anlagen Teil 12 X
Umfang von Mess- und Kontrolleinrichtungen Teil 12 X
konstruktive
Gestaltung
Sickerwasserfassung bei Staudämmen Teil 11
Erfordernis von Kontrollgängen bei Staumauern Teil 11
Anzahl der Verschlüsse von Grund- und Betriebsauslässen Teil 11 X
Erfordernis von Revisionsverschlüssen bei Einläufen Teil 11
Anzahl der Grundablässe Teil 11 X
Durchmesser der Grundablassleitung Teil 11 X
Breite der Dammkrone bei Stauhaltungsdämmen Teil 13
Unterhaltungs- und Verteidigungswege bei Stauhaltungsdämmen Teil 13
Art der Betriebseinrichtungen X
Anzahl der Lagen von Oberflächendichtungen bei Staudämmen X
Breite der Dammkrone bei Staudämmen X
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216 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?
Für Staustufen wird die Fallhöhe bei Mittelwasser, bei den übrigen Stauanlagen
die Absperrbauwerkshöhe h oder verschiedene Räume zur Klassifizierung her-
angezogen. Für kleinste Stauanlagen sind die Höhe der Krone über dem luftsei-
tigen Böschungsfuß oder der Stauraum IS bei Vollstau, für die übrigen Stauanla-
gen die Höhe der Krone über der Gründungssohle oder der Gesamtstauraum IG
die geometrischen Maßzahlen.
Zur Klassenzuordnung kann das Gefährdungspotential abweichend bzw. ergän-
zend herangezogen werden. In der DIN 19700 (2004) werden hierzu keine wei-
terführenden Angaben gemacht. Im Merkblatt DWA-M 522 (2015) werden hin-
weisend Gefährdungskriterien genannt. Eine Ermittlungsmethodik wird dort
nicht eingeführt, jedoch auf Schweizer Regelungen verwiesen.
Die Klassenzuordnung ist bestimmend für differenzierte Festlegungen von Be-
messung, Überwachung, Betrieb und konstruktiver Gestaltung (s. Tabelle 2).
Hervorzuheben ist die Wahl der Bemessungsgrößen für Hochwasser und Erdbe-
ben, der Umfang der Zuverlässigkeitsnachweise und Überwachung sowie die
konstruktive Gestaltung der Absperrbauwerke und Betriebseinrichtungen.
3 Stauanlagenklassifizierung im Ausland
In untersuchten englischsprachigen, iberischen und skandinavischen Ländern
sowie in China sind die potentiellen Versagensfolgen das primäre Klassifizie-
rungskriterium (Garbe, 2006). Die Anzahl der Stauanlagen dieser Länder ver-
bunden mit ihrem Anteil am Weltstauanlagenbestand und die Entwicklungshis-
torie der Kriterien zur Bildung von Stauanlagenklassen begründet es, diese
Klassifizierung als den derzeit internationalen Stand der Technik zu bezeichnen.
Tabelle 3 Klassifizierung von Stauanlagen - internationaler Stand der Technik
Gefährdungs- oder
Folgenklasse 1)
Anzahl gefährdeter
Menschenleben
mögliche ökonomische, soziale und
ökologische Schäden
1 sehr hoch große Anzahl ≥ N2) extrem
2 hoch / bedeutend geringe Anzahl < N2) groß
3 niedrig nicht erwartet 0 mäßig
4 sehr niedrig keine 0 gering3)
1) zusätzliche zu dem natürlichen Ereignis auftretende Gefahren / Folgen eines Stauanlagenversagens
2) N zwischen 2 und 100
3) in der Regel beschränkt auf Schäden an den Stauanlagen
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Dieser Stand in den technischen Regelwerken lässt sich nach Garbe (2006) ge-
neralisiert und gewichtet in Tabelle 3 zusammenfassen. Stauanlagen werden hie-
rin in 4 Gefährdungs- oder Folgeklassen eingeteilt. Um das tatsächliche Gefähr-
dungspotential oder die potentiellen Versagensfolgen zu analysieren, sind in den
meisten dieser Ländern Bruch- und Überflutungsanalysen obligatorisch und da-
mit gleichfalls Stand der Technik. Die in einigen Ländern praktizierte primäre
Klassifizierung nach Höhe und Speicherinhalt kann im Vergleich zum genann-
ten internationalen Stand der Technik nur als Ersatzkriterium angesehen werden.
Als ein sehr differenziertes Klassifizierungssystem ist die Methodik des Bundes-
staates Washington (WSDE, 1993) in den USA anzuführen. Dort erfolgt die Un-
terteilung in fünf „Unterstrom Gefährdungsklassen“ (Tabelle 4). Die Klassenzu-
ordnung erfolgt auf Grundlage der Anzahl gefährdeter Menschen, dem mögli-
chen ökonomischen Verlust sowie möglichen Sach- und Umweltschäden.
Tabelle 4 Klassifizierung von Stauanlagen im Bundesstaat Washington
Gefährdungs- gefährdete
Menschen Sachschäden und ökonomischer Verlust Umweltschäden
potential klasse
hoch
1A >300
extrem: mehr als 100 bewohnte Gebäude,
hoch entwickelte, dicht besiedelte vorstädti-
sche oder städtische Gebiete mit zugehörigen
Industrien, Vermögenswerten, lebenswichti-
ger Infrastrukturen und Einrichtungen schwerwiegendes Verschlechte-
rungspotential der Wasserquali-
tät durch Speicherinhaltsstoffe,
Langzeitwirkungen auf das
aquatische und menschliche
Leben
1B 31-300
extrem: 11-100 bewohnte Gebäude; mittel
besiedelte vorstädtische oder städtische Ge-
biete mit zugehörigen Industrien, Vermö-
genswerten, Infrastruktureinrichtungen
1C 7-30
groß: 3-10 bewohnte Gebäude; wenig besie-
delte vorstädtische oder städtische Gebiete
mit wenig Industrie und Arbeitsplätzen,
Hauptverkehrswege
erheblich 2 1-6
bemerkenswert: 1-2 bewohnte Gebäude,
bemerkenswerte Landwirtschaft oder Ar-
beitsplätze, Verkehrswege von untergeordne-
ter Bedeutung
begrenztes Verschlechterungs-
potential der Wasserqualität
durch Speicherinhaltsstoffe, nur
Kurzzeitauswirkungen
gering 3 0 minimal: keine bewohnten Gebäude, begrenz-
te landwirtschaftliche Entwicklung
keine schädlichen Stoffe im
Speicher
Das Gefährdungspotential wird mit Hilfe von Bruch- und Überflutungsanalysen
ermittelt. Zu deren methodischer Umsetzung enthält die Vorschrift WSDE
(2007) differenzierte Vorgaben. An die Klassifizierung knüpfen sich 8 Bemes-
sungsstufen, die ausgehend von akzeptier- bzw. tolerierbaren Risiken den ein-
zelnen Stufen unterschiedliche jährliche Überschreitungswahrscheinlichkeiten
zuordnen und damit Bemessungsanforderungen für kritische Entwurfselemente
festlegen.
Page 226
218 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?
4 Klassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?
Die gesetzliche Stauanlagenklassifizierung ist in Deutschland im Detail sehr un-
einheitlich geregelt (Tabelle 1). Unter Vernachlässigung landespezifischer Be-
sonderheiten sollte es zielführend sein, die geometrischen Größenangaben in den
einzelnen Landeswassergesetzen – mit Anknüpfung an die technischen Regel-
werke - einheitlich zu gestalten. Die Entstehungsgeschichte sowie das mögliche
Gefahrenpotential von Stauanlagen begründen es, als geometrische Merkmale
den Beckenraum IB > 100.000 m3 als Volumen und die Höhe hKG > 5 m - ge-
messen von der Krone bis zum tiefsten Geländepunkt / zur Gewässersohle (luft-
seitig des Absperrbauwerks) - als einheitliche, gesetzliche Klassifizierungsgrö-
ßen in Deutschland vorzuschlagen (Abbildung 3). Die gesetzestextliche Ver-
knüpfung der beider Größen mit „und“ bzw. „oder“ hat gerade in Flächenbun-
desländern eine Verbindung zur behördlichen Stauanlagenaufsicht (Zuständig-
keit, Personaleinsatz) und wird weiterhin länderspezifisch zu regeln sein.
Abbildung 3: Vorschlag zur einheitlichen gesetzlichen Stauanlagenklassifizierung
Mit Blick auf das preußische Wassergesetz von 1913 besitzen diese Größenan-
gaben historisch eine Kontinuität von mehr als 100 Jahren und haben sich für
die Verhältnisse in Deutschland bewährt. In Bezug auf das Gefahrenpotential
fasst der Beckenraum IB das Volumen, welches unter sehr ungünstigen Umstän-
den (Verlegung der Hochwassersentlastungsanlage) bei einem Bauwerksversa-
gen aus dem Becken entweichen kann. Mit der Höhe hKG wird diesem Becken-
raum der zugehörige Wasserstand zugeordnet, der ein sehr ungünstiges Gefah-
renpotential einer versagenden Stauanlage für Überflutungsbereich darstellt. IB
und hKG lassen sich in der Regel aus Bestandsunterlagen oder ggf. vor Ort
(Vermessung) mit vertretbarem Aufwand auch nachträglich ermitteln.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 219
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Für die Praxistauglichkeit ist eine Harmonisierung der Klassifizierung sowohl
zwischen den Landeswassergesetzen und technischen Regelwerken als auch
zwischen einzelnen Stauanlagentypen anzustreben. Folgerichtig sollten auch in
den technischen Regelwerken IB und hKG als geometrische Größenangaben für
alle Stauanlagentypen (einschließlich Staustufen) herangezogen und die Klas-
seneinteilung angepasst werden.
Ein Vorschlag zur Einteilung in vier Stauanlagenklassen enthält Tabelle 5. Sie
bezieht sich auf alle Anlagentypen und orientiert sich an der Anleitung TMLNU
(2007) und der DIN 19700 (1986) Teil 12. Für die Praxis ist es förderlich, eine
Untergrenze der geometrischen Größen festzulegen. In Tabelle 5 richtet sich
diese nach den Hinweisen in BW (2012).
Tabelle 5 Vorschlag zur Stauanlagenklassifizierung- technische Regelwerke
SK geometrische Größen Gefährdungspotential
I groß hKG > 15 m
oder
> 1.000.000 m3 sehr hoch
II mittel 10 m < hKG ≤ 15 m 300.000 m3 < IB ≤ 1.000.000 m3 hoch
III klein 5 m < hKG ≤ 10 m 100.000 m3 < IB ≤ 300.000 m3 bedeutsam
IV sehr klein 1 m < hKG ≤ 5 m 500 m3 < IB ≤ 100.000 m3 gering
SK = Stauanlagenklasse | IB: Beckenraum nach DIN 4048 Teil 1
hKG: Höhe des Absperrbauwerks - luftseitig gemessen von der Krone bis zur Gewässersohle / zum tiefsten Geländepunkt unterhalb
Die Größen IB und hKG sind bestimmende Maßzahlen für das Gefahrenpotential
von Stauanlagen. Als weitere Gesichtspunkte der Gefahreneinstufung (z. B.
nach TMLNU, 2007) können die Betriebsform (gesteuert / nicht gesteuert), die
Überlastbarkeit der Hochwasserentlastungsanlage, der Ausbaugrad, die Verhält-
nisse im Beckenraum (Böschungen, Hänge) und die Lage zum Gewässer
(Haupt- oder Nebenschluss, ohne oberirdischen Zufluss) herangezogen werden.
Bei Sedimentationsbecken ist das Potential zudem von den Inhaltstoffen der Ab-
lagerungen abhängig.
Im Zuge einer Harmonisierung der Stauanlagenklassifizierung sollte das Ge-
fährdungspotential als mitbestimmendes, obligatorisch zu untersuchendes Klas-
sifizierungskriterium in den technischen Regelwerken eingeführt werden. Dies
bedarf einer methodischen Festlegung, diese Gefährdung abzuschätzen und ein-
zustufen. Hierbei ist das Schadensrisiko im Unterstrom der Stauanlage zu be-
werten. Dies ist von der tatsächlichen Nutzung und den betroffenen Schutzgü-
tern und Menschen im Überflutungsbereich einer versagenden Stauanlage und
der sich dort einstellenden Fließgeschwindigkeiten und Wasserstände (Überflu-
tungsintensität) abhängig. Objekt- und aufenthaltsbezogene Schwellenwerte der
Überflutungsintensitäten und Wasserstände, die eine Gefährdung für Menschen
darstellen, sind in BFE (2014) enthalten.
Page 228
220 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?
Vereinfacht kann das Gefährdungspotential in Bezug auf die Entfernung der
Stauanlage zur Bebauung und zu Infrastruktureinrichtungen, die Bebauungsart
und die Talform im Unterlauf nur abschätzt werden (z. B. TMLNU, 2007). Vor-
schläge für eine vereinfachte Flutwellen- und Gefährdungsabschätzung enthält
BW (2012). Methoden zur Durchführung von detaillierten Bruch- und Überflu-
tungsanalysen sind in internationalen Regelwerken (z. B. WSDE, 2007, BFE,
2014) enthalten.
5 Literatur
BW (2012): Hinweise zu „Stauanlagen von untergeordneter Bedeutung“ Definition,
Anforderungen und Umgang. AG Stauanlagen in Baden-Württemberg, Dez. 2012
BFE (2014): Richtlinie über die Sicherheit der Stauanlagen Teil B: Besonderes
Gefährdungspotenzial als Unterstellungskriterium, Bundesamt für Energie Schweiz
DIN 19700 (2004): Stauanlagen, Teile 10 – 15 - Deutsche Norm. Beuth Verlag, Berlin,
Normenausschuss Wasserwesen.
DWA-M 522 (2015): Merkblatt DWA-M 522, Kleine Talsperren und kleine
Hochwasserrückhaltebecken, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft,
Abwasser und Abfall e. V., Hennef Mai 2015
Garbe, F.(2006): Konzepte zur Hochwassersicherheit von Talsperren im internationalen
Vergleich. Diplomarbeit, Technische Universität Dresden, Institut für Wasserbau
und technische Hydromechanik, Juli 2006, unveröffentlicht.
ICOLD (1987): Dam safety - Guidelines. International Commission on Large Dams,
Bulletin 59, Paris.
TMLNU (2007): Thüringer Technische Anleitung Stauanlagen (ThürTA-Stau). Thüringer
Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt-Abteilung Wasser,
Boden, Altlasten, Referat Gewässerlandschaft, Wasserbau. Erfurt, 05/2007.
WSDE (1993): Dam Safety Guidelines, Part IV: Dam Design and Construction.
Washington State Department of Ecology. July.
WSDE (2007): Dam Safety Guidelines, Technical Note 1: Dam break inundation analysis
and downstream classification. Washington State Department of Ecology. July.
Autor:
Dipl. Ing. Friedhelm Garbe
Bezirksregierung Arnsberg
Dezernat 54 - Wasserwirtschaft
Hermelsbacher Weg 15
57072 Siegen
Tel.: +49 2931 82 5517
Fax: +49 2931 82 56
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsan-
nahmen nach DIN 19700
Reinhard Pohl
Der DWA-Fachausschuss „Talsperren und Flusssperren“ WW4 widmet sich erst-
malig einem sehr sensiblen Thema: Der Stauanlagensicherheit und den möglichen
Folgen einschließlich des Anlagenversagens beim Überschreiten der Bemessungs-
annahmen. Im vorliegenden Aufsatz werden die Grundzüge des diesbezüglichen
Themenheftes 2/2017 vorgestellt.
Stichworte: Stauanlage, Bemessungsannahmen, Talsperrenversagen
1 Einführung
Bis in die Gegenwart hinein galt der oft zitierte Satz, dass die deutschen „Talsper-
ren nach menschlichem Ermessen sicher“ sind. Das ist auch nicht falsch, wenn
einerseits die umfangreichen und klaren Vorschriften zur Gewährleistung der
Stauanlagensicherheit betrachtet werden und die Aussage andererseits so verstan-
den wird, dass die Sicherheit nicht 100% beträgt und somit ein gewisses Restri-
siko verbleibt. Falsch ist sicherlich ein Verständnis, welches von einer vermeint-
lich 100%igen Sicherheit ausgeht und wenn die in der DIN 19700-11:2004-7 ge-
forderte Beschäftigung mit dem verbleibenden Risiko unterbleibt.
Die Notwendigkeit der Befassung mit dem verbleibenden Risiko wird auch daraus
deutlich, dass es in den letzten 4 Jahrtausenden zu zahlreichen, teils spektakulären
und katastrophalen Talsperrenbrüchen gekommen ist. Auch wenn in Deutschland
in den letzten 70 Jahren keine der z. Zt. etwas über 300 großen Talsperren
(H > 15 m; V > 106 m³) gebrochen ist, zeigen die theoretischen Überlegungen in
Tabelle 1, dass die Versagenswahrscheinlichkeit wegen der begrenzten Grundge-
samtheit dennoch nicht Null ist. Bei mittleren Talsperren waren Versagensfälle
zu verzeichnen. Nachdenklich stimmt auch, dass die empirische Wahrscheinlich-
keit von Kernkraftwerkskatastrophen in der Größenordnung des Talsperrenversa-
gens mittlerer Talsperren liegt, wobei die Folgen nicht vergleichbar sind.
Die Brand- und Katastrophenschutzgesetze mehrerer Bundesländer fordern von
Eigentümern und Betreibern von Anlagen mit hohem Gefährdungspotenzial, dass
diese über Unterlagen verfügen, die Aufschluss über den Gefährdungsbereich im
Falle der Gefahrfreisetzung geben. Diese gesetzliche Forderung wird nach der
Page 230
222 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700
Beobachtung des Verfassers deutschlandweit unterschiedlich ausgelegt. Insbe-
sondere zu der Frage, ob die Unterlagen unaufgefordert bereitzuhalten, eventuell
zu übergeben oder erst auf Anforderung anzufertigen sind, existieren verschie-
dene Auffassungen. Auch die Frage, ob die EU- Hochwasserrisikomanage-
mentrichtlinie diese „künstlichen“ Hochwasserereignisse miteinschließt, wird zu-
weilen diskutiert.
Tabelle 1 Empirische Talsperrensicherheit (einmalige Versagenswahrscheinlichkeit ei-
nes Absperrbauwerkes in einem beliebigen Jahr)
Empirische Talsperrensicherheit in Deutschland Randbedingungen
Versa-gens-fälle
Mittlere Anzahl der betreffenden Anla-gen (über n Jahre als konstant ange-
nommen) n
Jahre P/a P/a
mittlere Talsperren 6 … 15 m (über 40 Jahre: An-nahme: mittlere Talsperren ca. dreimal so viel wie große Talsperren (z. Zt. 312 TS Kl. 1 - Dams in Germany 2001) ) 5 1000 40 0.000125
1: 8000
große Talsperren (> 15 m) seit 1947 (70 Jahre) kein Versagensfall (Obergrenze des Konfidenzinter-valls mit der χ² -Funktion) 0 250 70 0.000040
1: 25253
große Talsperren (> 15 m) seit 1947 (70 Jahre) kein Versagensfall (adaptiertes Clopper-Pearson-Intervall mit Irrtumswahrscheinlichkeit 2,5%) 0 250 70 0.000250
1: 3994
große Talsperren (> 15 m) seit 1947 (70 Jahre) kein Versagensfall (adaptiertes Clopper-Pearson-Intervall mit Irrtumswahrscheinlichkeit 5%) 0 250 70 0.000211
1: 4744
große Talsperren (> 15 m) seit 1947 (70 Jahre) kein Versagensfall (Score-Methode) 0 250 70 0.000229
1: 4375
Kernkraftwerke weltweit 2 440 40 0.000114 1: 8800
Aus der Sicht des Verfassers lassen sich bei den Eigentümern und Betreibern vier
Sichtweisen erkennen: Die Ersten haben Sondergefahrenkarten erstellen lassen
und veröffentlicht, die Zweiten möchten die bereits erstellten und für eine Anfor-
derung bereitliegenden Karten nicht veröffentlichen, um Fehlinterpretationen und
Missverständnissen vorzubeugen. Die Dritten würden die Unterlagen auf Anfor-
derung erstellen lassen und die Vierten gehen nicht davon aus, dass ihre Anlagen
entsprechende Gefährdungspotenziale darstellen könnten.
Den Verfassern des DWA-Themenbandes „Stauanlagensicherheit und Folgen bei
der Überschreitung der Bemessungsannahmen nach DIN 19700“ schien es an der
Zeit, die im DWA-Fachausschuss „Talsperren und Flusssperren“ entstandene
Auffassung zu diesem Themenkreis der Fachöffentlichkeit mitzuteilen und so den
Anwendern der deutschen Stauanlagennorm Überlegungen, Hinweise und Hilfe-
stellungen zu diesen Fragen an die Hand zu geben.
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2 Bemessung nach dem technischen Regelwerk
Die gegenwärtige Praxis verwendet im Bauwesen unter Bezugnahme auf die Nor-
men und Regelwerke üblicherweise das semiprobabilistische Teilsicherheitskon-
zept. Nach DIN 19700:2004-07 und DIN EN 1990:2010-12 (Eurocode EC 0) ist
bei Stauanlagen die Zuverlässigkeit der Tragwerke nachzuweisen, wobei folgen-
der Ansatz gilt (Abb. 1):
Zuverlässigkeit = Tragfähigkeit + Gebrauchstauglichkeit + Dauerhaftigkeit
Die grundlegenden Anforderungen an die Zuverlässigkeit im vorgenannten Sinne
werden entsprechend DIN 19700-10:2004-07 im Allgemeinen dann erfüllt, wenn
• stabile und widerstandsfähige Tragsysteme gewählt werden,
• geeignete Baustoffe zur Anwendung kommen,
• zutreffende Bemessungs- und Berechnungsverfahren gewählt werden,
• das Absperrbauwerk und zugehörige Einzelbauteile und -bauwerke
zweckmäßig konstruiert werden und
• das Tragwerk überwacht und instandgehalten wird.
Bei der nach DIN 19700: 2004-08 noch zulässigen Anwendung des globalen (de-
terministischen) Sicherheitskonzeptes müssen die widerstehenden Kräfte größer
sein, als die einwirkenden Kräfte multipliziert mit einem bestimmten Sicherheits-
beiwert (z. B. η = 1,3). Beim in jüngerer Zeit oft praktizierten und für bestimmte
Bauwerke auch geforderten Teilsicherheitskonzept müssen die mit Teilsicher-
heitsfaktoren erhöhten Einwirkungen kleiner sein als die entsprechend abgemin-
derten Widerstände, woraus sich ein Auslastungsgrad < 1 ergibt. Weil durch die
verschieden großen, willkürlichen Beiwerte auf beiden Seiten die klare Sicht auf
den zumindest theoretisch berechenbaren Grenzzustand der Tragfähigkeit ver-
wischt wird, hält der Verfasser des vorliegenden Beitrages diese semiprobabilis-
tische Methodik aus erkenntnistheoretischer Sicht für weniger vorteilhaft, wenn-
gleich sie für die Bemessung durchaus praktikabel erscheinen mag. Das DWA-
Merkblatt M542/2016 beschreibt eine Vorgehensweise, die es ermöglicht, auch
für Staumauern und Staudämme Tragfähigkeitsberechnungen unter Berücksichti-
gung von Teilsicherheitsbeiwerten entsprechend den Eurocodes durchzuführen,
wobei die Ergebnisse bezüglich des Sicherheitsniveaus im Wesentlichen demje-
nigen bei Ansatz von globalen Sicherheiten wie bisher entsprechen.
In eine vollständig probabilistische Berechnung würden die Verteilungen aller
Einwirkungen und Widerstände eingehen, so dass für jede potenzielle Versagens-
art und das Gesamtversagen eine sehr kleine Wahrscheinlichkeit z. B. P < 10-3 …
10-6 ermittelt werden könnte. Aus psychologischen Gründen wird häufig die Zu-
verlässigkeit 1-P angegeben, die dann Werte von 99,9 … 99,9999 % annimmt.
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224 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700
Abbildung 1: Zuverlässigkeitsnachweiskonzept für Stauanlagen gemäß DIN 19700-11:2004-
07 (nach Sieber 2009) und DWA-Merkblatt 542)
3 Mögliche Einwirkungen jenseits der Bemessungsannahmen
Stauanlagen sind Einwirkungen ausgesetzt, die natürlichen Schwankungen (Un-
sicherheiten) unterliegen und vor Ansatz eines Bemessungswertes (meist langjäh-
rig) beobachtet oder erkundet werden müssen. Dies betrifft vor allem die Bemes-
sungsabflüsse, Erdbebeneinwirkungen und Windlasten. Jenseits der Bemessungs-
annahmen sind insbesondere folgende Einwirkungen nicht auszuschließen:
Extreme Abflüsse und Hochwasserstände
Außerplanmäßige Überströmung des Absperrbauwerkes
Kritische Überlastung von Betriebseinrichtungen
Unvorhergesehene Hangrutschungen im Beckenbereich
Absperrbauwerk
+ Untergrund
= Tragwerk
Hydrologisch
bedingte
Einwirkungen
Statische und dynamische Einwirkungen
(Kraftwirkungen)
Hochwasser-
bemessungsfälle
Bemessungs-
situationen
Bemessung der
Hochwasser-
entlastungsanlage
Tragwerks-
bemessung
Freibordbemessung, Festlegung der
Kronenhöhe des Absperrbauwerkes
Sicherheitsnachweis gegenüber Versagen infolge hydrologischer Ereignisse
(Anlagensicherheit im Sinne der Überströmsicherheit)
Tragfähigkeits-
nachweis
Tragfähigkeit
+ Gebrauchstauglichkeit
+ Dauerhaftigkeit
= Zuverlässigkeit
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 225
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Extremerdbeben
Unvorhergesehene Durch- und Unterströ-
mung mit extremen hydraulischen Gradien-
ten, grabende Tiere, Vegetation
Extreme außerplanmäßige Verkehrslasten
Fehlbetrieb, Fehlsteuerung von Anlagen
Gewalteinwirkungen
Abbildung 2: Überströmung einer Staumauer während eines
Extremhochwassers jenseits der Bemessungs-
annahmen (HQ extrem > BHQ2 ; Keul 2011)
Durch jede der vorgenannten Einwirkungen sind in der Vergangenheit Talsper-
renbrüche mit großen Schäden hervorgerufen worden. Durch geeignete Maßnah-
men, die eine zutreffende Bemessung ergänzen, können entweder Schwachstellen
und Defizite erkannt, die Einwirkungen vermindert oder die Folgen reduziert wer-
den:
Abbildung 3: Überströmung einer Technische und personelle Maßnahmen zum Schutz von
kritischer Infrastruktur: Wachturm (Sheriff) und Videoüberwachung, 3 zusätzliche Entlastungs-
öffnungen im Bild rechts (Folsom-Talsperre am American River oberhalb Sacramento, CA.)
Fotos: Pohl)
Regelmäßige visuelle Kontrolle der Bauwerke
Sicherheitsberichte und vertiefte Überprüfungen
Schwachstellenanalyse.
Regelmäßige Wartung, Überprüfung, Funktionskontrollen
Regelmäßige und ausreichende Messungen mit Auswertung
Aus- und Weiterbildung des Personals, effektive Organisationsstruktur
Baumaßnahmen an den Wasserwegen, Revisionsbetrieb in abflussarmen
Zeiten
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226 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700
Videoüberwachung und Bewegungsmeldung, Alarm bei gewaltsamem
Eindringen, einbruchhemmende Türen, Verstärkung von Bauteilen.
Zugangskontrollen, Zugangssperren zu wichtigen Anlagenteilen.
Sicherung der Übertragungswege (z. B. Kabel) für Daten und Signale.
Zusammenarbeit von Betreibern mit Behörden (Orts-, Landes-, Bundespo-
lizei) im Falle einer konkreten Gefährdungslage. Notfallpläne.
4 Ungünstige Bedingungen auf der Widerstandsseite
Während einerseits die Einwirkungen unerwartet hoch oder intensiv sein können,
sind andererseits auch zu geringe Widerstände denkbar. Dazu können beispiels-
weise Materialparameter im Bauwerk und dessen Untergrund beitragen, die nicht
die gestellten Erwartungen erfüllen (Materialfestigkeit (Druck, Zug, Abscheren),
Bodenkennwerte (Reibungswinkel, Kohäsion, Durchlässigkeit, Frostbeständig-
keit, Erosionsbeständigkeit)). Des Weiteren können Funktionsausfälle das Ver-
halten auf der Widerstandsseite extrem nachteilig beeinträchtigen (Verschlüsse
der Wasserwege blockiert; Entwässerungsleitungen und Dränkörper ver-
stopft/kolmatiert; Dichtungselemente im Bauwerk und/oder Untergrund beschä-
digt; Eisfreihaltungsanlagen, Betonkühlsysteme (insbesondere bei Bogenstau-
mauern) ohne Funktion, Antriebe, Überlastabschaltung, Stromversorgung, Was-
serstandsanzeigen, Grenzwertgebern, Stauzielbegrenzer, Überflutungsmelder,
Prozessleit- und Meldesystemen defekt).
Nicht jede Überbeanspruchung führt zu einem Anlagenversagen (s. Abb. 4), weil
in der Bemessung, den Nachweisverfahren, den Modellen, den Materialien, den
Sicherheitszuschlägen, den Mindestfreiborden und den Einwirkungsgrößen ge-
wisse Reserven stecken. Diese werden zunächst aktiviert und erst wenn diese auf-
gezehrt sind, wird der Grenzzustand erreicht. Teilweise sind auch gewisse Selbst-
heilungseffekte z. B. durch Lastumlagerungen oder Kolmation zu beobachten.
5 Operationelle Maßnahmen beim Auftreten von Besonderheiten
und Notfallpläne
Falls Besonderheiten auftreten, müssen im Notfallplan als Teil der Betriebsvor-
schrift (als „Anweisung für das Verhalten im Gefahrenfall und die zu veranlas-
senden Meldungen“ gemäß DIN 19700-10: 2004-07 bzw. als „Melde- und Alarm-
pläne für Hochwasser und andere außerordentliche Ereignisse“ gemäß DIN
19700-11: 2004-07) Handlungsanweisungen vorgegeben sein. Wenn z. B. Risse,
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Verformungen, Bauwerksbewegungen, Wasseraustritte, untypische Sickerwas-
serabflüsse o. ä. beobachtet werden, so ist ein Meldeplan abzuarbeiten. Dazu kann
z. B. eine Information an den zuständigen fachkundigen Ingenieur gehören, der
eine Erstbeurteilung durchführt und gegebenenfalls weitere Maßnahmen auslöst
(z. B. Absenkung des Stauspiegels mit einer zulässigen Absenkgeschwindigkeit,
Alarmmeldung, Information der Katastrophenschutzbehörde und der Unterlie-
ger).
Abbildung 4: Abgestufte Betrachtung zum Versagen von Stauanlagen. Beispiele für die Bean-
spruchung und Überlastung durch Hochwasser (Pohl 2016).
Die Eigentümer und Betreiber von Stauanlagen sind wegen des meist sehr hohen
Gefährdungspotenzials von großen Stauanlagen gesetzlich verpflichtet, die Kata-
strophenschutzbehörden der Bundesländer bei ihren Planungen sowie den Alarm-
und Einsatzplänen zu unterstützen. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Son-
dergefahrenkarten, die den Gefährdungsbereich als Überflutungsplan darstellen.
Daraus sollten auch maximale Wasserstände, Wassertiefen, Wellenlaufzeiten,
Flutausbreitungswege und Evakuierungspfade erkennbar sein.
Sobald für den Stauanlagenbetreiber erkennbar wird, dass die Versagensgefahr
z. B. wegen des progressiven Schadensverlaufes nicht mehr aufzuhalten ist, muss
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228 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700
unmittelbar mit den Maßnahmen entsprechend dem Notfallplan begonnen wer-
den. Besonders im Nahbereich mit den größten Auswirkungen und der kürzesten
Vorwarnzeit muss schnell reagiert werden. Rechtzeitige Warnungen und Evaku-
ierungen der potenziellen Überflutungsbereiche, klare Verhaltensanweisungen
für die Bevölkerung und eine deutliche Ausweisung von Fluchtwegen helfen im
Ernstfall Menschenleben zu retten. Zur Warnung der Unterlieger werden meist
die folgenden Möglichkeiten genutzt:
- Audiotechnik (Sirenen und fest installierte oder mobile Lautsprecher)
- Rundfunk und Fernsehen
- Direktbenachrichtigung über Telefon oder persönliche Von-Tür-zu-Tür-In-
formation.
Notfallübungen helfen bei der Vorbereitung auf den möglichen Fall eines Tal-
sperrenversagens. Sie wer-
den meist als Stabsübung
des Stauanlagenbetreibers
und seines Personals ge-
meinsam mit den Katastro-
phenschutzbehörden ohne
Einbeziehung der Bevölke-
rung durchgeführt, um letz-
tere nicht zu beunruhigen.
Abbildung 5: Modellie-
rung eines hypothetischen Stau-
anlagenbruches und seiner Fol-
gen (Pohl 2008)
6 Talsperrenversagen und Folgenabschätzung
Wenn die potenzielle Gefahrfreisetzung im unwahrscheinlichen Falle eines Anla-
genversagens quantitativ untersucht werden soll, müssen mehrere Bearbeitungs-
stufen durchlaufen werden, die in Abb. 5 dargestellt sind.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass nicht jede außerplanmäßige Einwir-
kung auf das Absperrbauwerk jenseits der Bemessungsannahmen oder mit rech-
nerischem Überschreiten des Grenzzustandes zu einem Bauwerksversagen führt
(Abb. 4 u. 6). Falls dies doch der Fall ist, sind die in Frage kommenden Versa-
gensmechanismen und Bruchszenarien zu beschreiben. Bei Dämmen kommen
vor allem die Überströmung (overtopping) mit rückschreitender Erosion und die
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Sickerröhrenbildung (piping) auf Grund innerer Erosion vor. Während erstere an
ein meteorologisch-hydrologisches Ereignis geknüpft ist, kann die Durchströ-
mung auch überraschend („aus heiterem Himmel“-„sunny day event“) auftreten.
Abbildung 6: Auswahl von Bruchszenarien an einer Beispieltalsperre bestehend aus einem
Damm mit Massivbauwerk im Bereich der Hochwasserentlastungsanlage (Pohl, Bornschein
2007)
Abbildung 7: Beispiel für eine
Sondergefahrenkarte (aus DWA
T2/2017) mit Darstellung der maximalen
Wassertiefen, der HQ100 Überschwem-
mungsgrenze, der Abflusswerte an den
Kontrollquerschnitten und der Zeiten für
die Wellenankunft und den Wellenschei-
tel ab Dammbruchbeginn. Zusätzlich
wäre noch eine Darstellung der Fließgeschwindigkeit oder der Intensität h∙v möglich (Hinter-
grundkarte: OpenStreetMap)
Beide Verläufe erstrecken sich meist über einen Zeitraum von einer Stunde bis zu
wenigen Stunden und können aus Erfahrungswerten oder mit bodenmechanischen
Modellen beschrieben werden. Das Versagen von Staumauern erfolgt meist rela-
tiv schnell und umfasst entweder einzelne Bauabschnitte/Blöcke oder bei Bogen-
und Gewölbestaumauern zuweilen das gesamte Bauwerk in kürzester Zeit. Aus
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230 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700
den Bruchszenarien und der progressiven Breschenentwicklung wird mit Hilfe
von hydraulischen Modellen die Ausflussganglinie abgeschätzt, die dann die
obere Randbedingung für eine hoch instationäre hydronumerische Berechnung
dient. Diese wird in der Regel soweit nach flussab fortgeführt, bis die Wasser-
spiegellage natürliche Bemessungshochwasserstände erreicht. Die Berechnungs-
ergebnisse werden in so genannten Sondergefahrenkarten dargestellt, aus denen
Evakuierungpläne und Risikokarten abgeleitet werden können.
7 Zusammenfassung
Talsperren werden in Deutschland nach den allgemein anerkannten Regeln der
Technik bemessen, gebaut, betrieben und unterhalten und sind sehr sicher. Den-
noch verbleibt ein sehr geringes Restrisiko, welches transparent gemacht und
identifiziert werden soll, um bei entsprechenden Anzeichen oder Unregelmäßig-
keiten in kurzer Zeit angemessen reagieren zu können. Das vorgelegte DWA-
Themenheft 2/2017 soll einen Beitrag dazu leisten, für den sehr unwahrscheinli-
chen Fall des Eintretens des Restrisikos vorbereitet zu sein, das Ausmaß und die
Versagensfolgen abzuschätzen und die richtigen Maßnahmen zur Risikominde-
rung zu ergreifen. Gleichzeitig wird mit der nun vorgelegten Veröffentlichung die
Tür zu einer risikobasierten Bemessung oder Überprüfung von Stauanlagen ein
Stück weit geöffnet.
8 Literatur
Pohl, R., Aufleger, M., Bettzieche, V., Bieberstein, A., Carstensen, D., Kanne, S., Kast,
K., Knallinger, M., Overhoff, G., Sieber, H.-U., Strasser, K.-H., Banzhaf, P.:
Stauanlagensicherheit und Folgen bei Überschreitung der Bemessungsannahmen
nach DIN 19700.- DWA-Themenheft T2/2017, Deutsche Vereinigung für
Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) Hennef 2017
(mit weiterführenden Literaturangaben)
Autor:
Prof. Dr.-Ing. habil. Reinhard Pohl
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
Technische Universität Dresden
August-Bebel-Straße 30a
01219 Dresden
Tel.: +49 351 46333837 Fax: +49 351 46335654
E-Mail: [email protected]
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echnische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und
Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die
Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau
Bernhard Odenwald
Im Juni 2010 erschien die vollständig überarbeite DIN 19702 für den Nachweis
der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit von Massivbau-
werken im Wasserbau. Dabei wurden die in den internationalen und nationalen
Grundnormen des Bauwesens entwickelten Grundsätze und Begriffe berücksich-
tigt. Einen wesentlichen Einfluss auf die Bemessung von Wasserbauwerken haben
zumeist die aus Grund- und Oberflächenwasser resultierenden Druck- und Strö-
mungskräfte. Diese Kräfte sind i. d. R. nicht nur räumlich sondern auch zeitlich
veränderlich und können oft einen erheblichen Schwankungsbereich aufweisen.
Um einerseits eine ausreichende Sicherheit des Bauwerks zu gewährleisten und
andererseits eine wirtschaftliche Bemessung zu ermöglichen, sind die aus diesen
Einwirkungen resultierenden Kräfte und Beanspruchungen unter Berücksichti-
gung der Schwankungsbereiche und deren Unsicherheiten sowie der gegenseiti-
gen Abhängigkeiten festzulegen. Anhand eines einfachen Beispiels wird die Be-
anspruchung eines Wasserbauwerkes durch Grund- und Oberflächenwasser darge-
stellt. Dabei werden die Schwierigkeiten bei der Festlegung charakteristischer
Werte für die Einwirkungen erläutert, die sich aus der Abhängigkeit der Grund-
wasserverhältnisse von den Oberflächenwasserständen ergeben.
Stichworte: Massivbauwerke, Wasserbau, bautechnische und geotechnischen
Nachweise, Einwirkungen, Grundwasser, Oberflächenwasser
1 Einleitung
An den Bundeswasserstraßen im deutschen Binnenland mit einer Gesamtlänge
von ca. 7.300 km existieren zahlreiche Schleusen und Wehranlagen, die vielfach
bereits ein hohes Alter aufweisen. Deshalb ist davon auszugehen, dass in den
nächsten Jahrzehnten bei den Wasserbauwerken umfangreiche Instandsetzungs-
arbeiten oder Ersatzneubauten erforderlich werden. Sowohl beim Neubau als
auch bei der Instandsetzung von Massivbauwerken im Wasserbau ist die im Juni
2010 erschienene, vollständig überarbeite DIN 19702 für den Nachweis der
Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit maßgebend. Bei der
Überarbeitung der DIN 19702 (2010) wurden die in den internationalen und na-
tionalen Grundnormen des Bauwesens entwickelten Grundsätze und Begriffe
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232
Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die
Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau
berücksichtigt. So wurden z. B. die Berechnungsgrundlagen an das Teilsicher-
heitskonzept angepasst und die Einwirkungen ständigen, vorübergehenden und
außergewöhnlichen Bemessungssituationen zugeordnet, wobei den wasserbau-
spezifischen Einwirkungen Teilsicherheitsbeiwerte zugewiesen wurden (Kunz,
2010). In der im Februar 2013 erschienenen, nochmals geringfügig überarbeite-
ten Fassung der DIN 19702 wurde im Wesentlichen auf die 2012 bauaufsichtlich
eingeführten Eurocodes (Normenreihe DIN EN 1990 ff.) Bezug genommen.
Einen wesentlichen Einfluss auf die Bemessung von Wasserbauwerken haben
zumeist die aus Grund- und Oberflächenwasser resultierenden Druck- und
Strömungskräfte. Dies betrifft sowohl die im Betriebszustand auf das Bauwerk
und den Baugrund einwirkenden Kräfte als auch die während des Bauzustands
auf die Baugrube und deren Verbau einwirkenden Kräfte. Diese Kräfte sind
i. d. R. sowohl räumlich als auch zeitlich veränderlich und können oft einen er-
heblichen Schwankungsbereich aufweisen. Um einerseits eine ausreichende Si-
cherheit des Bauwerks zu gewährleisten und andererseits eine wirtschaftliche
Bemessung zu ermöglichen, sind die aus Grund- und Oberflächenwasser resul-
tierenden Kräfte und Beanspruchungen unter Berücksichtigung der Schwan-
kungsbereiche und deren Unsicherheiten sowie der gegenseitigen Abhängigkei-
ten festzulegen.
Nachstehend wird anhand eines einfachen Beispiels die Beanspruchung eines
Wasserbauwerkes durch Grund- und Oberflächenwasser erläutert. Dabei werden
die normativen Grundlagen für die Ermittlung und den Ansatz von Einwirkun-
gen und Beanspruchungen aus Grund- und Oberflächenwasser in den geotechni-
schen und bautechnischen Nachweisen dargestellt. Insbesondere wird auf die
Schwierigkeiten bei der Festlegung charakteristischer Werte für die Einwirkun-
gen eingegangen, die sich aus der Abhängigkeit der Grundwasserverhältnisse
von den Oberflächenwasserständen ergeben.
2 Beispielberechnung mit charakteristischen Einwirkungen
2.1 Berechnungsmodell
Die Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser auf ein Wasserbauwerk
werden anhand des in Abbildung 1 dargestellten vereinfachten Beispiels einer
Schleusenkammerwand erläutert. Auf der Außenseite wird die Kammerwand
von Oberkante Kammersohle bis zu einer Höhe von 15 m durch den Erddruck
belastet. Die Feuchtwichte des Erdstoffes wird mit = 20 kN/m³ und die Wichte
unter Auftrieb mit ’ = 11 kN/m² angesetzt. Der wirksame Reibungswinkel des
als kohäsionslos (c’ = 0) angenommenen Bodens beträgt ’ = 30°. Vereinfacht
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„Bemessung im Wasserbau“ 233
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wird der Erddruck als horizontal auf die Wand wirkend angenommen. Nach DIN
4085 (2011) wird der erhöhte aktive Erddruck (arithmetisches Mittel aus Erdru-
hedruck und aktivem Erddruck E = ½·(E0 + Ea)) angesetzt. Auf der Innenseite
der Kammerwand wird der Wasserdruck aus dem Schleusenwasserstand mit ei-
nem spezifischen Gewicht des Wassers von W = 10 kN/m³ berücksichtigt.
2.2 Berechnungsbeispiel 1
In dieser Berechnung wird angenommen, dass sich der Grundwasserstand auf
gleicher Höhe wie der Kammerwasserstand 4 m über Kammersohle (auf Unter-
wasserstand) befindet (Abbildung 1). Die daraus resultierenden, charakteristi-
schen Werte des Erddrucks Ek, des von außen wirkenden Grundwasserdrucks
W1,k und des von der Schleusenkammer wirkenden, stützenden Wasserdrucks
W0,k sowie die daraus folgenden charakteristischen Schnittkräfte (Querkraft Qk
und Moment Mk) am Übergang der Kammersohle zur Kammerwand sind eben-
falls aus Abbildung 1ersichtlich.
Abbildung 1: Berechnungsbeispiel 1: Grundwasserstand und Kammerwasserstand 4 m über
Kammersohle
2.3 Berechnungsbeispiel 2
In diesem Berechnungsbeispiel wird ein Grundwasserstand auf Höhe der Gelän-
deoberfläche (15 m über Kammersohle) bei einem Kammerwasserstand von 4 m
über Kammersohle (auf Unterwasserstand) angenommen. Dieses Beispiel stellt
z. B. eine Schleuse in einem staugeregelten Fluss dar, bei der der Grundwasser-
stand bei einem maßgebenden Hochwasser bis auf Geländehöhe ansteigt. Wei-
terhin wird auf der sicheren Seite liegend angenommen, dass der Grundwasser-
stand bei gleichzeitig schnell abfallendem Unterwasserstand zunächst auf dieser
Höhe verbleibt. Dadurch ergibt sich die maximale Wasserstandsdifferenz zwi-
schen dem noch auf Geländehöhe anstehenden Grundwasserstand auf der Au-
ßenseite der Kammerwand und dem bereits wieder auf einen Normalwasser-
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234
Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die
Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau
stand abgefallenen Unterwasserstand auf der Innenseite der Kammerwand. In
Abbildung 2 sind das Berechnungsbeispiel sowie die resultierenden, charakteris-
tischen Werte für die Einwirkungen und die Schnittgrößen dargestellt.
Abbildung 2: Berechnungsbeispiel 2: Grundwassereinstau bis Geländeoberfläche, Kam-
merwasserstand 4 m über Kammersohle
Die durch den erhöhten Grundwasserstand bewirkte Zunahme des äußeren Was-
serdrucks ist wesentlich größer als die Reduzierung des Erddrucks infolge des
Auftriebs. Gegenüber dem Zustand bei ausgeglichenem Grund- und Kammer-
wasserstand (Abbildung 1) erhöhen sich die Schnittgrößen um mehr als 70 %.
2.4 Berechnungsbeispiel 3
In dieser Berechnung wird angenommen, dass der Grundwasserstand maximal
2 m höher ansteht als der Kammerwasserstand, der sich wiederum 4 m über
Kammersohle (auf Unterwasserstand) befindet. Dieses Beispiel stellt z. B. eine
Schleuse in einem Schifffahrtskanal dar, bei dem das Unterwasser als Vorfluter
für das Grundwasser fungiert und der Kanalwasserstand im Oberwasser infolge
einer Dichtung des Kanalbettes deutlich über dem Grundwasserstand ansteht. In
Abbildung 3 sind das Berechnungsbeispiel sowie die resultierenden, charakte-
ristischen Werte für die Einwirkungen und die Schnittgrößen dargestellt.
Bei Annahme eines nur maximal 2 m über dem Kammerwasserstand anstehen-
den Grundwasserstandes erhöhen sich die Schnittgrößen gegenüber dem Zu-
stand mit ausgeglichenem Grund und Kammerwasserstand (Abbildung 1) nur
geringfügig und liegen deutlich unter denjenigen für ein Grundwasserstand auf
Höhe der Geländeoberfläche (Abbildung 2).
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Abbildung 3: Berechnungsbeispiel 3: Grundwasserstand 2 m über Kammerwasserstand,
Kammerwasserstand 4 m über Kammersohle
Insgesamt ist aus den Berechnungsbeispielen ersichtlich, dass die aus dem
Grundwasser und dem Oberflächenwasser resultierenden Wasserdrücke maßge-
bende Einwirkungen für Bemessung der Schleusenkammer darstellen. Dabei hat
die Festlegung des Grundwasserstandes in Verbindung mit dem jeweiligen
Kammerwasserstand einen wesentlichen Einfluss auf die ermittelten Schnittgrö-
ßen.
3 Normative Grundlagen
3.1 Allgemeines
Der Eurocode DIN EN 1990 (2010) ist die neue europäische Grundlagennorm
für die Tragwerksplanung und stellt zusammen mit dem nationalen Anhang DIN
EN 1990/NA (2010) auch die Grundlage für die statische Bemessung von massi-
ven Wasserbauwerken der deutschen Bundeswasserstraßen dar. Die auf dem Eu-
rocode basierende DIN 19702 (2012) legt die ergänzenden, grundlegenden An-
forderungen an die Zuverlässigkeit (Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und
Dauerhaftigkeit) für Massivbauwerke im Wasserbau fest. Eine detaillierte Zu-
sammenstellung der wesentlichen Regelungen dieser Normen für den Ansatz
von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser enthält Odenwald (2011).
3.2 Regelungen der DIN 19702
Für die Ermittlung maßgebender Wasserstände wird festgelegt:
– Bei der Zusammenstellung der jeweiligen Wasserstände ist zu beachten,
dass zu den einzelnen Wasserständen auf einer Seite eines Bauwerks (z. B.
Oberwasser) je nach Art und Nutzung des Bauwerkes ein Spektrum zugehö-
riger, möglicher Wasserstände auf der anderen Seite des Bauwerks (z. B.
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236
Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die
Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau
Unterwasser) sowie ein Spektrum zugehöriger, möglicher Grundwasserstän-
de festzulegen ist.
– Die maßgebenden Wasserstände bei Kanalhaltungen, Kanälen und stehen-
den Gewässern sind entsprechend der Nutzung jeweils für ständige bzw.
veränderliche und außergewöhnliche Einwirkungen festzulegen.
– Die maßgebenden Wasserstände für ein massives Wasserbauwerk an einem
frei fließenden Gewässer sind in der Regel für ständige bzw. veränderliche
Einwirkung aus einem Abfluss mit einem Wiederkehrintervall von T = 100 a
(jährliche Überschreitungswahrscheinlichkeit 10−2) und für die außerge-
wöhnliche Einwirkung mit einem Wiederkehrintervall von T = 1.000 a (jähr-
liche Überschreitungswahrscheinlichkeit 10−3) zu bestimmen.
Für den Ansatz von Einwirkungen und Beanspruchungen aus Grund- und Ober-
flächenwasser in den Tragfähigkeitsnachweisen sind nachstehend die wesentli-
chen Festlegungen der DIN 19702 (2013) aufgeführt, die die Regelungen der
DIN EN 1990 (2010) ergänzen bzw. präzisieren:
– Kräfte aus Wasserdrücken, auch Grundwasserdrücken, sind veränderliche
Einwirkungen. Sie dürfen jedoch für die Bestimmung des Teilsicherheitsbe-
iwertes als ständige Einwirkungen berücksichtigt werden, wenn der Wasser-
druck aufgrund geometrischer Randbedingungen begrenzt ist.
– Eine geometrische Randbedingung liegt z. B. vor, wenn der veränderliche
Wasserstand durch eine Überlaufkante nach oben begrenzt wird. Geometri-
sche Randbedingung können auch durch betriebliche Maßnahmen (z. B. Ab-
senken des Grundwasserstands bei Trockenlegung) herbeigeführt werden.
– Aus Wasserdrücken auf das Bauwerk wirkende Kräfte werden als äußere
Kräfte gesondert berücksichtigt und nicht mit anderen Kräften verrechnet.
Bei um- oder unterströmten Bauwerken oder Bauteilen (z. B. massive Ufer-
wände) dürfen die beidseits wirkenden Wasserdrücke zu einer Einwirkung
zusammengefasst werden.
Für die Tragfähigkeitsnachweise sind die Einwirkungen aus Grund- und Ober-
flächenwasser mit Teilsicherheitsbeiwerten nach Tabelle 1 der DIN 19702
(2013) zu beaufschlagen. Die Teilsicherheitsbeiwerte unterscheiden sich nach
Bemessungssituation und Wirkung (günstig / ungünstig). Ergänzende Erläute-
rungen zur Wahl der Teilsicherheitsbeiwerte für den Ansatz von Wasserdrücken
gibt Kunz (2014).
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4 Beispielberechnung mit Bemessungswerten
4.1 Allgemeines
Die nachstehend aufgeführten Berechnungen basieren auf den in Abschnitt 2
beschriebenen Berechnungsbeispielen. Für die Ermittlung der Schnittkräfte wer-
den jedoch Bemessungswerte der Einwirkungen aus Grund- und Oberflächen-
wasser sowie aus Erddruck anstatt charakteristischer Einwirkungen angesetzt.
Dabei wird nach günstiger oder ungünstiger Wirkung der Einwirkung und dem
Ansatz der Wasserdrücke als veränderliche oder ständige Einwirkung aufgrund
geometrischer Begrenzung unterschieden. Weiterhin wird jeweils die ständige
Bemessungssituation vorausgesetzt.
4.2 Berechnungsbeispiel 2
Der Erddruck als ungünstige, ständige Einwirkung ist mit einem Teilsicherheits-
beiwert = 1,35 zu multiplizieren. Da der Grundwasserstand und der Kammer-
wasserstand unter den hier vorliegenden Annahmen nicht als voneinander ab-
hängig angesehen werden können, ist eine Zusammenfassung der Einwirkungen
aus den beiden Wasserdrücken nicht möglich. Der Wasserdruck aus dem bis zur
Geländeoberfläche reichenden Grundwasserstand ist jedoch geometrisch be-
grenzt und kann deshalb ebenfalls mit dem Teilsicherheitsbeiwert = 1,35 für
ungünstige, ständige Einwirkungen multipliziert werden. Der Kammerwasser-
stand kann bei Ansatz eines unteren Wertes des Unterwasserstandes (z. B. hyd-
rostatischer Stau der unteren Kanalhaltung) ebenfalls als geometrisch begrenzt
angesetzt werden. Der Wasserdruck aus dem Kammerwasserstand ist deshalb
mit dem Teilsicherheitsbeiwert = 1,0 für günstige, ständige Einwirkungen zu
multiplizieren. In Abbildung 4 sind die Bemessungswerte der Einwirkungen aus
Wasser- und Erddrücken sowie der resultierenden Beanspruchungen dargestellt.
Abbildung 4: Berechnungsbeispiel 2, Bemessungswerte
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238
Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die
Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau
Aufgrund des geringen Einflusses des stützenden Kammerwasserdruckes auf die
Schnittgrößen und der geometrischen Begrenzung des Grundwasserstandes ent-
sprechen die Bemessungswerte der Schnittgrößen ungefähr dem 1,35-fachen der
charakteristischen Werte.
4.3 Berechnungsbeispiel 3
Hier wird davon ausgegangen, dass der maßgebende Grundwasserstand 2 m
über dem Kammerwasserstand liegt und dass die beiden Wasserstände ebenfalls
nicht als voneinander abhängig betrachtet werden können. Der aus dem Grund-
wasserstand resultierende Wasserdruck ist nicht geometrisch begrenzt und ist
deshalb mit dem Teilsicherheitsbeiwert = 1,5 für ungünstige, veränderliche
Einwirkungen zu multiplizieren. Der Wasserdruck aus dem Kammerwasserstand
ist aufgrund der angenommenen geometrischen Begrenzung wieder mit dem
Teilsicherheitsbeiwert = 1,0 für günstige, ständige Einwirkungen zu multipli-
zieren In Abbildung 5 sind die Bemessungswerte der Einwirkungen aus Wasser-
und Erddrücken sowie der resultierenden Beanspruchungen dargestellt.
Abbildung 5: Berechnungsbeispiel 3, Bemessungswerte
Aufgrund des wegen fehlender geometrischer Begrenzung erhöhten Teilsicher-
heitsbeiwerts für den Grundwasserdruck liegen die Bemessungswerte der
Schnittgrößen ungefähr um das 1,4-fache über den charakteristischen Werten.
Aus der Gegenüberstellung mit Abbildung 4 ist jedoch ersichtlich, dass bei An-
satz eines lediglich 2 m über dem Kammerwasserstand anstehenden, maßgeben-
den Grundwasserstand die Bemessungswerte der resultierenden Beanspruchun-
gen (Schnittgrößen) um ca. 40 % unter denen aus dem vorangegangenen Bei-
spiel mit Ansatz des Grundwasserstandes auf Geländehöhe (11 m über Kam-
merwasserstand) liegen.
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5 Schlussfolgerungen
Zusammenfassend ergeben sich für den Ansatz der Einwirkungen aus Grund-
und Oberflächenwasser sowie für deren Einfluss auf die Bemessung von Was-
serbauwerken folgende Schlussfolgerungen:
– Die aus Grund- und Oberflächenwasser resultierenden Druck- und ggf. auch
Strömungskräfte stellen meist wesentliche Einwirkungen für die Bemessung
von Wasserbauwerken dar.
– Dabei hat die Festlegung der maßgebenden Grundwasserstände in Verbin-
dung mit den jeweiligen maßgebenden Kammerwasserständen einen maßge-
benden Einfluss auf die Bauwerksbemessung. Dies betrifft auch den Ansatz
von Wasserdrücken als ständige Einwirkungen aufgrund geometrischer Be-
grenzung oder die Zusammenfassung von Einwirkungen aus beidseitig des
Bauwerks wirkenden Wasserdrücken aufgrund gegenseitiger Abhängigkeit.
– Zur Festlegung der maßgebenden Wasserstände (mit einer Überschreitungs-
wahrscheinlichkeit von einem Mal pro Lebensdauer des Bauwerks) sind aus-
reichende Messungen erforderlich Dies gilt insbesondere für Grundwasser-
standsmessungen, bei denen sowohl eine ausreichende Anzahl von Messstel-
len als auch ein ausreichender Messzeitraums sowie ein geeignetes Messin-
tervall benötigt werden. Bei einem frei fließenden oder staugeregelten Ge-
wässer ist zumeist ein Messzeitraum von mindestens drei Jahren mit einem
geeigneten Messintervall zur Erfassung hochwasserbeeinflusster Grundwas-
serstände erforderlich. Dies ist insbesondere notwendig, wenn Aussagen
über die Korrelation zwischen Grund- und Oberflächenwasserständen und
eine daraus resultierende, maßgebende Wasserstandsdifferenz getroffen
werden sollen.
– Aus diesen Gründen ist bei geplanten Baumaßnahmen von massiven Was-
serbauwerken eine frühzeitige Erstellung eines geeigneten Grundwasser-
messsystems mit entsprechender Messdatenerfassung und Messdatenauswer-
tung erforderlich.
6 Literatur
DIN 1054: 2010-12: Baugrund – Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau –
Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1. Beuth Verlag, Berlin
DIN EN 1990: 2010-12: Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche
Fassung EN 1990. Beuth Verlag, Berlin
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Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die
Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau
DIN EN 1990/NA: 2010-12: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter -
Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Beuth Verlag, Berlin.
DIN 19702: 2010-06: Massivbauwerke im Wasserbau – Tragfähigkeit, Gebrauchstaug-
lichkeit und Dauerhaftigkeit. Beuth Verlag, Berlin.
DIN 19702: 2013-02: Massivbauwerke im Wasserbau – Tragfähigkeit, Gebrauchstaug-
lichkeit und Dauerhaftigkeit. Beuth Verlag, Berlin.
Kunz, C. (2010): DIN 19702 – Die Norm für massive Wasserbauwerke. Bautechnik
87/12, S. 806-809
Kunz, C. (2014): Ein Beitrag zum Teilsicherheitsbeiwert für Wasserdruck. Bautechnik
91/5, S. 339-446
Odenwald, B. (2011): Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach
neuen Normen. In: Tagungsband zum BAW-Kolloquium „Aktuelle geotechnische
Fragestellungen bei Baumaßnahmen an Bundeswasserstraßen“ am 18. und 19.
Oktober 2011, S. 81 – 89.
Autor:
Dr.-Ing. Bernhard Odenwald
Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) Karlsruhe
Abteilung Geotechnik
Kußmaulstraße 17
76187 Karlsruhe
Tel.: +49 721 9726 3620
Fax: +49 721 9726 4830
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Zur Bemessung geotextiler Filter
- Das neue Merkblatt DWA-M 511 -
Carl Stoewahse
Michael Heibaum
Katja Werth
Im Jahr 1966 (in Deutschland 1971) wurden die ersten Empfehlungen für Kunst-
stoffe im Wasserbau veröffentlicht. In Deutschland erschienen 1986 Filterregeln
für Gewebe und Vliesstoffe. Inzwischen liegen zahlreiche Erfahrungen national
und international vor, so dass DGGT und DWA, die betreuenden Gesellschaften
der Empfehlungen, eine Überarbeitung initiierten. Der Vergleich der internationa-
len Ansätze zeigt zum Teil erhebliche Unterschiede.
Im Merkblatt DWA-M 511 wurde aus dem Vergleich der international gängigen
Empfehlungen ein neues Bemessungsverfahren entwickelt. Weitere Anforderun-
gen an die hydraulische Filterwirksamkeit, Filterdicken und die Robustheit wer-
den formuliert. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Herleitung des Bemes-
sungsverfahrens.
1 Einleitung
Ein der ersten Anwendungen von Filtergeweben unter einem Deckwerk wird auf
das Jahr 1958 datiert (http://carthagemills.com/). Barrett (1966) beschreibt An-
wendungen dieser "plastic filters" und gibt geometrische und mechanische
Kennwerte an, filtertechnische Angaben fehlen zunächst. Diese werden erst von
Calhoun (1972) veröffentlicht.
Eine Zusammenstellung über die Anwendung von geotextilen Filtern (damals
noch "Vlies- und Gewebefilter aus Kunststoffen") wurde von Zitscher (1971)
erstellt. Filterregeln finden sich in dieser Schrift nicht.
Die ersten umfassenden deutschen Empfehlungen zu geotextilen Filtern wurden
1986 veröffentlicht, 1982 neu aufgelegt und 1992 überarbeitet (DVWK, 1992),
wobei die Filterregeln bestehen blieben.
Inzwischen liegen zahlreiche Erfahrungen national und international vor, so dass
DGGT und DWA, die betreuenden Gesellschaften der Empfehlungen, eine
Überarbeitung initiierten. Der Vergleich der internationalen Ansätze zeigt zum
Teil erhebliche Unterschiede. Daher ist es das Ziel, einen Kompromiss zu fin-
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242 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511
den, der nationale Erfahrungen und internationale Gepflogenheiten in Einklang
bringt.
2 Grundsätze der Filterbemessung
2.1 Allgemeines
Ein Filter soll den Boden vor Erosion infolge von strömendem Wasser oder äu-
ßerer hydraulischer Beanspruchung durch Oberflächenwasser schützen. Um ei-
nen Filter zu bemessen, müssen vier, sich teilweise widersprechende Kriterien
berücksichtigt werden:
I) Der Bodenrückhalt oder die mechanische Filterwirksamkeit: die Bodenpar-
tikel müssen (zum überwiegenden Teil) zurückgehalten werden
II) Die hydraulische Filterwirksamkeit; das zuströmende Wasser muss druck-
frei abgeleitet werden.
III) Die Vermeidung von Kolmation; die Durchlässigkeit des Filters darf im
Betrieb nicht durch eingelagerte Bodenteilchen abnehmen.
IV) Die Robustheit; der Filter darf beim Einbau, Überschütten oder im Betrieb
nicht beschädigt werden.
Bei Filterregeln wird üblicherweise zwischen „hydraulischen" und „geometri-
schen" Ansätzen unterschieden.
2.2 Hydraulische Kriterien
Hydraulische Kriterien enthalten Grenzwerte für den hydraulischen Gradienten,
bei dem ein Transport beginnt. Die Fließgeschwindigkeit oder der hydraulische
Gradient an der Kontaktstelle Boden-Filter müssen bekannt sein. Nur wenn die
hydraulische Beanspruchung dauerhaft so gering ist, dass auch feinere Boden-
partikel nicht bewegt werden, ist ein Filter überflüssig.
Für geotextile Filter gibt es nur wenige hydraulische Kriterien und diese sind
nicht allgemein gültig. Genannt sei hier das Bemessungsdiagramm von Klein
Breteler (2000), das auf Grundlage von Versuchen für gleichförmige Sande mit
0,1 < d90 < 0,25mm und einem Ungleichförmigkeitsgrad CU < 2 entwickelt wur-
de.
Wegen ihrer begrenzten Anwendbarkeit und der unsicheren Ermittlung der
maßgebenden Einwirkungen werden diese Ansätze nicht weiter verfolgt.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 243
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2.3 Geometrische Kriterien
Geometrische Kriterien enthalten Grenzwerte für Korndurchmesser oder Poren-
kanaldurchmesser, um den Transport von feineren Partikeln durch die Poren-
räume der gröberen Partikel zu verhindern. Für die geometrischen Kriterien
muss die Größenverteilung der Engstellen (nicht der Poren!) bekannt sein.
Da die Verteilung der Engstellen meist einfacher bestimmt werden kann als der
lokale hydraulische Gradient werden meist geometrische Kriterien herangezo-
gen, auch wenn eine Reihe von Annahmen erforderlich ist.
Drei Ansätze haben sich für die praktische Arbeit durchgesetzt. In Nord- und
Südamerika sind die Empfehlungen von Holtz et al. (1997) in Gebrauch, die mit
den kanadischen Empfehlungen erweitert wurden (CFEM, 2006). Daneben ist
die Vorgehensweise nach Luettich und Giroud (1992) weit verbreitet.
In Europa sind mehrere Ansätze gebräuchlich, die allerdings derzeit erneut dis-
kutiert werden. Neben der Überarbeitung der DVWK-Empfehlungen in
Deutschland (DVWK, 1992) wurden die Empfehlungen der französischen Ge-
sellschaft für Geokunststoffe zurückgezogen. Auch in den Niederlanden erfolgte
eine Überarbeitung der bestehenden Regelwerke.
Nachfolgend werden die Kriterien nach CFEM, Giroud und DVWK so weit be-
schrieben, wie es für die Herleitung des neuen Filterkriteriums nach DWA-M
511 erforderlich ist. Eine ausführlichere Darstellung gibt z. B. Heibaum (2015).
CFEM
Holtz et al. (1997) unterteilen die Böden nach dem Korndurchmesser d50 größer
oder kleiner als 0,075 mm und bilden 4 Gruppen in Abhängigkeit von der Un-
gleichförmigkeit.
Wie schon für Kornfilter haben Lafleur et al. (1993) in zahlreichen Versuchen
aufgezeigt, dass auch geotextile Filter über einem Boden mit CU > 6 besonderer
Aufmerksamkeit bedürfen. Auf der Grundlage dieser Versuche wurden entspre-
chende Empfehlungen formuliert.
Die Ergebnisse der Untersuchungen von Lafleur und die Empfehlungen von
Holtz et al. wurden in einem Handbuch der kanadischen geotechnischen Gesell-
schaft verknüpft (CFEM, 2006), wobei als Grenzwert CU = 8 gewählt wurde.
Für stationäre Anströmung des Filters gelten dann für die Öffnungsweite O90 die
Kriterien:
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244 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511
mit B = 1 für CU 2
B = 0,5CU für 2 < CU 4
B = 8/CU für 4 < CU 8
und
für CU > 8
Giroud und Luettich et al.
Giroud (1982) bzw. Luettich, Giroud und Bachus (1992) berücksichtigen die
Ungleichförmigkeitsgrad und zusätzlich den Krümmungskoeffizienten und die
Lagerungsdichte. Daraus wird ein Ansatz für das Verhältnis der Öffnungsweite
O90 zum mittleren Korndurchmesser d50 entwickelt.
Für gleichförmige Böden mit C'u 3 (der Apostroph kennzeichnet Kennwerte
der linearisieren Kornverteilung) wird davon ausgegangen, dass alle feineren
Partikel durch die Gröberen festgesetzt sind. Daher muss ein Filter nur die gro-
ben Partikel zurückhalten. Ferner nimmt Giroud an, dass für einen dicht gelager-
ten Boden mit C'u 3 mindestens zwei Partikel gleichzeitig durch eine Öffnung
im Geotextil durchtreten müssen, um Instabilität im Bodengefüge zu initiieren.
Daraus ergibt sich die Forderung
Für C'U > 3 gilt:
Bei lockerer Lagerung des Bodens kann schon das Durchtreten eines Partikels
durch den Filter zu Instabilitäten im Boden führen und die oben genannten Ver-
hältnisse O90 / d50 reduzieren auf die Hälfte.
DVWK
Das DVWK-Merkblatt 221 (1992) unterscheidet zunächst zwischen drei Kör-
nungsbereichen mit d40 ≤ 0,06 mm, d40 > 0,06 mm sowie d15 ≤ 0,06 mm und
d40 > 0,06 mm.
Für Böden des Körnungsbereichs A mit d40 ≤ 0,06 mm gilt ein konstanter
Grenzwert.
Für die Körnungsbereiche B und C mit d40 > 0,06 mm wird ein Kriterium aufge-
führt, das die Ungleichförmigkeit einbezieht:
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„Bemessung im Wasserbau“ 245
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aa
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Das dort genannte zweite Kriterium O90 < 12·d90 ist in den meisten Fällen
nicht relevant.
Die Trennung bei d40 = 0,06 mm führt oft dazu, dass die linke Seite eines Kör-
nungsbandes anders behandelt werden muss als die rechte.
2.4 Vergleich
Die vorgestellten Empfehlungen berücksichtigen alle die Ungleichförmigkeit
des Bodens, beziehen sich allerdings auf verschiedene Korndurchmesser. Um
hier einen Vergleich zu ermöglichen wird in Anlehnung an die Vorgehensweise
von Giroud (1982) die Kornverteilung mit Bezug auf die Ungleichförmigkeit CU
linearisiert, d. h. die Steigung der Verbindungslinie von d10 und d60 gilt für die
gesamte Körnungslinie.
Am Beispiel des DVWK-Kriteriums
ergeben sich die Verhältniswerte der Massenanteile M und der zugehörigen
Korndurchmesser zu:
woraus sich mit (log d60 - log d10) = log (d60/d10) = log CU ergibt:
d’10 und d’50 sind die Korndurchmesser der linearisierten Körnungslinie. Als
Kennzahl für den Bodenrückhalt wird analog zum Abstandsverhältnis nach Cis-
tin/Ziems das Verhältnis von Öffnungsweite O90 zu d50 festgelegt (s. auch Zit-
scher, 1971):
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246 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511
Für die übrigen, oben beschriebenen Ansätze kann entsprechend vorgegangen
werden. Damit ergeben sich dann die in Abbildung 1 dargestellten Zusammen-
hänge.
Alle Empfehlungen stimmen darin überein, für höhere Ungleichförmigkeitszah-
len geringere Verhältniswerte O90/d50 vorzuschreiben. Im Bereich 3 CU 6
werden höhere Werte zugelassen.
Die Kriterien von Giroud (1982) und CFEM enthalten Singularitäten und
Sprünge. Der DVWK-Ansatz ergibt hohe Werte für O90/d50 bei kleinen Un-
gleichförmigkeiten, was allen anderen Ansätzen widerspricht. Es sollten also bei
sehr gleichförmigem Boden kleinere Öffnungsweiten gewählt werden.
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20Ungleichförmigkeitszahl Cu [-]
0
1
2
3
4
5
6
7
Ab
sta
nd
sve
rhä
ltn
is O
90/d
50 [
-]
Giroud dicht
Giroud locker
CFEM
DVWK 221
Abbildung 1: Abstandsverhältnis O90/d50 abhängig von der Ungleichförmigkeitszahl CU
3 Neuformulierung DWA-M 511
3.1 Bodenrückhalt - mechanische Filterwirksamkeit
Nichtbindige Böden
Bei der Neuformulierung des Bemessungsansatzes wurde versucht, die Gemein-
samkeiten der vorgestellten Ansätze zu berücksichtigen, aber gleichzeitig eine
kontinuierliche Abhängigkeit von Öffnungsweite und Ungleichförmigkeitskoef-
fizient zu erreichen und damit Unstetigkeiten zu vermeiden.
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l 5
Zur Anpassung wurde eine modifizierte Lognormalverteilung mit den Stützstel-
len
O90 / d50 = 1 für CU = 1
O90 / d50 5 für CU = 4
O90 / d50 = 1 für CU 20
gewählt. Da in Deutschland mit der Bemessung nach DVWK keine negativen
Erfahrungen gemacht wurden, sollte im Bereich des Sprunges der CFEM-Regel
(CU = 8) etwa das DVWK-Niveau erhalten bleiben.
Somit ergibt sich die Anpassungsfunktion:
Es muss betont werden, dass dies ein empirisch gefundener Kompromiss ist, der
versucht, die verschiedenen Ansätze miteinander zu vereinbaren, und dem keine
neuen Untersuchungen zugrunde liegen.
Um wie beim Ansatz nach Giroud auch die Lagerungsdichte zu berücksichtigen,
wird eine Bandbreite von 10% eingeführt. Das Ergebnis ist in Abbildung 2
aufgetragen.
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20Ungleichförmigkeitszahl Cu [-]
0
1
2
3
4
5
6
7
Ab
sta
nd
sve
rhä
ltn
is O
90/d
50 [
-]
Giroud dicht
Giroud locker
CFEM
DVWK 221
DWA-M 511
Abbildung 2: Abstandsverhältnis O90/d50 abhängig von der Ungleichförmigkeitszahl CU des
Bodens
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248 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511
Suffosionsgefährdete Böden
Bei suffosiven Böden sollte der Filter nicht auf den Rückhalt aller infolge von
Suffosion umlagerbaren Feinteile ausgelegt werden. Die Bemessung des Filters
kann nach Lafleur (1993) mit
O90 ≤ d30
erfolgen.
Bindige Böden
Für bindige Böden gelten Filterkriterien abhängig von ihrer Plastizität und ihrer
undränierten Scherfestigkeit.
3.2 Hydraulische Filterwirksamkeit
Der Mindestwert für die Durchlässigkeit muss die Forderung
kGeotextil 10 100 kBoden
erfüllen. Bei sehr durchlässigem Untergrund und bei unkritischen Randbedin-
gungen (z.B. geringe Gradienten) wird kGeotextil kBoden als ausreichend angese-
hen.
3.3 Filterdicke
Vliesstoffe als Filter verhalten sich analog zu Kornfiltern, da in beiden Fällen
ein dreidimensionaler Porenraum zur Verfügung steht. Der dreidimensionale
Fließweg durch den Filter ermöglicht auch dann eine ausreichende Wasser-
durchlässigkeit, wenn einzelne Porenkanäle durch eingelagerte Partikel blockiert
sind.
Hier ist die Engstellenverteilung abhängig von der Filterdicke und der Fa-
serstruktur. Nach Giroud (1996) ändert sich die Öffnungsweite bei mehr als 25
Engstellen in Fließrichtung nicht mehr. Die 25 Engstellen erfordern eine Min-
destdicke des Filters.
In der Praxis wird die Filterdicke meist abhängig von der Öffnungsweite ange-
geben. Mit dieser Angabe der Öffnungsweite ist zwar keine Aussage über die
Anzahl der Engstellen verknüpft. Diese Abschätzung ist aber ausreichend, da
hiermit erfahrungsgemäß eine ausreichende Anzahl von Engstellen gewährleis-
tet wird.
Um bei geotextilen Filtern eine ausreichende Filtrationslänge zu erreichen ist
eine Mindestdicke von
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 249
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d ≥ 30 · O90
in einer Lage erforderlich.
Für bestimmte Anwendungen wie im Deponiebau und Verkehrswasserbau gel-
ten noch weitergehende Anforderungen.
3.4 Robustheit
Der Einbau stellt für den geotextilen Filter häufig die höchste Beanspruchung
dar. Das Geotextil muss zusätzlich zu seinen mechanischen und hydraulischen
Filtereigenschaften so beschaffen sein, dass es beim Einbau und im Betrieb kei-
ne Schäden davon trägt.
Für geotextile Filter werden im Merkblatt Mindestflächengewichte abhängig
von der Beschaffenheit des benachbart eingebauten Bodens festgelegt. Bei
Überschüttung mit Sand und Kies mit einem Größtkorn bis d = 8 mm ist ein
Flächengewicht von mindestens 300 g/m² erforderlich. Bis hin zu einem Flä-
chengewicht von 1000 g/m² bei Überschüttung mit Steinen von mehr als 60 kg.
Unter Berücksichtigung der Dickenanforderungen aus den Regelwerken z. B.
für den Deponiebau, Küstenschutz und Verkehrswasserbau ist die Forderung
von Mindest-Geotextilrobustheitsklassen aus dem Verkehrswegebau für Fil-
teranwendungen nicht ausreichend.
4 Zusammenfassung
Im Jahr 1966 (in Deutschland 1971) wurden die ersten Empfehlungen für
Kunststoffe im Wasserbau veröffentlicht. In Deutschland erschienen 1986 Fil-
terregeln für Gewebe und Vliesstoffe. Inzwischen liegen zahlreiche Erfahrungen
national und international vor, so dass DGGT und DWA, die betreuenden Ge-
sellschaften der Empfehlungen, eine Überarbeitung initiierten.
Das im Merkblatt DWA-M 511 enthaltene Bemessungsverfahren für geotextile
Filter ist eine Synopse der gängigen international angewendeten Filterkriterien
und vermeidet die in anderen Bemessungsverfahren enthaltenen Singularitäten,
Sprünge und Sonderregelungen.
Die Formulierung des auch für Kornfilter bekannten Filterkriteriums mit dem
Abstandsverhältnis abhängig von der Ungleichförmigkeitszahl bietet eine pra-
xisgerechte Möglichkeit der Filterbemessung. Weitere Kriterien zur hydrauli-
schen Filterwirksamkeit, Dicke und Robustheit werden angegeben.
Page 258
250 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511
5 Literatur
Barrett, R.J. (1966): Use of plastic filters in coastal structures. 10th Conference on
Coastal Engineering, Tokyo, Japan, 5.-8.Sep 1966, Beitrag 3-22 (4 S)
Calhoun, C.C. (1972): Development of design criteria and acceptance of specifications
for plastic filter cloth. Technical Report S-72-7, U.S. Army Corps of Engineers,
Vicksburgh, MS, USA, 105 S.
CFEM (2006): Canadian Foundation Engineering Manual. 4th Edition. Canadian
Geotechnical Society, S.343-356
DVWK (1992): Merkblatt 221 "Anwendung von Geotextilien im Wasserbau". Deutscher
Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau e.V. (DVWK). Hamburg/Berlin:
Parey, 31 S.
Giroud, J.P. (1982): Filter criteria for geotextiles. Proc. 2nd Int. Conference on
Geotextiles, Las Vegas, USA, Vol. 1, S.103-108
Giroud, J.P. (1996): Granular Filters and Geotextile Filters. Proceedings Geofilters ’96,
Montréal, Canada: S.565-680
Holtz, R.D.; Christopher, B.R.; Berg, R.R. (1997): Geosynthetic Engineering. Richmond:
BiTech Publishers Ltd.
Klein Breteler, M.; Pilarczyk, K. (2000): Geotextiles in revetment structures – A Dutch
approach. In: Wolski, W.; Mlynarek, J. (Eds.): Filters and Drainage in Geotechnical
and Environmental Engineering – Geofilters 2000 – Proceedings. Rotterdam:
Balkema 2000, pp. 339-348
Lafleur, J.; Mlynarek, J.; Rollin, A.L. (1993): Filter criteria for well graded cohesionless
soils. In: Brauns, J.; Heibaum, M.; Schuler, U. (Eds.): Filters in Geotechnical and
Hydraulic Engineering - Geofilters'92 - Proc. Rotterdam: Balkema, S. 97-106
Luettich, S. M.; Giroud, J. P.; Bachus, R. C. (1992): Geotextile Filter Design Guide.
Geotextiles and Geomembranes 11, S.355-370
Zitscher, F.F. (1971): Kunststoffe für den Wasserbau. Bauingenieur Praxis Heft 125.
Ernst&Sohn 1971, 225 S.
Autoren:
Dr.-Ing. Carl Stoewahse
GGU Gesellschaft für Grundbau
und Umwelttechnik mbH
Am Hafen 22
38112 Braunschweig
Tel.: +49 531 31 28 95
Fax: +49 531 31 30 74
E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Michael Heibaum
Bundesanstalt für Wasserbau
Kußmaulstraße 17
76187 Karlsruhe
Tel.: +49 721 9726 3820
Fax: +49 721 9726 4830
E-Mail: [email protected] Dipl.-Ing. Katja Werth
Umtec Prof. Biener Sasse Konertz mbB
Haferwende 7
28357 Bremen
Tel.: +49 421 20 75 9 0
Fax: +49 421 20 75 9 999
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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l 3
Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im
Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter
Niederschlagsgrößen und deren Beeinflussung auf
die Beckenbemessung
Andre Jurides
Dorit Müller-Gericke
Wolfram Kritzner
Dieser Beitrag möchte die Herausforderungen bei der Bemessung von Hochwas-
serrückhaltebecken aufzeigen und ein Bewusstsein für die Sensibilität bei der
Verwendung hydrologischer Daten schaffen, da dies unmittelbare Auswirkungen
auf die Größe eines Vorhabens, die Wirtschaftlichkeit und den Schutzgrad hat.
1 Veranlassung
In den letzten Jahren kam es in den Ortslagen Oelsa und Rabenau (Landkreis
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) mehrfach zu Überflutungen. Die Hochwas-
serereignisse vom August 2002 und Juni 2013 verursachten Schäden in Millio-
nenhöhe. Das Hochwasser 2013 verursachte im Gemeindegebiet der Stadt
Rabenau allein an Gewässern II. Ordnung und der öffentlichen Infrastruktur
Schäden in Höhe von 1,91 Mio. Euro.
Um künftige Schäden durch Hochwasser zu verringern wurde 2008 durch die
Stadtverwaltungen Rabenau und Dippoldiswalde ein gemeinsames Hochwasser-
schutzkonzept (HWSK) für den Oelsabach IWB (2008) erstellt. Die
Betrachtung der Überschwemmungsflächen, Gefahrenpunkte und deren Beein-
flussung durch einzelne Maßnahmen ergab, dass für den Hochwasserschutz in
den Ortslagen Oelsa und Rabenau neue Rückhalteräume erforderlich sind.
Die Stadt Rabenau beabsichtigt den Neubau eines Hochwasserrückhaltebeckens
am Waldstadion im Ortsteil Oelsa. Das geplante Hochwasserrückhaltebecken
soll bei Fluss-km 6+260 errichtet werden. Geplant ist ein gesteuertes Becken
ohne Dauerstau. Mit dem Bau des Rückhaltebeckens sowie weiteren Maßnah-
men kann ein Schutzziel HQ100 für Oelsa und Rabenau erzielt werden. Durch
die Retentionswirkung des Beckens lassen sich ferner die Folgen von Hochwas-
serereignissen der Roten Weißeritz für Freital verringern.
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252 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und
deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung
2 Hydrologische Verhältnisse und Angaben zum Einzugsgebiet
Der Oelsabach entspringt südöstlich der Großen Kreisstadt Dippoldiswalde
oberhalb von Reinholdshain auf einer Höhe von 445 m NN und mündet nach
15,5 Kilometern an der Rabenauer Mühle bei 260 m NN in die Rote Weißeritz.
Das mittlere Sohlgefälle beträgt 1,2 %. Das Gesamteinzugsgebiet des Oelsaba-
ches besitzt eine Größe von 28,8 km² (Abbildung 1).
Das Gewässer verläuft außerorts durch Wald und freien Landschaftsraum.
Innerhalb der Ortslagen ist der Oelsabach überwiegend ein naturfernes,
technisches Gerinne und weist eine Vielzahl an Kreuzungsbauwerken (Brücken,
Stege, Verrohrungen, Durchlässe etc.) auf. Im Bereich des geplanten
Hochwasserrückhaltebeckens besitzt der Oelsabach ein Sohlgefälle von 0,58 %.
Das Einzugsgebiet bis zur geplanten Absperrstelle beträgt etwa 19,6 km².
Abbildung 1: Einzugsgebiet Oelsabach und geplanter Beckenstandort (Kartenauszug TK50)
Beckenstandort
natürliches Einzugsgebiet
AE = 28,80 km²
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 253
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l 3
3 Hydrologische Grundlagen
3.1 Niederschlags-Abfluss-Modell
Das Hochwasserschutzkonzept Oelsabach verwendet ein Niederschlags-Abluss-
Modell. Das Modell wurde mit Hilfe der Software Hochwasseranalyse und
-berechnung IWG (2012) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) erstellt.
Die Berechnungen der hydrologischen Abflussprozesse basieren auf den Regio-
nalisierungsansatz nach LUTZ (1984). Dabei werden sowohl gebietsspezifische
als auch ereignisspezifische Parameter berücksichtigt.
Als gebietsspezifische Parameter zählen z.B. die Einzugsgebietsfläche, die Form
des Einzugsgebietes, das Geländerelief, die anstehenden Bodenarten, die Fluss-
bettgeometrie, die Vorfluterdichte sowie der Versiegelungs- bzw. Bebauungs-
grad. Aus diesen Parametern erhält man für ein Einzugsgebiet den Endabfluss-
beiwert, der als maximaler Abflussbeiwert für das Einzugsgebiet zu verstehen
ist. Der Endabflussbeiwert ist aber auch von ereignisspezifischen Kenngrößen
wie der Niederschlagsintensität und Niederschlagsdauer, der Jahreszeit, der Ve-
getation, der Vorfeuchte des Bodens und der Wetterlage abhängig.
Eine relevante Eingangsgröße in das N-A-Modell stellt der Gebietsniederschlag
dar. Die Datengrundlage wurde im Vorfeld der Bemessung in Abstimmung mit
den zuständigen Behörden auf Aktualität geprüft und hinsichtlich der Eignung
beurteilt. Hierfür standen folgende Möglichkeiten zur Verfügung:
Datenbasis A Niederschlagshöhen nach KOSTRA-DWD-2000
Datenbasis B Niederschlagshöhen nach KOSTRA-DWD-2000 unter
Berücksichtigung eines Toleranzzuschlages von bis zu 20%.
Datenbasis C Niederschlagshöhen der Station Dippoldiswalde Reinberg für
eine 57-jährige Zeitreihe (1951 – 2008) welche durch die
LTV (2012) statistisch ausgewertet und bereitgestellt wurde.
Abbildung 2 vergleicht die Niederschlagshöhen hN [mm] für die untersuchten
Regendauerstufen D = 1 bis 72 Stunden und dem Wiederkehrintervall T = 100a.
Für das 100-jährige Regenereignis liegen die Werte der Datenbasis C im Mittel
um + 48 % über den Werten der Datenbasis A.
Im Ergebnis der N-A-Berechnung sind in Abbildung 3 die zugehörigen Hoch-
wasserganglinien für das HQ100 dargestellt.
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254 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und
deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung
52,0
64,4 68,1 73,9
85,0
110,0
165,0
185,0
62,4
77,3 81,7 88,7
102,0
132,0
198,0
222,0
74,1
97,5 103,7
116,0
138,0
164,0
216,0
255,0
0
50
100
150
200
250
300
1 3 4 6 12 24 48 72
Nie
der
sch
lag
shö
he
hN
[mm
]
Regendauer D [h]
Datenbasis A: KOSTRA-Werte
Datenbasis B: KOSTRA-Werte zzgl. Toleranzzuschlag
Datenbasis C: Regendaten der Station DW-Reinberg
Abbildung 2: Vergleich der Niederschlagshöhe hN [mm] für T = 100a und D = 1….72 h
0
5
10
15
20
25
30
35
- 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24
Du
rch
flu
ss
[m³/
s]
Zeit T [h]
HQ100 nach Datenbasis A
HQ100 nach Datenbasis B
HQ100 nach Datenbasis C
Abbildung 3: Vergleich der Zuflussganglinien für T = 100a und D = 4 h
11,9 m³/s
19,3 m³/s
32,7 m³/s
maßgebende Regendauer
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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3.2 Retentionsberechnung
Die Ergebnisse der Retentionsberechnung sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Tabelle 1 Ergebnisse der Retentionsberechnung im Vergleich
Datenbasis A Einheit HQ5 HQ10 HQ20 HQ50 HQ100
Stauziel m NHN 310,44 310,79 311,41 311,95 312,67
Stauhöhe m 0,44 0,79 1,41 1,95 2,67
Stauraum m³ 1.000 4.000 13.000 26.000 52.000
Zufluss m³/s 4,20 5,00 5,60 7,40 11,90
Abfluss m³/s 4,10 4,50 4,50 4,50 4,50
Wirkung % ↓ 2% ↓ 10% ↓ 20% ↓ 39% ↓ 62%
Datenbasis B Einheit HQ5 HQ10 HQ20 HQ50 HQ100
Stauziel m NHN 310,55 311,18 312,28 312,97 313,86
Stauhöhe m 0,55 1,18 2,28 2,97 3,86
Stauraum m³ 2.000 9.000 37.000 66.000 119.000
Zufluss m³/s 4,80 5,70 9,00 13,70 19,30
Abfluss m³/s 4,50 4,50 4,50 4,50 4,50
Wirkung % ↓ 6% ↓ 21% ↓ 50% ↓ 67% ↓ 77%
Datenbasis C Einheit HQ5 HQ10 HQ20 HQ50 HQ100
Stauziel m NHN 310,68 312,10 312,60 314,00 315,35
Stauhöhe m 0,68 2,10 2,60 4,00 5,35
Stauraum m³ 3.000 31.000 50.000 129.000 253.000
Zufluss m³/s 5,10 8,70 10,70 20,20 32,70
Abfluss m³/s 4,50 4,50 4,50 4,50 4,50
Wirkung % ↓ 12% ↓ 48% ↓ 58% ↓ 78% ↓ 86%
Es wird ersichtlich, dass eine Veränderung der KOSTRA-Werte um + 20 % für
das HQ100 eine Erhöhung des Stauzieles von 312,67 m NHN (Datenbasis A)
um +1,19 m auf 313,86 m NHN (Datenbasis B) bewirkt und der erforderliche
Stauraum für das Schutzziel HQ100 sich von 52.000 m³ (Datenbasis A) auf
119.000 m³ (Datenbasis B) mehr als verdoppelt. Dadurch ist unter Berücksichti-
gung eines Mindestfreibordmaßes von f = 1,00 m ein um +1,19 m höherer
Dammkörper erforderlich.
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256 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und
deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung
Bei Verwendung der Niederschlagsdaten der Station Dippoldiswalde-Reinberg
(Datenbasis C) liegt die Niederschlagshöhe für das 100-jährige Regenereignis
um + 52,2 % über KOSTRA bzw. um +26,9 % über KOSTRA mit Toleranzzu-
schlägen. Dies führt zu einem Anstieg des Stauzieles um weitere +1,49 m ge-
genüber der Datenbasis B bzw. sogar um + 2,68 m gegenüber der Datenbasis A.
Bei gleichbleibender Dammkronenbreite und einheitlicher Böschungsneigung
nehmen jedoch der Dammquerschnitt und damit auch das Dammvolumen
unproportional zu. Dies wirkt sich letztlich auch in den Herstellungskosten für
das Dammbauwerk und damit auch in den Projektkosten für das gesamte Vor-
haben aus.
In Abbildung 4 ist der in der Retentionsberechnung ermittelte erforderliche
Stauraum für Wiederkehrintervalle T = 5 bis 100 Jahre in Abhängigkeit der
verwendeten Niederschlagsdaten dargestellt.
1.000 4.000 13.000
26.000
52.000
70.000 80.000
2.000 9.000
37.000
66.000
119.000
150.000
180.000
3.000 31.000
50.000
129.000
253.000
315.000
371.000
-
50.000
100.000
150.000
200.000
250.000
300.000
350.000
400.000
5 10 20 50 100 500 5000
erfo
rder
lich
er S
tau
rua
m [
m³]
Jährlichkeit T [a]
Datenbasis A: KOSTRA-Werte
Datenbasis B: KOSTRA-Werte zzgl. Toleranzzuschlag
Datenbasis C: Regendaten der Station DW-Reinberg
Abbildung 4: Vergleich der erforderlichen Stauvolumina
In Abstimmung mit dem Auftraggeber und der Landesdirektion Sachsen wurde
die Verwendung von stationsbezogenen Niederschlagsdaten festgelegt, da sich
seit Erstellung des HWSK die Datenbasis für den KOSTRA-Atlas geändert hat
und regionale Niederschlagsdaten qualitativ und quantitativ geeigneter sind.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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4 Technische Lösung
Die Bemessung ergab in Abhängigkeit der verwendeten Eingangsdaten unter-
schiedliche Dammhöhen und Baukosten. Die Nettobaukosten wurden auf Preis-
basis 2016 ermittelt und berücksichtigen keine Betriebs-, Wartungs- und Rein-
vestitionskosten.
Daten-
basis
Stau-
raum
Damm-
höhe
Grund-
fläche
Damm-
volumen
Nettobau-
kosten
A 52.000 m³ 7,00 m 4.000 m² 11.300 m³ 1,30 Mio. €
B 119.000 m³ 8,20 m 4.700 m² 15.600 m³ 1,78 Mio. €
C 253.000 m³ 9,70 m 5.600 m² 22.000 m³ 2,51 Mio. €
Der gewöhnliche Stauraum bis zum Vollstauziel Zv = 315,35 m NHN beträgt
IGHR = 253.000 m³. Für die Hochwasserstauziele Zh,1 (BHQ1) und Zh,2 (BHQ2)
nach DIN 19700 wird ein außergewöhnlicher Stauraum von IAHR = 118.000 m³
ausgewiesen. Mit einer Dammhöhe von 9,70 m über Gründungssohle und einem
Gesamtstauraum von 371.000 m³ gehört die Anlage nach DIN 19700-12 in die
Gruppe der mittleren Becken. Abbildung 5 zeigt die Einstauflächen für das ge-
plante Becken.
Abbildung 5: Einstauflächen
Der geplante Damm soll als homogenes Erdbauwerk errichtet werden und das
Oelsabachtal auf einer Breite von rund 200 m absperren. Die Aufstandsfläche
des Dammkörpers beträgt 5.600 m². Für den Dammbau werden ca. 22.000 m³
Erdstoff benötigt. Das Bauwerk soll eine überströmbare Dammscharte als
Hochwasserentlastung erhalten. Die Neigung der Dammböschungen wird regu-
lär mit 1 : 2,5 und im Bereich der Dammscharte mit 1 : 4 ausgeführt.
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258 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und
deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung
5 Ausblick
Die Vorplanung wurde bereits 2010 abgeschlossen. Im Jahr 2011 erfolgte
eine positive UVP-Vorprüfung bei der Landesdirektion Sachsen. Die Entwurfs-
und Genehmigungsplanung wurde Ende 2012 fertiggestellt.
Anfang 2013 wurde jedoch die Zulässigkeit des Vorhabens aus naturschutzfach-
licher und raumordnerischer Sicht in Frage gestellt, da das Vorhabensgebiet Teil
des Landschaftsschutzgebietes „Dippoldiswalder Heide und Wilisch“ ist und
außerdem im FFH-Gebiet „Täler von Roter Weißeritz und Oelsabach“ liegt. Als
Teil der Natura-2000-Gebiete der Europäischen Union zeichnet sich dieses Ge-
biet durch wertgebende Lebensraumtypen aus.
Der Untersuchungsraum befindet sich außerdem in einem regionalplanerisch
festgesetzten Vorranggebiet für Natur und Landschaft. Daher wurde 2014/15
zunächst ein raumordnerisches Zielabweichungsverfahren nach § 16 SächsLPlG
i. V. m. § 6 Abs. 2 ROG bei der Landesdirektion Sachsen durchgeführt.
Mit Bescheid von Oktober 2015 kann von den raumordnerischen Zielen abgewi-
chen werden, wenn wirksame Kohärenz- und Ausgleichsmaßnahmen zur Siche-
rung des NATURA-2000 Schutzgebietssystems ergriffen werden.
Im Jahr 2016 wurde die Ingenieur- und Umweltplanung anhand der aktuellen
Planungsrandbedingungen vollständig überarbeitet. Ziel ist es Anfang 2017 das
Planfeststellungsverfahren bei der Landesdirektion zu eröffnen.
Abbildung 6: Hochwasser in der Ortslage Oelsa (links) und Überflutungsbeginn am
Waldstadion (rechts) am 03.06.2013
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6 Zusammenfassung
Die differenzierte Analyse der zur Verfügung stehenden Niederschlagsdaten und
deren Auswertung war nicht ursprüngliches Planungsziel und ergab sich erst im
Laufe der Beckenbemessung (Retentionsberechnung).
Die Vorplanung (2010) verwendete KOSTRA-Werte zzgl. eines Toleranz- und
Statistikzuschlages in Höhe von jeweils 20 %. Der so bestimmte Hochwasser-
bemessungsabfluss betrug 24,20 m³/s. Die Retentionsberechnung ergab einen
erforderlichen Stauraum von 180.000 m³ und führte zu einem 6,00 m
hohen Damm. Damals wurden Baukosten in Höhe von 1 Mio. Euro brutto aus-
gewiesen. In der Entwurfsplanung (2012) wurden stationsbezogene Daten einer
57-jährigen Zeitreihe (1951 - 2008) für den Regenschreiber Dippoldiswalde-
Reinberg verwendet. Daraus ergab sich ein um 35 % höherer Hochwasser-
bemessungsabfluss von 32,70 m³/s. Die Retentionsberechnung ergab jetzt ein
erforderliches Beckenvolumen von 253.000 m³. Dies erfordert einen 9,70 m
hohen Damm. Die Baukosten liegen derzeit bei ca. 2,99 Mio. Euro brutto (Stand
12/2016). Die Kostensteigerung erklärt sich u.a. aufgrund der erforderlichen
Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sofern keine andere Datenbasis zu Ver-
fügung steht, der KOSTRA-Atlas ein nützliches Hilfsmittel für alltägliche
Planungszwecke darstellt. Sind hingegen regionalisierte oder stationsbezogene
Daten vorhanden, wird empfohlen diese Werte vergleichend zu KOSTRA
hinzuzuziehen, da diese andere Ergebnisse liefern können. Welche Daten
geeigneter erscheinen sollte im Einvernehmen mit der Genehmigungsbehörde,
dem Vorhabensträger und dem Planer erfolgen. Der zum Bearbeitungszeitpunkt
neu erschienene KOSTRA-Atlas 2010 konnte für die Untersuchung keine
Berücksichtigung mehr finden.
Dieser Beitrag möchte die möglichen Herausforderungen bei der Bemessung
von Hochwasserrückhaltebecken aufzeigen, und ein Bewusstsein für die Sensi-
bilität bei der Verwendung hydrologischer Grundlagen zu schaffen, da dies
unmittelbare Auswirkungen auf die Größe einer wasserbaulichen Anlage hat.
Damit verbunden sind auch die Aspekte der Wirtschaftlichkeit, mögliche
Umweltauswirkungen und der erreichbare Schutzgrad des Vorhabens.
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260 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und
deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung
7 Literatur
DIN 19700 (2004): Stauanlagen
IWB (2008): Hochwasserschutzkonzept für das Einzugsgebiet des Oelsabaches,
Ingenieurbüro für Wasser und Boden GmbH, Bannewitz, 2008.
IWG (2012): Hochwasseranalyse und -berechnung, Version 7.0.
Institut für Wasser und Gewässerentwicklung (IWG), Bereich Hydrologie
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
KOSTRA (2000): Starkniederschlagshöhen für Deutschland, DWD, 2000.
LTV (2012):Niederschlagshöhen für Dippoldiswalde-Reinberg (1951 – 2008),
Hrsg.: Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen, Referat 21
LUTZ (1984): Berechnung von Hochwasserabflüssen unter Anwendung von
Gebietskenngrößen, Institut für Hydrologie und Wasserwirtschaft der Universität
Karlsruhe, Heft 24, Karlsruhe 1984.
Autoren:
Dipl.-Ing. Andre Jurides
Ingenieurbüro für
Wasser und Boden GmbH
Turnerweg 6
01728 Bannewitz
Tel.: +49 35206 397 302
Fax: +49 35206 397 328
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. (FH) Falk Seidel
Stadtverwaltung Rabenau
Bauamt
Markt 3
01734 Rabenau
Tel.: +49 351 64 98 220
Fax: +49 351 64 98 211
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Anpassung Speicher Schladebach an die geänder-
ten Nutzungsanforderungen
Andreas Rudolf
Jörg Schreiter
Der ca. 2 km nordwestlich von Bad Dürrenberg gelegene Speicher Schladebach
ist nachweislich eine der ältesten Stauanlagen in Sachsen-Anhalt und wurde vor
langer Zeit für Bewässerungszwecke und die Fischzucht errichtet. Hochwasser-
schutz war eine untergeordnete Nebennutzung ohne definiertes Schutzziel für den
Unterlauf und spielte bis vor kurzem auch beim Betrieb der Anlage kaum eine
Rolle.
Der Speicher staut das Gewässer 1. Ordnung „Der Bach“ im Hauptschluss.
Zentraler Bestandteil einer umfangreichen Hochwasserrisikomanagementplanung
für den „Bach“ von der Landesgrenze Sachsen / Sachsen-Anhalt bis zur Mündung
in die Saale bzw. Luppe war eine signifikante Steigerung des Retentionspotentials
der Stauanlage und Optimierung der Maximalabgabe aus dem Speicher im Hoch-
wasserbemessungsfall. In Verbindung mit erheblichen bautechnischen Defiziten,
die den Speicher bei vergangenen Hochwasserereignissen in 2006 und 2011 mehr-
fach an der Grenze des Versagens brachten, ergab sich die Notwendigkeit, für den
Speicher die Stand- und Betriebssicherheiten sowie die Gebrauchstauglichkeit
entsprechend den a.a.R.d.T. bautechnisch umzusetzen und die Anlage in das Steu-
erleitsystem des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt einzubinden. Damit wurden
die Vorrausetzungen für eine Änderung der Primärnutzung als Hochwasserrück-
haltebecken geschaffen. Mit den Baumaßnahmen wurde in 01/2015 begonnen.
Die Fertigstellung und der Beginn des Probebetriebes sind in 04/2017 geplant.
Stichworte: Landwirtschaft, Fischzucht, Hochwasserrückhaltebecken, Hochwas-
serrisikomanagementplanung
1 Geografische Einordnung und Historie
Der Speicher Schladebach befindet sich im Bundesland Sachsen-Anhalt, ca. 2
km nordwestlich der Stadt Bad Dürrenberg und ca. 8 km südöstlich der Stadt
Merseburg auf dem Verwaltungsgebiet der Stadt Leuna. Seine Namensgebung
verdankt er dem direkt an der Stauwurzel liegenden Ort Schladebach. In einigen
Quellen wird er aber auch als „Speicher Kötzschau“ bezeichnet.
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262 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen
Abbildung 1: Lageplan, Screenshot Openstreetmap, 12/2016, Bearbeitung FICHTNER Wa-
ter & Transportation GmbH
Historische Quellen belegen, dass der Speicher bereits im Spätmittelalter auf
Geheiß des Merseburger Bischofs Thilo von Trotha angelegt wurde. Der Chro-
nist Trotha schrieb 1860 folgenden Absatz:
Burkhardt beschreibt in seiner Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler
des Kreises Merseburg 1883 zum Ort Schladebach:
„Pfarrkirchdorf, am rechten Ufer des Flossgrabens, 8,4 km ostsüdöstlich von
Merseburg. Da noch jetzt das westlichste Ende des Dorfes die "Halle" heißt und
"Hal" mhd. ein Salzwerk bedeutet, so hat man den Namen Schladebach von dem
böhmischen slany =salzig abgeleitet. Der Ort, nach welchem sich im 13. und 14.
Jahrhundert die von Slatebach nannten, kam 1285 mit dem Gerichtsstuhl Mar-
kranstedt an den Bischof von Merseburg. Das Rittergut (Domäne) besaß schon
der Morseburger Bischof Thilo von Trotha, welcher auch am 21. März 1482 die
wüste Dorfstätte Boritz ankaufte, um auf ihr den Schladebacher Unterteich und
bald darauf auch den Oberteich anzulegen.“
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Der steigende Bedarf an Fisch für den Bischofssitz und das Benediktinerkloster
Merseburg als zur Fastenzeit erlaubter Speise, war die Ursache für das Anlegen
dieser Teiche. Die in den historischen Quellen als „Schladebacher Unterteich“
bezeichnete Anlage ist der heutige Speicher Schladebach.
Eine bildliche Darstellung, die sich etwa auf das Jahr 1670 datieren lässt, zeigt
eindeutig den Speicher Schladebach, der bereits damals eine der heutigen Größe
vergleichbare Fläche bedeckt.
Abbildung 2: Grundriss des Amtes Merseburg, ca. 1670, Quelle: Sächsische Landesbiblio-
thek Dresden
Die Fischeiwirtschaft lässt sich auch später weiterverfolgen. So wurde z.B. in
einem Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Merseburg 1835 ein Fischzug
angekündigt:
Speicher Schla-
debach
Stadt Merseburg
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264 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen
Abbildung 3: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Merseburg 1835
Nach dem 2. Weltkrieg setzte in der Landwirtschaft eine rasante Entwicklung
hin zur Großfeldbewirtschaftung ein, einhergehend mit der Kollektivierung ein-
zelner Betriebe zu großen Einheiten, den sog. Landwirtschaftlichen Produkti-
onsgenossenschaften (LPG). Um den intensiven Ackerbau zur Produktion
hochwertiger Feldfrüchte vor dem Hintergrund der vergleichsweise geringen
Jahresniederschläge von ca. 430 mm/a überhaupt zu ermöglichen, wurden leis-
tungsfähige Bewässerungssysteme aufgebaut. Das Gebiet um den Speicher wur-
de durch die LPG Pflanzenproduktion Bad Dürrenberg bewirtschaftet. Das Be-
regnungswasser für mehr als 500 ha Anbaufläche entnahm man dem Speicher
Schladebach, der sich aus den Einzugsgebieten der Gewässer „Der Bach“, „Pis-
sener Graben“ und „Floßgraben“ speiste. Stand aus dem Einzugsgebiet nicht
genügend Wasser zur Verfügung, konnte Wasser aus der westlich gelegenen
Saale entnommen und im Speicher gepuffert werden. Die Rechtsnachfolgerin
der ehem. LPG ist seit 1991 die Agrargenossenschaft Bad Dürrenberg e.G., die
den Speicher bis in die Gegenwart weiterhin zur Bewässerung ihrer Flächen
nutzt. Die Fischereiwirtschaft spielt heute keine Rolle mehr.
Der Speicher Schladebach befand sich seit dem Hochwasser 2002, als nur mit
erheblichem Aufwand durch Dammverteidigung Schlimmeres verhindert wurde,
bis 08/2010 im Verantwortungsbereich des Landesbetriebes für Hochwasser-
schutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt (LHW). Da es sich bei der Anlage
um eine Stauanlage handelt, erfolgte ein Übergang der Verantwortlichkeit an
den Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt (TSB).
2 Hydrologie und Hochwasserrisikomanagement
2.1 Niederschlags-Abfluss-Modellierung
Zur Bewirtschaftung des Speichers standen dem TSB bis 2011 keine hinrei-
chend genauen Kenntnisse zur Einzugsgebietshydrologie zur Verfügung. Da das
Einzugsgebiet messtechnisch nicht erfasst ist, konnten erforderliche Daten nur
durch ein Niederschlags-Abfluss-Modell generiert werden. Der Speicher Schla-
debach wird von dem Gewässer „Der Bach“ sowie seinen Zuflüssen „Pissener
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Graben“, „Renne“ und „Floßgraben“ gespeist. Hierbei stellt der Floßgraben eine
Besonderheit dar, weil er als künstlich angelegtes Gewässer über die Grenzen
des natürlichen Einzugsgebietes hinaus reicht und somit das Einzugsgebiet
des Speichers künstlich auf ca. 70 km² vergrößert. Zur Modellierung wurde das
sogenannte Modell IWK-HW des Karlsruher Institutes für Technologie ver-
wendet.
Abbildung 4: Vorgehen bei der Ermittlung der Teileinzugsgebiete (von links nach rechts):
1. DGM, 2. künstlich erzeugtes Gewässernetz, 3. kleine Teilgebiete, 4. fertige
Teileinzugsgebiete
Nach der Festlegung der geometrischen/morphologischen Eingabeparameter für
das N-A-Modell, der Bestimmung der Bemessungsniederschläge aus KOSTRA
und der Aufstellung und Kalibrierung des Flussgebietsmodells, konnten die Ab-
flussganglinien der Hochwässer mit Wiederkehrzeiten von 2 Jahren bis 5.000
Jahren und Regendauern von 2 h bis 72 h berechnet und für alle relevanten Ge-
wässerknotenpunkte ausgewertet werden. Damit standen die hydrologischen
Grundlagendaten für die vom LHW durchgeführten Hochwasserrisikomanage-
mentplanungen und für die Bemessung des Speichers zur Verfügung.
2.2 Hochwasserrisikomanagementplanung
Entsprechend der Richtlinie 2007/60/EG (HWRM-RL) hat der LHW eine Pla-
nung zur Bewertung sowie dem Management von Hochwasserrisiken für das
Gewässer 1. Ordnung „Der Bach“ von der Landesgrenze Sachsen/Sachsen-
Anhalt bis zur „Saale“ und „Luppe“ erstellt. Daraus wurden Maßnahmen zur
Verbesserung des Hochwasserschutzes abgeleitet. Aus den Erfahrungen mit dem
Hochwasser im Januar 2011 wurden nach entsprechender Bewertung und Plau-
sibilisierung Gewässerabschnitte mit einer Gesamtlänge von 8,1 km als signifi-
kant hochwassergefährdet ausgewiesen. Hierfür waren anschließend Hochwas-
sergefahren- und Hochwasserrisikokarten für Hochwässer hoher (HQ10), mittle-
rer (HQ100) und niedriger (HQ200) Wahrscheinlichkeit zu erarbeiten. Die Be-
rechnung der Überschwemmungsgebiete erfolgte dabei mit einem zweidimensi-
onalen hydronumerischen Strömungsmodell (2D-HN-Modell).
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266 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen
Abbildung 5: Dammbauwerk des Speichers Schladebach im 2D-HN-Modell
Neben den nicht monetär bewertbaren Schäden wurden die nachfolgend darge-
stellten Schadenspotentiale und Anteile bezogen auf die Landnutzung bestimmt.
Tabelle 1 Übersicht Überschwemmungsgebiet und Schadenpotentiale HQ10, HQ100,
HQ200
Szenarien Überschwemmungsgebiet [ha] Schadenspotential [Mio. €]
HQ10 562,25 1,228
HQ100 911,59 2,070
HQ200 963,87 2,227
Anteil am Gesamtschaden bei HQ100
0,00%
Sonstige
0,76%
Verkehr
0,69% Wald-
und Forst23,43%
Siedlung2,11%
Grünland
13,41%
Industrie-
und Gewerbe
59,50%
Acker-
Garten-
Weinbau
0,10%
Grün- Sport
und Freizeit
Abbildung 6: Anteil am Gesamtschaden HQ100 bezogen auf die Landnutzung
Als eine zentrale Maßnahme zur Minderung der Hochwasserrisiken wurde das
Schutzpotential des Speichers Schladebach erkannt. Dessen Potential konnte
aufgrund der baulichen Konfiguration und des damaligen Zustandes der Anlage
nicht ausgenutzt werden. Verschiedene Berechnungsvarianten einschließlich
dynamischer Kostenvergleichsrechnungen ergaben, dass eine Regelabgabe aus
dem Speicher im HWBF3 mit 2,5 m³/s und weitere Maßnahmen im Unterlauf
ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis darstellt. Nach Umsetzung aller Maß-
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nahmen verringern sich das Überschwemmungsgebiet bei HQ100 unterhalb des
Speichers um ca. 94 % und der potentielle Schaden um 80%.
Abbildung 7: Retentionsberechnung HRB Schladebach / Planzustand mit GA max 2,5 m³/s,
Zu- und Abflussganglinien
Als Zwischenfazit kann man festhalten, dass sich die Hauptaufgabe für den
Speicher von der fischereilichen und landwirtschaftlichen Nutzung zu einer
Nutzung für den Hochwasserschutz verschiebt.
3 Umbau des Speichers zum Hochwasserrückhaltebecken
Folgende Grafiken zeigen das Speicherbecken mit den einzelnen Anlagenteilen
bis 2014 als grobe Übersicht.
Abbildung 8: Anlagenübersicht
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268 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen
In den Jahren 2006 bis 2011 traten mehrfach Hochwassersituationen auf, welche
das Absperrbauwerk an die Grenze der Belastbarkeit beachten. Die Hochwas-
serentlastung auf der rechten Seite war hydraulisch unterdimensioniert, der
Grundablass war nur in der Lage, ca. 0,6 m³/s abzugeben. Dies führte regelmä-
ßig zu einer schnellen Speicherfüllung, denn bei einem HQ 5 fließen dem Spei-
cher bereits 4,4 m³/s zu.
Retentionsberechnungen für den Ist-Zustand ergaben darüber hinaus, dass die
Freiborde entsprechend der Anlagengröße nicht ausreichend waren. Es wurde
schnell klar, dass zur Erfüllung der künftigen Aufgaben des Speichers eine In-
standsetzung mit Umbau aller relevanten Anlagenteile erforderlich macht.
3.1 Umbaumaßnahmen
3.1.1 Innendichtung
Als Sofortmaßnahme zur Gewährleistung der Anlagensicherheit wurde eine In-
nendichtung in Form einer Spundwand hergestellt.
3.1.2 Hochwasserentlastung, Grundablass und Betriebsauslässe
Die vorhandene Hochwasserentlastung, eine mit Rasengittersteinen total unter-
dimensionierte Ableitungsrinne, wurde komplett entfernt und die entstehende
Lücke mit geeignetem Dammbaumaterial geschlossen. Für die Betriebs- und
Grundablassanlage sowie Hochwasserentlastung wurde ein trogartiges Beton-
bauwerk in der Achse der vorhandenen Grundablassleitung errichtet. De Stau-
wand wurde dabei in das Becken hineingestellt und erhielt beidseitig je eine als
fester Wehrüberfall ausgebildete Hochwasserentlastung. Luftseitig fungiert der
Trog gleichzeitig als Tosbecken und wurde zur optimalen Energieumwandlung
zusätzlich mit Störkörpern ausgestattet. Die Geometrie folgt luftseitig weitest-
gehend der Dammgeometrie, so dass sich das Bauwerk optisch gut einfügt.
3.1.3 Dammgeometrie
Die sehr unregelmäßige Dammgeometrie wurde im Zuge der Maßnahme ausge-
glichen und möglichst ebene Böschungsflächen hergestellt, die eine optimale
Pflege und Unterhaltung des Bauwerkes begünstigen. Die Höhe der Dammkrone
wurde vergleichmäßigt, aber grundsätzlich nicht verändert.
Nachfolgend einige technische Daten zur Anlage und Fotos zum Zeitpunkt vor
dem Umbau sowie vor der Fertigstellung in 12/2016.
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Erhebung der hydrologischen Grundlagendaten mit einem NA-Modell für
AE = 70 km²
Dammhöhe über dem tiefsten Punkt der Gründungssohle ca. 6,0 m
Kronenlänge ca. 180,00 m
HW- Rückhalteraum im HWBF 3 I GHR = 0,85 hm3
max. Drosselabgabe der neuen Grundablassanlagen: QD = ca. 2,5 m³/s
BHQ 3 = 13,08 m3/s, BHQ 1 = 18,37 m3/s, BHQ 2 = 27,16 m3/s
Abbildung 9: Vor der Instandsetzung (von links nach rechts): Absperrbauwerk
(Erddamm) luftseitig, Schussrinne der HWE, Einlauf Grundablass
Abbildung 10: Nach der Instandsetzung (von links nach rechts): Dammkrone,
Kombinationsbauwerk, Auslaufbereich Luftseite
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270 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen
4 Literatur
Andronov, S., D. Baum, H. Hartmann, Th. Nabert, W. Rose, G. Seidel und H.-J.
Steingraf: Der Elsterflossgraben. Geschichte und Gestalt eines technischen
Denkmals. Herausgegeben vom Burgenlandkreis, dem CJD Chemnitz im
Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands e.V., der MIBRAG mbH und dem Pro
Leipzig e.V., Leipzig 2005
DIN 19700 Teil 10, Teil 11, Teil 12
Burkhardt, J. [Hrsg.]: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler
der Provinz Sachsen (Band 8): Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und
Kunstdenkmäler des Kreises Merseburg, Halle a. d. S., 1883
Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt, „Abflussge-
schehen im Einzugsgebietes des „Baches“ und des Schöpfwerkes in der Ortslage
Kreypau – Naturbeobachtungen und Hochwasserschutzkonzept“ – Studie, Beller
Consult GmbH, 12/2003
Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt, „Untersu-
chung eines möglichen Einstauszenario am Speicherbecken Kötzschau“ – Studie,
Beller Consult GmbH, 06/2006.
Trotha, Th. (1860): Vorstudien zur Geschichte des Geschlechtes von Trotha, Neuwied
1860
Autoren:
Dipl.-Ing. Andreas Rudolf
Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt
Anstalt des öffentlichen Rechts
Timmenröder Straße 1a
38889 Blankenburg
Tel.: +49 39 44 - 94 20
Fax: +49 39 44 - 94 22 00
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Jörg Schreiter
Fichtner Water & Transportation GmbH
Löbauer Straße 68,
04347 Leipzig
Tel.: +49 2429 - 326
Fax: +49 2429 - 333
E-Mail: [email protected]
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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im
Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe
Christian Maerker, Imad al Diban, Holger Haas
Ingolf Burisch
In diesem Beitrag werden die Herausforderungen und Umsetzung der Planung des
Ersatzneubaus von spreewaldtypischen Komplexbauwerken bestehend aus Wehr,
Kahnschleuse und Fischaufstiegsanlage dargestellt. Aufgrund der vielfältigen
Entwicklungsziele, die bei der Ertüchtigung dieser Bauwerke beachtet werden
müssen, ergibt sich eine interdisziplinäre Planungsaufgabe, die hydraulische, ver-
kehrswasserbauliche, fischökologische und landschaftsplanerische Fragestellun-
gen sowie klassische massivbauliche Berechnungen zur Standsicherheit und Ge-
brauchstauglichkeit beinhaltet.
1 Einführung
Die Kulturlandschaft Spreewald ist aus der natürlichen Verzweigung der Spree
zu einem Binnendelta entstanden. Der Spreewald wurde im Zuge seiner Nutz-
barmachung durch zahlreiche Kanäle erweitert. Die Gewässer sind zum Teil mit
Stauanlagen ausgestattet mit denen die hiesigen Wasserstände reguliert werden.
Ein Teil dieser Querbauwerke ist bereits mit Schleusen versehen, um die daran
anschließenden Gewässerabschnitte schiffbar zu halten.
Die Stauanlagen sind in der Regel nicht redundant und müssen zur Steuerung
des Wasserhaushalts erhalten bleiben. Zahlreiche Bauwerke sind jedoch baufäl-
lig und müssen saniert oder durch Neubauten ersetzt werden. Im Zuge dessen
sind die aktuellen ökologischen Anforderungen gemäß Wasserrahmenrichtlinie
aufzugreifen und die Querbauwerke für die in den Spreewaldgewässern behei-
mateten Fischarten durchgängig zu gestalten.
Aus planerischer Sicht ergibt sich dadurch eine anspruchsvolle interdisziplinäre
Fachaufgabe, bei der verschiedene Bereiche des Ingenieurwesens wie z.B. die
hydraulische Bemessung der Anlage bestehend aus Fischaufstiegsanlage, Wehr-
körper und Schleuse, Berechnungen zur Gründung, Massiv- und Stahlwasserbau
sowie Betrachtungen zum Grundwasserregime und landschaftsplanerische As-
pekte abgedeckt werden müssen. Hinzu kommen über den üblichen Normenka-
talog hinausgehende Anforderungen, die hinsichtlich der Herstellung der ökolo-
Page 280
272 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe
gischen Durchgängigkeit und der Befahrbarkeit des Gewässerabschnitts durch
die ortsüblichen Spreewaldkähne Berücksichtigung finden.
Das Wehr 65 befindet sich westlich der Ortschaft Burg in der Hauptspree. Die
Anlage bestehend aus einem Zweifeldwehr und einer Kahnschleuse befindet
sich in einem baulichen schlechten Zustand, so dass es durch ein Komplexbau-
werk bestehend aus Wehrkörper, Schleusenbauwerk und Fischaufstiegsanlage
ersetzt werden soll. Eine Planungsgemeinschaft bestehend aus IPROconsult und
PTW Planungsgemeinschaft Tief- und Wasserbau GmbH wurde durch den Was-
ser- und Bodenverband „Oberland Calau“ mit der Erstellung der Planungsunter-
lagen beauftragt. Einige wesentliche Ergebnisse dieser Planung werden im
Rahmen dieser Veröffentlichung vorgestellt.
Abbildung 1: Standortkarte Wehr 65 in der Hauptspree bei Burg
2 Anforderungen und Zielstellung an die Planung zu Wehr 65
2.1 Aktueller Bau- und Gebrauchszustand
Die im Jahr 1955 erbaute Anlage (Wehr 65) ist Bestandteil des Staugürtels VIII.
Der Bauwerksstandort befindet sich in der Schutzzone III des Biosphärenreser-
vates Spreewald, im FFH- Gebiet „Spree“ (EU-Nr. DE 3651-303), im europäi-
schen Vogelschutzgebiet (SPA) „Spreewald und Lieberoser Endmoräne“ (EU-
Nr. DE 4151-421) und im Landschaftsschutzgebiet (LSG) „Biosphärenreservat
Spreewald“ (4150- 601). Die Anlage dient der Stützung der Wasserstände zur
Sicherung des Landschaftswasserhaushaltes, des Hochwasserschutzes und der
Schiffbarkeit.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2016
„Bemessung im Wasserbau“ 273
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Im Rahmen einer Bauzustandseinschätzung wurde das Bauwerk aufgrund der
starken Schäden an den Betonbauteilen und den bedienungsrelevanten Mängeln
im Stahlwasserbau, insbesondere der sehr großen Undichtigkeiten in die Bauzu-
standsklasse 4 bis 5 eingeordnet. Zudem entspricht das Bauwerk nicht mehr dem
heutigen Stand der Technik und genügt nicht den gewässerökologischen Anfor-
derungen einer Passierbarkeit für Fische und Kleinlebewesen.
Aufgrund dieser Defizite wurde entschieden, das bestehende Bauwerk durch ei-
nen ökologisch durchgängigen Ersatzneubau zu ersetzen.
2.2 Anforderungen an den Ersatzneubau
Für den Ersatzneubau sind aufgrund der vielfältigen Nutzungsansprüche ver-
schiedene Anforderungen zu berücksichtigen.
Wasserwirtschaftliche Anforderungen
Zur Einhaltung wasserwirtschaftlich Anforderungen werden an den Staugürteln
des Spreewalds Stauziele definiert, die einen Einfluss auf die Wasserstände der
miteinander verflochtenen Gewässer haben. Im Rahmen der Grundlagenermitt-
lung ist zu prüfen, inwieweit stromab gelegene Staubauwerke die Wasserspie-
gellagen im betrachteten Gewässerabschnitt beeinflussen. Weiterhin ist der Ein-
fluss des neu zu errichtenden Bauwerks auf die oberstrom gelegenen Abschnitte
durch eine Stauwurzelermittlung oder hydraulische Berechnungen zu bestim-
men.
Hydrologische Anforderungen
Zur Einhaltung des Hochwasserschutzes ist der Abfluss durch die Wehranlage
unter Umständen unter Einhaltung der (n-1)-Bedingung zu prüfen. Weiterhin
sind Rückstaueffekte durch strömungsbeeinflussende Faktoren durch Einbauten
wie Fischaufstiegsanlage und Schleusenbauteile zu untersuchen.
Verkehrswasserbauliche Anforderungen
Die verkehrswasserbaulichen Anforderungen werden im Wesentlichen durch die
per Verordnung definierten Abmessungen der Spreewaldkähne bestimmt (Länge
= 9,50 m, Breite = 1,90 m). Schleusengröße und –form werden gemäß dieser
Kahngröße festgelegt. Die Bemessung der Dalben, Leitwerke und Bootsstege im
oberen und unteren Schleusenvorhafen erfolgt für entsprechende Belastungen.
Der Betrieb der Schleusentore erfolgt traditionell in Selbstbedienung durch den
Bootsführer.
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274 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe
Ökologische Anforderungen
Gemäß Wasserrahmenrichtlinie ist für Fließgewässer ein guter Zustand herzu-
stellen. Wanderhindernisse sind zu beseitigen oder durchgängig zu gestalten.
Daher sind an Wehren Möglichkeiten für ihre Passierbarkeit durch die beheima-
teten Zielarten vorzusehen. Beim Biosphärenreservat Spreewald handelt es sich
zudem um einen sensiblen Naturraum. Daher sind hier erhöhte Anforderungen
in der Landschaftsplanung zu berücksichtigen.
Konstruktive Anforderungen
Auf der konstruktiven Seite sind alle notwendigen statischen Nachweise für das
Bauwerk selbst, assoziierte Bauteile und die vorgesehenen Ausrüstungsteile zu
erbringen. Das Bauwerk selbst ist vor allem hinsichtlich der Gesamtstandsicher-
heit des Komplexbauwerks und der inneren Spannungen sowie der Ge-
brauchstauglichkeit der Massivbauteile zu beurteilen.
3 Planungsergebnisse Ersatzneubau Wehr 65
Um den oben aufgeführten Anforderungen gerecht zu werden, wurde im Ergeb-
nis der Planung ein Komplexbauwerk bestehend aus einem Einfeldwehr mit seit-
lich angeordneter Schleuse und Schlitzpass vorgesehen. Einige wesentliche As-
pekte der Planung werden nachfolgend dargestellt.
Abbildung 2: Geplantes Bauwerk Ersatzneubau Wehr 65
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„Bemessung im Wasserbau“ 275
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3.1 Hydraulische Berechnungen
Bei der Festlegung charakteristischer Abflüsse ist die Beeinflussung der ver-
schiedenen Wehrstandorte untereinander zu berücksichtigen, durch die Wasser-
stände und Wasserverteilung reguliert werden. Die Abflussverhältnisse in der
Hauptspree werden durch die Wasserverteilung am Wehr VI / VII eingangs des
Spreewalds bestimmt. Durch entsprechende Regulierung dieser Stauanlagen wird
die Abflussaufteilung in die Spree sowie in den Nord- und Südumfluter gesteuert.
Der Nordumfluter dient vorrangig zur Hochwasserabführung unter Umgehung
der Ortslage Burg.
In der Hauptspree teilt sich die Abflussmenge der Spree annähernd im Verhält-
nis Südumfluter zu Hauptspree von 0,3 bis 0,4 bei Niedrigwasser und von 0,5
bei Mittelwasser bis zu 0,65 bei Hochwasser auf. Darüber hinaus gibt es Ab-
schlagsmengen für die Neue und Kleine Spree oberhalb der Burger Mühle
(Wehr 21) von der Spree. Unter Berücksichtigung dieser Aufteilungen konnten
für den Wehrstandort folgende Abflussmengen annährend angesetzt werden:
Mittlerer Niedrigwasserabfluss: NQ = 0,80 m3/s
Mittelwasserabfluss: MQ = 1,50 m3/s
Mittlerer Hochwasserabfluss: MHQ = 3,0 m3/s
Hochwasserabfluss: HQ100 = 10,00 m3/s
Die Gewässerhydraulik in dem betrachteten Planungsgebiet wird vornehmlich
durch das neu zu errichtende Einfeldwehr beeinflusst. Dieses besitzt eine lichte
Breite von 4,0 m und verfügt über einen Wehrverschluss, der als elektromecha-
nische Doppelschütze ausgebildet wird. In Anbetracht der Nutzung des Nordum-
fluters als Hochwasserableiter sowie der bestehenden Möglichkeiten zur Was-
serverteilung auf andere Fließgewässer kann auf die ansonsten übliche (n-1)-
Bedingung im Havariefall eines Verschlussorgans verzichtet werden. Die
Schleusentore werden konstruktiv und statisch so gestaltet, dass eine Öffnung
bei Hochwasser möglich ist.
Bei den hydraulischen Nachweisen für das Wehr waren vornehmlich die sichere
Abführung des Bemessungshochwassers durch das Wehr (z.B. analytisch nach
Bollrich, 1992 oder durch programmtechnische Wasserspiegellagenberechnung
mit HEC-RAS, 2010), die Bemessung des Tosbeckens und der Nachlaufsiche-
rung (z.B. analytisch nach Bollrich) sowie die Wehrsteuerung zur Erreichung
des Stauziels (z.B. als Darstellung in Schlüsselkurve) nachzuweisen. Zudem
wurde im Rahmen einer eindimensionalen Wasserspiegellagenberechnung über-
prüft, ob der maximal zulässige Wasserstand von 53,00 m+NN bei Hochwasser-
abfluss in der Hauptspree eingehalten wird. Im Ergebnis können für die gewähl-
te Wehrgeometrie alle erforderlichen Nachweise erbracht werden.
Page 284
276 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe
3.2 Bemessung Fischaufstiegsanlage
Die ökologische Durchgängigkeit am Standort des Wehrs 65 wird durch eine
Fischaufstiegsanlage in Form eines Schlitzpasses hergestellt. Dieser kann in
kompakter Bauweise hergestellt werden und lässt sich gut in das Komplexbau-
werk integrieren.
Bei der Festlegung der Bemessungsarten ist das Landeskonzept zur ökologi-
schen Durchgängigkeit der Fließgewässer Brandenburgs (Land Brandenburg,
2010) zu berücksichtigen. Die Fischaufstiegsanlage wurde für die Zielarten
Hecht und Blei / Karpfen bemessen. Die daraus folgenden geometrischen und
hydraulischen Anforderungen wurden dem DWA-Merkblatt M 509 (2014) ent-
nommen. Für die Bemessung des Fischpasses wurden folgende Abflussbereiche
vorgegeben:
Q30 = 0,60 m³/s
Q330 = 2,00 m³/s
Für den ökologischen Mindestabfluss sind am Wehrstandort 500 l/s zu sichern.
Die Differenz zwischen den Wasserständen ober- und unterhalb einer Trenn-
wand soll h = 0,10 m nicht unterschreiten. Aus einer maximalen Differenz
zwischen OW und UW von hOW-UW = 1,10 m ergibt sich das Erfordernis von 11
Trennwänden. Daraus ergibt sich unmittelbar eine Anzahl von 10 Becken.
Für die geometrischen Bemessungswerte der Schlitzweite sowie der Beckenlän-
ge und –breite wurden in Abhängigkeit der Zielarten die in DWA-M 509 (2014)
angegeben Werte gewählt.
Die Wasserspiegellagen an dem Standort werden durch die Stauwerte des neu zu
errichtenden Wehrs beeinflusst. Um ein möglichst repräsentatives Spektrum an
möglichen Wasserständen für die Prüfung der Funktionsweise der Fischauf-
stiegsanlage zu betrachten, wurde für verschiedene Szenarien im Ober- und Un-
terwasser der hydraulische Nachweis geführt. Dabei wurde die Einhaltung der
erforderlichen Grenz- und Bemessungswerte folgender Größen für die gewählte
Geometrie der Fischaufstiegsanlage überprüft:
Wassertiefe hU hinter dem Schlitz
Maximale Fließgeschwindigkeit vmax im Schlitz
Leistungsdichte pD in den einzelnen Becken
Mittels eines iterativen Verfahrens wurde zunächst die Wassertiefe in allen Be-
cken ermittelt. Ausgehend von diesem Ergebnis wurden sodann die davon ab-
hängigen Werte für die Fließgeschwindigkeit und die Leistungsdichte ermittelt.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2016
„Bemessung im Wasserbau“ 277
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Im Ergebnis ist die Dimensionierung der Fischaufstiegsanlage ausreichend und
alle Grenzwerte werden eingehalten.
Abbildung 3: Gewählte Abmessungen Schlitzpass (Planausschnitt)
3.3 Gestaltung des Schleusenbereichs
Da es sich bei der Spree um ein schiffbares Landesgewässer handelt, wird zur
Gewährleistung der Schiffbarkeit die Anlage mit einer üblichen Stemmtor-
schleuse (4 x 10 m) ausgestattet. Weiterhin ist die Schaffung zusätzlicher Mög-
lichkeiten für das Ein- und Aussetzen von Paddelbooten zweckmäßig (Bootsrol-
len). Die Schleusentore werden als 2-flügelige Stemmtore mit Füllschützen und
integrierten Bedienstegen über handmechanische Kurbelantriebe bedient.
In Verlängerung der wasserseitigen Kammerwand sind ober- und unterwasser-
seitig jeweils Leitdalben mit horizontalen Leithölzern aus Eichenholz zur Be-
grenzung des Ein- und Ausfahrtsbereiches vorgesehen. Im Ober- und Unterwas-
ser der Schleuse wurden zudem jeweils 10 m lange Anlegestege geplant. Die
Gründung und die Tragkonstruktion der Stege werden in Stahlbauweise ausge-
bildet. Die Dalben und Stege wurden auf Schiffsstoß, Trossenzug und Eisgang
bemessen.
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278 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe
Abbildung 4: Bauähnliches Komplexbauwerk Wehr 100, bestehend aus Kahnschleuse
(rechts), Zweifeldwehr (Mitte) und Fischpass (links) zur Trockenabnahme
3.4 Statische Berechnungen
Für die Dimensionierung der einzelnen Bauteile und die erforderlichen Standsi-
cherheitsnachweise wurden die nachfolgend beschriebenen Berechnungen
durchgeführt.
Baugrube und Spundwände
Hier wurden für die maßgebenden Bemessungssituationen die Wasserhaltungs-
spundwände, die seitlichen Kastenspundwände, die Sickerschürzen sowie die
Flügel- und Leitwände für Bau- und Endzustände berechnet.
Massivbau
Für den Massivbau erfolgten für das Komplexbauwerk die Nachweise bzgl.
Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Dazu wurden die Schleuse, das Wehr-
feld und der Fischaufstieg im Bereich des Wehres als ein zusammenhängendes
Bauwerk betrachtet. Der oberwasserseitige Bereich des Fischaufstieges, welcher
mit einer Dehnungsfuge anschließt, wurde als weiteres separates Bauwerk be-
trachtet. Beide Bauwerke wurden in einem FEM- Programm modelliert und be-
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2016
„Bemessung im Wasserbau“ 279
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messen. Die Rissbreiten wurden analog des BAW- Merkblattes MFZ 2011 auf
0,25 mm beschränkt. Für die äußere Standsicherheit wurden die Nachweise für
die Auftriebssicherheit, Gleitsicherheit und der Sohlpressung geführt.
Allgemeiner Stahlbau
Hier erfolgte die Bemessung der Bedien- und Wartungsstege. Weiterhin wurden
Regelquerschnitte für die Absturzsicherungen und die Aluminiumdammbalken
als Notverschluss statisch dimensioniert.
Stahlwasser- und Maschinenbau
Auf der Grundlage der als Entwurf vorliegenden Fachnorm DIN 19704 erfolgte
die Bemessung der Doppelschützen und der 2-flügeligen Stemmtore. Mit den
daraus gewonnenen Ergebnissen wurden Eckwerte für die Antriebsdimensionie-
rung abgeleitet. Der Antrieb der Schützen besteht aus Triebstöcken mit elektro-
mechanischer Wehrwinde. Die Schleusentore werden über einen Kurbelmecha-
nismus mit Kegel- und Schneckenradgetriebe und Koppelstange bewegt.
3.5 Landschaftsplanerische Aspekte
Die besondere Lage des Wasserbauwerkes in einem FFH/SPA-Gebiet bedingt
einen erhöhten Aufwand bei den naturschutzfachlichen Planungen, die das Vor-
haben über den gesamten Projektierungszeitraum begleiten. Zur Bewertung der
Erheblichkeit des Eingriffs wurden eine FFH- und eine SPA-Verträglichkeits-
Vorprüfung durchgeführt. Mit der Erarbeitung eines Artenschutzrechtlichen
Fachbeitrages wurde geprüft, ob durch die Maßnahme Verbotstatbestände nach
§ 44 (1) BNatSchG berührt werden können.
Da der Ersatzneubau an sich einen Eingriff nach BNatSchG darstellt, wurde im
Rahmen der Entwurfs- und Genehmigungsplanung ein landschaftspflegerischer
Begleitplan aufgestellt, worin alle Eingriffe in Natur und Landschaft, wie z.B.
Baumfällungen im Baufeldbereich, bleibende Versiegelungen im geplanten
Endzustand sowie bauzeitliche Beeinträchtigungen bilanziert werden und die
möglichen und notwendigen Schutz- und Vermeidungs- sowie Ausgleichs- und
Ersatzmaßnahmen festgelegt werden.
4 Zusammenfassung
Durch den Ersatzneubau von sanierungsbedürftigen Komplexbauwerken im
Spreewald wird ein wesentlicher Beitrag für die bedarfsgerechte Wasserbewirt-
Page 288
280 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe
schaftung, den Hochwasserschutz, die Aufrechterhaltung der Schiffbarkeit und
die Verbesserung der ökologischen Rahmenbedingungen geleistet.
Die damit verbundene interdisziplinäre Planungsaufgabe stellt hohe Anforde-
rungen an die Präzision während der einzelnen Planungsschritte, da die Gestal-
tung der drei miteinander kombinierten Bauwerke einander beeinflusst und der
Ersatzneubau in einem ökologisch sensiblen Habitat erfolgt. Zudem ist ein ho-
hes Maß an Abstimmungsbedarf erforderlich, um die verschiedenen Anforde-
rungen einzuhalten und den Planungsprozess optimal zu gestalten.
5 Literatur
Bollrich, G., Preißler, G. (1992): Technische Hydromechanik Band 1. Verlag Bauwesen,
Berlin, 1992.
Land Brandenburg (2010): Landeskonzept zur ökologischen Durchgängigkeit der
Fließgewässer Brandenburgs. www.lugv.brandenburg.de
DWA (2014): Merkblatt DWA-M 509, Fischaufstiegsanlagen und fischpassierbare
Bauwerke - Gestaltung, Bemessung, Qualitätssicherung, 2014
US Army Corps of Engineers (2010): HEC-RAS River Analysis System, User’s Manual,
Version 4.1, 2010
Autoren:
Dr.-Ing. Christian Maerker
Dr.-Ing. Imad al Diban
Dipl.-Ing. Holger Haas
IPROconsult GmbH
Niederlassung Berlin / Brandenburg
Abteilung Wasserbau
Franz-Jacob-Straße 2
10369 Berlin
Tel.: +49 30 63499310
Fax: +49 30 63499311
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Ingolf Burisch
Wasser- und Bodenverband „Oberland
Calau“
Lindenstraße 2
03226 Vetschau OT Raddusch
Tel.: +49 35433 592616
Fax: +49 35433 592627
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen
in Fischaufstiegsanlagen
Ulf Helbig
Philipp Lübcke, Christian Jähnel, Jürgen Stamm
Schlitzpasskonstruktionen in Form der klassischen Bauart oder auch als Sonder-
bauweise werden häufig als Fischaufstiegsanlagen zum Zwecke der Gewährleis-
tung der Durchgängigkeit von Gewässern eingesetzt. Sie sind durch mindestens
eine bis zur Beckensohle durchgehende Schlitzöffnung des Typs 3 in der Trenn-
wand zwischen zwei aufeinander folgenden Becken charakterisiert. Eine Schlitz-
öffnung repräsentiert dabei einen Kontrollquerschnitt, der maßgeblichen Einfluss
auf den Durchfluss (Dotationswasser) sowie auf die Verteilung und Größe der
auftretenden Fließgeschwindigkeiten in unmittelbarer Umgebung der Schlitzöff-
nung besitzt. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick zum aktuellen Stand
der Untersuchungen zur Durchflussbestimmung sowie zur charakteristischen
Fließgeschwindigkeitsverteilung.
Stichworte: Fischaufstieg, Schlitz, Hydraulik, Strömung, Geschwindigkeitsver-
teilung
1 Schlitzöffnung – geometrische und hydraulische Charakteris-
tik
Beckenartige Fischaufstiegsanlagen (FAA) werden als hydraulische Gerinne
betrachtet, die eine Aufeinanderfolge von Becken bilden. Der hydraulische Kon-
takt der Becken zueinander erfolgt über bestimmte Öffnungen. Diese Öffnungen
zwischen den einzelnen Becken, die aus hydraulischer Sicht zur Gewährleistung
des Abflusses in der Anlage erforderlich sind, lassen sich in die Öffnungstypen
1 bis 4 unterteilen (DWA-M 509, 2016; Larinier, 1992):
Öffnungstyp 1: Kronenausschnitt, über den ein Abfluss mit freiem Über-
fall erfolgt (nicht rückgestaut),
Öffnungstyp 2: Sohlennahe als Schlupfloch bezeichnete Öffnung, durch
die ein vollständig rückgestauter Auslauf vorliegt,
Öffnungstyp 3: Vertikal bis zur Sohle durchgehender Schlitz, i. d. R.
rechteckig oder trapezförmig (V-förmig) nach unten verjüngend,
Page 290
282 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen
Öffnungstyp 4: Kronenausschnitt, bei dem ein Abfluss deutlich rückge-
staut ist.
Anlagen, die den Öffnungstyp 3 aufweisen, werden im Regelfall als Schlitzpass
(engl.: Vertical-Slot Pass) bezeichnet. Die Schlitzkanten können dabei scharf-
kantig, gefast oder auch ausgerundet ausgebildet werden. Die Öffnung beim
klassischen Schlitzpass besitzt normalerweise einen nach oben offenen, recht-
eckigen Querschnitt (Abbildung 1, links). Eine V-förmige Geometrie (Trapez)
ist u. a. bei Sonderbauweisen (z. B. Rundbeckenpass) zu beobachten (Abbildung
1, rechts).
Abbildung 1: Links: typische Öffnung im klassischen Schlitzpass mit scharfkantigen / ge-
fasten Schlitzkanten (DWA-M 509 [Quelle: Redeker], 2016), rechts: V-
förmige Öffnungsausbildung in einem Rundbeckenpass Typ H mit ausgerun-
deten Schlitzkanten (Peters Ökofisch GmbH + Co. KG)
Die sohlengleiche Öffnung erzeugt im Betriebsfall eine rückgestaute Durch-
strömung, die eine Kombination aus Überfall und seitlichem Auslauf aus einem
Gefäß darstellt. Als Einstaugrad (hu/ho) lässt sich das Verhältnis aus den Wasser-
tiefen unmittelbar unterhalb und vor der Schlitzöffnung bezeichnen (hu/ho =
hu/[h + hu]). Der Gesamtdurchfluss Qges, abhängig von der Beckenfall- (h)
bzw. Energiehöhe (hE) sowie von der Einstauhöhe des Schlitzes (hu), lässt sich
wiederum als Summe eines oberen, überfalldominierten, (Qo) und eines unteren,
ausflussdominierten, (Qu) Durchflusses beschreiben:
mit
und
ges o u
3
o E u u E
Q Q Q
Q ~ f h Q ~ f h h
(1)
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Überwiegt der obere Durchflussanteil am Gesamtdurchfluss (Qo/Qges → groß),
herrscht insgesamt ein überfalldominierter Durchfluss bei keinem bis geringem
Rückstau vor (Abbildung 2, links). Der Einstaugrad hu/(hu + h) ist klein, was
sich letztlich auch in geringen Beckenwassertiefen zeigt. Dominiert hingegen
der untere Anteil am Gesamtdurchfluss (Qu/Qges → groß), liegt ein auslaufge-
prägter Durchfluss mit großem Rückstau vor, der sich durch einen großen Eins-
taugrad und somit durch große Beckenwassertiefen äußert (Abbildung 2, rechts).
Abbildung 2: Prinzipdarstellung: Wassertiefen- und Durchflussverhältnisse an einer
Schlitzöffnung des Typs 3, links: überfalldominierter Durchfluss mit gerin-
gem Rückstau, rechts: auslaufdominierter Durchfluss mit großem Rückstau
2 Durchflussbestimmung in der Schlitzöffnung des Typs 3
Wie Aigner (2016) bereits ausführt, berücksichtigen die aktuellen, empirisch
basierten hydraulischen Berechnungsansätze (vgl. z. B. DWA-M 509, 2016)
nicht die Trennung zwischen geometrischen und hydraulischen Einflussgrößen,
was letztlich eine Verallgemeinerung sowie eine Differenzierung und Übertra-
gung auf verschiedenste Bauarten erschwert.
Dies betrifft insbesondere die Durchflussberechnung. Es wird daher vorgeschla-
gen (vgl. auch Aigner, 2016; Helbig & Aigner & Stamm, 2016), eine Trennung
zwischen den jeweiligen Einflussgrößen über den Durchflussbeiwert µ vorzu-
nehmen. Im Ergebnis dieses Ansatzes steht auf Basis der Gleichung (1) eine Be-
rechnungsformel für den Durchfluss einer Schlitzöffnung des Typs 3, die sich
aus einer Überfall- und einer Ausflussformel zusammensetzt:
Page 292
284 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen
2 2
für einen Rechteckquerschnitt:
22
3
für einen Trapezquerschnitt:
22 0 406
3
ges E u E
u Eges E u E
Q s g h h h m³ / s
h hQ µ s g h h m h , m m³ / s ,
s s
(2)
wobei s [m] die Schlitzbreite auf Sohlhöhe, m [-] das arithmetische Mittel der
Seitenneigungen eines Trapezquerschnittes (m = 0,5 · [m1 + m2]) und µ [-] den
Durchflussbeiwert darstellen.
Der Durchflussbeiwert wird primär von der Einschnürung des effektiven Durch-
flussquerschnitts des Schlitzes beeinflusst und ist formabhängig, jedoch nicht
abhängig von den Wasserständen hu oder ho oder den Beckenfallhöhen h (Aig-
ner, 2016). Der Einschnüreffekt ist bei scharfen Kanten größer als bei ausgerun-
deten, wodurch wiederum der effektive Durchflussquerschnitt kleiner und somit
auch der Durchflussbeiwert kleiner werden.
Als Ergebnis von Laborversuchen für die Größe µ können aktuell bei scharfkan-
tigen und ausgerundeten Rechteck- bzw. Trapezquerschnitten die in Tabelle 1
aufgeführten µ-Beiwerte angesetzt werden. Bei den µ-Werten in Tabelle 1 ist zu
beachten, dass bei deren Ermittlung die Anströmgeschwindigkeit va vernachläs-
sigt werden konnte. Für Rundbeckenpässe ließ sich ein mittlerer Durchflussbei-
wert von µ ≈ 0,79 ableiten.
Tabelle 1 Durchflussbeiwerte für scharfkantige und ausgerundete Rechteck- bzw. Tra-
pezquerschnitte (Helbig et al., 2016)
Schlitzgeometrie µ [-]
rechteckig scharfkantig 0,645
rechteckig ausgerundet 0,8
trapezförmig scharfkantig 0,68
trapezförmig ausgerundet 0,84
Die Größe hE [m] in Gleichung (2) beschreibt zunächst die vorhandene Energie-
höhe am jeweiligen Schlitz und bildet die Summe aus Beckenfallhöhe und An-
strömgeschwindigkeitshöhe:
2
2
aE
vh h m ,
g (3)
wobei die Variable va [m/s] die mittlere Anströmgeschwindigkeit vor einem
Schlitz repräsentiert. Befindet sich eine Schlitzpassanlage in einem regulären
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 285
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quasi-gleichförmigen Fließzustand (keine relevanten Absunke bzw. Rückstaue),
kann für va bei jeder Schlitzöffnung vereinfacht die Anströmgeschwindigkeit im
oberwasserseitigen Zulaufbereich angesetzt werden (va ≈ vZulauf, vgl. auch Hel-
big & Aigner & Stamm, 2016). Ist die Anströmgeschwindigkeit hingegen sehr
klein und somit vernachlässigbar, so ist es ausreichend, va = 0 und somit hE = h
zu setzen.
Untersuchungen an Rundbeckenpässen zeigen jedoch, dass die in einer FAA
tatsächlich gemessenen bzw. eingestellten Durchflüsse Q nur unter Berücksich-
tigung der Anströmgeschwindigkeit rechnerisch nachvollzogen werden konnten,
da ansonsten Abweichungen bis zu 23% zu beobachten waren (Abbildung 3).
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
35 38 45 50 58 65 70 75
Q e
rmit
telt
[l/
s]
Q vorhanden [l/s]
Q gemessen/eingestellt
Q berechnet mit µ = 0,79, mit va
Q berechnet mit µ = 0,79, ohne va
Abbildung 3: Vergleich der gemessenen / eingestellten Durchflüsse mit berechneten Durch-
flusswerten bei einem Rundbeckenpass Typ C
3 Geschwindigkeitscharakteristik im Bereich der Schlitzöffnung
des Typs 3
Neben dem Durchfluss Q ist insbesondere die Fließgeschwindigkeitsgröße v und
deren räumliche Verteilung von Interesse, da sie das Wanderverhalten von Fi-
schen und somit letztlich die Passierbarkeit der FAA beeinflusst. Da eine Fisch-
aufstiegsanlage im Idealfall für das ganze, in diesem Bereich vorkommende
Fischinventar passierbar sein soll, muss insgesamt ein Strömungsregime in der
Page 294
286 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen
FAA vorherrschen, das den Ansprüchen der überwiegenden Fischfauna vor Ort
genügt.
Hinsichtlich der maximal auftretenden Fließgeschwindigkeit, ohne Berücksich-
tigung der Fließrichtung, lässt sich der auf dem Energieansatz beruhende skalare
Ausdruck (DWA-M 509, 2016; Helbig & Aigner & Stamm, 2016):
22 max av g h v m / s , (4)
hinreichend genau verwenden. Bezüglich der Berücksichtigung der Größe va
[m/s] gelten die bereits oben genannten Ausführungen zum Durchfluss Q.
Untersuchungen an Rundbeckenpässen zeigen wiederum, dass zur Abbildung
der gemessenen maximalen Fließgeschwindigkeiten nach Gleichung (4) die An-
strömgeschwindigkeit va erforderlich ist. Dabei ist deren Tiefenlage von nach-
rangiger Bedeutung, so dass hinreichend genau mit einem Mittelwert über die
gesamte Wassertiefe gerechnet werden kann (Abbildung 4).
1,6
1,7
1,8
1,9
2,0
2,1
2,2
38 l/s,
sohlnah
50 l/s,
sohlnah
50 l/s,
mittig
58 l/s,
sohlnah
58 l/s,
mittig
75 l/s,
sohlnah
75 l/s,
mittig
75 l/s,
WSP-nah
vm
ax[m
/s]
vorhandener Durchfluss Q und Tiefenhorizont]
vmax gemessen
vmax berechnet, mit va
vmax berechnet, ohne va
Abbildung 4: Vergleich der gemessenen maximalen Fließgeschwindigkeiten vmax mit be-
rechneten Geschwindigkeitswerten bei einem Rundbeckenpass Typ C
Um die Engstelle „Schlitzbereich“ für das ganze Fischinventar passierbar zu ge-
stalten, ist u. a. auch die Kenntnis der tiefenabhängigen, vertikalen Geschwin-
digkeitsverteilung von Bedeutung. Hierbei sollte sowohl schlechten Schwim-
mern (i. d. R. sohlnah) aber auch guten Schwimmern (i. d. R. freischwimmend
im mittleren / oberen Bereich) Rechnung getragen werden.
Page 295
Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 287
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Dabei scheinen
- die generelle Querschnittsform der Schlitzöffnung (z. B. Rechteck, nach
unten verjüngendes Trapez, nach oben verjüngendes Trapez, Ellipse, Sut-
ro-Profil usw.) sowie
- das Verhältnis von Überfall- und Ausflussanteil (Einstaugrad hu/ho)
von Relevanz zu sein. Aktuelle Rinnenversuche an ausgewählten Schlitzquer-
schnitten und Einstaugraden zeigen unter definierten Oberwasser- (OW) und
Unterwasserbedingungen (UW) bestimmte hydraulische Charakteristika (Abbil-
dung 5).
0
50
100
150
200
250
300
0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40
h [mm]
v [m/s]
Rechteck, 150 mm OW, Δh = 20 mm
200 mm vordem Schlitz
30 mm vordem Schlitz
10 mm hinterdem Schlitz
0
50
100
150
200
250
300
0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40
h [mm]
v [m/s]
Rechteck, 300 mm OW, Δh = 20 mm
200 mm vordem Schlitz
30 mm vordem Schlitz
10 mm hinterdem Schlitz
0
50
100
150
200
250
300
0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40
h [mm]
v [m/s]
Rechteck, 300 mm OW, Δh = 80 mm
200 mm vordem Schlitz
30 mm vordem Schlitz
10 mm hinterdem Schlitz
Abbildung 5: Schlitzöffnung Typ 3, rechteckig: vertikale Verteilung der horizontalen Ge-
schwindigkeitskomponente vH, 200 mm und 30 mm vor und 10 mm unterhalb
des Schlitzes, links oben: h = 20 mm, hu/ho = 0,87; rechts oben: h = 80
mm, hu/ho = 0,47; links unten: h = 20 mm, hu/ho = 0,93; rechts unten: h =
80 mm, hu/ho = 0,73
Die Rinnenversuche werden in einer Kipprinne der lichten Breite b = 0,30 m
durchgeführt. Ober- (ho), Unterwasserstand (hu) sowie Beckenfallhöhe (h)
Page 296
288 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen
werden variiert. Die horizontale Geschwindigkeitskomponente vH [m/s] wird
mittels Mini-Flügel 200 mm und 30 mm oberhalb sowie 10 mm unterhalb des
Schlitzes gemessen (Abbildung 5). Beim Vergleich der 3 Messprofile liegen wie
erwartet die größten Fließgeschwindigkeiten kurz unterhalb der Schlitzöffnung.
Insgesamt wird das erreichte Geschwindigkeitsniveau erwartungsgemäß von der
Beckenfallhöhe h bestimmt. Weiterhin sind ein oberer überfalldominierter
Durchflussbereich sowie ein ausflussdominierter unterer Bereich gut erkennbar.
Ersterer ist durch einen rückschreitenden v-Verlauf gekennzeichnet. Wie Raja-
ratnam & Katopodis & Solanki (1992) schon zeigten, sind im rückgestauten un-
teren Bereich nahezu über die ganze Wassertiefe hinweg, konstante Fließge-
schwindigkeiten zu beobachten, die fast bis zur Sohle reichen. Der sohlnahe
Verlauf fällt hingegen sehr steil aus. Die jeweilige qualitative Ausprägung der
vertikalen Geschwindigkeitsprofile ist stark von h und hu abhängig (vgl. auch
Kap. 1). Je kleiner die Einstauhöhe hu ist, desto stärker bildet sich ein rück-
schreitender Kurvenverlauf aus.
Hingegen scheint die Schlitzform bei gleicher Öffnungsquerschnittsfläche und
gleichen OW- und UW-Bedingungen nur einen nachrangigen Einfluss zu haben,
wie Abbildung 6 zeigt. Hier weisen die Geschwindigkeitsprofile über die Was-
sertiefe hinweg qualitativ sehr ähnliche Verläufe auf.
0
50
100
150
200
250
300
0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40
h [mm]
v [m/s]
Trapez nach oben geöffnet, 300 mm OW, Δh = 80 mm
200 mm vordem Schlitz
30 mm vordem Schlitz
10 mm hinterdem Schlitz
0
50
100
150
200
250
300
0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40
h [mm]
v [m/s]
Ellipse, 300 mm OW, Δh = 80 mm
200 mm vordem Schlitz
30 mm vordem Schlitz
10 mm hinterdem Schlitz
Abbildung 6: Schlitzöffnung Typ 3, ho = 300 mm, hu = 220 mm, h = 80 mm, links: nach
oben geöffnetes Trapez, rechts: Ellipsenquerschnitt (gleiche Öffnungsquer-
schnittsfläche), qualitativer Verlauf des vertikalen Geschwindigkeitsprofils
Anderseits zeigen Messungen und 3d-HN-Simulationen bei Rundbeckenpässen
(V-förmige bzw. trapezförmige Schlitzöffnung) einen ausgeprägten rückschrei-
tenden Kurvenverlauf des vertikalen Geschwindigkeitsprofils (Abbildung 7).
Charakteristisch ist dabei, dass bei zunehmendem Durchfluss Q die Beckenwas-
sertiefen zwar größer werden und die Beckenfallhöhe h näherungsweise kon-
stant bleibt. Trotz zunehmender Beckenwassertiefen bildet sich aber kein cha-
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 289
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rakteristischer Bereich mit konstantem Geschwindigkeitsfeld wie oben be-
schrieben aus. Bei allen Messungen / Simulationen dominiert ein rückschreiten-
des Geschwindigkeitsprofil mit einem Maximum in Sohlnähe (Abbildung 7).
0,00
0,05
0,10
0,15
0,20
0,25
0,30
0,35
0,40
0,45
0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40 1,60 1,80 2,00 2,20 2,40
z üb
er S
ohle
[m]
v [m/s], horizontal gemessen in Schlitzmitte
Q = 75 l/s
Q = 58 l/s
Q = 50 l/s
Q = 38 l/s
Simulation, Q = 58 l/s
Abbildung 7: Vergleich der gemessenen / 3d-hydronumerisch ermittelten vertikalen Fließ-
geschwindigkeitsverteilung (horizontale vH-Komponente) in Schlitzmitte ei-
nes Rundbeckenpasses des Typs C bei unterschiedlichen Durchflüssen
Eine schlussendliche Beurteilung bezüglich der konkreten Öffnungsgeometrie
ist jedoch erst nach Abschluss der Versuchsreihen möglich. Hierbei ist auch
noch offen, ob, inwiefern und mit welcher Schlitzgeometrie ein optimierter Ge-
schwindigkeitsverlauf in Sohlnähe, d. h. ein flacherer Anstieg des vertikalen Ge-
schwindigkeitsprofils in diesem Bereich, für alle Bauformen von Schlitzpässen
erreicht werden kann.
4 Zusammenfassung
Der Öffnungstyp 3 (sohlengleicher Schlitz) bei beckenartigen Fischaufstiegsan-
lagen ist typisch und namensgebend für eine ganze Bauart von Beckenpässen.
Die Durchströmung ist geprägt durch einen Überfall- und einen Ausflussanteil,
für die sich ein hinreichend genauer Berechnungsansatz ableiten lässt. Die Be-
rechnung des maximalen Geschwindigkeitsskalars kann über den modifizierten
Torricelli-Ansatz abgeschätzt werden. Die vertikale Geschwindigkeitsverteilung
Page 298
290 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen
im schlitzunmittelbaren Bereich ist von der Beckenfallhöhe sowie vom Einstau-
grad abhängig. Der Einfluss der konkreten Schlitzgeometrie ist noch nicht final
geklärt. Insbesondere ob und inwiefern eine optimierte Geschwindigkeitsvertei-
lung v. a. in Sohlnähe (Verminderung des Anstiegs) durch eine gezielte Schlitz-
geometrie erreicht werden kann, ist momentan noch unklar.
5 Literatur
Aigner, D. (2016): Der Schlitzpass – Ausfluss- oder Überfallströmung. In: Dresdner
Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 57, Selbstverlag der Technischen Universität
Dresden, Dresden, 2016
DWA-M 509 (2016): Merkblatt DWA-M 509, Fischaufstiegsanlagen und fischpassier-
bare Bauwerke – Gestaltung, Bemessung, Qualitätssicherung. Deutsche Vereini-
gung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hennef, 2014, korrigierte
Fassung, 2016
Helbig & Aigner & Stamm (2016): Ulf Helbig, Detlef Aigner, Jürgen Stamm, Hydraulik
der Schlitzöffnungen bei beckenartigen Fischaufstiegsanlagen. In: BAUTECHNIK
93 (2016), Heft 5, S. 295 – 303, 2016
Helbig et al. (2016): Ulf Helbig, Detlef Aigner, Jürgen Stamm, Rocco Zimmermann,
Untersuchungen zur Hydraulik in Rundbeckenpässen. In: Proceedings, 18. Wasser-
bau-Symposium Wasserbau – mehr als Bauen im Wasser, TU München, Wallgau,
29.06. – 01.07.2016
Larinier, M. (1992): Passes à bassins successifs, prébarrages et rivières artificielles. In:
Bull. Fr. Pêche Piscic., 326/327, p. 45-72, 1992
Rajaratnam & Katopodis & Solanki (1992): N. Rajaratnam, C. Katopodis, S. Solanki,
New designs for vertical slot fishways. In: Canadian Journal of civil Engineering 19
(1992), S. 402-414, 1992
Autoren:
Dr. Ulf Helbig, Philipp Lübcke
Christian Jähnel, Jürgen Stamm
Technische Universität Dresden
Institut für Wasserbau und Technische
Hydromechanik
August-Bebel-Straße 30
01219 Dresden
Tel.: +49 351 463 37527
Fax: +49 351 463 37120
E-Mail: [email protected]
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chnische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Untersuchung von Einflussparametern auf die
Abflussbemessung von Fischaufstiegsanlagen in
Schlitzbauweise
Jessica Klein
Mario Oertel
Fischaufstiegsanlagen sind im letzten Jahrzehnt im modernen Wasserbau zum Stan-
dard geworden. Die Wasserrahmenrichtlinie (WFD, 2000) fordert die Wiederher-
stellung der Durchgängigkeit europäischer Gässer und verbietet eine Verschlechte-
rung des Gewässerzustandes. Eine Maßnahme hierfür sind Fischaufstiegsanlagen,
welche aquatischen Lebewesen eine Migration in stromaufwärtsgelegene Lebens-
räume ermöglichen sollen. Die hier behandelten Schlitzpässe zählen zu den techni-
schen Fischaufstiegsanlagen.
Grundlegend können zwei Bemessungsformeln in der Literatur gefunden werden:
(1) die Bemessung des Abflusses basierend auf dem Abfluss einer Seitenöffnung
sowie (2) die Bemessung des Abflusses mit Gerinneeinengung mit jeweils empiri-
schen Abflussbeiwerten. Gegenwärtig werden hierbei zum einen die physikalischen
Hintergründe als auch die Anwendbarkeit in der Praxis hinterfragt. Es hat sich ge-
zeigt, dass vorhandene Ansätze nicht die Vielfalt der geplanten und gebauten An-
lagen berücksichtigen können. Die empirisch ermittelten Abflussbeiwerte lassen
sich nicht auf alle Anwendungsfälle übertragen. Des Weiteren fokussieren bishe-
rige Publikationen auf Schlitzpässe mit Sohlneigungen über 5 %, wohingegen die
in Deutschland beheimateten Fischarten die Sohlneigung der Anlagen auf unter 5
% beschränken. Ziel der Arbeit ist es, die bestehenden Bemessungsansätze zu un-
tersuchen und deren Anwendbarkeit zu prüfen. Mit der Erweiterung vorhandener
physikalischer Modelle (um Untersuchungen mit Sohlgefällen unter 5 %) wird eine
breite Datengrundlage geschaffen, um Einflussparameter der Abflussbeiwerte zu
identifizieren. Hierbei stehen das Sohlgefälle sowie Strömungsleiteinbauten im Fo-
kus.
Stichworte: Physikalische Modellierung, Fischaufstiegsanlage, Schlitzpass
1 Einleitung
Heutzutage sind Gewässer stark künstlich verändert. Die anthropogenen Einflüsse
wie beispielsweise der Aufstau der Gewässer zur Schiffbarmachung oder zur
Energiegewinnung haben weitreichende ökologische Folgen. Die unterbrochene
Durchgängigkeit verhindert unter anderem das ungehinderte Wanderverhalten
von Fischen seit mehreren hundert Jahren, was die Population zahlreicher Arten
Page 300
292 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung
von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise
gefährdet. Die Reaktion auf die Missstände wurde mit der Wasserrahmenrichtli-
nie der EU (EU-WRRL 2000) rechtlich festgehalten. Die EU-WRRL (2000) fordert
die Zurückführung von Gewässern in einen ökologisch guten Zustand, welches
die Durchgängigkeit für aquatische Lebewesen einschließt. Diese ökologische
Durchgängigkeit wird entweder durch Zurückbauen des Wanderhindernisses oder
durch den Bau von Fischaufstiegsanlagen (FAA) wiederhergestellt. FAA ermög-
lichen aquatischen Lebewesen trotz eines Wanderhindernisses die ungehinderte
Migration ins Oberwasser. Sie lassen sich unterscheiden in naturnahe FAA (z. B.
Blockrampen, Oertel und Schlenkhoff 2012) und technische Anlagen. Die hier
behandelte Fischaufstiegsanlage in Schlitzbauweise (auch Schlitzpass, Vertical
Slot fishway) zählt zu den technischen Anlagen. Sie kann als eine Aneinanderrei-
hung von Becken mit gleichbleibendem Gefälle verstanden werden. Die Becken
entstehen durch vertikale Wände mit Schlitzen über die gesamte Wassersäule,
welche einen Wanderkorridor für aquatische Lebewesen bieten. Obwohl Fisch-
aufstiegsanlagen mittlerweile zum Standard gehören, sind die Kenntnisse der
Hydraulik als auch die Reaktion der Fische auf diese noch nicht umfassend er-
forscht. So werden gegenwärtig zum einen die physikalischen Hintergründe als
auch die Anwendbarkeit in der Praxis hinterfragt (z. B. Sokoray-Varga et al. 2015;
Klein und Oertel 2016).
2 Bemessung
Die Bemessung der Hydraulik von Schlitzpässen erfolgt grundlegend hinsichtlich
der Passierbarkeit für Fische. Dabei wird eine maximale Geschwindigkeit vmax im
Schlitz festgelegt, welche von den relevanten Fischarten überwunden werden
kann:
vmax=√2∙g∙∆h (1)
mit g als Erdbeschleunigung, ∆h als Wasserspiegeldifferenz. In der Bemessung
wird die Wasserspiegeldifferenz als ∆h = S∙L aus der Sohlneigung S und der Be-
ckenlänge L berechnet. Ein weiteres Kriterium für die Einhaltung der Passierbar-
keit ist ein mindestens zu erreichender Wasserstand in den Becken für die jeweils
relevanten Fischarten (Bemessungsfisch). Das Erreichen dieses Wasserstands
wird durch den Bemessungsdurchfluss garantiert. Grundlegend werden zwei ana-
lytische Ansätze zur Berechnung eines Durchflusses Q in Schlitzpässen in der
Praxis angewandt. Ein auf Toricelli basierender Ansatz, mit der Geschwindigkeit
aus Formel (1), wird seit Jahrzehnten weiterentwickelt (siehe z. B. Clay 1961, La-
rinier 1992, Rajaratnam et al. 1986):
Q = Cd∙h∙b0∙√2∙g∙∆h (2)
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 293
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mit Cd als Widerstandsbeiwert, b0 als Schlitzweite und h als Wassertiefe. Hierbei
ist zu beachten, dass abhängig von der Publikation entweder die Wassertiefe ober-
halb des Schlitzes ho (siehe Clay 1961, Larinier 1992, Rajaratnam et al. 1986),
ein mittlerer Wasserstand hm (siehe Puertas et al. 2004) oder die Wassertiefe im
Schlitz hSchlitz = ho−(L∙S) (L = Beckenlänge, S = Gefälle) (siehe Wang et al. 2010)
definiert wird.
Die Bemessung von Fischaufstiegsanlagen in Deutschland wird auf Grundlage
des Merkblattes M-509 (2014) der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft,
Abwasser und Abfall e. V. (DWA) durchgeführt, in welcher der Bemessungsan-
satz nach Krüger et al. (2010) angeführt wird:
Q = μ∙ho2/3
∙b0∙√g mit μ∙= f (hu
ho) (3)
Zusätzlich wurde in zahlreichen Modellversuchen eine lineare Abhängigkeit des
dimensionslosen Wasserstands hm/b0. zum dimensionslosen Durchfluss QA er-
kannt (u. a. Rajaratnam et al. 1986, Wu et al. 1999, Puertas et al. 2004, Wang et
al. 2010). Der dimensionslose Abfluss kann mit
QA
= Q
√g∙b05 (4)
oder QAS =
Q
√g∙S∙b05 (5)
beschrieben werden.
Eine weitere Bedeutung für die Bemessung einer Anlage entfällt auf das Strö-
mungsmuster, welches sich im Becken einstellt. Nach Wu et al. (1999) können
zwei Strömungsmuster, sowie ein Übergangszustand zwischen beiden, unter-
schieden werden (siehe Abbildung 1). Die für Strömungsmuster 1 (SM 1) charak-
teristische Strömung ist eine Art Kurzschlussströmung von Schlitz zu Schlitz, so-
wie zwei Wirbeln jeweils am Rand der Hauptströmung innerhalb der Becken. Bei
Strömungsmuster 2 (SM 2) wird der Hauptstrom stärker abgelenkt, wodurch die-
ser auf die unterwasserseitige Wandungen trifft und so Energie dissipiert wird.
Nach Wang et al. (2010) sowie Gebler (2015) wird beim Durchschwimmen des
Schlitzpasses das instationäre Verhalten der Strömung, welches beim Übergangs-
zustand beider Strömungsmuster auftritt, von den Fischen ausgenutzt.
Page 302
294 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung
von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise
Abbildung 1: Strömungsmuster nach Wang et al. (2010), links SM 1; rechts SM 2
3 Modellaufbau
Im Wasserbaulabor der Fachhochschule Lübeck (FHL) wurden physikalische
Modellversuche durchgeführt, um Einflussparameter auf die Wasserspiegellage
bzw. Wassertiefen in Schlitzpässen zu identifizieren. Eine Kipprinne
(Länge = 10 m, Breite = 0,8 m, Höhe = 0,8 m) wurde bei einem Gefälle von
S = 5 % mit 6 Becken einer Fischaufstiegsanlage in Schlitzbauweise ausgestattet.
Die Wände sind vertikal in einem lichten Abstand LL = 1,0 m montiert. Bei einer
Wanddicke von 2,1 cm ergibt sich eine Gesamtbeckenlänge je Becken von
L = 1,021 m. Neben der Querwand und der Umlenkwand, welche die Becken un-
terteilen, wird die Strömung zusätzlich durch ein Leitelement, bestehend aus einer
Wand in Strömungsrichtung am Kopf der Querwand, geleitet (vorderes Leitele-
ment). Die untersuchte Geometrie lässt sich weitestgehend in Puertas et al. (2004)
wiederfinden, wobei jedoch die Beckenlänge leicht verkürzt und das Gefälle mit
S = 5,7 % etwas erhöht ist.
Für die aktuellen Untersuchungen wurde die Position der Umlenkwände variiert
(siehe Tabelle 1 und Abbildung 2). Hierbei werden auch die Längen der Umlenk-
wände so verändert, dass bei jeder Variante eine Schlitzweite von exakt
b0 = 0,122 m resultiert. Die vorliegende Studie vergleicht demnach die Resultate
der Variation des Schlitzöffnungswinkels (C = 37°, 52° und 67°). Weitere verän-
derte Parameter werden hier nicht behandelt.
Abbildung 2: Skizze der genutzten Variablenbezeichnungen im Schlitzpass
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„Bemessung im Wasserbau“ 295
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Tabelle 1 Parameter der untersuchten Modellgeometrien (FHL), sowie Modelle mit ver-
gleichbarer Geometrie
Variable FHL Puertas et
al. 2004
Rajaratnam et al. 1992
D3 T2 D16 D14 D15
S [%] 5,0 5,7 / 10,1 5,0 / 10,0 / 15,0
b0 [m] 0,12 0,15 0,52 0,34 0,34
B/b0 [-] 6,56 6,60 4,69 7,15 7,15
B/L [-] 0,78 0,81 0,80
C [°] 37 / 52 / 67 37 52 27 27
lg/b0 [-] 1,61 1,61 0,38 1,79 1,79
bg/b0 [-] 0,57 0,57 0,42 0,89 0,29
bT/b0 [-] 4,52 4,52 2,80 6,26 6,26
Der Abfluss wird über eine frequenzgesteuerte Pumpe (Fabrikat: Grundfos NBE-
150-250, 11 kW) bereitgestellt und über ein Rohrsystem in ein Hochbecken ge-
leitet, über das die Kipprinne gespeist wird. Die Kontrolle des Durchflusses er-
folgt über ein magnetisch induktives Durchflussmessgerät (MID, Krohne Op-
tiflux 2000, Genauigkeit ±0,1 l/s).
Zwei Becken jeweils im Ober- und Unterwasser der eigentlichen Untersuchungs-
becken stellen eine gleichförmige Strömung im Versuch sicher. Für die drei Va-
rianten und je drei Durchflüsse werden die Wasserspiegellagen flächig in einem
Raster von 51 × 130 mm über dem dritten und vierten Becken mit Ultra-
schallsensoren (USS635, General Acoustics, Genauigkeit ±1 mm) aufgenommen.
Für weitere sechs Durchflüsse erfolgen für die Konfiguration C = 67° punktuell
Wasserstandsmessungen in der Mitte des vierten Beckens. Das Messraster sowie
die Lage der Punktmessung sind in Abbildung 3 dargestellt. Die Messdauer be-
trägt 60 Sekunden bei 75 Hz.
Abbildung 3: Darstellung der Messpunkte im physikalischen Modellversuch
(∙ Messraster; × Punktmessung), Fließrichtung von links nach rechts
Becken 3 Becken 4
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296 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung
von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise
4 Ergebnisanalyse
4.1 Wasserstands-Abfluss-Beziehung
Die Bemessung von Schlitzpässen beruht auf einer Wasserstands-Abfluss-Bezie-
hung. Nach Puertas et al. (2004) kann ein dimensionsloser Durchfluss berechnet
werden:
QA
= Q
√g∙b05 (5)
Eine lineare Abhängigkeit zwischen dimensionslosem Durchfluss QA sowie di-
mensionsloser Fließtiefe hm/b0 in der Mitte des Beckens kann in den aktuellen
Untersuchungen bestätigt werden (siehe Abbildung 4(a) und 4(c)). Abbil-
dung 4(a) stellt dabei einen Auszug aus Abbildung 4(c) dar (zu beachten: die Er-
gebnisse von Rajaratnam et al. (1992) sind der Übersicht halber nicht abgebildet).
Es lässt sich ableiten, dass die Position des Umlenkblocks in den hier untersuchten
Varianten einen zu vernachlässigbaren Einfluss auf die Wasserspiegellage ausübt.
Im Vergleich zu Puertas et al. (2004), an deren Geometrie die Modelversuche
angelehnt sind, stellen sich im physikalischen Modell aufgrund des höheren Ge-
fälle niedrigere Wasserstände ein. Dies bestätigt das Modell D14 nach Rajarat-
nam et al. (1992), welches am ehesten mit den untersuchten Modellen vergleich-
bar ist (siehe Abbildung 4(c)). Die dimensionslosen Wasserstands-Abfluss-Bezie-
hungen von D15 und D16 hingegen weisen einen deutlich steileren Verlauf auf.
Für D15 lässt sich der Grund ausschließlich in der Verlagerung des Leitelements
an der Querwand erklären (bgD14/b0 = 0,89, bgD15/b0 = 0,29). Die Geometrieverän-
derung zu D16 ist jedoch so vielfältig, dass hier keine belastbare Aussage getrof-
fen werden kann.
Tendenziell kann festgestellt werden, dass je höher das Gefälle des Schlitzpasses
ist, desto niedriger verläuft die Neigung der Ausgleichgeraden eines Modellver-
suchs. Eine Beeinflussung des Wasserstands vom Gefälle der Fischaufstiegsan-
lage wird deutlich. Wird die Abhängigkeit des Wasserstands vom Gefälle des
Schlitzpasses in Betracht gezogen, kann nach Rajaratnam et al. (1992) der dimen-
sionslose Durchfluss wie folgt beschrieben werden:
QAS =
Q
√g∙S∙b05 (6)
Abbildung 4(b) bzw. 4(d) stellen den modifizierten dimensionslosen Durchfluss
QAS zur dimensionslosen Wassertiefe hm/b0 in Beckenmitte dar. Durch die Einbe-
ziehung des Schlitzpass-Gefälles können die Abflussgeraden aneinander angenä-
hert und mit Gleichung (7) beschrieben werden.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 297
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(a) (b)
(c) (d)
Abbildung 4: Wasserstands-Abfluss-Beziehung in physikalischen Modellen von Schlitzpäs-
sen
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298 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung
von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise
QAS = α∙
hm
b0 (7)
mit α zu
0,29 (für FHL D3, C = 37°, S = 5,0 %)
0,30 (für FH L D3, C = 52°, S = 5,0 %)
0,29 (für FHL D3, C = 67°, S = 5,0 %)
0,34 (für Puertas et al. (2004), C = 37°, S = 5,7 %)
0,34 (für Puertas et al. (2004), C = 37°, S = 10,1 %)
0,34 (für Rajaratnamet al. (1992), D14, C = 27°, S = 5,0 %)
0,41 (für Rajaratnamet al. (1992), D14, C = 27°, S = 10,0 %)
0,42 (für Rajaratnamet al. (1992), D15, C = 27°, S = 5,0 %)
0,63 (für Rajaratnamet al. (1992), D16, C = 52°, S = 5,0 %)
0,60 (für Rajaratnamet al. (1992), D16, C = 52°, S = 10,0 %)
0,64 (für Rajaratnamet al. (1992), D16, C = 52°, S = 15,0 %)
Schlussfolgernd kann bei Anlagen mit ähnlicher Konstruktion, jedoch unter-
schiedlichen Gefällen, auf eine einzige Wasserstands-Abfluss-Beziehung zurück-
gegriffen werden. Hierbei sind die Lage des Umlenkblockes und das Gefälle der
FAA für die sich einstellenden Wasserstände nicht von Bedeutung. Ein leichtes
Ansteigen des Wertes α kann bei D14 und D 15 nach Rajaratnam et al. (1992)
verzeichnet werden. Dieser leichte Anstieg kann durch die vorderen Leitelemente
hervorgerufen werden. Weichen die Parameter trotz eines grundlegend ähnlichen
Konstruktionsprinzips ab, wie in D16 nach Rajaratnam et al. (1992), muss α er-
neut empirisch ermittelt werden.
4.2 Prüfung des Abflussbeiwertes
Trotz des linearen Zusammenhangs zwischen dimensionslosem Wasserstand und
dimensionslosem Abfluss wird in der Bemessung zumeist auf die in Kapitel 2 dis-
kutierten Abflussformeln zurückgegriffen. Es kann beobachtet werden, dass der
Wasserstand in der Mitte des Beckens weniger den Wasserstandsschwankungen
aus der Konstruktion des Schlitzes (Leitelemente, Öffnungswinkel, usw.) unter-
liegt und somit auch für die praktische Anwendung in der Bemessung einfacher
abzuschätzen ist, weshalb im Folgenden der Abflussbeiwert aus Gleichung 2 zu
Q = Cd∙hm∙b0∙√2∙g∙∆h (8)
mit Δh = L ∙ S berechnet wird. Abbildung 5 zeigt die nach Gleichung 8 berechne-
ten Abflussbeiwerte. Hierbei lässt sich kein Abflussbeiwert einer bestimmten
Schlitzpass-Konfiguration zuordnen, da die Schwankungsbreiten bis zu ± 0,1 be-
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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tragen. Durch die lineare Beziehung dimensionslosem Wasserstand und dimensi-
onslosem Abfluss, sowie dem konstanten Wert je Konstruktion von 𝑏0∙√2∙g∙∆h
ist es nicht möglich, einen konstanten Abflussbeiwert Cd zu ermitteln. Lediglich
eine empirische Ermittlung des Abflussbeiwertes unter spezifischen Bedingungen
ist denkbar.
Abbildung 5: Berechnete Abflussbeiwerte Cd
5 Schlussbetrachtung
Die hier präsentierten Untersuchungen zeigen, dass die lineare Wasserstands-Ab-
fluss-Beziehung im Schlitzpass nicht von der Position der quer zur Strömungs-
richtung eingebauten Umlenkwände abhängt und auch das Gefälle von geringer
Bedeutung für die Wasserstands-Abfluss-Beziehung ist. Ein Mangel an systema-
tischen Modellversuchen zur detaillierteren Bestimmung der Einflussparameter
auf den Abfluss in Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise, wie z. B. die vorde-
ren Leitelemente, wurde identifiziert. Daher sind weitere Untersuchungen zum
Einfluss der vorderen Leitelemente und deren Einfluss auf die Wasserstands-Ab-
fluss-Beziehung bei unterschiedlichen Gefällen geplant.
Der bisher übliche Ansatz der Durchflussberechnung wurde hinterfragt, da sich
herausgestellt hat, dass eine einfache Wasserstands-Abfluss-Beziehung mehrere
geometrische Varianten zusammenfassen kann. Ob dies bei komplexeren und un-
terschiedlich ausgeformten Leiteinbauten weiterhin bestätigt werden kann, müs-
sen ebenfalls weiterführende Untersuchungen zeigen.
Page 308
300 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung
von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise
6 Literatur
Clay, C. H. (1961): Design of Fishways and Other Fish Facilities. Department of Fisheries
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EU-WRRL (2000): RICHTLINIE 2000/60/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
UND DES RATES vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für
Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. Europäisches
Parlament und Rat
Gebler, R.-J. (2015): Dimensionierung von Schlitzpässen - Anforderungen der Fische und
der Hydraulik. Wasserwirtschaft. 105(7/8), 73-79
Klein, J. und Oertel, O. (2016): Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise: Ein Überblick
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Rajaratnam, N., Katopodis, C., Solanki, S. (1992): New designs for vertical slot fishways.
Canadian Journal of Civil Engineering 19, 402-410
Sokoray-Varga, B., Weichert, R., Nestmann, F. (2015): Untersuchungen zu hydraulischen
Berechnungansätzen von Schlitzpässen. WasserWirtschaft 105 (7/8), 61-66
Wang, R. W., David, L., Larinier, M. (2010): Contribution of experimental fluid mechanics
to the design of vertical slot fish passes. Knowledge and Management of Aquatic
Ecosystems 396(2). doi: 10.1051/kmae/2010002
Wu, S., Rajaratnam, N., Katopodis, C. (1999): Structure of Flow in Vertical Slot Fishway.
Journal of Hydraulic Engineering 125(4), 351-360
Autoren:
M. Eng. Jessica Klein
LuFG Wasserbau
Fachhochschule Lübeck
Mönkhofer Weg 239, 23562 Lübeck
Tel.: +49(0) 451 300 5726
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr.-Ing. habil. Mario Oertel
LuFG Wasserbau
Fachhochschule Lübeck
Mönkhofer Weg 239, 23562 Lübeck
Tel.: +49(0) 451 300 5154
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spund-
wände auf die Strömungscharakteristik in techni-
schen Fischaufstiegsanlagen
Mark Musall, Tim Kerlin,
Frank Seidel, Peter Oberle und Daniel Schmidt
Im Rahmen aktueller Forschungsarbeiten werden am Karlsruher Institut für Tech-
nologie (KIT) die hydraulischen Auswirkungen unterschiedlicher seitlicher Be-
randungen bei technischen Fischaufstiegsanlagen (FAA) analysiert. Im Beitrag
werden die wesentlichen Ergebnisse und Schlussfolgerungen der bisherigen Un-
tersuchung vorgestellt.
Stichworte: Fischaufstiegsanlagen, Spundwände, Strömungscharakteristik
1 Einleitung
Zur Verbesserung der ökologischen Durchgängigkeit werden derzeit an vielen
Gewässern existierende Querbauwerke mit Fischaufstiegsanlagen nachgerüstet
bzw. es werden alte, nicht ausreichend funktionsfähige Aufstiegsbauwerke er-
setzt. Insbesondere bei Schlitzpässen und Raugerinne-Beckenpässen kommen
dabei aus bautechnischen Gründen häufig Stahlspundwände als seitliche Be-
grenzung zum Einsatz (vgl. Abschnitt 2). Bedingt durch die Bauform geeigneter
Spundwandprofile und den daraus resultierenden, großen geometrischen Unre-
gelmäßigkeiten der seitlichen Berandungen, sind jedoch Auswirkungen auf die
hydraulische Situation innerhalb der eigentlichen Anlage nicht auszuschließen.
Diese soll sich gemäß gängiger Vorgaben [z.B. DWA, 2014] durch eine eindeu-
tige, durchgehende Leitströmung in der gesamten Beckenkaskade kennzeichnen.
In der Praxis werden deshalb derzeit vor allem bei größer dimensionierten Anla-
gen oftmals Betonvorschalungen vorgesehen bzw. von Behördenseite gefordert,
welche mit entsprechend höheren Kosten für den Bauherrn verbunden sind.
Da zu dieser Thematik bislang keine systematischen Untersuchungen vorliegen,
werden aktuell am Institut für Wasser und Gewässerentwicklung (IWG) des
Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) umfassende Analysen unter Einsatz
physikalischer Laborversuche und numerischer Simulationen durchgeführt. Im
physikalischen Modell erhobene, fischökologisch relevante Messdaten ermögli-
chen dabei die Bewertung der hydraulischen Auswirkungen der unterschiedli-
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302
Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände
auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen
chen Wandgestaltung. Des Weiteren dienen sie der Kalibrierung eines 3D-
numerischen Strömungsmodells, welches zukünftig mittels Übertragung auf an-
dere standortspezifische Geometrien abschließende Aussagen zur Allgemeingül-
tigkeit der gewonnenen Erkenntnisse liefern soll.
2 Vorteile des Einsatzes von Spundwänden
Spundwände stellen ein sehr flexibel einsetzbares Element im konstruktiven
Wasserbau dar. Insbesondere werden sie zur Herstellung und Sicherung von
Baugruben eingesetzt, sie können aber gleichzeitig auch als Bestandteil der
Tragkonstruktion Verwendung finden. Maßgebend für die Ausführung von
Spundwandbauwerken ist die DIN EN 12063. Das Einbringen der Spundwände
erfolgt in der Regel im Press-, Vibrations- oder Rammverfahren.
Abbildung 1: Spundwandprofile für die Anwendung bei Baugruben [Wietek 2011], einge-
setzt werden vor allem die statisch sehr tragfähigen U- und Z-Profile
Ein Verbau mit Spundwänden ist wegen seiner wasserabsperrenden Funktion
und der vollflächigen Wandstützung besonders geeignet für die Absicherung
von Baugruben in offenen Gewässern sowie in Fällen, in denen anstehendes
Grundwasser nicht abgesenkt werden darf bzw. kann (DIN 4124, 2012).
Insbesondere bei Schlitzpässen und Raugerinne-Beckenpässen kommen häufig
Stahlspundwände als seitliche Begrenzung zum Einsatz (vgl. Abbildung 2). In
Kombination mit der Verwendung von Unterwasserbeton ermöglicht dies die
sehr schnelle Errichtung einer trockenen Baugrube ohne zusätzliche Maßnah-
men zur Wasserhaltung wie z.B. Nadelfilteranlagen. Dadurch kann insbesondere
auch das Absenken des Grundwassers (Absenkungstrichter) im Umfeld der
Baugrube vermieden werden, was z.B. bei Lage des Vorhabens in sensiblen
Schutzgebieten von Bedeutung ist. Gleichzeitig kann die räumliche Ausdehnung
der Baugrube auf ein Minimum beschränkt werden und auch geneigte Böschun-
gen sind nicht erforderlich.
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Abbildung 2: Links: Vorbereitung zum Einbringen der Spundbohlen mittels Vibrationsram-
me, rechts: Schlitzpass mit Spundwänden als Tragkonstruktion
3 Modellierung
3.1 Physikalisches Modell und Messtechnik
Es wurde der Ausschnitt eines aktuell in Planung befindlichen Schlitzpasses an
einem Nebengewässer im Oberrheingebiet im Maßstab 1:3 im Labor nachgebil-
det (vgl. Abbildungen 3 und 4). Das Modell zeichnet sich durch eine variable
Wandgestaltung (Spundwände bzw. Vorschalung) sowie in Längsrichtung vari-
abel positionierbare Schlitzeinbauten aus und bietet somit umfangreiche Optio-
nen zur Parametervariation. Durch unterschiedliche Beckenlängen ließen sich je
nach Untersuchungszustand 7 bis 10 Becken in der Modellrinne von 12 m Länge
realisieren. Die verwendeten Spundwände sind dem U-Spundwandprofil Larssen
24 [ThyssenKrupp, 2010] nachempfunden. Um eine Umströmung der Schlitz-
einbauten bei direkt angrenzenden, offenen Spundwandtaschen auszuschließen,
wurden diese mit Metallblechen verschlossen (vgl. Abbildung 4). Die Sohlnei-
gung der Rinne beläuft sich auf ca. 4 %.
Zur messtechnischen Erfassung der Strömungsverhältnisse wurden Fließge-
schwindigkeiten im Schlitzbereich und Wasserstände aufgenommen. Mit der
eingesetzten auf dem Akustik-Doppler-Messprinzip basierenden ADV-Sonde
sind punktuelle dreidimensionale Geschwindigkeitsbestimmungen möglich. Es
wurde in ausgewählten Becken in mittlerer Wassertiefe gemessen, wobei die
Messdauer jeweils 180 s bei einer Frequenz von 25 Hz betrug. Die Wasserstän-
de wurden an jeweils zwei charakteristischen Positionen pro Becken mittels ei-
ner über der Wasseroberfläche positionierten Ultraschallsonde aufgezeichnet,
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304
Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände
auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen
wobei die Daten mit einer Frequenz von 100 Hz über 180 s erfasst wurden
(Messpositionen vgl. Abbildung 4).
Abbildung 3: Modellaufbau im Wasserbaulabor
Abbildung 4: Planskizze des Modellaufbaus im Modellmaßstab 1:3
Der Unterwasserstand und der Durchfluss wurden mittels einer am Modellaus-
lauf angeordneten Klappe bzw. einem Zulaufschieber eingestellt und mit einem
magnetisch-induktiven Durchflussmesser überwacht. Des Weiteren wurden qua-
litative Tracerversuche zur visuellen Detektion von Strömungspfaden und Ver-
wirbelungen durchgeführt, welche zur späteren Auswertung über Fotos und Vi-
deos dokumentiert wurden.
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4 Darstellung der Untersuchungsergebnisse
Frühere Untersuchungen [z.B. Wang et al., 2010, Musall et al., 2014] haben
aufgezeigt, dass die Strömungscharakteristik in Fischaufstiegsanlagen maßge-
bend vom Breiten-zu-Längen-Verhältnis (B/LLB) bestimmt wird. Zur Analyse
möglicher Spundwandeinflüsse wurden deswegen drei verschiede Situationen
mit unterschiedlichen B/LLB-Verhältnissen und daraus resultierenden unter-
schiedlichen Strömungsmustern in den Einzelbecken ausgewählt.
Zunächst wurde der Ausschnitt des Schlitzpasses gemäß der realen Planung mit
einem B/LLB = 0,61 untersucht, wobei sich ein „strömungsstabiler“ Zustand
[vgl. DWA, 2014] einstellt. Es folgten ein B/LLB = 0,45 mit „strömungsdissipie-
rendem“ Strömungsbild und ein B/LLB = 0,56, wo der Übergangsbereich zwi-
schen den beiden eindeutigen Strömungsmustern identifiziert wurde.
4.1 B/LLB = 0,61 – „Strömungsstabiler“ Zustand
Mit eingesetzter Vorschalung und einem B/LLB = 0,61 wurde ein „strömungs-
tabiles“ Strömungsverhalten beobachtet. Es bildete sich ein von Schlitz zu
Schlitz fließender, leicht gebogener Hauptströmungspfad aus. Er schwankte
leicht zwischen einem Auftreffen auf die Leiteinrichtung des Schlitzes und der
in Fließrichtung rechten Außenwand. Die Hauptströmung wurde von zwei aus-
geprägten Rezirkulationswirbeln gestützt (vgl. Abbildung 5, links).
Das Entfernen der Vorschalung zeigte bei diesem Untersuchungszustand nur
geringe Auswirkungen. Es stellte sich mit Spundwänden ein nahezu unveränder-
tes Strömungsmuster ein und auch die Schwankungsbreite des Strahles zeigte
keine sichtbare Veränderung. Der Stützwirbel hinter dem Umlenkblock reichte
nun allerdings bis in die offene Spundwandtasche, während sich in den anderen
Spundwandtaschen beruhigte Bereiche oder nur kleinere Wirbel ohne Auswir-
kung auf die Hauptströmung ausbildeten (vgl. Abbildung 5, rechts). Auch eine
offene Spundwandtasche direkt vor dem Umlenkblock ergab keinen erkennba-
ren Einfluss auf den Durchströmungswinkel des Schlitzes.
Die Analyse der Messwerte der Beckenwasserstände (vgl. Abbildung 8) sowie
der Fließgeschwindigkeiten zeigt ebenfalls nur geringfügige Unterschiede, wel-
che im Rahmen der natürlichen Schwankung bzw. der Messgenauigkeit liegen.
Der in Abbildung 8 erkennbare Effekt leicht erhöhter Wassertiefen in Rinnen-
mitte ist auf bauliche Ungenauigkeiten der Modellsohle zurück zu führen und
somit in allen Untersuchungsszenarien vorhanden und ohne weitere Bedeutung
für die Analyse.
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Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände
auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen
Abbildung 5: Strömungssituationen bei einem B/LLB = 0,61 mit Vorschalung (links) und
Spundwandberandung (rechts)
4.2 B/LLB = 0,45 – „Strömungsdissipierender“ Zustand
Im weiteren Verlauf wurde ein Zustand mit B/LLB = 0,45 untersucht. Bedingt
durch die Verlängerung der Becken bildete sich hier bei eingesetzter Vorscha-
lung erwartungsgemäß ein „strömungsdissipierendes“ Muster. Gekennzeichnet
durch einen stark gebogenen Strömungspfad prallte die Hauptströmung zunächst
auf die linke Außenwand, wurde an der querstehenden Leitwand stark umge-
lenkt und prallte schließlich noch auf die rechte Außenwand. Von dort floss die
Strömung dann zum nächsten Schlitz. Es entwickelte sich eine große Rezirkula-
tionszone unterstrom des Umlenkblocks (vgl. Abbildung 6, links).
Nach Entfernen der Vorschalung vor den Spundwänden konnten in diesem Zu-
stand einige Unterschiede in der Strömungscharakteristik festgestellt werden.
Die Hauptströmung prallte zwar immer noch gegen die linke Außenwand, wur-
de jedoch im weiteren Verlauf durch kleine Wirbel, welche sich in den Spund-
wandtaschen ausbildeten, zur Mitte gedrückt, wodurch sich insgesamt ein etwas
„glatterer“ Strömungspfad durch das Becken hindurch mit geringer ausgepräg-
ten Umlenkungen einstellte. Ein zusätzlicher, starker Aufprall auf die rechte
Außenwand blieb i.A. aus bzw. erfolgte nur noch gelegentlich im Rahmen der
Schwankung der Hauptströmung (vgl. Abbildung 6, rechts).
Die Betrachtung der Wassertiefen in Abbildung 8 zeigt ausgehend von einem
identischen Unterwasserstand nach oben hin abnehmende Wassertiefen bei der
Spundwandvariante. Die Wassertiefendifferenz in den oberen Becken (1, 2, 3)
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liegt bei ca. 1 – 1,3 cm, was ca. 4 – 5 % der Beckenwassertiefe entspricht. Dies
bedeutet aufgrund des identischen Modelldurchflusses bei beiden Varianten eine
Erhöhung der Abflussleistung um ca. 4 – 5 % bei Einsatz einer Spundwandbe-
randung. Ursächlich dafür erscheinen im Wesentlichen die geringeren Umlen-
kungsverluste bedingt durch den „glatteren“ Strömungsverlauf.
Abbildung 6: Strömungssituationen bei einem B/LLB = 0,45 mit Vorschalung (links) und
Spundwandberandung (rechts)
4.3 B/LLB = 0,56 - Übergangsbereich
Beim dritten Modellzustand wurde ein B/LLB = 0,56 eingestellt. Dabei wurde bei
eingesetzter Vorschalung in den obersten Becken 1 bis 3 ein „strömungsstabi-
les“ Verhalten beobachtet, die untersten Becken 7 bis 9 waren demgegenüber
durch „strömungsdissipierende“ Strömungscharakteristik gekennzeichnet und in
den mittleren Becken 4 bis 6 bildete sich ein Übergangsbereich zwischen dem
„strömungsstabilen“ und dem „strömungsdissipierenden“ Zustand aus. Hier lag
ein unregelmäßiger Wechsel der Hauptströmung zwischen einem Strahl von
Schlitz zu Schlitz (vgl. Abbildung 7, links) zu einem stark gekrümmten Strahl,
welcher auf beide Außenwände traf (vgl. Abbildung 7, Mitte), vor. Es kam ab-
schnittweise zu Strömungsverhältnissen, die keinem der beiden Mustern zuzu-
ordnen waren, wobei diese Übergangsphasen im Modell ca. 4 – 35 s (real: 7 –
60 s) andauerten und die jeweiligen Strömungsmuster für ca. 7 – 20 s (real: 12 –
35s) erkennbar waren.
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308
Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände
auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen
Nach Entfernen der Vorschalung der Spundwände stellte sich demgegenüber in
allen Becken der Rinne ein „strömungsstabiles“ Muster ein. In den Spundwand-
taschen bildeten sich beruhigte Bereiche oder nur kleinere Wirbelsysteme (vgl.
Abbildung 7, rechts).
Abbildung 7: Strömungssituation bei einem B/LLB = 0,56 mit Vorschalung und Ausschlag
Richtung SM 1 (links), mit Ausschlag Richtung SM 2 (Mitte) und mit Spundwandberandung
(rechts)
Betrachtet man die Wassertiefen in Abbildung 8, so sind bei eingesetzter Vor-
schalung generell deutlich größere Wassertiefen erkennbar, lediglich der mo-
delltechnisch fixierte Unterwasserstand ist identisch. Die Unterschiede nehmen
im Verlauf zunächst stark zu und reduzieren sich zum oberen Modellrand hin
dann wieder etwas. In den Becken 4 bis 6 beträgt die Wassertiefendifferenz zwi-
schen Vorschalung und Spundwandberandung ca. 3 – 3,5 cm. Dies ist gleichbe-
deutend mit ca. 11 - 13 % niedrigeren Wassertiefen im Übergangsbereich.
Betrachtet man diese Ergebnisse, erkennt man einen deutlichen Unterschied be-
züglich der Anlagenleistungsfähigkeit im unteren Rinnenbereich bedingt durch
die Änderung des Strömungsmusters. Hier kommt es im Falle einer Spund-
wandberandung bei identischem Abfluss zu deutlich geringeren Wassertiefen
und damit auch zu höheren Fließgeschwindigkeiten. Die unterstrom des Schlit-
zes ermittelten maximalen Fließgeschwindigkeiten liegen hier mit Spundwänden
um ca. 10 – 15 % höher. Im mittleren Rinnenabschnitt, wo sich mit Vorscha-
lung ein strömungstechnischer Übergangsbereich einstellte, sind die Unterschie-
de vergleichsweise gering und aufgrund der im unteren Modellabschnitt verur-
sachten großen Wasserspiegeldifferenz, welche hier nun etwas abgebaut wird,
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nicht abschließend zu beurteilen. Im oberen Rinnenabschnitt zeigen sich kaum
Veränderungen, was zu den Erkenntnissen aus Abschnitt 4.1 passt.
Abbildung 8: Wassertiefen in den einzelnen Becken bei den untersuchten Szenarien
5 Zusammenfassung & Ausblick
Der Einsatz von Spundwänden im Gegensatz zu einer ebenen Berandung führte
bei dem untersuchten technischen Schlitzpass im Planungszustand zu keiner er-
kennbaren Beeinflussung der Strömungscharakteristik. Ergänzende Untersu-
chungen mit veränderter Beckengeometrie (Verlängerung der Becken zur Er-
zeugung abweichender Strömungsmuster) zeigten dagegen deutliche Tendenzen
hin zu einer „Glättung“ der Hauptströmung. Abhängig von den gewählten Be-
ckenabmessungen konnte es dabei auch zu einer vollständigen Veränderung des
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310
Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände
auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen
Strömungsmusters bedingt durch die Art der Berandung kommen. Hier führte
der Einsatz von Spundwänden tendenziell zu einer höheren Anlagenleistungsfä-
higkeit, was sich in etwas geringeren Wassertiefen und erhöhten Maximalge-
schwindigkeiten unterstrom des Schlitzes zeigte.
Im weiteren Verlauf der Untersuchungen werden die Ergebnisse durch numeri-
sche Berechnungen ergänzt, wobei insbesondere auch die Übertragbarkeit der
Untersuchungsergebnisse auf andere FAA-Geometrien analysiert werden soll.
6 Literatur
DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (2012): 4124 - Baugruben und Gräben -
Böschungen, Verbau, Arbeitsraumbreiten. Beuth Verlag GmbH Berlin.
DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (1999): EN 12063 Spundwandkonstruktionen.
Beuth Verlag GmbH Berlin.
DWA (2014): Merkblatt DWA-M 509: Fischaufstiegsanlagen und fischpassierbare
Bauwerke, Hennef
Musall, M., Oberle, P., Henning, M., Weichert, R., Nestmann, F.: „Analysen zu
Strömungsmustern in technischen Fischaufstiegsanlagen“ In: 37. Dresdner
Wasserbaukolloquium „Simulationsverfahren und Modelle für Wasserbau und
Wasserwirtschaft“, Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen Heft 50, S. 353-362,
2014
ThyssenKrupp (2010): Spundwandhandbuch, im Internet: https://www.yumpu.com/de/
document/view/8472688/spundwandhandbuch-thyssenkrupp-bautechnik/2
Wang, R. W., David, L., Larinier, M.: Contribution of experimental fluid me-chanics to
the design of vertical slot fish passes, Knowledge and Management of Aquatic
Ecosystems 396, 02, 2010
Wietek, B. (2011): Böschungen und Baugruben – ohne und mit Verbau. Vieweg und
Teubner Verlag – Springer Fachmedien Wiesbaden.
Autoren:
Dr.-Ing. Mark Musall
Tim Kerlin, cand. M.Sc.
Dr.-Ing. Frank Seidel
Dr.-Ing. Peter Oberle
Institut für Wasser und Gewässerentwick-
lung, Karlsruher Institut für Technologie,
Kaiserstraße 12, 76131 Karlsruhe
Tel.: +49 721 6084 3163
Fax: +49 721 6084 2992
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. (FH) Daniel Schmidt
IPP HYDRO CONSULT GmbH
Gerhart-Hauptmann-Str. 15
03044 Cottbus
Tel.: +49 355 75 70 05 19
Fax: +49 355 75 70 05 22
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe
von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen
Gereon Hermens
Gerrit Fiedler
Bei zahlreichen Fischaufstiegsanlagen (FAA) muss im Auslaufbereich dem Be-
triebsdurchfluss Dotationswasser zugeführt werden, um eine ausreichend starke
Leitströmung unterhalb der Staustufe zu generieren. Dieses Dotationswasser wird
in der Regel aus dem Oberwasser der Staustufe entnommen. Um die Passierbar-
keit der FAA durch die Einleitung in die Aufstiegsanlage nicht einzuschränken,
sind spezielle Anforderungen hinsichtlich Geschwindigkeit und Richtung der
Wasserzugabe einzuhalten. Hierzu muss das Dotationswasser vor der Einleitung
in die FAA zumeist durch Energieumwandlung verlangsamt und beruhigt werden.
In der vorliegenden Ausarbeitung wird dargestellt, welche Betrachtungsansätze
für die mathematische Beschreibung dieser Energieumwandlung aktuell zur Ver-
fügung stehen und warum diese zur Beantwortung der Fragen nicht ausreichen.
Anhand von aktuellen Planungen zum Bau von Pilotanlagen für die WSV werden
die gewählten Entwürfe zur Dotationswassereinleitung dargestellt und ein Aus-
blick auf die weiterhin offenen Fragen gegeben
Stichworte: Energieumwandlung, Strömungsberuhigung, Strömungsaufweitung,
Dotation, Passierbarkeit von Fischaufstiegsanlagen
1 Das Problem der Energieumwandlung und Einleitung
In der Regel muss der Einstieg der Fischaufstiegsanlage (FAA) sohlnah ange-
bunden werden, was dazu führt, dass der Einstiegsschlitz über die gesamte Un-
terwassertiefe ausgeführt werden muss. Darüber hinaus reicht das eigentliche
Betriebswasser einer Fischaufstiegsanlage nicht aus, die Auffindbarkeit im Un-
terwasser zu gewährleisten, so dass im unteren Bereich der Anlage die Strömung
verstärkt werden muss. Dies geschieht durch Zugabe von Dotationswasser in das
Einstiegsbecken der FAA. Dieses Dotationswasser stammt in der Regel aus dem
Oberwasser der Staustufe und strömt nach der Entnahme zunächst auf dem
Oberwasserniveau durch einen Zulaufkanal. Da sich das Einstiegsbecken der
FAA jedoch auf dem Niveau des Staustufenunterwassers befindet, ergibt sich
eine überschüssige hydraulische Energie im Dotationswasser in der Größenord-
nung der Staustufenfallhöhe. Um die Passierbarkeit im Bereich der Einleitung
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312 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen
und im Einstiegsbecken zu gewährleisten, ist es erforderlich diese überschüssige
Energie vor der Einleitung zu reduzieren (Energieumwandlung).
Es handelt sich somit um zwei hydraulische Einzelvorgänge, deren mathemati-
sche Dimensionierung derzeit nicht ohne weiteres möglich ist: Die Energieum-
wandlung und die Einleitung in die FAA.
1.1 Energieumwandlung
Bisher steht keine Berechnungsformel zur Dimensionierung eines Energieum-
wandlungsbeckens zur Verfügung. In Analogie zur Dimensionierung der FAA
nach aktuellem Regelwerk (DWA, 2014) wird zur Ermittlung bisher häufig die
nachstehende Formel für die Leistungsdichte als Hilfsgröße herangezogen.
Pd = ρ*g*Q*Δh/Beckenvolumen [W/m³]
mit: Pd = Leistungsdichte
ρ = Dichte von Wasser
g = Gravitationskonstante
Q = Dotationswassermenge
Δh = Höhendifferenz der Energielinie im Dotationswassersystem ober-
und unterhalb der Energieumwandlung
VB = Beckenvolumen (hier: Zielgröße)
Allerdings kann der Grenzwert für die Leistungsdichte bislang nur anhand von
empirischen Vergleichswerten gewählt werden, eine eindeutige Ermittlung der
erforderlichen Beckengröße ist nicht möglich. Ist sie zu klein, wird zu viel Ener-
gie in die FAA eingetragen und somit die Passierbarkeit gefährdet. Bei einer zu
großen Beckenauslegung entstehen entsprechend unnötige Mehrkosten, die ge-
genüber dem Bauherren nicht zu begründen sind. In Abbildung 1 sind zur Ver-
deutlichung der Problematik exemplarisch Energieumwandlungsbecken an
FAAn an der Eifel-Rur (linkes Bild) sowie an der Lahn (rechtes Bild) aufge-
führt.
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„Bemessung im Wasserbau“ 313
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Abbildung 1: mittlere Leistungsdichte Pd für vorhandene Energieumwandlungsbecken (Quel-
le: Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH)
Im linken Beispiel wird das Dotationswasser im hinteren Teil in das Becken
eingeleitet. Es ist deutlich zu erkennen, wie sich die Energiedichte nach vorne
hin reduziert.
Im rechten Beispiel wird das Dotationswasser zunächst in das linke Becken mit-
tels Rohrleitung an der unteren Stirnseite tief eingeleitet, zu erkennen an der
leichten Verwirbelung am unteren Bildrand. In dem nachgeschalteten rechten
Becken ist die Energiedichte hingegen sehr hoch.
In einer frühen französischen Ausarbeitung aus den 1990er Jahren wurde der
mögliche Energieeintrag in das Energieabbaubecken mit 1000 – 1500 W/m³ be-
ziffert, wobei auch hier auf die Problematik der anschließenden Dotationseinlei-
tung hingewiesen wurde (LARINIER 1995).
1.2 Dotationseinleitung
Ist die Energieumwandlung im Energieabbaubecken zu gering, wirkt sich die
mit der Einleitung verbundene Querströmung oder gar Turbulenz in der FAA
negativ auf den Wanderkorridor innerhalb der FAA und somit auf die Passier-
barkeit aus.
125 W/m³
35 W/m³ 1100 W/m³
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314 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen
Abbildung 2: links sehr starke Turbulenzen in der FAA, rechts deutliche Aufwirbelung,
(Quelle: Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH)
In Abbildung 2 ist deutlich zu erkennen, dass die Strömung in den Becken der
FAA von der seitlichen Einleitung aus den Energieumwandlungsbecken beein-
flusst wird und damit die Passierbarkeit in diesem FAA-Bereich eingeschränkt
wird.
2 Stand des Wissens
2.1 Energieumwandlung
Wie oben bereits beschrieben wurde, muss die überschüssige Energie des Dota-
tionswassers vor der Einleitung in die FAA reduziert werden (Abbildung 3). Für
die Umsetzung dieser Maßnahmen sind Bauwerke notwendig, die in der Regel
gemeinsam mit der FAA in eine bestehende Staustufe integriert werden müssen.
Hierbei liegt im Normalfall eine Vielzahl an konstruktiven Zwangspunkten vor,
weshalb sich eine allgemeingültige Anordnung und Bemessung von Zuleitun-
gen, Energieumwandlung und Einleitung schwierig beschreiben lassen.
Die Umwandlung von überschüssiger Energie in Wärme und Schall kann im
Wasserbau durch verschiedene Mechanismen erfolgen. Hierzu gehört die Rei-
bung zwischen Wasser und Gerinneoberfläche, die Reibung zwischen Wasser
und Luft, die innere Reibung des Wassers sowie die Energieumwandlung durch
Aufprall.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 315
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1 2 3
Drucklinie
Energielinie
Oberwasser
Unterwasser
(Einstiegsbecken FAA)
Energiehorizont
hU
mw
andlu
ng
Dotationsleitung
Bezugshorizont
Energ
ie-
um
wandlu
ng
4
Lageenergiehöhe
Druckhöhe
Geschwindigkeitshöhe
Abbildung 3: Vereinfachte Darstellung der notwendigen Energieumwandlung für die Einlei-
tung von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen anhand der Energieerhaltung (Quelle:
BAW)
Eine einfache theoretische Herangehensweise zur Begrenzung der in einem
Wasserkörper befindlichen Leistungsdichte kann, wie in Abbildung 13 darge-
stellt, genutzt werden, um das Volumen eines Energieumwandlungsbeckens zu
bestimmen. Hiermit kann die durch die überschüssige Energiehöhe abgegebene
Leistung in einem definierten Wasserkörper ideell beschrieben werden. Aller-
dings wird anhand dieser Herangehensweise weder die Bemessung einer geeig-
neten Beckengeometrie noch eine Optimierung der energieumwandelnden Me-
chanismen erreicht.
Ähnliche Problemstellungen gibt es in der Siedlungswasserwirtschaft und dem
Kanalbau, wofür diverse Energieumwandlungsbauwerke entwickelt wurden.
Beispielsweise zählen hierzu Gegenstrom-Tosbecken, Fallschächte, Aufprallbe-
cken und Beruhigungsschächte, deren Dimensionierung ausschließlich empiri-
sche Ansätze zugrunde liegen. Zudem besteht auch die Möglichkeit, die über-
schüssige Energie mit einer kleinen Turbine abzuarbeiten und in nutzbare elekt-
rische Energie umzuwandeln. Um solche Bauwerke für die Energieumwandlung
des Dotationswassers anwenden zu können, müssen sie für den erforderlichen
Betriebsbereich, definiert durch die Spannweite der auftretenden Fallhöhen und
Durchflüsse, bemessen werden. Um einen sachgerechten Betrieb zu gewährleis-
ten, ist man bisher noch immer häufig auf Modellversuche angewiesen, da die
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316 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen
Übertragbarkeit der vorliegenden Bemessungswerke (z. B. Vollmer (1975)) auf
die benötigten Betriebspunkte z. T. mit größeren Unsicherheiten verbunden ist.
2.2 Zugabe des Dotationswassers
Nach der Energieumwandlung muss das Dotationswasser in das Einstiegsbecken
der FAA geleitet werden. Hierfür wird nach aktueller Literatur (DWA, 2014)
eine Einschwimmbarriere in Form eines Feinrechens empfohlen, der gleichmä-
ßig mit einer Strömungsgeschwindigkeit von nicht mehr als 0,4 m/s und mög-
lichst beruhigt durchströmt werden soll.
In der Regel verursacht das Zuleitungssystem in Form einer Rohr- oder Kanal-
ausführung dreidimensionale Strömungsverteilungen, wodurch der Feinrechen
nicht ohne weitere Maßnahmen gleichmäßig und beruhigt durchströmt wird. Um
diesen Effekten entgegen zu wirken, muss die Dotationsströmung vor der Einlei-
tung vergleichmäßigt, beruhigt und auf die Strömungsfläche der Einschwimm-
barriere ausgeweitet werden.
Die Vergleichmäßigung eines Strömungsprofils kann z. B. durch trichterförmige
Fließquerschnittsausweitungen erfolgen, welche jedoch aufgrund von kleinen
Ausweitungswinkeln häufig lange Bauwerke erzwingen. Eine Möglichkeit für
die Beschleunigung eines Vergleichmäßigungsprozesses ist die turbulente Ver-
mischung mit anschließender Beruhigung. Für die Umsetzung dieser Maßnah-
men sind für einfache Geometriefälle Berechnungsansätze für entsprechende
Einbauten aus einschlägiger Literatur (z. B. Smith (1966)) zu entnehmen oder
für kompliziertere Fälle Modellversuche/-berechnungen durchzuführen.
3 Die geplante Umsetzung
Der Pilotstandort FAA Eddersheim am Main der WSV ist durch räumliche Enge
geprägt, welche aufgrund der Insellage zwischen WKA und Schleuse hervorge-
rufen wird. In einer mehrjährigen Versuchsreihe soll hier u.a. in mehreren Ein-
stiegen untersucht werden, wie sich die Leitströmung auf die Auffindbarkeit
auswirkt. Für diesen Zweck muss in jedem vorgesehenen Einstieg eine größere
Dotationswassermenge eingeleitet werden können.
Für einen dieser Stränge müssen 3,2 m³/s als Dotationswasser bereitgestellt wer-
den, welches zuvor ein Höhenniveau von ca. 3,4 m abbauen und vor der Zugabe
in die FAA ausreichend beruhigt werden muss. In Abbildung 4 ist die Anord-
nung dieser Dotationswasserzugabe schematisch im Schnitt dargestellt.
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Abbildung 4: Zulaufkanal und Energieumwandlungsbecken mit Strömungsberuhigung vor dem Zu-
gaberechen in die FAA (Quelle: Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH)
Das geplante Energieumwandlungsbecken verfügt über rund 120 m³, so dass der
mittlere Energieeintrag ohne weitere Einbauten bei rund 650 W/m³ liegt. Es
wird daher geprüft, ob zusätzliche Beruhigungselemente vorzusehen sind, um
die Strömung vor dem Zugaberechen in das Einstiegsbecken der FAA weiter zu
beruhigen.
Die zulässige mittlere Fließgeschwindigkeit am Zugaberechen wird über den
oben genannten Grenzwert definiert, wobei dieser bei den Pilotanlagen Edders-
heim und Lauffen sogar auf 0,2 m/s reduziert wurde.
Der Zugaberechen muss entsprechend ausreichend groß dimensioniert werden.
Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass am Rechen auch lokal keine signifikant
höheren Fließgeschwindigkeiten auftreten. Um dies zu gewährleisten, sind vor
der Rechenebene ergänzende Einrichtungen zur Strömungslenkung (z.B. Leit-
wände) vorzusehen. Deren konkrete Ausgestaltung wird in den unten näher be-
schriebenen laufenden Untersuchungen der Bundesanstalt für Wasserbau
(BAW) ermittelt.
4 Durchgeführte Untersuchungen
Die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) führt im Rahmen eines Forschungs-
projektes Untersuchungen über die Bemessung von Sonderbauwerken in Fisch-
aufstiegsanlagen durch. Hierzu zählen im Kontext dieses Beitrags auch Ener-
gieumwandlungsbecken und Einbauten für die Einleitung von Dotationswasser.
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318 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen
Für die Planung der Fischaufstiegsanlage Wallstadt an der Bundeswasserstraße
Main wurde ein Modellversuch abgeschlossen, indem verschiedene Bauweisen
für die Einleitung des Dotationswassers untersucht wurden (Abbildung 5). Das
Ziel war hierbei, das Dotationswasser gleichmäßig und beruhigt in das Ein-
stiegsbecken zu leiten. Aufgrund räumlicher Enge und konstruktiven Zwangs-
punkten wurde für die Ausführung eine kompakte Bauweise für die Einleitung
gesucht.
Die Ergebnisse der Untersuchungen haben gezeigt, dass die Zulaufbauweise so-
wie deren Anströmung aus dem Rohrsystem einen starken Einfluss auf die
Strömungsverteilung am Rechen haben. Eine Vorzugsvariante der Untersuchun-
gen in Ausführung einer Sohlstufe vergleichmäßigt die aus dem Rohrsystem
stammende dreidimensionale Strömung durch turbulente Vermischungseffekte.
Nachdem sich ein gleichmäßiges Strömungsprofil eingestellt hatte, konnten zu-
dem mit dem Einsatz von wabenförmigen Gleichrichtern starke Beruhigungsef-
fekte erreicht werden (Fiedler, 2016). Die Vorzugsvariante für den Standort
Wallstadt, bietet sich an, um auf andere Planungen (z. B. Standort Eddersheim
am Main) mit ähnlicher Bauwerksanordnung übertragen zu werden.
Abbildung 5: Gegenständliches Modell für die Untersuchung von Zulaufbauweisen für die
gleichmäßige und beruhigte Einleitung von Dotationswasser (Quelle: BAW)
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Momentan werden an der BAW vergleichbare Untersuchungen für den Standort
Lauffen am Neckar durchgeführt. Hierbei wird die Energieumwandlung durch
einen Fallschacht hinsichtlich einer geringen Turbulenzintensität und Luftein-
trag in der Abströmung untersucht. Für die Einleitung des Dotationswassers
werden weitere Möglichkeiten zur Strömungsausweitung und gleichmäßigen
Durchströmung des Rechens erprobt. Auch am Standort Lauffen herrschen be-
sonders enge Platzverhältnisse, weshalb auch hier eine möglichst kompakte Lö-
sung gemäß Abbildung 6 gesucht wird.
Fallschacht
Dotationszulauf
als Kanal
Dotationsbecken
Fischaufstiegsanlage
Rechen
Unterwasser der
Staustufe
QDot
QFAA
QLeit
QWKA
QLeit
Einstieg 1
Einstieg 2
Abbildung 6: Draufsicht des gegenständlichen Modells zur Umsetzung der Dotation in der
Fischaufstiegsanlage Lauffen (Quelle: BAW)
5 Ausblick
Um allgemein gültige Aussagen für die Bemessung von Energieumwandlungs-
bauwerken sowie für Einbauten zur Einleitung treffen zu können, sind an der
BAW weitere Untersuchungen geplant. Hierfür soll die Anwendbarkeit und
Übertragbarkeit der Bemessungswerte bestehender Energieumwandlungsbau-
werke auf die Betriebsbereiche von Fischaufstiegsanlagen ausgeweitet werden.
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320 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen
Für die Einleitung des Dotationswassers werden zukünftig weitere Untersu-
chungen über Einbauten zur Strömungsausweitung, Vergleichmäßigung und Be-
ruhigung durchgeführt. Hierbei wird das Ziel verfolgt, diesen Teil des Bauwerks
möglichst kompakt auszuführen und mit allgemeingültigen Aussagen bemessen
zu können.
6 Literatur
DWA – Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (2014):
Merkblatt 509 Fischaufstiegsanlagen und Fischpassierbare Bauwerke – Gestaltung,
Bemessung, Qualitätssicherung.
Fiedler, G. (2016): Bauweisen für die beruhigte und gleichmäßig verteilte
Durchströmung eines spitzwinkligen Dotationsbeckens, Kolloquiumsreihe der
BAW und BfG, Karlsruhe 2016
Larinier, M. (1995): Passes à poissons. – Paris (Conceil Supérieur de la Pêche).
Smith, C. (1966): Use of baffles in open channel expansion, Journal of Hydraulic
Division, University of Tennessee 1966
Vollmer, E. (1975): Energieumwandlung und Leistungsfähigkeit des Gegenstrom-
Tosbeckens, Mitteilungen des Instituts für Wasserbau Universität Stuttgart,
Stuttgart 1975
Autoren:
Dipl.-Ing. Gereon Hermens
Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH
Bachstraße 62-64
52066 Aachen
Tel.: +49 241 94986-0
Fax: +49 241 94986-13
E-Mail: gereon.hermens@floecksmuehle-
fwt.de
Gerrit Fiedler M.Sc.
Bundesanstalt für Wasserbau
Abteilung Wasserbau im Binnenbereich
Referat Wasserstraße und Umwelt (W1)
Kussmaulstr. 17
D - 76187 Karlsruhe
Tel.: +49 721 9726-5240
Fax: +49 351 01234 56
E-Mail: [email protected]
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Wellenumlenker in der Freibordbemessung
Reinhard Pohl
Höhere Bemessungswasserstände bei Stauanlagen führen zu einer Freibordvemin-
derung. Damit diese nicht zu Lasten der Stauanlagensicherheit geht, können Wel-
lenumlenker eingesetzt werden. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit de-
ren Konstruktion und Bemessung.
Stichworte: Schlagwörter: Freibord, Wellenumlenker, Wellenauflauf, Ufermauer
Key Words: Freeboard, Wave Deflector, Wave Run-up, recurved Sea Wall
1 Einführung
Wenn für Stauanlagen höhere Bemessungsabflüsse ermittelt werden oder das
Stauziel auf Grund von Nutzungsänderungen erhöht werden soll, wird damit zu-
nächst die Freibordhöhe vermindert. Auch wenn keine Freibordreserve vorhanden
ist, darf dies nicht zu Lasten der Anlagensicherheit gehen. Um das Sicherheitsni-
veau zu halten, können die in Abb. 1 genannten Maßnahmen einzeln oder in Kom-
bination ergriffen werden.
Abbildung 1: Mögliche Maßnahmen bei Freiborddefiziten (Pohl 2016)
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322 Wellenumlenker in der Freibordbemessung
2 Kronenelemente
Eine sehr vorteilhafte konstruktive Maßnahme zur Kompensation von Freibord-
defiziten ist die Anordnung von Kronenelementen. Diese können aus Beton oder
auch aus Metall hergestellt sein. Wenn sie auf die Krone aufgesetzt werden, ver-
größern sie die Freibordhöhe. Wenn sie zusätzlich auf der Wasserseite konkav
ausgerundet sind, können sie eventuell auflaufende Wellen (Windwellen,
Schwallwellen) von der Krone ablenken und werden deshalb auch als Wellenum-
lenker bezeichnet. Die Anwendungsbereiche sowie die Vor- und Nachteile dieser
Elemente sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit für typische Ausführungen in
der Tabelle dargestellt.
3 Wellenumlenker
Die auflaufvermindernde Wirkung von Wellenumlenkern wird schon seit längerer
Zeit vor allem im Seebau und Küstenschutz genutzt. Beispiele hierfür sind neben
vielen anderen weltweit die ausgerundeten Ufermauern in San Francisco, CA
(USA 1930), Galveston, TX (USA 1965), in Exmouth, Devonshire (GB) und die
Wellenumlenker bei Dranske, Rügen (D 1980) – s. Abb. 2.
Abbildung 2: Ausführungsbeispiele für Wellenumlenker (v. l. n. r.) 1. als Polygon ausgebildeter
Wellenumlenker auf der Krone der Talsperre Bautzen (Nr. 3 in Abb. 4), 2. in den Dammkörper
eingelassener Umlenker an der Talsperre Nonnweiler (Nr. 13 in Abb. 4), 3. Ausgerundete Was-
serseite mit aufgesetzter Wellenschutzmauer auf dem Damm des oberen Großhartmannsdorfer
Teiches der Revierwasserlaufanstalt Freiberg, 4. Raudeckwerk und Wellenumlenker an der Ost-
seite des Süßen Sees bei Eisleben, 5. Asphaltrauhdeckwerk und Wellenumlenker südlich von
Dranske (Rügen), 6. Ausgerundete Ufermauer in Exmouth, Devonshire (GB). Bildquelle: Pohl
Abbildung 3: Zwischenlager der Wellenumlenker (Nr. 12 in Abb. 4) vor dem Einbau am Ober-
becken des PSW Säckingen (Eggbergbecken). Bildquelle: Pohl
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Die Ausrundung folgt dabei oft einem Kreisbogen, der im oberen Bereich auch
durch eine Ellipse abgeschossen werden kann. Der Strahlablösungswinkel des
umgelenkten Strahles kann dann zwischen 45° und 90° (horizontal) liegen.
Abbildung 4: Verschiedene Wellenumlenker: 1 TS Ohra, 2/3 TS Bautzen alt/neu, 4/5/6 PSW
Markersbach UB, OB alt/neu [13], 7 TS Schönbrunn, 8 TS Lichtenberg, 9 TS Ratscher, 10 TS
Schömbach, 11 PSW Glems OB, 12 PSW Säckingen OB, 13 TS Nonnweiler. Bildquelle: Pohl
4 Bemessung
Die Bemessung der Wellenumlenker und anderer Kronenelemente muss aus hyd-
raulischer und Sicht und im Hinblick auf die Tragfähigkeit (statisch-dynamisch)
erfolgen.
Beim Nachweis der hydraulischen Wirksamkeit gilt es, die auflaufvermindernde
Wirkung der Elemente zu erfassen. Die Fragestellung kann in Abhängigkeit von
dem Bemessungskriterium lauten: Um wieweit verschiebt sich der Überlaufbe-
ginn auf der Skala der relativen Freibordhöhe hf/R in Abb. 6 gegenüber einer an-
sonsten gleich geneigten und gleich rauen Böschung ohne Umlenker oder wie
groß ist der Wellenüberlauf qT in Abhängigkeit von der Umlenkerhöhe hu, der
Freibordhöhe hf und den Wellenkennwerten H, T ?
Der Bemessungsrechengang und die Festlegung der erforderlichen Freibordhöhe
werden nun vom gewählten Bemessungskriterium bestimmt, welches z. B. aus
den nachfolgenden Möglichkeiten gewählt werden kann:
1. Die Dammkrone wird so ausgelegt, dass nur ein bestimmter Anteil der Wellen-
aufläufe zu einem Überlauf führt. Bei P = 2% bzw. F = 1 – P = 98% würden z.
B. die beiden größten von 100 Aufläufen überlaufen. Dieses Kriterium wird
häufig in der Praxis verwendet, wobei auf das DVWK-Merkblatt 246/1996 Be-
zug genommen wird.
2. Ein kritisches Überlaufvolumen (z. B. (qT)max = 2 m³/m bei einem Seedeich –
EuroTop 2016) darf nur von einem bestimmten Anteil der Überlaufeinzelereig-
nisse überschritten werden. Bei P = 3% dürften dann 3 von 100 Überlaufvolu-
mina größer als (qT)max sein. Dieses Kriterium geht von der Annahme aus, dass
nur größere zu häufige Überläufe dem Bauwerk schaden, kleinere aber nicht.
1 m
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
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324 Wellenumlenker in der Freibordbemessung
3. Der mittlere quasistationäre spezifische Überlauf darf einen Grenzwert (z. B.
qmax = 0,005 m²/s – EuroTop 2016, S. 41) nicht überschreiten. Hierbei wird von
der Gesamtwassermenge als kritische Einwirkung ausgegangen, wobei seltene
hohe Einzelüberläufe toleriert werden. Dieses Kriterium wird oft bei Seedei-
chen verwendet, bei denen höhere Schutzziele nicht wirtschaftlich realisierbar
sind. Andererseits ist ein Vergleich des Wellenüberlaufes mit Starkniederschla-
gereignissen deren Abfluss von der Krone sicherlich ein sinnvoller Vergleichs-
wert, da der Damm auch dieser Belastung widerstehen können muss.
4. Eine Kombination aus den Kriterien 2 und 3, wenn seltene hohe Einzelüber-
läufe nicht toleriert werden können.
5. In einer bestimmten Zeit darf nur eine bestimmte Anzahl von Überläufen ein
kritisches Volumen (qT)max überschreiten (z. B. zweimal pro Stunde (qT) >
(qT)max = 0,25 m³/s.)
Druet 1963 schlägt für die Ausrundung des Umlenkers einen Radius 𝑟 ≈ 0,6 ∙𝑐/𝑐𝑜𝑠𝛼 vor, wobei die Höhe der Ausrundung c = 3·dR dem Dreifachen der
Schwalldicke am Aufstellort entsprechen soll. Schajtan 1974 schlägt einen Wel-
lenumlenker vor, dessen Höhe hu = 1
2 H der halben Bemessungswellenhöhe ent-
spricht, dessen unterer Teil der Ausrundung ein Kreisbogen mit dem Radius
r = 1
3 H ist und dessen oberer Teil der Ausrundung eine Ellipse mit dem kleinen
Halbmesser von ungefähr 𝐻
10 ist. Keberle und Kolnykow (SU Pat. 1194952 E02B
3/06) hatten eine etwa 1 m hohe Ufermauer mit nach der Wasserseite um den
Betrag 0,14 … 0,16 ∙ H auskragender Rundung (r = 0,1 ∙ H) vorgeschlagen.
Hydraulische Berechnungsansätze wurden vom Verfasser auf der Grundlage von
Modellversuchen formuliert (Pohl 1991) und zeigten, dass bei entsprechenden
Verhältnissen die Freibordhöhe durch Wellenumlenker bis ungefähr auf die
Hälfte reduziert werden kann, wenn sichergestellt ist, dass der Brecherstrahl auf
die Böschung unterhalb des Umlenkers trifft und die Wellenhöhe nicht größer als
etwa die doppelte Umlenkerhöhe ist Abb. 6).
Abbildung 5: Definitionsskizze zum Wellenüberlauf: 1 ohne Kronenelement, 2 Ufermauer, 3
Wellenumlenker Kreis und Ellipse, Wellenumlenker logarithmische Spirale
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Abbildung 6: Versuchsergebnisse zum Wellenüberlauf ohne und mit verschiedenen Wel-
lenumlenkern. Wellenüberlaufvolumen als Funktion der normierten Freibordhöhe. – Bild-
quelle: Pohl
Abbildung 7: Links: Wellenauf- und Überlaufversuche mit Wellenumlenkern (hier Sturzbre-
cher auf einer 1:3 geneigten glatten Böschung) TU Dresden 1987. Rechts: Versuchsstand zum
Wellenauf- und Überlauf mit Wellenumlenker TU Dresden 2017. Bildquelle Pohl
Die Versuchsergebnisse sind auch in
das Berechnungsprogramm „Freibord“
integriert worden, welches eine hohe
Flexibilität in der Anpassung an kon-
struktive Ufergestaltungen aufweist und
neben der Berücksichtigung von Kro-
nenelementen noch weitere über das
DVWK-Merkblatt 246 hinausgehende
Abbildung 8: Berechnungsprogramm „Frei-
bord“ mit Auswahlmenü für die in Abb. 5 vor-
gestellten Böschungs- und Ufergestaltungen. –
Bildquelle: Pohl
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326 Wellenumlenker in der Freibordbemessung
Optionen bietet wie den schrägen Wellenauflauf, die Berechnung für steile Bö-
schungsneigungen > 1:2 und die Mehrfachrechnung für probabilistische Betrach-
tungen (s. Abb. 8).
Beim Nachweis der Tragfähigkeit kommt es darauf an, dass in den maßgebenden
Bemessungssituationen die widerstehenden Kräfte (Widerstand Gewicht, Rei-
bung) größer sind als die einwirkenden (BeLASTung Wasserdruck, Auftrieb,
Stützkraft, Wind). Bei der nach DIN 19700: 2004-08 noch zulässigen Anwendung
des globalen (deterministischen) Sicherheitskonzeptes müssen die widerstehen-
den Kräfte größer sein, als die einwirkenden Kräfte multipliziert mit einem be-
stimmten Sicherheitsbeiwert (z. B. η = 1,3). Beim in jüngerer Zeit oft praktizierten
und für bestimmte Bauwerke auch normativ geforderten Teilsicherheitskonzept
müssen die mit Teilsicherheitsfaktoren erhöhten Einwirkungen kleiner sein als die
entsprechend abgeminderten Widerstände, woraus sich ein Auslastungsgrad < 1
ergibt. Weil durch die verschieden großen Beiwerte auf beiden Seiten die klare
Sicht auf den zumindest theoretisch berechenbaren Grenzzustand der Tragfähig-
keit willkürlich verwischt wird, hält der Verfasser des vorliegenden Beitrages
diese semiprobabilistische Methodik aus erkenntnistheoretischer Sicht für weni-
ger vorteilhaft, wenngleich sie durchaus praktikabel erscheinen mag. In eine voll-
ständig probabilistische Berechnung würden die Verteilungen aller Einwirkungen
und Widerstände eingehen, so dass für jede potenzielle Versagensart und das Ge-
samtversagen eine sehr kleine Wahrscheinlichkeit P < 10-3 … 10-6 ermittelt wer-
den könnte. Aus psychologischen Gründen wird häufig die Zuverlässigkeit 1-P
angegeben, die dann Werte von 99,9 … 99,9999 % annimmt.
Abbildung 9: Idealisierte Wellenauflaufphasen bis zum Umkehrpunkt der Bewegung. Bild-
quelle Pohl
Wenn eine Bemessung für den Grenzzustand vorgenommen werden soll, kann
zunächst vom sehr unwahrscheinlichen stationären Fall des bordvollen Einstaus
ausgegangen werden, in dem ein im Querschnitt (ungefähr) quadratisches Beton-
element ohne weitere Befestigung gleitsicher auf die Krone gestellt werden
könnte. Mit einem Reibungsbeiwert µ = 𝑡𝑎𝑛𝜑 = 0,45, einer Betondichte
ρB = 2200 kg/m³ und einem vollständigen Abbau des Sohlwasserdruckes von der
Wasser- bis zur Luftseite in der Aufstandsfläche würde der Grenzzustand der
Gleitsicherheit (η = 1) erreicht.
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Wenn die instationäre Krafteinwirkung des Wellenauflaufes betrachtet werden
soll, muss der wellenerzeugende Wind in Auflaufrichtung zusätzlich berücksich-
tigt werden. Für Lasteinwirkungen wird üblicherweise die mittlere Welle des
höchsten Drittels aus dem Wellenspektrum, die sogenannte signifikante Welle an-
gesetzt: Hm0 ≈ HS ≈ H13% ≈ H1/3, die zusammen mit der Peakperiode TP der höchs-
ten spektralen Energiedichte zugeordnet wird. Modellhaft ist es vorstellbar, dass
sich der ungefähr dreieckige Auflaufkeil mit abnehmender Geschwindigkeit in
den Umlenker als Schwall auf geneigter Sohle hineinschiebt, bis zum Auflauf-
punkt verzögert wird und dann umkehrt. Die auf der gekrümmten Bahn verzögerte
und beschleunigte Wassermasse verursacht entsprechend der jeweiligen Momen-
tangeschwindigkeit eine Radialbeschleunigung und ruft auf Grund der Wasser-
masse nach dem zweiten Newtonschen Gesetz zeitlich veränderliche (instatio-
näre) Radialkräfte im Wellenumlenker hervor, die in Vertikal- und Horizontal-
kräfte zerlegt werden können (Abb. 9).
Abbildung 10: Ergebnisse einer instationären Beispielrechnung für einen 85 cm hohen Wel-
lenumlenker: Horizontal- (FH) und Vertikal- (FV) Kräfte infolge hydrodynamischer Belastung
einschließlich Windeinwirkung in Abhängigkeit von der zeit- und wegabhängigen Position des
Auflaufschwalls nach verschiedenen Berechnungsansätzen für verschiedene Bemessungsereig-
nisse. Es ist festzustellen, dass die Ergebnisse sensitiv auf Eingangswerte, wie zum Beispiel die
empirisch bestimmte Dicke des Auflaufschwalls in Wasserspiegelhöhe reagieren.
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328 Wellenumlenker in der Freibordbemessung
Tabelle 1 Vor- und Nachteile verschiedener Bauweisen von Wellenumlenkern
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Eine dritte Möglichkeit für die Darstellung der Einwirkung bietet der Stützkraft-
satz. Dazu wird ein Kontrollvolumen festgelegt (Abb. 9), welches die Ein- und
Austrittsquerschnitte des Wasserstrahls am Umlenker einschließt. Mit Hilfe der
Stützkräfte kann dann die Änderung der Krafteinwirkungen über die Zeit verfolgt
werden, wenn die Fließquerschnitte und Geschwindigkeiten an den Grenzen des
Kontrollraumes angegeben werden können.
Es ist zu berücksichtigen, dass auch Vertikalkräfte (nach oben gerichtet negativ)
durch die aufwärts gerichteten Strömungskräfte, durch den Auftrieb im Falle einer
nicht dauerhaft wasserdicht verschlossenen Aufstandsfuge und durch die sich
zeitweise in der Umlenkerausrundung befindliche Wasserauflast entstehen. Die
Maxima dieser vertikal gerichteten Einwirkungen treten etwas früher auf als die
maximale Horizontalkraft.
Der Betrag für die nach oben gerichtete Vertikalkraft erscheint in Abb. 10 relativ
groß, weil die Annahme einer wasserseitig voll geöffneten Fuge zwischen Um-
lenkerelement und Aufstandsfläche, in der sich die anfänglich hohe Auflauf-
schwallgeschwindigkeit nach dem Energieerhaltungssatz voll in den Fugendruck
umwandeln kann, eine sehr konservative Annahme darstellt.
5 Zusammenfassung, Ausblick
Im vorliegenden Beitrag wurden die Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz
von Wellenumlenkern vorgestellt. In der Regel kann mit Hilfe von Wellenumlen-
kern die rechnerisch erforderliche Freibordhöhe verringert werden. Die üblichen
Mindestfreibordhöhen sollten aber nicht unterschritten werden.
Die verfügbaren hydromechnischen Bemessungsansätze wurden unter einschrän-
kenden Randbedingungen im Modellversuch ermittelt, weshalb sie auf ihre All-
gemeingültigkeit hin überprüft und durch weitere Modellversuche verifiziert wer-
den sollten, die jetzt begonnen wurden.
Die Tragfähigkeit der Kronenelemente kann mit physikalisch begründeten Ansät-
zen abgeschätzt werden. Hierzu vorliegende neuere Versuchsergebnisse sollen
demnächst ausgewertet und verglichen werden.
6 Dank
Der Verfasser dankt der Gesellschaft der Förderer des Hubert – Engels – Institutes
für Wasserbau und Technische Hydromechanik an der TU Dresden e. V. für die
finanzielle Unterstützung bei den laufenden Modellversuchen.
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330 Wellenumlenker in der Freibordbemessung
7 Literatur
Druet, C.: Über eine wirksame Methode zur Verminderung der Staudammhöhe bei Ein-
wirkung von Windwellen (poln.).- Gospodarka Wodna (1963)6, S. 217 ff.
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Pohl, R.; Schelp, H.: Freibordbemessung an Stauanlagen
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Heyer, T., Pohl, R.: Der Auflauf unregelmäßiger Wellen im Übergangsbereich zwischen
Branden und Schwingen.- In: Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen 26/2003, TU
Dres-den, Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik ISSN 0949-5061,
ISBN 3-86005-376-0 S. 95 - 104
Pohl, R.: 2010: Neue Aspekte der Freibordbemessung an Fluss- und Ästuardeichen.- In:
Dresdner Wasserbauliche Mitteilung 40/2010, TU Dresden, Institut für Wasserbau
und Technische Hydromechanik S. 467-478, ISBN 978-3-86780-135-5
Pohl, R.: 1988: Aspekte zur Freibordbemessung an Talspeichern.- In: Wasserwirtschaft-
Wassertechnik, Berlin 38(1988)1, S. 15-17
Pohl, R.: 1989: Die Erhöhung der Sicherheit von Dammbauwerken gegen Überströmen
durch konstruktive Maßnahmen im Kronenbereich.- In: Beiträge zur Fachtagung Tal-
sperren- und Rohrleitungsbau, Weimar 13.-15.6. 1989
Pohl, R.: 1991: Der Wellenüberlauf über Dämme mit Wellenumlenkern.- In: Wasser und
Boden, Hamburg 43(1991)1, S. 42-46
Pohl, R.: 1997: Überflutungssicherheit von Talsperren.- In: Mitteilungen des Institutes für
Wasserbau und Technische Hydromechanik der TU Dresden, Heft Nr. 11, 1997
Pohl, R. 1997: Wellenüberlauf im Übergangsbereich zwischen Brandung und Reflexi -on.-
In: Hansa 134(1997)10 S. 62-64
Pohl, R.: 2016: Dammkronenelemente zur Verminderung des Wellenauf- und Überlaufes.-
In: Wasserwirtschaft 106(2016)5, S. 14-22, ISSN 0043-0978
Schüttrumpf, H. 2000: Wellenauf- und Überlauf.- Leichtweiß-Institut der TU Braun-
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Steiner, J. 2012: Methoden der Effizienz Steigerung an vorhandenen Wasserkraftanlagen
am Beispiel der geplanten Beckenerweiterung des PSW Markersbach.- In: Tagungs-
bericht der DWA-Landesverbandstagung Sachsen/Thüringen am 6. Juni 2012 in
Dresden, S. 59 - 77
Waal J. P. de, Meer J. W. van der 1992. Wave run-up and overtopping on coastal struc-
tures, Proc. 23rd International Conference on Coastal Engineering, 1772 – 1784
Autor:
Prof. Dr.-Ing. habil. Reinhard Pohl
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
Technische Universität Dresden
August-Bebel-Straße 30a, 01219 Dresden
Tel.: +49 351 46333837, Fax: +49 351 46335654, E-Mail: [email protected]
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Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von
Hochwasserschutzmaßnahmen
Stefan Schmid
Eine wesentliche Vorgabe des Wasserhaushaltsgesetzes für wasserwirtschaftliche
Planungen ist es, natürliche Retentionsflächen zu erhalten oder sogar, wo es mög-
lich ist, wiederherzustellen.
Der Rückbau oder die Rückverlegung von Deichen hat Auswirkungen auf die Re-
tentionsraumbilanzierung und damit auf den Verlauf einer Hochwasserwelle. Bis-
her wurde dabei meist nur auf das HQ100 Bezug genommen. Im Folgenden wird
ein Verfahren vorgestellt, mit dem auf Grundlage der Ergebnisse stationärer Be-
rechnungen und unter Einbeziehung sämtlicher Jährlichkeiten die Retentions-
raumbeanspruchung beschrieben werden kann. Es wurde beispielhaft angewendet,
um einen Zustand mit gewässernahen Deichen mit dem Zustand nach Deichrück-
bau/-rückverlegung zu vergleichen. Aus den Ergebnissen kann direkt auf die Re-
tentionswirkung und die Naturnähe des Retentionsverhaltens geschlossen werden.
Stichworte: Hochwasser, Retentionsraum, Deichrückbau, Deichrückverlegung
1 Veranlassung
Im § 67 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) werden die Grundsätze für Ge-
wässerausbau, Deich-, Damm- und Küstenschutzbauten wie folgt festgelegt:
„Gewässer sind so auszubauen, dass natürliche Rückhalteflächen erhalten blei-
ben, das natürliche Abflussverhalten nicht wesentlich verändert wird… . Deich
und Dammbauten, die den Hochwasserabfluss beeinflussen, … stehen dem Ge-
wässerausbau gleich.“
Gleichzeitig wird bezüglich der Planfeststellung oder -genehmigung in §68 Abs.
3 gefordert:
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332 Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen
„Ein Plan darf nur festgestellt oder genehmigt werden, wenn eine Beeinträchti-
gung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine erhebliche und dauerhaf-
te, nicht ausgleichbare Erhöhung der Hochwasserrisiken oder eine Zerstörung
natürlicher Rückhalteflächen, vor allem in Auwäldern, nicht zu erwarten ist…“
Im Zentrum dieser Vorgaben steht somit eine Erhaltung oder Wiederherstellung
der natürlichen Retentionsflächen.
Auch für Thüringen wurden im „Landesprogramm Hochwasserschutz 2016-
2021“ unter anderem folgende grundsätzlichen Ziele festgehalten:
- „Gewinnung der natürlichen Rückhalteräume“,
- „Optimierung des technischen Hochwasserschutzes“.
Doch was ist ein natürliches Abflussverhalten, und wie unterscheidet sich dieses
vom Verhalten eingedeichter Gewässer?
Um die Wirkung des Abflussverhaltens auf die Unterlieger genauer beurteilen
zu können, sind instationäre Berechnungen erforderlich. Doch die Ergebnisse
von instationären Berechnungen sind stark von der Wellenform abhängig.
Bezüglich der Auswirkungen des Klimawandels wurden in den vergangenen
Jahren zwei unterschiedliche Tendenzen beobachtet: Einerseits führen instabile
Wetterlagen wie im Frühjahr 2016 zu lokalen, eng begrenzten, aber dafür umso
heftigeren Starkniederschlagsereignissen mit Sturzfluten.
Andererseits führen Großwetterlagen wie 2013 zu länger anhaltenden oder zu
mehreren, aufeinanderfolgenden Niederschlägen, welche an den Oberläufen der
Gewässer oft zu mehrgipfligen Ganglinien führen, die sich in Fließrichtung
mehr und mehr überlagern und zu großen Abflusssummen führen.
Welches ist nun die richtige Welle? Oder ist es möglich, unabhängig von der
Wellenform im Rahmen von konzeptionellen Studien das Retentionsverhalten
zu beurteilen, gerade auch im Hinblick auf die zunehmenden hydrologischen
Unsicherheiten?
2 Retentionsraumbilanzierung an einem Beispiel
Um hier Antworten zu finden, wurde ein derzeit vollständig eingedeichter Ge-
wässerabschnitt genauer untersucht. Es wurden Berechnungen mit den beste-
henden Deichen sowie nach einem Rückbau der Deiche und einer Rückverle-
gung an die Ortslagen durchgeführt. Die bestehenden Deiche weisen im konkre-
ten Beispiel einen Schutzgrad (ohne Freibord) unterhalb von HQ50 auf, wäh-
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rend bei den rückverlegten Deichen ein Schutzgrad HQ100 mit Freibord ange-
nommen wurde.
Der untersuchte Abschnitt ist etwa 3,4 km lang, bei einem Einzugsgebiet von ca.
2.000 km² und einem Abflusswert für HQ100 von 190 m³/s.
Als Grundlage für die Retentionsraumbilanzierung werden die Ergebnisse von
stationären Abflussberechnungen herangezogen. Dadurch sind die Ergebnisse
unabhängig von der Form und Fülle einer Ganglinie. Erfasst wird dadurch der
maximal beanspruchbare Retentionsraum. Inwieweit dieser tatsächlich bean-
sprucht wird, hängt von einer konkreten Ganglinie ab. Im Ergebnis sind auf
nachfolgender Abbildung die Retentionsräume nach Jährlichkeit im derzeitigen
Zustand sowie nach einer Rückverlegung der Deiche dargestellt.
Abbildung 1: Retentionsraumbilanzierung für das Beispielgewässer für den Ist-Zustand und
den Zustand nach Rückverlegung der Deiche an die Ortsränder
Aus dem Verlauf der Kurve für den Ist-Zustand (siehe Abbildung 1) ist der zur-
zeit gegebene Schutzgrad gut erkennbar: Bis HQ25 ist der derzeit beanspruchte
Retentionsraum sehr gering, das Gewässer bleibt zwischen den Deichen. Bei
höheren Abflüssen jedoch werden im Ist-Zustand die Deiche überströmt: der
beanspruchbare Retentionsraum steigt stark an – allerdings unter Inkaufnahme
des Eisstaus der besiedelten Bereiche hinter den Deichen.
Ganz anders verhält sich das Gewässer im naturnahen Zustand nach Rückverle-
gung der Deiche: Bereits bei häufigeren Hochwasserereignissen steigt die Re-
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334 Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen
tentionsraumbeanspruchung stark an. Bei HQ100 jedoch liegt sie in diesem Fall
aufgrund der Überströmung der Deiche unter dem Wert für den derzeitigen Zu-
stand.
Für die Gegenüberstellung der beiden Zustände kann – analog zur Schadenspo-
tentialermittlung – die mittlere jährliche Retentionsraumbeanspruchung be-
stimmt werden, indem die Retentionsraumbeanspruchung über die Wahrschein-
lichkeit aufsummiert wird (siehe Abbildung 2).
Dazu wird die theoretische Funktion:
(1)
mit folgender diskreten Funktion umgesetzt:
(2)
Dabei wurden im vorliegenden Fall Retentionsvolumina mit der Wahrschein-
lichkeit p> 0,5 (kleiner HQ2) und p<0,005 (größer HQ200) vernachlässigt (siehe
auch Abbildung 2).
Abbildung 2: Retentionsraumbeanspruchung nach Wahrscheinlichkeit des Auftretens für
das Beispielgewässer
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Im vorliegenden Fall führt dies zu einer mittleren Retentionsbeanspruchung von
310.000 m³/Jahr im Ist-Zustand und von 950.000 m³/Jahr im Zustand mit rück-
verlegten Deichen. Auch wenn die Retentionsraumbeanspruchung hier im Ist-
Zustand bei HQ100 größer ist als nach einer Deichrückverlegung, so ist doch die
mittlere jährliche Retentionsraumbeanspruchung bei einem naturnahen Zustand
deutlich größer. Dabei ist zu beachten, dass im Ist-Zustand nach Überströmen
der Deiche auch die eigentlich zu schützenden Siedlungen eingestaut werden,
welche bei einer Deichrückverlegung geschützt sind.
Mit anderen Worten: Nach Deichrückverlegung ist deutlich öfters mit einer
Dämpfung der Hochwasserwelle zu rechnen als im derzeitigen Zustand mit ge-
wässernahen Deichen.
Anstatt den Retentionsraum auf die Jährlichkeit zu beziehen, kann er auch auf
den Scheitelabfluss bezogen werden. Auf diese Weise kann die Zunahme des
beanspruchbaren Retentionsraumes bei einer Zunahme des Abflusses anschau-
lich dargestellt werden. Aus der Steigung dieser Geraden (Zunahme des Re-
tentionsraumes im Verhältnis zur Zunahme des Abflusses, dV/dQ) kann direkt
abgeleitet werden, wieviel zusätzlicher Retentionsraum in m³ bei einer Zunahme
des Abflusses um 1 m³/s durch das Gewässer beansprucht werden kann. Dies
zeigt somit, bei welchen Abflüssen welche Dämpfung erreichbar ist. Für den
bereits oben erwähnten Abschnitt sind diese Werte in nachfolgender Abbildung
dargestellt.
Abbildung 3: Retentionsraumbeanspruchung nach Abflussscheitel für das Beispielgewässer
Page 344
336 Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen
Der Zeitwert an der rechten Skala zeigt, wie lange es dauert, den zusätzlich ver-
fügbaren Retentionsraum zu füllen. Mit anderen Worten: Wenn der Scheitel
kürzer anhält als der Wert auf der rechten Skala, ist durch die Retentionsraum-
beanspruchung eine Scheitelreduzierung erreichbar.
Die Werte zeigen auch, dass bei einer Deichrückverlegung bei höheren Abflüs-
sen zwar nur eine geringere Scheitelreduzierung erreichbar ist, dafür aber eine
deutlich stärkere Verzögerung bei anlaufender Welle. Im derzeitigen Zustand
hingegen wird bis zur Erreichung der Deichkronen praktisch kein Retentions-
raum in Anspruch genommen, was zu einer steilen anlaufenden Welle führt. Erst
nach Überschreiten der Leistungsfähigkeit der Deiche steigt die mögliche Re-
tentionsraumbeanspruchung stark an, bis der Raum hinter den Deichen vollstän-
dig geflutet ist. Mit anderen Worten: das derzeitige System ist optimal für eine
Dämpfung von Abflussscheiteln, die im Bereich von 140 bis 190 m³/s liegen,
ausgelegt, allerdings unter Inkaufnahme des Einstaus der dahinterliegenden
Siedlungen, dämpft aber häufigere Ereignisse mit geringerem Scheitel praktisch
gar nicht. Bei seltenen Ereignissen ist die scheitelreduzierende Wirkung bei bei-
den Systemen etwa gleich.
Auf diese Weise kann somit das Verhalten eines Systems gut veranschaulicht
werden: Bei einem natürlichen oder naturnahen System mit einer weiträumigen
Aue wird der Retentionsraum kontinuierlich in Anspruch genommen. Bei stark
eingedeichten Gewässern kann demgegenüber deutlich weniger Retentionsraum
in Anspruch genommen werden, der Abfluss wird beschleunigt, bis ein Schwel-
lenwert erreicht wird. Erst danach, nach Überströmen der Hochwasserschutzan-
lagen, tritt eine wirksame Retention ein. Je höher der Schutzgrad, desto später ist
eine wirksame Retention zu erwarten. Aber auch diese Wirkung lässt nach,
wenn die zusätzlichen Retentionsräume hinter den Deichen gefüllt sind und der
Abfluss weiter zunimmt.
Für einen Vergleich verschiedener Gewässerabschnitte können die Ergebnisse
auf die Gewässerlänge bezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich
einerseits die Retentionswirkung im Verlauf des Gewässers summiert, anderer-
seits aber auch seitliche Zuflüsse zur Beanspruchung des Retentionsraumes bei-
tragen.
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„Bemessungen im Wasserbau“ 337
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3 Schlussfolgerungen
Wenn in die Retentionsraumbilanzierung auf Grundlage von stationären Be-
rechnungen die Ergebnisse sämtlicher Jährlichkeiten einbezogen werden, kön-
nen daraus wertvolle Schlussfolgerungen über das Retentionsverhalten eines
Gewässerabschnitts gezogen werden. Diese Schlussfolgerungen sind unabhän-
gig von der Form und dem Verlauf einer Abflussganglinie, welche von einem
Einzelereignis übernommen oder theoretisch abgeleitet werden müsste.
Naturnahe Gewässersysteme üben bereits bei häufigeren Ereignissen (und damit
auch öfters) eine abflussverzögernde und scheitelreduzierende Wirkung aus.
Naturnahe Systeme sind resiliente Systeme: Die Retentionswirkung beginnt
frühzeitig, bei häufigeren Ereignissen (und damit auch öfters) ist eine scheitelre-
duzierende und abflussverzögernde Wirkung zu erwarten. Da auch seltene
Hochwasserereignisse in den Mittel- und Unterläufen der Gewässer durch die
Überlagerung mehrerer, statistisch häufigerer Wellen entstehen können, wie es
in vielen Gebieten 2013 der Fall war, kann hier eine positive Wirkung erwartet
werden.
Auch bei selteneren Ereignissen ist im Vergleich zu eingedeichten Systemen
eine stärkere Abflussverzögerung der anlaufenden Welle zu erwarten.
Die mittlere jährliche Retentionsraumbeanspruchung kann als Maß dafür dienen,
welche Dämpfung im Mittel erreichbar ist. Die mittlere jährliche Retentions-
raumbeanspruchung ist dabei in der Regel bei natürlichen oder naturnahen Sys-
temen deutlich größer als bei technischen.
Die Ergänzung naturnaher Systeme um zusätzliche punktuelle Rückhalteeinrich-
tungen wie steuerbare Polder oder Hochwasserrückhaltebecken, welche gezielt
bei selteneren, Ereignissen wirksam werden, kann dennoch sinnvoll sein, um die
negativen Folgen bei schadensträchtigen Ereignissen zu reduzieren.
Mit der hier vorgeschlagenen Methodik ist es möglich, die Wirkungsweise und
die Sinnhaftigkeit von Deichrückbauten und –rückverlegungen aus dem Blick-
winkel der Retentionsraumbilanzierung in wasserwirtschaftliche Studien einzu-
beziehen. Auch bei konkreten Planungen können Deichrückverlegungen in ihrer
Wirkungsweise dargestellt und aus Sicht der Retentionsraumbilanzierung zu-
sätzlich begründet werden.
Page 346
338 Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen
4 Literatur
Schröter, K, B. Mühr, F. Elmer, T. Kunz-Plapp, W. Trieselmann (2013): Juni-
Hochwasser 2013 in Mitteleuropa - Fokus Deutschland, Bericht 1 – Update 2:
Vorbedingungen, Meteorologie, Hydrologie. CEDIM Center for Disaster
Management and Risk Reduction Technology, Karlsruhe 2013
TMUEN (2016): Thüringer Landesprogramm Hochwasserschutz 2016 - 2021. Thüringer
Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz, Erfurt 2016
WHG (2016): Wasserhaushaltsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585), das zuletzt
durch Artikel 1 des Gesetzes vom 4.August 2016 (BGBl. I S. 1972) geändert
worden ist
Autor:
Dr.-Ing. Stefan Schmid
Lahmeyer Hydroprojekt GmbH
Geschäftsbereich Weimar
Rießner Str. 18
99423 Weimar
Tel.: +49 3643 746 432
Fax: +49 3643 746 311
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraft-
anlagen für die Abwanderung von Lachssmolts
und Aalen
Claudia Berger
Boris Lehmann
Um Planern und Betreibern Angaben zur Dimensionierung eines Horizontalrechens
als Fischschutzeinrichtung zu geben, wurde ein Forschungsprojekt gemeinsam von
der EnBW Energie Baden-Württemberg AG und der Technischen Universität
Darmstadt initiiert. Hydraulische und verhaltensbasierte Parameter für verschie-
dene Rechen-Setups wurden anhand ethohydraulischer Versuche mit Lachssmolts
und Aalen sowohl im Labor als auch an zwei EnBW-Kraftwerken ermittelt. Zudem
wurde mit Fokus auf das Aalverhalten mittels Elektrifizierung die Wirksamkeit ei-
nes sogenannten Hybridrechens untersucht.
1 Veranlassung und Ziel der Forschungsarbeit
Auf Grund von EU-weiten und nationalen gesetzlichen Vorgaben werden Maß-
nahmen zur Herstellung der stromauf und stromab gerichteten Durchgängigkeit
sowie dem Schutz der Fischpopulationen gefordert, um die Fließgewässer in ei-
nen guten ökologischen Zustand zu überführen. Als Schutzbarriere und zugleich
Leithilfe für die Abwanderung gilt derzeit ein schräg zur Anströmung ausgerich-
teter Horizontalrechen als besonders wirksam und wird daher oft bei neuen oder
umzurüstenden Wasserkraftanlagen eingesetzt. Jedoch sind das Verhalten der Fi-
sche als auch die hydraulischen Eigenschaften solcher Schrägrechen bis dato nur
teilweise untersucht und es bestehen noch Wissenslücken bspw. hinsichtlich der
hydraulischen Verluste und dem Zusammenhang zwischen Schrägstellung und
Leitwirkung auf Fische.
Die hier vorgestellte Forschungsarbeit beinhaltet sowohl die strömungs- und ver-
lusterzeugende Darstellung und Analyse eines realitätsnahen Schrägrechens im
Labor und im Freiland an einer EnBW-Wasserkraftanlage, als auch ethohydrau-
lische Versuche mit Lachssmolts und Aalen, die wiederum im Labor und im Frei-
land durchgeführt wurden. Zusätzlich wurde am Schrägrechen im Labor ein
Stromfeld erzeugt, um die Wirksamkeit eines sogenannten Hybridrechens – eine
Kombination aus mechanischer Barriere und Verhaltensbarriere – speziell auf
Aale hin zu untersuchen. Zur Validierung dieser Laborversuche wurde an einem
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Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen
für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen
0,4 18
0,5 18 30
0,7 18
0,8 10 18 30
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30
45
55
70
Stabweite s [mm]Anströmwinkel
δ [°]
Anströmgeschwindigkeit
va [m/s]
weiteren EnBW-Kraftwerk eine ähnliche Hybridbarriere installiert und deren
Wirksamkeit für Aale untersucht.
2 Ethohydraulische Labor- und Feldstudien mit Lachssmolts
2.1 Laborstudien
Im April 2016 wurden in der 2 m breiten und 40 m langen Rinne des wasserbau-
lichen Forschungslabors der TU Darmstadt ethohydraulische Versuche an unter-
schiedlichen Anordnungen von Schrägrechen mit Lachssmolts durchgeführt. Im
spitzen Winkel zwischen Schrägrechen und Rinnenwand war dabei stets ein By-
pass angeordnet, durch den die Fische in das Unterwasser abwandern konnten.
Insgesamt wurden 413 Lachssmolts in unterschiedlichen Gruppen zu je 13 Tieren
eingesetzt. Jede Gruppe kam dabei ein bis maximal viermal zum Einsatz, um
Lerneffekte bei den Tieren zu vermeiden. Bezüglich der Parameter des Schrägre-
chens (Anströmwinkel δ und Stabweite s) als auch der hydraulischen Randbedin-
gungen (querschnittsgemittelte Anströmgeschwindigkeit va) wurden 22 verschie-
dene Setups untersucht - jedes Setup wurde dazu mit je 2 bis 5 Gruppen getestet
(Tab. 1 und Abb. 1).
Tabelle 1: Mit dem Laborrechen durchgeführte Setups mit Lachssmolts
Abbildung 1: Definition der geometrischen Rechenparameter (rechts oben, verändert nach
Glock 2016) und des Anströmwinkels δ (rechts unten, verändert nach Ecologic
Institut & IGF Jena 2015)
δ
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Der Rechen im Labor hatte eine Stabdicke von 8 mm sowie eine statische Kon-
struktion analog zu den meisten bestehenden Horizontalrechentypen. Als Stab-
profil für den Rechen wurde ein Rechteckquerschnitt verwendet, welcher nach
Kirschmer (1925) den ungünstigsten Stabprofilbeiwert besitzt und demnach die
höchsten hydraulischen Verluste verursacht (Abb. 2). Abgerundete, strömungs-
günstig geformte Stabformen verursachen zwar geringere hydraulische Verluste,
sind jedoch bzgl. der Herstellung deutlich aufwendiger und daher in der Praxis
bisher kaum etabliert. Neben dem Rechen befand sich eine 0,2 m breite schlitz-
förmige Bypassöffnung als Abwanderungsmöglichkeit (Abb. 2, links). Der im
Labor verwendet Rechen war situativ ähnlich zum Rechen an der Feldanlage
(Abb. 2, rechts).
Die in der Rinne maximal mögliche Anströmgeschwindigkeit von 0,8 m/s konnte
bei einer Wassertiefe von ca. 0,8 m mit einer Abflussmenge von 960 l/s erzeugt
werden. Geringere Anströmgeschwindigkeiten konnten durch entsprechend we-
niger Durchfluss und mittels einer Stauklappe am Ende der Rinne bewerkstelligt
werden.
Abbildung 2: Schrägrechen in der Laborrinne mit s = 18 mm Stabweite und δ = 45° Anström-
winkel (links); während des Umbaus mit verschiedenen Abstandshaltern für die anderen Stab-
weiten s (Mitte); mit s = 18 mm Stabweite an der Feldanlage am Standort Ottenau/Murg wäh-
rend des Einbaus (rechts). (Quelle: EnBW)
Da es in einigen Ländern inzwischen bereits Vorgaben für eine Stabweite von s =
10 mm gibt (z.B. für Lachsentwicklungsgewässer in Nordrhein-Westfalen und
Rheinland-Pfalz, Umweltbundesamt (2012)) wurde diese Stabweite ebenfalls mit
in das Versuchsprogramm aufgenommen. Als anderes Extrem wurden auch Ver-
suche mit s = 30 mm durchgeführt, bei denen der Rechen von den Smolts und
Aale theoretisch durchschwommen werden konnte.
Ermittelt wurden jeweils die Strömungssignaturen im Nahbereich des Schrägre-
chens sowie die daraus resultierenden hydraulischen Verluste. Ferner wurde das
Verhalten der Fische im Sinne von Meiden, Verharren, Sondieren und eines ggf.
erkennbaren Gierverhaltens mit Leitwirkung des Schrägrechens zum Bypass hin
analysiert.
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Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen
für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen
Erkenntnisse:
Folgende Erkenntnisse konnten während der Laborversuche beobachtet werden:
Das Gierverhalten (Schrägstellung des Fisches zur Strömung und damit
kraftsparendes aber kontrolliertes Driften entlang der Rechenebene Rich-
tung Bypass; Lehmann et al 2016) hängt sowohl von der Anströmge-
schwindigkeit va als auch vom Anströmwinkel δ ab. Mit steigender An-
strömgeschwindigkeit va lässt das Gierverhalten nach.
Schrägrechen mit spitzen Anströmwinkeln (δ ≤ 55°) lösen bei den Smolts
zuverlässig ein Gierverhalten aus, was zu einem raschen Auffinden des By-
passes und zu einer Abwanderung führt. Bei stumpfen Winkeln
(δ = 70°) kommt es seltener zum Gieren – vielmehr wurde ein ungeordnetes
Sondieren im Nahfeld des Rechens als auch ein Flüchten bzw. Zurückzie-
hen nach Oberstrom sowie ein Verharren in strömungsberuhigten Zonen
beobachtet, wodurch die Wahrscheinlichkeit zum Auffinden des Bypasses
deutlich abnahm.
Bei hohen Anströmgeschwindigkeiten (va = 0,8 m/s) tritt ein längeres Ver-
harren der Smolts in strömungsberuhigten Zonen und häufig auch eine Mei-
dungsreaktionen unmittelbar vor dem Bypass auf – Gründe dafür liegen in
den heterogenen Strömungssignaturen, welche bei hohen Anströmge-
schwindigkeiten deutlich ausgeprägter sind. Bei niedrigen Anströmge-
schwindigkeiten (va = 0,4 bis 0,5 m/s) verharren nur halb so viele Smolts.
Grundsätzlich war zu beobachten, dass die Smolts eher nahe der Rinnen-
wand verharrten (47% aller Smolts) als in strömungsberuhigten Zonen un-
mittelbar beim Rechen (vor der Sohlschürze oder vor Stützpfosten; 11%
aller Smolts).
Es konnte bei 42% aller Smolts im Rahmen des Sondierens am Rechen ein
sogenanntes „negatives Gieren“ festgestellt werden, d.h. die Smolts beweg-
ten sich weg vom Bypass entlang der Rechenebene hin zum strömungsmo-
deraten wandnahen Bereich am oberstromigen Ende des Horizontalre-
chens.
Bei allen untersuchten Anströmgeschwindigkeiten va wurde nachgewiesen,
dass die typischen Verhaltensweisen, wie Sondieren, Gieren, Verharren o-
der kollektives Schwarmverhalten etwa in gleicher Häufigkeit vorkamen.
Rechenkontakte mehrten sich mit steigender Anströmgeschwindigkeit
kaum.
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Bei den getesteten hohen Anströmgeschwindigkeiten von va = 0,8 m/s be-
stand für die Smolts keine Gefahr des Impingements – hier ist mit Blick auf
deren Schwimmleistung davon auszugehen, dass auch höhere Anströmge-
schwindigkeiten ein sicheres Navigieren der Smolts im Nahfeld des Re-
chens kaum beeinflussen.
Die Anzahl der Rechendurchgänge bei einer Stabweite von 30 mm war ge-
ring (5% aller Smolts), obwohl die Smolts problemlos die Räume zwischen
den Stäben durchschwimmen konnten. Ein Grund hierfür könnte die visu-
elle Wahrnehmung der Barriere und/oder die plötzliche Strömungsbe-
schleunigung im Bereich zwischen den Stäben sein.
Erkennbare Muster des Schwarmverhaltens (Lehmann et al (2016)) wurden
grundsätzlich bei jedem Versuch und unabhängig vom Setup und den ein-
gestellten Randbedingungen beobachtet.
Die Stabweite s scheint nach bisheriger Auswertung der Daten mit Blick
auf die Leitwirkung des Rechens für die Smolts eine untergeordnete Rolle
zu spielen.
Aufgrund dieser Erkenntnisse kann für die Bemessung von Schrägrechen für
Lachssmolts ein Anströmwinkel von δ = 30° bis 55° empfohlen werden. Auf-
grund der Erkenntnisse aus Lehmann et al (2016) ist davon auszugehen, dass dies
auch für die meisten potamodromen Arten gilt.
2.2 Feldstudien
Die Feldversuche wurden im Mai 2016 am Ausleitungskraftwerk Ottenau/Murg
(Landkreis Rastatt) durchgeführt.
Fischschutz-, -auf- und -abstiegskomponenten der Wasserkraftanlage
Der dortige Horizontalrechen besitzt einen Anströmwinkel von δ = 45°, eine Stab-
weite von 18 mm mit rechteckigem Stabprofil. Die Rechenlänge beträgt knapp 15
m, die Wassertiefe vor dem Rechen liegt bei ca. 2 m. Der Ausbauabfluss des
Kraftwerks beträgt etwa 15 m³/s, die maximale Anströmgeschwindigkeit wurde
zu va ≈ 0,8 m/s ermittelt. Am Ende des Rechens ist ein Fischabstieg installiert, der
mittels überströmbarer Klappe konstant mit 800 l/s beaufschlagt wird (Abb. 3).
Durch den danebenliegenden Fischaufstieg fließen konstant 500 l/s. Bei einem
Reinigungsvorgang des Rechens wird das Rechengut zum Fischabstieg hin abge-
schoben, dort wird temporär die Klappe komplett gelegt und mit dem erhöhten
Abfluss das Getreibsel abgespült.
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Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen
für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen
Abbildung 3: Luftbild der Situation am Horizontalrechen des Wasserkraftwerks Ottenau
(Quelle: verändert nach google.maps)
Für die Feldversuche wurden 60 Lachssmolts mit aktiven Sendern versehen und
oberhalb des Rechens in den Kraftwerkskanal eingesetzt. Mittels Empfängern am
Streichwehr, Fischabstieg und vor dem Horizontalrechen konnte sowohl der Ab-
wanderungsweg detektiert, als auch über die Signalstärke die Verweildauer im
Umfeld der jeweiligen Empfänger bestimmt werden.
Während der Versuchsdauer betrug die Kraftwerksleistung relativ gleichbleibend
etwa 171 kW, was eine Anströmgeschwindigkeit von va = 0,33 m/s zur Folge hatte
(max. 210 kW und damit max. 0,37 m/s).
Erste Erkenntnisse
Innerhalb von 13 Tagen sind alle 60 besenderten Lachssmolts am Standort abge-
wandert. Die Abwanderkorridore wurden dabei wie folgt frequentiert:
Fischabstieg: 38 Smolts = 63%
Fischaufstieg: 15 Smolts = 25%
Streichwehr: 5 Smolts = 8%
Kraftwerk: 1 Smolt = 2%
Unbekannt: 1 Smolt = 2%
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Lediglich ein Smolt ist durch den Rechen und das Kraftwerk abgewandert, was
die hohe Schutzrate des Rechens belegt. Des Weiteren wurde auch der Fischauf-
stieg mit 25% stark von den Abwanderern frequentiert, was der günstigen Lage,
dem großräumigen Öffnungsquerschnitt und den dortigen Strömungssignaturen
geschuldet sein dürfte.
Die Ergebnisse der Feldstudien decken sich insoweit mit den Laborstudien, als
dass bei letzteren keine Rechendurchgänge bei 18 mm stattfanden und ein kon-
trolliertes Abwanderungsverhalten bei einer Anströmgeschwindigkeit von va =
0,4 m/s gegeben war. Ebenso bestätigt auch der Anströmwinkel von δ = 45° so-
wohl im Labor als auch im Feld eine gute Leitwirkung, welche für ein rasches
Auffinden des Bypasses verantwortlich war.
Die detaillierte Auswertung der einzelnen Verweildauern an den jeweiligen Sen-
dern als auch der Verschnitt mit den ermittelten hydraulischen Signaturen steht
noch aus.
3 Ethohydraulische Labor- und Feldstudien mit Aalen
Im Herbst 2016 wurden im Labor die ethohydraulischen Versuche mit Aalen am
Schrägrechen durchgeführt.
3.1 Laborstudien
Für die Laborversuche wurden 500 Aale mit einer Länge von 40 bis 80 cm einge-
setzt. Die Tiere stammten aus den Catch & Carry Programmen am Neckar
(EnBW) und Main (e.on), sowie aus einer Fangaktion des RP Karlsruhe am Rhein.
Die einzelnen im Labortest eingesetzten Gruppen umfassten je 6 Aale, jede
Gruppe wurde nicht mehr als zweimal und dabei in unterschiedlichen Setups ge-
testet, um das bei Aalen bekannten Lernverhalten weitestgehend ausschließen zu
können.
Ohne Elektrifizierung des Rechens wurden 26 verschiedene Setups mit je 2 bis 4
Probandengruppen untersucht; mit Elektrifizierung kamen 16 weitere Setups mit
je 2 bis 5 Wiederholungen hinzu (Tab. 2). Wie bei den Smolt-Versuchen auch
bestand neben dem Schrägrechen ein durchflossener Bypass mit schlitzartiger
Öffnung von der Sohle bis zur Wasseroberfläche.
Für die Elektrifizierung wurde ein Stromfeld zwischen den Stäben und hinter dem
Rechen erzeugt: hierbei bildete der Rechen die Anode und eine im Abstand von
20-25 cm hinter dem Rechen angeordnete Baustahlmatte die Kathode (Abb. 4).
Das Stromfeld wurde mit einer schwachen Spannung von 38 V betrieben, welche
so auch bspw. bei Weidezäunen eingesetzt wird.
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Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen
für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen
Tabelle 2: Mit dem Laborrechen durchgeführte Setups mit Aalen mit und ohne Stromfeld
Abbildung 4: Rechen mit dahinter liegender Baustahlmatte als Elektrode von Unterstrom aus
gesehen. (Quelle: EnBW)
Erste Erkenntnisse
Die folgenden fünf verschiedenen Verhaltensweisen von Aalen konnten am Ho-
rizontalrechen ohne Elektrifizierung beobachtet werden:
(1) Schlängelndes Antreiben der Tiere mit der Strömung, was zum Aufprall auf
den Rechen oder (zufällig) in den Bypass führt. Ausgehend vom Rechenauf-
prall schlängeln sich die Tiere entlang der Stäbe bis in den Bypass oder sie
zeigen nach dem Anprallen eine Umkehrreaktion mit Abstoßen vom Rechen
und Schwimmen ins Oberwasser.
(2) Mit dem Schwanz voran langsam sondierend (zufällig) direkt in den Bypass
einschwimmend gefolgt vom Abwandern durch den Bypass.
(3) Lange direkt vor dem Rechen verweilend/verharrend ohne erkennbares Such-
oder Sondierverhalten und ohne erkennbaren Stress oder Fluchtabsicht.
0,4 18 30 (+ elektrisch)
0,5 18 30 (+ elektrisch)
0,7 18 30 (+ elektrisch)
0,8 18 30 (+ elektrisch)
0,4 18 (+ elektrisch) 30 (+ elektrisch)
0,5 18 (+ elektrisch) 30 (+ elektrisch)
0,7 18 (+ elektrisch) 30 (+ elektrisch)
0,8 18 (+ elektrisch) 30 (+ elektrisch)
0,4 18 30 (+ elektrisch)
0,5 10 18 30 (+ elektrisch)
0,7 18 30 (+ elektrisch)
0,8 10 18 30 (+ elektrisch)
30
45
55
Anströmwinkel
δ [°]
Anströmgeschwindigkeit
va [m/s]Stabweite s [mm]
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(4) Schlängeln entlang des Rechens zur Rinnenwand oder nach Oberwasser in
ruhigere Zonen.
Damit bestätigen die Beobachtungen die erkannten Verhaltensweisen der Aale
aus Lehmann et al (2016) und es zeigt sich, dass Aale im Vergleich zu den Smolts
überwiegend den direkten Kontakt mit der Barriere aufnehmen und sich von der
Rechenschrägstellung keinesfalls ausgeprägt zum Bypass hinleiten lassen.
Zusätzlich konnten weitere aalspezifische Erkenntnisse erarbeitet werden:
Kürzere Rechen sorgen für eine schnellere Abwanderung. Je länger der Re-
chen desto häufiger kam es vor, dass kleine Änderungen in den Strömungssig-
naturen bspw. infolge des Rechenrahmens oder der Stützkonstruktion die Aale
zum Verharren oder Flüchten veranlassten. Für die Praxis bedeutet dies, dass
die Abwanderdauern an realen Rechenfeldern deutlich länger als bei Smolts
sein werden.
Bei höheren Anströmgeschwindigkeiten (va ≥ 0,7 m/s) wurde bei den Aalen
häufig ein ruckartiges/gestresstes Verhalten beim Anprallen auf den Rechen
beobachtet, wodurch benachbarte dort verharrende Aale teils aufgeschreckt
wurden und dann ebenfalls gestresst reagierten. Bei niedrigen Geschwindig-
keiten (va ≤ 0,5 m/s) überwiegte ein aktives Sondierverhalten mit stressfreien
Berührungen am Rechen.
Auch bei Anströmgeschwindigkeiten von va = 0,8 m/s konnten sich alle Aale
vom Rechen lösen und flussaufwärts schwimmen.
Impingement wurde bei den Aalen am Schrägrechen für die untersuchten An-
strömgeschwindigkeiten nicht beobachtet, da infolge des schrägen Verlaufes
der Rechenoberfläche beim Wegstoßen des Aales gegen die Strömung rasch
genug Raum entstand, der vom Tier für das schlängelnde Wegschwimmen ge-
nutzt wurde.
Rechenpassagen fanden bei Stababständen bis s = 18 mm keine statt.
Bei Stababständen von s = 30 mm sind 15% der Aale abgewandert. Mit elektri-
fiziertem Rechen war es bei selber Konfiguration nur 1% der Tiere, was auf
eine effektive Scheuchwirkung des elektrischen Feldes schließen lässt.
Bei den elektrischen Laborstudien wurden grundsätzlich sehr ruckartige Re-
aktionen beim Abtasten der Stabzwischenräume beobachtet. Dies hatte eine
plötzliche Umkehr nach Oberstrom zur Folge. So wurde ein langes Verharren
der Aale am Rechen und zwischen den Stäben verhindert, was an bestehenden
Wasserkraftanlagen positiv zu bewerten ist, da infolge der Rechenreinigung
oft eine hohe Mortalität bei den am Rechen befindlichen Aalen entsteht.
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Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen
für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen
Aufgrund dieser Beobachtungen können für die Bemessung von nicht elektrifi-
zierten Horizontalrechen für Aale die gleichen Empfehlungen wie bei den Lachs-
smolts gegeben werden – jedoch ist zu beachten, dass die Leitwirkung des Schräg-
rechens auf Aale deutlich geringer ausfällt wodurch die Abwanderdauern für Aale
länger als bei Smolts sind. Bei der Herstellung eines schwachen elektrischen Felds
im Nahfeld des Rechens verringert sich der Kontakt und das Verharren der Aale
am Rechen, so dass in diesem Fall die Stabweite auf 30 mm heraufgesetzt werden
kann, ohne eine hohe Anzahl an Rechenpassagen befürchten zu müssen.
3.2 Feldstudien
Im Feld wurde sowohl das Verhalten der Aale am nicht elektrifizierten Horizon-
talrechen in Ottenau untersucht, als auch das Verhalten an einer elektrischen
Scheuchanlage am EnBW-Unterliegerkraftwerk Rotenfels. Die Versuche laufen
seit ca. Mitte November 2016; bis Anfang Januar 2017 waren auf Grund der Nied-
rigwasserphase erst ca. 50 % der besenderten Aale abgewandert.
Versuchsaufbau
Insgesamt wurden 124 Aale besendert und oberhalb vom Kraftwerkskanal Ot-
tenau eingesetzt. Der Versuchsaufbau in Ottenau entspricht dem der Lachssmolt-
versuche (Abb. 3).
Abbildung 5: Luftbild der drei Elektrodenreihen der Scheuchanlage am Kraftwerkskanalein-
lauf Rotenfels (Quelle: EnBW)
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Die elektrische Scheuchanlage am Kraftwerkskanaleinlauf des WKW Rotenfels
wurde aus drei Reihen Schwimmelektroden mit einer Spannung von 80 V instal-
liert und an der Murgsohle mittels Tauchern befestigt (Abb. 5).
Bisherige Erkenntnisse
Bis zum 05.01.2017 waren von 124 Aalen 64 in Ottenau am Horizontalrechen und
40 in Rotenfels an der Elektroscheuche abgewandert (Tab. 3).
Tabelle 3: Stand der Abwanderung in Ottenau und Rotenfels vom 05.01.2017
Die Ergebnisse sind vergleichbar mit denen der Lachssmolts, da auch hier kein
Aal über den 18 mm Rechen abgewandert ist, sondern vorwiegend Streichwehr
und Fischabstieg benutzt wurden. Dies deckt sich auch mit den Laborstudien bei
s = 18 mm. Bei der elektrischen Scheuchanlage hingegen sind bisher fast 50% der
Aale durch diese mit der Hauptströmung durch das Kraftwerk abgewandert.
Grund dafür ist die große „Stabweite“ der Elektroden von 0,3 bis 0,4 m, was eine
situative Ähnlichkeit zu einem Horizontalrechen mit bspw. 30 mm Stababstand
nicht mehr ermöglicht. Hieraus wird ersichtlich, dass die Verhaltensbarriere als
hinreichende Komponente mechanische Fischschutzanlagen ergänzen/effektivie-
ren kann - als notwendige Komponente muss jedoch stets eine mechanische Bar-
riere (bspw. Rechen) vorhanden sein.
Da sich die Aalwanderzeit über den Januar 2017 ausdehnen kann, werden hier
noch Änderungen an den Ergebnissen erwartet.
Eine umfassende Auswertung und Zusammenstellung der Ergebnisse, Erkennt-
nisse und Empfehlungen erfolgt 2017 im Rahmen einer Dissertation an der TU
Darmstadt und wird 2018 in der Schriftenreihe des Instituts für Wasserbau und
Wasserwirtschaft der TU Darmstadt veröffentlicht werden.
Stück [%] Stück [%]
abgewandert in Ottenau
angekommen in Rotenfels
Fischabstieg 22 34,4% 5 12,5%
Fischaufstieg 14 21,9% 2 5,0%
Streichwehr 28 43,8% 15 37,5%
Kraftwerk 0 0,0% 18 45,0%
- 40 von 64
Ottenau RotenfelsBesendert: 124 Aale
64 von 124 -
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Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen
für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen
4 Literatur
Anderer, P., U. Dumont, E. Massmann, R. Keuneke (2012): Wasserkraftnutzung in
Deutschland - Wasserrechtliche Aspekte, ökologisches Modernisierungspotenzial
und Fördermöglichkeiten. Schriftenreihe des Umweltbundesamtes 22-2012, Dessau-
Roßlau 2012.
Glock, T. (2016): Experimentelle Ermittlung von 3D-Strömungssignaturen und
hydraulischjen Verlusthöhen bei schräg angeströmten Rechenanlagen. Masterarbeit
an der Technischen Universität Darmstadt, Darmstadt, 2016.
Kirschmer, O. (1925): Untersuchungen über den Gefällsverlust an Rechen. Mitteilungen
des Hydraulischen Instituts der Technischen Hochschule München, München 1925
Lehmann, B., B. Adam, O. Engler, K. Schneider & V. Hecht (2016): Untersuchungen zum
Orientierungs- und Suchverhalten abwandernder Fische zur Verbesserung der
Dimensionierung und Anordnung von Fischschutzeinrichtungen vor
Wasserkraftanlagen. BfN-Schriftenreihe Naturschutz und biologische Vielfalt (in
Druck).
Autoren:
Dipl.-Ing. Claudia Berger
EnBW Energie Baden-Württemberg AG
Schelmenwasenstr. 15
70567 Stuttgart
Tel.: +49 711 28989-396
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr.-Ing. habil. Boris Lehmann
Technische Universität Darmstadt
Fachgebiet Wasserbau und Hydraulik
Franziska-Braun-Str. 7
64287 Darmstadt
Tel.: +49 6151 16-21165
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic
Profiling Tool und Mini-Pump Tests
Bas Berbee
Gert-Ruben van Goor
Eugen Martac
Das Hydraulic Profiling Tool (HPT) ist ein Direct-Push System, das die relative
hydraulische Durchlässigkeit von unterirdischen Sand- und Kieslagen misst. Die
absolute Durchlässigkeit dagegen wird zumeist durch Zusammenhänge mit anderen
Verfahren abgeleitet. Diese zusätzlichen Schritte sind aber zeit- und kostenintensiv.
Aus diesem Grund hat Fugro eine alternative Feldtechnik entwickelt, um gleichzei-
tig bei einer HPT-Sondierung auch die absolute Durchlässigkeit abzuleiten. Die
HPT-Sondierung wird dabei für einen so genannten Mini-Pump Test (MPT) ange-
halten, wobei Wasser in den Boden injiziert wird. Der resultierende Druckaufbau
wird von einem zusätzlichen Piezometer gemessen. Durch invers-analytische Mo-
dellierungstechniken können sowohl die hydraulische Durchlässigkeit K als auch
der Speicherkoeffizient Ss berechnet werden. Diese Methode ist im Vergleich zur
derzeit üblichen Arbeitsweise wesentlich effizienter und kann mit traditionellen
Sondierungstechniken kombiniert werden.
Die neue Messtechnik wurde jüngst im niederländischen Rhein-Maas-Delta einge-
setzt. Hierbei stellte sich heraus, dass die Ergebnisse aus der MPT Methode Durch-
lässigkeitswerte in der gleichen Größenordnung wie die großmaßstäblichen Pump-
versuche und Piezometer Analysen ergeben.
Stichworte: HPT, Mini-Pump Test, Durchlässigkeit K, Speicherkoeffizient Ss
1 Aufgabestellung
In den Niederlanden gibt es mehr als zehntausend Kilometer Deich als Hochwas-
serschutz. Die Deiche werden überprüft und, wenn notwendig, saniert. Für den
Piping Mechanismus (Rückschreitende innere Erosion) gibt es neue, stringentere,
Regeln für Zustandsanalysen und Entwurf. Einer der wichtigsten Parameter ist
dabei die Durchlässigkeit K der Sand- und Kieslagen unter der Deichsohle. Dabei
ist auch die Heterogenität vom Boden und die Responsezeit des Grundwassers
(Speicherkoeffizient Ss) wichtig für eine realistische Modellierung.
Die übliche Vorgehensweise für die Bestimmung dieser Parameter sind die Ab-
leitung der Durchlässigkeit von Korngrößenverteilungen, von der Vermessung
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352 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests
des Hochwasserdruckverlaufs im Aquifer, von Slug-Tests oder von großräumigen
Pumpversuchen. Diese messen oft nur einen Parameter und kosten viel Zeit und
Geld.
Für die Untersuchung des Deiches werden außerdem oft Drucksondierungen
durchgeführt, die den Spitzendruck und die Mantelreibung gleichzeitig messen.
Eine kombinierte Messung der Durchlässigkeit K und des Speicherkoeffizienten
Ss mit einer traditionellen Drucksonde würde somit zeitliche und finanzielle Vor-
teile bieten. Die Entwicklung einer solchen Messtechnik war die Aufgabe dieser
Forschungsarbeit.
Stand der Technik
Es gibt bereits verschiedene Methoden für Durchlässigkeitsbestimmungen, z.B.
Direct Push oder CPT basiert. Es gibt punktuelle Messungen, die absolute Durch-
lässigkeiten ergeben (Parez & Fauriel (1988), Kemp (1999; Doorlatendheids-
sonde), Van Baars & De Graaf (2007) und Butler et al. (2007; DPP Methode)
sowie die relativen Durchlässigkeiten (Durchfluss/Wasserdruck Q/P) ermitteln
(Dietrich et al. (2008; DPIL), McCall & Christy (2010; HPT) und Reiffsteck et
al. (2010; Permeafór). Ein kontinuierliches Profil der absoluten Durchlässigkeit
kann beispielweise mit der Methode Elsworth & Lee (2005) oder der HRK Me-
thode (Liu et al., 2009; DPP und DPIL kombiniert) erlangt werden.
Kemp (1999) und Butler et al. (2007) nutzen den Druckunterschied zwischen zwei
Messpunkten auf der Sonde und bestimmen die Durchlässigkeit mit Hilfe der sta-
tionären sphärischen Darcy Formel. Bei einer traditionellen HPT-Sondierung
wird während der Bewegung der Sonde Wasser in den Boden injiziert. Das Re-
sultat ist ein Profil der relativen Durchlässigkeit (Q/P). Dieses Verfahren ergibt
jedoch keine absoluten Durchlässigkeiten und keine Speicherkoeffizienten. Die
absolute Durchlässigkeit konnte bisher nur mit Hilfe von extra ausgeführten (Son-
dier-) Slug-Tests ermittelt werden. Die HPT-Technik wurde bereits mit Druck-
sonden kombiniert.
2 Der Mini-Pump Test (MPT)
Um ein Profil der absoluten Durchlässigkeit K und des Speicherkoeffizienten Ss
in Kombination mit einer traditionellen Drucksonde zu erhalten, ist für die HPT-
Sonde eine komplementäre Technik, der sogenannte Mini-Pump Test (MPT) ent-
wickelt worden.
HPT inklusive MPT unterscheidet sich dadurch, dass die Sonde auf einer festge-
legten Tiefe angehalten wird. Zuerst wird der Wasserüberdruck, der durch die
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Bewegung der Sonde nach unten aufgebaut wurde, abgelassen (Dissipationstest).
Nachfolgend wird mit unterschiedlichen Durchflussmengen Wasser injiziert. Der
Aufbau des Porenwasserdrucks, der auf die Injektion folgt, wird mit traditionellen
(u1 oder u2) Drucksensoren gemessen. Nach einem zweiten Dissipationstest (um
einen hydrostatischen Zustand zu erreichen), wird die HPT-Sondierung bis zum
nächsten MPT bzw. bis zur Endtiefe fortgesetzt.
Abbildung 1: Wirkung eines MPT.
2.1 Inverse Modellierung des MPT
MPT ist mit der Doorlatendheidssonde und den DPP Techniken vergleichbar,
man hat jedoch statt zwei nur einen Porenwasserdrucksensor. Die stationäre
Darcy Formel ist damit nicht anwendbar. Für MPT benutzt man die instationäre
Formel, wie sie bei Bruggeman beschrieben ist (199; Formel 410.03):
𝜑 = 𝑄
4𝜋𝑟𝑘𝑠 𝑒𝑟𝑓𝑐 (
𝛽𝑟
2√𝑡) mit 𝛽 = √
𝑆𝑠
𝑘𝑠 (1)
φ = Wasserdruck
Q = Injektionsdurchfluss
r = Länge zwischen Injektionspunkt und Porenwasserdrucksensor
ks = Sphärische Durchlässigkeit
Ss = Speicherkoeffizient
t = Zeitverlauf seit Injektionsanfang
In einer stationären Situation wird (1) zur stationären sphärischen Darcy Formel
umgewandelt:
𝜑 = 𝑄
4𝜋𝑟𝑘𝑠 (2)
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354 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests
2.2 Zusammenhang HPT und MPT
Formel (2) kann man nutzen, um den Zusammenhang zwischen relativer Durch-
lässigkeit der HPT-Sonde und absoluter Durchlässigkeit abzuleiten, unter der An-
nahme, dass neben dem Injektionsfilter eine stationäre Strömung besteht.
𝑄
𝜑= 𝐶𝑘𝑠 (3)
C = 4πr = Lineare Konstante zwischen Q/φ des HPT und ks des MPT
HPT hat einen kleinen, MPT aber einen großen Einflussbereich. Der MPT Ein-
flussbereich ist von K und Ss abhängig. Für die Ableitung von C (3) soll man des-
wegen Durchschnittwerte des Q/P über den MPT Einflussbereich anwenden.
3 Überprüfung des MPT
Die HPT/MPT-Technik ist in den Niederlanden an den Deichen bei Doeveren
entlang des Flusses ‘Bergsche Maas‘ überprüft und mit traditionellen Verfahren
verglichen worden. Es wurde auch geprüft, ob die CPT/HPT/MPT-Sondierungen
die gleichen Spitzendrücke und Mantelreibungen ergeben wie die traditionellen
CPT-Sondierungen.
Das hydrologische System des Testgebietes besteht aus einem Aquifer mit einer
Mächtigkeit von 50 m. Zu Beginn der Tests waren untenstehende Durchlässigkei-
ten laut Literatur bekannt:
Tabelle 1 Durchlässigkeit des Aquifers laut Literatur. Werte beruhen auf kombinierter
Interpretation von Pumpversuchen und Expert-Judgement
Formation Ober-/Unterkante Quelle
REGIS-Vernes &
Van Doorn (2005)
Quelle
Grondwaterkaart-
Lekahena & Ne-
lisse (1974)
Kreftenheye NAP 0 bis -20 m 10-30 m/d 50 m/d
Sterksel NAP 20 bis -50 m 40-60 m/d
Alle HPT-Sondierungen wurden mit mindestens einem MPT gemäß Abbildung 1
ausgeführt. Bei HPT1 und HPT7 wurden alle 5 m MPT durchgeführt. Die traditi-
onellen Drucksondierungen (DKMP) wurden mit Messung des Spitzendrucks, der
Mantelreibung und des Porenwasserdruckes (u2) bis etwa NAP -30 m abgeteuft.
Alle 5 m wurde ein Dissipationstest durchgeführt und mit Parez & Fauriel (1988)
und Van Baars & van de Graaf (2007) ausgewertet. Die mechanischen Bohrungen
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(MB) wurden bis 25 m Tiefe abgeteuft. In den Bohrlöchern wurden alle 5 m Slug-
Tests durchgeführt sowie Proben entnommen. Ausgewertet wurden die Daten mit
Hvorslev (1951) und Bouwer & Rice (1976) bzw. im Labor mit fallendem hyd-
raulischem Gefälle. In den Handbohrlöchern (PB) wurden ebenso Slug-Tests aus-
geführt. Außerdem wurden Peilrohre installiert um den Verlauf des Grundwasser-
spiegels bei Hochwasser zu messen und davon die Durchlässigkeit mit Hilfe einer
numerischen Modellierung abzuleiten.
Abbildung 2: Generelles Prüfprogramm (nicht maßstabsgerecht).
4 Ergebnisse und Diskussion
4.1 MPT
Abbildung 3 zeigt das Resultat eines typischen MPT. Die drei Injektionsstufen
sind gut erkennbar. Im rechten Teil der Abbildung sieht man die Ergebnisse der
inversen Modellierung. Eine Übersicht aller MPT ist in Abbildung 4 gegeben.
Abbildung 3: Ausarbeitung MPT 3-1; links u1 Druckverlauf (rot) und Durchflussmenge
(schwarz), rechts inverse Modellierung des Druckverlaufs (Modell in rot).
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356 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests
Der u1 Sensor hat kann nur eine begrenzte Druckerhöhung aufnehmen. Die Ober-
grenze des Durchlässigkeitsmessbereichs, die mit MPT gemessen werden kann,
ist damit auf eine Wasserdruckerhöhung von nur einigen Millimetern limitiert.
Selbstverständlich kann man mit einer größeren Injektionsmenge höhere Drücke
erzielen, aber man riskiert dadurch auch, dass der Boden ausgespült wird. Derzeit
wird die maximale Obergrenze und das Ausspülrisiko untersucht. Die ersten Er-
gebnisse zeigen, dass das System bis zu mindestens einer Durchlässigkeit von 150
m/d nutzbar ist.
Abbildung 4: MPT im Vergleich mit traditionelle Verfahren; links traditionelle physische
Durchlässigkeitsmessungen und MPT, rechts empirische Durchlässigkeit in
Abhängigkeit von Korngrößenverteilungen. Großräumige Tests sind mit verti-
kaler Linien dargestellt (rot, blau und grün).
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4.2 Vergleich mit traditionellen Verfahren und Maßstabseffekt
Die Ergebnisse traditioneller physischer und empirischer Verfahren sind in Ab-
bildung 4 dargestellt. Im Vergleich mit großräumigen Messungen (vertikale Li-
nien) ergeben sich (mit Ausnahme von MPT) bei den physischen Tests sehr nied-
rige Durchlässigkeitswerte. Eine Steigung der Durchlässigkeit unterhalb NAP -
10 m ist durchaus zu erkennen. Die empirischen Durchlässigkeiten von Korngrö-
ßenverteilungen zeigen weniger Streuung, ergeben aber keine klare Reproduzier-
barkeit der Durchlässigkeitssteigung.
Die niedrigen Durchlässigkeitswerte von kleinräumigen Tests sind mit dem Bo-
denvolumen positiv korreliert (Abbildung 5). Wie von Schulze Makuch et al.
(1999) nachgewiesen, besteht dieser Zusammenhang bis die Obergrenze für groß-
räumige Tests erreicht ist. Die Lage der Obergrenze ist von der Heterogenität der
Ablagerung abhängig. Dieser Maßstabseffekt erklärt auch, warum ein großräumi-
ger Test die Chancen erhöht, die bevorzugten Strömungswege an zu treffen. Der
Piping Mechanismus bezieht sich auf ein Bodenvolumen von mindestens 1000
m3. Für Piping sind daher in diesen fluviatilen Sedimenten nur Tests nutzbar, die
eine Durchlässigkeit an der Obergrenze ergeben. Für diese Sedimente eignen sich
großräumige Pumpversuche, Modellierung von Grundwasserresponse-Messun-
gen und MPT.
Abbildung 5: Durchlässigkeit aller Tests versus Bodenvolumen. Das Bodenvolumen wurde
anhand des gebrauchten Wasservolumens und einer Porosität von n = 0,4 be-
rechnet.
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358 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests
4.3 Einfluss auf traditionelle Drucksondierung
Eine Kombination der HPT/MPT-Sonde mit traditionellen Drucksondierungen ist
nur möglich, wenn die HPT/MPT-Messungen die Resultate der Drucksonde nicht
wesentlich beeinflussen. Um das zu prüfen, wurden der Spitzendruck und die
Mantelreibung mit traditioneller DKMP sowie mit DKMP/HPT/MPT gemessen
und die Ergebnisse voneinander abgezogen. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung
der Differenz ist in Abbildung 6 dargestellt. Die Paare DKMP1-DKMP2 und
HPT5-HPT6 ergeben die Bezugsstreuung. Der Spitzendruck ist bei beiden Son-
diermethoden gleich. Die Differenz DKMP-DKMP/HPT ist nicht größer als bei
zwei DKMP-Sondierungen. Die Mantelreibung ist bei DKMP/HPT-
Sondierungen generell etwas höher. Das Reibungsverhältnis, das oft für die Be-
stimmung der Bodenart verwendet wird, ist dadurch etwa 0,5 % niedriger. Der
Unterschied ist vernachlässigbar klein und somit für die Bestimmung der Boden-
art nicht relevant.
Abbildung 6: Wahrscheinlichkeitsverteilungen DKMP-HPT Paare und Paar-distanz
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5 Konklusion und Dank
Wie gezeigt wurde, ist es mit HPT/MPT möglich, gleichzeitig mit einer traditio-
nellen Drucksondierung ein kontinuierliches Profil der Durchlässigkeit zu erhal-
ten. Wegen des Maßstabseffekts bei Durchlässigkeitsbestimmungen ist
HPT/MPT für großräumige Prozesse wie Piping besser geeignet als kleine Tests
wie Labor- oder Slug-Tests. Die Messergebnisse einer Drucksondierung (Spitzen-
druck und Mantelreibung) werden nur in geringem Maß durch die HPT/MPT-
Sonde beeinflusst.
Die Untersuchungen bei Doeveren wurde durch das Niederländische „Hoogwa-
terbeschermingsprogramma en Waterschap Aa en Maas“ ermöglicht.
6 Literatur
Hvorslev, M. J. (1951). Time Lag and Soil Permeability in Ground-Water Observations.
Vicksburg, Mississippi: Waterways Experiment Station, Corps of Engineers, U.S.
Army.
McCall, W., and T. Christy (2010). Development of hydraulic conductivity estimate for
the hydraulic profiling tool.
Parez, L., and R. Fauriel (1988). Le piézocône. Améliorations apportées à la
reconnaissance des sols. Revue Française Géotechnique 44: 13-27.
Rosas, J., O. Lopez, T.M. Missimer, K.M. Coulibaly, A.H. Dehwah, K. Sesler, D. Mantilla
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Different Despositional Environments. Groundwater 52: 399-413.
Schulze-Makuch, D., D.A. Carlson, D.S. Cherkauer and P. Malik (1999). Scale
Dependency of Hydraulic Conductivity in Heterogeneous Media. Groundwater, 37:
904–919.
van Baars, S., and H. Van de Graaf (2007). Determination of Organic Soil Permeability
Using The Piezocone Dissipation Test. Environmental and Engineering GeoSciences
Vernes, R. W., and H.M. Van Doorn (2005). Van Gidslaag naar Hydrogeologische Eenheid
Toelichting op de totstandkoming van de dataset REGIS II. Utrecht: Nederlands
Instituut voor Toegepaste Geowetenschappen TNO.
Dietrich, P., J.J. Butler, K. Faiß (2008). A rapid method for hydraulic Profiling in
unconsolidated formations. Ground Water 46: 323-328..
Butler, J.J., P. Dietrich., V. Wittig and T. Christy (2008). Characterizing hydraulic
conductivity with the direct-push permeameter. Ground Water 45: 409-419.
Kemp, C., (1999). Bepalen van de in situ doorlatendheid met de doorlatendheidssonde.
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360 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests
Liu, G., J.J. Butler, G.C. Bohling, E. Reboulet, S. Knobbe. and D.W. Hyndman. (1999). A
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Elsworth, D and D.S. Lee (2005). Permeability Determination from on-the-fly piezocone
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Reiffsteck, Ph., B. Dorbani, E. Haza-Rozier and J.-J. Fry (2010) A new hydraulic profiling
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cone penetration testing (CPT’10). Volume 2: Equipment and Procedures, Paper No.
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Bruggeman, G.A. (1999) Analytical solutions of geohydrological problems. Developments
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Lekahena, E.G. and G.A.G. Nelisse (1974) Grondwaterkaart van Nederland - schaal
1:50.000 : geohydrologische toelichting bj kaartbladen 45 West en 45 Oost ('s -
Hertogenbosch). Dienst Grondwaterverkenning TNO, Delft
Den Rooijen, H. (1992) Literatuuronderzoek doorlatendheid- korrelkarakterisitieken
Grondmechanica Delft Rapport CO-317710/7
Bouwer, H. and R.C. Rice, (1976) A slug test method for determining hydraulic
conductivity of unconfined aquifers with completely or partially penetrating wells,
Water Resources Research, vol. 12, no. 3, pp. 423-428
Autoren:
Bas Berbee M.Sc.
Gert Ruben van Goor M.Sc.
Fugro GeoServices B.V.
Archimedesbaan 13
3439 ME Nieuwegein
Niederlande
Tel.: +31 306 028 175
E-Mail: [email protected]
E-Mail: [email protected]
Dr. Eugen Martac
Fugro Consult GmbH
Ofterdinger Str. 3
72116 Mössingen
Deutschland
Tel.: +49 7473 95 138-02
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten
Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen im
Rückstaubereich von Sperrwerken
Edgar Nehlsen
Peter Fröhle
Im Rahmen der Umsetzung der HWRM-RL sind auch für die Nebenflüsse der gro-
ßen deutschen Ästuare Hochwasserereignisse mit definierten Eintrittswahrschein-
lichkeiten zu ermitteln und deren Auswirkungen zu betrachten. Ein wesentliches
Wasserstands beeinflussendes Merkmal der meisten Nebenflüsse der deutschen
Ästuare sind Sturmflutsperrwerke im Bereich von deren Mündung. Im Rückstau-
bereich dieser Sperrwerke führen kombinierte Ereignisse, bestehend aus einer Sper-
rung über mehrere Tiden überlagert mit einem Binnenhochwasserabfluss zu maß-
gebenden Hochwasserständen. Die im Folgenden zusammengefassten Untersu-
chungen zeigen eine Möglichkeit auf, wie die Wahrscheinlichkeit eines solchen
kombinierten Hochwasserereignisses ermittelt werden kann. Aus einer beispielhaf-
ten Anwendung geht hervor, dass das es sich hierbei vielfach um extrem seltene
Ereignisse mit sehr großen Wiederkehrintervallen (teilweise > 5000 Jahre) handelt.
Im Hinblick auf die Umsetzung der EU-HWRM-RL, die die Betrachtung von
Hochwasserereignissen definierter Wahrscheinlichkeiten fordert, ist es daher sinn-
voll die bestehenden Annahmen zu überprüfen, gegebenenfalls anzupassen und die
Wahrscheinlichkeiten von den angesetzten kombinierten Hochwasserereignissen
auf der Grundlage der präsentierten Methodik spezifisch für jeden Nebenfluss zu
bestimmen.
Stichworte: Sperrwerk, Tide, kombinierte Wahrscheinlichkeit
1 Einführung
Viele Nebenflüsse der großen deutschen Ästuare sind im Bereich ihrer Mündung
mit einem Sturmflutsperrwerk versehen. Planung und Bau der Sperrwerke wurde
forciert durch die schweren Sturmfluten von 1953 (Niederländische Küste) und
1962 (Deutsche Bucht) in deren Folge die Küstenschutzstrategie für die Nordsee-
küste überarbeitet wurde. Ein wesentliches Ziel der neuen Strategie war die deut-
liche Verkürzung der Hauptdeichlinien (Niedersachsen Ministerium für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Forsten 1962; Schleswig-Holstein Ministerium für Er-
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Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen
im Rückstaubereich von Sperrwerken
nährung, Landwirtschaft und Forsten 1963). Dementsprechend wurden die Sperr-
werke im Bereich der Mündungen der Nebenflüsse platziert, deren Deiche bis zur
Inbetriebnahme der Sperrwerke ebenfalls zur Hauptdeichlinie gehörten. Im Be-
reich der Unterelbe wurde die Länge der Hauptdeichlinie durch den Bau von
Mündungsschöpfwerken an den sieben größten Nebenflüssen mehr als halbiert.
Die Schließung der Sperrwerkstore erfolgt in der Regel bereits bei Wasserständen
von 0,5 m bis 1,0 m über dem mittleren Tidehochwasser (MThw) was dazu führt,
dass einige Sperrwerke häufiger als 100 Mal pro Jahr geschlossen werden.
Auf der Binnenseite der Sperrwerke führte deren Inbetriebnahme zu einer grund-
sätzlichen Änderung der Hochwassersituation. Da Sturmfluten gekehrt werden,
sind in den Unterläufen der Nebenflüsse keine Wasserstände in der Größenord-
nung von extremen Sturmfluten mehr zu erwarten. Trotzdem können sich auf der
Binnenseite der Sperrwerke hohe Wasserstände einstellen, die zu Überflutungen
der Niederungen der Nebenflüsse führen. Diese Hochwassersituation wird
dadurch hervorgerufen, dass der Binnenabfluss während einer lange andauernden
Sperrung nicht abfließen kann und es folglich zu einem Aufstau des Wassers auf
der Binnenseite des Sperrwerks kommt. Von dem Aufstau ist in der Regel der
gesamte tidebeeinflusste Abschnitt eines Nebenflusses betroffen.
Entsprechend der veränderten Auslöser für die Hochwasserentstehung wurden für
Bemessungsaufgaben, wie z.B. die Festlegung des Deichbesticks für die Neben-
flüsse oder die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten, Hochwasserereig-
nisse definiert, die eine Kombination aus Binnenabfluss und lange andauernden
hohen Außerwasserständen im Hauptästuar mit umfassen. Heute besteht insbe-
sondere vor dem Hintergrund der Umsetzung der EU-Hochwasserrisiko-
management-Richtlinie (EU-HWRM-RL) die Frage nach der Wahrscheinlichkeit
mit der ein solches kombiniertes Ereignis auftritt.
In Abbildung 1 ist ein denkbarer schematischer Verlauf der Abfluss- und Wasser-
standsganglinien im Fall einer Sperrung über eine Tnw-Kette mit zwei aufeinan-
derfolgenden erhöhten Tideniedrigwassern (Tnw) dargestellt. Diese führen dazu,
dass das Sperrwerk aufgrund hoher Außenwasserstände auch zu den Zeitpunkten
der beiden Tnw nicht geöffnet werden kann. Die im Folgenden vorgestellten Er-
gebnisse beziehen sich allesamt auf das in Abbildung 1 schematisch dargestellte
Ereignis, das in Anlehnung an die gängige Praxis gewählt wurde.
Der Binnenabfluss setzt sich an Nebenflüssen in tief liegenden Marschen aus zwei
wesentlichen Komponenten zusammen: i) dem natürlichen Zufluss aus dem obe-
ren Einzugsgebiet (zumeist der Geest), der im freien Gefälle erfolgt und ii) dem
künstlichen Zufluss über die Schöpfwerke, die das untere Einzugsgebiet im Be-
reich der Marsch entwässern. Für den Zufluss aus dem oberen Einzugsgebiet wird
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in der Praxis zumeist ein statistisches Abflussereignis mit einem definierten Wie-
derkehrintervall, z.B. HQ5 oder HQ10, angenommen. Außerdem überlagert sich
die maximale Fülle der Hochwasserganglinie mit der Sperrung. Der Zufluss über
die Schöpfwerke wird aufgrund der mangelnden Datengrundlage als konstant an-
genommen. Die Sperrung beginnt während der Flut sobald der Außenwasserstand
den festgelegten Schließwasserstand überschreitet. Durch den abrupt abreißenden
Impuls entsteht zunächst ein Absperrsunk. Parallel zur Beruhigung der Strömung
und dem Ausspiegeln des Wasservolumens führt der Binnenabfluss zu einem An-
stieg des Wasserspiegels. Die Anstiegsrate des Wasserspiegels hängt dabei von
der Fülle des Abflusses und dem Stauraum hinter dem Sperrwerk ab. Letzterer ist
in der Regel eine fixierte Größe, die durch die Topographie von Gewässer und
Vorländern (inklusive Verlauf der Deichlinie) gegeben wird. Nur wenige Neben-
flusssysteme, wie z.B. (Ochtum, Hunte, Lühe) verfügen an ihren Unterläufen über
Polder, die bei hohen Wasserständen geflutet werden und somit den Anstieg des
Wasserspiegels verlangsamen.
Abbildung 1: Schematischer Verlauf und zeitliche Überlagerung der Wasserstands- und Abfluss-
ganglinien im Fall einer Sperrung über eine Kettentide mit zwei erhöhten Tnw, aus (Nehlsen
2017)
Der fortwährende Anstieg des Binnenwasserstands im Fall einer Sperrung wird
erst durch die Wiederöffnung des Sperrwerks bei Gleichheit von Binnen- und Au-
ßenwasserstand gestoppt. Die Veranschaulichung der Wasserstandsganglinien in
Abbildung 1 macht deutlich, dass die Tnw eine entscheidende Bedeutung haben,
da zu diesen Zeitpunkten der Wasserstandsverlauf definitionsgemäß ein lokales
Minimum aufweist. Dementsprechend wird bei den nachfolgend vorgestellten
Untersuchungen zur Bestimmung des Wiederkehrintervalls eines kombinierten
Ereignisses sowohl die Größe des Abflusses als auch die Tnw im Hauptästuar
einbezogen.
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Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen
im Rückstaubereich von Sperrwerken
2 Methodik
Die Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit des dargestellten Bemes-
sungsereignisses erfordert eine statistische Analyse von Tideniedrigwasser- und
Abflusszeitreihen. Dabei sollten die zugrunde gelegten Wasserstandszeitreihen
repräsentativ für die Verhältnisse auf der Außenseite des jeweiligen Sperrwerks
und die Abflusszeitreihen repräsentativ für den Binnenabfluss aus dem gesamten
Einzugsgebiet des jeweiligen Nebenflusses sein.
Die Wasserstände im Bereich der Ästuare unterliegen im Allgemeinen unter-
schiedlichen Einflüssen, die zu einer Veränderung der mittleren Wasserstände
führen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führten z.B. massive Baumaß-
nahmen, die die Verbesserung der Schiffbarkeit die Sicherung des anthropogen
genutzten Raumen zum Ziel hatten, zu teilweise signifikanten Veränderungen der
mittleren Wasserstände. Von diesen Änderungen sind auch die Tnw betroffen.
Während die Veränderungen des MTnw im Mündungsbereich der Ästuare noch
vergleichsweise gering ausfallen ist in Richtung stromauf jedoch eine deutliche
Abnahme der Tnw-Höhen erkennbar. Das bedeutet im Rahmen dieser Untersu-
chung, dass die gemessenen Zeitreihen im Bereich der Nebenflussmündungen zu-
nächst überprüft und homogenisiert werden müssen. Das Ziel der Homogenisie-
rung ist es, den anthropogenen Einfluss weitgehend zu eliminieren und darüber
hinaus eine möglichst lange Tnw-Zeitreihe zu generieren.
Ein möglicher Ansatz zur Ermittlung einer homogenen Tnw-Zeitreihe ist die Ver-
wendung eines Regressionsmodells mit dem die gemessenen Daten eines mün-
dungsnahen Bezugspegels auf den jeweils betrachteten Pegel nahe der Mündung
des Nebenflusses transferiert werden. Dabei wird aus jeder gemessenen Zeitreihe
ein Ausschnitt gewählt, der für den aktuellen Ausbauzustand des Ästuars reprä-
sentative Werte beinhaltet. Aus diesem Ausschnitt werden wiederum nur die re-
levanten Ereignisse, d.h. im vorliegenden Fall nur die erhöhten Tnw, extrahiert.
Aus der Gegenüberstellung der Daten im Streudiagramm wird dann eine ab-
schnittsweise lineare Funktion abgeleitet mit der dann die gesamte verfügbare Da-
tenreihe vom Bezugspegel auf den jeweiligen nebenflussnahen Pegel transferiert
wird. Aus der erzeugten Tnw-Zeitreihe wird dann eine Stichprobe bestehend aus
Tnw-Paaren gewonnen, die einer bivariaten Extremwertanalyse unterzogen wird.
In den Zeitreihen des Binnenabflusses aus den Einzugsgebieten sind keine größe-
ren anthropogenen Beeinflussungen zu erwarten. Im Hinblick auf die Ermittlung
des Wiederkehrintervalls des kombinierten Ereignisses (Tnw-Kette mit Hochwas-
serabfluss) ist es allerdings von wesentlicher Bedeutung ob ein signifikanter Zu-
sammenhang (Korrelation) zwischen hohen Binnenabflussereignissen und erhöh-
ten Tnw besteht. Ist dies nicht der Fall, d.h. das Zusammentreffen kann als rein
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zufällig betrachtet werden, dann können die Wahrscheinlichkeiten der beiden
Komponenten Hochwasserabfluss und Tnw-Kette unabhängig voneinander ermit-
telt und anschließend miteinander multipliziert werden. Andernfalls wird eine
multivariate Betrachtung erforderlich. Zur Beurteilung eines möglichen Zusam-
menhangs zwischen den Parametern sowie dessen Stärke werden eine Korrelati-
onsanalyse sowie eine phänomenologische Betrachtung durchgeführt.
3 Datengrundlage
Für die Untersuchungen standen Abflusszeitreihen von Pegeln im oberen Ein-
zugsgebiet der Nebenflüsse und Wasserstandszeitreihen der Tnw von Elbe-Pegeln
für den Zeitraum zwischen ca. 1900 und 2015 (Cuxhaven) bzw. zwischen den
1960er Jahren und 2015 (übrige Pegel) zur Verfügung, die sich in der Nähe der
Nebenflussmündungen bzw. nahe der Elbmündung (Cuxhaven) befinden. Die
Abflusszeitreihen haben eine zeitliche Auflösung von einer Stunde und wurden
vom Landesamt für Landwirtschaft und ländliche Räume Schleswig-Holstein
(LLUR) sowie vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küs-
ten- und Naturschutz bereitgestellt. Die Wasserstandszeitreihen der Tnw wurden
von der Wasser- und Schifffahrtsstraßenverwaltung des Bundes (WSV) zur Ver-
fügung gestellt. Bei allen Zeitreihen handelt es sich um durch die Behörden ge-
prüfte Datensätze.
Während die verwendeten Abflusszeitreihen keine signifikanten Trends aufwei-
sen, ist dies bei den Wasserstandszeitreihen der Tnw der Fall. Die Tnw-Zeitreihen
von den mündungsnahen Pegeln weisen einen positiven Trend auf, z.B. Pegel
Cuxhaven: 1,2 mm/a. Dieser positive Trend kehrt sich in Richtung stromauf des
Ästuars um, so dass die meisten Tnw-Zeitreihen von den weiter stromauf gelege-
nen Pegeln im Bereich der Nebenflussmündungen einen negativen Trend aufwei-
sen. Grundsätzlich nimmt der negative Trend in Richtung stromauf stetig zu.
4 Ergebnisse
Im Folgenden werden Ergebnisse des vorgestellten Ansatzes beispielhaft für den
Elbnebenfluss Krückau dargestellt. Der nächstgelegene Elbe-Pegel ist der Pegel
Kollmar an dem seit 1964 Wasserstände aufgezeichnet werden. Aufgrund der be-
schriebenen starken anthropogenen Beeinflussung werden die Daten jedoch nicht
direkt für weitere Auswertungen genutzt. Stattdessen werden Daten jüngeren Da-
tums genutzt, um das vorgestellte lineare Regressionsmodell aufzubauen. Dazu
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Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen
im Rückstaubereich von Sperrwerken
werden die Tnw der Pegel Kollmar und Cuxhaven in einem Streudiagramm auf-
getragen und Geradengleichungen abgeleitet. In Abbildung 2 sind die am Pegel
Kollmar gemessenen und die auf der Grundlage des Regressionsmodells simu-
lierten Werte dargestellt. Es ist zu erkennen, dass die Werte nur geringfügig von
der Winkelhalbierenden abweichen und das angewendete Verfahren genaue Er-
gebnisse liefert. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil des Ansatzes ist
die Länge der Zeitreihe am Pegel Cuxhaven. Für die weiteren Untersuchungen
steht nunmehr eine Zeitreihe von 115 Jahren zur Verfügung.
Abbildung 2: Streudiagramm der simulierten und gemessenen Tnw-Höhen am Pegel Kollmar
(Zeitraum: 01.11.1964-31.10.2013), aus (Nehlsen 2017)
Aus der simulierten 115 Jahre umfassenden Zeitreihe wird eine Stichprobe ge-
wonnen, die aus Wertepaaren von jeweils zwei aufeinanderfolgenden erhöhten
Tnw besteht. Das Kriterium für die Aufnahme in die Stichprobe ergibt sich in
Anlehnung an (Siefert 1985) und (Gönnert und Siefert 1998). Beide definieren für
die Elbe einen Windstau von mindestens zwei Metern als Sturmflut. Dementspre-
chend werden auch nur solche Tnw-Paare in die Stichprobe aufgenommen, die
einen entsprechenden Windstau aufweisen. Die auf diese Weise für den Pegel
Kollmar gewonnene Stichprobe ist in Abbildung 3 dargestellt. Es wird deutlich,
dass keine Korrelation zwischen den Tnw-Paaren besteht, was jedoch nicht be-
deutet, dass die Paare in gar keinem Zusammenhang stehen. Tatsächlich besteht
ein kausaler Zusammenhang wie von (Nehlsen 2017) dargestellt und untersucht.
Ein statistischer Zusammenhang zwischen den Werten besteht über die Stichpro-
bendefinition, woraus sich schließlich eine Aussage über Wahrscheinlichkeiten
ergibt.
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Abbildung 3: Streudiagramm der Wertepaare bestehend aus zwei aufeinanderfolgenden Tnw mit
einem Windstau von mindestens 2 m (extrahiert aus der simulierten Tnw-Zeitreihe für den Pe-
gel Kollmar, Zeitraum 01.11.1905-31.10.2013)
Nachdem der Zusammenhang zwischen den Tnw-Paaren geklärt ist, stellt sich
noch die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen den erhöhten Binnenabflüssen
und erhöhten Tnw besteht. Dazu sind in Abbildung 4 die Tagesmittelwerte des
Abflusses in der Krückau und die Tnw-Höhe aufgetragen. Da in der Regel zwei
Tnw pro Tag auftreten, wird der jeweils höhere Wert gewählt. Eine Trendanalyse
ergibt keinen signifikanten Trend. Im Gegensatz zu den Tnw-Paaren ergibt die
phänomenologische Betrachtung keinen kausalen Zusammenhang (siehe Nehlsen
2017). Die genaue ereignisbezogene Betrachtung zeigt, dass eine mögliche Kor-
relation von sehr wenigen Ereignissen stark beeinflusst wird. Hierfür sind bei-
spielhaft die Binnenhochwasserereignisse im Oktober 1998 und im Januar 2012
sowie die Nikolaussturmflut 2013 zu nennen.
Abbildung 4: Streudiagramm der Tagesmittelwerte des Abflusses am Krückau-Pegel A23 und
dem höheren Tages-Tnw am Pegel Kollmar (Zeitraum 01.11.1995-31.10.2014)
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Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen
im Rückstaubereich von Sperrwerken
Da zwischen erhöhten Tnw in der Elbe und erhöhten Binnenabflüssen in den Ne-
benflüssen kein Zusammenhang besteht, werden die Wahrscheinlichkeiten der
beiden Komponenten zunächst separat bestimmt und anschließend miteinander
multipliziert. Für den Abfluss wird eine univariate Extremwertanalyse durchge-
führt, um Aussagen zu der Größe definierter statistischer Ereignisse (z.B. HQ5
und HQ10) zu erhalten. Weitere Informationen hierzu sind in (Nehlsen 2017) zu
finden.
Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von zwei deutlich erhöhten (d.h. min. 2m
Windstau) Tnw in Folge wird auf der Grundlage einer bivariaten Analyse be-
stimmt. Hierfür werden Copula-Funktionen herangezogen, mit denen der funkti-
onale Zusammenhang zweier Zufallsvariablen mit beliebigen Randverteilungen
beschrieben wird. In Abbildung 5 sind die Stichproben (schwarze Kreuze) sowie
die auf der Grundlage der Randverteilungen und der Copula-Funktion simulierten
Werte (graue Ringe) dargestellt. Jedem Tnw-Paar wird eine gemeinsame Wahr-
scheinlichkeit zugeordnet. Im Folgenden sowie in Abbildung 5 werden aus Grün-
den des besseren Verständnisses die entsprechenden Wiederkehrintervalle in Jah-
ren angegeben. Durch Verbinden von Werten mit gleichem Wiederkehrintervall
entstehen Isolinien gleicher Wiederkehrintervalle (schwarze durchgezogene Li-
nien). Bei der statistischen Einordnung der gemessenen Ereignisse fällt auf, dass
das Wertepaar (1,89/1,91 m ü. NN), das während der Sturmflut vom Februar 1962
auftrat, das größte Wiederkehrintervall von etwa 500 Jahren aufweist. Das zweit-
größte Wiederkehrintervall weist die zweite Niedrigwasser-Orkanflut vom Feb-
ruar 1967 auf, bei der ein Tnw einen Windstau von fast 4,5 m erreichte. Das nach-
folgende Tnw fiel allerdings (genauso wie das vorherige Tnw) deutlich niedriger
aus, weshalb sich für die Kombination (3,06/0,46 m ü. NN) kein größeres Wie-
derkehrintervall als ca. 200 Jahre ergibt.
Um nun das Tnw-Paar zu finden, das genau dazu führt, dass das Sperrwerk nicht
geöffnet werden kann (vgl. Abbildung 1) muss der zugehörige Binnenwasserstand
zum Zeitpunkt des Eintretens des ersten (Tnw-1) und des zweiten (Tnw) ermittelt
werden. Dies kann mit Hilfe eines hydrodynamisch-numerischen Modells erfol-
gen wie in (Nehlsen 2017) dargestellt. Im Folgenden wird diese Thematik nicht
aufgegriffen. Stattdessen wird vereinfachend davon ausgegangen, dass sich der
Wasserstand nach Beginn der Sperrung nicht mehr ändert. Dementsprechend ist
nach einer Kombination zu suchen, bei der beide Tnw exakt den Schließwasser-
stand erreichen.
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Abbildung 5: Gemessene und simulierte Datenpaare sowie Linien gleicher Wiederkehrinter-
valle für den Pegel Kollmar
Der Schließwasserstand ist in Abbildung 5 als gestrichelte Linie dargestellt. Dort
wo sich beide Linien kreuzen, befindet sich der gesuchte Wert. Es wird deutlich,
dass in der 115 Jahre umfassenden Tnw-Zeitreihe kein Tnw-Paar zu finden ist,
das dem gesuchten Wert besonders nahe kommt. Insgesamt sind überhaupt nur
drei einzelne Tnw zu verzeichnen, die höher aufgelaufen sind als der Schließwas-
serstand. Damit wird deutlich, dass es sich bei der gesuchten Kombination um ein
extrem seltenes Ereignis handelt. Tatsächlich ergibt sich für das gesuchte Tnw-
Paar ein Wiederkehrintervall von mehr als 1000 Jahren.
5 Diskussion und Schlussfolgerung
Die Untersuchungen zeigen eine Möglichkeit auf, wie die Wahrscheinlichkeit ei-
nes kombinierten Hochwasserereignisses (Binnenhochwasser und wasserstands-
bedingte Sperrung über zwei Tnw) im Rückstaubereich von Sperrwerken ermittelt
werden kann. Es wird gezeigt, dass zwischen den beiden Komponenten Binnen-
hochwasser und erhöhte Tnw statistisch kein signifikanter Zusammenhang be-
steht, weshalb die beiden Komponenten unabhängig voneinander ausgewertet
werden. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bzw. das Wiederkehrintervall von
zwei erhöhten Tnw in Folge wird auf der Grundlage einer bivariaten Extrem-
wertanalyse bestimmt. Die statistische Einordnung der in 115 Jahren aufgetrete-
nen Ereignisse zeigt, dass das Wiederkehrintervall für eine Sperrung über zwei
Bereich relevanter Ereignisse
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Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen
im Rückstaubereich von Sperrwerken
Tnw in Folge unter Berücksichtigung der aktuell gültigen Steuerung (Schließwas-
serstand) extrem groß ist (>1000 Jahre). Das Wiederkehrintervall für das kombi-
nierte Ereignis (Binnenhochwasser und wasserstandsbedingte Sperrung über zwei
Tnw) ergibt sich aus der Multiplikation der einzelnen Wiederkehrintervalle. Wird
z.B. für das Binnenhochwasser ein HQ5 angenommen, ergibt sich für das kombi-
nierte Ereignis ein Wiederkehrintervall >5000 Jahre. Insgesamt ist zu beachten,
dass im vorliegenden Fall ein Tnw-Paar eingeordnet wurde, das sich aus der ver-
einfachenden Annahme ergibt, dass sich der Wasserstand während der Sperrung
statisch verhält. Dies entspricht natürlich nicht der Realität. Bei der genauen Be-
rücksichtigung der Wasserstandsentwicklung ergibt sich ein noch höheres Wie-
derkehrintervall wie von (Nehlsen 2017) gezeigt. Unabhängig davon kann jedoch
auch an dieser Stelle aus den vorgestellten Ergebnissen gefolgert werden, dass das
untersuchte Ereignis, das an der gängigen Praxis angelehnt ist, ein sehr hohes
Wiederkehrintervall hat. Dies gilt trotz der unterschiedlichen Eigenschaften (Bin-
nenabfluss, Stauraum, Tideverhältnisse, Schließwasserstand etc.), die die Neben-
flüsse von Elbe und Weser aufweisen, übergreifend für nahezu alle Nebenflüsse.
Im Hinblick auf die Umsetzung der EU-HWRM-RL, die die Betrachtung von
Hochwasserereignissen definierter Wahrscheinlichkeiten fordert, ist es daher
sinnvoll die bestehenden Annahmen zu überprüfen und die Wahrscheinlichkeiten
der angesetzten kombinierten Hochwasserereignissen spezifisch für jeden Neben-
fluss, z.B. auf der Grundlage des vorgestellten Ansatzes, zu bestimmen.
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6 Literatur
Gönnert, Gabriele; Siefert, Winfried (1998): Sturmflutatlas Cuxhaven. [Hamburg]: Strom- und
Hafenbau (Studie / Strom- und Hafenbau [Hamburg], Strombau/Hydrologie <24>, Nr.
91).
Nehlsen, Edgar (2017): Wasserbauliche Systemanalyse zur Bewertung der Auswirkungen des
Klimawandels auf tidebeeinflusste Nebenflüsse der Elbe. Im Druck. Hamburg: TuTech
Verlag (Hamburger Wasserbau-Schriften, 20).
Niedersachsen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1962): Nieders.
Küstenschutzprogramm. Deichbau und Küstenschutz ab 1963. Unter Mitarbeit von
Niedersächsischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Hannover.
Schleswig-Holstein Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1963):
Generalplan Deichverstärkung, Deichverkürzung, Küstenschutz in Schleswig-Holstein.
Unter Mitarbeit von Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Kiel.
Siefert, Winfried (1985): Sturmfluten von 1901 bis 1984 vor der südlichen Nordseeküste und
in Hamburg. Ganglinien. Hamburg: Behörde für Wirtschaft Verkehr u. Landwirtschaft
Strom- u. Hafenbau (Hamburger Küstenforschung, 44).
Autoren:
Dipl.-Ing. Edgar Nehlsen
Institut für Wasserbau
TU Hamburg-Harburg
Denickestraße 22
21073 Hamburg
Tel.: +49 40 42878 4274
Fax: +49 40 42874 2802
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr.-Ing. Peter Fröhle
Institut für Wasserbau
TU Hamburg-Harburg
Denickestraße 22
21073 Hamburg
Tel.: +49 40 42878 4600
Fax: +49 40 42874 2802
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb
von Talsperren im operationellen Betrieb
Alexander Rötz
Christian Bouillon
Stephan Theobald
Die Bewirtschaftung von Talsperren mit konkurrierenden Nutzungen stellt im
Echtzeitbetrieb eine besondere Herausforderung dar. Um abhängig von den äuße-
ren Einflussfaktoren eine optimale Betriebsweise festzulegen, sind möglichst gute
Vorhersagedaten sowie detaillierte Kenntnisse zur Wirkung von verschiedenen
Betriebsstrategien auf die Abflussdynamik im Gewässersystem und auf die Ein-
haltung der Bewirtschaftungsziele erforderlich. Eingebettet in einer Vorher-
sageumgebung kann mit Simulations- und Optimierungsverfahren eine vorraus-
schauende (prädiktive) Steuerungsstrategie abgeleitet und daraufhin die Betriebs-
weise von wasserbaulichen Anlagen im operationellen Betrieb optimiert werden.
Die Möglichkeit des Einsatzes der modellbasierten prädiktiven Regelung im lau-
fenden Betrieb als Entscheidungsunterstützung zur Festlegung einer bedarfsge-
rechten Betriebsstrategie wird dargelegt und die Bedeutung des Simulationsver-
fahrens zur modellhaften Abbildung des wasserwirtschaftlichen Systems hervor-
gehoben. Am Beispiel der operationellen Bewirtschaftung der Edertalsperre wird
die Anwendbarkeit gezeigt.
Stichworte: Modellbasierte prädiktive Regelung, Entscheidungsunterstützung,
Optimierung, Talsperrensteuerung, Fließgewässermodellierung
1 Einleitung
Der Bau und Betrieb von Talsperren ist seit jeher eng mit der Nutzung der Res-
source Wasser verbunden. Durch den künstlichen Aufstau des Gewässers und
der damit einhergehenden Wasserspeicherung wird ein Ausgleich zwischen dem
natürlich vorhandenen Wasserdargebot und dem Bedarf an Wasser für die Erfül-
lung unterschiedlicher Bedürfnisse, wie z. B. Wasserkraftnutzung, Hochwasser-
schutz, Bewässerung, Brauch- und Trinkwasserversorgung, Niedrigwasserbe-
wirtschaftung und Binnenschifffahrt geschaffen. Aus den unterschiedlichen
Nutzungsanforderungen resultiert ein Interessenskonflikt und es ergibt sich die
Optimierungsaufgabe, mit welcher Betriebsweise die Wassernutzungseffizienz
gesteigert werden kann. Zur Ableitung von effizienten Betriebsweisen und zur
Entscheidungsunterstützung werden im Echtzeitbetrieb vermehrt computerge-
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374 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb
stützte Simulationsverfahren zur modellhaften Abbildung der Strömungs- und
Regelungsprozesse im wasserwirtschaftlichen System eingesetzt. Mit der Mög-
lichkeit auf Grundlage von gebietsspezifischen Vorhersagedaten modellbasierte
Simulationen zur zukünftigen Wirkung von verschiedenen Betriebsstrategien
durchzuführen, werden Betreiber von wasserbaulichen Anlagen in der Lage ver-
setzt, eine vorrausschauende Steuerungsstrategie für den individuellen Bewirt-
schaftungsfall abzuleiten.
2 Simulationsverfahren zur Entscheidungsunterstützung
2.1 Prinzip des Entscheidungsprozesses
Der auf einem Simulationsmodell beruhende Entscheidungsprozess zur Festle-
gung einer bedarfsgerechten und somit optimalen Talsperrenabgabe setzt zu-
nächst voraus, dass das wasserwirtschaftliche System mit seiner komplexen Sys-
temdynamik vollständig und möglichst realitätsnah in einem Prozessmodell ab-
gebildet wird. Erfolgt darüber hinaus die Kopplung mit einem Optimierungsver-
fahren, wird dieses Prinzip als modellbasierte prädiktive Regelung (MPR) be-
zeichnet (Dittmar, 2004). Wie Abbildung 1 zeigt, wird dabei auf Grundlage ei-
nes Anfangszustandes zum Vorhersagezeitpunkt T0 und den gebietsspezifischen
Zuflussvorhersagen das Prozessmodell in einer Optimierungsschleife wiederholt
angestoßen, um sämtliche Zustandsgrößen (Modellprognose) des zu regelnden
Systems über den Zeitraum T vorherzusagen. Dieser Prozess wird unter Berück-
sichtigung der zulässigen Abgabemengen (Nebenbedingung) solange – mit einer
immer neuen vom Optimierer gewählten Folge von Stellgrößenänderungen (Tal-
sperrenabgabe) – durchlaufen, bis die über eine Kostenfunktion (vgl. Glg. 1)
quantifizierbaren Abweichungen zwischen simulierter Zielgröße (xi,sim,k) und
Zielvorgabe (xi,soll,k) minimiert werden.
n
1i
T
1k
a
ksoll,i,ksim,i,i )x(xωJmin (1)
Die Kostenfunktion beschreibt dabei das individuelle Optimierungsproblem
vom jeweiligen Bewirtschaftungsfall und nimmt eine parametergewichtete (ωi)
Priorisierung der teilweise konkurrierenden Bewirtschaftungsziele (z. B. Mini-
mierung des Abflussscheitels unterhalb einer Talsperre, Einhaltung von Min-
dest- und Maximalabgaben, Einhaltung von Stauzielen, Einhaltung eines Min-
destwasserstandes an einem Pegel) vor. Vom Anwender sind in der ereignisbe-
zogenen Bewirtschaftung lediglich die betrieblichen Bewirtschaftungsziele
(z. B. Zielwasserstand Talsperre, Abflussminderung Unterwasserpegel) und ggf.
zu berücksichtigende Restriktionen (Nebenbedingungen) vorzugeben.
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Zeit
VorhersagehorizontT0Beobachtungszeitraum
Zielvorgabe xi,soll,k
(z. B. Wasserstand
Talsperre)
Simulierte Zielgröße xi,sim,k
(Modellprognose)
optimierte
Talsperrenabgabe
rechnerische Stellschrittweite
Historiezulässige Abgabe
(Nebenbedingungen)
Abweichung J (Bestrafung, Kosten)
Abbildung 1: Anwendung der modellbasierten prädiktiven Regelung im operationellen Tal-
sperrenbetrieb zur Einhaltung eines Pegelwasserstandes durch Optimierung
der Talsperrenabgabe (Rötz und Theobald, 2016)
Den Simulations- und Entscheidungsprozess zur Festlegung einer optimierten
Betriebsstrategie im operationellen Talsperrenbetrieb zeigt Abbildung 2. Auf
Grundlage der abschließend vom Optimierer (z. B. IPOPT, Wächter, 2009) ge-
fundenen Lösung kann der Anwender mit dem Simulationsverfahren weiterfüh-
rende Szenarienrechnungen unter veränderten Zielvorgaben durchführen oder
die für die nahe Zukunft (Stunden, Tag) simulierten Stellschritte in eine Abga-
bestrategie überführen. Die Entscheidung zur abschließenden Festlegung einer
Betriebsstrategie obliegt demnach immer dem Betriebspersonal.
Abbildung 2: Prozess zur Optimierung einer Betriebsstrategie (Rötz und Theobald, 2016)
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376 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb
Stehen im operationellen Betrieb aktualisierte Prognosedaten bereit, kann der
Prozess erneut durchlaufen werden, um die zuletzt getroffene Abgabestrategie,
die Zielerreichung sowie das Eintreffen der Zuflussprognose zu überprüfen.
2.2 Modellhafte Abbildung des wasserwirtschaftlichen Systems
Die mit dem Prozessmodell erzielten Ergebnisse der simulierten Zustandsgrößen
(Modellprognose) dienen dem Anwender als Entscheidungshilfe zur Festlegung
einer bedarfsgerechten Betriebsstrategie und sollten daher ein hohes Vertrauen
zugesprochen bekommen können. Voraussetzung für den operationellen Einsatz
und zur Entscheidungsunterstützung ist zunächst, dass mit dem Prozessmodell
auf Grundlage eines Speichermodells die Bilanzierung des zukünftigen Talsper-
renvolumens und der resultierende Wasserstand möglichst genau beschrieben
werden. Um die Auswirkungen von verschiedenen Betriebsstrategien auf die
unterhalb der Talsperre gelegenen Gewässerstrecken darlegen zu können, ist das
Speichermodell über die Talsperrenabgabe mit einem Fließgewässermodell zu
koppeln. Die Notwendigkeit eines detaillierten Fließgewässermodells ergibt sich
insbesondere dann, wenn sich der Ziel- und Steuerpegel weit unterhalb der Tal-
sperre befindet. Folglich sind bei der hydrodynamischen Analyse des Wellenab-
laufs die Systemreaktionszeit (Wellenlaufzeit) und die Retentionseffekte im
Gewässersystem bestmöglich wiederzugegeben.
Im ereignisbezogenen Betrieb einer Talsperre sind Entscheidungen häufig in
einem engen Zeitplan zu treffen. In diesem Zusammenhang kann es erforderlich
sein, eine Bandbreite von verschiedenen Abgabeszenarien zu berechnen, um da-
raus eine möglichst optimale Bewirtschaftungsstrategie abzuleiten. Das Simula-
tionsverfahren sollte daher im laufenden Talsperrenbetrieb über das gesamte
Abflussspektrum (von Niedrig- bis Hochwasser) eine hohe Rechenperformance,
ein zuverlässiges Laufverhalten und eine hohe Modellstabilität aufweisen. Da
zugleich die nichtlineare Dynamik der strömungsmechanischen Vorgänge mög-
lichst exakt beschrieben werden sollen, ist für die wiederholten Simulationen
und für die Lösung des nichtlinearen Optimierungsproblems mit einem erhebli-
chen numerischen Rechenaufwand zu rechnen. Aus diesem Grund werden für
diesen Anwendungsbereich zugunsten des Rechenaufwandes effiziente hydro-
dynamisch-numerische Berechnungsverfahren eingesetzt, welche zumeist auf
Vereinfachungen der 1D-Saint-Venant-Gleichungen basieren.
3 Anwendungsbeispiel „Edertalsperre“
Im Auftrag der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) wurde ein auf den
freien Software-Produkten RTC-Tools (Schwanenberg und Becker, 2015) und
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Delft-FEWS (Werner et al., 2013) basierendes und operationell zu betreibendes
Vorhersage- und Optimierungsmodell für die Bewirtschaftung der Edertalsperre
entwickelt (Rötz et al., 2016).
Die im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg, etwa 35 km südwest-
lich von Kassel an einer Engstelle des Edertals gelegene Edertalsperre, staut
mithilfe einer Schwergewichtsmauer die Eder zu einem ca. 28,5 km langen
Stausee auf (vgl. Abbildung 3). Der langjährige mittlere Talsperrenzufluss be-
trägt am Zulaufpegel Schmittlotheim MQ = 19,1 m³/s, das oberirdisches Ein-
zugsgebiet des Stausees ca. 1.450 km². Mit max. 199,3 Mio. m³ Speichervolu-
men und einer Stauseeoberfläche von ca. 11 km² ist der Edersee bei Vollstau-
verhältnissen der volumen- und flächenmäßig drittgrößte Stausee Deutschlands
(Heimerl, et al., 2013). Die Edertalsperre gehört neben der Diemeltalsperre zu
den einzigen von der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes betriebenen Talsperren.
Abbildung 4 veranschaulicht den
jahreszeitlich bedingten Einfluss
der Talsperrenbewirtschaftung
auf den unterhalb gelegenen Ge-
wässerabschnitt. Während in den
Sommermonaten der mittlere
monatliche Mittelwasserabfluss
am Zulaufpegel Schmittlotheim
auf bis zu Q = 7 m³/s absinkt, ist
am Ablaufpegel Affoldern ein
zunehmender Abfluss von bis zu
Q = 20 m³/s erkennbar. Auch der
mittlere monatliche Niedrigwas-
serabfluss erhöht sich in dieser
Zeit auf bis zu Q = 11 m³/s, ob-
wohl der Zulaufpegel auf ca. Q = 3 m³/s abfällt. Als primäre Zweckbestimmun-
gen der Talsperre dient die erhöhte Talsperrenabgabe der saisonalen Niedrig-
wasseraufhöhung und durch Stützung des Wasserstandes an der Oberweser ab
Hann. Münden zur Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse. Der Mehrzweck-
talsperre fügen sich als weitere Zweckbestimmungen der Hochwasserschutz für
die untere Eder, die untere Fulda und die Weser sowie die Energieerzeugung aus
Wasserkraft an. Dabei ist die Betriebsstrategie bedarfsgerecht und abhängig von
der jeweiligen hydrologischen und füllstandsabhängigen Situation anzupassen.
Weitere Nebennutzungen sind Tourismus, Freizeit- und Naherholung sowie
Binnenfischerei (Hohenrainer et al., 2012).
Abbildung 3: Untersuchungsgebiet der Edertal-
sperre mit relevanten Fließgewäs-
sern und Pegeln (Rötz et al. 2016)
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378 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb
0
5
10
15
20
25
30
35
40
Jan Feb Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez
Ab
flu
ss [
m³/
s]
Monat
mittlerer monatlicher Zu- und Abfluss an der Edertalsperre (Jahre 1941 bis 2012)
MQ Schmittlotheim MNQ Schmittlotheim
MQ Affoldern MNQ Affoldern
Abbildung 4: Mittlerer monatlicher Mittelwasser- und Niedrigwasserabfluss am Zu- und
Ablaufpegel der Edertalsperre (Zahlen aus NLWKN, 2014)
Das zur operationellen Bewirtschaftung der Edertalsperre entwickelte Modell-
system berücksichtigt diese komplexen Nutzungsanforderungen sowie die örtli-
chen Rahmenbedingungen an den Gewässerabschnitten unterhalb der Talsperre
und knüpft an Vorhersagedaten aus vorgeschalteten hydrologischen Modellen
der BfG (Cemus und Richter, 2008) sowie jeweils aktuellen Abfluss- und Was-
serstandsvorhersagen vom Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und
Geologie (HLNUG) an (Brahmer, 2009). Das Optimierungsmodell ermittelt im
laufenden Betrieb eine im Hinblick auf die Talsperrenbilanz und der Wellen-
fortpflanzung in den Gewässerabschnitten bestmögliche Talsperrenabgabe und
dient dem Betreiber als Entscheidungsunterstützungssystem.
Das Vorhersagesystem Delft-FEWS stellt die Benutzeroberfläche dar, verwaltet
sämtliche Eingangs- und Ergebnisdaten und ruft über eine Schnittstelle die ex-
ternen Modellkomponenten von RTC-Tools auf. Mit RTC-Tools erfolgt die Bi-
lanzierung des Talsperrenvolumens, die hydrodynamische Modellierung des
Wellenablaufs im Gewässersystem und die Optimierung der Steuergröße nach
dem Prinzip der modellbasierten prädiktiven Regelung.
Das wasserwirtschaftliche Prozessmodell bildet die rund 106 km lange Gewäs-
serstrecke zwischen der Edertalsperre und dem Pegel Hann. Münden mit 38 an-
einandergereihten und kaskadenartig angeordneten Berechnungselementen (No-
des, vgl. Abbildung 5, links) ab (Rötz et al., 2016). Diese, auf Grundlage von
Fluss- und Vorlandprofilen parametrisierten Elemente, bilden die Speicherwir-
kung im jeweiligen Gewässerabschnitt in Form einer Wasserstands-Volumen-
Beziehung ab. Das hydraulische System besteht ferner aus Verbindungselemen-
ten (Branch) zwischen zwei Knotenpunkten. Der Abflussweitergabe von einem
zum anderen Knoten wird mit der in RTC-Tools implementierten vereinfachten
Bewegungsgleichung des diffusiven Wellenansatzes (Schwanenberg und Be-
cker, 2015) ermittelt. Die Variablen der durchflossenen Fläche, des hydrauli-
schen Radius und des Rauheitseiwertes werden auf Grundlage eines repräsenta-
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tiven Querprofils vom Gewässerabschnitt als geometrische Funktion vom Was-
serstand ausgedrückt. Umfangreiche Vergleichsuntersuchungen mit einem de-
taillierten 1D-HN-Modell haben gezeigt, dass mit dem gewählten Berechnungs-
verfahren eine gute Annäherung an die voll dynamische Lösung erreicht wird,
der numerische Lösungsaufwand gering ausfällt und somit eine Eignung für den
operationellen Einsatz gegeben ist (Rötz, 2016). Exemplarisch sind in Abbil-
dung 5 (rechts) die mit beiden Modellen simulierten Abflussganglinien am Pegel
Hann. Münden für ein ausgewähltes Abflussereignis aufgetragen. Der Vergleich
der Abflussganglinien zeigt, dass trotz des deutlich höheren Abstraktionsgrades
vom Fließgewässermodell der Wellenablauf sehr gut wiedergegeben wird und
eine hohe Übereinstimmung zum 1D-HN-Modell vorliegt. Die für die Bewirt-
schaftung bedeutsamen Zielgrößen von Wellenanstieg und Wellenlaufzeit wer-
den in nahezu gleicher Qualität wiedergegeben.
-40
-35
-30
-25
-20
-15
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-5
0
5
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160
180
200
220
240
260
1. Okt. 6. Okt. 11. Okt. 16. Okt. 21. Okt. 26. Okt. 31. Okt.
Dif
fere
nz
(FG
M a
bzg
l. 1
D)
[m³/
s]
Ab
flu
ss [
m³/
s]
Datum
Abflussereignis 10/2014
Hann. Münden - 1D-HN-Simulation
Hann. Münden - Fließgewässermodell
Differenz
Abbildung 5: System vom Prozessmodell (links) sowie simulierte Abflussganglinien
(rechts) am Zielpegel Hann. Münden zwischen dem Fließgewässermodell und
einem 1D-HN-Modell (räumliche Auflösung mit 771 Querprofilen)
In dem Optimierungsmodell werden derzeit die speziellen Anforderungen der
Bewirtschaftungsfälle „Schifffahrt“, „Niedrig- und Mittelwasser“ sowie „Hoch-
wasser“ als getrennt formulierte Optimierungsprobleme berücksichtigt (Rötz et
al., 2016). Der Anwender gibt im operationellen Betrieb die aus seiner Sicht zu
erreichenden Bewirtschaftungsziele (z. B. Zielwasserstand Talsperre, Scheitel-
reduktion oder Mindestwasserstand Unterwasserpegel) vor. Die praktische An-
wendbarkeit des Modellsystems wurde durch eine intensiv begleitete Testphase
beim Wasser- und Schifffahrtsamt Hann. Münden sowie bei der Bundesanstalt
für Gewässerkunde belegt (Rötz et al., 2016). Abbildung 6 zeigt ein Fallbeispiel
zum Bewirtschaftungsfall „Hochwasser“ die Anwendung und Ergebnisverwert-
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380 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb
barkeit des Optimierungsmodells. Neben den prognostizierten Zuflussganglinien
sind die optimierte Talsperrenabgabe (Stellgrößenfolge), die simulierte Abfluss-
ganglinie am Pegel Hann. Münden, der sich aus der Talsperrenbilanzierung er-
gebene Talsperrenfüllstand sowie die beobachteten Werte vom Vortag aufgetra-
gen. In diesem Beispiel soll zum Schutz der Unterlieger als Bewirtschaftungs-
ziel der Abfluss von Q = 522 m³/s am Pegel Hann. Münden (≙ 470 cm, Melde-
stufe II) nicht überschritten werden. Zum Vorhersagezeitpunkt T0 beträgt der
Abfluss am Pegel Hann. Münden rund QT0 = 345 m³/s. Die aktuell prognosti-
zierten Gebietszuflüsse zeigen, dass sich die Abflusssituation weiter verschärfen
wird. Zugleich liegt der Talsperrenfüllstand innerhalb des Hochwasserschutz-
raumes (HWSR) und nur geringfügig unter der Vollstaugrenze.
240
241
242
243
244
245
246
0
100
200
300
400
500
600
-2 -1 0 1 2 3 4 5 6 7
Tals
per
ren
füll
stan
d [
m ü
. P
NP
]
Ab
flu
ss [
m³/
s]
Zeitraum [Tag]
Ergebnisse für das Fallbeispiel "Scheitelreduktion"
Beobachtung Vortag
Zielvorgabe - Hann. Münden
Zuflussprognose - Fulda (Grebenau)
Zuflussprognose - Werra (Letzter Heller)
Zuflussprognose - Talsperre
optimierte Stellgröße - Talsperrenabgabe
simulierte Zielgröße - Hann. Münden
Zielvorgabe - Talsperre
Füllstand Talsperre
Vo
rher
sagez
eitp
un
kt
T0
Beobachtung Vorhersage
InitialwertEntlastung
Vollstau
244,89
HW
SR
Einstau
Qmin
Scheitelabminderung
Maximalabfluss = Meldestufe II
Einstau
Qmin
244,60244,85
Initialwert
7,5 m³/s
Abbildung 6: Optimierungsrechnung für den Bewirtschaftungsfall „Hochwasser“
Den prädiktiven Simulationsergebnissen ist zu entnehmen, dass das vorgegebe-
ne Bewirtschaftungsziel in den ersten Tagen eingehalten werden kann und mit
der parametergewichteten Kostenfunktion der HWSR für Einstau- und Entlas-
tungsprozesse ausgenutzt werden kann. Der modellbasierte Optimierungspro-
zess hat ergeben, dass zur Minderung des Wellenscheitels die Talsperrenabgabe
in den ersten 1½ Tagen auf bis zu Qmin = 6 m³/s gedrosselt und folglich ein Tal-
sperreneinstau in Höhe von 19 cm (≙ 2,01 Mio. m³) initiiert wird, ohne das ein
Talsperrenüberlauf stattfindet. Im weiteren Verlauf wird die Talsperrenabgabe
schrittweise angehoben, um zunächst den HWSR um ca. 30 cm zu entlasten und
im Anschluss einen wiederholten Einstau vorzunehmen. Da die prognostizierten
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Modellzuflüsse am Ende des Vorhersagezeitraumes erneut ansteigen und das
Abgabeminimum erreicht ist, kann auf das Hochwassergeschehen kein Einfluss
mehr genommen werden. Auf dieser Ergebnisgrundlage kann der Anwender die
zum Vorhersagezeitpunkt T0 bestehende Talsperrenabgabe zunächst beibehal-
ten. Die Belastbarkeit der simulierten Steuer- und Zielgrößen ist dabei primär
von der Eintrittswahrscheinlichkeit der Wetter- und Zuflussprognose abhängig.
So gilt die Aussage, dass die Unsicherheiten mit länger andauerndem Vorhersa-
gezeitraum zunehmen. Diesem Umstand kann im Praxisbetrieb Rechnung getra-
gen werden, indem das Optimierungsmodell mehrmals täglich mit aktualisierten
Prognosedaten angewendet wird. Dadurch findet ein fortlaufender Abgleich
zwischen beobachteten und simulierten Zustandsgrößen statt und der Anwender
kann frühzeitig auf unerwartete Abweichungen reagieren. Ergänzend dazu kön-
nen die Ergebnisse durch individuelle Abgabeberechnungen weiter verifiziert
und verfeinert werden.
Die Anwendung des Optimierungsmodells zeigt, dass mit dem Einsatz von der-
artigen Simulationsverfahren verbesserte Betriebsstrategien festgelegt werden
können. Die Auswirkung einer gewählten oder optimierten Talsperrenabgabe
werden dem Anwender im Vorfeld seiner Entscheidung dargelegt und mögliche
Handlungsspielräume in der Bewirtschaftung aufgezeigt, wodurch schlussend-
lich auch eine verbesserte Zielerreichung möglich ist.
4 Literatur
Brahmer, G. (2009): Operationelle Wasserhaushaltsmodellierung zur Hochwasservor-
hersage in Hessen. Jahresbericht des HLNUG, S. 55-61.
Cemus, J.; Richter K. (2008): Bewirtschaftung der Edertalsperre. ‒ In: Bundesanstalt für
Gewässerkunde (BfG) (Hrsg.): Veranstaltungen 6/2008, Wasserbewirtschaftung
und Niedrigwasser, Kolloquium am 26./27. Mai 2008 in Koblenz, S. 84-95.
Dittmar, R. (2004): Modellbasierte prädiktive Regelung. Eine Einführung für Ingenieu-
re. ‒ Verlag Oldenbourg, München.
Heimerl, S.; Kohler, B.; Ebert, M.; Libisch, C. (2013): Die großen Stauanlagen
Deutschlands im Portrait. In: Deutsches TalsperrenKomitee e.V. (Hrsg.): Talsperren
in Deutschland: S. 35–492. Springer Vieweg. Wiesbaden.
Hohenrainer, J.; Cemus, J.; Ebner von Eschenbach, A.-D.; Preuß, P.; Richter, K.:
BEWASYS Edertalsperre - Aufbau eines Bewirtschaftungsmodells der
Edertalsperre für den operationellen Betrieb. In: Bundesanstalt für Gewässerkunde
(BfG) (Hg.): Veranstaltungen 2/2012, Überregionale Wasserbewirtschaftung -
Entwicklung und Einsatz eines Informationssystems und verschiedener Modelle,
Kolloquium am 12./13.10.2011 in Hannover, S. 61–71.
NLWKN, Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und
Naturschutz (2014): Deutsches Gewässerkundliches Jahrbuch, Weser- und
Emsgebiet 2012. Norden 2014.
Page 390
382 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb
Rötz, A. (2016): Ein simulationsbasiertes Entscheidungshilfewerkzeug zur Optimierung
der operationellen Talsperrenbewirtschaftung. ‒ Dissertation, Kasseler Wasserbau -
Mitteilungen, Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft, Heft 21, Universität
Kassel.
Rötz, A.; Bouillon, C.; Theobald, S.; Hohenrainer, J.; Ebner von Eschenbach, A.-D.
(2016): Synthese von Praxiserfahrung und Modelloptimierung als Grundlage eines
verbesserten Talsperrenbetriebes. ‒ Forum für Hydrologie und Wasserbewirt-
schaftung, Heft 37.16, S. 315-325.
Rötz, A.; Theobald, S.: Einsatz simulationsgestützter Modelloptimierung im er-
eignisbezogenen Talsperrenbetrieb. Hydrologie & Wasserbewirtschaftung 60 (6).
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Schwanenberg, D.; Becker, B. (2015): RTC-Tools, Software Tools for Modeling Real-
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http://content.oss.deltares.nl/delft3d/manuals/RTC_Tools_User_Manual.pdf.
WÄCHTER, A. (2009): Short Tutorial: Getting Started With Ipopt in 90 Minutes. ‒
http://drops.dagstuhl.de/volltexte/2009/2089/pdf/09061.WaechterAndreas.Paper.20
89.pdf
Werner, M.; Schellekens, J.; Gijysbers, P.; van Diyk, M.; van den Akker, O.; Heynert, K.
(2013): The Delft-FEWS flow forecasting system. ‒ Environmental Modelling &
Software 40, 65-77.
Autoren:
Dipl.-Ing Alexander Rötz
Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirt-
schaft
Universität Kassel
Kurt-Wolters-Straße 3
34125 Kassel
Tel.: +49 561 804-3203
Fax: +49 561 804-3952
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Hydrol. Christian Bouillon
Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirt-
schaft
Universität Kassel
Kurt-Wolters-Straße 3
34125 Kassel
Tel.: +49 561 804-3538
Fax: +49 561 804-3952
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr.-Ing. Stephan Theobald
Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirt-
schaft
Universität Kassel
Kurt-Wolters-Straße 3
34125 Kassel
Tel.: +49 561 804-2679
Fax: +49 561 804-3952
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
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5
3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und
Optimierung von Anlagen im Wasserbau
Max Heß
Carla Schneefeld
Tilo Vollweiler
Dirk Carstensen
Die Anwendung dreidimensionaler hydrodynamisch-numerischer Simulationen
im wasserbaulichen Versuchswesen rückt, durch die in den letzten Jahrzehnten ra-
sant angestiegene Leistungsfähigkeit von Großrechneranlagen, immer mehr in den
Vordergrund. Damit einhergehend können die Untersuchungsgebiete in einem
numerischen Modell in sehr viel feinere Kontrollvolumina aufgelöst werden,
wodurch die Genauigkeit der berechneten Lösungen deutlich zunimmt. Auch die
Umsetzung großräumiger Modellgebiete, wie zum Beispiel die generelle Untersu-
chung von gesamten Hochwasserentlastungsanlagen, kann so mit einem einzigen
Modell abgedeckt werden. Zudem kann mit Hilfe numerischer Modelle eine Viel-
zahl an Modell-Varianten mit relativ geringem Aufwand untersucht und so sehr
effizient eine optimierte Lösung gefunden werden. Dieses Vorgehen kann bereits
bei der Entwurfsplanung etwaiger Anlagen Berücksichtigung finden.
Neben dem Zugang zu einer Großrechneranlage ist tiefgreifendes Fachwissen, ei-
ne fundierte Datengrundlage und der sichere Umgang mit der jeweiligen CFD-
Software Voraussetzung für realitätsnahe Berechnungsergebnisse. Wie in jedem
Modell, ob physikalisch oder numerisch, gibt es Unschärfen bei den Untersu-
chungsergebnissen, welche unter anderem durch eventuelle Maßstabseffekte bei
der Anwendung von Modellgesetzten beziehungsweise, in der Numerik, dem Ein-
satz bestimmter Lösungsverfahren bedingt sein können.
Anhand ausgewählter Beispiele, von der Modellierung von Fischaufstiegsanlagen
bis hin zum Nachweis von Kavitation an einem unterströmten Schütz, wird die
Vielseitigkeit und Flexibilität von 3d-HN-Modellen verdeutlicht. Zudem werden
die derzeitigen Möglichkeiten und Grenzen dreidimensionaler numerischer Mo-
dellierung aufgezeigt.
Stichworte: CFD-Simulation, 3d-HN-Modellierung, OpenFOAM
1 Einleitung
Anwendungen mehrdimensionaler hydrodynamisch-numerischer (HN) Simula-
tionen sind im wasserbaulichen Versuchswesen in den letzten Jahrzehnten infol-
Page 392
384 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau
ge des rasanten Anstieges der Systemleistung von Großrechneranlagen immer
häufiger anzutreffen.
Bei der Ermittlung von Überflutungsflächen von Fließgewässern im Hochwas-
serfall findet die tiefengemittelte, numerische Modellierung (2d-HN-
Modellierung) bereits seit vielen Jahren Anwendung und beschleunigt so den
Prozess der Lösungsfindung. Während bei der 2d-HN-Modellierung sehr groß-
räumige Untersuchungsgebiete abgedeckt werden, können dabei die einzelnen
Bauwerke und Anlagen i.d.R. nicht detailliert abgebildet werden. Für die Unter-
suchung einzelner wasserbaulicher Anlagen kann heutzutage, neben der physi-
kalischen Modellierung, auch auf dreidimensionale hydrodynamisch-numerische
Simulation zurückgegriffen werden, womit sehr effizient Lösungen im Rahmen
der baulichen Gestaltung sowie die Steuerung in der praktischen Anwendung
erarbeitet werden können.
Bei der gegenständlichen bzw. physikalischen oder numerischen Modellierung
treten in den Untersuchungsergebnissen Unschärfen auf. Diese sind u.a. auf
eventuelle Maßstabseffekte bei der Anwendung von Modellgesetzten bezie-
hungsweise, in der Numerik, dem Einsatz bestimmter Lösungsverfahren zurück-
zuführen. Durch die richtige Anwendung numerischer Verfahren können diese
Unschärfen für die jeweiligen Untersuchungsgebiete auf ein Minimum reduziert
und so aussagekräftige Berechnungsergebnisse erzeugt werden. Im Nachgang ist
es vom hydraulischen Fachwissen sowie den Kenntnissen der Bearbeiterin/des
Bearbeiters im Postprocessing abhängig, Darstellungen zu erstellen, die eine
richtige Deutung der Ergebnisse zulassen.
2 Grundlagen der 3d-CFD-Numerik
Neben den kommerziell verfügbaren CFD-Software-Paketen, wie StarCCM+
oder ANSYS Fluent, gibt es auch kostenfreie Open Source Software, beispiels-
weise OpenFOAM. Unabhängig von der programmiertechnischen Umsetzung
dieser Programme, basieren die Lösungsverfahren in der Regel auf den Navier-
Stokes-Gleichungen, welche die Bewegung von newtonschen Fluiden vollstän-
dig beschreiben. Die numerischen Modellgebiete für derartige Untersuchungen
werden grundsätzlich für die Anwendung der Finite-Volumen-Methode in eine
definierte Anzahl an Kontrollvolumina unterteilt. Für jedes dieser Kontrollvo-
lumen werden die Erhaltungsgleichungen gelöst und so die Bewegung des Flu-
ids durch den Raum ermittelt. Mit der Anzahl der Kontrollvolumina in einem
Modellgebiet steigt auch die Genauigkeit der ermittelten Lösung. Durch die je-
doch begrenzte Anzahl an möglichen Kontrollvolumina, bedingt durch die end-
lichen Rechnerressourcen, treten in der Anwendung Probleme auf, welche
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 385
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D
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al
5
grundsätzlich mittels zusätzlicher mathematischer Ansätze gelöst werden kön-
nen.
2.1 Numerische Lösungsmethoden
Die gängigen CFD-Bibliotheken bieten eine Auswahl von variierenden Lösern
an, welche anhand ihres mathematischen sowie numerischen Konzepts i.d.R. für
einen bestimmten Anwendungsfall optimiert sind. Für wasserbauliche Anwen-
dungsfälle bietet OpenFOAM Löser für Ein- oder Zwei-Phasen-
Strömungsmodelle sowie Lösungsverfahren mit integriertem Phasen-Wechsel
an.
Bei Zwei-Phasen-Strömungsmodellen muss im wasserbaulichen Versuchswesen
grundsätzlich auf die Abbildung der Phasengrenze, also der Wasserspiegelober-
fläche, Rücksicht genommen werden. Für Anwendungsfälle mit freier Oberflä-
che ohne Durchmischung löst das Volume of Fluid Verfahren (VOF) einen zu-
sätzlichen Term für die Phasenkonzentration, um die Phasengrenze abbilden zu
können. Dabei werden Luftblasen bzw. Wassertropfen, deren Größe die Abmes-
sungen der anstehenden Zelle unterschreitet, nicht erfasst. Sollen Durchmi-
schungen, beispielsweise kleine Luftblasen im Wasser, berechnet werden, ste-
hen andere Methoden nach Euler oder Euler-Lagrange zur Verfügung. In diesem
Zusammenhang ist beim Aufsetzen einer Simulation die richtige Wahl des Lö-
sungsverfahrens von entscheidender Wichtigkeit.
2.2 Turbulenz in der 3d-Numerik
Bedingt durch die diskrete Aufteilung des Untersuchungsgebietes in Kontrollvo-
lumina können turbulente Strömungen nur begrenzt abgebildet werden und müs-
sen grundsätzlich über mathematische Ansätze formuliert werden. Man unter-
scheidet dabei in Reynolds-Averaged Stress (RAS) Modelle und Large-Eddy
Simulation (LES) Modelle. Während bei den RAS-Modellen die komplette tur-
bulente Strömung eine zeitliche Mittelung erfährt, werden mit der LES-
Modellierung die turbulenten Wirbel, soweit die Gitterauflösung es erlaubt, di-
rekt numerisch gelöst. Eine Kombination beider Verfahren bietet die Detached-
Eddy Simulation (DES). Dabei werden nur die für das Berechnungsgitter zu fei-
nen Wirbel über die RAS-Modellierung abgebildet.
Der Rechenaufwand erhöht sich durch die Anwendung von LES bzw. DES ge-
genüber der reinen RAS-Modellierung, jedoch spielt die Ausbildung des instati-
onären, wirbelbehafteten Fließzustands, welcher die Turbulenz charakterisiert,
bei Untersuchungen an wasserbaulichen Anlagen meist eine nicht zu vernach-
lässigende Rolle. Demnach ist die Nutzung eines LES bzw. DES-Verfahrens in
der 3d-HN-Modellierung für wasserbauliche Anwendungen sehr zu empfehlen.
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386 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau
3 3d-HN-Modellierung mit OpenFOAM
Nachfolgend werden die Anwendbarkeit und die Grenzen der dreidimensiona-
len, hydrodynamisch-numerischen Modellierung mit OpenFOAM anhand von
ausgewählten Beispielen dargelegt.
3.1 Untersuchungen zu Wellenauflauf und Wellenumlenkung
Die Bedeutung von Talsperren (TS) und Pumpspeicherkraftwerken (PSW) als
effiziente und nachhaltige Wasser- und Energiespeicher ist im Zeitalter der Kli-
maänderung und der Energiewende in Deutschland als unstrittig anzusehen. Die
Versorgungssicherheit mit Trink- und Brauchwasser, die Gewährleistung der
Hochwassersicherheit für Unterlieger sowie der Ertrag an elektrischer Energie
einer solchen Anlage hängen wesentlich vom speicherbaren Wasservolumen ab.
Aus den genannten Gründen stellen gegenwärtig für die meisten TS und PSW
die Erweiterung der Becken bzw. eine Freibordoptimierung zur Vergrößerung
der Speicherlamelle anzustrebende Maßnahmen dar.
Ausgehend von den Bemessungsregeln gemäß DIN 19700 stellen der Windstau
und der Sicherheitszuschlag eher marginale bzw. fixe Parameter in der Bestim-
mung des Freibords dar. Demnach muss dem Wellenauflauf im Zusammenhang
mit den geschilderten Fragestellungen und Problemen ein besonderes Augen-
merk geschenkt werden.
Abbildung 1 links: Ermittlung des Wellenauflaufs an einer „unendlichen“ Böschung, rechts: Funktiona-
litätsuntersuchung eines Wellenumlenkers
Mit Hilfe der CFD-Bibliothek OpenFOAM können die Wellenauflaufhöhen für
beliebige Szenarien an einer Böschung jedweder geometrischer Ausbildung si-
muliert werden. Zusätzlich zur Bestimmung des Wellenauflaufs können sehr
effizient Wellenumlenker auf ihre Funktionalität überprüft werden sowie die,
durch die Umlenkung, auftretenden Kräfte auf das Umlenkbauteil numerisch
erfasst werden. Über spezielle Randbedingungen, welche für die Generierung
regulärer Wellen sowie irregulärer Wellenspektren konzipiert sind, wird die
Wasserspiegelauslenkung im Einlassbereich gesteuert. Mit der Erfassung der
maximalen Wasserspiegellagen im Bereich der Böschung kann über den simu-
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lierten Zeitraum der Wellenauflauf für jede Welle ermittelt werden. Wird im Er-
gebnis der Berechnungen der Freibord nicht eingehalten, kann über konstruktive
Maßnahmen, wie das Anbringen eines Wellenumlenkers, eine optimierte Lö-
sung für den jeweiligen Standort gefunden werden.
3.2 Modellierung von Hochwasserentlastungsanlagen
Mit den heutzutage zur Verfügung stehenden Rechnerkapazitäten in Form von
Großrechneranlagen mit leistungsstarken Prozessoren und großen Arbeitsspei-
chern besteht die Möglichkeit, die Modellbereiche von 3d-HN-Simulationen
deutlich zu vergrößern. So können beispielsweise komplette Hochwasserentlas-
tungsanlagen mit nur einem Modell abgedeckt werden. Dabei ist eine sehr ge-
naue und dennoch effiziente Diskretisierung des Modellgebiets von Nöten, um
im Ergebnis die Strömungssituation in den einzelnen Teilbereichen einer sol-
chen Anlage realitätsnah abbilden zu können. Die Anzahl der Kontrollvolumina
innerhalb eines Modells kann durchaus zweistellige Millionenwerte erreichen.
Bei derart umfänglichen Simulationen sollten mehrere hundert Rechenkerne zur
Verfügung stehen, um die Rechenzeiten auf wenige Tage drosseln zu können.
Abbildung 2 Hochwasserentlastungsanlage der TS Pirk mit Wasserspiegellage im Belastungsfall
Die Talsperre (TS) Pirk erlitt, bedingt durch das Hochwasserereignis im Juni
2013, Schäden an der Tosbeckenrandmauer sowie massive Kolkbildung an de-
ren Rückseite. Im Auftrag der Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sach-
sen wurde die Anlage vollständig mit OpenFOAM modelliert (vgl. Abbildung
2).
Das aus vier festen Wehrüberfällen, zwei Fischbauchklappen, zwei Grundabläs-
sen sowie dem Tosbecken und der Überleitung in den Flusslauf der Weißen Els-
ter bestehende Modell wurde bei der Diskretisierung in ca. 13 Mio. Gitterzellen
unterteilt. Dabei variierte die Zellgröße von 1 m je Raumrichtung im Bereich
des Luftkörpers bis hin zu 2 cm an den Überfallkanten. Die Gittererstellung
stellt grundsätzlich die zeitintensivste Arbeitsphase beim Aufsetzten einer nume-
Page 396
388 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau
rischen Simulation dar und sollte sehr bedacht durchgeführt werden. Dabei
spielt die, auf Grundlage ausreichenden Fachwissens, vorzunehmende Abschät-
zung der zu erwartenden Strömungssituation eine entscheidende Rolle, um effi-
ziente, ortsabhängige Gitterverfeinerungen zu generieren.
Reibungseffekte, bedingt durch Bauwerksoberflächen, können in der numeri-
schen Simulation durch spezielle Wandfunktionen modelliert werden. Dies wird
in OpenFOAM über ein rein mathematisches Vorgehen umgesetzt und erhöht so
den Rechenaufwand. Liegt das Interesse im Hinblick auf die Berechnungsergeb-
nisse eher im wandfernen Bereich oder ist die Diskretisierung in Wandnähe sehr
fein gewählt, können an Bauwerks- oder Sohloberflächen allein durch die Er-
zeugung sehr flacher Zellen, sogenannte Layer, die Wandreibungseffekte ausrei-
chend genau abgebildet werden.
Abbildung 3 links: Volumenrendering der Fließgeschwindigkeitsverteilung im Modell der Talsperre
Pirk; rechts: Schnitt durch Damm und Tosbecken am sechsten Wehrfeld, Geschwindig-
keitsverteilung farblich dargestellt
Bis zum Erreichen eines quasi-stationären Fließzustands bei der Simulation ei-
nes Hochwasserlastfalls der TS Pirk (siehe Abbildung 3) war eine Simulations-
zeit von 70 Sekunden nötig. Die dafür benötigte reale Rechenzeit auf 120 Pro-
zessoren betrug etwa 144 Stunden.
Mit Hilfe des 3d-HN-Modells konnten u.a. mehrere Varianten mit variierenden
Öffnungsgraden der Regelorgane durchgeführt werden und so eine Empfehlung
für eine optimierte Steuerung der gesamten Anlage formuliert werden.
3.3 Hydraulische Optimierung von Fischaufstiegsanlagen
Zur Optimierung von Fischaufstiegsanalagen können numerische Simulationen
mit Hilfe von Zwei-Phasen-Strömungsmodellen ein wertvolles Tool darstellen.
Bedingt durch die Strömungsverhältnisse in einer solchen Anlage ist kein groß-
räumiger Lufteintrag in den Wasserkörper zu erwarten, wodurch sich zur Abbil-
dung der Phasenübergänge das VOF-Verfahren anbietet. Zusätzlich empfiehlt
sich, die turbulenten Strömungen mittels eines LES- oder DES-Modells zu be-
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rücksichtigen. Bauliche Variationen der Becken können ebenso wie Randbedin-
gungen, beispielsweise für Wasserstände, mit geringem Aufwand variiert wer-
den.
In Abhängigkeit von den potenziell aufsteigenden Fischarten darf eine kritische
Anströmgeschwindigkeit sowie eine gewisse Länge der zu überwindenden Stre-
cke nicht überschritten werden, da sonst die Gefahr besteht, dass die Fische er-
schöpfen bevor sie das Oberwasser erreicht haben. In der Literatur werden
Grenzwerte für maximale Fließgeschwindigkeiten in den Durchlässen von be-
ckenartigen Fischaufstiegsanlagen angegeben. Diese variieren in Abhängigkeit
von den Fischarten und dem Gesamthöhenunterschied der Wasserstände von
Ober- und Unterwasser zwischen 1,4 und 2,2 m/s.
Abbildung 4 3d-HN-Untersuchungen an einer Fischaufstiegsanlage (Schlitzpass) – farbliche Darstellung
der Fließgeschwindigkeiten im Wasserkörper
Im Ergebnis einer 3d-HN-Modellierung für einen Schlitzpass ergaben sich für
ein Szenario (vgl. Abbildung 4), bedingt durch eine Differenz der Wasserspie-
gellagen von ca. 20 cm zwischen den einzelnen Becken, zeitlich gemittelte
Fließgeschwindigkeiten von 1,77 m/s an den Schlitzpässen. Weiterhin konnten
maximale Fließgeschwindigkeiten von ca. 2,5 m/s, verursacht durch das turbu-
lente Strömungsverhalten beim Einströmen des Wassers durch den Schlitz in ein
Becken, nachgewiesen werden. Diese waren jedoch örtlich sehr begrenzt und
traten nur punktuell über einen sehr kurzen Zeitraum auf.
Mit Hilfe ausreichender Rechnerleistung können Berechnungen, vor allem für
kleinräumige Modelle, sehr effizient parallel ausgeführt werden. So besteht die
Möglichkeit, eine Vielzahl an Modellvarianten innerhalb kurzer Zeit und mit
geringem Aufwand zu untersuchen.
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390 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau
3.4 Nachweis von Kavitation mittels eines numerischen Phasenwechsel-
Lösungsverfahren
Bei der Steuerung von Regelorganen an wasserbaulichen Anlagen, wie zum
Beispiel den Grundablässen einer Hochwasserentlastungsanlage, kann bei unzu-
reichender Belüftung in Verbindung mit großen Druckhöhen Kavitation auftre-
ten. Bedingt durch sehr hohe Fließgeschwindigkeiten in einer turbulenten Strö-
mung entstehen Bereiche mit sehr geringem Druck. Sinkt dieser Druck unter den
Dampfdruck des Wassers, bilden sich Dampfblasen, welche bedingt durch den
Wechsel des Aggregatzustandes mehr Raum benötigen. Sofern der Wasserdruck
wieder ansteigt fallen die Dampfblasen zusammen. Der zuvor eingenommene
Raum wird schlagartig kleiner und das umliegende Wasser strömt implosionsar-
tig zurück. Dabei entstehen enorme Druckstöße, welche im Nahfeld von Bautei-
len Schäden an diesen verursachen können.
Abbildung 1: links: Skizze Modellaufbau, rechts: Nachweis von Kavitation durch 3d-HN-
Modellierung - Druckfeld incl. Dampfblasen
In physikalischen Modellversuchen, bei denen ein Modellmaßstab zur Verklei-
nerung der realen Größen unter Anwendung der Modellgesetze nach Froude o-
der Euler gewählt wurde, kann Kavitation grundsätzlich nicht realitätsgetreu
nachgewiesen werden. Um die Verzerrungen, die bedingt durch den gewählten
Modellmaßstab auftreten, zu umgehen, müssten hierfür physikalische Modelle
im Maßstab 1 : 1 umgesetzt werden. Beim Nachweis von Kavitation mittels 3d-
HN-Modellierung gibt es keine Verfälschung durch Maßstabseffekte, da das
Modell ohne Mehraufwand im Naturmaßstab abgebildet werden kann.
Bei einer Untersuchung eines unterströmten Schützes wurde der Dampfdruck
des Wassers mit 23 hPa festgelegt und mittels OpenFOAM der Nachweis von
Kavitation geführt. Durch die enorme Druckhöhe zusammen mit dem geringen
Öffnungsgrad des Schützes von 5 mm wurden Fließgeschwindigkeiten bis
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22 m/s berechnet. Mit Hilfe einer zeitlich sehr präzisen Erfassung (im Tausends-
tel-Sekunden Bereich) der Strömungssituation konnten selbst die durch die Im-
plosion entstehenden Druckstöße modelliert werden.
Bedingt durch den Phasenwechsel, welcher mathematisch in den zu lösenden
Gleichungssystemen integriert ist, werden die numerischen Berechnungen auf-
wendiger, wodurch sich längere Rechenzeiten ergeben. Um die Rechenzeiten
solcher Untersuchungen auf akzeptierbare Zeiträume zu reduzieren, sollten die
Modelle in ihrer räumlichen Abmessung reduziert werden. So sollte der Kavita-
tionsnachweis nicht im großräumigen Modell einer Gesamtanlage untersucht
werden, sondern lediglich der Modellausschnitt, in welchem die Kavitationsef-
fekte zu erwarten sind, modelltechnisch umgesetzt werden. Bei bestimmten
Anwendungsfällen bietet es sich an, das Untersuchungsgebiet als quasi-zwei-
dimensionales Modell, z.B. als eine Scheibe mit geringer Breite, aufzusetzen.
Während bei Simulationen ohne Phasenwechsel grundsätzlich nur die Druckdif-
ferenzen innerhalb des Modellgebiets entscheidend sind, müssen beim Aufsetz-
ten von Kavitationsuntersuchungen die tatsächlichen Druckverhältnisse sehr ge-
nau eingehalten werden. Dies muss über die Randbedingungen des Modellge-
biets umgesetzt werden und ist maßgeblich für den Erfolg der Berechnung ver-
antwortlich. Werden dort falsche Druckverhältnisse definiert, können diese im
Ergebnis der Simulation meist nicht aufgedeckt werden, weshalb es zur Entste-
hung von falschen, aber für die gesetzten Randbedingungen durchaus realisti-
schen Berechnungsergebnissen kommen kann.
4 Fazit
Mit dem Zuwachs an Rechenleistung können die Untersuchungsgebiete in ei-
nem mehrdimensionalen hydrodynamisch-numerischen Modell in sehr viel fei-
nere Kontrollvolumina aufgelöst werden als dies noch vor einigen Jahren mög-
lich war. Dadurch kann auch die Genauigkeit der berechneten Lösungen deut-
lich gesteigert werden. Auch großräumige Modellgebiete sowie eine Vielzahl an
Modell-Varianten können mit relativ geringem Aufwand untersucht und somit
sehr effizient optimierte Lösungen gefunden werden. Dieses Vorgehen kann be-
reits bei der Entwurfsplanung etwaiger Anlagen Berücksichtigung finden. Im
Hinblick auf kommende bauliche und/oder hydraulische Veränderungen können
numerische Modelle problemlos archiviert werden und stehen so für mögliche
zukünftige Untersuchungen zur Verfügung.
3d-HN-Modellierung im wasserbaulichen Versuchswesen bezieht sich derzeit
hauptsächlich auf Lösungsmethoden für Zwei-Phasen-Strömungen in einem
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392 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau
Modellgebiet. Mit diesen Verfahren lässt sich ein großes Spektrum an hydrody-
namischen Untersuchungen abdecken. Für weitere Anwendungsfälle stehen, ab-
hängig von der verwendeten Software, zusätzliche Lösungsmethoden zur Verfü-
gung. Zum Nachweis von Kavitationseffekten an hydraulischen Armaturen kön-
nen Löser mit integriertem Phasenwechsel zukünftig vermehrt zum Einsatz
kommen.
Zur Produktion möglichst wahrheitsgetreuer Simulationen ist der Diskretisie-
rung eines Modellgebiets besonderes Augenmerk zu schenken, da die Berech-
nungsgitter entscheidenden Einfluss auf das berechnete Strömungsbild haben.
Generell sind zur Beurteilung der berechneten Lösungen hinsichtlich der reali-
tätsnahen Abbildung eines Strömungszustandes Validierungen unter Verwen-
dung von Ergebnissen aus Natur- oder physikalischen Modellversuchen sowie
archivierten Aufzeichnungen für definierte Abflussszenarien zu empfehlen.
5 Literatur
Chung, T. J. (2002): Computational Fluid Dynamics. Cambridge University Press, New
York 2002
Carstensen, D., Heß, M. & Schneefeld, C. (2014): Ermittlung der hydraulischen
Verhältnisse in der Hochwasserentlastungsanlage der Talsperre Pirk.
Forschungsbericht 2014-06, TH Nürnberg, 2014
Deshpende, S. S., Anumolu, L. & Trujillo, M. F. (2012): Evaluating the performance of
the two-phase flow solver interFoam. Computational Science and Discovery, 2012
DWA (2014): Merkblatt DWA-M 509 – Fischaufstiegsanlagen und fischpassierbare
Bauwerke – Gestaltung, Bemessung, Qualitätssicherung. Deutsche Vereinigung für
Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfälle e.V., Hennef 2014
Autoren:
M.Eng. Max Heß
Technische Hochschule Nürnberg
Georg-Simon-Ohm
Institut für Wasserbau und Wasserwirt-
schaft
Keßlerplatz 12
90489 Nürnberg
Tel.: +49 911 5880 1218
Fax: +49 911 5880 5164
E-Mail: [email protected]
M.Eng. Carla Schneefeld
Dipl.-Ing. (FH) Tilo Vollweiler
Prof. Dr.-Ing. habil. Dirk Carstensen
Technische Hochschule Nürnberg Georg-
Simon-Ohm
Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft
Keßlerplatz 12
90489 Nürnberg
E-Mail: [email protected]
[email protected]
[email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
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3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-
Vernichter-Kammer des WKW Tharandt
Bashar Ismael
Detlef Aigner
Robert Haas
Rüdiger Opitz
Das seit 1926 bestehende Wasserkraftwerk (WKW) Tharandt gehört zum Wasserver-
sorgungssystem der Wilden Weißeritz für das Wasserwerk Coschütz, das die Stadt
Dresden mit Wasser versorgt. Es besteht aus den Trinkwassertalsperren Lehnmühle und
Klingenberg mit den Wasserkraftwerken Klingenberg, Dorfhain und Tharandt sowie ei-
nem umfangreichen Stollensystem für die Überleitung des Rohwassers. Die Energiege-
winnung in der zum Energieversorger ENSO Energie Sachsen Ost AG gehörenden
Wasserkraftanlage WKW Tharandt erfolgt mit zwei Francisspiralturbinen (Baujahr
1926, Firma Voith). Bei Stilllegung oder Ausfall erfolgt der Energiehöhenabbau von
etwa 72 mWS über eine Energievernichterkammer (EVK). Nach einer Sanierung der
Energievernichtungsanlage (EV) wurde die Technische Universität Dresden vom Be-
treiber, der DREWAG NETZ GmbH Dresden, mit der Durchführung von hydraulischen
Untersuchungen zur Optimierung der sanierten EV beauftragen. Ein Teil der Untersu-
chungen, die 3D-hydronumerische Untersuchung der Energievernichterkammer soll in
diesem Beitrag vorgestellt werden.
1 Hydraulisches System des WKW Tharandt
Der Zulauf zu den Turbinen des WKW Tharandt erfolgt über das Wasserschloss
Tharandt, mit der Druckrandbedingung des Wasserstandes, durch eine fast
300 m lange 1200’er Stahlleitung mit Zementmörtelauskleidung. Bei Stillstand
der Turbinen erfolgt der Abzweig des Wassers zur EVK von der 1200’er Lei-
tung über eine Stahlleitung DN800. Vor der EVK wird der Wasserstrom über
ein Hosenrohr aufgeteilt und gelangt einerseits von der Südseite und andererseits
gegenüber von der Nordseite in die EVK. Die Einstellung des Volumenstromes
erfolgt über zwei ringförmige Ventile, indem die Kolben beider Düsen synchron
verschoben werden und damit eine ringförmige Öffnung vergrößern oder ver-
kleinern. Ein ringförmiger Belüftungsspalt nach jeder Düse saugt bei Unterdruck
Luft an und belüftet den sich bildenden Ringstrahl. Dieser prallt dann innerhalb
der Kammer von beiden Seiten auf ein Prallblech und verteilt sich allseitig. In
der Kammer bildet sich eine hochturbulente Wasser-Luft-Strömung aus. Dieses
System, entwickelt von der Firma Voith, ist in dieser Konfiguration einzigartig.
Durch eine Entlüftungsleitung am Zustieg an der Oberseite der EVK erfolgt die
Entlüftung. Das Wasser wird durch die EVK über eine EVK-Leitung seitlich am
Unterwasserkanal der Turbinen vorbei bis zur Zuleitung zur Dükerleitung, die
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394 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt
unter der Weißeritz hindurch geht, geführt. Von da aus gelangt es in den Trink-
wasserstollen zum Wasserwerk Coschütz.
Abbildung 1: Systembild WKW Tharandt (Quelle: DREWAG NETZ GmbH) mit ange-
nommenem Verlauf der Drucklinie in der Energievernichterkammer (EVK) für eine Düse.
2 Aufbau und Funktion der EVK
Die EVK ist zylinderförmig ausgebildet und hat eine Tiefe von etwa 2 m. Die
gegenüberliegenden Düsen befinden sich genau im Zentrum der kreisförmigen
Seitenflächen mit einem Durchmesser von etwa 4 m. Die Zuführung zu den Dü-
sen ist in Abbildung 2 dargestellt.
Abbildung 2: EVK (Zylinder) mit Wasserzuführung über zwei Düsen
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Der Prallteller innerhalb der EVK ist durch angeschweißte Bleche gehalten, die
sternförmig angeordnet sind. Sie schließen sich an ein Rohr an, dass an der Düse
ansetzt und etwa 0,5 m den Strahl umschließt und führt. Am Kopf der Kammer
befindet sich ein Einstiegsdom von dem seitlich das Entlüftungsrohr DN200 ab-
geht und durch die Vorkammer horizontal ins Freie geführt wird. Seitlich an der
Sohle der EVK setzt die EVK-Leitung DN800 an, die seitlich am Unterwasser-
kanal vorbei in die Kammer vor der Dükerleitung geführt wird bzw. direkt in
diese einmündet. Der direkte Anschluss ist allerdings geschlossen, so dass eine
Ableitung der voll geöffneten EV-Leitung immer in den Freispiegelkanal er-
folgt.
Nach dem Abschalten der Turbinen erfolgt das Öffnen der Düsen an der EVK.
Jede Düsenstellung entspricht einem festgelegten Durchfluss. Mit der Verschie-
bung der Kolben öffnen sich die Düsen und das Wasser strömt in die EVK. Der
bei geschlossenen Düsen mit dem Unterwasserkanal und dem Druck in der
Kammer ausgespiegelte Wasserstand in den Belüftungsleitungen sinkt bei Dü-
senöffnung wegen der großen Geschwindigkeit und dem entstehenden Unter-
druck ab und es kommt zum Ansaugen von Luft. Der belüftete Strahl mit Ge-
schwindigkeiten bis über 40 m/s gelangt in die EVK, wo er durch die Vermi-
schung mit der Luft, durch Strahlausbreitung und –umlenkung an Energie ver-
liert. Ein Teil der Luft sammelt sich im oberen Teil der Kammer und wird durch
die Entlüfterleitung ausgetragen. Ein anderer Teil gelangt mit dem Wasser in die
EV-Leitung und wird mit dem Wasser in den Unterwasserkanal abgeleitet.
3 3D-hydronumerische Simulation
3.1 Aufbau der 3D-Modelle
Entsprechend der Vorgaben erfolgte der Aufbau der Volumenmodelle als Ge-
samtmodell vom Eintritt in das Hosenrohr zur Verteilung der Zuströmung vor
den Düsen über die EVK und die Energievernichterleitung bis zum Ende des
Einlaufbauwerkes.
Neben dem Gesamtmodell mit einer Zellenanzahl von etwa 9 Millionen Elemen-
ten wurde ein reduziertes Modell der EVK mit etwa 2 Millionen Elementen vor
allem für die stationäre Berechnung erstellt. Mit ihm wurden u.a. die Düsen-
kennlinien bestimmt. Die Modelle wurden als 2-Fluidmodelle mit den Medien
Wasser und Luft definiert.
Als Randbedingung für den Einlauf wurde anfangs der Durchfluss und später
eine Druckrandbedingung gewählt.
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396 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt
Abbildung 3: 3D-Gesamtmodell der EVK mit Zuleitung und EV-Leitung
Die Randbedingung für die Belüftungsrohre und das Entlüftungsrohr war der
Luftdruck und für den Auslauf der Wasserstand im Unterwasserkanal als Druck-
randbedingung bzw. eine festgelegte Druckrandbedingung. Die Rauigkeit der
Wände des Modells, die hier eine untergeordnete Rolle spielte, wurde als glatt
angenommen. Für die Berechnung wurde ein k-ε-Turbulenz-Modell verwendet
und für die zwei Fluiden wurde der Phasenübergang als Mixtur-Modell defi-
niert.
Abbildung 4: reduziertes Modell der EVK mit Düsen, Entlüftung und verkürztem Auslauf-
rohr
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Da die Berechnungen mit unterschiedlichen Kolbenstellungen erfolgten, musste
für jede Kolbenstellung ein neues Modell aufgebaut werden.
3.2 Ermittlung der Arbeitspunkte der Düsen
Die gesamte zur Verfügung stehende Energie von insgesamt 71,49 mWS wird
einerseits durch die Energieverluste VRLh der zu- und abströmenden Rohrleitung
abgebaut und andererseits durch die Energieumwandlung EVKdH innerhalb der
EVK. Die Energieverluste aus der Rohrleitung können aus den Randbedingun-
gen der Rohrleitungen, Verbindungselemente, Armaturen usw. berechnet wer-
den. Aus Gleichung (1) ergibt sich damit eine Rohrleitungskennlinie (RL-
Kennlinie Abbildung 5) wie bei einer Ausflussleitung bzw. Gravitationsleitung.
Diese wird über den Durchfluss aufgetragen und zeigt die restliche in der EVK
abzubauende Energiehöhe.
2 2 2
71 49 m 71 49 m2 2 2
i i i aEVK VRL i i
i
LdH , h ,
d g g g
(1)
Abbildung 5: Ermittlung der Arbeitspunkte der Düsen für verschiedene Düsenstellungen
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398 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt
Andererseits kann man für jede Düsenstellung eine Düsenkennlinie (Düsen-KL
Abbildung 5) erstellen, diese ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen
Durchfluss Q, effektiver Düsenfläche DA und damit maximaler Geschwindig-
keit in der Düse, den sich ausbildenden Unterdruck in der Düse HS und der
teilweisen Rückumwandlung der Geschwindigkeit in Druck in der EVK. Dieser
Zusammenhang ist aus Gleichung (2) ersichtlich, wobei unklar ist, welcher Un-
terdruck in der Düse erzeugt wird, weil das wiederum durch die Belüftung und
die Ausbildung der Belüftungsleitung stark beeinflusst wird (Abbildung (1)).
Eindeutig ist allerdings, dass es sich um eine quadratische Funktion von Q han-
delt, die für Q = 0 bei 0 bzw. bei - HEVK (etwa – 1,65 m) beginnt.
2 2
2 22 2EVK D EVK S EVK S EVK
D
QdH H H H H H H
g g A
(2)
3.3 Berechnung der Düsenkennlinien
Im ersten Schritt der numerischen Simulation war es erforderlich, die Düsen-
kennlinien zu ermitteln. Dazu wurden die Modelle mit den festgelegten Düsen-
stellungen sowohl im Gesamtmodell als auch im verkürzten Modell berechnet.
Die Randbedingungen, entweder Durchfluss oder Druck wurden dabei variiert.
Die Ergebnisse dieser Simulationen untereinander verbunden ergeben im Dia-
gramm die Düsenkennlinien. Die Schnittpunkte dieser Kennlinien mit der analy-
tisch bestimmten Rohrleitungskennlinie stellen die Arbeitspunkte der Düsen dar.
Das bedeutet, dass sich bei einer bestimmten Öffnung der Düse genau diese
Druck- und Durchflussbedingungen des Arbeitspunktes einstellen. Damit war es
möglich, mit diesen festgelegten Randbedingungen der Arbeitspunkte die nume-
rischen Modelle zu berechnen.
Die Ausflussfläche der Düsen AD der einzelnen Kolbenverschlüsse ist Abhängig
von der Kolbenbewegung dy und steht in engem Zusammenhang mit dem
Durchfluss durch die Düse.
Die durchflossene Fläche einer Düse kann als Mantelfläche eines Kegelstumpfes
berechnet werden zu:
1 2 12DA r r a r dy sin cos dy sin (3)
Damit ergibt sich aus der Kontinuitätsformel der Zusammenhang zwischen
Durchfluss und Kolbenstellung.
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Abbildung 6: Ermittlung der effektiven Ausflussfläche der Kolbenverschlüssen
Einzige Unbekannte ist die Größe der Saughöhe HS an der Düse. Diese wurde
aus den numerischen Versuchen ermittelt.
12 2 2 2D D SQ A g H H r dy sin cos dy sin (4)
Wegen der allmählichen Strömungsverengung bei der Umströmung des Kolbens
kommt es nur zu einer geringen bzw. keiner Strahleinschnürung und auch die
Energieverluste im Kolben sind wegen der Beschleunigungsströmung vernach-
lässigbar, so dass der Ausflussbeiwert µ in erster Näherung zu 1 gesetzt werden
kann.
4 Ergebnisse der Simulationen
Die Auswertung der Untersuchungen erfolgte in vielen Richtungen, wobei ins-
besondere das Druckverhalten in der EVK, das Verhalten der Luft in der Kam-
mer und der Eintrag der Luft ins Unterwasser sowie die maximalen Durchfluss-
werte bei voller Kolbenöffnung für den Betreiber interessant waren.
4.1 Ermittlung der Druck- und Geschwindigkeitswerte
Die Ermittlung der Druckverhältnisse und der Geschwindigkeiten erfolgte für
die stationären als auch die zeitabhängigen Berechnungen. Dabei wurden die
Auswertungen entweder an definierten Punkten, entlang von Linien oder auf
Flächen und Volumen dargestellt. Folgende zwei Beispiele zeigen die Auswer-
tung von Druck- und Geschwindigkeitsverläufen.
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400 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt
Abbildung 7: Darstellung des Druck- und Geschwindigkeitsverlaufes um den Kolben ent-
lang einer Polylinie innerhalb der Strömung
Es zeigte sich, dass Unterdruck- und Geschwindigkeitsspitzen vor allem punkt-
förmig am Düsenaustritt an der Düsenhülle auftraten und wegen der Belüftung
kurz danach wieder abgebaut wurden (Abbildung 8).
Abbildung 8: Stromlinien eingefärbt mit Geschwindigkeitswerten
Für die Ermittlung der maximalen Druckbelastung in der Kammer war vor allem
der zeitabhängige Druckverlauf (Abbildung 9) am Ausstiegsdom interessant.
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Abbildung 9: Darstellung des zeitabhängigen Druckverlaufes am Deckel des Ausstiegsdoms
der EVK für eine Simulationsphase von 50s
4.2 Analyse des Lufteintrages und der Luftverteilung
Der Lufteintrag ist abhängig von den Druckverhältnissen am Belüftungsspalt
und der Geometrie der Belüftungsleitungen. Direkt am Belüftungsspalt inner-
halb der Düse stellt sich der Unterdruck auf wenige Meter Wassersäule ein.
Abbildung 10: Momentaufnahme der Luftverteilung in einer senkrechten Ebene innerhalb
der EVK; Q=7400 m³/h bei einer relativen Kolbenstellung von 51,5 mm (rot:
Luft, blau: Wasser)
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402 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt
Die starke Turbulenz in der Kammer verhindert eine durchgängige Entmi-
schung, so dass sehr viel Luft mit dem Wasser weitertransportiert wird.
4.3 Analyse der Funktionsweise der EVK
Aus den Ergebnissen der numerischen Simulation konnten erstmals folgende
Zustände dargestellt und analysiert werden:
- Zusammenhang zwischen Abfluss und Kolbenstellung in den Düsen,
- Belüftung des Strahls und Luftverteilung in der Kammer,
- Turbulente Strömung in der Kammer,
- Druckpulsation und damit Beanspruchung im Innern der Kammer,
- Bereiche mit Kavitationsgefährdung,
- Probleme des Luftaustrittes und
- Kräfte auf Bereiche der Kammer.
5 Zusammenfassung
Mit der Zustandsanalyse mit Hilfe der numerischen Simulation konnten an-
schaulich die Vorgänge in der EVK dargestellt und besser verstanden werden.
Durch die Auswertung der Simulationen konnten bestimmte Analysen zur Luft-
verteilung, zur Pulsation der Strömung, zur Innenbeanspruchung der Kammer,
zur Druck- und Kraftverteilung durchgeführt werden und es wurde ein Einblick
in die hydraulischen Vorgänge innerhalb der Kammer ermöglicht. Ein besonde-
rer Dank gilt der DREWAG Netz GmbH für die Beauftragung und die Unter-
stützung dieses Projektes.
Literatur
Aigner, Detlef; Bollrich, Gerhard (2015): Handbuch der Hydraulik : für Wasserbau und
Wasserwirtschaft. 1. Auflage. Berlin-Wien-Zürich : Beuth Verlag GmbH
Autoren:
Dipl.-Ing. Bashar Ismael
Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Aigner
TU Dresden
Institut für Wasserbau und THM
01062 Dresden
Tel.: +49 351 4633 9279
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Robert Haas (M. Sc.)
Dipl.-Ing. Rüdiger Opitz (Abt.-Ltr.)
DREWAG NETZ GmbH
Anlagenmanagement Wasser
Rosenstraße 32, 01067 Dresden
Tel.: 0351 20585 4946
[email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Numerische Modellierung von Propeller-
induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Bö-
schungen
Stefan Leschka
Oliver Stoschek
Jann Best
Schiffs-induzierte Wellen und Propellerstrahle verursachen maßgebende Belas-
tungen von Böschungen und sind im Entwurf zu berücksichtigen. Existierende
Standard-Lösungen (GBB; BAW, 2010) stellen empirische Formeln zur Verfü-
gung, die in einigen Fällen jedoch zu hohen Sicherheitswerten führen (PIANC,
2015). Zunehmende Schiffsabmessungen und sich der daraus ergebende stärkere
erforderliche Böschungsschutz regt daher eine Neubewertung der bestehenden
Methoden an. Aufbauend auf einer von DHI durchgeführten detaillierten Mess-
kampagne am Bubendey-Ufer im Hamburger Hafen erstellte DHI ein validiertes
Computational-Fluid-Dynamics-Modell, um Strömungsgeschwindigkeiten auf
Böschungen zu berechnen. Der Vergleich mit dem GBB zeigt das hohe Anwen-
dungspotential des Modells für die Erstellung kosten-effizienter Böschungssiche-
rungen auf.
Stichworte: Propellerstrahl, Feldmessungen, CFD-Berechnungen, Böschungen
1 Einleitung
Schiffs-induzierte Wellen und Propellerstrahle verursachen maßgebende Belas-
tungen von Böschungen. Existierende Entwurfs-Richtlinien wie Grundlagen zur
Bemessung von Böschungs- und Sohlensicherungen an Binnenwasserstraßen
(GBB; BAW, 2010) stellen hierfür empirische Formeln zur Verfügung. Strö-
mungsgeschwindigkeiten im Propellerjet werden für standardisierte Fälle ermit-
telt, denen der jeweilige Bemessungsfall zuzuordnen ist. Im Zusammenhang mit
freien Propellern werden zur Begrenzung der Strahlausbreitung ausschließlich
vertikale Kaimauern seitlich und stromabwärts des Propellerstahls berücksich-
tigt.
Die Abschätzungen der Strömungsgeschwindigkeiten werden verwendet, um
Materialeigenschaften wie Gesteinsgrößen für einen sicheren Böschungsentwurf
zu bestimmen. Aktuell sind solche Abschätzungen sehr konservative (PIANC,
2015). Zunehmende Schiffsabmessungen und somit immer stärker beanspruchte
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404 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen
Böschungen steigern den Bedarf an Methoden, mit denen Böschungen einerseits
sicher entworfen, mit denen aber andererseits auch wirtschaftliche Lösungen für
Hafenplaner bereitgestellt werden können.
Propeller und ihre Wechselwirkung mit Rudern verursachen komplexe Strö-
mungsfelder im Heckbereich eines Schiffes. Das Phänomen umfasst Strö-
mungskomponenten in axialer, tangentialer und radialer Richtung. Sie können
mit Hilfe von empirischen Ansätzen, physikalischen Experimenten und numeri-
schen Modellen ermittelt werden.
Propellerstrahlen wurden in den letzten Jahrzehnten systematisch untersucht,
z.B. durch Albertson et al. (1950) und Lam et al. (2011). Stewardt (1992) be-
schreibt die Strömungsgeschwindigkeiten im Strahl mit Hilfe von generiertem
Schub, Drehmoment und Vorwärtsgeschwindigkeit des Schiffs. Der Schubbei-
wert KT ist besonders abhängig vom Propellertyp (Hamill et al., 1995), der an-
hand des Konstruktionssteigungsverhältnisses P/Dp beschrieben werden kann.
Fröhlich et al. (1977) haben für KT einen Bereich von 0,6 bis 1,4 ermittelt. Die
Geschwindigkeitsverteilung im Propellerstrahl wurde von Albertson et al.
(1950) mit Hilfe der axialen Impulstheorie beschrieben.
Der Einfluss des Ruders wurde beispielsweise durch Blaauw & van de Kaa
(1978) untersucht, wo gezeigt wird, dass der Propellerstrahl in einen aufwärts
und einen abwärts gerichteten Strom aufgespalten wird. Die maximale Strahlge-
schwindigkeit am Boden wurde durch Führer & Römisch (1977) in Abhängig-
keit von P/Dp und eines Koeffizienten beschrieben. Der mit zunehmender Ent-
fernung eintretende Geschwindigkeitsabfall sowie die vertikale Geschwindig-
keitsverteilung wurden durch Hamill & McGarvey (1996) und Sumer & Fredsoe
(2002) beschrieben.
Im Rahmen von numerischen (CFD-) Untersuchungen von Propeller-induzierte
Strahlen wird der (1) Modell-Ansatz mit gleitendem Netz („Sliding Mesh Mo-
del“), (2) der Ansatz mit mehreren Bezugssystemen („Multiple Reference Frame
Approach“) oder (3) ein Impulsquellenmodell („Momentum Source Model“,
MSM) angewandt (Hough & Ordway, 1964). Detaillierte numerische Untersu-
chungen der Ruder-Propeller-Wechselwirkung zeigten, dass der Einfluss der
instationären Propellerströmung vernachlässigt und stationäre Rechnungen
durchgeführt werden können, solange die radiale Variation im axialen und tan-
gentialen Impuls enthalten ist, der vom Propeller erzeugt wird (Phillips et al.,
2010). Daher wird in dieser Studie das MSM verwendet.
Sie beinhaltet den Vergleich von Ergebnissen eines CFD-Modells mit Feldmes-
sungen für drei verschiedene Fälle. Die Messungen werden in Abschnitt 2 be-
schrieben, der Aufbau des numerischen Modells in Abschnitt 3. Es folgt die Prä-
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sentation der Ergebnisse und eine Diskussion, die sie hinsichtlich empirischer
Ansätzen einordnet.
2 Feldmessungen
Die Messungen erfolgten am Bubendey-Ufer in Hamburg im Lauf einer Woche
im September 2014. Eine Skizze des Ufers ist in Abbildung 1 gegeben.
Abbildung 1: Links: Querschnitt der Uferböschung (modifiziert von Heinrich Weseloh
Straßen- und Tiefbau GmbH, 2014). Rechts: Ansicht des Berechnungsnetzes
Die Steigung der Böschung wurde mittels Messungen bestimmt und beträgt ca.
1:3. Der Schlepper “Schleppko” wurde in Ufernähe in einem Winkel von ca. 90°
zum Ufer platziert. Ein Ponton wurde neben dem Schlepper ausgelegt, um seine
Position und Ausrichtung zu stabilisieren. Er verfügt über einen Hauptantrieb
mit einer Leistung von 500 kW. Der Propellerdurchmesser beträgt 1,72 m. Das
Konstruktionssteigungsverhältnis ist 0,661.
Um den Einfluss von natürlichen Fluss- und Tide-Strömungen von den Messda-
ten zu trennen, wurden vor und nach jedem Test „null“-Messungen durchge-
führt, während denen sich der Propeller nicht drehte. Die zwei „null“-
Messungen beinhalten somit nur die natürlichen Strömungen. Linear über die
Zeit zwischen den „null“-Messungen interpoliert konnte der Einfluss weitge-
hend reduziert werden konnte. Die Messbedingungen sind in Tabelle 1 zusam-
mengefasst.
Szenario m1 wurde verwendet, um das numerische Modell zu kalibrieren. Die
Szenarien m2 und m3 dienten der Modellvalidierung. Drei Strömungssensoren
zur Messung der Ufer-normalen und Ufer-parallelen Geschwindigkeitskompo-
nenten wurden entlang der Propellerachse und daneben platziert. Die Koordina-
ten sind in Tabelle 2 aufgeführt. Der Ursprung des Versuchs-
Koordinatensystems liegt auf dem Schnittpunkt von Küstenlinie und Propeller-
achse, wenn der Wasserstand bei NN+0m ist (vergl. Abb. 1).
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406 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen
Tabelle 1 Messbedingungen
Szenario m1
Kalibrierung
m2
Validierung
m3
Validierung
Datum 16.9.2014 17.9.2014 19.9.2014
Startzeit 10:56 11:36 10:42
Wasserstand [mNN] 1,42 1,38 1,45
Propellerachsenlage
[mNN]
-0,38 -0.34 -0,32
Atmosphärischer
Druck [hPa]
1019 1019 1012
Maschinenkapazität
[%]
50 25 70
Propellerdrehzahl
[U/min]
250 192 275
Entfernung vom Ufer
[m]
16,55 16,95 16,53
Umgebungsströmungs-
geschwindigkeit [m/s]
0,16 0,10 0,07
Tabelle 2 Koordinaten der Strömungssensoren (siehe Abb. 1)
Strömungssensor x [m] y [m] z [m]
VS1 1,47 1,80 -0,289
VS2 1,29 -2,19 -0,247
VS3 1,39 -0,06 -0,270
3 Numerisches Modell
3.1 OpenFOAM
Alle CFD-Simulationen wurden mit OpenFOAM ® (OpenFOAM Foundation,
2011) durchgeführt. Dabei wurde der Löser simpleFoam verwendet, der auf den
stationären Reynolds-gemittelten Navier-Stokes-Gleichungen (Reynolds-
averaged Navier-Stokes, RANS) basiert. Hier wurde das k-ε-Turbulenzmodell
mit einer Turbulenzintensität 10% angewandt.
Die asymmetrische axiale und tangentiale Volumenkraft (MSM) wurde in simp-
leFoam nach Paterson et al. (2003) implementiert.
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3.2 Numerischer Modellbereich und Berechnungsnetz
Der numerische Modellbereich und das Berechnungsnetz sind in Abbildung 1
dargestellt. Der Modellbereich erstreckt sich über 30 m Uferlänge und 43,45 m
von der Propellerscheibe in Richtung Flussmitte. Er schließt die gemessene Bö-
schungsform ebenso ein wie die genaue Rudergeometrie des Schleppers. Der
Schiffsrumpf wurde im Modell vernachlässigt.
Das Netz wurde um das Ruder herum, im Bereich der Propellerscheibe und im
Böschungsbereich bis zu 0,01 m verfeinert. Die Netzkonvergenz wurde getestet,
indem die maximale Strömungsgeschwindigkeit im Verhältnis zur Zellenhöhe
an der Böschungssteigung bewertet wurde.
3.3 Randbedingungen
Der obere Rand „top“ des numerischen Modellgebiets wurde auf der Höhe des
Ruhewasserspiegels festgelegt. Es wird darauf hingewiesen, dass die freie Was-
seroberfläche aus Gründen der Vereinfachung und schnelleren Modellkonver-
genz nicht modelliert wurde. Dort wurde reibungsfreie (sog. „slip“-) Randbe-
dingungen angesetzt. Am der Flussmitte zugewandten Rand „offshore“ wurde
die sogenannte „pressueInletOutletVelocity“-Bedingung zusammen mit der „to-
talPressure“-Bedingung für Druck angewendet, so dass Wasser in das Modell-
gebiet hinein und aus ihr heraus gelangen kann. An den seitlichen Rändern
„front“ und „back wurde die Geschwindigkeitsbedingung „inletOutlet“ mit ei-
nem festgelegten Druckwert gepaart. Am Boden wurden die Geschwindigkeiten
auf null gesetzt. Drücke befolgen die Gradienten-freie Bedingung. Um die Ge-
steinsgrößen auf der Böschung zu berücksichtigen, wurde die sogenannte „nu-
tURoughWallFunction“-Wandfunktion angewendet, die es erlaubt, die Rauhig-
keitshöhe von hier 0,03 m anzusetzen.
3.4 Simulationsmatrix
Als Teil des Kalibrierungsprozesses wurden Sensitivitätstests durchgeführt, bei
denen die einzelnen MSM-Parameter um jeweils 10% verändert wurden (Szena-
rien s1.0 bis s1.4). Die Validierungsfälle sind mit s2 und s3 bezeichnet. Eine
Übersicht befindet sich in Tabelle 3.
Tabelle 3 Simulationsmatrix für Kalibrierung und Validierung (veränderte Werte fett)
Szenario s1.0 s1.1 s1.2 s1.3 s1.4 s2 s3
Maschinenleistung 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 25 % 70 %
KT 0,837 0,837 0,837 0,837 0,921 0,837 0,837
KQ 0,029 0,032 0,029 0,029 0,029 0,032 0,031
U0 5,902 5,902 5,902 6,493 5,902 4,685 6,603
J 0,824 0,824 0,906 0,842 0,842 0,851 0,838
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408 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen
4 Ergebnisse
Das numerische Modell berechnet stationäre Geschwindigkeiten und liefert kei-
ne Informationen über Geschwindigkeitsschwankungen, die während des Pro-
pellerantriebs auftreten. Daher wurden die numerisch berechneten Geschwin-
digkeiten mit gemittelten Messdaten verglichen. Da die Messungen jedoch dy-
namische Variationen in der Größenordnung der gemessenen Geschwindigkei-
ten offenbarten, können sie nicht vernachlässigt werden. Um das Verhältnis zwi-
schen Mittelwerten und Schwankungen beizubehalten, wurden die gemessenen
Schwankungen auf die numerischen Ergebnisse übertragen, indem die Verhält-
nisse
max,,1
max,,
,,1
,,
min,,1
min,,
jm
ji
avgjm
avgji
jm
ji
u
u
u
u
u
u (5)
für die Geschwindigkeiten u verwendet wurden. i={1.0,1.1,1.2,1.3,1.4,2,3} gibt
die Versuchsnummer an, j={x,y} die Richtung der Geschwindigkeitskomponen-
te, min steht für minimale Werte, max für maximale Werte und m1 markiert
gemessene Werte während der Messung mit 50% Maschinenleistung. x ist die
Richtung senkrecht zum Ufer (siehe auch Abbildung 1) und y ist die parallele
Richtung. Das Verhältnis aus Gleichung (5) wurde für die Validierungssimulati-
onen mit 25 und 70% Maschinenleistung übernommen.
4.1 Kalibrierung
Die gemessenen und berechneten Geschwindigkeiten senkrecht und parallel zum
Ufer, die im Propellerstrahl bei 50% der Maschinenleistung auftreten, werden in
Abbildung 2 gezeigt.
Alle numerisch berechneten Ufer-normalen Geschwindigkeiten übertreffen die
gemittelten gemessenen Geschwindigkeiten (siehe Abbildungen 5a), c) und e)).
Verglichen mit den großen Geschwindigkeitsschwankungen bewegen sich die
simulierten Geschwindigkeiten innerhalb des Bereiches der gemessenen Ge-
schwindigkeiten. Unter Berücksichtigung dieser Fluktuationen führt ein Ver-
gleich der Maximalgeschwindigkeiten senkrecht zum Ufer in Propellernähe zu
Abweichungen von 18% gegenüber den original berechneten MSM-Parametern
(Fall s1.0). Die Übereinstimmung ist somit gut.
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m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4
u (
x)
[m/s
]
a) u(x) at VS1
-2.5
-2
-1.5
-1
-0.5
0
0.5
1
1.5
m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4
u (
y)
[m/s
]
b) u(y) at VS1
-2.5
-2
-1.5
-1
-0.5
0
0.5
1
1.5
m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4
u (
x)
[m/s
]
scenario
c) u(x) at VS2
-2.5
-2
-1.5
-1
-0.5
0
0.5
1
1.5
m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4
u (
y)
[m/s
]
d) u(y) at VS2
-2.5
-2
-1.5
-1
-0.5
0
0.5
1
1.5
m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4
u (
x)
[m/s
]
scenario
e) u(x) at VS3
-2.5
-2
-1.5
-1
-0.5
0
0.5
1
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m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4
u (
y)
[m/s
]
scenario
f) u(y) at VS3
Abbildung 2: Gemessene und simulierte Geschwindigkeitsmittelwerte (Kalibrierung mit 50
% der Maschinenleistung). Für m1 bezeichnen die schwarten Linien die
Schwankungsbreite der Messwerte, die auf die Simulationen s1.0 bis s1.4
übertragen wurde (siehe Gleichung (5)).
4.2 Validierung
Die gemessenen und berechneten Geschwindigkeiten senkrecht und parallel zum
Ufer, die im Propellerstrahl bei 25% der Maschinenleistung auftreten, werden in
Abbildung 3 gezeigt.
-2.5-2
-1.5-1
-0.50
0.51
1.5
m2 s2
u(x
) [m
/s]
scenario
a) u(x) at VS1
-2.5-2
-1.5-1
-0.50
0.51
1.5
m2 s2
u(y
) [m
/s]
scenario
b) u(y) at VS1
-2.5-2
-1.5-1
-0.50
0.51
1.5
m2 s2
u(x
) [m
/s]
scenario
c) u(x) at VS2
-2.5-2
-1.5-1
-0.50
0.51
1.5
m2 s2
u(y
) [m
/s]
scenario
d) u(y) at VS2
-2.5
-2
-1.5
-1
-0.5
0
0.5
1
1.5
m2 s2
u(x
) [m
/s]
e) u(x) [m/s]
-2.5-2
-1.5-1
-0.50
0.51
1.5
m2 s2
u(y
) [m
/s]
scenario
f) u(y) at VS3
Abbildung 3: Gemessene und simulierte Geschwindigkeiten (Validierung mit 25 % Ma-
schinenleistung). Für m2 bezeichnen die schwarzen Linien die Schwan-
kungsbreite der Messwerte. Für s2 wurde die Schwankungsbreite aus der Ka-
librierung (m1) übertragen (siehe Gleichung (5))
Für die Ufer-normale Geschwindigkeitskomponente nimmt die Abweichung in
den äußeren Sensoren Werte von 1 und 26% an (siehe Abbildung 5 a) und c).
Am mittleren Sensor beträgt die Abweichung bei den Maximalgeschwindigkei-
ten 12% (siehe Abbildung 5 e)), wobei der numerisch berechnete Wert die ge-
messenen Werte übertrifft.
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410 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen
Ein weiterer Vergleich wurde für 70% der Maschinenleistung durchgeführt. Na-
he der Propellerachse werden die maximalen senkrechten Geschwindigkeiten
um 31% überschätzt. Das numerische Modell berechnet somit konservative
Werte für die böschungsnormale Richtungskomponente der Strömung.
Insgesamt wurde eine akzeptable Übereinstimmung für die Validierungsfälle
festgestellt. Das numerische Modell berechnet in allen Fällen konservative Wer-
te für die Maximalgeschwindigkeiten nahe der Propellerachse.
4.3 Vergleich mit der GBB-Standardmethode
Die hier untersuchte Situation ist vergleichbar mit Standardsituation 2 (BAW,
2010). Die Geschwindigkeiten wurden den CFD-Ergebnissen in einer Entfer-
nung von 0,03 m entnommen, was im Bereich der äquivalenten Sandrauigkeit
liegt (Adams et al., 2012). Die Maximalgeschwindigkeiten werden in Tabelle 4
wiedergegeben.
Tabelle 4 Maximalgeschwindigkeiten über der Uferböschung nach CFD- und GBB-
Methode
Maschinenleistung CFD GBB
25 % 1,25 m/s 3,14 m/s
50 % 1,63 m/s 4,23 m/s
70 % 1,66 m/s 4,55 m/s
Die Maximalgeschwindigkeiten der CFD-Modelle nehmen Werte zwischen 36
und 40% der GBB-Werte ein. Es sollte beachtet werden, dass Standardsituation
2 in BAW (2010) einen horizontalen Boden aufweist. Eine Böschung wie in die-
sem Fall würde den Propellerstrahl nach oben beugen. Dies wird in der GBB-
Methode nicht berücksichtigt. Die Unterschiede zwischen den CFD- und GBB-
Ergebnissen ist somit auf die starke Verallgemeinerung in BAW (2010) zurück-
zuführen.
5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
In dieser Studie wurde ein CFD-Modell mit Hilfe von in-situ Messungen im
September 2014 am Bubendey-Ufer in Hamburg kalibriert und validiert. Die
modellierten Ergebnisse stimmen gut mit den Messungen überein. Das Modell
liefert konservative Abschätzungen.
Die Ergebnisse wurden mit der GBB-Methode (BAW, 2010) verglichen. Für die
hier untersuchten Fälle liegen die CFD-Ergebnisse unter 50 % der GBB-Werte.
Der Hauptgrund für diese Abweichung liegt im hohen Grad der Verallgemeine-
rung in der GBB-Methode.
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Der CFD-Ansatz hat sich als effiziente und ökonomische Alternative für den
Böschungsentwurf erwiesen, weil er lokale Bedingungen wie Böschungsneigung
berücksichtigen kann.
6 Danksagung
Die Autoren danken Michel Kopiske (TU Braunschweig) für seinen Beitrag bei
der korrekten Anwendung der GBB-Methode und bei der Begutachtung der
Messdaten.
7 Literatur
BAW (2010): Grundlagen zur Bemessung von Böschungs- und Sohlensicherungen an
Binnenwasserstraßen, Mitteilungsblatt der Bundesanstalt für Wasserbau Nr. 87,
Karlsruhe, Deutschland.
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Autoren:
Dipl.-Ing. M.Sc. Stefan Leschka
DHI WASY GmbH
Niederlassung Bremen
Knochenhauerstraße 20/25
28195 Bremen
Tel.: +49 421 988821 16
Fax: +49 421 988821 18
E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Oliver Stoschek
DHI WASY GmbH
Niederlassung Bremen
Knochenhauerstraße 20/25
28195 Bremen
Tel.: +49 421 988821 21
Fax: +49 421 988821 18
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Jann Best
Hamburg Port Authority (AöR)
Neuer Wandrahm 4
20457 Hamburg
Tel.: +49 40 42847 2508
E-Mail: [email protected]
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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“
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Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte
hydraulische Systeme
Michael Sabrowski
Sebastian Weichelt
Jens Sauerwein
Am Beispiel des Hochwasserrückhaltebeckens Straußfurt werden aktuelle Unter-
suchungen zur Hochwassersicherheit im Rahmen der vertieften Überprüfung vor-
gestellt. Aufgrund der spezifischen räumlichen und hydraulischen Randbedingun-
gen ist die Kopplung von vier gegenständlich-physikalischen (wasserbaulichen)
Bauwerksmodellen mit einem zweidimensionalen mathematisch-physikalischen
Modell erforderlich.
Stichworte: Hochwassersicherheit, Hybridmodellierung, Kopplung
1 Veranlassung und Zielstellung
Die Thüringer Fernwasserversorgung betreibt als Dienstleister für den Freistaat
Thüringen unter anderem 21 Hochwasserrückhaltebecken aller Größenordnun-
gen mit einem gewöhnlichen Hochwasserrückhalteraum von insgesamt 29,31
Mio. m3. Das Hochwasserrückhaltebecken Straußfurt besitzt aufgrund seines
gewöhnlichen Hochwasserrückhalteraumes von 18,64 Mio. m3 sowie der Ver-
bundwirkung mit dem Hochwasserrückhaltebecken Kelbra (Sachsen-Anhalt)
überregionale Bedeutung für den Hochwasserschutz im gesamten Unstrut-
Helme-Gebiet bis hin zum Flussgebiet der Saale.
Im Rahmen der aktuell laufenden vertieften Überprüfung des Hochwasserrück-
haltebeckens Straußfurt sind gemäß DIN 19700-10:2004-07 alle Sicherheits-
nachweise erneut zu führen, wenn sich Veränderungen der Eingangsparameter
ergeben haben. So erfolgte in der Projektierungsphase in den 1950er Jahren die
Untersuchung der Hochwassersicherheit für einen Bemessungsabfluss von HHQ
= 400 m3/s. Aufgrund einer geänderten Klassifizierung von einem mittleren Be-
cken in ein großes Becken gemäß DIN 19700-12:2004-07 im Jahr 2006 sowie
der im Rahmen der vertieften Überprüfung neu ermittelten hydrologischen Be-
messungsgrößen im Jahr 2014 ist die Anlagensicherheit aktuell für ein Extrem-
hochwasser von BHQ2 = HQ10.000 = 793 m3/s nachzuweisen.
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414 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme
2 Hochwasserrückhaltebecken Straußfurt
Das Absperrbauwerk des Hochwasserrückhaltebeckens Straußfurt besteht aus
einem circa 9 m hohen Erddamm mit einer Länge von rund 1.850 m. Auf etwa
halber Länge quert das Gewässer Unstrut den Erddamm in einem Massivbau-
werk (sogenanntes Abschlussbauwerk). Der Abfluss wird hier über vier Doppel-
hakenschützen mit einer Öffnungsweite von je 3,30 m gesteuert.
An der linken Dammschulter ist die Hochwasserentlastungsanlage angeordnet.
Diese besteht aus einem 270 m langen freien Überfall mit einer mittleren Voll-
stauhöhe von ZV = 149,80 m NHN sowie einer parabelförmigen Sammel- und
Ablaufrinne. Über das Tosbecken entlastet die Ablaufrinne in das luftseitige
Dammvorland (Abbildung 1 links).
Das luftseitige Dammvorland wird bei Abflüssen von größer 100 m3/s in der
Unstrut und/oder bei in Betrieb befindlicher Hochwasserentlastungsanlage über-
flutet (Abbildung 1 rechts). In circa 60 bis 300 m Abstand luftseitig vom Ab-
sperrbauwerk wird das Vorland von zwei hintereinander liegenden Verkehrs-
dämmen gequert (Straßen- und Bahndamm). Die Verkehrsdämme enthalten
sechs über die gesamte Länge ungleichmäßig verteilte Bereiche mit Durchlässen
sowie zwei hintereinander liegende Brücken im Bereich der Unstrut.
Abbildung 1: Hochwasserrückhaltebecken Straußfurt bei Normalbetrieb (sommerlicher
Teildauerstau) und bei Hochwasserbetrieb 1994
Die Hochwassersicherheit wurde in der Projektierungsphase anhand eines was-
serbaulichen Modells für die Hochwasserentlastungsanlage im Maßstab 1:30
(Längen und Höhen) untersucht. Für den Bemessungsabfluss von HHQ = 400
m3/s wird ein Stauziel von 150,50 m NHN angegeben (Forschungsanstalt für
Schifffahrt, Wasser- und Grundbau, 1957).
Gleichzeitig erfolgte die Untersuchung der Strömungssituation im luftseitigen
Dammvorland inklusive der Leistungsfähigkeit der Durchlässe in den Verkehrs-
dämmen an einem separaten wasserbaulichen Modell im Maßstab 1:100 (Län-
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gen) und 1:40 (Höhen). Eine Parallelentlastung über das Abschlussbauwerk
(Doppelhakenschützen) wurde bei diesen Untersuchungen nicht berücksichtigt.
3 Nachweiskonzept und erste Ergebnisse
3.1 Grundlagen
Im Rahmen der Grundlagenermittlung zur Hochwassersicherheit (Björnsen Be-
ratende Ingenieure, 2015) wurde unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aus-
bildung der Dammkrone und der vorhandenen Wellenumlenker eine normge-
rechte Hochwassersicherheit für ein Hochwasserstauziel von ZH2 = 150,84 m
NHN ermittelt. Für dieses Hochwasserstauziel und den zugehörigen Bemes-
sungshochwasserzufluss sind folgende Fragestellungen zu beantworten:
Leistungsfähigkeit der Hochwasserentlastungsanlage
Leistungsfähigkeit der Doppelhakenschützen am Abschlussbauwerk
Leistungsfähigkeit der Durchlässe in den Verkehrsdämmen für den Fall
ohne und mit lokaler Überströmung der Verkehrsdämme
Einfluss des Rückstaus aus den Verkehrsdämmen auf die Leistungsfähig-
keit der Hochwasserentlastungsanlage und der Doppelhakenschützen
Einfluss von Querströmungen auf die Leistungsfähigkeit der Doppelhaken-
schützen bei Abflüssen über die Hochwasserentlastungsanlage
Aufgrund der hydraulischen Wechselwirkung zwischen den einzelnen Kompo-
nenten ist die Leistungsfähigkeit der Anlagenteile sowie des Gesamtsystems
durch analytische Berechnungen nicht eindeutig bestimmbar, so dass den Emp-
fehlungen der DIN 19700-11:2004-07 folgend Modellversuche zur Beantwor-
tung der Fragestellungen herangezogen werden.
Aufgrund der Ausdehnung des luftseitigen Dammvorlandes sowie der Größen-
verhältnisse zu den Anlagenteilen und Durchlässen erfolgt die Untersuchung
anhand unterschiedlicher physikalischer Teilmodelle. Die Entscheidung fiel auf
je ein wasserbauliches Teilmodell für die Hochwasserentlastungsanlage und das
Abschlussbauwerk sowie je ein wasserbauliches Teilmodell für zwei charakte-
ristische Durchlassbereiche in den Verkehrsdämmen. Die Kopplung zwischen
allen wasserbaulichen Teilmodellen erfolgt über ein zweidimensionales mathe-
matisch-physikalisches Modell.
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416 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme
3.2 Vorgehensweise
In einem ersten Untersuchungsschritt wurde die grundsätzliche hydraulische
Charakteristik und Leistungsfähigkeit von Hochwasserentlastungsanlage und
Abschlussbauwerk unter rein qualitativer Berücksichtigung der Wechselwirkung
mit der Strömungssituation im luftseitigen Dammvorland untersucht. Die Strö-
mungssituation im luftseitigen Dammvorland wurde dabei vorerst unter Anwen-
dung der modellinternen Ansätze für Bauwerke (Durchlässe) im mathemati-
schen Modell und auf Basis abgeschätzter, von der tatsächlichen Leistungsfä-
higkeit abweichender, Abflussanteile für die Hochwasserentlastungsanlage und
das Abschlussbauwerk bestimmt.
Im zweiten Untersuchungsschritt erfolgt auf Basis der qualitativen Strömungssi-
tuation aus Untersuchungsschritt eins und der konstruktiven Ausbildung der
Durchlassbereiche die Auswahl von zwei charakteristischen Durchlassbereichen
für die Untersuchung am wasserbaulichen Teilmodell. Die Leistungsfähigkeit
der Durchlassbereiche wird in Abhängigkeit der spezifischen Randbedingungen
gemäß Abschnitt 3.4 bestimmt. Im Ergebnis wird das mathematische Modell
anhand von abgeleiteten Übertragungsfunktionen für alle Durchlassbereiche ab-
schließend kalibriert.
Im dritten Untersuchungsschritt erfolgt die iterative Bestimmung der tatsächli-
chen (quantitativen) Leistungsfähigkeit der einzelnen Anlagenteile (Hochwas-
serentlastungsanlage, Abschlussbauwerk) und des Gesamtsystems (mit allen
Durchlassbereichen) unter Berücksichtigung der hydraulischen Wechselwirkung
auf Basis der Ergebnisse aus den Untersuchungsschritten eins und zwei.
Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses ist der zweite Untersuchungsschritt
noch nicht vollständig abgeschlossen.
3.3 Mathematisches Modell und Modellkopplung
Das zweidimensionale hydrodynamisch-numerische (mathematische) Modell
basiert auf dem Rechenkern Hydro_as-2d. Ausdehnung und Größe des mathe-
matischen Modells gewährleisten, dass die Berechnungsergebnisse im luftseiti-
gen Dammvorland zwischen Absperrbauwerk und Verkehrsdämmen nicht von
den Randbedingungen an offenen (unterstrom) und geschlossenen Modellrän-
dern beeinflusst sind und ausschließlich durch die hydraulischen und numeri-
schen Randbedingungen im Untersuchungsgebiet gesteuert werden.
Die wasserbaulichen Teilmodelle sind hinsichtlich Lage und Geometrie exakt
im mathematischen Modell integriert. Sie bilden Stützstellen für die Bereiche
innerhalb derer die allgemeinen Anwendungsgrenzen der tiefengemittelten
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Flachwassergleichungen verletzt und die Ergebnisse des mathematischen Mo-
dells von der Festlegung von Parametern abhängig sind.
Durch die exakte Integration der wasserbaulichen Teilmodelle sind eindeutige
Übergabestellen (Schnittstellen) für den Austausch von hydraulischen Informa-
tionen an beliebigen Positionen innerhalb des Untersuchungsgebietes definier-
bar. Der Austausch von hydraulischen Informationen erfolgt dabei von den was-
serbaulichen Teilmodellen auf das mathematische Modell in Bereichen mit drei-
dimensionalen Strömungscharakteristiken und räumlich variabler Wirbelviskosi-
tät anhand von gesteuerten internen Randbedingungen. Bereiche mit annähernd
tiefengemittelten Strömungsverhältnissen sind zur Übertragung von Randbedin-
gungen vom mathematischen Modell auf die wasserbaulichen Teilmodelle ge-
eignet.
Abbildung 2: Modellbereich luftseitiges Dammvorland (links) und zugehöriger Ausschnitt
aus dem mathematischen Modell (rechts)
Die Kalibrierung des mathematischen Modells erfolgte vorerst auf Basis der
„historischen“ Modellversuche für das luftseitige Dammvorland anhand von
Wassertiefen und Fließgeschwindigkeiten sowie der Abflussverteilung in den
einzelnen Durchlässen. Für den in der Projektierungsphase zugrunde gelegten
Bemessungsabfluss erfolgte kein Druckabfluss in den Durchlässen sowie kein
Überströmen der Durchlassbereiche an den Verkehrsdämmen.
Eine Validierung des mathematischen Modells gelang auf Basis abgelaufener
Hochwasserereignisse mit in Betrieb befindlicher Hochwasserentlastungsanlage
(1994, 2003, 2011 und 2013) anhand von Referenzpegeln und Luftbildaufnah-
men. Auch für diese Situationen lag kein Druckabfluss in den Durchlässen so-
wie kein Überströmen der Durchlassbereiche an den Verkehrsdämmen vor.
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418 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme
Nach Vorliegen der Ergebnisse aus Untersuchungsschritt 2 erfolgt die abschlie-
ßende Kalibrierung des mathematischen Modells zur Abbildung der tatsächli-
chen Leistungsfähigkeit der Durchlassbereiche in den Bemessungssituationen.
3.4 Wasserbauliche Teilmodelle
Hochwasserentlastungsanlage
Der Aufbau des wasserbaulichen Teilmodells, bestehend aus Überfallprofil,
Sammel- und Ablaufrinne, Tosbecken und Vorländer, erfolgte unter Berücksich-
tigung der Höhenschwankungen für das Vollstauziel, der parabelförmigen Quer-
schnitte und der langgestreckten S-Form auf Basis von 30 Querprofilen nach
dem Froudeschen Ähnlichkeitsgesetz im Maßstab 1:17,5 (Längen und Höhen).
Abbildung 3: Modellbereich der Hochwasserentlastungsanlage
Der gewählte Übertragungsmaßstab begrenzt dabei insbesondere Effekte aus der
Stromfadenkrümmung und der Kapillarwirkung beziehungsweise ermöglicht
eine entsprechende Korrektur der Versuchsergebnisse bei den maßgebenden
Überfallhöhen.
Im Ergebnis des ersten Untersuchungsschrittes beträgt die Leistungsfähigkeit
der Hochwasserentlastungsanlage für den Sollwert von ZH2 = 150,84 m NHN
rund 410 m3/s. Der Überfallvorgang ist dabei im ersten Drittel des Überfallpro-
fils bereits durch einen Rückstau aus der Sammelrinne aufgrund der begrenzten
Leistungsfähigkeit beeinflusst. Dieses Ergebnis ist aktuell für Wasserspiegella-
gen im luftseitigen Dammvorland bis auf Höhe maßgebender variabler Oberkan-
ten der Verkehrsdämme gültig. Eine Verschiebung dieses Ergebnisses auf Basis
der weiteren Untersuchungsschritte ist möglich.
Als weiteres wesentliches Ergebnis ist die offensichtliche Überschätzung der
Leistungsfähigkeit der Hochwasserentlastungsanlage bei den „historischen“
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Modellversuchen im Maßstab 1:30 zu erwähnen. Gründe dafür bestehen in der
Nichtberücksichtigung der Effekte aus der Stromfadenkrümmung und der Kapil-
larwirkung sowie in möglichen Abweichungen der damaligen Modellgeometrie
von den tatsächlich realisierten Geometrien.
Abschlussbauwerk
Das wasserbauliche Teilmodell umfasst das Massivbauwerk inklusive der vier
Doppelhakenschützen, den oberwasserseitigen Einlaufbereich mit Dammkontu-
ren, die Unstrut selber mit Vorländern sowie die unterwasserseitigen Verkehrs-
dämme einschließlich der Brücken über die Unstrut. Das Froude-Modell bildet
einen Naturausschnitt von 225 m mal 75 m im Maßstab 1:15 ab.
Abbildung 4: Modellbereich des Abschlussbauwerk
Durch die Integration der Brücken und der entsprechenden Bereiche der Ver-
kehrsdämme in einem wasserbaulichen Teilmodell wird hier der Rückstauein-
fluss auf die Leistung der Doppelhakenschützen direkt erfasst. Die unterwasser-
seitige Randbedingung (stromab der Verkehrsdämme) ist unabhängig von der
Leistungsfähigkeit der einzelnen Durchlassbereiche und kann direkt aus dem
mathematischen Modell als Randbedingung übernommen werden.
Die bei Betrieb der Hochwasserentlastungsanlage wirksame Querströmung im
luftseitigen Dammvorland wird im wasserbaulichen Modell als separate seitliche
Zuströmung aus dem luftseitigen Dammvorland berücksichtigt. Die Größenord-
nung ergibt sich aus dem mathematischen Modell anhand der Leistungsfähigkeit
der einzelnen Durchlassbereiche.
Die Ermittlung der Leistungsfähigkeit der Doppelhakenschützen erfolgt für zwei
Hauptzustände:
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420 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme
Schützstellung 1: Das Schützpaket ist vollständig zusammengeschoben und
auf den Boden abgesenkt (minimaler Einfluss aus Rückstau und Querströ-
mung).
Schützstellung 2: Das Schützpaket ist vollständig zusammengeschoben und
maximal angehoben (maximaler Einfluss aus Rückstau und Querströ-
mung).
Im Ergebnis des ersten Untersuchungsschrittes hat sich herausgestellt, dass die
Schützstellung 2, trotz maximal zu erwartendem Einfluss aus Rückstau und
Querströmung, aufgrund der spezifischen Öffnungsverhältnisse für den Sollwert
von ZH2 = 150,84 m NHN die leistungsfähigste Randbedingung für den Nach-
weis der Hochwassersicherheit darstellt. Für Wasserspiegellagen im luftseitigen
Dammvorland bis auf Höhe maßgebender variabler Oberkanten der Verkehrs-
dämme und mit dem mathematischen Modell im ersten Untersuchungsschritt
qualitativ ermittelter Querströmungen ergibt sich eine mittlere Leistungsfähig-
keit je Doppelhakenschütz von rund 100 m3/s. Eine Verschiebung dieses Ergeb-
nisses auf Basis der weiteren Untersuchungsschritte ist möglich.
Durchlässe
Die Bestimmung der Leistungsfähigkeit der Durchlassbereiche ausschließlich
auf Basis von Parametern im mathematischen Modell ist mit zu großen Unsi-
cherheiten behaftet. Gleichzeitig sind vorliegende Bemessungstafeln (zum Bei-
spiel in Bollrich, 2008) aufgrund der dabei gültigen idealisierten Randbedingun-
gen nicht oder nur bedingt anwendbar.
Die für die Ermittlung der Leistungsfähigkeit der Durchlassbereiche geltenden
spezifischen Randbedingungen sind wie folgt:
nicht axiale Anströmrichtung
variable ober-und unterwasserseitige Einstaubedingungen aufgrund hö-
henmäßig ansteigender Verkehrsdämme
partiell simultane lokale Überströmung der Verkehrsdämme in Durchlass-
bereichen aufgrund höhenmäßig ansteigender Verkehrsdämme
partiell Freispiegel- oder Druckabfluss oder Strömungsvorgänge im Über-
gangsbereich in den Durchlässen
Stellvertretend für die sechs Durchlassbereiche in den Verkehrsdämmen (ohne
Brückenbauwerke im Bereich der Unstrut) werden zwei Durchlassbereiche als
Froudesches Modell im Maßstab 1:15 unter diesen spezifischen Randbedingun-
gen untersucht.
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Ziel ist die Ableitung von Übertragungsfunktionen für alle Durchlassbereiche
zur Anwendung im mathematischen Modell, um die tatsächliche Leistungsfä-
higkeit der Durchlassbereiche und damit den Rückstaueinfluss sowie den Anteil
der Querströmung im luftseitigen Dammvorland korrekt wiederzugeben.
Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses sind die Untersuchungen an den Durch-
lassbereichen noch nicht vollständig abgeschlossen.
4 Weiteres Vorgehen und Ausblick
Gemäß aktuellem Untersuchungsstand kann am Hochwasserrückhaltebecken
Straußfurt der Bemessungshochwasserzufluss BHQ2 = HQ10.000 = 793 m3/s über
die Hochwasserentlastungsanlage bei massiver Parallelentlastung am Ab-
schlussbauwerk mit allen Doppelhakenschützen unter Einhaltung des Sollwertes
ZH2 = 150,84 m NHN abgeführt werden.
Eine Bestätigung dieses ersten Ergebnisses auf Basis der tatsächlichen Strö-
mungssituation im luftseitigen Dammvorland (Untersuchungsschritte zwei und
drei) wird erwartet. Dazu erfolgt eine iterative Bestimmung der Abflussanteile
für die Hochwasserentlastungsanlage, das Abschlussbauwerk und alle Durch-
lassbereiche einschließlich der Brückenquerschnitte an der Unstrut und die
Überströmung der Verkehrsdämme.
Die Untersuchungsergebnisse finden anschließend Eingang in die im Rahmen
der vertieften Überprüfung laufenden Zuverlässigkeitsnachweise (Tragsicherheit
und Gebrauchstauglichkeit) für das Absperrbauwerk. Für die Hochwasserbe-
messungsfälle 1 und 2 sind die Hochwasserstauziele und die zugehörigen luft-
seitigen Wasserstände als Einwirkung zu definieren. Als Risikolastfälle sind zu-
sätzlich die Situationen „Wasserstand im luftseitigen Dammvorland ohne Ver-
kehrsdämme“ (nach Versagen) sowie „schnelle Wasserspiegelabsenkung auf der
Luftseite des Absperrbauwerkes im Falle des plötzlichen Versagens der Ver-
kehrsdämme“ zu untersuchen. Entsprechende Eingangsdaten werden über die
hybride Modelltechnik zur Verfügung gestellt.
Abschließend erfolgt auf Basis der Untersuchungsergebnisse und weiterer cha-
rakteristischer Schützstellungen mit spezifischen ober- und unterwasserseitigen
Einstaubedingungen die Untersuchung der Schwingungsanfälligkeit der Dop-
pelhakenschützen. Identifizierbare Grenzzustände sind im Rahmen der Aktuali-
sierung der Betriebsvorschrift über entsprechende Randbedingungen im laufen-
den Betrieb auszuschließen, um die Dauerhaftigkeit der Betriebseinrichtung zu
gewährleisten.
Page 430
422 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme
5 Literatur
Björnsen Beratende Ingenieure Erfurt GmbH (2015): Hochwasserrückhaltebecken
Straußfurt – Nachweis Hochwasserschutz und -sicherheit.
Bollrich, G. (2008): Hydraulische Leistungsfähigkeit kurzer Durchlässe.
Wasserwirtschaft-Wassertechnik, Heft 10.
DIN 19700-10:2004-07: Stauanlagen – Teil 10: Gemeinsame Festlegungen. Deutsches
Institut für Normung e. V.
DIN 19700-11:2004-07: Stauanlagen – Teil 11: Talsperren. Deutsches Institut für
Normung e. V.
DIN 19700-12:2004-07: Stauanlagen – Teil 12: Hochwasserrückhaltebecken. Deutsches
Institut für Normung e. V.
Forschungsanstalt für Schifffahrt, Wasser- und Grundbau (1957): Bericht über die
Modellversuche Rückhaltebecken Straußfurt-Gebesee.
Autoren:
Dr.-Ing. Michael Sabrowski
Thüringer Fernwasserversorgung
Haarbergstraße 37
99097 Erfurt
Tel.: +49 361 5509 125
Fax: +49 361 5509 123
E-Mail: michael.sabrowski@
thueringer-fernwasser.de
Dipl.-Ing. Jens Sauerwein
IWSÖ GmbH
Hydrolabor Schleusingen
Themarer Str. 16c
98553 Schleusingen
Tel.: +49 36841 5309 15
Fax: +49 36841 5309 14
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Sebastian Weichelt
Björnsen Beratende Ingenieure GmbH
Brühler Herrenberg 2a
99092 Erfurt
Tel.: +49 361 2249 16
Fax: +49 361 2249 11
E-Mail: [email protected]
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Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes
für Wasserbau und Technische Hydromechanik
an der Technischen Universität Dresden e. V.
Förderverein
Im Internet unter http://www.iwd.tu-dresden.de
Zur Unterstützung der wasserbaulichen Forschung und Lehre wurde von Hochschullehrern
und Mitarbeitern des Institutes am 24. Mai 1991 ein gemeinnütziger Förderverein, die Gesell-
schaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes für Wasserbau und Technische Hyd-
romechanik an der Technischen Universität Dresden e. V., gegründet. Der Verein unter-
stützt die Herausgabe der seit 1990 wieder erscheinenden Dresdner Wasserbaulichen Mittei-
lungen und nimmt aktiv an der Vorbereitung und Durchführung des alljährlich stattfindenden
Dresdner Wasserbaukolloquiums sowie der begleitenden Fachausstellung teil. Darüber hinaus
werden vom Förderverein u. a. Studentenexkursionen und Forschungsarbeiten finanziell un-
terstützt.
S A T Z U N G
der
Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes
für Wasserbau und Technische Hydromechanik
an der Technischen Universität Dresden e. V.
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424 Förderverein - Satzung
§ 1 Name und Sitz
(1) Der Verein führt den Namen „Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Instituts
für Wasserbau und Technische Hydromechanik der Technischen Universität
Dresden e. V.“
Er ist im Vereinsregister unter der Nummer VR 1335 registriert.
(2) Der Sitz des Vereins ist Dresden.
(3) Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr.
§ 2 Zweck
(1) Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des
Abschnittes "Steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung. Er dient der Förderung
wissenschaftlicher Forschungsarbeiten auf gemeinnütziger Grundlage, der Information
seiner Mitglieder und der Öffentlichkeit über die Forschungs- und Versuchsarbeiten des
Instituts, der Förderung von Aus- und Weiterbildung sowie der Förderung des Umwelt-
und Landschaftsschutzes.
(2) Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch:
1. Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen und Forschungsvorhaben zu
Themen des umweltverträglichen Wasserbaus, der Renaturierung von Gewässern,
der Verbesserung der Wasserversorgung und Abwasserbehandlung, des Verkehrs-
wasserbaus (mit dem Ziel umweltfreundlicher Transportdurchführung auf Wasser-
straßen), sowie des Hochwasser- und Küstenschutzes
2. Werbung in den interessierten Fachkreisen für den Wasserbau und das hydraulische
Versuchswesen
3. Koordinierung der Arbeiten und Zusammenarbeit auf wasserbaulichem und hydrau-
lischem Gebiet mit anderen Instituten
4. Unterstützung von hydraulischen Modellversuchen
5. Unterstützung der Durchführung von Kolloquien und Symposien in den Fachgebie-
ten Wasserbau und Technische Hydromechanik
6. Förderung der Publikation von wissenschaftlichen Arbeiten, Institutsberichten und
Informationsmaterial
7. Unterstützung von Reisen zu Fachvorträgen und zur Besichtigung von wasserbauli-
chen Objekten
8. Durchführung von Informationsveranstaltungen an Schulen und Gymnasien
9. Unterstützung von besonders förderungswürdigen in- und ausländischen Studieren-
den des Wasserbaus.
10. Würdigung herausragender Leistungen von Absolventen und Studierenden in den
Fachgebieten des Wasserbaus und der technischen Hydromechanik.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 425
(3) Der Verein ist selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche
Zwecke.
§ 3 Mitgliedschaft
(1) Ordentliche Mitglieder können natürliche und juristische Personen werden, die den
Zweck des Vereins nach §2 unterstützen.
(2) Jungmitglieder können Studenten werden, die an einer Hochschuleinrichtung mit was-
serbaulich-wasserwirtschaftlicher Ausbildung immatrikuliert sind.
(3) Korrespondierende Mitglieder können vom Vorstand ernannt werden, wenn sie auf
dem Gebiet des Wasser- und Grundbaus, der Wasserwirtschaft und der Hydrologie for-
schend tätig sind.
(4) Ehrenmitglieder können von der Mitgliederversammlung ernannt werden, wenn sie
sich besondere Verdienste bei der Förderung des Vereins erworben haben.
§ 4 Organe des Vereins
(1) Die Organe des Vereins sind
a) die Mitgliederversammlung und
b) der Vorstand.
(2) Die Mitglieder des Vorstands sind ehrenamtlich tätig.
§ 5 Mitgliederversammlung
(1) Eine ordentliche Mitgliederversammlung findet einmal im Jahr (in der Regel in Verbin-
dung mit dem Dresdner Wasserbaukolloquium) statt. Ihre Einberufung erfolgt unter
Einhaltung einer Frist von vier Wochen in Textform durch den Geschäftsführer im Auf-
trag des Vorstandes unter Mitteilung des Termins, des Ortes und der Tagesordnung.
(2) Zusätze zur Tagesordnung können innerhalb einer Frist von 14 Tagen beim Geschäfts-
führer beantragt werden.
(3) In der Mitgliederversammlung werden geschäftliche Angelegenheiten in Verbindung
mit Vorträgen oder Mitteilungen und deren Beratung behandelt und erledigt.
(4) Die Mitgliederversammlung beinhaltet:
1. den Bericht des Vorsitzenden über das Geschäftsjahr
2. den Bericht der Rechnungsprüfer
3. Genehmigung der Berichte und Entlastung des Vorstandes
4. Beschlüsse über vorliegende Anträge und über Änderungen der Satzung
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426 Förderverein - Satzung
5. Wahl von zwei Rechnungsprüfern
6. Verschiedenes
(5) Der Vorstand kann jederzeit binnen 14 Tagen eine außerordentliche Mitgliederver-
sammlung einberufen. Er ist dazu verpflichtet, wenn mindestens ein Zehntel der Mit-
glieder dies unter Angabe des Zwecks und der Gründe fordert.
(6) Der Vorsitz der Mitgliederversammlung wird vom Vorsitzenden oder vom stellvertre-
tenden Vorsitzenden geführt.
(7) Die Mitgliederversammlung fasst ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit. Sie ist bei
satzungsgemäßer Einladung in jedem Falle beschlussfähig. Bei Stimmengleichheit ent-
scheidet die Stimme des Vorsitzenden.
(8) Satzungsänderungen erfordern eine 3/4-Mehrheit.
(9) Anträge auf Änderung der Satzung, die nicht vom Vorstand ausgehen, können nur dann
beraten werden, wenn sie mindestens vier Wochen vor der Mitgliederversammlung un-
ter Angabe der Gründe beim Vorstand eingereicht worden sind.
(10) Jedes Mitglied hat nur eine Stimme. Stimmübertragungen sind durch schriftliche Voll-
macht auf ordentliche Mitglieder nur bis zu zwei möglich.
(11) Der Verein kann sich zur Regelung der vereinsinternen Abläufe Vereinsordnungen ge-
ben. Die Vereinsordnungen sind nicht Bestandteil der Satzung. Für den Erlass, die Än-
derung und Aufhebung von Vereinsordnungen ist die Mitgliederversammlung zustän-
dig.
(12) Die Beschlüssen der Mitgliederversammlung sind zu protokollieren. Das Protokoll ist
vom Vorsitzenden und dem Protokollführer zu unterzeichnen.
§ 6 Vorstand
(1) Der Vorstand wird von der ordentlichen Mitgliederversammlung für die Dauer von fünf
Jahren gewählt und bleibt bis zum Ablauf der ordentlichen Mitgliederversammlung zur
Neuwahl im Amt.
(2) Der Vorstand besteht aus vier gewählten ordentlichen Mitgliedern
dem Vorsitzenden,
dem stellvertretenden Vorsitzenden,
dem Geschäftsführer und
dem Schatzmeister.
Der Vorsitzende vertritt den Verein mit jeweils einem weiteren ordentlichen Mitglied
des Vorstands gemeinsam.
(3) Vom Vorstand kann ein Ehrenvorsitzender bestellt werden.
(4) Die Mitgliederversammlung kann durch einfache Mehrheit beschließen, darüber hinaus
noch bis zu zwei Mitglieder als Beisitzer zur Vertretung des Vereins in den Vorstand zu
bestellen.
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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 427
(5) Der Vorstand kann einzelnen Personen Vollmachten für Zweige der Geschäftsführung
erteilen.
(6) Dem Vorstand obliegt die Vertretung des Vereins nach § 26 BGB. Er ist mit der Füh-
rung aller laufenden Geschäfte beauftragt und sorgt für die Durchführung der Beschlüs-
se der Mitgliederversammlung. Er kann selbständig Maßnahmen treffen, die dem Ver-
einszweck förderlich sind.
§ 7 Aufnahme oder Beendigung der Mitgliedschaft
(1) Die Aufnahme als ordentliches Mitglied oder als Jungmitglied ist schriftlich beim Vor-
stand zu beantragen. Dieser entscheidet über die Aufnahme. Der Aufnahmebeschluss ist
dem Antragsteller mitzuteilen. Bei Zurückweisung des Antrages kann der Antragsteller
eine Entscheidung durch die Mitgliederversammlung beantragen, deren Zustimmung
eine 2/3-Mehrheit voraussetzt.
(2) Die Mitgliedschaft kann beendet werden
a) durch schriftliche Austrittserklärung eines Mitglieds gegenüber dem Vorstand mit
einer Frist von drei Monaten zum Ende des laufenden Geschäftsjahres,
b) auf Beschluss des Vorstandes, wenn 3/4 der Mitgliederversammlung dem Aus-
schluss zustimmen,
c) bei Vereinigungen oder Gesellschaften mit deren Auflösung,
d) bei natürlichen Personen mit dem Tod oder
e) durch Streichung aus der Mitgliederliste, wenn trotz Erinnerung durch den Vorstand
in drei Folgejahren kein Mitgliedsbeitrag entrichtet wurde und kein erkennbarer
Hinderungsgrund vorliegt.
§ 8 Rechte und Pflichten der Mitglieder
(1) Die Mitglieder des Vereins haben das aktive Wahlrecht, können Anträge an den Verein
stellen und an den Veranstaltungen des Vereins teilnehmen. Das passive Wahlrecht ha-
ben nur Mitglieder, die natürliche Personen sind.
(2) Juristische Personen müssen eine natürliche Person benennen, welche die Mitglieder-
rechte wahrnimmt. Ist eine derartige Person nicht benannt, so ruhen die Rechte der ju-
ristischen Person als Mitglied des Vereins.
(3) Die Mitglieder des Vereins haben das Recht auf Information über die vom Institut
durchgeführten und laufenden Arbeiten sowie zur Besichtigung des Instituts und seiner
Versuchseinrichtungen soweit das betrieblich möglich ist und die Interessen der Auf-
traggeber nicht beeinträchtigt werden.
(4) Die Mitglieder haben Anspruch auf Überlassung von geförderten veröffentlichten Mate-
rialien.
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428 Förderverein - Satzung
(5) Die Mitglieder sind verpflichtet, den Verein entsprechend der Satzung bei der Erfüllung
seiner Aufgaben nach besten Kräften zu unterstützen.
(6) Die Mitglieder sind zur Zahlung eines jährlichen Beitrags verpflichtet. Die Höhe des
jährlichen Beitrags, die Fälligkeit, die Art und Weise der Zahlung und zusätzliche Ge-
bühren bei Zahlungsverzug oder Verwendung eines anderen als des beschlossenen Zah-
lungsverfahrens regelt eine Beitragsordnung, die von der Mitgliederversammlung be-
schlossen wird.
(7) Ehrenmitglieder und korrespondierende Mitglieder sind beitragsfrei.
§ 9 Auflösung des Vereins
(1) Der Verein kann nur auf Beschluss von 2/3 der anwesenden stimmberechtigten Mitglie-
der einer ordentlichen Mitgliederversammlung aufgelöst werden. Sind in dieser Mit-
gliederversammlung weniger als 1/3 der stimmberechtigten Mitglieder erschienen, so
muss eine neue Mitgliederversammlung einberufen werden, die dann entscheidet.
(2) Im Falle der Auflösung oder Aufhebung des Vereins oder bei Wegfall seiner steuerbe-
günstigten Zwecke fällt sein Vermögen an das Institut für Wasserbau und Technische
Hydromechanik der Technischen Universität Dresden, das es unmittelbar und aus-
schließlich für die Förderung von wissenschaftlichen Forschungsarbeiten zu verwenden
hat.
(3) Die vorstehenden Bestimmungen gelten entsprechend, wenn dem Verein die Rechtsfä-
higkeit entzogen wird.
§ 10 Gemeinnützigkeit
(1) Mittel des Vereins dürfen nur für die satzungsgemäßen Zwecke verwendet werden. Die
Mitglieder erhalten keine Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft.
(2) Die Mitglieder des Vorstandes erhalten keine Vergütung für ihre Tätigkeit. Auslagen im
Interesse des Vereins werden auf Antrag ersetzt, wenn sie der Vorstand vorher geneh-
migt hat und der Verein dazu in der Lage ist.
(3) Der Verein darf keine Personen durch Ausgaben, die dem Zweck des Vereins fremd
sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen.
Die Satzung wurde in der Gründungsversammlung am 24. Mai 1991 in Dresden angenommen
und am 18. März 2004 sowie am 6. März 2015 geändert.
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Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes
für Wasserbau und Technische Hydromechanik
an der Technischen Universität Dresden e. V.
Bisher erschienene Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen
Heft 1
(vergriffen)
1989 Klaus Römisch
Empfehlung zur Bemessung von Hafeneinfahrten
Eberhard Lattermann
Bemessungsgrundlagen für Dichtungen und Deckwerke im
Wasserbau
Heft 2
(vergriffen)
1990 Frank Krüger
Schubspannungsverteilungen in offenen, geradlinigen Trapez- und
Rechteckgerinnen
Helmut Martin, Reinhard Pohl
Überflutungssicherheit von Talsperren
Heft 3
(vergriffen)
1990 Reinhard Pohl
Die Entwicklung der wasserbaulichen Lehre und Forschung an der
Technischen Universität Dresden
Reinhard Pohl
Die Berechnung der auf- und überlaufvermindernden Wirkungen
von Wellenumlenkern im Staudammbau
Heft 4
(vergriffen)
1991 Ellen Haufe
Hydromechanische Untersuchungen von Mischungs-, Flockungs-
und Sedimentationsprozessen in der Trinkwasseraufbereitung
Heft 5 1994 Wasserbaukolloquium 1993 Die Elbe – Wasserstraße und Auen
Heft 6
(vergriffen)
1995 Wasserbaukolloquium 1994
Wasserkraft und Umwelt
ISBN 3-86005-154-7
Heft 7 1995 Wasserbaukolloquium 1995
Hydromechanische Beiträge zum Betrieb von Kanalnetzen
ISBN 3-86005-155-5
Heft 8 1996 Detlef Aigner
Hydrodynamik in Anlagen zur Wasserbehandlung
ISBN 3-86005-164-4
Page 438
430 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen
Heft 9
(vergriffen)
1996 Wasserbaukolloquium 1996
Wellen: Prognosen - Wirkungen – Befestigungen
ISBN 3-86005-165-2
Heft 10 1997 Wasserbaukolloquium 1997
Sanierung und Modernisierung von Wasserbauwerken, aktuelle
Beispiele aus Deutschland, Polen, der Slowakei und Tschechien
ISBN 3-86005-185-7
Heft 11
(vergriffen)
1997 Reinhard Pohl
Überflutungssicherheit von Talsperren
ISBN 3-86005-186-5
Heft 12
(vergriffen)
1998 Reinhard Pohl
Die Geschichte des Institutes für Wasserbau an der Technischen
Universität Dresden
ISBN 3-86005-187-3
Heft 13 1998 Wasserbaukolloquium 1998
Hydraulische und numerische Modelle im Wasserbau,
Entwicklung – Perspektiven
ISBN 3-86005-201-2
Heft 14 1998 Uwe Müller
Deformationsverhalten und Belastungsgrenzen des Asphaltbetons
unter den Bedingungen von Staudammkerndichtungen
ISBN 3-86005-213-6
Heft 15 1999 Wasserbaukolloquium 1999
Betrieb, Instandsetzung und Modernisierung von Wasserbauwerken
ISBN 3-86005-223-3
Heft 16 1999 Dirk Carstensen
Beanspruchungsgrößen in Fließgewässern mit geschwungener
Linienführung
ISBN 3-86005-236-5
Heft 17
(vergriffen)
1999 Ehrenkolloquium Prof. Martin
anlässlich des 60. Geburtstages von Herrn Univ. Prof. Dr.-Ing.
habil. Helmut Martin
ISBN 3-86005-237-3
Heft 18 2000 Wasserbaukolloquium 2000
Belastung, Stabilisierung und Befestigung von Sohlen und
Böschungen wasserbaulicher Anlagen
ISBN 3-86005-243-8
Page 439
Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 431
Heft 19 2001 Seleshi B. Awulachew
Investigation of Water Resources Aimed at Multi-Objective
Development with Respect to Limited Data Situation: The Case of
Abaya-Chamo Basin, Ethiopia
ISBN 3-86005-277-2
Heft 20 2001 Stefan Dornack
Überströmbare Dämme Beitrag zur Bemessung von Deckwerken
aus Bruchsteinen
ISBN 3-86005-283-7
Heft 21 2002 Wasserbaukolloquium 2002 Innovationen in der Abwasserableitung und Abwassersteuerung
ISBN 3-86005-297-7
Heft 22 2002 Zelalem Hailu G. Chirstos
Optimisation of Small Hydropower Sites for Rural Electrification
ISBN 3-86005-304-3
Heft 23 2002 Ehrenkolloquium Prof. Wagner
Zur Emeritierung von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Harold Wagner
ISBN 3-86005-307-8
Heft 24 2003 Wasserbaukolloquium 2003
Gewässer in der Stadt.
ISBN 3-86005-358-2
Heft 25 2003 Toufik Tetah
Numerische Simulation des dynamischen Verhaltens von Caisson-
Wellenbrecher-Gründungen unter Einwirkung brechender Wellen
ISBN 3-86005-363-9
Heft 26 2003 Ehrenkolloquium Prof. Horlacher
Zum 60. Geburtstag von Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil.
Hans-B. Horlacher
ISBN 3-86005-376-0
Heft 27
(vergriffen)
2004 Wasserbaukolloquium 2004
Risiken bei der Bemessung und Bewirtschaftung von
Fließgewässern und Stauanlagen
ISBN 3-86005-414-7
Heft 28 2004 Reinhard Pohl
Historische Hochwasser aus dem Erzgebirge
ISBN 3-86005-428-7
Page 440
432 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen
Heft 29
(vergriffen)
2005 Wasserbaukolloquium 2005
Stauanlagen am Beginn des 21. Jahrhunderts
ISBN 3-86005-461-9
Heft 30 2005 Nigussie Teklie Girma
Investigation on Sediment Transport Characteristics and Impacts of
Human Activities on Morphological Processes of Ehiopian
Rivers:Case Study of Kulfo River, Southern Ethiopia
ISBN 3-86005-483-X
Heft 31
2006 Matthias Standfuß
Druckwellenausbreitung in erdverlegten Rohrleitungen
aus PE-HD
ISBN 3-86005-495 - 3
Heft 32 2006 Wasserbaukolloquium 2006
Strömungssimulation im Wasserbau
ISBN 3-86005-473-2
Heft 33 2006 Antje Bornschein
Die Ausbreitung von Schwallwellen auf trockener Sohle unter
besonderer Berücksichtigung der Wellenfront
ISBN 3-86005-523-2
Heft 34 2007 Torsten Frank
Hochwassersicherheit in sielbeeinflussten Gewässersystemen am
Beispiel des Bongsieler Kanals
ISBN 978-3-86780-019-8
Heft 35 2007 Wasserbaukolloquium 2007
Fünf Jahre nach der Flut
ISBN 987-3-86005-571-7
Heft 36 2008 Aktuelle Forschungen 1993 – 2008
Zum 65. Geburtstag von Herrn Prof. Horlacher
ISBN 978-3-86780-083-9
Heft 37 2009 Dirk Carstensen
Eis im Wasserbau – Theorie, Erscheinungen, Bemessungsgrößen
ISBN 978-3-86780-099-0
Heft 38
(vergriffen)
2009 Reinhard Pohl, Antje Bornschein,
Robert Dittmann, Stefano Gilli
Mehrzieloptimierung der Steuerung von Talsperren zur
Minimierung von Hochwasserschäden im Unterwasser
ISBN 978-3-86780-100-3
Page 441
Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 433
Heft 39
(vergriffen)
2009 Wasserbaukolloquium 2009
Wasserkraftnutzung im Zeichen des Klimawandels,
angepasste Strategien – neue Technologien
ISBN 978-3-86780-101-0
Heft 40
(vergriffen)
2010 Wasserbaukolloquium 2010
Wasserbau und Umwelt – Anforderungen, Methoden, Lösungen
ISBN 978-3-86780-101-0
Heft 41 2010 Ralf Tackmann
Erosion 2008 – Ein numerisches Modell zur Prognose des
Bodenaustrages von kohäsiven Böden unter Berücksichtigung der
Rillenerosion
ISBN 978-3-86780-158-4
Heft 42 2010 Ulf Helbig
Tragverhalten und Berechnung von mehrschichtigen
Verbundrohren
ISBN 978-3-86780-159-1
Heft 43 2010 Stefano Gilli
Die Wirkung von Flussaufweitungen auf Hochwasserwellen –
Parameterstudie einer Deichrückverlegung im Flussmittellauf
ISBN 978-3-86780-160-7
Heft 44 2010 Negede Abate Kassa
Probabilistic Safety Analysis of Dam – Methods and Applications
ISBN 978-3-86780-161-4
Heft 45
(vergriffen)
2011 Wasserbaukolloquium 2011
Wasserkraft –
Mehr Wirkungsgrad + Mehr Ökologie = Mehr Zukunft
ISBN 978-3-86780-198-0
Heft 46 2011 Torsten Heyer
Zuverlässigkeitsbewertung von Flussdeichen nach dem
Verfahren der logistischen Regression
ISBN 978-3-86780-197-3
Heft 47 2011 Wasserbaukolloquium 2012
Staubauwerke - Planen, Bauen, Betreiben
ISBN 978-3-86780-261-1
Page 442
434 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen
Heft 48 2013 Wasserbaukolloquium 2013
Technischer und organisatorischer Hochwasserschutz
–Bauwerke, Anforderungen, Modelle
ISBN 978-3-86780-318-2
Heft 49 2013 Vinzent Sturm
Simulation der Fluid-Struktur-Interaktion mit freier
Oberfläche am Beispiel des Schlauchwehres unter
Anwendung von Ansys/CFX
ISBN 978-3-86780-348-9
Heft 50 2014 Wasserbaukolloquium 2014
Simulationsverfahren und Modelle für Wasserbau und
Wasserwirtschaft
ISBN 978-3-86780-349-6
Heft 51 2014 Holger Haufe
Zwischenauslässe an Talsperren - Beispiele, Bemessung,
Konstruktion, Nachrüstung
ISBN 978-3-86780-393-9
Heft 52 2014 Pohl/Bornschein u.a.
Effect of very oblique waves on wave run-up and wave
overtopping
ISBN 978-3-86780-392-2
Heft 53 2015 Wasserbaukolloquium 2015
Messen und Überwachen im Wasserbau und am Gewässer
ISBN 978-3-86780-420-2
Heft 54 2015 Mohammed Abdallah
Developing a Multi-purpose Reservoir operating Model
with Uncertain Conditions: a Case of Eastern Nile
Reservoirs – Sudan
ISBN 978-3-86780-431-8
Heft 55
2015 Paolo Dapoz
Reinigung von Abwasserkanälen mittels
Niederdruckspülverfahren
ISBN 978-3-86780-432-5
Heft 56 2015 JuWi-Treffen
17. JuWi-Treffen: Fachbeiträge zur Tagung vom 26.-28.
August 2015
ISBN 978-3-86780-448-6
Page 443
Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017
„Bemessung im Wasserbau“ 435
Heft 57 2016 Wasserbaukolloquium 2016
Gewässerentwicklung & Hochwasserrisikomanagement
ISBN 978-3-86780-475-2
Heft 58 2017 Wasserbaukolloquium 2017
Bemessung im Wasserbau – Klimaanpassung,
Untersuchung, Regeln, Planung, Ausführung
ISBN 978-3-86780-509-4
Heft 59 2017 Roberto Tatis Muvdi
A contribution to the hydro morphological assessment of
running waters based on habitat dynamics.
ISBN 978-3-86780-512-4
Die Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen können bezogen werden über:
Technische Universität Dresden
Bereich Bau und Umwelt
Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik
01062 Dresden
Telefon: +49 351 463 33837
Fax: +49 351 463 37141
E-Mail: [email protected]
Ein großer Teil unserer Hefte ist digitalisiert und in der Verkehrswasserbauli-
chen Zentralbibliothek der Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe einzuse-
hen.
http://vzb.baw.de/digitale_bib/dwm.php
Page 444
Gewässermonitoring bei Baumaßnahmen? Zügige Ergänzung bestehender Messnetze? Rasche und flexible Überwachung im Fall von Havarien und Naturkatastrophen? Aufbau temporärer
Netze für Forschungsvorhaben?
Fernübertragung von Echtzeitdaten innerhalb von Minuten. Hohe Flexibilität.
Äußerst einfach zu realisieren.
Die von Ayyeka entwickelten Systeme liefern Echtzeitinformationen u.a. zu Abfluss, Pegelständen, pH-Werten, Leitfähigkeiten sowie bei Anschluss von
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Übertragungsverfahren in SÄMTLICHE Software-/SCADA-Plattformen möglich.
Vertretung: terra4 Gesellschaft für Geosystemanalyse mbHSaarbrücker Str. 19, 10405 Berlin | www.terra4.de