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Fakultät Bauingenieurwesen Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen Heft 58 BEMESSUNG IM WASSERBAU KLIMAANPASSUNG, UNTERSUCHUNGEN, REGELN, PLANUNG, AUSFÜHRUNG DIMENSIONING IN HYDRAULIC ENGINEERING CLIMATE ADAPTATION, STUDIES, STANDARDS, PLANNING, CONSTRUCTION 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017 09. – 10. März 2017
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bemessung im wasserbau

Jan 23, 2023

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Khang Minh
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Page 1: bemessung im wasserbau

Fakultät Bauingenieurwesen Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen Heft 58

BEMESSUNG IM WASSERBAU KLIMAANPASSUNG, UNTERSUCHUNGEN,

REGELN, PLANUNG, AUSFÜHRUNG

DIMENSIONING IN HYDRAULIC

ENGINEERING

CLIMATE ADAPTATION, STUDIES, STANDARDS,

PLANNING, CONSTRUCTION 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017 09. – 10. März 2017

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Bibliografische Informationen

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Die bibliografischen Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

BEMESSUNG IM WASSERBAU Klimaanpassung, Untersuchungen, Regeln, Planung, Ausführung

Technische Universität Dresden, Fakultät Bauingenieurwesen, Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik. Dresden: Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik, 2017 (Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen; Heft 58) Zugl.: Dresden, Techn. Univ., 2017 ISSN 0949-5061 ISBN 978-3-86780-509-4

Herausgegeben im Auftrag des Rektors der Technischen Universität Dresden von:

Univ.-Prof. Dr.-Ing. J. Stamm Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. K.-U. Graw

Technische Universität Dresden Fakultät Bauingenieurwesen Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik 01062 Dresden

Tel.: +49 351 463 34397 Fax: +49 351 463 37120 E-Mail: [email protected] WWW: http://iwd.tu-dresden.de

Redaktion: Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Aigner

Redaktionsschluss:

10.02.2017

Verlag: Selbstverlag der Technischen Universität Dresden

Foto Deckblatt:

HRB Neuwürschnitz (Sachsen) im Bau (Quelle: LTV/BPM)

Der Nachdruck des Heftes bedarf der Genehmigung durch die Redaktion.

Wir danken dem Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft für die Unterstützung bei der Herstellung dieses Heftes.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ i

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Kai-Uwe Graw

1

Block A1 – Saal 3 Eröffnung/Grußworte/Keynote

Bemessung im Wasserbau im Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst Claus Kunz

3

Block A2 – Saal 3 Einwirkungen unter veränderlichen Randbedingungen

Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren? Hans-Ulrich Sieber

13

Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von Hochwasserrückhaltebecken (HRB) Juliane Schulz, Matthias Kufeld, Georg Johann

25

Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter instationären Bedingungen Christoph Mudersbach, Jens Bender, Fabian Netzel

35

Block B2 – Saal 5 Bauwerk und Systemantwort 1

Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich des gebäudetypolo-gischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz Carlos Rubín, Johannes Nikolowski, Karen Riedel, Stephan Gerber

45

Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von Hochwasserentlastungsanlagen Carla Schneefeld, Max Heß, Tilo Vollweiler, Dirk Carstensen

57

Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung Sebastian Golz, Christoph Bohnenkamp

67

Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen zum Hochwasserrückhalt Olaf Düser

77

Page 4: bemessung im wasserbau

ii Inhaltsverzeichnis

Block A3 – Saal 3 Eingangswerte für die wasserbauliche Bemessung

Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten? Marc Scheibel, Paula Lorza

87

Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen Björn Fischer, Uwe Büttner, Karin Kuhn

97

Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasser-strömung und die Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau Héctor Montenegro, Bernhard Odenwald

107

Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten Oliver Buchholz, Robert Mittelstädt, Alpaslan Yörük

117

Block B3 – Saal 5 Bauwerk und Systemantwort 2

Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen Antje Bornschein

125

Schwingungen unterströmter Schütze Christian Kohout, Jörg Kranawettreiser, Konrad Thürmer

135

Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation Hans-Peter Günther, Heribert Herold, Peter Weiß

143

Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser Hartmut Wibbeler

153

Block A4 – Saal 3 Fallbeispiele und Umweltschutz

HRB Neuwürschnitz – Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk Dr. Holger Haufe, Uwe Beetz, Dominik Fiedler, Matthias Höhne, Olaf Kornmann, Holger Rosenkranz, Martin Stärker

161

Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor Daniel Schmidt, Marcel Härtel, Reinhard Hassinger, Holger Pabsch

171

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ iii

Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit Holger Pabsch

181

Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker Ingo Schnauder, Christoph Gerstgraser, Thomas Koch, Wilfried Uhlmann

191

Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum Adrian Schulz, Thomas Geyer, Konrad Thürmer, Ennes Sarradj, Jennifer Stapel

201

Block B4 – Saal 5 Normen und technische Bemessungsregeln

Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel? Friedhelm Garbe

211

Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700 Reinhard Pohl

221

Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau Bernhard Odenwald

231

Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511 - Carl Stoewahse, Michael Heibaum, Katja Werth

241

Block C1 – Saal 3 Fallbeispiele

Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung Andre Jurides, Dorit Müller-Gericke, Wolfram Kritzner

251

Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen Andreas Rudolf, Jörg Schreiter

261

Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe Christian Maerker, Imad al Diban, Holger Haas, Ingolf Burisch

271

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iv Inhaltsverzeichnis

Block D1 – Saal 5 Bemessung mit ökologischer Zielstellung

Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen Ulf Helbig, Philipp Lübcke, Christian Jähnel, Jürgen Stamm

281

Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemes-sung von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise Jessica Klein, Mario Oertel

291

Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen Mark Musall, Tim Kerlin, Frank Seidel, Peter Oberle und Daniel Schmidt

301

Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen Gereon Hermens, Gerrit Fiedler

311

Block C2 – Saal 3 Neue und weiterentwickelte Bemessungsansätze

Wellenumlenker in der Freibordbemessung Reinhard Pohl

321

Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen Stefan Schmid

331

Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen Claudia Berger, Boris Lehmann

339

Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests Bas Berbee, Gert-Ruben van Goor, Eugen Martac

351

Block D2 – Saal 5 Modelle als Bemessungshilfe 1

Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrschein-lichkeit von Hochwasserereignissen im Rückstaubereich von Sperrwerken Edgar Nehlsen, Peter Fröhle

361

Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb Alexander Rötz, Christian Bouillon, Stephan Theobald

373

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ v

Block D3 – Saal 5 Modelle als Bemessungshilfe 2

3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau Max Heß, Carla Schneefeld, Tilo Vollweiler, Dirk Carstensen

383

3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt Bashar Ismael, Detlef Aigner, Robert Haas, Rüdiger Opitz

393

Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen Stefan Leschka, Oliver Stoschek, Jann Best

403

Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme Michael Sabrowski, Sebastian Weichelt, Jens Sauerwein

413

Förderverein

Satzung der Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes für Wasserbau und THM an der TU Dresden e. V.

423

Übersicht der Hefte „Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen“ 429

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Gewässermonitoring bei Baumaßnahmen? Zügige Ergänzung bestehender Messnetze? Rasche und flexible Überwachung im Fall von Havarien und Naturkatastrophen? Aufbau temporärer

Netze für Forschungsvorhaben?

Fernübertragung von Echtzeitdaten innerhalb von Minuten. Hohe Flexibilität.

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

Vorwort

Die natürliche Realität ist komplex. Dies wirkt sich im Baubereich besonders

auf den Bereich Wasser(bau) und Umwelt aus. Für eine sinnvolle Gestaltung

wasserbaulicher Konstruktionen müssen wir unsere Vorgehensweise immer

wieder hinsichtlich von Änderungen im komplexen System des Wasserkreis-

laufs, der lokalen Limno- und Biosphäre sowie anthropogener Nutzungen unter-

suchen. Wir müssen uns immer wieder mit verbesserten Techniken und Materia-

lien sowie geänderten Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Alles dieses fin-

den wir im Thema des Dresdner Wasserbaukolloquiums 2017

BEMESSUNG IM WASSERBAU.

Der Untertitel

KLIMAANPASSUNG, UNTERSUCHUNGEN, REGELN, PLANUNG, AUSFÜHRUNG

soll noch einmal verdeutlichen, dass wir wirklich auf den gesamten Umfang des

Themas eingehen und entsprechend der Tradition der Veranstaltung Ergebnisse

der Forschung und aus der praktischen Umsetzung einbeziehen möchten.

Den Auftakt der Veranstaltung bildet – nach den zur Tradition gewordenen

Grußworten des Landes, der Verbände und des Fördervereins, der das Institut

bei der Organisation des Dresdner Wasserbaukolloquiums wie immer unterstützt

– ein Übersichtsbeitrag, der uns die einleitend beschriebene Themenstellung

noch einmal verdeutlichen wird, ehe wir uns dann in parallelen Sessions mit den

vielen Detailproblemen beschäftigen.

Zum diesjährigen Wasserbaukolloquium wurden Beiträge von Behörden, Inge-

nieurbüros und Firmen sowie aus Universitäten und Forschungsinstitutionen

eingereicht. Damit und mit der ebenso breit gestreuten Teilnehmergemeinschaft

kann das jährliche Kolloquium erneut seine Brückenwirkung zwischen Theorie

und Praxis und die gute Verzahnung der grundlagenorientierten Forschung mit

der Anwendung nachweisen. Wieder wurde – um dem regen Interesse Rechnung

zu tragen – ein Teil des Kolloquiums in zwei parallele Sessions aufgeteilt. Wie

üblich ergänzt darüber hinaus eine Fachausstellung die angebotenen Informatio-

nen.

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2 Vorwort

Für die Unterstützung bei der Durchführung der Veranstaltung möchten wir

vielmals danken:

- den Teilnehmern für Ihr Kommen,

- den Referenten und Autoren für Ihren persönlichen Beitrag zum Gelingen der

Veranstaltung,

- den Ausstellern für ihre Unterstützung und die Sichtbarmachung des Praxis-

bezuges der Veranstaltung,

- dem Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft für die

Unterstützung der Veranstaltung,

- den Landesverbänden von DWA und BWK für die ideelle Begleitung der

Veranstaltung.

Die Vorbereitung der Veranstaltung lag wesentlich in den Händen der Mitarbei-

ter der Professur für Technische Hydromechanik, die Durchführung erfolgt kol-

legial durch Mitarbeiter und Studierende des Instituts für Wasserbau und Tech-

nische Hydromechanik. Die Auswahl der Beiträge erfolgte durch das wissen-

schaftliche Komitee, dem auch Mitglieder des Institutsvorstands und des Vor-

standes des Fördervereins angehören. Allen Beteiligten, insbesondere Prof. Pohl,

der federführend mit der Koordination betraut war, möchte ich an dieser Stelle

ebenfalls vielmals danken.

Ich hoffe, dass es dem Dresdner Wasserbaukolloquium gelungen ist, nicht nur

viele, sondern vor allem viele interessante Beiträge anzubieten, die neue Denk-

anstöße und möglicherweise sogar Lösungsansätze geben. Und ich hoffe, dass

alle Teilnehmer Zeit und Gelegenheit finden, die behandelten Themen in Dis-

kussionen zu vertiefen und neue Kontakte zu knüpfen. In diesem Sinne wünsche

ich dem Dresdner Wasserbaukolloquium 2017 einen erfolgreichen Verlauf.

Prof. Dr.-Ing. habil. Kai-Uwe Graw

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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Bemessung im Wasserbau -

Spannungsfeld zwischen Regelkonformität

und Ingenieurskunst

Claus Kunz

Eine Bemessung im Wasserbau ist in der Regel immer durch Normen und andere

Regelwerke bestimmt, die eine Regelkonformität erfordern und die Ingeni-

eurskunst mehr oder weniger einschränken, so dass ein Spannungsfeld entsteht.

Der Impulsbeitrag zum 40. Wasserbaulichen Kolloquium zeigt Wesen, Funktion

und Entwicklung der Normung auf und versucht, hierbei die Möglichkeiten der

Ingenieurskunst zu berücksichtigen. Führt das Spannungsfeld zum Widerspruch

oder erlaubt es ein konstruktives Miteinander ?

Stichworte: Norm, Regelwerke, Wasserbau, Ingenieurskunst

1 Einführung

Bemessen, Bauen und Erhalten von Bauwerken und Infrastrukturen, auch im

Wasserbau, scheinen in Deutschland mehr und mehr durch Normen und Regel-

werke bestimmt zu werden. Abbildung 1 legt nahe, dass die Normung allgegen-

wärtig zu sein scheint. Der Wunsch des Veranstalters für einen Impulsvortrag

für das 40. Dresdner Wasserbaukolloquium mit dem Gesamttitel „Bemessen im

Wasserbau“ sollte sich mit dem Spannungsfeld von Bemessungsregeln einerseits

und Ingenieurkunst andererseits beschäftigen.

Ist das prinzipiell ein Widerspruch ? Schränken Regelwerke die Ingenieurskunst,

also das „Ingenium“ und damit auch Kreativität, ein ? Aus der Sicht eines im

Normungsgeschäft beim Normenausschuss Wasserwesen (NAW), aber auch im

Normenausschuss Bau (NABau) ehrenamtlich Tätigen soll dieser Fragestellung

im Folgenden nachgegangen werden. Bleibt es ein Widerspruch oder lässt sich

dieser lösen ?

Etwa 120 Regelwerkssetzer konkurrieren in Deutschland um die Gunst des An-

wenders; europäisch und international gibt es weitere, die zum Zwecke eines

gemeinsamen Marktes bzw.im Rahmen einer Globalisierung agieren.

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4 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst

Abbildung 1: Ist denn hier alles alles genormt … ? (Quelle: DIN)

Normung entstanden zunächst national aus Eigenantrieb zwecks Vereinfachun-

gen und Standardisierungen sowie zur Regelung von Schutzbedürfnissen. Mitt-

lerweile entstehen Normungen aus internationalen Interessen, die eine nationale

Übernahme erfordern.

2 Vom Wesen einer Norm

2.1 Die erste deutsche Norm

Norm stammt aus dem lateinischen „norma“, was ursprünglich für „Winkel-

maß“, dann aber auch für Richtschnur, Maßstab, Regel oder Vorschrift steht,

Wikipedia (2016). Normen gibt es auf verschiedensten Gebieten. Die wichtigs-

ten Normen sind Rechts- und Sozialnormen, die das Miteinander von Menschen

innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft regeln. Im Weiteren sollen aber techni-

sche Normen, vor allem mit Bezug zum Bauingenieurwesen und zum Wasser-

bau, adressiert werden.

Am 1. März 1918 erschien die allererste DIN-Norm, damals noch Deutsche In-

dustrie Norm, unter der Bezeichnung DI Norm 1 ,DIN (2013a). Sie legte Maße

und Werkstoffe für Kegelstifte fest. Das sind konische Verbindungselemente,

die in entsprechende Bohrungen eingebracht werden, um Maschinenteile (in

wieder lösbaren Verbindungen) zusammenzuhalten. Die Veröffentlichung der

Norm erfolgte gerade mal zehn Wochen nach Gründung des Normenausschus-

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ses der Deutschen Industrie im Dezember 1917. Die Vorarbeiten begannen al-

lerdings bereits im Sommer 1917 unter dem Dach des Vereins Deutscher Inge-

nieure (VDI) in einem Gremium, das sich Normalienausschuss für den deut-

schen Maschinenbau nannte. Eine damalige Umfrage bei 120 Maschinenbauun-

ternehmen lieferte ausführliche Anregungen, aber auch den gemeinsamen

Wunsch nach einer Vereinheitlichung, die zu Massenfertigung, größerer Genau-

igkeit, schnellerer und billigerer Beschaffung sowie zur Beschränkung der La-

gervorräte führen sollte. DIN 1 wurde zuletzt 1981 herausgegeben und ist im

Oktober 1992 inhaltlich in eine Europäische Norm, DIN EN 22339, überführt

worden. Die erste Norm im Bereich des Wasserbaus übrigens war als Norm für

Schachtabdeckungen in 1929 erschienen, DIN (2013b).

Die Frage, was eine Norm ist, klärt eine DIN-Norm, Grimm (2013). Nach DIN

EN 45020 (2007) handelt es sich um ein „Dokument, das mit Konsens erstellt

und von einer anerkannten Institution angenommen wurde und das für die all-

gemeine und wiederkehrende Anwendung Regeln, Leitlinien oder Merkmale für

Tätigkeiten oder deren Ergebnisse festlegt.“ Normen beruhen auf abgestimmten

Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Praxis, Gabler (2016). Technische

Normen beziehen sich auf „Tätigkeiten oder deren Ergebnisse“.

2.2 Normen im (Wasser-)Bauwesen

Für das (Wasser-)Bauwesen kann man die Beschreibung „Tätigkeiten oder de-

ren Ergebnisse“ leicht nachvollziehen. Denn hier gibt es einerseits „Verfahrens-

normen“, die die fachgerechte Ausführung von Bauwerken regeln, und anderer-

seits „Produktnormen“, die zum Beispiel festlegen, welche Baustoffe oder Bau-

teile für bestimmte Einsatzbereiche als Norm empfohlen werden. Außerdem gibt

es „Prüfnormen“, die Handlungsanweisungen dafür geben, wie die Baustoffin-

dustrie die geforderten Eigenschaften ihrer Produkte in Prüfungen nachweisen

kann, Grimm (2013). Verfahrensnormen adressieren am ehesten das Thema des

40. Wasserbau-Kolloquiums „Bemessen“, weil hierin auch Schutzziele und

Nachweisformate festgelegt werden.

Heute gibt es weit über 30.000 DIN-Normen. Davon fallen allein rund 3.000 in

den Bereich des Normenausschuss Bauwesen (NABau), rund 1.200 in den Be-

reich des Normenausschuss Wasserwesen (NAW). Auf diese DIN-Normen und

auf Regeln weiterer Regelwerkssetzer werden im Übrigen durch rund 8.000

Rechtsvorschriften verwiesen, Cyris (2010). Interessant ist beim Blick auf die

künftig immer stärker bedeutsame europäische Normung, dass in den letzten 30

Jahren der Bestand an Normen in Europa von rund 150.000 auf rund 20.000 re-

duziert werden konnte, DIHK (2015). Rund 80% der veröffentlichten Normen

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6 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst

sind europäischer bzw. internationaler Herkunft, Abbildung 2, so dass die be-

reits in der Einführung erwähnte Abhängigkeit und Vernetzung deutlich wird.

Abbildung 2: Neu erschienene DIN-Normen nach ihrer Herkunft, in [%] (Quelle: Hövel

(2016))

Demgegenüber beklagen Normen-Anwender in Deutschland eine deutliche Zu-

nahme des Normenumfangs gegenüber früher rein nationalen Normen, vgl.

Scheffler (2010), Steiner (2011), mit zum Teil einer Verdoppelung des Seiten-

umfangs.

Das DIN ist aufgrund eines Vertrages mit der Bundesrepublik die nationale

Normungsorganisation Deutschlands, BISTech (2016). Es vertritt die deutschen

Interessen in der internationalen Normung. Dazu ist das DIN Mitglied bei den

europäischen Organisationen CEN und CENELEC sowie international bei ISO

und IEC. Das DIN ist ein Selbstverwaltungsorgan aller an der Wirtschaft Betei-

ligten. Die Inhalte der Normen und Standards werden von rund 28.000 Experten

aus Wirtschaft, öffentliche Hand, Forschung und Gesellschaft erarbeitet.

Arbeitsergebnisse sind eine DIN (Nationale Norm) oder eine DIN EN (Über-

nahme einer Europäischen Norm) oder eine DIN EN ISO (Übernahme einer In-

ternationalen Norm, die europäisch harmonisiert ist) oder eine DIN ISO (Über-

nahme einer Internationalen Norm, die nicht europäisch harmonisiert ist) oder

eine DIN SPEC (Ergebnis der nicht konsensbasierten, schnellen Standardisie-

rung).

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Fachverbände erstellen eigene Regelwerke und/oder arbeiten in den Normungs-

gremien des DIN mit, um die Interessen ihrer Mitglieder in der nationalen, euro-

päischen und internationalen Normung zu vertreten. Hier sind beispielhaft der

Verein Deutscher Ingenieure (VDI- Richtlinien), der Verband Deutscher Ma-

schinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA-Einheitsblätter), die Deutsche Vereini-

gung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA-Merkblätter), der Deut-

scher Ausschuss für Stahlbeton im DIN (DAfStb- Richtlinien) zu nennen.

Aufgrund seiner Anerkennung durch die Bundesregierung und der zugedachten

Vertretungswirkung in internationalen Normengremien ist das DIN die zentrale

Normungsorganisation. Durch Normen, die im staatlichen Auftrag der Ausfüh-

rung von gesetzlich verankerten, abstrakten Schutzzielen dienen und zudem das

Verwaltungshandeln standardisieren sollen, hat auch hier das DIN die Stellung

des primus inter pares. Fachverbänden, die ebenfalls regelwerk-setzend arbeiten,

kommt sinnvollerweise die Aufgabe von prä- und post-normativen Bearbeitun-

gen, wie z.B. Forschungsprojekte, Merkblätter, Ausführungsleitfäden zu. Dies

passt auch sinnvollerweise zur 3-Stufen-Theorie der Normung.

2.3 Nutzen von Normen

Die Normung ist ein Instrument der Selbstverwaltung aller am Wirtschaftsleben

Beteiligten, DIHK (2015). Sie dient dem Nutzen der Allgemeinheit und nicht

dem wirtschaftlichen Sondervorteil Einzelner. Interessen, die den Schutz und die

Sicherheit der Allgemeinheit zum Ziel haben, werden in der Normungsarbeit in

der Regel von Experten der öffentlichen Hand, von Bund, Ländern und Kom-

munen vertreten. Im Gegenzug verweist der Staat in seiner Gesetzgebung auf

DIN-Normen, anstatt selbst technische Regelungen festzulegen. Somit trägt

Normung zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau bei. Dieses Prinzip wird

in der deutschen Normung seit fast 100 Jahren gelebt und ist seit fast 40 Jahren

im sogenannten Normenvertrag fixiert. Es war Vorbild für eine ähnliche Koope-

ration (New Approach) auf europäischer Ebene.

Normen entlasten den Staat. Nationale Rechtsvorschriften beschränken sich auf

die Festlegung wesentlicher Rahmenbedingungen und Schutzziele. Für deren

technische Ausgestaltung verweisen sie auf Normen, die konsensbasiert die ge-

setzlichen Sorgfaltspflichten konkretisieren. Sie beschreiben die allgemein aner-

kannte Regel der Technik (a.a.R.d.T.), für die juristisch auch ein Vermutungs-

tatbestand für deren Richtigkeit besteht, diese aber nicht immer haben bzw. ha-

ben können. Die Bundesregierung hat sich in ihrem „Normungspolitischen Kon-

zept“ im September 2009 ausdrücklich zur technischen Selbstverwaltung beim

DIN bekannt, Cyris (2010). Normung ist somit zum integralen Bestandteil der

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8 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst

Wirtschafts- und Innovationspolitik geworden. Damit Normung nicht zum Inno-

vationshemmnis wird, sollte sie nach Auffassung der Bundesregierung keine

Einzellösungen beschreiben, sondern technologieoffen sein.

Die Neue Konzeption (englisch: New Approach) ist ein politisches Prinzip der

Europäischen Union zur technischen Harmonisierung und Normung, DIHK

(2015). Die Neue Konzeption erstreckt sich auf derzeit 30 Europäische Richtli-

nien, die grundlegenden Anforderungen, z. B. an die Produktsicherheit zu einem

bestimmten Sektor (z. B. Maschinen, Dienstleistungen. Bauprodukte), enthalten.

Spezielle von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Europäische

Normen (sogenannte harmonisierte Normen) konkretisieren diese grundlegen-

den Anforderungen. Die Anwendung dieser Normen, die auch als harmonisierte

Normen bezeichnet werden, begründet die Vermutung der Konformität, also die

Übereinstimmung mit der Richtlinie.

Abbildung 3: Regelwerkssetzung durch europäische Organisationen (Quelle: DIN (2016))

Der Nutzen der Normung wird in Studien als Anteil an der Wachstumsrate des

Bruttoinlandsprodukts bewertet und beträgt für Deutschland rund 0,75 %, was

für 2016 zum Beispiel einen Nutzen von rund 23 Mrd. € bedeutet, Blind et al.

(2011). Weitere volkswirtschaftliche Nutzen liegen in der Reduzierung von Un-

fällen infolge von Arbeitsplatz- und Sicherheitsnormen sowie auch dem Schutz

der Umwelt durch Umweltnormen.

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2.4 Bindungswirkung von Normen

Normen haben grundsätzlich nur den Charakter von Handlungsempfehlungen,

Grimm (2013), DIN (2016). Dass manche DIN-Normen dennoch verpflichtend

sind, hängt mit der offiziellen Baugesetzgebung zusammen, die an vielen Stellen

ausdrücklich auf die Normen verweist. Rechtsverbindlichkeit erlangen Normen,

wenn Gesetze oder Rechtsverordnungen wie zum Beispiel bauaufsichtliche Ein-

führungen der Bundesländer, landesspezifische Listen der wasserbaulichen all-

gemein anerkannten Regeln der Technik oder auch EU-Richtlinien auf sie ver-

weisen. Daneben können Vertragspartner die Anwendung von Normen auch in

Vereinbarungen verbindlich festlegen.

3 Ingenieurskunst

Nach dem Duden beinhaltet die Ingenieurskunst das „besondere Geschick der

Ingenieure bei der Entwicklung und Konstruktion von Maschinen, Fahrzeugen,

Gebäuden oder Ähnlichem“, Duden (2016). Mit Ingenieurskunst werden ansons-

ten auch neue Technologien in Verbindung gebracht. Kunst kommt bekanntlich

auch von „Können“.

Wo wollen wir Ingenieurskunst walten lassen ? Bei der Festlegung von Schutz-

zielen, wie z. B. Sicherheit und Ordnung oder bei Berechnungsmethoden (die

Norm legt das (Schutz-)Ziel fest, lässt dem Anwender aber frei, wie er dieses

Ziel nachweist ?) oder bei Ausführungsregeln ? Ingenieurskunst im Wasserbau

könnte man aus der rein hydromechanischen Sichtweise mit der Anwendung

von Kontinuitätsgleichung, Impuls- und Energiegleichung verstanden wissen.

Wozu brauche ich über Physik und Mechanik/Dynamik hinaus dann noch Nor-

men ? Ingenieurskunst beinhaltet auch sämtliche durch einen Ingenieur gewon-

nene und für einen Projekterfolg eingesetzte Berufserfahrung. Reicht demnach

Ingenieurskunst allein aus oder bedarf es des gewogenen Verhältnisses zwischen

Regelsetzung einerseits und Ingenieurskunst andererseits ?

(Wasser-)Bauingenieure sind überwiegend für Infrastrukturen tätig, für die nun

einmal staatliche Schutzziele vorgegeben sind und auch häufig Regeln für trag-

fähige, gebrauchstaugliche und dauerhafte Konstruktionen. Ingenieurkunst ist

nach der oben aufgeführten Definition auch nicht mit einem grenzenlosen Frei-

raum verbunden, anders als es zum Beispiel gestaltende Künstler sein können.

Ingenieurkunst zeigt sich möglicherweise gerade bei der Anwendung und Aus-

legung von Regelwerken, indem Freiräume, die allerdings vorhanden sein müs-

sen, genutzt werden.

Page 18: bemessung im wasserbau

10 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst

Derartige Freiräume in den Normen sind interessanterweise gerade in den –

durch ihren Regelungsumfang auch kritisierten - europäischen Normen, den Eu-

rocodes, enthalten, DIN EN 1990 (2010). Über sinngemäße Formulierungen

„Werte dürfen im Nationalen Anhang angegeben sein“ sowie „… im Einzelfall

festgelegt werden“ bis hin zu „… durch Versuche bestimmt werden“ sind Öff-

nungen möglich, die Bauherr und Ingenieur im Projekt Freiheiten erlauben.

Von diesen Öffnungen wird künftig auch verstärkt Gebrauch gemacht werden

müssen, da mit Urteil des Europäischen Gerichtshof (Rechtssache C-100/13)

vom 16. Oktober 2015 ein Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen die

Bauproduktenrichtlinie (RL 89/106/EWG) festgestellt wurde, da durch harmoni-

sierte Normen erfasste Bauprodukte zusätzliche Anforderungen durch die Bau-

regellisten gestellt wurden, die den wirksamen Marktzugang von Bauprodukten

mit CE-Kennzeichnung behinderten. Hier wird man mindestens für eine Über-

gangszeit auf Projektebene, also jeweils „im Einzelfall“, reagieren müssen. Der

Ingenieur wird mit seiner Ingenieurskunst gefragt sein. Allerdings dringt auch

hier bereits wieder der Wunsch nach einer standardisierten Vorgehensweise

durch.

4 Regelwerke und/oder Ingenieurskunst ?

Bei der Frage nach einerseits Regelsetzung und andererseits Ingenieurskunst

dürfte aus den vorigen Ausführungen das gewogene Verhältnis die zielführende

Vorgehensweise sein. Durch die Betrachtung der langjährigen Entwicklung von

Normen und Regelwerken, vgl. Abschnitt 2, und dem Wesen der Ingenieurkunst

wird ersichtlich, dass in einen Großteil der Normen immer wieder Ingenieur-

kunst eingeflossen ist, sei es bei der Hinterlegung von Berechnungsmethoden

oder auch bei der Entwicklung von Bauteilen und Produkten. Normen als Inno-

vationsförderer belegen die Inkorporation der Ingenieurskunst.

Dem Vorwurf an Normen, dass sie häufig das technisch Machbare beschreiben

und nicht das Notwendige, vgl. Cyris (2010), kann einerseits durch ausgewoge-

ne Zusammensetzung der Normungsgremien, andererseits aber auch durch die

Entscheidung, was stringent geregelt wird und was Empfehlung bleibt, Abhilfe

geschaffen werden. Letztere Elemente nutzen die Eurocodes sehr stark, z. B.

durch „Anmerkungen“ oder auch „informative Anhänge“. Die Ingenieurkunst

sollte also bereits bei der Erstellung von Regelwerken eingebracht werden, auch

mit dem Ziel, die Ingenieurkunst bei der Anwendung dieser Regelwerke nutzen

zu können. Ein individuelles Abwägen des Regelungsinhaltes muss über die

transparente Einleitung, Erstellung und Verabschiedung einer Norm erfolgen.

Das Einbringen der Ingenieurskunst vor und bei der Regelwerkssetzung, dann

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 11

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aber auch bei der Anwendung bleibt auch im Einklang mit der 3-Stufen-Theorie,

indem z. B. Verfahren vom Stand der Wissenschaft und Technik zum Stand der

Technik weiterentwickelt werden, um danach Aufnahme in Regelwerke zu einer

a.a.R.d.T. zu werden.

5 Ausblick

Auf der Grundlage eines europäischen Gemeinschaftsraums und infolge fort-

schreitender Globalisierung wird die technische Regelsetzung internationaler

motiviert sowie gemeinschaftsbestimmt sein und wird einer gesamtwirtschaftli-

chen Bedeutung Rechnung tragen. Die europäische Normung bei CEN und

CENELEC ersetzt zunehmend die nationale Normung. Im Bereich der Produkt-

normung gibt es – zumindest im harmonisierten Bereich - so gut wie keine nati-

onalen Normen mehr. Der Trend geht zu sogenannten Performance-Normen, wo

neben den Leistungsanforderungen und Leistungserwartungen allenfalls noch

die Schnittstellen beschrieben werden, seien sie mechanisch, elektrisch oder

elektronisch, Cyris (2010). Normung wird so zu einem offenen Techniksystem,

bei dem eigentlich die Ingenieurskunst gefordert und gefördert sein wird.

Regelkonformität und Ingenieurkunst müssen daher kein Widerspruch sein,

sondern können ein konstruktives Spannungsfeld bilden, bei dem immer wieder

die Notwendigkeit zur Regelung eines Sachverhalts mit den ingenieurmäßigen

Freiheiten abgewogen wird.

Gerne wird bei diesem Ausblick auf anstehende Überarbeitungen von wasser-

baulichen DIN-Normen hingewiesen, wozu u.a. bei Zeisler/Kunz(2015), aber

auch bei immer wiederkehrenden Aufrufen in einschlägigen Fachzeitschriften

von DIN, DWA, BWK etc. um eine Mitarbeit geworben wird. Vorteile einer

Mitarbeit sind bekanntlich ein Austausch mit anderen Experten, ein Wissensvor-

sprung, ein Gelegenheit zur Mitgestaltung und Einbringen der Ingenieurskunst

sowie auch das Vordenken bei künftig europäischer bzw. internationaler Bedeu-

tung des Regelwerks.

6 Literatur

BISTech (2016): Normungsorganisationen in Deutschland. BISTech Fachinformationen.

www.fachinfo.bistech.de. Abgerufen: 30.12.2016

Blind, K.; Jungmittag, A.; Mangelsdorf, A. (2011): Der gesamtwirtschaftliche Nutzen der

Normung – Eine Aktualisierung der DIN-Studie aus dem Jahr 2000. DIN (Hrsg),

Berlin, 2011.

Page 20: bemessung im wasserbau

12 Bemessung im Wasserbau - Spannungsfeld zwischen Regelkonformität und Ingenieurskunst

Cyris, G. (2010): Technische Regelsetzung im Selbstverwaltungsbereich in Deutschland

und Europa. In: energie wasser-praxis 5/2010.

DIHK (2015): 1x1 der Normung – Ein praxisorientierter Leitfaden für KMU.

DIHK/DIN/ZDH, 2015).

DIN (2013a): Vor 95 Jahren erschien die erste deutsche Norm. Presse-Mitteilung des

DIN vom 01.03.2013.

DIN (2013b): Normenausschuss Wasserwesen – Wasser zum Leben, Normen für Wasser.

DIN – NAW, Berlin, 2013.

DIN (2016): Rechtsverbindlichkeit von Normen:http://www.din.de/de/ueber-normen-

und-standards/normen-und-recht/rechtsverbindlichkeit-durch-normen.Abgerufen:

30.12.2016

DIN EN 1990 (2010): Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung

EN 1990:2002 + A1:2005. Beuth-Verlag, Berlin, 2010-12.

DIN EN 45020 (2007): Normung und damit zusammenhängende Tätigkeiten -

Allgemeine Begriffe (ISO/IEC Guide 2:2004); Dreisprachige Fassung EN

45020:2006. Beuth-Verlag, Berlin, 2007-03.

Duden (2016): In|ge|ni|eurs|kunst. In: www.duden.de, Abgerufen: 30.12.2016.

Gabler (2016): Gabler Wirtschaftslexikon, http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/

54979/norm-v7.html, abgerufen: 30.12.2016. Springer Gabler Verlag (Hrsg.)

Grimm, R. (2013): DIN-Normen: Welche Bedeutung haben Sie für das Bauwesen ?

http://www.baustoffwissen.de/wissen-baustoffe/baustoffknowhow/grundlagen/

baurecht/din-normen-welche-bedeutung-haben-sie-fuer-das-bauwesen/

Hövel, A. (2016): Strategische Normung – DIN SPEC und europäische Normung

(Vortrag). DIN, Berlin, 2016.

Scheffler, M. (2010): Zwischenruf: Ziele und Nutzen Technischer Standards. In:

Bautechnik 87(2010), Heft 6. Verlag W.Ernst & Sohn, Berlin, 2010.

Steiner J. (2011): Neue Normen und Computergläubigkeit. Vortrag auf Arbeitstagung der

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Wikipedia (2016): Internet-Abfrage nach Norm; am 30.12.2016.

Zeisler, G.; Kunz, C. (2015): Normen für den konstruktiven Wasserbau. In: Bautechnik

92(2015), Heft 8. Verlag W.Ernst & Sohn, Berlin, 2015.

Autor:

Ltd. Baudirektor Dipl.-Ing. Claus Kunz

Bundesanstalt für Wasserbau

Abteilung Bautechnik

Kussmaulstraße 17

76187 Karlsruhe

Tel.: +49 761 9726-3200

Fax: +49 761 9726-2150

E-Mail: [email protected]

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die

Bemessung von Talsperren?

Hans - Ulrich Sieber

Die Klimawandelprojektionen in die Zukunft weisen auf eine deutliche Klimaer-

wärmung und auf signifikante Veränderungen im Wasserhaushalt hin. Talsperren

werden von diesen Veränderungen – regional sicherlich unterschiedlich – betrof-

fen sein. Das betrifft sowohl die Beanspruchung der Absperrbauwerke wie auch

die Inanspruchnahme und Beschaffenheit der gestauten Wasserkörper. Insoweit

wirken sich klimawandelbedingten Veränderungen auch signifikant auf die Be-

wirtschaftung der Talsperren aus. Der Beitrag befasst sich mit den klimawandel-

bedingten Wirkungen auf die Anlagen und zeigt den erforderlichen Überprüfungs-

und eventuellen Anpassungsbedarf auf. Gezeigt wird auch, dass Talsperren auf-

grund ihres Vermögens, Wasser zu speichern und Stauräume vorzuhalten, gut ge-

eignet sind, den erwarteten Auswirkungen des Klimawandels im Hinblick auf

Hochwasserschutz und Wasserbereitstellung erfolgreich zu begegnen. Jedoch

kann sich auch die Nutzungskonkurrenz bei multifunktionalen Talsperren ver-

schärfen. Grundlagen des Beitrages bilden die DWA-Themen T2/2014 „Anpas-

sungsstrategien für Stauanlagen an den Klimawandel“ (DWA 2014) und der dazu

vom Autor verfasste Aufsatz (Sieber 2014).

Stichworte: Stauanlagen, Talsperren, Bemessung, Beanspruchung, Klimawandel,

Anpassungsstrategie, Hochwasser, Trockenperiode, Stauraum, Spei-

cherbewirtschaftung

1 Potentielle Auswirkungen des Klimawandels auf Talsperren

Talsperren sind bautechnische Anlagen, die dem freien Angriff der Naturgewal-

ten uneingeschränkt und vor allem über eine außerordentlich lange Lebens- und

Nutzungsdauer ausgesetzt sind. Während die wirtschaftlichen Nutzungsdauern

solcher Anlagen mit etwa 100 Jahren angesetzt werden, reicht ihre die techni-

sche Lebensdauer in aller Regel weit darüber hinaus. In Deutschland sind heute

noch Talsperren („Kunstteiche“) in Betrieb, die vor rund 500 Jahren im Harz

und im Erzgebirge für bergbauliche Nutzungen errichtet worden sind. Analog

gilt diese Betrachtung selbstverständlich auch für alle anderen Arten von Stau-

Page 22: bemessung im wasserbau

14 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?

anlagen, wie Hochwasserrückhalte-, Pumpspeicher- und Sedimentationsbecken

sowie Staustufen. Vor diesem Hintergrund spielt der Klimawandel für Talsper-

ren eine besondere und signifikante Rolle. Zu beachten sind dabei sowohl sich

mit der Zeit verändernde unmittelbare Klimaelemente, wie z. B. Temperatur und

Niederschlag, als auch mittelbare Folgeeffekte, wie z. B. veränderte Wasser-

haushaltsbilanzen. Im Hinblick auf Bemessungsaufgaben für Talsperren sind die

mit diesen Veränderungen einhergehenden veränderten Einwirkungen auf bzw.

Beanspruchungen von baulichen und ausrüstungstechnischen Anlagen zu be-

rücksichtigen. Aber auch den Änderungen von Speicherleistungs- und Wasser-

beschaffenheitsparametern der angestauten Wasserkörper ist gebührende Auf-

merksamkeit zu schenken. Insoweit sind von den Klimaveränderungen sowohl

bautechnische als auch wasserwirtschaftliche Bemessungsgrößen und -aufgaben

betroffen.

Darüber hinaus werden mit Klimaveränderungen auch Folgen für die nutzungs-

seitigen Anforderungen an Talsperren verbunden sein. So können einerseits in-

folge ausgeprägterer Trockenperioden die Bedürfnisse hinsichtlich der Wasser-

bereitstellung zum Beispiel für die Wasserversorgung, die Bewässerung oder die

Niedrigwasseraufhöhung steigen. Andererseits kann auch eine Verbesserung der

Hochwasserschutzwirkung durch eine Vergrößerung des gewöhnlichen Hoch-

wasserrückhalteraumes von Interesse sein. Bei multifunktonal genutzten Tal-

sperren kann dies zu einer erheblich verstärkten Nutzungskonkurrenz führen, da

die jeweils anzustrebenden Stauziele diametralen Charakter haben (siehe Abbil-

dung 1).

Abbildung 1: Nutzungskonkurrenz in multifunktionalen Talsperren (aus Sieber (2014))

Aus veränderten Nutzungsansprüchen können wiederum bemessungsrelevante

Konsequenzen erwachsen, zum Beispiel infolge Festsetzung neuer Stauziele für

den Dauerbetrieb, die ihrerseits dann auch neue Bemessungswasserstände für

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„Bemessung im Wasserbau“ 15

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die auf Stauziel auflaufenden Bemessungshochwasser BHQ1 und BHQ2 bewir-

ken. Selbstverständlich ist dann auch die wasserwirtschaftliche Bemessung an-

zupassen.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die klimawandelbedingten Auswir-

kungen auf die Bemessung von Talsperren unmittelbarer und mittelbarer Natur

und zudem außerordentlich komplex sein können.

2 Welche Klimaelemente können für Talsperren relevant sein?

2.1 Wirkungen mit Bezug zur Anlagensicherheit

Sowohl die Veränderungen der meteorologischen-hydrologischen Klimaelemen-

te als auch die Wirkungen aus der Kombination von Veränderungen der Klima-

elemente müssen berücksichtigt werden. Bei der Beurteilung müssen zudem die

Effekte aus der Änderung in der zeitlichen Abfolge und der statistischen Vertei-

lung der jeweiligen Einwirkungen Eingang finden.

Die Erhöhung der Lufttemperaturen ist die erkennbarste und unbestrittene Folge

des Klimawandels. Mit der Temperaturerhöhung steigt das Feuchtigkeitsauf-

nahmevermögen in der Atmosphäre. Dies wiederum beeinflusst die Bewölkung,

die Niederschlagsbildung sowie die Sonneneinstrahlung und die Strahlungsbi-

lanz. Weitere Auswirkungen betreffen die Verdunstung, die bei vorhandener

Wasserverfügbarkeit mit Temperaturzunahme steigt, die zeitliche und quantita-

tive Veränderung der Schneelagen sowie die Eisbildung und Vergletscherung.

Von Belang sind aber auch temperaturbedingte biochemische und bio-

geochemische Veränderungsprozesse, die im Boden und im Wasserkörper statt-

finden können.

Die derzeitigen Klimaprojektionen weisen in unseren Breiten grundsätzlich auf

steigende Jahresmitteltemperaturen und Extremtemperaturen hin, die in Folge

der meteorologisch-hydrologischen Zusammenhänge auch und besonders zu ei-

ner Veränderung der Abflussdynamik der Fließgewässer führen. Abbildung 2

zeigt beispielhaft die Projektion für die Lufttemperaturentwicklung bis 2100 in

Sachsen.

Page 24: bemessung im wasserbau

16 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?

Abbildung 2: Lufttemperaturentwicklung in Sachsen (LfULG 2011))

Aus den Klimaprojektionen in die Zukunft werden für Deutschland hinsichtlich

des Abflussgeschehens im Allgemeinen folgende grundsätzlichen Tendenzen

abgeleitet.

Bei den Niedrigwasserabflüssen wird außer im Alpenraum wird mit einem deut-

lichen Rückgang gerechnet. Zudem werden länger andauernde Trockenperioden

erwartet.

Abbildung 3: Niedeschlagsentwicklung in Sachsen (LfULG 2011)

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Bei den mittleren Abflüssen wird allgemein mit einer Zunahme im Herbst /

Winter und einer Abnahme im Frühjahr / Sommer, also vor allem mit einer Ver-

änderung der zeitlichen Niederschlagsverteilung gerechnet. Die erwarteten Ver-

änderungen für das Gebiet Sachsens verdeutlicht beispielhaft Abbildung 3.

Bei den Hochwasserabflüssen wird erwartet, dass zumindest die Häufigkeit

kleiner und mittlerer Ereignisse zunimmt. Hinsichtlich seltener und extremer

Hochwasser sind keine einheitlichen Tendenzen aus den Klimamodellen ableit-

bar, obgleich aufgrund der physikalischen Zusammenhänge auch bei den selte-

nen Niederschlägen und Hochwasserabflüssen eine Vergrößerung denkbar ist.

Statistisch gesicherte quantitative Erkenntnisse hinsichtlich der (seltenen) Be-

messungshochwasserzuflüsse für Stauanlagen liegen ergo nicht vor. Aus Vor-

sorge- oder Vorsichtsgründen kann jedoch, wie zum Beispiel in Bayern und Ba-

den-Württemberg (siehe Tabelle 1), durch Einführung mehr oder weniger pau-

schaler Faktoren > 1,0 den bestehenden Unwägbarkeiten Rechnung getragen

werden um Reserven für die Anlagensicherheit zu schaffen.

Tabelle 1 Klimaänderungsfaktoren für unterschiedliche Hochwasser-Jährlichkeiten

Windstärke und Windrichtung haben für die Wellenbildung im Stausee aus-

schlaggebende Bedeutung. Nachhaltige Veränderungen der Wetterlagen und

damit der Windwirkungen eine große Bedeutung. In Bezug auf die Bauwerkssi-

cherheit stellen der Windstau und der Wellenauflauf eine bemessungsrelevante

Eingangsgröße für die Festlegung des Freibords des Absperrbauwerkes dar.

Page 26: bemessung im wasserbau

18 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?

2.2 Wirkungen bezüglich der Talsperrenbewirtschaftung

Veränderungen der Lufttemperatur und damit der Wasserverdunstung führen

zudem noch in Verbindung mit einem veränderten Niederschlagsgeschehen zu

Veränderungen in den Wasserhaushaltsbilanzen. Diese besitzen große Bedeu-

tung für wasserwirtschaftliche Bemessungsaufgaben, insbesondere für die Be-

messung der für die Wassermengen- und für die Wassergütebewirtschaftung von

Talsperren maßgebenden Volumina der Stauraumlamellen.

Veränderte Windverhältnisse können das limnologische Regime von geschichte-

ten Wasserkörpern beeinflussen und insoweit wassergütewirtschaftliche Aus-

wirkungen haben.

In unseren Breiten ist – wenn auch regional mit unterschiedlicher Intensität –

aufgrund abnehmender und zeitlich anders verteilter Niederschläge und tempe-

raturbedingt zunehmender Wasserverdunstung mit einer teils signifikanten Ver-

schlechterung der Wasserbilanz zu rechnen (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Änderung der klimatischen Wasserbilanz in Sachsen (aus Enke et. al. (2006))

Modellrechnungen für verschiedene sächsische Talsperren und für unterschied-

liche Klimawandelszenarien zeigen einheitlich, dass neben der bereits oben er-

wähnten veränderten jahreszeitlichen Zuflussverteilung in Summe mit einer Zu-

flussabnahme und damit auch mit einer reduzierten Speicherabgabeleistung zu

rechnen sein wird. Abbildung 5 verdeutlicht das beispielhaft für das Talsperren-

system Lehnmühle-Klingenberg-Rauschenbach im Osterzgebirge bei Ansatz

von zwei unterschiedlichen Werex III-Szenarien.

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Abbildung 5: Abgabeleistungsentwicklung für Talsperren im Osterzgebirge (Dittrich 2001)

3 Bemessungs- und sicherheitsrelevanter Überprüfungsbedarf

Wie bereits festgestellt, können durch den Klimawandel bedingte veränderte

Beanspruchungen Einfluss auf die Gebrauchstauglichkeit sowie auf die hydrau-

lische und bautechnische Sicherheit von Stauanlagen respektive Talsperren ha-

ben. Ob eine klimawandelbedingte Sensitivität besteht, wird im Einzelfall durch

entsprechende Untersuchungen zu klären sein. Insbesondere die im technischen

Regelwerk für Stauanlagen vorgeschriebenen turnusmäßigen oder gegebenen-

falls auch ereignisbezogenen vertieften Überprüfungen sollten zu diesem Zweck

mit einem „Klimawandelcheck“ verbunden werden. In diesem Rahmen sind die

meteorologisch, hydrologisch und hydraulischen determinierten Bemessungs-

werte und Lastannahmen zu überprüfen sowie die erforderlichen Nachweise der

Gebrauchstauglichkeit und Anlagensicherheit gegebenenfalls neu zu führen.

Für die praktische Durchführung des angeratenen „Klimawandelchecks“ bieten

die DWA-Themen T 2/2014 (DWA 2014) Checklisten an, die jeweils getrennt

die potentiellen Einwirkungen aus den Wirkgrößen Wasser, Temperatur, Wind

und sonstige mittelbare Wirkungen erfassen. Die aus (DWA 2014) abgeleiteten

Tabellen 2 bis 4 zeigen auf, welche Effekte auftreten können und was zu deren

Beherrschung unternommen werden kann. Selbstverständlich können in der

Checkliste betrachtete Einflüsse und Effekte unter Umständen auch durch ande-

re Faktoren als den Klimawandel verursacht werden. Ebenso erheben die Check-

listen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Page 28: bemessung im wasserbau

20 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?

Tabelle 2: Checkliste für Wasser- und Wasserstandeinwirkungen

Einwirkung Wasser

Was kann auftreten? Welche Effekte kann das

nach sich ziehen?

Was kann dagegen unternommen werden

(Prävention/Kompensation)?

Intensivere und längere

Niederschlagsereignisse

- Bodenvernässung

- Bodenerosion

- Böschungs- / Hangrutschun-

gen

- Einbau von Dränsystemen

- Stabilisierungsmaßnahmen auf der Oberfläche

- Böschungsabflachung

- Bewuchsoptimierung

Höhere Wasserstände - Freiborddefizite

- Dammüberströmung

- Wellenbeanspruchung in

ungeschützten Bereichen

- Höhere Belastung von

Dammscharten

- Sicherheitszuschläge zum Freibord

- Klimawandelzuschläge auf Bemessungswerte (BHQ)

- Anpassung der Bewirtschaftung/Steuerung der Stauanlagen

- Leistungsanpassung von Entnahme- und Entlastungsanlagen

- Kronensicherung, z. B. durch Wellenumlenker

- Befestigung von Überlaufstrecken und Böschungen

- Erhöhung des Absperrbauwerkes

Größere Zu- und Durchflüsse - Veränderte Hochwasserbe-

messungszuflüsse

- Veränderte Belastungen von

Betriebseinrichtungen

- Überlastung Tosbe-

cken/Unterlauf)

- Überprüfung der Hochwasserbemessung, ggf. Anpassung und

Risikoanalyse

- Umbau, Erneuerung, Ergänzung von Betriebseinrichtungen

(Entlastungs- und Entnahmeanlagen)

- Notentlastungsanlagen vorsehen

- Kolk- und Erosionsschutzmaßnahmen

Länger andauernde Niedrig-

wasserperioden / Trockenpe-

rioden

- Trockenfallen von Bauteilen

- Austrocknung der Grasnarbe

bzw. des Oberbodens auf

Dämmen und Deichen

- Austrocknung von Erdstoff-

dichtungen, Rissbildung,

Undichtigkeiten

- Bewässerungsmaßnahmen

- Bewuchsoptimierung (z. B. Einsatz trockenheits-resistenter

Saatgutmischungen)

- Alternative Oberflächengestaltung (z.B. Stein-schüttungen)

- Größere Überdeckungshöhe von Dichtungen

- Dickere Dichtungen

- Gezieltes Monitoring

Niedrigere Wasserstände (z.

B. infolge Vergrößerung des

gewöhnlichen Hochwasser-

rückhalteraums IGHR)

- Wellenbeanspruchung in

ungeschützten Bereichen

- Wasserqualitätsverschlech-

terung / korrosive Wirkung an

Materialoberflächen

- Befestigungsmaßnahmen

- Wasserqualitätsverbessernde Maßnahmen (im Wasserkörper

und/oder im Einzugsgebiet)

- Oberflächenbeschichtungen

- Reinigungsmaßnahmen

Tabelle 3: Checkliste für Temperatureinwirkungen

Einwirkung Temperatur

Was kann auftreten? Welche Effekte kann das

nach sich ziehen?

Was kann dagegen unternommen werden

(Prävention/Kompensation)?

Höhere Temperaturen und

größere Temperatur-

gradienten

Mehr Sonnentage, erhöhte

UV-Bestrahlung

- Stärkere Materialbeanspru-

chung

- Versprödung, Rissbildung,

Deformation;

- Wasserqualitätsverschlech-

terung / korrosive Wirkung auf

Materialoberflächen (z. B.

Algenbewuchs)

- Prüfung temperaturbezogener Bemessungswerte und Lastan-

nahmen, bei Bedarf neue Nachweisführung und ggf. techn.

Anpassungsmaßnahmen (z. B. Dehnungsfugen)

- Einkapseln/Abdecken von Dichtungen, Beschichtungen

- Verstärkung von Bauteilen

- Anpassung von Wasserentnahmeanlagen zur Flexibilisierung

der Entnahmetiefen

- Wasserqualitätsverbessernde Maßnahmen zur Verringerung

der Nährstoffbelastung / des Algenwachstums

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Verändertes Frost–Tau-

Wechsel-Regime

- Setzungen / Hebungen

- Böschungsinstabilitäten

- Schnellere Alterung / Ermü-

dung v. Baustoffen/Bauteilen

- Schutz von Bauteilen, z. B. durch Vorsatzschalen/-elemente,

Dämmung usw.

- Ersatz von angreifbaren durch resistente Bauteile

Tabelle 4: Checkliste für Windeinwirkungen

Einwirkung Wind

Was kann auftreten? Welche Effekte kann das

nach sich ziehen?

Was kann dagegen unternommen werden

(Prävention/Kompensation)?

Änderung der Hauptwind-

richtung (veränderte Häufig-

keit der Wetterlagen)

- Änderung der Wellenauf-

laufparameter (Windstau,

Wellenauflauf)

- Freiborddefizite

- Dammüberströmung

- Anpassung der Freibordbemessung, ggf. technische Anpas-

sungsmaßnahmen (wie bei höheren Wasserständen)

- Kronen- und Böschungssicherungsmaßnahmen

Zunahme von Starkwinder-

eignissen (veränderte Häu-

figkeit der Windgeschwindig-

keiten)

- Änderung der Wellenauf-

laufparameter (s. o.)

- Freiborddefizite

- Dammüberströmung

- Verstärkter Windwurf und

erhöhter Treibgutanfall

- Verklausungsgefahr an

Entlastungs- und Entnahme-

anlagen sowie an Brücken

- Anpassung der Freibordbemessung, ggf. technische Anpas-

sungsmaßnahmen

- Kronen- und Böschungssicherungsmaßnahmen

- Verklausungsschutz, Wildholzsperren, Treibgutfang errichten

- Räumliche Rechenkonstruktionen verwenden

- Anwendung robuster Bauweisen Notfallvorsorge treffen

4 Anpassungsmaßnahmen und -strategien

4.1 in bautechnischer Hinsicht

Sofern sich aus den bemessungs- und sicherheitsrelevanten Überprüfungen De-

fizite ergeben, kann zunächst geprüft werden, ob und in wie weit diesen durch

eine Intensivierung der Überwachung und/oder der Unterhaltung der Stauanlage

begegnet werden kann. In diesem Fall sind die Betriebsvorschriften anzupassen.

Wenn eine Erweiterung der Überwachung und Unterhaltung als Kompensations-

und Anpassungsmaßnahme nicht ausreicht, um die Gebrauchstauglichkeit bzw.

die technische Sicherheit der Stauanlage auf Dauer zu gewährleisten bzw. das

bestehende Risiko nicht akzeptiert werden kann, sind bautechnische bzw. kon-

struktive Maßnahmen erforderlich. Gegebenenfalls kann auch eine veränderte,

den Sicherheitsbedürfnissen angepasste Steuerung und Bewirtschaftung der

Stauanlage eine Lösung sein.

Page 30: bemessung im wasserbau

22 Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Bemessung von Talsperren?

4.2 hinsichtlich der Wasserbewirtschaftung

Um unter den Bedingungen des Klimawandels die Erfüllung der wasserwirt-

schaftlichen, energiewirtschaftlichen oder auch touristischen Aufgaben der Tal-

sperren weiterhin zu gewährleisten, sind notwendigenfalls geeignete Anpas-

sungsmaßnahmen zu ergreifen. Folgende Maßnahmen kommen in Betracht:

- Optimierung /Anpassung der Wassermengenbewirtschaftung bzw. der Be-

triebsweise z. B. durch Neuaufteilung der nutzungsbezogenen Staulamel-

len, Flexibilisierung der Stauziele zwecks adaptiver Stauanlagenbewirt-

schaftung und/oder Verbundbewirtschaftung von Stauanlagen

- Optimierung/Anpassung der Wassergütebewirtschaftung z. B. durch Er-

gänzung von Entnahmeanlagen zur Flexibilisierung der Bewirtschaftung,

Errichtung von Vorsperren oder Anordnung von Umgehungsleitungen

- Anpassung der Hochwassersteuerung und/oder der Hochwasserentlas-

tungsanlagen z. B. durch Vergrößerung der Entlastungskapazität, Verbes-

serung der Steuerbarkeit oder prognoseabhängige Vorentlastung

- Organisatorisch-administrative Maßnahmen, z. B. Aufstellung von Son-

derbewirtschaftungsplänen oder Notfallplänen

Die vielfältigen Möglichkeiten zur Anpassung von Talsperren an Auswirkungen

von Klimaveränderungen machen deutlich, dass Talsperren zwar vom Klima-

wandel selbst betroffen sind, aber dank ihrer vielfältigen Nutzungs- und Steue-

rungsmöglichkeiten und ihrer Robustheit zugleich ungünstigen Klimawandelef-

fekten in der Wasserwirtschaft effektiv entgegenwirken können.

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„Bemessung im Wasserbau“ 23

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5 Literatur

Dittrich & Partner (2001): Auswirkungen von Klimaänderungen auf die Bewirtschaftung

des Talsperrensystems Klingenberg, Lehnmühle, Wilde Weißeritz im Osterzgebirge

DWA (2014): DWA-Themen 2/2014 Anpassungstrategien für Stauanlagen an den

Klimawandel. Hrsg.: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und

Abfall e. V., Juni 2014

Enke, W., Spekat, F., Kreienkamp, F. (2006): Zwischenbericht Transiente Szenarien –

WEREX IV, Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie, April 2006

Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie (2016a): Grafik für Temperatur erstellt

unter Nutzung DWD-Daten und WEREX V-Ensemble-Berechnungen 2011

Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie (2016b): Grafik für Niederschlag

erstellt unter Nutzung DWD-Daten und WEREX V-Ensemble-Berechnungen 2011

Sieber, H.-U. (2014): Anpassungsstrategien für Stauanlagen an den Klimawandel. KW

Korrespondenz Wasserwirtschaft Heft 11/2014. Hrsg.: Deutsche Vereinigung für

Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.

Autor:

Dr.-Ing. Hans – Ulrich Sieber

Deutsches Talsperrenkomitee e. V.

Niedersedlitzer Platz 13

01259 Dresden

Tel.: +49 351 5007407

Fax: +49 351 2032026

E-Mail: [email protected]

Page 32: bemessung im wasserbau

≤≥

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Aus dem Inhalt:

// Hydrostatik// Grundlagen der Hydrodynamik// Rohr- und Gerinnehydraulik// Ab� uss aus Öffnungen, unter Schützen und an Überfällen// ausgewählte instationäre Strömungsvorgänge

von Gerhard Bollrich7., überarbeitete Au� age 2013.450 S. mit Falttafel. A5. Gebunden.58,00 EUR | ISBN 978-3-410-23481-4Lieferbar!

Beuth Wissen

Technische Hydromechanik 2Spezialfälle

Aus dem Inhalt:

// Plötzlich veränderliche Strömungen in offenen Gerinnen// Theorie der Wellenbewegung// Dichteströmungen// Geschiebe// Flüssigkeitsstrahlen// Druckrohrnetzberechnungen// Feststofftransport // Eis im Wasserbau

Herausgeber: Detlef Aigner, Dirk Carstensen2., vollständig überarbeitete Au� age 2014. ca. 384 S. A5. Gebunden.ca. 59,00 EUR | ISBN 978-3-410-22209-5Erscheint Mai 2014

Beuth Wissen

Technische Hydromechanik 3Aufgabensammlung

Aus dem Inhalt:

// über 80 Aufgaben und Lösungen// hydraulische Modellbildung// Anwendung von Berechnungsalgorithmen// analytische und gra� sche Lösungsverfahren

von Helmut Martin, Reinhard Pohl4., überarbeitete und erweiterte Au� age 2014. ca. 250 S. A5. Gebunden.ca. 28,00 EUR | ISBN 978-3-410-24130-0Erscheint April 2014

Beuth Wissen

Technische Hydromechanik 4Hydraulische und numerische Modelle

Aus dem Inhalt:

// Hydraulisches Versuchswesen// Gerinneströmung// Hydraulik der Wasserbehandlungsanlagen// Hydraulische Probleme// Rohrnetze

von Helmut Martin, Reinhard Pohl u. a.3., überarbeitete Au� age 2014.ca. 416 S. A5. Gebunden.ca. 68,00 EUR | ISBN 978-3-410-24172-0Erscheint Juni 2014

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken

auf die Bemessung von

Hochwasserrückhaltebecken (HRB)

Juliane Schulz

Matthias Kufeld

Georg Johann

Die Emschergenossenschaft konnte in den vergangenen Jahren einen signifikanten

Trend in der Zunahme von Starkregenereignissen feststellen sowie für die Stark-

regenintensitäten eine Tendenz zur Niederschlagserhöhung ausmachen. Um zu

untersuchen, ob sich diese Entwicklung auch auf den Hochwasserrückhalt mittels

HRB auswirkt, wurde eine Klimaeinwirkungsstudie für fünf maßgebende HRB im

Emschergebiet durchgeführt. Diese basiert auf einer fortgeschriebenen Zeitreihe

der Zuflüsse und betrachtet sowohl den technischen Ausbauzustand als auch den

Zustand nach ökologischer Verbesserung des Gewässeroberlaufes. Im Ergebnis

zeigt sich, dass sich der Bemessungszufluss auf Grundlage der heute vorliegenden

Zeitreihe gegenüber der Planung erhöht, die ökologische Verbesserung der Ge-

wässer jedoch zu einer Reduktion der Bemessungszuflüsse führt. Des Weiteren

wurde die Robustheit der HRB gegenüber Abflussänderungen analysiert. Als kri-

tische Abflussänderung erweist sich dabei neben der Verlängerung der Anlaufzeit

vor allem die Erhöhung des Spitzenzuflusses, also die Zunahme der Regenintensi-

täten. Bis zu welchem Grad eine Änderung der Starkregencharakteristiken tole-

riert werden kann, ist Ergebnis der einzelnen Untersuchungen der HRB.

Stichworte: Hochwassermerkmalsimulation, Hochwasserrückhaltebecken, Kli-

mawandel, Starkregen, Gewässerökologie

1 Einleitung

Schon seit einigen Jahren findet die Thematik des Starkregens auch im Zusam-

menhang mit dem Klimawandel zunehmend Eingang in fachliche Diskussionen

und Untersuchungen. Die Emschergenossenschaft hat in den vergangenen Jah-

ren bereits Studien zur Entwicklung des Niederschlagsgeschehens im Emscher-

gebiet durchgeführt. Als Ergebnis wurde ein signifikanter Trend in der Zunahme

von Starkregenereignissen festgestellt und es wird davon ausgegangen, dass sich

dieser Trend mit dem Klimawandel fortsetzen wird. Auch die Starkregenintensi-

täten zeigten in den relevanten Dauerstufen eine Tendenz zur Erhöhung (Pfister,

2016). Besonders Starkregenereignisse lösen im Emschergebiet, aufgrund des

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26

Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von

Hochwasserrückhaltebecken (HRB)

hohen Anteils versiegelter Flächen Hochwasserereignisse aus (Grün et al.,

2014).

Fragestellungen, die derzeit in Fachwelt und Öffentlichkeit zum Thema Starkre-

gen diskutiert werden, betrachten zumeist, ob Trends hinsichtlich der Starkre-

genentwicklung feststellbar sind und befassen sich mit den zukünftigen Ent-

wicklungen und Eigenschaften von Starkregenereignissen. Untersucht wird da-

bei, ob solche Ereignisse zukünftig häufiger auftreten und ob zunehmende Nie-

derschlagsintensitäten zu erwarten sind. Auch Möglichkeiten zur Vorsorge und

Risikominimierung finden Eingang in die Diskussion (Stemplewski et al., 2015).

Diese reichen wie beim Flusshochwasser von individuellen Präventions- und

Vorsorgemaßnahmen bis hin zu zentralen technischen Schutzmaßnahmen.

In diesem Zusammenhang noch wenig untersucht sind die Auswirkungen der

Starkregenereignisse auf bestehende Hochwasserschutzeinrichtungen sowie die

Dimensionierung dieser unter Berücksichtigung der Erkenntnisse zur zukünfti-

gen Niederschlagsentwicklung. Unter anderem HRB stellen dabei, vor allem in

urbanen Regionen, in denen durch die hohe Flächenversiegelung hohe Abfluss-

spitzen infolge von Starkniederschlägen zu erwarten sind, ein wichtiges Element

dar, um die Abflusswellen zu dämpfen. Die Bemessung der HRB erfolgte je-

doch oft schon vor vielen Jahren und ist selten auf die zukünftigen Nieder-

schlagsentwicklungen ausgelegt. Es stellt sich also die Frage, wie sich diese

Entwicklung auf den Hochwasserrückhalt mittels HRB im Emschereinzugsge-

biet auswirkt, die durch die urbane Ausprägung dieses Gebietes eine große Be-

deutung im Hochwasserschutz besitzen. Dabei wird auch das veränderte Ab-

flussregime durch die ökologische Verbesserrung der Fließgewässer im Em-

schergebiet berücksichtigt (Johann & Frings, 2016).

Um diese Frage zu beantworten, wurde die nachfolgend vorgestellte Klimaein-

wirkungsstudie für fünf maßgebende HRB im Emschereinzugsgebiet durchge-

führt. Ziel der Studie ist es zum einen den Einfluss von Starkregenereignissen

auf die Rückhaltewirkung und die Dimensionierung von HRB zu bestimmen.

Zum anderen werden mögliche Änderungen im Abflussgeschehen ermittelt und

die Auswirkungen dieser auf die Robustheit der HRB evaluiert.

2 Methodik

2.1 Datengrundlage

Die Datengrundlage der Klimaeinwirkungsstudie umfasst die hydrologisch mo-

dellierten Zuflussganglinien der fünf HRB Phoenixsee, Mengede, Bergmühle,

Hüller Bach und Landwehrbach im Emschergebiet für die Jahre 1950 bis 2015.

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„Bemessung im Wasserbau“ 27

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Damit sind im Vergleich zum Planungszeitpunkt der HRB erweiterte Zuflussda-

ten vorhanden. Die Ganglinien wurden aus Langzeitsimulationen mit NA-

Modellen generiert. Grundlage hierfür waren die aufbereiteten, lückenlosen

Niederschlags- und Klimazeitreihen der Emschergenossenschaft (Krüger &

Pfister, 2016).

Für die HRB Bergmühle, Hüller Bach, Mengede und Landwehrbach sind so-

wohl Ganglinien für den technischen Ausbauzustand als auch Ganglinien für

den Zustand bei ökologisch verbessertem Oberlauf vorhanden. Für das HRB

Phoenixsee ist nur der ökologisch verbesserte Zustand des Oberlaufes relevant.

2.2 Abgrenzung von anderen Klimastudien

Die Vorgehensweise der vorliegenden Klimaeinwirkungsstudie unterscheidet

sich von dem Vorgehen anderer Klimastudien. Üblicherweise bestimmen Kli-

mastudien ausgehend von Szenarien der zukünftigen Entwicklung der Emission

klimarelevanter Gase und von Klimamodellrechnungen aus den Ergebnissen

dieser abgeleitete Szenarien der Änderung des Niederschlagsgeschehens und

letztlich die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen. Diese Modellkette bewirkt

massive Unsicherheiten bezüglich der Ergebnisse und der Erkenntnisgewinn für

die Planung und Bewirtschaftung wasserwirtschaftlicher Anlagen ist oft gering.

Vorliegend wird das Vorgehen umgekehrt und zunächst untersucht, welche Än-

derungen des Abflussverhaltens Anpassungen bei Planung und Bewirtschaftung

notwendig machen. Aus dem Vergleich mit beobachteten Trends und genauer

werdenden Szenarienrechnungen wird konkreter Anpassungsbedarf identifiziert.

Abbildung 1: Arbeitsschritte und Methoden

Page 36: bemessung im wasserbau

28

Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von

Hochwasserrückhaltebecken (HRB)

Die verwendeten Methoden und die Abfolge der Arbeitsschritte sind in der

nachfolgenden Abbildung dargestellt. Dabei dienen die ersten beiden Schritte

(vgl. Abbildung 1) dazu, den Einfluss von Starkregenereignissen auf die Dimen-

sionierung von HRB zu ermitteln sowie die Entwicklung der Spitzenzuflüsse

herauszuarbeiten. Die Schritte 3 bis 5 thematisieren dagegen den Hochwasser-

rückhalt mittels HRB bei sich änderndem Niederschlagsgeschehen.

2.3 Angewendete Methoden

Im Rahmen der extremwertstatistischen Analyse wird zunächst untersucht, wel-

chen Einfluss die Berücksichtigung der vollständigen Zeitreihe auf die Bemes-

sungsgrößen (BHQ3, IGHR) hat. Die Analyse ermöglicht Aussagen über Wieder-

kehrintervalle und Unterschreitungswahrscheinlichkeiten gewählter Abflüsse

oder die Abschätzung der Intensität eines Abflussereignisses mit einem beliebi-

gen Wiederkehrintervall. Die Bemessungsgrößen der ursprünglichen Planung

und unter Berücksichtigung der vollständigen Zeitreihe werden verglichen.

Die sich anschließende Trendanalyse beinhaltet drei verschiedene Trendberech-

nungen. Ziel dieser ist es, Entwicklungen der Spitzenzuflüsse herauszuarbeiten,

die einen Einfluss auf die Bemessungsgrößen und somit auf die Dimensionie-

rung der HRB haben. Anwendung finden die Trendberechnungen der Dekaden-

auswertung und des Regressionsansatzes sowie die Einteilung des gesamten Be-

trachtungszeitraums in zwei gleichlange Zeitfenster und die getrennte Ermitt-

lung des Bemessungszuflusses BHQ3 dieser zwei Zeitfenster mittels extrem-

wertstatistischer Analyse.

Die weiteren Arbeitsschritte betrachten den Hochwasserrückhalt mittels HRB

bei sich änderndem Niederschlagsgeschehen. Bei der Speichernachrechnung er-

folgt die Anpassung ausgewählter Ganglinien an die aktualisierte Bemessungs-

größe BHQ3. Die Welle wird dabei linear auf das in Schritt 1 ermittelte BHQ3

skaliert, bevor anschließend die Stauraumfüllung bei einer Belastung des HRB

mit der so erstellten Welle berechnet wird. Ziel ist es, das Volumen des Rück-

halteraumes dahingehend zu prüfen, ob dieses auch für die Bemessungszuflüsse

auf Grundlage der vollständigen Zeitreihe ausreichend groß ist. Die lineare Ska-

lierung führt jedoch zu einer Überdimensionierung des Wellenvolumens. Daher

wird die Methode der Hochwassermerkmalsimulation herangezogen, um Hoch-

wasserganglinien zu generieren, die auf den Eigenschaften der beobachteten

Ganglinien beruhen und dadurch das Wellenspektrum der HRB besser abbilden.

Bei der Hochwassermerkmalsimulation handelt es sich um eine statistische Me-

thode zur Bestimmung extremer Hochwasserereignisse auf Grundlage gemesse-

ner Abflussdaten. Die gemessenen Abflusswellen werden dabei zunächst mithil-

fe von vier Parametern (Spitzenzufluss, Formfaktor der Wellenäste und Anlauf-

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 29

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zeit) anhand mathematischer Funktionen nachgebildet. Mithilfe der Verteilungs-

funktionen der ermittelten Parameter werden anschließend in einer Monte-

Carlo-Simulation beliebig viele Ganglinien generiert, auf deren Grundlage

schließlich eine Aussage zum Hochwasserschutzgrad möglich ist. So kann ge-

prüft werden, ob der Rückhalteraum auch für die Bemessungszuflüsse auf

Grundlage der vollständigen Zeitreihe ausreichend groß ist.

Die Ergebnisse der Merkmalsimulation werden als Basis für die Sensitivitäts-

analyse genutzt. Ziel dieser Analyse ist die Ermittlung des Ausbaugrades der

HRB für verschiedene Abflussänderungen. Hierzu werden die zuvor generierten

Wellenparameter nacheinander um ± 10 % und ± 20 % variiert. Die jeweils ver-

änderten Parameter werden abschließend wiederum als Eingangsdaten für eine

weitere Merkmalsimulation verwendet, in deren Anschluss der Ausbaugrad der

HRB unter Berücksichtigung der Abflussänderungen bestimmt wird.

3 Ergebnisse

3.1 Entwicklung der Spitzenzuflüsse und Einfluss auf die Dimensionierung

Extremwertstatistische Analyse

Die extremwertstatistische Analyse zeigt den Einfluss der Verlängerung der

Zeitreihe der jährlichen Spitzenzuflüsse von 1950 bis 2015 auf die Bemessungs-

größe BHQ3 der untersuchten HRB. Die Analyse wurde mit Ausnahme des HRB

Phoenixsee für alle HRB sowohl im technischen Ausbauzustand als auch im

ökologisch verbesserten Zustand durchgeführt. Die ermittelten Bemessungszu-

flüsse auf Grundlage der vollständigen Zeitreihe sowie der Bemessungszufluss

ursprünglicher Planung sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1 Ergebnis der extremwertstatistischen Analyse für die HRB im technischen

Ausbauzustand und im ökologisch verbesserten Zustand des Oberlaufs

Technischer Ausbauzustand

Ökol. verbesserter

Zustand

Planung

(BHQ3)

Auf Grundlage der

vollst. Zeitreihe

(BHQ3, vollst. ZR)

Auf Grundlage der

vollst. Zeitreihe

(BHQ3, vollst. ZR, Ö)

Phoenixsee 18,3 m³/s 19,4 m³/s

Mengede 123 m³/s 137 m³/s 107 m³/s

Landwehrbach - 39,4 m³/s 23,6 m³/s

Hüller Bach - 72,6 m³/s 42,1 m³/s

Bergmühle 53 m³/s 51,3 m³/s 45,5 m³/s

Page 38: bemessung im wasserbau

30

Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von

Hochwasserrückhaltebecken (HRB)

Es zeigte sich dabei, dass die Bemessungszuflüsse auf Grundlage der vollständi-

gen Zeitreihe mit Ausnahme des HRB Bergmühle größer sind als die Bemes-

sungszuflüsse, die im Rahmen der Planung der HRB ermittelt wurden. Für die

HRB Hüller Bach und Landwehrbach ist diesbezüglich keine Aussage möglich,

da hier die Bemessungszuflüsse nicht aus hydrologischen Langzeitsimulationen

stammen. Zudem ist ein Vergleich zwischen den Daten im technischen sowie

den Daten im ökologisch verbesserten Zustand möglich. Hierbei ist zu erkennen,

dass die Bemessungszuflüsse im ökologisch verbesserten Zustand immer gerin-

ger sind als die entsprechenden Zuflüsse im technischen Ausbauzustand.

Trendanalyse

Der Anstieg der Bemessungsgröße BHQ3 unter Berücksichtigung der vollstän-

digen Zeitreihe lässt zunächst einen Trend in der Entwicklung der Spitzenzu-

flüsse erwarten, der dazu führt, dass unter Einbeziehung der Spitzenzuflüsse

späterer Jahre das BHQ3 steigt. Allerdings lässt die Trendanalyse keine systema-

tische Entwicklung der Spitzenzuflüsse erkennen. Zwar besitzt die Trendgerade

nach dem Regressionsansatz meist eine steigende Tendenz, jedoch wird diese

durch die beiden anderen Trendberechnungen nicht bestätigt. Vielmehr zeigt

sich, dass der Verlauf der Trendgerade und die Höhe der Bemessungszuflüsse

der beiden Zeitfenster lediglich durch einzelne Ereignisse im Betrachtungszeit-

raum beeinflusst werden. Beispielhaft ist das Ergebnis der Trendanalyse für das

HRB Phoenixsee in Abbildung 2 dargestellt. Zu erkennen ist darin der schwan-

kende Verlauf der Dekadenmittelwerte sowie der deutlich sinkende Verlauf der

Trendgeraden für das zweite (gelbe) Zeitfenster, während der lineare Trend für

den gesamten Zeitraum steigend ist.

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nzu

flu

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m³/

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Jahr

Entwicklung des Spitzenzuflusses(1951 bis 2015)

Spitzenabflüsse, jährliche Serie Dekadenmittelwert Linear (gesamter Zeitraum)

Linear (Zeitfenster 1) Linear (Zeitfenster 2) Abbildung 2: Ergebnis der Trendberechnungen für das HRB Phoenixsee im ökologisch

verbesserten Zustand

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 31

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Zur Beurteilung einer systematischen Entwicklung, die eine Auswirkung auf die

Dimensionierung der HRB hat, ist daher weniger die Entwicklung aller Spitzen-

abflüsse einer jährlichen Serie als vielmehr die Entwicklung der Abflüsse ein-

zelner Extremereignisse zu betrachten. Hierzu sind sehr lange Zeitreihen als Da-

tengrundlage erforderlich, die hier nicht vorliegen.

3.2 Entwicklung der Schutzziele und Robustheit gegenüber Abflussände-

rungen

Hochwassermerkmalsimulation

In der Merkmalsimulationen, die auf der vollständigen Zeitreihe von 1950 bis

2015 beruht, wird ermittelt, wie oft und bei welchen Spitzenzuflüssen die Regel-

abgabe bei einer Belastung mit den 1.000 simulierten Wellen überschritten wird.

So kann eine Aussage zur Jährlichkeit getroffen werden, mit der die Regelabga-

be der HRB überschritten wird, und überprüft werden, ob der Rückhalteraum

auch für die BHQ3 basierend der vollständigen Zeitreihe ausreichend groß ist.

Sensitivitätsanalyse

Das mittels Hochwassermerkmalsimulation abgebildete Spektrum der Wellen-

formen der HRB-Zuflüsse ermöglicht Aussagen dazu, welche Wellenformen

eine hohe Belastung des Speicherraumes darstellen und welche Formen für die

Auslastung des Rückhalteraumes unkritischer sind.

-20% -10% 0% 10% 20% -20% -10% 0% 10% 20%

Ausbaugrad 80 28 13,6 8,5 5,34 Ausbaugrad 19 16,2 13,6 11,5 10,5

-20% -10% 0% 10% 20% -20% -10% 0% 10% 20%

Ausbaugrad 11,6 12,5 13,6 14,5 15,7 Ausbaugrad 13,1 13,2 13,6 13,6 13,8

Variation des Spitzenzuflusses Qs Variation der Anlaufzeit tA

Variation des Formfaktors man Variation des Formfaktors mab

-20% -10% 0% 10% 20%

Ausbaugrad 80 28 13,6 8,5 5,34

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Ausbaugrad 19 16,2 13,6 11,5 10,5

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Ausbaugrad 13,1 13,2 13,6 13,6 13,8

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Ausbaugrad 11,6 12,5 13,6 14,5 15,7

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Abbildung 3: Veränderung des Ausbaugrades (in Jahren) bei Variation der Wellenparame-

ter um ±10 % und ±20 %; HRB Bergmühle im technischen Ausbauzustand

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32

Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von

Hochwasserrückhaltebecken (HRB)

Die Sensitivitätsanalyse ermöglicht Aussagen dazu, welche Änderungen im Ab-

flussgeschehen welchen Einfluss auf den Ausbaugrad der HRB haben, um so die

Robustheit, den Bereich für den eine ausreichende Leistungsfähigkeit der HRB

vorliegt, zu bestimmen. Die Ergebnisse sind beispielhaft für das HRB Bergmüh-

le in Abbildung 2 und 3 dargestellt. Während im technischen Ausbauzustand

erst ab einer Verringerung des Spitzenzuflusses um 10 % der Zielausbaugrad

erreicht wird, wird dieser im ökologisch verbesserten Zustand bis zu einer Erhö-

hung um 20 % gehalten. Die Leistung des Beckens im ökologisch verbesserten

Zustand ist sehr robust.

-20% -10% 0% 10% 20% -20% -10% 0% 10% 20%

Ausbaugrad 250 125 45 28,5 18,6 Ausbaugrad 60 60 45 40 37

-20% -10% 0% 10% 20% -20% -10% 0% 10% 20%

Ausbaugrad 45 45 45 45 45 Ausbaugrad 42 45 45 52 55

Variation des Spitzenzuflusses Qs Variation der Anlaufzeit tA

Variation des Formfaktors man Variation des Formfaktors mab

-20% -10% 0% 10% 20%

Ausbaugrad 250 125 45 28,5 18,6

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Abbildung 4: Veränderung des Ausbaugrades (in Jahren) bei Variation der Wellenparame-

ter um ±10 % und ±20 %; HRB Bergmühle, ökologisch verbesserten Zustand

Aus der Analyse der Ergebnise für die fünf HRB ergeben sich die

nachfolgenden Erkenntnisse zur Auswirkung einer Abflussänderung auf den

Ausbaugrad. Der Spitzenzufluss hat im Vergleich aller vier Parameter den

größten Einfluss auf den Ausbaugrad, was an der großen Steigung der

Ergebniskurve erkannbar ist. Auch die Anlaufzeit hat einen erkennbaren

Einfluss auf den Ausbaugrad; dieser fällt jedoch nicht so hoch aus wie der

Einfluss des Spitzenzuflusses auf den Ausbaugrad. Den geringsten Einfluss

besitzen die Formfaktoren, wobei der Formfaktor mab mitunter zu erkennbaren

Unterschieden des Ausbaugrades führt, während der Formfaktor man meist nur

sehr geringe Anstiege bzw. Verringerungen des Ausbaugrades hervorruft.

Page 41: bemessung im wasserbau

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„Bemessung im Wasserbau“ 33

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Zusammenfassend ist festzuhalten:

1) Höhere Spitzenabflüsse sind ungünstiger als niedrige Spitzenabflüsse.

2) Lange Anlaufzeiten sind ungünstiger als kurze Anlaufzeiten.

3) Niedrige Formfaktoren sind ungünstiger als hohe Formfaktoren.

4 Zusammenfassung und Diskussion

Ziel der vorliegenden Studie ist es, den Einfluss veränderter Starkregencharakte-

ristika auf den Hochwasserrückhalt mittels HRB zu untersuchen. Hierzu wird in

mehreren Arbeitsschritten die Entwicklung der Spitzenzuflüsse und der Einfluss

auf die Dimensionierung untersucht sowie die Auswirkung von möglichen Ab-

flussänderungen infolge des Klimawandels analysiert.

Es ist nicht möglich, die genauen Auswirkungen des Klimawandels zu benennen

oder zu quantifizieren. Im Rahmen einer Hochwassermerkmalsimulation und

der darauf aufbauenden Sensitivitätsanalyse kann jedoch ein breites Spektrum

möglicher Abflussänderungen betrachtet und die jeweiligen Auswirkungen die-

ser Abflussänderungen auf den Hochwasserrückhalt unter Angabe des jeweili-

gen Ausbaugrades der HRB veranschaulicht werden. Einbezogen werden dabei

nicht nur Abflussänderungen infolge veränderter Starkregencharakteristiken,

sondern auch Änderungen, die sich aus der ökologischen Verbesserung des

Oberlaufes der HRB durch den Emscherumbau ergeben. Hierzu wird neben dem

technischen Ausbauzustand der HRB auch der Ausbaugrad bei einer ökologi-

schen Verbesserung des Oberlaufes betrachtet. Infolge der ökologischen Ver-

besserung ist dabei eine Änderung der Ganglinienformen auszumachen, bei der

es zu einer Verringerung des Spitzenzuflusses und zu einer Verbreiterung der

Ganglinie, das heißt zu einer längeren Dauer der Hochwasserwellen kommt. Das

Volumen der Welle bleibt infolge der ökologischen Verbesserung gleich.

Die durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass einige HRB eine hohe Robust-

heit gegenüber Abflussänderungen aufweisen. Anzuführen ist hier vor allem das

HRB Phoenixsee, das auch bei großen Änderungen des Abflussgeschehens noch

das vorgesehene Schutzziel erreicht. So beträgt der Ausbaugrad auch bei einer

20-prozentigen Erhöhung des Spitzenabflusses noch mehr als 100 Jahre. Die

anderen HRB besitzen dagegen eine geringere Robustheit gegenüber der Ände-

rung des Abflussgeschehens. Als kritisch hinsichtlich des Hochwasserrückhalts

haben sich im Rahmen der Sensitivitätsanalyse die Erhöhung des Spitzenzuflus-

ses, beispielsweise infolge zunehmender Niederschlagsintensitäten bei gleich-

bleibender Niederschlagsdauer, und eine Verlängerung der Anlaufzeit der

Page 42: bemessung im wasserbau

34

Einfluss veränderter Starkregencharakteristiken auf die Bemessung von

Hochwasserrückhaltebecken (HRB)

Hochwasserganglinien, beispielsweise infolge länger anhaltender Regenereig-

nisse hoher Intensität, herausgestellt. Vor allem die Erhöhung des Spitzenabflus-

ses, also die Zunahme der Regenintensitäten, ist dabei als kritischer Einflussfak-

tor auf die Performance der HRB festzuhalten.

Vor diesem Hintergrund ist der festgestellte Trend zur Zunahme der Häufigkeit

von Starkregenereignissen weiter zu beobachten. Es ist darüber hinaus zu prü-

fen, ob auch für die Starkregenintensitäten ein signifikanter Trend festzustellen

ist, der dazu führt, dass der Robustheitsbereich der Becken überschritten und

eine Anpassung der HRB erforderlich wird. In Hinblick auf die potentielle An-

passung der HRB sind zudem die Auswirkungen der ökologischen Verbesserung

des Oberlaufes auf die Ganglinienformen zu berücksichtigen, um eine optimale

Anpassung der Becken an die zu erwartenden Wellenformen zu gewährleisten.

5 Literatur

Pfister, A. (2016): Langjährige Entwicklung von Starkregen – Handlungsempfehlungen

für die Zukunft. In: Tagungsband Essener Tagung 2016, Essen, 2016

Grün, E.; Johann, G.; Pfister, A. (2014): Hochwassersicherheit im urbanen Raum. In:

Tagungsband Essener Tagung 2014, Essen, 2014

Johann, G.; Frings, H (2016): Hochwasserrisiko mindern und Ziele des Gewässer-

schutzes erreichen - geht das? Ein Praxisbeispiel: Die ökologische Verbesserung

des Gewässersystems der Emscher. In: 39. Dresdner Wasserbaukolloquium 2016

Gewässerentwicklung & Hochwasserrisikomanagement, Dresden, 2016

Stemplewski, J.; Johann, G.; Bender, P.; Grün, B. (2015): Das Projekt „Stark gegen

Starkregen“. In: KW Korrespondenz Wasserwirtschaft 2015 (8) Nr. 2

Krüger, A.; Pfister, A. (2016): Anwendung von Starkregenindex-Verfahren zur

Unterstützung der Risikokommunikation in der Emscher-Lippe-Region. In: KW

Korrespondenz Wasserwirtschaft 2016 (9) Nr. 7

Autoren:

Dipl.-Hydrologe Georg Johann

Emschergenossenschaft/Lippeverband

Geschäftsbereich Technische Services

Kronprinzenstraße 24

45128 Essen

Tel.: +49 201 104 22 49

E-Mail: [email protected]

Dr.-Ing. Mathias Kufeld

M. Sc. Juliane Schulz

Ingenieurgesellschaft Dr. Ing. Nacken mbH

Leonhardstraße 23-27

52064 Aachen

Tel.: +49 241 942 617 - 19

Fax: +49 241 942 617 - 28

E-Mail: [email protected]

[email protected]

Page 43: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter

instationären Bedingungen

Christoph Mudersbach

Jens Bender

Fabian Netzel

Ein wesentlicher Aspekt in der wasserwirtschaftlichen Bemessungspraxis ist die

Ermittlung von hydrologischen Bemessungsgrößen. Zur Festlegung dieser Be-

messungsgrößen bedient man sich häufig extremwertstatistischer Methoden. Die

klassischen Verfahren der Extremwertstatistik, welche sich auch in den einschlä-

gigen Regelwerken wiederfinden, setzen voraus, dass die Daten stationär sind, al-

so keine langfristigen zeitlichen Änderungen aufweisen. Es zeigt sich jedoch deut-

lich, dass hydrologische Zeitreihen zumeist kein stationäres Verhalten aufweisen.

Bei instationären hydrologischen Rahmenbedingungen ändern sich nicht nur die

hydrologischen Kenngrößen, sondern zugleich auch die Wahrscheinlichkeiten ext-

remer Ereignisse. In der wasserwirtschaftlichen Praxis besteht gegenwärtig eine

Lücke im systematischen Umgang mit sich ändernden Bemessungswerten. Für die

nachhaltige Bemessung von wasserwirtschaftlicher Infrastrukturen bedarf es so-

mit neuer Konzepte, die diesen Änderungen in den Zeitreihen Rechnung tragen.

Mit dem vorgestellten Bemessungsansatz liegt ein systematischer Ansatz zur Be-

messung von wasserwirtschaftlichen Infrastrukturanlagen bei instationären Be-

dingungen vor, bei dem die Bemessung auf der Vorgabe einer Bauwerkslebens-

dauer und einer Überschreitungswahrscheinlichkeit innerhalb dieser Bauwerksle-

bensdauer basiert.

Stichworte: Jährlichkeit, Bemessung, wasserwirtschaftliche Infrastruktur, Insta-

tionariät, Extremwertstatisik, Zeitreihen, Wahrscheinlichkeit, Kli-

mawandel

1 Einleitung

Ein wesentlicher Aspekt in der wasserwirtschaftlichen Bemessungspraxis ist die

Ermittlung von hydrologischen Bemessungsgrößen. Dies können Bemessungs-

regenereignisse, -abflüsse oder -wasserstände sein. Zur Festlegung der Bemes-

sungsgrößen bedient man sich i.d.R. extremwertstatistischer Methoden. Basie-

rend auf beobachteten oder modellierten Daten (z.B. Regen- oder Abflusszeit-

reihen) werden mittels Extremwertverteilungsfunktionen Quantile (z.B. 99%-

Quantil der Unterschreitungswahrscheinlichkeit) berechnet, die dann als Basis

für die Festlegung von Bemessungswerten (z.B. HQ100) verwendet werden kön-

Page 44: bemessung im wasserbau

36

Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter

instationären Bedingungen

nen. Die klassischen Verfahren der Extremwertstatistik setzen voraus, dass die

Daten stationär sind, also keine langfristigen zeitlichen Änderungen aufweisen

(vgl. Witt et al. 1998)

Es zeigt sich jedoch deutlich, dass hydrologische Zeitreihen kein stationäres

Verhalten aufweisen (vgl. Milly et al. 2008). Das IPCC (Field 2012) betont, dass

eine andauernde Erderwärmung die Häufigkeit, die Intensität und die räumliche

Verteilung von klimatischen Extremereignissen verändern wird. Es wurde durch

vielfältige Studien gezeigt, dass klimatische Extremereignisse in den letzten

Jahrzehnten zugenommen haben (Comou und Rahmstorf 2012, van den Bessel-

aar et al. 2012). In diesem Zusammenhang wird regelmäßig einerseits die Frage

nach der Signifikanz und andererseits nach der Ursache der Instationaritäten

(anthropogene Ursache vs. klimatische Änderungen) diskutiert (vgl. Obeysekera

und Salas 2016). Diese Fragen sind nach Meinung der Autoren berechtigt, je-

doch nicht Gegenstand der vorliegenden Veröffentlichung.

Es ist auffällig, dass derzeit in den einschlägigen Regelwerken zur methodischen

Ermittlung der Bemessungsereignisse noch keine instationären Ansätze imple-

mentiert sind (z.B. DWA 2012a, 2012b). In der wasserwirtschaftlichen Praxis

besteht somit gegenwärtig eine Lücke im systematischen Umgang mit sich än-

dernden Bemessungswerten.

Für die nachhaltige Bemessung wasserwirtschaftlicher Infrastrukturen bedarf es

somit neuer Konzepte, die diesen Änderungen in den Zeitreihen Rechnung tra-

gen. Hierzu gibt es einige Publikationen mit Ansätzen, die das Konzept der Jähr-

lichkeit auf den instationären Fall übertragen.

Für eine ausführlichere Version dieser Veröffentlichung wird verwiesen auf

Mudersbach und Bender (2017).

2 Stationäre und instationäre Bemessungsansätze

Das Konzept der Jährlichkeit T basiert auf der Annahme, dass die Wahrschein-

lichkeit für das Auftreten eines Ereignisses z in jedem Jahr gleich ist und zudem

voneinander unabhängig. Die Wahrscheinlichkeit 𝑝𝑒 (engl.: exceedance proba-

bility) für das Auftreten bzw. die Überschreitung des Ereignisses z (z.B. Ab-

fluss) in einem Jahr ergibt sich dann aus

𝑝𝑒 =1

𝑇

(1)

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 37

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Der zugehörige Abflusswert kann aus der Quantilfunktion der verwendeten Ext-

remwertverteilung (z.B. Verallgemeinerte Extremwertverteilung (GEV) oder

Verallgemeinerte Pareto Verteilung (GPD)) berechnet werden. Aus der Annah-

me der Stationarität und der Unabhängigkeit der Ereignisse kann nun in einem

weiteren Schritt mittels der Binomialverteilung das sogenannte hydrologische

Risiko für das Auftreten eines Ereignisses Z innerhalb einer Zeitspanne n be-

rechnet werden. Für eine wasserwirtschaftliche Anlage ist in der Regel die Frage

von Bedeutung, wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass ein Ereignis Z

innerhalb einer Zeitspanne von n Jahren keinmal (k = 0) eintritt. Es gilt zu-

nächst:

𝑝𝑘=0 = (1 − 𝑝𝑒)𝑛 (2)

woraus beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für das Nicht-Auftreten eines

100-jährlichen Ereignisses (𝑧100) innerhalb einer Zeitspanne von n = 100 Jahren

berechnet werden kann zu:

𝑝𝑘=0 = (1 − 𝑝𝑒)𝑛 = (1 − 0,01)100 = 0,366 (3)

Das komplementäre Ereignis, welches zugleich der Überschreitungswahrschein-

lichkeit für die Zeitspanne n entspricht und als hydrologisches Risiko bezeichnet

wird, ergibt sich dann zu:

𝑝𝑘≥1 = 1 − 𝑝𝑘=0 = 1 − (1 − 𝑝𝑒)𝑛 = 0,634 (4)

Für die Bemessung von wasserwirtschaftlichen Anlagen kann nun als Zeitspan-

ne n zweckmäßigerweise die geplante Lebensdauer N des Bauwerkes angesetzt

werden. Der Zusammenhang zwischen der Lebensdauer N und der Überschrei-

tungswahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses ist in Abbildung 1 am

Beispiel von drei Ereignissen mit den Jährlichkeiten T = 50 a, 100 a, 200 a dar-

gestellt. Für die Überschreitungswahrscheinlichkeiten innerhalb der Lebensdau-

er N wird hier die Bezeichnung EPN (engl. exceedance probability N) einge-

führt. Aus der Grafik ist ein elementarer Zusammenhang für den Fall zu erken-

nen, dass die Jährlichkeit des Ereignisses gleich der Lebensdauer des Bauwerkes

(T = N) ist. Für diesen Fall ergibt sich jeweils eine EPN von:

𝐸𝑃𝑁 = 0,634 = 63,4% (5)

Page 46: bemessung im wasserbau

38

Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter

instationären Bedingungen

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Lebensdauer N und Überschreitungswahrschein-

lichkeit EPN eines Ereignisses mit vorgegebener Jährlichkeit T auf Basis der

Binomialverteilung.

Bei instationären Bedingungen ist die Überschreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒 ei-

nes Ereignisses 𝑧𝑇 über die Zeit nicht konstant, sondern ändert sich. Liegt bei-

spielsweise in der zu untersuchenden Zeitreihe ein ansteigender Trend vor, so

steigt auch die Überschreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒 stetig an bzw. die Unter-

schreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑛𝑒 sinkt kontinuierlich. Insofern muss eine zeit-

liche Entwicklung von 𝑝𝑒 und 𝑝𝑛𝑒 berücksichtigt werden, indem für jedes Jahr i

entsprechende Werte 𝑝𝑒,𝑖 und 𝑝𝑛𝑒,𝑖 berechnet werden. Das EPN-Konzept kann

konsequent auf den instationären Fall erweitert werden, wobei die Betrachtun-

gen immer von einem Referenzjahr (z.B. aktuelles Jahr; Index 0) und von einem

Planungshorizont (= Referenzjahr + Lebensdauer N; Index N) ausgehen. Als

Beispiel ist ein bestimmter Abfluss Q gegeben, der zum Referenzjahr eine Jähr-

lichkeit von T = 100 a aufweist. Damit erhält dieser Abfluss die Bezeichnung

𝑧100,0 mit der zugehörigen Überschreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒,0 =

0,011

𝑎 (𝑇0 = 100 𝑎) im Referenzjahr. Unter der Annahme eines ansteigenden

Trends in der Zeitreihe nimmt auch die Überschreitungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒,𝑖

bis zum Planungshorizont stetig zu, bis dass ein Wert von 𝑝𝑒,𝑁 erreicht ist.

Ausgehend von Gleichung (4) kann die EPN für den stationären Fall auch ge-

schrieben werden als

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𝐸𝑃𝑁 = 1 − (1 − 𝑝𝑒)𝑁 = 1 − ∏(1 − 𝑝𝑒)

𝑁

𝑖=1

(6)

Für den instationären Fall gilt somit analog

𝐸𝑃𝑁 = 1 − ∏(1 − 𝑝𝑒,𝑖)

𝑁

𝑖=1

(7)

Unter der Annahme, dass im stationären Fall bei einer Bauwerkslebensdauer

von N = 100 Jahren eine EPN von 63,4% als ein ausreichendes Sicherheitsni-

veau für die zu planende wasserwirtschaftliche Anlage angesehen wird, kann

nun im instationären Fall basierend auf Gleichung (7) diejenige Überschrei-

tungswahrscheinlichkeit 𝑝𝑒,0 für das Referenzjahr numerisch ermittelt werden,

für welche sich auch im instationären Fall eine EPN von 63,4% ergibt. Die

Überschreitungswahrscheinlichkeit für das Referenzjahr 𝑝𝑒,0 ist im instationären

Fall somit der für die Bemessung gesuchte relevante Parameter, weshalb für die-

sen Parameter die Bezeichnung DEP (engl.: design exceedance probability) ein-

geführt wird. Für die Jährlichkeit im Referenzjahr wird die Bezeichnung DRP

(engl.: design return period) verwendet, wobei gilt

𝐷𝑅𝑃 =1

𝐷𝐸𝑃

(8)

Mit der konsequenten Erweiterung des EPN-Konzeptes auf den instationären

Fall liegt somit ein systematischer Ansatz zur Bemessung von wasserwirtschaft-

lichen Infrastrukturanlagen bei instationären Bedingungen vor. Die eigentliche

Bemessung basiert dabei im Gegensatz zum stationären Fall nicht auf der allei-

nigen Vorgabe eines Sicherheitsniveaus in Form einer Jährlichkeit T, sondern

auf der Vorgabe einer EPN und einer Bauwerkslebensdauer N. Der beschriebene

Bemessungsansatz wurde von Rootzén und Katz (2013) mit der Bezeichnung

Design Life Level (DLL) erstmalig publiziert. In der vorliegenden Arbeit wird

ergänzend zu Rootzén und Katz (2013) der Schwerpunkt der Bemessung auf die

Bestimmung der maßgebenden Überschreitungswahrscheinlichkeit für das Refe-

renzjahr (DEP) gelegt.

Eine wesentliche Grundlage für die Anwendung des instationären Bemessungs-

ansatzes bildet die Berechnung der zeitabhängigen Veränderungen der Über-

schreitungswahrscheinlichkeiten 𝑝𝑒,𝑖. Diese können über die Methoden der in-

stationären Extremwertstatistik berechnet werden, deren Grundlagen an dieser

Page 48: bemessung im wasserbau

40

Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter

instationären Bedingungen

Stelle nicht weiter ausgeführt werden und stattdessen auf weiterführende Litera-

tur verwiesen wird (z.B. Coles 2001, AghaKouchak et al. 2013). Im sich an-

schließenden Beispiel finden Ergebnisse einer instationären Extremwertstatistik

Anwendung.

3 Beispielauswertung am Pegel Köln

Der in Abschnitt 2 beschriebene instationäre Bemessungsansatz wird am Bei-

spiel der Abflusszeitreihe des Pegels Köln (Rhein) angewendet. Als Ausgangs-

daten standen die Abflussdaten als Tagesmittelwerte vom 01.11.1900 bis zum

31.10.2013 zur Verfügung, welche von der Bundesanstalt für Gewässerkunde

(bfg) bereitgestellt wurden. Aus den Daten wurde zunächst basierend auf hydro-

logischen Jahren die Zeitreihe der Jahreshöchstwerte (AMAX) ermittelt. Die

Zeitreihe weist einen linearen Trend von 𝑠 = 10,3𝑚3

𝑠⋅𝑎± 5,3

𝑚3

𝑠⋅𝑎 auf, was unter

Zugrundelegung des 1𝜎-Bereiches einen signifikanten Trend darstellt.

Auf Basis der AMAX-Zeitreihe wurde eine instationäre extremwertstatistische

Analyse durchgeführt, indem die Verallgemeinerte Extremwertverteilung (engl.:

generalized extreme value distribution, GEV) mit zeitabhängigen Parametern an

die Daten angepasst wurde. Die allgemeine Form der instationären GEV lautet

(Coles 2001):

𝐺𝐸𝑉(𝑥, 𝑡) = 𝑒𝑥𝑝 [− (1 − 𝑘(𝑡) ⋅𝑥 − 𝑎(𝑡)

𝑏(𝑡))

−1

𝑘(𝑡)

] (9)

wobei 𝑥 der entsprechende Merkmalswert ist und 𝑎(𝑡), 𝑏(𝑡), 𝑘(𝑡) die zeitab-

hängigen Parameter der Verteilungsfunktion (Lage-, Streuungs- und Krüm-

mungsparameter) sind. Im vorliegenden Fall wurde nur für den Lageparameter

ein lineares Zeitmodell der Form 𝑎(𝑡) = 𝑎1𝑡 + 𝑎2 verwendet und die Parame-

ter 𝑎1 und 𝑎2 über ein gleitendes Zeitfenstermodell mit einer Fensterlänge von

30 Jahren mittels der L-Momente (Mudersbach 2009) geschätzt. Der Streuungs-

und Krümmungsparameter wurden als konstant angesetzt; dieses Modell wird

allgemein mit der Bezeichnung GEV(1.0.0) versehen, wobei die 1 für ein linea-

res Zeitmodell und die 0 für ein zeitunabhängiges Modell steht.

Mittels Gleichung (7) kann nun die EPN für jedes Hochwasserereignis mit der

Jährlichkeit 𝑇0 im Referenzjahr berechnet werden (Abbildung 2). Beispielsweise

ergibt sich für das Hochwasserereignis von 𝑧100,0 = 11.351 𝑚³/𝑠, was im Re-

ferenzjahr eine Jährlichkeit von 𝑇0 = 100 𝑎 hat, für eine angenommene Lebens-

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„Bemessung im Wasserbau“ 41

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dauer eines Hochwasserschutzbauwerks (z.B. Deich) von 100 Jahren eine EPN

von 87,2 %. Dies liegt deutlich über der EPN im stationären Fall von 63,4 %.

Anhand der markierten Referenzlinie von 63,4 % kann abgelesen werden, dass

bei den vorliegenden instationären Bedingungen am Pegel Köln ein Hochwas-

serereignis mit einer Jährlichkeit zwischen 𝑇0 = 200 𝑎 und 𝑇0 = 500 𝑎 im Re-

ferenzjahr (DRP) gewählt werden muss, um das gleiche Sicherheitsniveau wie

im stationären Fall gewährleisten zu können.

Um diese Angabe weiter im Detail betrachten zu können, werden wiederum mit-

tels Gleichung (7) die EPN für eine Lebensdauer von N = 100 a am Pegel Köln

für die Jährlichkeiten 𝑇0 = (10, 20, 30, 40, … ,1000) 𝑎 berechnet. Hieraus ergibt

sich eine benötigte Jährlichkeit im Referenzjahr von 𝐷𝑅𝑃 = 230 𝑎. Damit lässt

sich die Bemessungsaufgabe für das behandelte Beispiel wie folgt zusammen-

fassen: Bei einer vorgegebenen Bauwerkslebensdauer von N = 100 a und einem

gewählten Sicherheitsniveau (EPN) von 63,4 % muss bei gegebenen instationä-

ren Bedingungen am Pegel Köln eine Jährlichkeit im Referenzjahr von 𝐷𝑅𝑃 =

230 𝑎 (𝐷𝐸𝑃 = 4,3 ⋅10−3

𝑎) gewählt werden.

Abbildung 2: Entwicklung der EPN am Pegel Köln für definierte Jährlichkeiten (Referenz-

jahr 2013) bei instationären Bedingungen

Page 50: bemessung im wasserbau

42

Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter

instationären Bedingungen

4 Zusammenfassung und Fazit

Für die nachhaltige Bemessung von wasserwirtschaftlichen Infrastrukturen unter

instationären Bedingungen bedarf es neuer Konzepte, die diesen Änderungen in

den Zeitreihen Rechnung tragen. Ein geeignetes Konzept basiert auf dem soge-

nannten hydrologischen Risiko, welches die Wahrscheinlichkeit dafür angibt,

dass innerhalb der Bauwerkslebensdauer ein bestimmtes Ereignis überschritten

wird. Diese Wahrscheinlichkeit lässt sich mittels der Binomialverteilung be-

rechnen und auch auf instationäre Bedingungen übertragen. Die eigentliche Be-

messung basiert dabei im Gegensatz zum stationären Fall nicht auf der alleini-

gen Vorgabe eines Sicherheitsniveaus in Form einer Jährlichkeit T, sondern auf

der Vorgabe einer Bauwerkslebensdauer (N) und einer Überschreitungswahr-

scheinlichkeit (EPN) innerhalb dieser Bauwerkslebensdauer.

Grundsätzlich sei angemerkt, dass eine wesentliche Grundlage zur Anwendung

der hier vorgestellten Methodik die vorherige instationäre extremwertstatistische

Analyse der zugrunde liegenden Daten darstellt (vgl. Abschnitt 2). Für die An-

wendung solcher instationärer Extremwertmethoden gibt es derzeit noch keine

einheitlichen Empfehlungen, weshalb eine detaillierte Prüfung der zur Verfü-

gung stehenden mathematischen Modelle unerlässlich ist. Für eine kritische

Diskussion zu dieser Thematik wird verwiesen auf Serinaldi und Kilsby (2015).

Auch im betrachteten Beispiel ist das Ergebnis abhängig von den gewählten

Zeitmodellen für die Parameter der Verteilungsfunktion und deren Extrapolation

in die Zukunft, was jeweils kritisch hinterfragte werden sollte. Grundsätzlich

kann aber festgehalten werden, dass die Extrapolation von (Verteilungs-

)Parametern in einem instationären Klima unerlässlich ist. Es ist weiterhin un-

wahrscheinlich, dass sich zukünftige Änderungen streng linear verhalten wer-

den, allerdings birgt die Anwendung nicht-linearer Funktionen für eine Extrapo-

lation häufig noch größere Unsicherheiten. Daher können lineare Funktionen

durchaus als geeignete Modelle für die Beschreibung langfristiger Änderungen

angesehen werden (AghaKouchak et al. 2013).

Der hier beschriebene instationäre Bemessungsansatz stellt eine systematische

Methode zum Umgang mit instationären Zeitreihen dar und ermöglicht daher

eine objektivere Ermittlung der benötigten Bemessungswerte unter instationären

Bedingungen.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 43

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5 Literatur

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Dordrecht Heidelberg New York London (Water Science and Technology Library,

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Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall.

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Milly, P.C.D., Betancourt, J., Falkenmark, M., Hirsch, R., Kundzewicz, Z.W.,

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Mudersbach, C., Bender, J. (2017): Ein Bemessungsansatz für wasserwirtschaftliche

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Obeysekera, J., Salas, J.D. (2016): Frequency of Recurrent Extremes under

Nonstationarity. In: J. Hydrol. Eng. 21 (5), S. 04016005. DOI:

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Review E 58 (2), S. 1800–1810.

Page 52: bemessung im wasserbau

44

Bemessung von wasserbaulichen Anlagen unter

instationären Bedingungen

Prof. Dr.-Ing. Christoph Mudersbach

Fabian Netzel, M.Sc.

Hochschule Bochum

Lehrgebiet Wasserbau & Hydromechanik

Lennershofstr. 140

44801 Bochum

Tel.: +49 234 3210249

E-Mail:

[email protected]

Dr.-Ing. Jens Bender

wbu consulting Ingenieurgesellschaft mbH

Schelderberg 16a

57072 Siegen

Tel.: +49 271 31342968

E-Mail: [email protected]

Page 53: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017 „Bemessung im Wasserbau -

Klimaanpassung, Untersuchungen, Regeln, Planung, Ausführung“

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Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Unter-

suchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen:

Vergleich des gebäudetypologischen Ansatzes mit

dem flächennutzungsbezogenen Ansatz

Carlos Rubín

Johannes Nikolowski

Karen Riedel

Stephan Gerber

Vor dem Bau neuer Hochwasserschutzanlagen ist deren Wirtschaftlichkeit zu prü-

fen. Im Zuge der Planung technischer Hochwasserschutzmaßnahmen an Fließge-

wässern sind daher Nutzen-Kosten-Untersuchungen durchzuführen. Der durch die

Hochwasserschutzmaßnahmen verhinderte Schaden (= Nutzen) wird den Kosten

der Maßnahmen gegenübergestellt. Zur Ermittlung dieser Hochwasserschäden in

den überfluteten Flächen werden zwei unterschiedliche methodische Ansätze

verwendet: Im flächennutzungsbezogenen Ansatz sind die überfluteten Flächen

nach ihrer Nutzungsart zu klassifizieren. Die Hochwasserschäden werden mittels

nutzungsspezifischer Schadensfunktionen und Vermögenswerten berechnet.

Demgegenüber werden im gebäudetypologischen Ansatz die Gebäude im Unter-

suchungsgebiet aufgenommen, nach speziellen Kriterien klassifiziert und jeweils

einem repräsentativen Gebäudetyp zugeordnet. Die Gebäude-Repräsentanten wer-

den anschließend einer synthetischen, stufenweisen Flutung unterzogen. Aus den

zugehörigen Wiederherstellungskosten werden Wasserstand-Schaden-Beziehun-

gen entwickelt. Beide Ansätze werden in Planungen verwendet: Je nach Lage (ur-

ban oder ländlich), Baustruktur, Gebäudebestand und Größe des Untersuchungs-

gebietes kann der flächennutzungsbezogene, der gebäudetypologische Ansatz o-

der auch eine Kombination beider Ansätze verwendet werden, um mit belastbaren

Schadensprognosen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen.

Stichworte: Hochwasserschäden, Schadenserwartungswerte, Nutzen-Kosten-

Untersuchungen, flächennutzungsbezogener Ansatz, gebäudety-

pologischer Ansatz

1 Einleitung

Als Konsequenz aus den hohen Schäden, die das Augusthochwasser 2002 verur-

sacht hatte, beschloss das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Land-

wirtschaft (SMUL), den Wiederaufbau der wasserwirtschaftlichen Infrastruktu-

ren und die Schaffung geeigneter Hochwasserschutzmaßnahmen auf der Grund-

lage eines landesweiten Gesamtkonzeptes zu organisieren (SMUL 2005). Dazu

Page 54: bemessung im wasserbau

46

Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich

des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz

wurde die Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen (LTV) mit der

Erarbeitung von insgesamt 47 Hochwasserschutzkonzepten (HWSK) (Socher et

al. 2006) beauftragt, die zwischen März 2003 und März 2005 erstellt wurden.

Die darin erarbeiteten Maßnahmenvorschläge wurden und werden seither umge-

setzt. Im Zuge der konkreten Umsetzung sind die in den HWSK durchgeführten

Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen mittels projektbezogener Nutzen-Kosten-

Untersuchungen (NKU) zu konkretisieren bzw. zu aktualisieren. Diese NKU,

die dem Nachweis der wirtschaftlichen Effizienz der umzusetzenden techni-

schen Hochwasserschutzmaßnahmen dienen, vergleichen den zu erwartenden

Nutzen der Maßnahmen bzw. von Maßnahmenkombinationen mit ihren geplan-

ten Kosten. Auf der Kostenseite werden die Investitionskosten, die laufenden

Unterhaltungs- und Betriebskosten sowie die Reinvestitionskosten einzelner An-

lagenteile erfasst und nach den Vorgaben der Leitlinien zur Durchführung dy-

namischer Kostenvergleichsrechnungen (KVR-Leitlinien) (DWA 2012a) in

Barwerte umgerechnet. Für den Nutzen wird analog verfahren: Der jährliche

Nutzen der Hochwasserschutzmaßnahmen, welcher sich aus den Schadenser-

wartungswerten ableitet, wird ebenfalls in einen Barwert umgerechnet.

2 Methoden zur Bestimmung des Nutzens

2.1 Grundlagen der Methoden

Die Ermittlung des Nutzens technischer Hochwasserschutzmaßnahmen basiert

auf dem Vergleich des Zustandes ohne (die neu geplanten) Hochwasserschutz-

maßnahmen (Istzustand) mit dem Zustand nach Umsetzung der Hochwasser-

schutzmaßnahmen (Planungszustand).

Da Hochwasserereignisse stochastischer Natur sind, werden die Schäden als so-

genannte Erwartungswerte in der Einheit [Euro je Jahr] durch „Integration“ der

Schadenswahrscheinlichkeitsfunktion angegeben (siehe Abbildungen 1 und 2).

Die Schadensberechnung erfolgt für jedes betroffene Objekt im Ist- und im Pla-

nungszustand für maßgebende Stützstellen der Schadenswahrscheinlichkeits-

funktion, beginnend beim Schadensbeginn über charakteristische Hochwasser-

jährlichkeiten bis zum HQextrem. Die Differenz der beiden Flächen stellt den er-

warteten Nutzen des Vorhabens dar (siehe auch DVWK 1985, BWK 2001 und

DWA 2008).

Die Schäden für jede Hochwasserjährlichkeit werden auf der Grundlage der

Hochwasserbelastung an einem Objekt berechnet. Dieses Objekt kann z.B. eine

Fläche, ein Gebäude oder ein anderer Vermögensgegenstand sein. Die Höhe des

Schadens wird in der Regel durch den Wasserstand quantifiziert. Der Wasser-

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 47

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stand wird mittels ein- oder zweidimensionaler hydraulischer Modelle ermittelt.

Basis dieser Modelle sind detaillierte Vermessungen des Gewässerschlauches,

der Bauwerke sowie ein gutes digitales Geländemodell des Vorlandes. Die hyd-

rologischen Eingangsgrößen der hydraulischen Modelle werden z.B. als Ab-

flusswerte an definierten Querschnitten oder instationäre Zuflussganglinien be-

reitgestellt.

Abbildung 1: Schadenserwartungswert im Istzustand ohne Hochwasserschutzmaßnahme

Abbildung 2: Schadenserwartungswert im Planungszustand mit Hochwasserschutzmaß-

nahme (Beispiel Schutzziel HQ50)

Die Umrechnung des Wasserstandes am Objekt in einen Hochwasserschaden

geschieht über sog. Schadensfunktionen, die den Zusammenhang zwischen

Page 56: bemessung im wasserbau

48

Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich

des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz

Hochwasserschaden und Einstauhöhe beschreiben und dabei unterschiedliche

Schadensarten berücksichtigen, z.B. Substanzschäden an den Gebäuden, Vor-

rats- und Inventarschäden oder Schäden an Infrastruktureinrichtungen. Zur De-

finition und Anwendung der Schadensfunktionen werden verschiedene Mög-

lichkeiten und Bezüge verwendet: Die Höhe des Schadens kann als ein absoluter

Schaden je Objekt, als ein relativer Schaden je Flächeneinheit oder als Scha-

densgrad betrachtet werden. Bezugsobjekte können Flächen (Gebäudeflächen,

Grundstücks- oder Nutzungsflächen) oder Punkte (Einzelobjekte) sein. Im Zuge

der anfangs erwähnten Nutzen-Kosten-Untersuchungen werden unter anderem

in Sachsen zwei unterschiedliche Ansätze verwendet:

die flächennutzungsbezogene Abschätzung der Hochwasserschäden mit

nutzungsspezifischen Vermögenswerten und

die objektspezifische Ermittlung der Schäden nach dem gebäudetypologi-

schen Ansatz.

Neben diesen beiden Ansätzen, die in den nachfolgenden Abschnitten beschrie-

ben und verglichen werden, gibt es weitere Ansätze: In Thüringen und Baden-

Württemberg werden landesweite Schadensabschätzungen auf der Grundlage

der Gebäudeumrisse aus der Automatisierten Liegenschaftskarte (ALK) mit nut-

zungsspezifischen Vermögenswerten durchgeführt. Eine weitere Methodik, die

aus der Verletzbarkeit der Gebäude und der Überflutungshöhe Schadensgrade

ableitet, wurde von Maiwald und Schwarz 2012 beschrieben.

2.2 Flächennutzungsbezogener Ansatz

Im flächennutzungsbezogenen Ansatz werden die überfluteten Flächennutzun-

gen ihrer Nutzungsart entsprechend klassifiziert und mit nutzungsspezifischen

Schadensfunktionen in Abhängigkeit des Wasserstandes - ggf. unter Berücksich-

tigung der Fließgeschwindigkeiten - Schädigungsgrade ermittelt. Diese Schädi-

gungsgrade werden auf der Grundlage definierter nutzungsspezifischer Vermö-

genswerte in absolute Schäden umgerechnet und aufsummiert.

Die Grundlage dieser Methodik wurde im Rheinatlas der IKSR 2001 entwickelt

und für die HWSK sowie die Gefahrenhinweiskarten (GHK) (LfUG 2005) des

Freistaates Sachsen teilweise angepasst und wiederverwendet. Dieser Ansatz

wurde also für großräumige Untersuchungsgebiete verwendet, ermöglicht je-

doch auch auf Projektebene eine erste Einschätzung des vorhandenen Scha-

denspotenzials. Die Vermögenswerte werden aus der Gegenüberstellung des

Nettoanlagevermögens in Sachsen mit den entsprechenden landesweiten Flä-

chen ermittelt und bei Bedarf fortgeschrieben.

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Die Flächennutzungsinformationen werden der ALK entnommen und entspre-

chend einem festgelegten Schema nach Nutzungsklassen typisiert (siehe nach-

folgende Tabelle 1). Für jede dieser Nutzungsklassen liegen z. T. differenziert

nach immobilen und mobilen Werten sowie für flache und steile Gewässer

Schadensfunktionen vor. Für steile Gewässer wurden Schadensfunktionen in

Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Wasser und Geologie der Schweiz

entwickelt, bei denen nicht der Wasserstand, sondern der spezifische Abfluss

(Wasserstand × Fließgeschwindigkeit) relevant ist.

Tabelle 1 Typisierung der ALK-Nutzungen zu Nutzungsklassen

Nutzungs-

klasse

Nutzungsart ALK-Schlüssel

1 Siedlungsflächen 1300, 1400, 1800, 1990 anteilig

2 Gewerbeflächen 1700, 1990 anteilig

3 Verkehrsflächen 5100 bis 5500

4 landwirtschaftliche Nutzflächen 6100

5 Grünland 6200

6 Gartenland 6300

7 Forst 7100, 7200, 7300

8 sonstige Grünanlagen 4270, 4290

Die Schadensfunktionen weisen jeder betroffenen ALK-Fläche einen Schädi-

gungsgrad zu, der, multipliziert mit dem Vermögenswert dieser Fläche, einen

absoluten Schaden ergibt.

2.3 Gebäudetypologischer Ansatz

Der nachfolgend dargestellte Ansatz findet sich in zahlreichen Publikationen

wieder (etwa Naumann et al. 2015 und Weller et al. 2016) und zielt auf die Zu-

ordnung von Einzelgebäuden zu einer Gebäudetypologie (Baualtersstufe und

Baustruktur). Basierend auf der Gebäudetypologie eines definierten Untersu-

chungsgebietes werden für jeden quantitativ relevanten Gebäudetyp spezifische

Schadensfunktionen entwickelt bzw. bestehende Schadensfunktionen übertra-

gen.

Für die Entwicklung der Schadensfunktionen bildet eine detaillierte baukon-

struktive und nutzungsspezifische Analyse charakteristischer Repräsentanten die

Grundlage. Darauf aufbauend werden Überflutungsstufen definiert, für die eine

genaue Schadensabschätzung erfolgt. Auf der Grundlage einer exemplarisch ge-

nauen Mengenermittlung entstehen Leistungsverzeichnisse, welche die notwen-

digen Instandsetzungsleistungen für jede Überflutungsstufe nachvollziehbar

gliedern und durch einheitliche Kostenansätze bewerten.

Page 58: bemessung im wasserbau

50

Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich

des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz

Mit Hilfe der Leistungsverzeichnisse werden die Kosten zur Wiederherstellung

ermittelt. Aus den absoluten Kosten werden anschließend die jeweils auf die

Grundfläche des Gebäudes (GGF) bezogenen relativen Kosten bestimmt. Der

Bezug zur Grundfläche gewährleistet die Vergleichbarkeit der Sanierungskos-

ten, da diese bei der Flächenidentifizierung durch Luftbilder und digitale Karten

eine schnelle und einfach zu ermittelnde Gebäudekenngröße darstellen. Als ein

wesentliches Ergebnis entstehen Schadensfunktionen für ausgewählte Repräsen-

tanten der jeweils relevanten Gebäudetypen im Untersuchungsgebiet.

Für zahlreiche Gebäudetypen liegen nach und nach aus bereits durchgeführten

Untersuchungen Schadensfunktionen vor, welche bei Übereinstimmung mit den

in einem Gebiet dokumentierten Gebäudetypen angepasst bzw. übertragen wer-

den können. In Einzelfällen wird eine Ergänzung des Datenbestandes an Scha-

densfunktionen nach dem zuvor beschriebenen Verfahren notwendig.

Abbildung 3: Synthetische Schadensfunktionen für verschiedene Gebäudetypen (Naumann

et al. 2009)

In einer speziellen Untersuchung im Stadtgebiet von Pirna wurde der gebäude-

typologische Ansatz noch um eine hydrodynamische Komponente der Scha-

densabschätzung und Kalkulation von Wiederherstellungskosten ergänzt (z.B.

Beschädigung eines Gebäudes durch mitgeführtes Treibgut oder Unterspülung

der Gebäudegründung).

Sämtliche Anlagen der Technischen Gebäudeausrüstung können vor allem bei

Nichtwohngebäuden die Verletzbarkeit eines Gebäudes stark erhöhen. Die Wie-

derherstellungskosten für das Inventar und die Haustechnik können daher bei

Nichtwohngebäuden die Wiederherstellungskosten für die Gebäudesubstanz

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übersteigen. Aus diesem Grund erfolgen bei Nichtwohngebäuden häufig Einzel-

fallbetrachtungen (auch als Hotspot-Analyse bezeichnet).

Nachfolgend werden die erarbeiteten gebäudetypenspezifischen Schadensfunk-

tionen mit den identifizierten Gebäudetypen im Untersuchungsgebiet verknüpft.

Durch eine Überlagerung mit den prognostizierten Wasserständen können somit

die Hochwasserschäden für verschiedene Hochwasserszenarien abgeschätzt

werden.

Der beschriebene Ansatz wurde in zahlreichen Untersuchungsgebieten im Auf-

trag der LTV angewendet. Hierzu zählen etwa das Stadtgebiet von Pirna (2005,

150 ha), Rote Weißeritz (2015, 127 ha), Lungwitzbach (2016, 190 ha), Schwar-

zenberg (2016, 48 ha), Freiberger Mulde/Bobritzsch (in Bearbeitung) und die

Vereinigte Weißeritz in Freital (2016, 100 ha).

3 Methodenvergleich

Für die Untersuchungsgebiete der Roten Weißeritz und der Vereinigten Weiße-

ritz in Freital liegen Ergebnisse für Nutzen-Kosten-Untersuchungen zu den je-

weils geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen für beide beschriebene Ansätze

vor. In beiden Projekten wurde in einem ersten Schritt der flächennutzungsbe-

zogene und in einem zweiten Schritt, zur Präzisierung der Betroffenheit, der ge-

bäudetypologische Ansatz angewandt.

Abbildung 4: Schadenswahrscheinlichkeitsfunktionen für die Gebäudesubstanz in den Sied-

lungs- und Gewerbeflächen des Untersuchungsgebietes Rote Weißeritz für

den Istzustand

Page 60: bemessung im wasserbau

52

Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich

des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz

Während an der Roten Weißeritz beide Ansätze Ergebnisse ähnlicher Größen-

ordnungen liefern (siehe Abbildung 4), ergibt der gebäudetypologische Ansatz

im Untersuchungsgebiet in Freital deutlich höhere Schadenswerte als der flä-

chennutzungsbezogene Ansatz (siehe Abbildung 5). Dies liegt vor allem an der

unterschiedlichen Siedlungsstruktur der beiden Untersuchungsgebiete: Während

an der Roten Weißeritz eine durchschnittliche, ländliche Siedlungsstruktur vor-

zufinden ist, handelt es sich in Freital um ein städtisch geprägtes, dicht besiedel-

tes Gebiet.

Abbildung 5: Schadenswahrscheinlichkeitsfunktionen im Untersuchungsgebiet der Verei-

nigten Weißeritz im Stadtgebiet Freital für die Siedlungs- und Gewerbeflä-

chen für den Istzustand (Schäden ohne Hotspots)

Der flächennutzungsbezogene Ansatz, der auf der Auswertung landesstatisti-

scher Vermögenswerte und landesweiter Flächentypisierungen basiert, ergibt für

Gebiete mit ähnlich verteilten Nutzungen gute Ergebnisse. In städtischen Gebie-

ten mit gegenüber dem Landesdurchschnitt höheren Bebauungsdichten liefert

der gebäudetypologische Ansatz zutreffendere Ergebnisse. Die Auswahl des ge-

eigneten Ansatzes ist durch Vorabuntersuchung des Bearbeitungsgebietes bzgl.

der Nutzungsverteilung und der Bebauungsdichte denkbar.

Bezüglich des Bearbeitungsaufwandes unterscheiden sich beide Ansätze. Der

gebäudetypologische Ansatz erfordert eine Erfassung der Einzelobjekte vor Ort,

deren Typisierung durch geschultes Personal und ggf. die Erstellung von zusätz-

lichen bisher nicht ermittelten Schadensfunktionen für die ausgewählten Reprä-

sentanten oder besondere Gebäudetypen. Der Aufwand zur Ermittlung neuer

Schadensfunktionen reduziert sich jedoch mit fortschreitender Anwendung der

Methodik, da immer mehr auch in vergleichbare Gebiete übertragbare Repräsen-

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tanten mit Schadensfunktionen zur Verfügung stehen. In Sachsen existiert auf-

grund umgesetzter Untersuchungen bereits ein Datenpool von über 50 Repräsen-

tanten und zugehörigen Schadensfunktionen, auf die im Bedarfsfall zugegriffen

werden kann. Für die Anwendung des flächenbezogenen Ansatzes sind Vor-Ort-

Arbeiten nicht erforderlich, alle benötigten Daten stehen über statistische Aus-

wertungen und dem Flächenverschnitt im GIS zur Verfügung.

Die Untersuchung von Hotspots (z.B. Produktionsanlagen, Schwimmbäder,

Krankenhäuser) ist methodenunabhängig, bietet sich jedoch besonders beim ge-

bäudetypologischen Ansatz an, da diese Hotspots teilweise erst im Zuge der

Ortsbegehung erkannt und erfasst werden können. Denkbar wäre die Hotspot-

Erhebung aber auch beim flächennutzungsbezogenen Ansatz, wenn eine Ge-

bietsbereisung durchgeführt werden würde. Um den Erhebungsaufwand des ge-

bäudetypologischen Ansatzes zu reduzieren, ist für Wohnbebau-

ung/Siedlungsbereiche auch eine Kombination beider Ansätze möglich und wird

in der Praxis auch häufig angewandt.

Der flächennutzungsbezogene Ansatz eignet sich gut für große (ländliche) Un-

tersuchungsräume, nicht nur für projektbezogene Untersuchungen, sondern bei-

spielsweise auch, um Planungs- oder Finanzierungprioritäten für landesweite

Bauprogramme (Hochwasserschutzprogramme) festlegen zu können. Mit dem

gebäudetypologischen Ansatz können kleinere und/oder städtische Gebiete ge-

nauer erfasst und Hotspots besser einbezogen werden. Die Ortsbegehung ermög-

licht zusätzlich die Erfassung der eingelagerten Gewerbenutzungen und damit

die Erfassung des Gewerbeinventars und möglicher Wertschöpfungsverluste.

Die Verwendung beider Ansätze in Nutzen-Kosten-Untersuchungen kann zwei-

stufig erfolgen. Im ersten Schritt dient der flächennutzungsbezogene Ansatz zur

ersten Abschätzung der Schadenserwartungswerte. Lässt sich die Wirtschaft-

lichkeit damit bereits verlässlich darstellen (Nutzen-Kosten-Verhältnis

(NKV) >> 1), sind weitere Untersuchungen nicht zwingend erforderlich, denn

auch die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen unterliegen dem

Wirtschaftlichkeitsgebot. Im zweiten Schritt können Untersuchungen mit dem

gebäudetypologischen Ansatz einschl. Berücksichtigung wesentlicher Hotspots

erfolgen.

4 Zusammenfassung

Beide beschriebenen Ansätze haben, auch wenn sie zum Teil unterschiedliche

Ergebnisse liefern, ihre Berechtigung. Der flächennutzungsbezogene Ansatz

kann für große Gebiete mit durchschnittlicher Nutzungsverteilung, für große und

Page 62: bemessung im wasserbau

54

Schadenspotenziale in Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Hochwasserschutzmaßnahmen: Vergleich

des gebäudetypologischen Ansatzes mit dem flächennutzungsbezogenen Ansatz

kleine Gebiete mit „robustem“ NKV (deutlich über 1,0) sowie für Projekte an-

gewandt werden, die sich in einer sehr frühen Planungsphase befinden, z.B. in

einer Machbarkeitsstudie bzw. in der Vorplanung. Die Eingangsparameter der

NKU (Schutzwirkung, Kosten) sind zu diesem Zeitpunkt noch großen Schwan-

kungen unterworfen, so dass die generalisierende Flächenmethode ausreichend

genaue Ergebnisse liefert.

Der gebäudetypologische Ansatz liefert für kleinere und/oder städtische Gebiete

(ggf. mit Untersuchung von Hotspots) und für Projekte, die sich voraussichtlich

an der Grenze der Wirtschaftlichkeit befinden, gute Ergebnisse. Auch ist er für

Gebiete geeignet, die unerwartete oder nicht plausible Ergebnisse bei der An-

wendung des flächennutzungsbezogenen Ansatzes liefern, z.B. bei großen Ab-

weichungen zwischen realen (d.h. nach abgelaufenen Ereignissen erfasste Scha-

denssummen) und prognostizierten Hochwasserschäden.

5 Literatur

BWK (2001): Hochwasserschadenspotenziale, Bericht 1/2001. Bund der Ingenieure für

Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau e.V., Düsseldorf 2001

DVWK (1985): Ökonomische Bewertung von Hochwasserschutzwirkungen, DVWK-

Mitteilungen Nr.10. Deutscher Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau, Bonn

1985

DWA (2008): Arbeitshilfe Hochwasserschadensinformationen. Deutsche Vereinigung für

Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Hennef 2008

DWA (2012a): Leitlinien zur Durchführung dynamischer Kostenvergleichsrechnungen

(KVR-Leitlinien). Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und

Abfall e.V., Hennef 2012

DWA (2012b): Schadensanalyse und Projektbewertung im Hochwasserrisikomanage-

ment. Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.,

Hennef 2012

IKSR (2001): IKSR-Rheinatlas 2001. Internationale Kommission zum Schutze des

Rheins, Koblenz 2001

LfUG (2005): Gefahrenhinweiskarten des Freistaates Sachsen. Landesamt für Umwelt

und Geologie, Dresden 2005

Maiwald, H.; Schwarz, J. (2012): Neue Ansätze zur ingenieurmäßigen Bewertung der

Verletzbarkeit von Bauwerken. In: Schadensanalysen und Projektbewertung im

Hochwasserrisikomanagement. p. 80-103, DWA-Themen T1/2012, Deutsche

Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Hennef 2012

Naumann, Th.; Nikolowski, J.; Golz, S. (2009): Der gebäudetypologische VERIS-Elbe-

Ansatz zur Ermittlung von Überflutungsschäden an Gebäuden im Klimawandel. In:

Mörsdorf, F. L.; Ringel, J.; Strauß, C. (Hrsg.): Anderes Klima, Andere Räume!

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Zum Umgang mit Erscheinungsformen des veränderten Klimas im Raum.

Norderstedt: Books on Demand 2009. S. 249-262

Naumann, Th.; Nikolowski, J.; Golz, S. (2015): Typologie von Bauobjekten und

Hochwasserschäden für das Untersuchungsgebiet. In: Schanze, J.; Schwarze, R.;

Horlacher, H.-B.; Deilmann, C.: Veränderung und Management der Risiken

extremer Hochwasserereignisse in großen Flussgebieten – Am Beispiel der Elbe.

Schweizerbart, Stuttgart 2015

SMUL (2005): Ergebnisse der landesweiten Priorisierung von Hochwasserschutz-

maßnahmen. Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft,

Dresden 2005

Socher, M.; Dornack, S.; Defér, E. (2006): Hochwasserschutzkonzepte im Freistaat

Sachsen - eine Einführung. In: Hydrologie und Wasserbewirtschaftung 50, H. 6,

S. 303-308.

Weller, B.; Fahrion, M.-F.; Horn, S.; Naumann, Th.; Nikolowski, J. (2016): Bau-

konstruktion im Klimawandel. Springer Vieweg, Wiesbaden 2016

Autoren:

Dipl.-Ing. Carlos Rubín

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Dr.-Ing. Johannes Nikolowski

GB1 Ingenieure

Büro für Gebäude, Baukonstruktion und

Schadensanalyse GmbH

Friedrich-Hegel-Straße 29

01187 Dresden

Tel.: +49 351 424 68 36

Fax: +49 351 424 68 37

eMail: [email protected]

Dipl.-Ing. Karen Riedel

Landestalsperrenverwaltung des

Freistaates Sachsen

Referat Wasserbau

Bahnhofstraße 14

01796 Pirna

Tel.: +49 3501 796-299

Fax: +49 3501 796-105

eMail: [email protected]

Dr. rer. nat. Stephan Gerber

Landestalsperrenverwaltung des

Freistaates Sachsen

Referat Wasserbau

Bahnhofstraße 14

01796 Pirna

Tel.: +49 3501 796-489

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// Allgemeines// Mathematische Grundlagen, wichtige geometrische Werte// Physikalische Größen und Einheiten// Hydrostatik// Hydrodynamische Grundgleichungen// Druckrohrströmung// Freispiegelströmung// Überfälle und Hochwasserentlastungsanlagen// Wasserstrahlen// Sicker- und Grundwasserströmungen

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren

zur Optimierung von Hochwasserentlastungsanlagen

Carla Schneefeld

Max Heß, Tilo Vollweiler, Dirk Carstensen

Mit Hilfe von physikalischer sowie numerischer Modellierung im wasserbaulichen Ver-

suchswesen können wichtige Informationen für die Planung, den Erhalt und den Umbau was-

serbaulicher Anlagen gewonnen werden. Anhand des Fortschritts der Computertechnik, der

Steigerung der Leistungsfähigkeit von Rechnerressourcen sowie den Weiterentwicklungen

von Softwarelösungen haben die Möglichkeiten und die Effizienz numerischer Lösungsver-

fahren bei der Bewältigung und Visualisierung dreidimensionaler hydrodynamischer Prob-

lemstellungen enorm zugenommen. Durch eine Vielzahl an programminternen Parametern

zur Steuerung der numerischen Verfahren sowie durch die Qualität des verwendeten Berech-

nungsgitters werden die Berechnungsergebnisse bei der 3d-HN-Modellierung beeinflusst und

können so voneinander abweichende Lösungen erzeugen. Zur Beurteilung der berechneten

Lösung auf deren realitätsgetreue Abbildung eines Strömungszustandes kann dazu ein physi-

kalischer Modellversuch durchgeführt werden. Als Kombination aus der physikalischen und

numerischen Modellierung stellt die hybride Modellierung ein wertvolles Tool zur Untersu-

chung von hydraulischen Fragestellungen sowie bei der Bemessung wasserbaulicher Anlagen

dar.

Die Komplexität von 3d-CFD-Anwendungen sowie die große Bandbreite an Softwarelösun-

gen war Grund für eine Untersuchung zweier Softwarepakete im Hinblick auf deren Unter-

schiede und Übereinstimmungen in Methodik und berechneten Resultaten sowie deren Über-

einstimmung mit einem gegenständlichen Modellversuch. Als Untersuchungsobjekt diente ein

Standardwehrüberfall mit anschließendem Tosbecken im Sinne eines klassischen, wasserbau-

lichen Anwendungsfalls in Anlehnung an eine Hochwasserentlastungsanlage. Die Untersu-

chungen zeigten gute Übereinstimmung in Teilbereichen auf, aber auch die Herausforderung,

in Bereichen von hoher Turbulenz und Lufteintrag eine akzeptable Annäherung an die Natur

zu schaffen.

Stichworte: Hybride Modellierung, Hochwasserentlastungsanlagen, Tosbecken,

OpenFOAM, StarCCM+

1 Hybride Modellierung bei wasserbaulichen Untersuchungen

Eine Hochwasserentlastung (HWE) ist ein fester Bestandteil von Stauanlagen

wie Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken. Zur Untersuchung an be-

reits bestehenden Anlagen sowie Anlagen in der Planungsphase im Hinblick

auf deren hydraulische Optimierung dient die hybride Modellierung als

Page 66: bemessung im wasserbau

58

Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von

Hochwasserentlastungsanlagen

Kombination aus numerischen und physikalischen Modellversuchen als ein

nützliches Tool. Physikalische Modellversuche können, unter Verwendung

entsprechender Modellgesetze, analytische Berechnungen hinterlegen und

Aufschluss über Funktionalität und mögliche Schwachstellen eines Bauwerks

geben. Mittels diverser Messtechniken können dabei Strömungsparameter

wie Fließgeschwindigkeiten und Wassersspiegellagen meistens nur punktuell

oder in der Fläche ermittelt werden. Oftmals scheitert die Umsetzung gegen-

ständlicher Modelle jedoch an räumlichen Beschränkungen oder der Mög-

lichkeit den notwendigen Durchfluss zu gewährleisten. Die numerische Mo-

dellierung ist hierbei nicht limitiert und ermöglicht im Ergebnis ein schnelles

Abgreifen und Visualisieren von Strömungsgrößen in jeder Zelle eines dis-

kretisierten Modellgebiets und kann so ein sehr detailliertes Abbild einer

Strömungssituation geben. Die verfügbaren Lösungsverfahren bieten in der

Hydronumerik jedoch sehr viele Möglichkeiten zur Festlegung verschiedens-

ter Parameter und Randbedingungen, wodurch sich eine Vielzahl an Lösun-

gen mit jeweils unterschiedlichen Ergebnissen produzieren lässt. Zur Beur-

teilung der berechneten Lösungen auf ihre wahrheitsgetreue Abbildung einer

Strömungssituation können die erfassten Messwerte eines identischen, phy-

sikalischen Modellversuchs herangezogen werden. So können die Vorteile

beider Modellierungsvarianten effizient genutzt werden, um Optimierungs-

möglichkeiten an wasserbaulichen Anlagen aufzudecken. Zudem kann durch

numerische Voruntersuchungen der Aufwand für den Bau und Umbau eines

physikalischen Modells reduziert werden. Das mittlerweile breite Spektrum

an freien und lizenzpflichtigen 3d-CFD (Computational Fluid Dynamics) -

Programmpaketen wirft für den Anwender die Frage nach der Wahl der

Software und der zu setzenden Parameter auf, um, im Rahmen der

Möglichkeiten, möglichst naturnahe Ergebnisse zu erzielen.

Im Folgenden ist die hybride Modellierung eines Wehrüberfalls mit

Tosbecken, im Sinne eines typischen Bestandteils einer HWE beschrieben.

Das Fallbeispiel dient zum Vergleich zweier 3d-CFD-Programme unter

Anwendung angeführter Randbedingungen und numerischer Methoden. Die

Anwendung der hybriden Modellierung und die daraus resultierenden

Vorteile im Laufe der Entwurfsplanung einer HWE werden anschließend

anhand eines realen Bauvorhabens herausgestellt.

2 Hybride Modellierung eines Wehrüberfalls mit Tosbecken

unter Anwendung zweier 3d-CFD-Programme

Ein physikalischer Modellversuch sollte im Maßstab 1:1 durch ein

dreidimensionales, hydrodynamisch-numerisches Modell möglichst naturnah

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 59

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nachgebildet werden. Ziel der Grundlagenuntersuchung war die Optimierung

von Softwareeinstellungen, die Ermittlung des Grades der Annäherung der

Simulation an das physikalische Modell sowie das Erlangen von Kentnissen

über die Korrespondenz der beiden Programme.

Die Simulationen wurden mit OpenFOAM, eine Open Source Software und

Star-CCM+, einem lizenzpflichtigen Programm durchgeführt.

2.1 Physikalisches Modell

Der physikalische Modellversuch wurde in einer 0,4 m breiten Rinne aufge-

baut und das Wehrprofil als Standardüberfallprofil (nach Oficerov, in

Aristowski & Berger (1955)) umgesetzt. Das Tosbecken wurde mit 120 cm

Länge und einer Tiefe von 7,5 cm dimensioniert. Bei einem konstanten

Durchfluss von Q = 35 l/s wurde der Unterwasserstand auf 15,1 cm über der,

an das Tosbecken anschließenden, Gerinnesohle eingestellt, sodass der

entstehende Wechselsprung im Tosbecken gehalten wurde. Mit einem

Flügel-Anamometer wurden die Fließgeschwindigkeiten in

Hauptströmungsrichtung an 287 Messpunkten ermittelt. Hierbei erfolgte für

jeden Messpunkt eine zeitliche Mittelung über 20 Sekunden. Die

Messergebnisse wurden an Referenzmesspunkten mit Hilfe einer Staudruck-

Sonde validiert.

2.2 Numerisches Modell

OpenFOAM und StarCCM+ sind 3d-CFD-Programme, welche beide eine

Vielzahl an Möglichkeiten zur Berechnung strömungstechnischer

Problemstellungen liefern. Basierend auf der Finite Volume Methode (FVM)

werden die Navier-Stokes-Gleichungen zur Massen- und Impulserhaltung

newtonscher Fluide gelöst und damit Strömungsfelder berechnet.

OpenFOAM (Open Field Operation and Manipulation) ist eine auf C++

basierende Softwarebibliothek mit frei einsehbarem und modifizierbarem

Quellcode, wodurch erfahrenen Nutzern ermöglicht wird, spezifische

Anpassungen vorzunehmen oder eigene Toolboxen zu implementieren. Star-

CCM+ ist eine proprietäre Software mit grafischer Benutzeroberfläche und

somit benutzerfreundlicher Bedienung mit einem ebenfalls breitgefächertem

Anwendungsspekrum.

Die Modellierung der Medien Wasser und Luft in verschienden Fließ- bzw.

Strömungszuständen, von Turbulenzbewegungen und Freispiegelabflüssen

oder der Abfluss durch Rohrleitungen sind typisch für wasserbauliche

Anwendungen und werden durch die Auswahl geeigneter Randbedingugen

und numerischer Methoden umgesetzt.

Page 68: bemessung im wasserbau

60

Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von

Hochwasserentlastungsanlagen

Berechnungsgitter

Das Modellgebiet umfasst einen 8 cm breiten Bereich, der einen halben Meter

vor der Wehrkante beginnt und einen Meter hinter der Tosbeckenendschwelle

endet. Die seitlichen Wände wurden in beiden Programmen mit der Eigenschaft

slip (reibungsfrei), die Sohle mit no-slip belegt. Da die Diskretisierung einen

wesentlichen Einfluss auf die Simulation hat, wurde das aus OpenFOAM expor-

tierte Berechnungsgitter auch für die Star-CCM+ Simulation verwendet. Somit

konnten Differenzen der Simulationsergebnisse untereinander aufgrund von Git-

terunterschieden ausgeschlossen werden. Mit einer Grundgitterweite von 4 cm

im Luftbereich, einer maximal dreifachen Verfeinerung im Bereich der Wasser-

spiegellage, des Überfallrückens und im Tosbeckenbereich sowie drei dünnen

Layerschichten an der Sohle besteht das Modell aus rund 166.000 Zellen.

Numerische Methoden

Neben dem identischen Berechnungsgitter sowie der Verwendung gleicher

bzw. vergleichbarer Randbedingungen wurde bei der Auswahl von Lösern,

Mehrphasenansatz und Turbulenzmodell jeweils entsprechende Methoden

gewählt. Für beide Modelle wurden Löser für inkompressible

Mehrphasenströmungen verwendet. Bei OpenFOAM kann dies durch den

Löser interFOAM umgesetzt werden, welcher in Kombination mit einem

VOF (Volume of Fluid) -Verfahren eine Definition zweier Phasen ermöglicht

und neben Druck und Geschwindigkeiten in allen drei Raumrichtungen die

Phasenkonzentration in jeder Zelle ermittelt. Als maximale Courant-Zahl

wurde 0,5 sowie als maximale Zeitschrittweite 0,001 s eingestellt.

Für Star-CCM+ wurde der Löser Segregated Flow zusammen mit dem

Modell Eulerian Multiphase und VOF verwendet. Für das implizite

Verfahren wurde in Anlehnung an die OpenFOAM Berechnung ebenfalls

eine Zeitschrittweite von 0,001 s gewählt.

Die VOF-Methode gibt Aufschluss über Lage und Form der

Phasengrenzschicht. Hierzu wird für jede Zelle zusätzlich zu den

Erhaltungsgleichungen eine Advektionsgleichung für den Phasenanteil

gelöst. Zum Entgegenwirken numerischer Diffusion im Bereich der

Grenzschicht wird ein Kompressionsterm eingefügt, welcher nur im Bereich

der Grenzschicht aktiv wird (Schulze & Thorenz (2014)). Luftblasen bzw.

Wassertropfen kleiner als die vorhandene Zellgröße können mit der VOF-

Methode nicht abgebildet werden.

Die Wahl eines Turbulenzmodells ist grundsätzlich abhängig von der

benötigten Genauigkeit einer Berechnung in Bezug auf die Abbildung von

Ablösungen und Wirbelstrukturen. Eine direkte numerische Simulation

(DNS) ist aufgrund des übermäßig hohen, numerischen Aufwandes in den

meisten, praxisrelevanten Fällen nicht geeignet (Oertel, Böhle, & Reviol

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 61

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(2015)). Stattdessen wird auf Turbulenzmodelle zurückgegriffen, welche rein

mathematisch die turbulenten Strömungen berechnen. Im Rahmen ähnlicher

Anwendungsfälle am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der TH

Nürnberg (IWWN) wurden mit dem DES (Detached-Eddy Simulation) Tur-

bulenzmodell nach Spalart-Allmaras gute Ergebnisse im Hinblick auf reali-

tätsgetreue Abbildung der Turbulenz unter akzeptablem Einsatz von Rechen-

ressourcen erzielt. Das Modell wird auch in diesem Anwendungsfall ver-

wendet. DES koppelt die beiden Turbulenzansätze LES (Large-Eddy Simula-

tion) und RANS (Reynolds-Averaged-Navier-Stokes) in getrennten, instatio-

nären Modelregionen (The Steve Portal (2016)), wobei durch RANS eine

zeitliche Mittelung der Strömungsgrößen in den Randbereichen und durch

LES (in Abhängigkeit von der Gitterfeinheit) eine direkte, räumliche und

zeitliche Simulation grobskaliger Strömungsbewegungen im restlichen

Modellgebiet erfolgt. Für kleinskalige Bewegungen werden auch hier

Modelle und Approximationen angewandt. Die empfohlenen Standardein-

stellungen des Turbulenzmodelles wurden in beiden Programmen nicht ver-

ändert.

Als Beispiel für die Auswirkungen eines Turbulenzmodells auf die Berech-

nungen ist in Abbildung 1 in einer Momentaufnahme vergleichend ein

Längsschnitt durch den hinteren Teil des Tosbeckens mit einem reinen

RANS- und einem Spalart-Allmaras DES Turbulenzmodell (wie im Folgen-

den verwendet) nach Erreichen eines quasi-stationären Zustands dargestellt.

Durch die zeitliche Mittelung der Navier-Stokes-Gleichungen kommt es im

Fall des RANS-Modells zu einer „Glättung“ der Wirbelstrukturen. Die Strö-

mung im Tosbecken wird somit auf eine große Walze reduziert, während das

DES-Modell eine große Anzahl an Wirbeln abbildet und somit näher an der

Realität liegt.

Abbildung 1: Betragsmäßige Geschwindigkeiten und Vektoren im Längsschnitt für den

Bereich mit einem Wasseranteil > 50% bei einer RANS (links) und einer

DES Spalart-Allmaras-Simulation (rechts) mit Star-CCM+

Page 70: bemessung im wasserbau

62

Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von

Hochwasserentlastungsanlagen

2.3 Auswertung

Nach Durchführung der Modellversuche wurden das physikalische und die bei-

den numerischen Modelle verglichen. Hierbei wurden vor allem die Fließge-

schwindigkeiten betrachtet. Ein visueller Vergleich erfolgte auch für den Luf-

teintrag und die Ausbildung des Wasserkörpers.

Abbildung 2: Grafische Darstellung der zeitlich gemittelten Fließgeschwindigkeiten in x-

Richtung [m/s] im Bereich des Tosbeckens im Vergleich

Der Vergleich der Fließgeschwindigkeiten erfolgte durch eine zeitliche

Mittelung über 20 Sekunden. Betrachtet wurde dabei die generelle

Strömungsausbildung in einem Längsschnitt durch das Modellgebiet (vgl. Ab-

bildung 2) sowie eine direkte gegenüberstellung der Fließgeschwindigkeiten an

10 Messpunkten (vgl. Abbildung 2 und Abbildung 3).

Das physikalische Modell weist im Bereich des gerichteten Schusstrahls

zwischen Messpunkt 1 und 6 etwas geringere, im zweiten Abschnitt des

Tosbeckens höhere Geschwindigkeiten als die Simulationen auf. Im

Einmündungsbereich des Schussstrahls in das Tosbecken sind im physikalischen

Modell messtechnisch bedingt weitaus geringe Werte zu erkennen als in den

Simulationen. Ursache hierfür ist die schräge Anströmung des, an allen

Messpunkten, vertikal in die Strömung eingebrachten Flügel-Anamometers und

eine daraus folgende Abschirmung durch dessen Gehäuse. Somit kommt es hier

bei der Erfassung der Fließgeschwindigkeit in Hauptströmungsrichtung (x-

Richtung) zu einem erkennbaren Messfehler. Beim optischen Vergleich der

Simulationen ist eine Annäherung der Geschwindigkeitsausbildung der

Strömung festzustellen. Abweichungen ergeben sich in der Ausbildung des

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 63

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Schussstrahls. Bei OpenFOAM hebt sich dieser am Fuß des Wehrrückens etwas

weiter ab und verläuft im Folgenden flach über der Sohle, während in der

STAR-CCM+-Simulation ein deutlicheres Ablösen des Strahls von der Tosbe-

ckensohle und ein losgelösterer Verlauf der Hauptströmung zu beobachten ist.

Die Auswertung der Geschwindigkeiten an zehn Messpunkten (MP) in der Mit-

telachse des Tosbeckens (Lage der Punkte vgl. Abbildung 2, Nr. 1 bis 10) zeigt

eine relativ gute Übereinstimmung von physikalischem Modell und den Simula-

tionen zwischen MP 3 und MP 6 mit einer maximalen Abweichung von rund

10 %, was in Anbetracht möglicher Messungenauigkeiten eine gute Annäherung

bedeutet (vgl. Abbildung 3). Auch die beiden Simulationen liegen hier nah bei-

einander. In der zweiten Tosbeckenhälfte ist der Schussstrahl durch die Energie-

dissipation des Wechselsprungs deutlich abgeschwächt. Es kommt zu größeren

turbulenten Schwankungen und Luftdurchmischung im Wasserkörper. Die er-

mittelten Geschwindigkeiten zwischen MP 7 und MP 10 liegen in den Simulati-

onen deutlich unterhalb der gemessenen Werten. Maßgebend für die Differenz

zwischen den beiden Simulationen ist hauptsächlich der unterschiedliche Ver-

lauf der Hauptströmung im genannten Abschnitt. Ursachen für die Abweichun-

gen von den physikalischen Messwerten können mögliche, messtechnisch be-

dingte Ungenauigkeiten (wie beschrieben im Bereich der schrägen Einströmung

zu Beginn des Tosbeckens) sowie numerische Ursachen, wie die unzureichend

genaue Abbildung der Luftblasen mit dem VOF-Verfahren, mögliche Wandef-

fekte oder Einstellungen am Turbulenzansatz sein.

Abbildung 3: Vergleich zeitlich gemittelter Fließgeschwindigkeiten in x-Richtung [m/s] an

10 Messpunkten im Tosbecken

Bei der Luftdurchmischung im Tosbeckenbereich konnten durch Einstellung des

Schärfungsfaktors bei beiden Simulationen nahezu deckungsgleiche Ergebnisse

erzielt werden, welche optisch, im Rahmen der Möglichkeiten von VOF, dem

physikalischen Modell nahe kommen. Anhand eines rein visuellen Vergleichs

wurde beobachtet, dass die Ausbildung des Wasserkörpers im Star-CCM+ Mo-

dell etwas flacher als im OpenFOAM-Ergebnis ausfällt.

Page 72: bemessung im wasserbau

64

Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von

Hochwasserentlastungsanlagen

Schlussfolgernd konnte für den Bereich der klaren Hauptströmung eine gute

Annäherung der Numerik an die physikalischen Messwerte festgestellt werden.

Im Bereich von hoher Turbulenz und Lufteintrag liegen die Messwerte weiter

auseinander, was die Schwierigkeit der Naturapproximation bei steigender

Komplexität der Strömung hervorhebt und somit für den Einsatz von hybrider

Modellierung als Ergänzung von physikalischem und numerischem Modell

spricht. Durch eine weitergehende Kalibrierung des Modells könnten die Ergeb-

nisse ggf. weiter angenähert werden. Zudem wäre für eine weiterführende Para-

meterstudie mit den verwendeten Programmen ein berührungsfreies Messver-

fahren im gegenständlichen Modell, beispielsweise mittels PIV (Particle Image

Velocimetry) Laser, sinnvoll, um Messungenauigkeiten der Referenzwerte ent-

gegenzuwirken.

3 Hybride Modellierung der Sösetalvorsperre

Am IWWN konnte durch hybride Modellierung des geplanten

Entlastungsbauwerks der Sösetalvorsperre in Niedersachsen, beauftragt

durch die Harzwasserwerke GmbH, eine Optimierung des Bauwerks

stattfinden (Carstensen, Heß, Schneefeld, & Vollweiler (2016)) (vgl. Abbil-

dung 4).

Abbildung 4: Visuelle Gegenüberstellung der physikalischen (links) und numerischen

Modellierung der Sösetalvorsperre bei HQ100

Durch die numerische Simulation ausgewählter Entwürfe mit dem

Softwarepaket OpenFOAM konnten Vorzugsvarianten ermittelt werden,

welche anschließend in einem physikalischen Modellversuch im Maßstab

1:22,5 umgesetzt wurden. Die Numerik zeigte schon bei den

Voruntersuchungen, dass eine relativ schmale und sich verjüngende

Schussrinne zu übermäßig hohen Fließgeschwindigkeiten auf dieser führte.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 65

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Die Geometrie konnte in Absprache mit dem Auftraggeber und dem Planer

(Ramboll IMS Ingenieurgesellschaft mbH) angepasst und somit schon eine

optimierte Variante im gegenständlichen Modell umgesetzt werden. Durch

die Vorarbeiten mittels der numerischen Modellierung wurden notwendige

Umbauten im physikalsichen Modell auf Detailarbeiten beschränkt und ein

„Ausprobieren“ verschiedenster Varianten innerhalb weniger Wochen

ermöglicht.

Eine Gegenüberstellung der numerischen und physikalischen

Modellversuche erfolgte ausführlich anhand des Lastfalls HQ100 für eine der

optimierten Varianten. Über 10s gemittelte Fließgeschwindigkeiten (in

Hauptströmungsrichtung) und Wasserspiegellagen an verschiedenen Punkten

des Modellgebiets wurden miteinander verglichen. Bei den

Fließgeschwindigkeiten wurde eine Annäherung der Numerik auf 86 bis zu

98 % an die physikalischen Messwerte erreicht. Bei höheren Fließgeschwin-

digkeiten (bis zu 12 m/s) wurden tendenziell die größeren Abweichungen

verzeichnet. Der Vergleich der Wasserspiegellage erfolgte über 8

Messpunkte (MP) von der Vorsperre (MP 1) über die Schussrinne (MP 2 bis

7) bis in die Hauptsperre (MP 8) (vgl. Abbildung 5).

Abbildung 5: Gegenüberstellung der Wasserspiegellagen [m NHN] für ausgewählten Last-

fall, Messpunkte 1 bis 8

Mit Ausnahme der Wasserspiegellage im Unterwasser am MP 7 liegen die

numerischen Werte nur leicht unter den Messwerten des physikalischen Mo-

dellversuchs. An MP 7 ergibt sich eine größere Abweichung von 1,06 m (Na-

turmaßstab). Diese Abweichungen sind unter anderem auf die bereits er-

wähnten, begrenzten Abbildungsmöglichkeiten von Luft-Wasser-Gemischen

in numerischen Modellen zurückzuführen. Der am Ende der Schussrinne ent-

stehende, schäumende Bereich kann numerisch nur näherungsweise abgebil-

det werden (vgl. Abbildung 4).

Page 74: bemessung im wasserbau

66

Hybride Modellierung als effizientes Lösungsverfahren zur Optimierung von

Hochwasserentlastungsanlagen

4 Schussfolgerungen

Die Hybride Modellierung hydraulischer Systeme ist ein bewährtes Tool im

Rahmen der Planung wasserbaulicher Anlagen. Sie wurde am IWWN im Zu-

sammenhang mit der Optimierung von Hochwasserentlastungsanlagen mehrfach

angewendet. Die numerischen Modelle ermöglichen schnelle ‚Umbauten‘ und

die Simulation beliebiger Geometrien, wodurch eine gezieltere Umsetzung im

physikalischen Modell ermöglicht wird. Unter Beachtung zu erwartender Unge-

nauigkeiten in der Simulation von Wasser-Luft-Gemischen können Messgrößen

von Strömungsparametern des physikalischen Modellversuchs ergänzend heran-

gezogen werden. Die vorliegenden Untersuchungen zeigen mit Abschnitten

starker Turbulenzen und hohen Lufteintrags Bereiche auf, in welchen gesondert

Wert auf Kalibrierung gelegt werden muss bzw. die Möglichkeiten der numeri-

schen Methoden eingeschränkt sind, die Natur eins zu eins abzubilden.

5 Literaturverzeichnis

Aristowski, W., & Berger, K. (1955). Entwurfsgrundlagen zum Wehrbau. Berlin: Verlag

Technik.

Carstensen, D., Heß, M., Schneefeld, C., & Vollweiler, T. (2016). Forschungsbericht 2016-

07; Vorsperre der Sösetalsperre 3d-CFD-Simulationen und physikalischer

Modellversuch für ein Kombinationsbauwerk. Nürnberg.

Oertel, j., Böhle, H., & Reviol, T. (2015). Strömungsmechanik für Ingenieure und

Naturwissenschaftler. Springer .

Schulze, L., & Thorenz, C. (2014). The Multiphase Capabilities of the CFD Toolbox

OpenFOAM for Hydraulic Engineering Applications. Hamburg: ICHE 2014.

The Steve Portal. (2016). Von User Guide Star-CCM+: https://steve.cd-adapco.com/

Autoren:

M.Eng. Carla Schneefeld

Technische Hochschule Nürnberg

Georg-Simon-Ohm

Institut f. Wasserbau und Wasserwirtschaft

Keßlerplatz 12

90489 Nürnberg

Tel.: +49 0911/5880-1141

Fax: +49 0911/5880-5164

E-Mail: [email protected]

M.Eng. Max Heß

Dipl.-Ing (FH) Tilo Vollweiler

Prof. Dr.-Ing. habil. Dirk Carstensen

TH Nürnberg Georg Simon Ohm

Institut f. Wasserbau und Wasserwirtschaft

Keßlerplatz 12

90489 Nürnberg

E-Mail: [email protected]

[email protected]

[email protected]

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfra-

strukturen gegenüber Überflutung

Sebastian Golz

Christoph Bohnenkamp

Straßenverkehrsinfrastrukturen (SVIS) bilden die notwendigen Voraussetzungen

für eine funktionale räumliche Erschließung. Die erheblichen strukturellen Schä-

den an SVIS nach bisherigen Überflutungsereignissen unterstreichen den Bedarf

einer vertieften ingenieurwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den maßge-

benden Einwirkungen, Schadensmechanismen und Schadensbildern, um u. a. rea-

litätsnahe Prognosen zukünftig zu erwartender Schäden an SVIS im Überflutungs-

fall zu unterstützen und Adaptationsstrategien abzuleiten. Ein wesentlicher Ar-

beitsschritt ist hierbei die Systematisierung relevanter Schadensmechanismen.

Stichworte: Straßenverkehrsinfrastrukturen, Schadensanfälligkeit, Überflutung

1 Einleitung

Öffentliche technische Infrastrukturen bilden die notwendigen Voraussetzungen

für eine funktionale räumliche Erschließung. Zu den gesellschaftlich bedeuten-

den technischen Infrastrukturen zählen insbesondere die Anlagen des Straßen-

verkehrs. Zahlreiche verschiedenartige Überflutungsereignisse verdeutlichten in

den letzten beiden Dekaden in Deutschland den signifikanten Anteil der Kosten,

die zur Beseitigung direkter Schäden an Straßenverkehrsinfrastrukturen (SVIS)

notwendig sind (z. B. Müller 2010, S. 146 ff.).

Für viele Regionen Mitteleuropas ist infolge des Klimawandels von einer Zu-

nahme der Wahrscheinlichkeit und Magnitude von Starkniederschlägen auszu-

gehen, die grundsätzlich das Potential haben, häufiger zu Überflutungen von

Siedlungsräumen zu führen, ohne dass ein unmittelbarer Gewässerbezug vor-

liegt. Diese Überflutungen sind, trotz ihrer statistisch beschreibbaren Auftritts-

wahrscheinlichkeit, in der Regel außergewöhnliche Einwirkungen, welche die

Entwurfsanforderungen von SVIS übersteigen und daher zu erheblichen struktu-

rellen Schäden führen können.

Die Systematisierung von Schadensbildern sowie die fachlich fundierte Erkun-

dung der zu Grunde liegenden Schadensmechanismen und ihrer Randbedingun-

gen dienen vielzähligen wissenschafts- und praxisbezogenen Zwecken (Golz et

Page 76: bemessung im wasserbau

68 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung

al. 2017). Die Analysen der Schadensanfälligkeit (physische Vulnerabilität) leis-

ten zum Beispiel einen wesentlichen Beitrag

für schnelle und präzise Prognosen direkter Schäden vor, während bezie-

hungsweise unmittelbar nach Hochwasserereignissen,

für die Monetarisierung von Wiederherstellungskosten und somit auch für

die Erstellung von Risikokarten gemäß Artikel 6 der Europäischen Hochwas-

serrisikomanagement-Richtlinie sowie

für die Ableitung effizienter Gestaltungs- und Dimensionierungsvorschläge

für den Straßenneubau und geeigneter Adaptationsmaßnahmen für den Stra-

ßenbestand in Abhängigkeit von hydraulischen Bemessungswerten und ihren

Wiederkehrintervallen.

2 Schadensanalyse

2.1 Vorgehen und Datenbasis

Die Analyse der Schadensanfälligkeit basiert auf empirischen Untersuchungen,

das heißt auf der systematischen Auswertung vorliegender Schadensinformatio-

nen. Diese Schadensinformationen stammen aus verschiedenen Quellen, wie

etwa aus der einschlägigen Fachliteratur über Straßenkonstruktionen, aus publi-

zierten Hochwasserereignisberichten von Fachbehörden, aus bislang unveröf-

fentlichten Schadensdokumentationen (Schadensbilder, Schadensdatenbanken)

von Landesämtern sowie aus acht Experteninterviews mit Fachkundigen aus den

Bereichen Straßen- und Tiefbau, konstruktiver Ingenieurbau sowie Siedlungs-

wasserwirtschaft und Kanalnetzbetrieb (Bohnenkamp 2016).

Die Auswertung dieser Daten zeigt, dass die Erfassung und Dokumentation

überflutungsbedingter Schäden an SVIS derzeit keinem erkennbar systemati-

schen und einheitlich geregelten Vorgehen folgt. Aufgrund verschiedener Bau-

lastträger ist die persistente Speicherung der heterogen vorliegenden digitalen

Schadensinformationen in Datenbankstrukturen zudem dezentral organisiert.

Aus diesen Gründen besteht zunächst die Herausforderung, existierende Daten-

banken zu recherchieren (z. B. Bundes- und Landesfachbehörden, Landesbetrie-

be, kommunale Verwaltungen) und relevante Schadensinformationen zu extra-

hieren und zu analysieren.

Dieser Beitrag fokussiert die relevanten Schadensmechanismen (siehe Ab-

schnitt 2.3), das heißt er beschreibt die spezifischen Prozesse, die bei überflu-

tungsbedingten Einwirkungen zu spezifischen Schadensbildern an SVIS führen.

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2.2 Überflutungsbedingte Einwirkungen

Patt und Jüpner (2013, S. 6 ff.) folgend, zählen Sturzfluten, starkregenbedingte

Überflutungen, Sturmfluten und Flussüberschwemmungen aufgrund der Häu-

figkeit ihres Auftretens, ihrer Magnitude und ihrer nachteiligen Folgen zu den

relevanten Hochwasserarten. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrer räumli-

chen Ausdehnung, der verfügbaren Vorwarnzeit und der mittleren Dauer des

Überflutungsereignisses. Zu den ereignisabhängigen Parametern zählen insbe-

sondere die Wassertiefe (Überflutungshöhe) und die Fließgeschwindigkeit, die

je nach Intensität zahlreiche Schadensmechanismen an SVIS auslösen können.

Die hydraulischen Beanspruchungen exponierter SVIS reichen folglich von

Überschwemmungen mit geringer Wasserhöhe bis zu Überströmungen mit ma-

terialreichen Wasser-Feststoff-Gemischen.

Übliche Straßenbefestigungen bestehen aus einer beziehungsweise mehreren

gebundenen Deckschichten oder einer Pflasterdecke sowie darunter befindlichen

ungebundenen Tragschichten. Die Beanspruchungen der Straßenbefestigungen

infolge Überflutung zählen in der Regel nicht zu den veränderlichen Einwirkun-

gen, die in den üblichen Entwurfsanforderungen von Straßen enthalten sind.

Gleichwohl die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Überflutung mit einer

bestimmten Magnitude statistisch beschreibbar ist, ordnen z. B. Gebbeken und

Teich (2011) Überflutungen den außergewöhnlichen Einwirkungen zu. Kombi-

nationsregeln, welche diese außergewöhnliche Bemessungssituation berücksich-

tigen, sind bislang nicht normativ festgesetzt. Die Auswertung von Schadensin-

formationen ex post ermöglicht die Abgrenzung der folgenden maßgebenden

Einwirkungsarten im Überflutungsfall (Bohnenkamp 2016):

Hydrodynamische Einwirkungen, die vor allem bei Sturzfluten relevant und

die durch einen Oberflächenabfluss mit bestimmter Fließtiefe, Fließge-

schwindigkeit, Fließrichtung und Abflussdauer charakterisiert sind. Die Ein-

wirkungen (Überströmungen) münden vor allem in hydrodynamischen

Druck- und Schubbeanspruchungen des Straßenkörpers, welche die nachfol-

gend beschriebenen Schadensmechanismen auslösen. Hydrodynamische

Einwirkungen sind insbesondere in schmalen Gebirgstälern sowie entlang

geneigter und kanalisierter innerörtlicher Straßenverläufe relevant.

Hydrostatische Einwirkungen als Folge der Überflutung eines Straßenab-

schnittes, die zum Beispiel aufgrund hydraulisch überlasteter Straßenentwäs-

serungen während eines Starkregenereignisses oder aufgrund ausgedehnter

Flussüberschwemmungen auftreten. Die ereignisspezifischen Parameter sind

hier die Wasserhöhe und Wasserstanddauer. Hydrostatische Einwirkungen

sind insbesondere in Verbindung mit einer unmittelbaren, veränderlichen Be-

anspruchung durch Achsübergänge des Schwerlastverkehrs relevant.

Page 78: bemessung im wasserbau

70 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung

2.3 Schadensmechanismen

Die zwei genannten Einwirkungsarten lösen verschiedene Prozesse aus, die wie-

derum zu nachteiligen Folgen für die SVIS führen. Die Untersuchung und Ab-

grenzung dieser Schadensmechanismen basieren auf einem physikalisch-

analytischen Ansatz, der die Auswirkungen der außergewöhnlichen Überflu-

tungseinwirkungen anhand ingenieurwissenschaftlich abgeleiteter Zusammen-

hänge beschreibt (synthetische Ursache-Wirkungs-Beziehungen). Alle Scha-

densmechanismen führen grundsätzlich zu vielfältigen strukturellen Schäden am

Verkehrsweg. Zu den wesentlichen Schadensmechanismen zählen die

äußere Erosion und äußere Suffosion,

innere Erosion und innere Suffosion,

Fugen- und Kontakterosion,

Exfiltration und Infiltration,

Plastifizierung und Verkehrsbelastung,

Sickerströmungen sowie der

Porenwasserüberdruck.

Die nachfolgend ausgewählten, kursorisch skizzierten Schadensmechanismen

wirken in den überwiegenden Fällen nicht als einzelner Prozess, sondern treten

gemeinsam auf und überlagern sich in vielfältiger Weise.

Äußere Erosion und äußere Suffosion

Die äußere Erosion und die äußere Suffosion beschreiben die durch hydrodyna-

mische Einwirkungen ausgelöste Mobilisierung und den Abtransport von Mate-

rial an der freien Oberfläche. Beide Erscheinungen treten auf, sobald die durch

das abfließende Wasser hervorgerufenen vorhandenen Schubspannungen größer

sind als die maximalen aufnehmbaren Schubspannungen der betroffenen Kon-

struktionsschicht (Wieprecht 2000). Der spezifische Erosionswiderstand resul-

tiert maßgeblich aus dem Eigengewicht des Materials und den Bindungskräften

zwischen seinen Komponenten (Schweim 2005). Die Schubspannungen an der

Grenzfläche zwischen Material und Strömung nehmen mit dem Quadrat der

Fließgeschwindigkeit zu. Die durch Oberflächenwasser ausgelösten Erosions-

prozesse führen zum Beispiel durch Umlagerung und Abtransport zum Verlust

nahezu aller Kornfraktionen eines Erdstoffes. Infolge äußerer Erosionsprozesse

besteht die Möglichkeit, dass sich Einzelsteine aus dem Verband von Pflaster-

flächen lösen oder dass Deckschichten von Fahrbahnen oder Deckwerke von

Straßendämmen abgleiten. Im Bereich von Böschungen und Geländesprüngen

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mit Stützbauwerken kann diese Erscheinung zum Stabilitätsversagen, das heißt

zum Böschungs- beziehungsweise Geländebruch, führen. Die äußere Suffosion

zählt zu den Materialtransportvorgängen innerhalb einer Konstruktions- bezie-

hungsweise Bodenschicht, welche in Richtung einer freien Oberfläche verlau-

fen. Da die nachfolgend erläuterte innere Suffosion eine wesentliche Vorausset-

zung für die äußere Suffosion bildet, wird in diesem Beitrag auf eine Differen-

zierung dieser beiden Mechanismen verzichtet.

Fugen- und Kontakterosion

Die Fachliteratur verwendet inhaltlich abweichende Definitionen für die beiden

Erosionsprozesse (vgl. z. B. Patt und Jüpner 2013, BAW 2013). Fugenerosion

beziehungsweise Piping bezeichnet den schichtenparallelen Partikeltransport

entlang von Grenzflächen infolge hydrodynamischer Einwirkungen (Si-

ckerströmung). Diese Grenzflächen liegen jeweils im Kontaktbereich (i) ver-

schiedener Bodenschichten, etwa zwischen bindigen und unterlagernden, durch-

lässigen Bodenschichten, (ii) zwischen Fahrbahndeckschichten und darunter lie-

genden ungebundenen Tragschichten oder (iii) zwischen massiven Bauwerken

(z. B. Kanalisation) beziehungsweise Bauteilen (z. B. Straßenausstattung) und

dem Baugrund vor (Laursen 2011). In der Folge treten Unterspülungen der

Deckschichten, der Bauwerke beziehungsweise der Bauteile auf (Boley 2012).

Fugenerosion ist eine häufige Ursache des Erosionsgrundbruchs (z. B. Patt und

Jüpner 2013, S. 196). Kontakterosion beschreibt hingegen den schichtennorma-

len Transport feiner Bodenpartikel in einen angrenzenden grobkörnigen Boden,

in dem sich der Prozess als innere Suffusion und Kolmation fortsetzt

(BAW 2013).

Exfiltration und Infiltration

Während eines Überflutungsereignisses besteht die Möglichkeit der Exfiltration

von Abwasser aus der Kanalisation, das bedeutet, dass Wasser aus unterirdi-

schen Abwasserkanälen austritt und anschließend Feinanteile aus dem Kornge-

rüst des Bodens verlagert (innere Suffosion), angrenzende Bodenpartikel voll-

ständig verdrängt (innere Erosion) und Schadstoffe ins Grundwasser einträgt.

Exfiltration führt zu einer rückschreitenden Erosion, das heißt einer sich gegen

die Fließrichtung des Wassers ausbildende Störung, die wiederum Setzungen

und Einbrüche darüber liegender Bodenschichten und der Straßenkonstruktion

bedingen kann (Witt 2014). Das Abwasserkanalsystem füllt sich im Überflu-

tungsfall vollständig mit Wasser, sofern keine Schutzeinrichtungen, wie etwa

verschließbare Schachtdeckel oder mobile Barrieren, das Eindringen verhindern.

Je höher der Wasserstand über dem Gelände ist, desto höher steigt der Druck im

vollständig gefüllten Kanal, der in der Regel als Freispiegel- und nicht als

Page 80: bemessung im wasserbau

72 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung

Druckwasserleitung bemessenen ist. Aufgrund des vorherrschenden Drucks

strömt Wasser aus undichten Kanälen aus, zum Beispiel durch Risse, an Bruch-

und Fehlstellen oder an klaffenden Fugen beziehungsweise offenen Muffen, die

durch Korrosion, mechanischen Verschleiß, Verformungen oder Lageabwei-

chungen hervorgerufen werden können (Stein und Stein 2014).

Bei hoch anstehendem Grundwasser oder Schichtenwasser kann der beschriebe-

ne Prozess hingegen in umgekehrter Richtung verlaufen. Steigt das Grund- be-

ziehungsweise Schichtenwasser über die Kanalhaltung hinaus, wirkt drückendes

Wasser von außen auf den Abwasserkanal ein. In diesem Fall kann Grundwasser

zusammen mit transportierten Bodenmaterialien (Suffosion) durch Undichtig-

keiten in die Kanäle eindringen (Infiltration). Der Infiltrationsprozess hängt so-

wohl von der Größe und Form der Undichtigkeit des Kanals als auch von der

Korngrößenverteilung und Lagerungsdichte des Bodens ab (Stein und

Stein 2014). Als Folgen sind auch bei diesem Phänomen Hohlraumbildungen,

das Stabilitätsversagen des Bodengefüges sowie Einbrüche in der Kanalumge-

bung und der darüber liegenden Straße anzusprechen. Vorliegende Schadensdo-

kumentationen von Straßeneinbrüchen weisen die Exfiltration und Infiltration

als signifikante Schadensmechanismen nach.

Plastizität und Verkehrsbelastung

Der vorliegende Schadensmechanismus beruht (i) auf der Plastizität, das heißt

der nachteiligen Veränderung der Verformbarkeit und Tragfähigkeit, intensiv

durchfeuchteter bindiger Bodenschichten als Folge einer statischen Überflutung

sowie (ii) einer erhöhten dynamischen Belastung von Straßenoberbauten durch

Schwerlastverkehr. Die Zunahme des Wassergehalts führt insbesondere bei

feinkörnigen bindigen Böden zu einer Zunahme der Verformbarkeit und einer

Minderung der Tragfähigkeit. Eine erhöhte Verkehrsbelastung resultiert zum

Beispiel aus

dem Einsatz von Schwerlastfahrzeugen des Rettungs- und Katastrophen-

schutzes (z. B. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Bundeswehr), die wäh-

rend eines Ereignisses auf überfluteten Verkehrsflächen fahren,

der Verwendung schwerer Räum- und Entsorgungsfahrzeuge (z. B. Contai-

nerfahrzeuge), die unmittelbar nach einem Überflutungsereignis Sperrmüll,

Schutt und Geschiebe abtransportieren oder

der planmäßigen Verkehrsfreigabe für den regulären Schwerlastverkehr, etwa

aufgrund der hohen Kritikalität des Straßenabschnittes, bevor die mechani-

sche Tragfähigkeit der gesamten Straßenkonstruktion überprüft und gegebe-

nenfalls wieder hergestellt ist.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Die Folgen der Plastizitätsänderungen bei gleichzeitiger Verkehrsbeanspruchung

sind zum Beispiel lastabhängige vertikale Verformungen des Straßenaufbaus,

wie etwa Setzungen, Senkungen oder Sackungen.

Porenwasserüberdruck

Bei unzureichender Wasserdurchlässigkeit ungebundener Tragschichten, etwa

aufgrund zu geringer Durchlässigkeitsbeiwerte oder infolge eines verminderten

Abtransports des eingetretenen Wassers über den Untergrund beziehungsweise

über die Seitenflächen der Straßenbefestigung, kann der Wassergehalt in der

Konstruktionsschicht bis zur Sättigung unerwünscht ansteigen. Da in diesem

Fall das Wasser bei Aufbringen einer äußeren (Verkehrs-)Last nicht unmittelbar

aus dem Porenraum entweichen kann, bildet sich bis zur Konsolidation ein Po-

renwasserüberdruck. Dieser Mechanismus führt zum Beispiel zur Bodenverfor-

mung und somit zu Straßenunebenheiten, Stufenbildungen an Betonplattenrän-

dern oder Zerstörungen von Pflasterdecken und reduziert somit signifikant die

Lebensdauer der Straßenbefestigung.

2.4 Schadenstypen und Schadensbilder

Charakteristische Schadenstypen

Gleichwohl bei der Schadensanalyse ex post an überfluteten Straßen mitunter

eine zunächst unübersichtliche Vielfalt an Schadensbildern vorliegt, lassen sich

dennoch charakteristische Schadenstypen abgrenzen. Die Systematisierung von

potenziellen Überflutungsschäden leistet somit einen Beitrag zur Schadensprog-

nose ex ante. Alle wesentlichen Schadensbilder an SVIS, die infolge von Über-

flutungsereignissen auftreten, lassen sich zunächst den folgenden vier charakte-

ristischen Schadenstypen zuordnen:

Schäden an Straßendämmen, Böschungen und Stützbauwerken

Schäden an Fahrbahnoberflächen beziehungsweise Deckschichten

Schäden an Trag- und Frostschutzschichten, an Unterbauten und am Unter-

grund

Schäden an Straßenausstattungen

Dieser Aufsatz beschreibt auszugsweise die beiden Schadenstypen Schäden an

Straßendämmen, Böschungen und Stützbauwerken sowie Schäden an Fahrbahn-

oberflächen beziehungsweise Deckschichten. Weiterführenden Informationen

enthält u. a. Golz et al. (2017).

Page 82: bemessung im wasserbau

74 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung

Schäden an Straßendämmen, Böschungen und Stützbauwerken

Die Auswertung vorliegender Schadensdaten belegt, dass die Gruppe der Schä-

den an Böschungen und Stützbauwerken insbesondere für außerörtliche Land-

straßen von signifikanter Bedeutung ist, während Schäden an innerörtlichen

Stadtstraßen vorrangig den drei anderen Schadenstypen zuzuordnen sind. Über-

strömt Hochwasser einen geneigten Straßendamm (Regelböschungsneigung

1:1,5), steigen in Abhängigkeit von der Fließtiefe und Fließgeschwindigkeit un-

ter anderem die Gefahren, dass

sich die vorhandenen Deckwerksmaterialien von der Dammflanke (Vegetati-

onsdeckwerk) in Richtung des Dammfußes umlagern, sofern die auftretenden

Schubspannungen die maximal aufnehmbaren Schubspannungen des – in der

Regel grasbewachsenen – Deckwerkes überschreiten,

sich am Fuß des Dammes aufgrund der dort auftretenden erhöhten Fließge-

schwindigkeiten und der starken Turbulenzen Kolke bilden, die anschließend

wiederum eine sich rückschreitend ausbreitende Erosion auslösen oder

dass die Stabilität des Straßendamms versagt, der Damm bricht und sich eine

Bresche bildet.

Zu den relevanten Schadensbildern an Böschungen und Stützbauwerken zählen

u. a. der Böschungsbruch, das heißt das Abrutschen eines Erdkörpers an Bö-

schungen, Hängen und Dämmen, sowie der Geländebruch, der auf dem Versa-

gen eines Geländesprungs mit einem Stützbauwerk beruht (Hettler 2000). Maß-

gebliche Schadensprozesse sind hierbei zum Beispiel das Unterspülen von Bö-

schungs- beziehungsweise Stützwandfüßen (Fugenerosion) oder der Abtrag von

Böschungsoberflächen (äußere Erosion). Die infolge der Wassereinwirkungen

ausgelösten Bruchmechanismen führen in der Regel zum Verlust der Standsi-

cherheit.

Darüber hinaus bilden konstruktive Quer- beziehungsweise Unterführungsbau-

werke, wie etwa Düker, Durchlässe oder Verrohrungen, die den Straßendamm

kreuzen, Diskontinuitäten, an denen ebenfalls eine erhöhte Wahrscheinlichkeit

des Standsicherheitsverlustes infolge Fugenerosion beziehungsweise rückschrei-

tender Erosion besteht. Die Problematik massiver Querbauwerke in Straßen-

dämmen ist kongruent zur Zuverlässigkeitsbewertung und Schwachstellenidenti-

fikation hochwasserbeanspruchter Flussdeiche (Heyer und Stamm 2014).

Schäden an Fahrbahnoberflächen beziehungsweise Deckschichten

Schäden an Fahrbahnoberflächen gehören, neben Schäden an Trag- und Frost-

schutzschichten sowie Schäden an Straßenausstattungen, zu den relevanten

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 75

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Schadenstypen an innerörtlichen Stadtstraßen. Übliche Schadensbilder an Deck-

schichten sind, in Abhängigkeit von der Einwirkungsintensität und der konstruk-

tionsspezifischen Erosionsstabilität,

das lokale Versagen einzelner Deckschichtkomponenten, wie etwa die Erosi-

on von Einzelsteinen,

das Abgleiten der gesamten Fahrbahndecke im hydraulisch belasteten Be-

reich sowie

das Ausbrechen (Ausbeulen) der Deckschicht infolge zu hoher Horizontal-

kräfte.

Pflasterdeckschichten verfügen über eine vergleichsweise kleinteilige, regelmä-

ßige oder regellose Struktur mit einem hohen Fugenanteil. Das Eigengewicht

der einzelnen Pflastersteine ist in der Regel relativ gering. In vielen Fällen wei-

sen Pflasterbauweisen einen geringen Flächenverbund (z. B. ungebundenes Mo-

saiksteinpflaster) auf. Die Rauheit der Deckschichtoberfläche verstärkt Turbu-

lenzen und hydrodynamische Druckschwankungen.

Diese vier Eigenschaften mindern folglich den charakteristischen Erosionswi-

derstand der Pflasterdecke, so dass Erosionsprozesse bereits bei geringeren

Fließgeschwindigkeiten einsetzen. Ein ausreichender Erosionswiderstand des

Einzelsteins, welcher auf dem Nachweis der Auftriebssicherheit unter Berück-

sichtigung hydrodynamischer Druckschwankungen basiert, bildet eine notwen-

dige Bedingung für die Deckschichtstabilität. Die Lockerung des Pflasterstein-

verbandes infolge freigelegter Fugen beeinflusst die Auftriebssicherheit und so-

mit den Erosionswiderstand nachteilig.

3 Ausblick

Weiterführende ingenieurwissenschaftliche Untersuchungen sollten ein metho-

disches Gesamtkonzept beschreiben, das die multikriterielle Bewertung der

Schadensanfälligkeit (physische Vulnerabilität) überflutungsbeanspruchter SVIS

erlaubt. Für diesen Zweck ist die Verwendung eines weiter konkretisierten syn-

thetischen Schadensmodells denkbar, welches auf den hier vorgestellten Scha-

densmechanismen und Schadenstypen aufbaut. Das synthetische Schadensmo-

dell basiert folglich auf ingenieurwissenschaftlich fundierten Ursache-

Wirkungs-Beziehungen, welche die kausalen Wirkungszusammenhänge zwi-

schen definierten Überflutungsbeanspruchungen und den nachteiligen Folgen,

das heißt direkten, physisch auftretenden Schäden an der Straßenkonstruktion,

für unterschiedliche Straßentypen erklären. Eine Herausforderung stellt in die-

Page 84: bemessung im wasserbau

76 Schadensanfälligkeit von Straßenverkehrsinfrastrukturen gegenüber Überflutung

sem Zusammenhang auch die Erarbeitung einer Typologie für SVIS dar, welche

die Schadensanfälligkeit mit bestimmten Straßentypen verknüpft. Dieser Schritt

wäre ein innovativer Ansatz zur Ermittlung der Schadensanfälligkeit von SVIS,

der sich auf verschiedene räumliche Bezugsebenen skalieren ließe.

4 Literatur

Bohnenkamp, C. (2016): Untersuchung der Schadensanfälligkeit ausgewählter

Verkehrsinfrastrukturen gegenüber Hochwassereinwirkungen. Diplomarbeit.

Technische Universität Dresden.

Gebbeken, N.; Teich, M. (2011): Zur Sicherheit kritischer Infrastrukturen unter

außergewöhnlichen multiplen Gefährdungen. In: Bautechnik, 88 (10), 663–667.

Golz, S.; Bohnenkamp, C.; Heyer, T. (im Erscheinen): Überflutungsbedingte Schäden an

Straßenverkehrsinfrastrukturen. WasserWirtschaft.

Laursen, C. (2011): Nachweis gegen Fugenerosion gemäß dem Merkblatt

„Standsicherheit von Dämmen an Bundeswasserstraßen“. In: BAW (Ed.)

Geohydraulische Aspekte bei Bauwerken der WSV. BAW Mitteilungen Nr. 94.

Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).

Müller, U. (2010): Hochwasserrisikomanagement – Theorie und Praxis. Wiesbaden:

Vieweg + Teubner Verlag.

Patt, H.; Jüpner, R. (Eds) (2013): Hochwasser-Handbuch – Auswirkungen und Schutz. 2.

neu bearbeitete Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer Vieweg.

Schweim, C. (2005): Modellierung und Prognose der Erosion feiner Sedimente.

Dissertation. Rheinisch-Westfälische Universität Aachen.

Stein, D.; Stein, R. (2014): Instandhaltung von Kanalisationen – Band 1. 4. Auflage.

Bochum: Stein & Partner.

Wieprecht, S. (2000): Morphodynamische Prozesse in Fließgewässern – Literaturstudie.

Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA).

Witt, K.-J. (2014): Suffosion nichtbindiger Böden – Phänomen und Nachweismethode.

In: BAW (Ed.). BAW-Kolloquium: Filter und hydraulische Transportvorgänge im

Boden. Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).

Autoren:

Dr.-Ing. Sebastian Golz

Leibniz-Institut für ökologische

Raumentwicklung (IÖR)

Weberplatz 1

01217 Dresden

Tel.: +49 351 4679 263

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Christoph Bohnenkamp

Leibniz-Institut für ökologische

Raumentwicklung (IÖR)

Weberplatz 1

01217 Dresden

Tel.: +49 351 4679 263

E-Mail: [email protected]

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen

und kleinen Straßendämmen zum Hochwasser-

rückhalt

Olaf Düser

Hochwasserrückhalt im Bereich der Entstehung von abflusswirksamen Niederschlägen führt

insbesondere bei kleineren Einzugsgebieten zu einem merklich verbesserten Hochwasser-

schutz.

Ländliche Wege, die Talquerungen in leichter Dammlage überbrücken, können im Zuge von

Neubaumaßnahmen mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen für den dezentralen Hoch-

wasserschutz ausgebaut werden. Die Dammkonstruktion ist überströmungssicher zu gestalten.

Werden in einem Einzugsgebiet mehrere Talquerungen entsprechend ausgebaut, kann leicht

ein Speichervolumen geschaffen werden, das der Größe eines mittleren Hochwasserrückhal-

tebeckens gemäß DIN 19700-12 [1] entspricht. Die Sicherung für den Fall einer Überströ-

mung ist mit einfachen geotechnischen Methoden erzielbar. Ein derart modifizierter Damm-

körper fügt sich auch weiterhin gut in das Landschaftsbild ein.

1 Einleitung

Im Zuge von Flurbereinigungsmaßnahmen werden u.a. Feldwege neu angelegt

bzw. für den heutigen landwirtschaftlichen Verkehr ausgebaut. Im Bereich von

Talquerungen werden die Wegetrassen meist in leichter Dammlage angelegt.

Dort, wo Fließgewässer gekreuzt werden, sind meist Durchlässe angeordnet, die

annähernd den Abflussquerschnitt des durchströmenden Gewässers bieten. Ein

Rückstau soll dadurch zumindest bei kleineren und mittleren Hochwasserereig-

nissen unterbunden werden. Die Feldwege dienen in der Regel nicht zur Auf-

rechterhaltung von Verkehrsverbindungen bei Extremereignissen. Das Erforder-

nis für einen rückstaufreien Abfluss liegt vorwiegend in landwirtschaftlichen

Interessen.

Dabei können derartige Talquerungen als Speicherkaskaden zumindest für einen

temporären Hochwasserrückhalt und damit für eine deutliche Retentionswirkung

stehen. Nachfolgend wird an einem Beispiel gezeigt, wie mit vergleichsweise

einfachen Mitteln ein derartiges Speichersystem geschaffen werden kann.

Page 86: bemessung im wasserbau

78

Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen

zum Hochwasserschutz

2 Allgemeine Angaben

Durch die Ortslage der Bad Saulgauer Teilgemeinde Moosheim verläuft in ver-

dolter Form der Nonnenbach, s. Abb. 1. Unterhalb der Ortslage mündet das

Fließgewässer in die Schwarzach, ein Nebengewässer der Donau. Der Nonnen-

bach hat ein vergleichsweise kleines Einzugsgebiet von unter 10 km². Das Ge-

lände ist mäßig steil. Es herrscht Grünlandwirtschaft vor. Der oberflächennahe

Untergrund ist zumeist gering sickerfähig. Bei Starkniederschlägen kommt es

rasch zu Gewässerausuferungen und im Bereich des Gewässereintritts in die

Verdolung Ortseingangs von Mooshausen zum Rückstau. Überflutungen im

Ortsbereich sind die Folge. Durch eine Retentionswirkung mehrerer oberstromig

anzulegender Speicherkaskaden soll die Hochwassersituation für die Ortslage

entschärft werden.

Abbildung 1: Einmündung des Nonnenbachs am Ortsrand von Moosheim in die Verdolung

Im Einzugsgebiet des Nonnenbachs oberstrom von Moosheim bieten sich vor-

nehmlich drei Bereiche zur Zwischenspeicherung an. In Abb. 2 sind die Lage

dreier temporärer Speicherbecken und das jeweilige, grob abgeschätzte Spei-

chervolumen bei Einstauhöhen um einen Meter angegeben.

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Abbildung 2: Mögliche Retentionsräume zur temporären Speicherung von Oberflächen-abflüssen sowie weitere Angaben zur örtlichen Situation

Es zeigt sich, dass mit drei kleineren Becken bereits Speichervolumina von rund

130.000 m³ geschaffen werden können. Gemäß DIN 19700-12 (Stauanlagen –

Rückhaltebecken [1]) entspricht dieses Volumen bereits einer mittleren Becken-

größe.

Grundsätzliche Voraussetzungen für die Wahl der Retentionsräume sind:

bereits vorhandene Wegequerungen in der Talebene,

keine Bauwerke im potenziellen Stauraum,

kurze Einstauzeiten (i.d.R. nur für Stunden),

Grünlandnutzung im Retentionsraum und

Große Breite des Talbodens bzw. niedriges Gefälle bestehender Hänge.

Page 88: bemessung im wasserbau

80

Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen

zum Hochwasserschutz

3 Wegeausbau im Bereich der Retention 1

In diesem Abschnitt wurde der Wegeausbau bereits zum großen Teil ausgeführt.

Die bisherige Trassenführung quer zur Talebene war annähernd geländegleich.

Nunmehr wurden die Trasse um ca. 0,7 m angehoben sowie die Fahrspur auf

3 m verbreitert und mit einer Asphaltdecke befestigt. Im Bereich des bestehen-

den Gewässerdurchlasses DN 1800 Stb wurde auf der Stauraumseite ein regu-

lierbares Drosselorgan eingebaut. Bei der Konstruktion sollte eine zeitweise

Dammüberströmung eingeplant werden; denn eine Hochwasserentlastung war

nicht vorgesehen.

Der Untergrund im Bereich der Baumaßnahme besteht vornehmlich aus organi-

schen Schwemmsedimenten mit Torf- bzw. Anmoor-Zwischenlagen.

Auf der Stauraumseite wurde der kiesige und damit stark wasserdurchlässige

Straßenunterbau mit einer Vorlage aus schluffigem-sandigem Kies (Bodengrup-

pe GU* nach DIN 18196 [2]) auf einer Breite von ein bis zwei Metern kraft-

schlüssig abgedeckt. Zur Luftseite wurde ebenfalls eine derartige Andeckung

vorgesehen. Die Böschungsneigungen wurden mit 1:3 und flacher ausgeführt, so

dass die landwirtschaftliche Nutzbarkeit wie vor der Maßnahme sichergestellt

ist.

Auf der Stauraum abgewandten Seite wurde die Böschung derart modelliert,

dass bei einer Überströmung des Weges ein ggf. eintretender Wechselsprung

und die damit einhergehende Kolkgefahr möglichst weit vom Wegedamm weg

verlagert wird. In Abb. 3 ist dieser Wechselsprungeffekt im Bereich eines über-

strömten Straßenabschnitts während des Hochwasserereignisses im August 2005

an der Oberen Iller dargestellt. Der Wasserstand im Straßenbereich lag bei ca.

0,3 m. Die Dammhöhe ist ähnlich gelagert, wie zuvor geschildert. Deutlich ist

die Ausbildung der Deckwalze auf der linken Seite am Böschungsfuß zu erken-

nen.

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Abbildung 3: Überströmter Straßenkörper; deutlich erkennbar ist die Deckwalze am talsei-

tigen Fuß des Straßendamms

Zum Schutz vor äußerer Erosion infolge einer Überströmung sind - neben der

Wahl eines gut verdichtbaren Kieses der Bodengruppe GU* - der Einbau von

dehnsteifen Geogittern sowie die Ausbildung eines flächendeckenden Grasbe-

wuchses vorgesehen. Durch die landwirtschaftliche Nutzung ist eine regelmäßi-

ge Pflege sichergestellt, so dass sich ein intensiver Wurzelfilz ausbilden kann.

Überströmungssicherheit ist damit gegeben.

Bedingt durch die seitliche, gering wasserdurchlässige Andeckung (Dichtungs-

schürze) und den bindigen Untergrund ist eine permanente Entwässerung des

Wegeunterbaus nicht sichergestellt, so dass zur Gewährleistung der Frostsicher-

heit Entwässerungsstränge zur Talseite hin einzusetzen sind. In Abb. 4 ist die

Konstruktion im Schnitt dargestellt.

Page 90: bemessung im wasserbau

82

Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen

zum Hochwasserschutz

Abbildung 4: Geplanter Aufbau des Wegedamms im Bereich von Retentionsraum 1.

Berechnungen zum Böschungs- und Geländebruch bei Volleinstau mit begin-

nender Überströmung (außergewöhnliche Bemessungssituation BS-A gemäß

Teilsicherheitskonzept DIN 1054 [3]) weisen ein ausreichend standsicheres Sys-

tem mit einem Ausnutzungsgrad um 0,7 nach, s. Abb. 5. Weitergehende

Nachweise bezüglich Gleiten, Spreizen, innerer Erosion und Suffosion zeigen in

dieser Situation ebenfalls ausreichende Standsicherheit an.

Abbildung 5: Böschungs- und Geländebruch; der höchste Ausnutzungsgrad errechnet sich

bei Überströmung und Verkehrsbelastung zu µ = 0,7, BS-A.

Nach erfolgter Vorplanung mit Festlegung der Materialanforderungen wurde die

Bauausführung zeitlich gestaffelt vorgenommen. So konnte beispielsweise für

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das Andeckmaterial sehr kostengünstig auf Erdaushub einer größeren benach-

barten Baumaßnahme zurückgegriffen werden. Der örtliche Oberboden konnte

zur Andeckung wieder verwendet werden. Abb. 6 zeigt ein Lichtbild mit Ab-

schub des Oberbodens und Beginn des Einbaus der wasserseitigen Dichtung; der

bestehende Feldweg dient als Baustraße.

Abbildung 6: Beginn der Baumaßnahme mit Einbau der stauraumseitigen Dichtung

Abb. 7 zeigt die Situation nach Fertigstellung der Dammtrasse und bewachsenen

Seitenandeckungen. Der Retentionsraum liegt linksseitig des Dammes. In Bild 8

Page 92: bemessung im wasserbau

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Nutzung und Ertüchtigung von ländlichen Wegen und kleinen Straßendämmen

zum Hochwasserschutz

ist ein Einstauereignis festgehalten. Im Bildvordergrund ist das eingestaute

Drosselorgan zu erkennen.

Abbildung 7: Wegedamm kurz vor Aufbau der Asphaltdecke. Die Seiten sind begrünt und

landwirtschaftlich nutzbar.

Abbildung 8: Blick von der gegenüberliegenden Talseite beim Teileinstau. Im Vordergrund

ist das Drosselorgan zu erkennen [Foto: Herr Egle, IB Schranz, Bad Saulgau]

Die vorgestellte Dammertüchtigung mit den Dichtungsschürzen und den zu be-

achtenden Aspekten gemäß Abb. 3 sind praktisch überall bis Dammhöhen um

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einen Meter realisierbar. Das Mitwirken eines Sachverständigen für Geotechnik

/ Wasserbau bei der optimalen Gestaltung der Konstruktion ist dabei anzuraten.

4 Literatur

[1] DIN 19700-12: Stauanlagen – Teil 12: Hochwasserrückhaltebecken, Stand 07.2004,

Beuth-Verlag, Berlin

[2] DIN 18196: Erd- und Grundbau, Bodenklassifikation für bautechnische Zwecke, Stand

05.2011, Beuth-Verlag, Berlin

[3] DIN 1054: Baugrund – Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau – Ergänzende

Regelungen zu DIN EN 1997-1 (Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in

der Geotechnik), Stand 12.2010, mit Aktualisierungen A1: 08.2012 und A2:11.2015,

Beuth-Verlag, Berlin

Autor:

Dr.-Ing. Olaf Düser,

Geschäftsführer

Dr. Ebel & Co. Ingenieurgesellschaft für Geotechnik und Wasserwirtschaft mbH,

St.-Ulrich-Straße 21

D-88410 Bad Wurzach

Tel.: +49 7564 94897 13

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Page 94: bemessung im wasserbau

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40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung

– zu viel oder zu wenig Daten?

Marc Scheibel

Paula Lorza

Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Vielfalt und dem Umgang von was-

serwirtschaftlichen Daten, welche für die Bemessung und den Betrieb wasserwirt-

schaftlicher Anlagen notwendig sind. Mit der Steigerung der Qualität von Mess-

und Fernerkundungsdaten stiegen allerdings auch parallel die Anforderungen an

die Anlagen (und an die Einbindung von Messdaten in den Betrieb).

Neben langen historischen Zeitreihen, welche jedoch „nur“ punktuell vorliegen

stehen mittlerweile auch flächenmäßig erfasste Klimagrößen durch z.B. Wetterra-

dare oder Satelliten zur Verfügung. Diese jedoch erst seit einem wesentlich kürze-

ren und damit statistisch noch nicht so repräsentativen Zeitraum.

Der Beitrag soll einen Überblick geben welche Daten zur Verfügung stehen und

welche Vorteile, aber auch Problemstellungen sich bei der Auswertung für eine

entsprechende Anwendung ergeben.

Stichworte: Unsicherheiten, Kommunikation, Bemessungsansätze

1 Einleitung

Wasserbauliche Anlagen sind aufgrund ihrer meist auf mehrere Dekaden ausge-

legten Abschreibungs- und Betriebsdauern während dieser langen Zeiträume

regelmäßig auf veränderte Randbedingungen, Anforderungen und Nutzungsan-

sprüchen zumindest zu überprüfen. Oftmals ergeben sich daraus auch Anpas-

sungserfordernisse, welche Maßnahmen in Bau und Betrieb nach sich ziehen.

Damit ist es nicht mit einer einmaligen Planung und Bemessung getan sondern

eine Daueraufgabe die Anlagen zu prüfen, zu ergänzen, zu ändern oder auch zu-

rück zu bauen.

Die Erfordernis des Baus einer Anlage im Wasserbau ergab sich in der Vergan-

genheit auf der Basis von Erfahrungen einzelner Situationen. Die Bemessungen

wurden mittels historischer Aufzeichnungen an einzelnen, punktuellen Stationen

über abgeleitete Reihen aufgebaut und mit Modellen ergänzt. Mittlerweile liegen

jedoch nicht nur punktuelle Messgrößen vor, sondern werden durch flächenhafte

Erfassungen wie Satelliten- oder Radardaten ergänzt. Die Bemessungsgrößen

Page 96: bemessung im wasserbau

88 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?

werden nun nicht mehr nur durch statistische Auswertungen von historischen

Daten ermittelt, sondern auch mit Szenarien möglicher zukünftiger Entwicklun-

gen der Einflussgrößen verglichen. Hierbei handelt es sich nicht nur um die kli-

matologischen Kenngrößen (aus regionalen und globalen Zirkulationsmodellen

zur Klimavorhersagen), sondern auch Randbedingungen wie Flächenentwick-

lungen, Einwohnerzahlen oder z.B. die Entwicklung des Wasserverbrauches.

Durch die Vielfalt der Daten entstehen jedoch neue Unsicherheiten, welche jede

Methode der Erhebung und Auswertung mit sich bringen. So entstehen Spann-

breiten bei der Bemessung für die Zukunft einer Anlage – denn dafür wird sie

schließlich bemessen und nicht für die Vergangenheit – die berücksichtigt und

kommuniziert werden müssen.

2 Eingangsdaten für die Bemessung

2.1 Punkt- und Gebietsniederschlag

Abbildung 1: Verteilung der Niederschlagsstationen beim Wupperverband und Auflösung

des Rasters „Radar Essen“ (Bildquelle: Wupperverband 2017)

Eine wesentliche Eingangsgröße für die Bemessung wasserwirtschaftlicher An-

lagen ist der Niederschlag, bzw. der effektive, also zum Abfluss kommende

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Niederschlag. Messungen finden Eingang in unterschiedliche Abflussmodellie-

rungsansätze als Belastungsgröße. In der Praxis liegen in räumlicher und zeitli-

cher Auflösung unterschiedlich ausgeprägte Datensätze vor. Beim Wupperver-

band stehen zum Beispiel seit mehr als hundert Jahren Tageswerte zur Verfü-

gung, Schreiberdaten in höherer zeitlicher Auflösung (aktuell in Minuten) seit

über 60 Jahren und aufbereitete Radardaten des Deutschen Wetterdienstes seit

15 Jahren (Verteilung der Stationen und Auflösung des Rasters der Radarstation

Essen - siehe Abbildung 1).

Die Langjährigen Reihen haben den Vorteil statistisch höchst repräsentativ zu

sein, da sie bereits mehrere Wetterzyklen durchlaufen haben und trockene wie

feuchte Perioden verschiedenster Ausprägung beinhalten. Da die Tageswerte

jedoch zur Bemessung urbaner, schnell reagierender Systeme nicht hoch genug

aufgelöst sind muss man hier auf die kürzeren Datensätze der Schreiber zurück-

greifen. Gerade für konvektive Ereignisse können die kleinräumigen Strukturen

der Regenzellen jedoch durch die vorhandene räumliche Dichte nicht ausrei-

chend erfasst werden – hier haben die Regenradarerfassungen einen entschei-

denden Vorteil (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1 Kenngrößen der unterschiedlichen Datensätze (Quelle: Scheibel 2017)

Messtyp Zeitliche Auflösung Räumliche Verteilung Klimatologische

Repräsentanz

Tageswerte niedrig niedrig bis mittel hoch

Schreiber mittel bis sehr hoch mittel hoch bis mittel

Radar hoch hoch niedrig

Bei der vergleichenden Betrachtung der Zeitreihen ergeben sich somit Unter-

schiede bedingt durch die zeitliche durch und räumliche Verteilung. Diese wir-

ken sich auf die abzuleitenden (statistischen) Bemessungsgrößen aus. Beispiel-

haft zu welchen Spannbreiten eine unterschiedliche Datenbasis führen kann,

wird in Abbildung 2 der 10-jährliche Niederschlag mit der Dauerstufe 60 Minu-

ten von 4 verschiedenen Stationen dargestellt und mit der zugehörigen Kachel

des KOSTRA-DWD-2000 aus DWD (2005) als blauer Balken verglichen. Einer-

seits wird mit den roten Balken das Ergebnis für die langjährige Statistik der

Stationen (mehrere Jahrzehnte) und mit den grünen Balken für die Serie aus dem

vergleichenden Zeitraum der Radardaten (ca. 10 Jahre) gegenübergestellt. Man

kann die Zufälligkeit des Auftretens der prägenden Ereignisse dadurch erken-

nen, das mal die langjährige und mal die kurze Serie höhere Werte liefert.

Page 98: bemessung im wasserbau

90 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?

Abbildung 2: Statistische Niederschlagsmengen für die Dauerstufe 60 Minuten und eine

Wiederkehrhäufigkeit von 10 Jahren an den Untersuchungsstationen (Bild-

quelle: Wupperverband 2014)

Die Unterschiede, welche sich aufgrund der „flächenhaften“ (eigentliche Volu-

men) „Messung des Niederschlages“ (eigentlich Reflektion) zu der punktbasier-

ten Messung ergeben zusätzliche Unsicherheitsbereiche. Je nach Entfernung und

damit Ausrichtung und Auflösung des Rasters und entsprechender Höhe des

Niederschlagsscans ergeben sich – beeinflusst durch weitere Faktoren – unter-

schiedliche Vergleichswerte (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Ausgewählte Regenschreiberstationen und die zugehörigen Radarpixel unter-

schiedlicher (drei) Einzelradars nebst Kompositprodukt (links) und der Ver-

gleich der partiellen Serien aus Station und umgebenden Pixeln für eine Dau-

erstufe 60 Minuten (Bildquelle: Wupperverband 2014)

Resultierend gibt es somit aus den bestehenden Untersuchungen bereits Spann-

breiten der zur Bemessung entscheidenden Ereignisse von gut 20 %. Ergebnisse

aus Scheibel, M. et al. (2014).

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„Bemessung im Wasserbau“ 91

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2.2 Historische und Prognosedaten

Neben den aufgeführten Unterschieden in den historischen (Mess-)datensätzen

ist die Frage wie repräsentativ sind diese auch für zukünftige Systemzustände.

Da die Zukunft unbekannt ist lassen sich nur aus den Erfahrungen und unter Ab-

schätzung von zukünftigen Randbedingungen Bemessungszustände für einen

längeren Gültigkeitszeitraum entwickeln. Diese bleiben aber immer mit den ent-

sprechenden Unsicherheiten – einerseits aus den, den Hypothesen zugrunde lie-

genden historischen Erkenntnissen, als auch aus der zukünftigen tatsächlichen

Entwicklung behaftet.

Abbildung 4: Aus der Historie das Wissen für Zukunft ableiten (Bildquelle: Wupperver-

band 2017)

Zusätzlich zu der Ableitung der statistischen Kenngrößen als gültige Bemes-

sungsgrößen für eine geplante Betriebsdauer können aus globalen Zirkulations-

modellen und regionalen Klimamodellen aus dem Bereich der Klimafolgenfor-

schung ebenfalls Abschätzungen für zukünftige Entwicklungen z.B. des Nieder-

schlagsgeschehens getroffen werden. Diese sind allerdings aufgrund der ange-

nommenen Emissionsszenarien und dem „störungsanfälligen“ System Wetter

mit noch größeren Unsicherheiten behaftet.

Um die Eignung der Modelle für entsprechende Fragestellungen zu überprüfen,

werden die sogenannten Referenzzeiträume (Zeiträume in denen Beobachtungen

und Modelle verglichen werden – ähnlich der hydrologischen und hydraulischen

Kalibrierung) betrachtet. Weichen Modell und Beobachtung voneinander ab,

gibt es zwei Möglichkeiten: a) Anpassung des Modelles – Zugriff der Wasser-

wirtschaft auf die Modelle ist hier aber nicht gegeben oder b) Bias Korrekturen.

Hierbei ist zu beachten, dass nach Korrektur einzelner Parameter wie dem Nie-

derschlag die Wasserbilanz wieder stimmen muss – heißt auch weitere Parame-

ter wie Verdunstung müssen angepasst werden. Aufgrund des Aufwandes und

der Unsicherheiten durch nachträgliches „Justieren“ alleine des Outputs der

Modelle (es wird ja nicht das Modell kalibriert) sollte die Bias Korrektur aber

nur in begründeten Fällen, sprich signifikanten Abweichungen durchgeführt

Page 100: bemessung im wasserbau

92 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?

werden. In Abbildung 5 kann man erkennen, dass für die ausgewählte Station

Korrekturen durch den Vergleich überregionaler und allgemeinverfügbarer Pro-

dukte zu einer Verschlechterung führen.

Abbildung 5: Vergleiche von unterschiedlichen Referenzdatensätzen mit und ohne Bias-

Korrektur (Bildquelle: Wupperverband 2016)

Beispielrechnungen mit unterschiedlichen Datensätzen von Referenzzeiträumen

zeigen auch die Sensitivität auf die Abflussmodellierung (siehe Abbildung 6).

Hierbei ist noch zu beachten, dass die Vergleichsdaten meist aus Punktmessun-

gen erhoben sind und lediglich auf ein Raster (z.B. durch Kriging) projiziert

werden, was wiederum Unsicherheiten birgt.

Abbildung 6: Hydrologische Vergleichsrechnungen mit unterschiedlichen Datensätzen aus

Zirkulationsmodellen (Bildquelle: Wupperverband 2016)

2.3 Flächen- und Einwohnerentwicklung

Veränderungen und Trends im Einzugsgebiet sind hydrologisch unter Umstän-

den noch prägender als die Entwicklung der Niederschlagsbelastung in Deutsch-

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„Bemessung im Wasserbau“ 93

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land. Daher gilt es auch immer Vergleichsrechnungen der Signale aus einzelnen

Veränderungen getrennt voneinander zu betrachten (unterschiedliche Modellläu-

fe z.B.) um die einzelne Signifikanz erkennen zu können und eine Überlagerung

der Effekte (eventuelle auch Ausgleich untereinander) zu vermeiden. Kenngrö-

ßen für Flächenentwicklungen und Wasserverbrauchszahlen sind wasserwirt-

schaftlich gesehen die sensitivsten Parameter. Die Entwicklung in Nordrhein-

Westfalen zeigt z.B. einen leichten Rückgang des Flächenverbrauches für Sied-

lungs- und Verkehrsflächen seit Mitte der 2000er Jahre, stagniert aber in den

letzten Jahren immer noch bei ca. 10 ha täglichem Zuwachs. Das eigentlich an-

gestrebte Ziel der Landesregierung NRW von 5 ha bis 2020 ist damit noch nicht

zu erkennen – aus MKULNV NRW (2017).

y = -3,153x + 45,687R² = 0,9489

y = 2,0265x + 40,286R² = 0,7903

y = 1,0361x + 78,697R² = 0,7603

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

2000 2005 2010 2015

Fläc

he

[km

²]

Jahr

Wuppertal, krfr. Stadt - Landnutzungsänderungen

Landwirtschaftsfläche Waldfläche Siedlungs- und Verkehrsfläche

Linear (Landwirtschaftsfläche) Linear (Waldfläche) Linear (Siedlungs- und Verkehrsfläche)

Abbildung 7: Entwicklung der Landnutzungsänderung am Beispiel Wuppertal (Bildquelle:

Wupperverband 2016, Datenquelle: IT.NRW (2016))

Für ein konkretes Einzugsgebiet müssen also die Flächennutzung bei der Be-

rücksichtigung der wasserwirtschaftlichen Flächen abgeschätzt werden – hierzu

helfen die Zahlen der statistischen Landesämter – Beispielauswertungen für

NRW in Abbildung 7 und 8:

Page 102: bemessung im wasserbau

94 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?

y = -0,1623x + 9,4795R² = 0,712

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

2000 2005 2010 2015

Fläc

he

[km

²]

Jahr

Wuppertal, krfr. Stadt - Landnutzungsänderungen (Landwirtschaftsfläche)

Landwirtschaftsfläche Grünland / Wiese Ackerland

Linear (Landwirtschaftsfläche) Linear (Grünland / Wiese) Linear (Ackerland)

Abbildung 8: Entwicklung der Landwirtschaftlichen Flächen am Beispiel Wuppertal (Bild-

quelle: Wupperverband 2016, Datenquelle: IT.NRW (2016))

Man erkennt auch hier die sich weiteren ergebenen Unsicherheiten aus Entwick-

lung und Zielen. Ein Beispiel ist die Dimensionierung von Kläranlagen: hierfür

wurde in der Vergangenheit aufgrund der statistischen Erhebungen ein viel hö-

here Wasserverbrauch prognostiziert, als er sich aktuell zeigt (um die 135 Liter

pro Einwohner und Tag in NRW – siehe Abbildung 9) und somit höhere Reini-

gungskapazitäten geplant wurden.

Abbildung 9: Entwicklung des Wasserverbrauches pro Kopf in NRW (Bildquelle: Wupper-

verband 2016, Datenquelle: IT.NRW (2016))

2.4 Gewässerentwicklungen

Hier nur erwähnt, aber nicht zu vernachlässigen sind die Veränderungen der

Gewässer. Waren es vor Allem in der Historie – zuletzt in der Region in den

60er Jahren – die technischen Ausbaumaßnahmen, sind es nun (auch vor dem

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Hintergrund der Umsetzung der EU Wasserrahmenrichtlinie) die Renaturierun-

gen der Gewässer, welche für ein verändertes hydraulisches Regime sorgen.

Auch hier sind Entwicklungen teilweise nur abzuschätzen, da die Umsetzung

der Maßnahmen von unterschiedlichen Randbedingungen – wie Flächenverfüg-

barkeit – abhängen.

3 Bemessungskonzepte

Aus der Vielzahl an Datensätzen und der Überlagerung von Unsicherheitsberei-

chen, müssen zukünftig Konventionen zur Berücksichtigung getroffen werden.

Die Verwendung aller Daten (siehe Abbildung 10) unter Berücksichtigung des

Wissens zu Vertrauensbereichen und sich ergebenden Maßnahmenvarianten

führt zu notwendiger Kenntnis für die Entscheidungsfindung – Daten müssen zu

Informationen werden.

Bei der Dimensionierung von Talsperren z.B. werden bereits sehr hohe Wahr-

scheinlichkeiten angesetzt, welche somit bereits ein geringeres Restrisiko erlau-

ben. Beim Betrieb für die Niedrigwasseraufhöhung werden Unsicherheiten aus

den Messdaten (hier sehr relevant) jedoch nicht berücksichtig, was zu erhöhten

(Verluste für die Wasserbereitstellung) oder zu niedrigen Abgaben (nicht ausrei-

chende Wasserführung für die Biozönose) führen kann.

Abbildung 10: Basis für Entscheidungen – ein vielfältiger Daten und Informationspool

(Bildquelle: Wupperverband 2016)

Die Unsicherheit aus Zeitreihen und gerade den Prognoserechnungen sollte eher

zur Betrachtung und Verwendung von Phänomen (extreme Dürre oder Hoch-

wasserperioden z.B.) und repräsentativer statistischer Indizes zur Kennzeich-

nung führen, als viele Varianten der Langzeitsimulation und deren Auswertung

heranzuziehen. Ansätze aus der Kombination historisch begründeter und prog-

nostizierter Anfangsbedingungen mit Bemessungsniederschlägen führen zu Sze-

Page 104: bemessung im wasserbau

96 Wasserwirtschaftliche Kennzahlen zur Bemessung – zu viel oder zu wenig Daten?

narien, welche in Ihren Auswirkungen (von bis) betrachtet und für die Bemes-

sung und den Betrieb verglichen werden können. Solche Szenarien können je-

derzeit fortgeschrieben und in vergleichbaren Situationen zur Entscheidungsfin-

dung herangezogen werden.

4 Umgang in der Kommunikation

Die Kommunikation von Unsicherheiten in der Bemessung und dem Betrieb der

Anlagen macht Entscheidungsprozesse in der ersten Betrachtung sicher nicht

leichter und erfordert ein höheres Maß an die Kenngrößen begleitende Informa-

tionen. Aber erstens kann damit der Entscheidungsprozess transparenter gestal-

tet werden und bei gleichzeitiger Kommunikation der jeweiligen Risiken, Kon-

sequenzen und Handlungsoptionen auch durch geeignete Vorsorge Risiken mi-

nimiert werden. Ein Beispiel sind hier die Tendenzen in der Warnung vor mar-

kanten Wetterwarnungen, welche durch begleitende Informationen der Unsi-

cherheiten und Entscheidungsfindung verbessert werden sollen und die Ein-

schätzung der „Kunden“ welche Handlungen sich ergeben sollten begleiten.

5 Literatur

DWD (2005) KOSTRA-DWD-2000, Starkniederschlagshöhen für Deutschland (1951-

2000) [Book], DWD, Offenbach am Main 2005.

MKULNV NRW (2017): http://www.flaechenportal.nrw.de, Ministerium für

Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes

Nordrhein-Westfalen, Abgerufen am 12.01.2017

Scheibel, M. et al. (2014): Statistische Auswertungen aus 10 Jahren Radarmessungen und

Vergleich mit Regenschreibern. Wetterradar - Anwendungen für die

Wasserwirtschaft. Tagungsband zum VDI-Expertenforum, KRdL-Schriftenreihe 49,

Düsseldorf, 2014

Autoren:

Marc Scheibel

Wupperverband

Wassermengenwirtschaft

Untere Lichtenplatzer Straße 100

42289 Wuppertal

Tel.: +49 202 583-246

E-Mail: [email protected]

Paula Lorza

Wupperverband

Wassermengenwirtschaft

Untere Lichtenplatzer Straße 100

42289 Wuppertal

Tel.: +49 202 583-333

E-Mail: [email protected]

Page 105: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenn-

größen in Sachsen

Björn Fischer

Uwe Büttner

Karin Kuhn

Hydrologische Abflusskenngrößen spielen eine entscheidende Rolle für die Pla-

nung und Bemessung wasserbaulicher Anlagen und dienen den Wasserbehörden

zu Prüfungszwecken. Dabei sind nicht nur Hochwasserkennwerte von Bedeutung,

z. B. zur Bemessung von Brücken, sondern auch Mittel- und Niedrigwasserkenn-

größen (ökologische Funktion der Gewässer).

Um diese Abflusskenngrößen verfügbar zu machen, wurden in den letzten Jahren

in Sachsen verschiedene Forschungsprojekte durch das Sächsische Landesamt für

Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) betreut und zusammen mit Part-

nern aus der Praxis bearbeitet.

Im Rahmen des Projektes KLiWES (Abschätzung der Auswirkung der für Sach-

sen prognostizierten Klimaveränderungen auf den Wasser- und Stoffhaushalt in

den Einzugsgebieten der sächsischen Gewässer – Teil Wasserhaushalt) wurde die

DHI WASY GmbH beauftragt, auf Basis einer landesweiten Regionalisierung

Niedrigwasserkennwerte (MNQ) zu ermitteln und diese webbasiert bereitzustel-

len. Für die Regionalisierung wurde die Verfahrenskombination Multiple lineare

Regression zur Bestimmung der MNQ und Top Kriging zum Ausgleich der Resi-

duen verwendet. Die Ergebnisse wurden in eine Datenbank überführt und können

seit 5/2014 im webbasierten Wasserhaushaltsportal Sachsen

(www.wasserhaushaltsportal.sachsen.de) abgefragt werden.

Zur flächendeckenden Bestimmung von Hochwasserkennwerten wurde im Zuge

des FuE-Vorhabens „Flächenhafte Bestimmung von Hochwasserspenden“ in den

Jahren 2009/2010 ein für das Gebiet Sachsens einheitliches Verfahren durch die

DHI WASY GmbH erarbeitet. Hierbei wurde die Verfahrenskombination Multip-

le lineare Regression zur Bestimmung des mittleren Hochwassers (MHQ), Top

Kriging zum Ausgleich der Residuen und das Index-Flood-Verfahren zur Be-

stimmung der Hochwasserabflüsse mit Wiederkehrintervall (HQT) verwendet.

2015 wurden die MHQ und HQT auf Basis einer aktualisierten Datengrundlage

neu berechnet. Um einen breiten Zugriff auf diese Kennwerte zu ermöglichen,

wurden die Ergebnisse in eine Datenbank überführt und werden in Kürze im Was-

serhaushaltsportal Sachsen abrufbar sein.

Ergänzend zu den bereits zur Verfügung stehenden Abflusskenngrößen werden

aktuell durch die DHI WASY GmbH flächendeckend Mittelwasserkennwerte

Page 106: bemessung im wasserbau

98 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen

(MQ) ermittelt. Dabei kann auf Ergebnisse des KliWES-Projektes zurückgegrif-

fen werden. Auch diese Kennwerte werden im Wasserhaushaltsportal Sachsen

webbasiert abrufbar sein.

Im Ergebnis dieser Arbeiten können Hoch-, Mittel- und Niedrigwasserkennwerte

für Sachsen über das Wasserhaushaltsportal Sachsen abgerufen werden und ste-

hen Wasserbehörden, Betrieben sowie Planern frei zur Verfügung.

Stichworte: Niedrigwasser-, Mittelwasser- und Hochwasserkenngrößen, Wasser-

haushaltsportal Sachsen

1 Einleitung

In Sachsen wurden in den letzten Jahren verschiedene Forschungsprojekte durch

das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG)

zur Regionalisierung von Abflusskenngrößen betreut und zusammen mit Part-

nern aus der Praxis bearbeitet. Der vorliegenden Artikel gibt einen Überblick zu

den aktuellen Arbeiten und Ergebnissen. Aufgrund des Umfangs der Arbeiten

kann an dieser Stelle nur ein Teil der Arbeiten aufgezeigt werden. Für tieferge-

hende Recherchen zu den Daten, Methoden und Ergebnissen sein auf die Veröf-

fentlichungen LfULG (2012), DHI WASY (2015a), LfULG (2017) oder die

Web-Anwendung im Wasserhaushaltsportal Sachsen

(www.wasserhaushaltsportal.sachsen.de) mit dem enthaltenen Leitfaden verwie-

sen.

2 Methodik

Für die Regionalisierung von Durchflusskenngrößen sind in der Literatur eine

ganze Reihe von Methoden beschrieben. Zum Erreichen optimaler Ergebnisse

wurden für unterschiedliche Durchflusskenngrößen voneinander abweichende

Methoden bzw. Verfahrenskombinationen in Sachsen angewendet. Das war zum

einen in der zur Verfügung stehenden Datengrundlagen und zum anderen auf

den zu erzielenden Ergebnissen begründet.

Im Ergebnis eines Auswahlprozesses wurde für die Regionalisierung von Nied-

rigwasserkenngrößen und der mittleren Hochwasserabflüsse (MHQ) folgende

Verfahrenskombination verwendet:

multiple lineare Regression zwischen Durchflusskenngrößen und Ein-

zugsgebietskenngrößen und

regionale Analyse und Ausgleich der Residuen der multiplen linearen Re-

gression mit Top Kriging.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Bei der Bestimmung der Hochwasserabflüsse mit Wiederkehrintervall (HQT)

kam darüber hinaus die

Bestimmung der höheren Momente (Varianz und Schiefe) der regionalen

Verteilungsfunktion mit dem Index-Flood-Verfahren

zur Anwendung.

Für die Regionalisierung von Mittelwasserabflüssen wurde auf vorhandene Er-

gebnisse aus dem KLiWES-Projekt zurückgegriffen. Aus diesem Grund wurden

die Daten im ersten Schritt mit der aktuellen Teileinzugsgebietsstruktur ver-

schnitten und anschließend die

regionale Analyse und Ausgleich der Residuen mit Top Kriging

durchgeführt.

Bei der multiplen linearen Regression werden Durchflusskenngrößen von Pe-

geln und Gebietskenngrößen der Pegeleinzugsgebiete durch Regressionsmodelle

miteinander verknüpft. Dabei wird davon ausgegangen, dass mit den aufgestell-

ten Modellen auch für unbeobachtete Gewässerquerschnitte, deren Gebietskenn-

größen bekannt sind, Durchflusskenngrößen bestimmt werden können.

Top Kriging gehört zur Gruppe der geostatistischen Verfahren, die auf der An-

nahme beruhen, dass benachbarte Gebiete ein ähnliches Abflussverhalten zeigen

(BLÖSCHL, 2006), da sich Klima und Gebietseigenschaften nur allmählich im

Raum ändern. Geostatistische Verfahren werden zur räumlichen Interpolation

vieler hydrologischer Größen wie Grundwasserstand, Niederschlag oder Boden-

feuchte verwendet und wurden auch in anderen Regionen schon erfolgreich zur

Bestimmung von regionalen Hochwasserkennwerten (z. B. MERZ und

BLÖSCHL, 2005) und auch Niedrigwasserkennwerten angewandt (LAAHA,

2008).

Für die aktuellen Arbeiten wurden anstatt Durchflusskenngrößen Residuen ver-

wendet. Mit den regionalisierten Residuen (Differenzen zwischen den mittels

der multiplen linearen Regression berechneten Durchflüssen und den Durchflüs-

sen aus der Pegelstatistik) können die mittels der multiplen linearen Regression

bestimmten Durchflüsse beaufschlagt werden. Im Ergebnis zeigen die Pegelein-

zugsgebiete annähernd die beobachteten Durchflüsse. Des Weiteren werden die

Abweichungen zwischen beobachteten und berechneten Durchflüssen auf ähnli-

che Gebiete in der jeweiligen Nachbarschaft übertragen, so dass mögliche

Durchflussüber- bzw. -unterschätzungen durch die Regressionsmodelle in den

unbeobachteten Gebieten in gewissem Maße ausgeglichen werden können.

Page 108: bemessung im wasserbau

100 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen

Das Index-Flood-Verfahren (DALRYMPLE, 1960) ist die bekannteste Methode,

welche auf der Bestimmung homogener Regionen beruht. Das Verfahren besteht

aus drei Schritten. Im ersten Schritt werden homogene Regionen gefunden. Im

zweiten Schritt werden die Hochwasserwahrscheinlichkeitskurven der Pegel in-

nerhalb der homogenen Region mit dem MHQ (der Index-Flood) normiert und

zu einer einzigen regionalen Verteilung zusammengefasst. Für Pegelgebiete mit

Durchflussmessungen werden schließlich in einem dritten Schritt die aus den

Durchflussmessungen bestimmten MHQ mit der regionalen Verteilung multipli-

ziert, wodurch sich die gesuchten Hochwasserscheiteldurchflüsse mit Jährlich-

keit HQT ergeben. Für Gebiete ohne Durchflussmessungen werden die MHQ aus

Beziehungen zu diversen Einzugsgebietscharakteristika ermittelt, z. B. über eine

multiple lineare Regression.

3 Datengrundlagen

Die Datengrundlage für die Regionalisierung von Niedrig- bis Hochwasser-

durchflüssen bilden beobachtete Durchflussdaten hydrologischer Pegel von

Fließgewässern in Sachsen. Vor der weiteren Verwendung der Daten war eine

Reihe von Vorarbeiten notwendig:

Verlängerung der Pegel-Beobachtungsreihen (mit Vorgänger- und Nach-

folgepegeln)

Datenkorrekturen und Lückenfüllung in den Beobachtungsreihen der Pe-

gel

Überprüfung auf Beeinflussungen der Pegel und Kürzen der Beobach-

tungsreihen bzw. Entfernen der Pegel aus dem Datenkollektiv

Auf Basis dieser Daten wurden anschließend die Durchflusskennwerte MNQWin-

ter, MNQSommer, MNQGesamtjahr, MQ und MHQ bestimmt. Zur Ermittlung der HQT

mit T = 2, 5, 10, 20, 25, 50, 100 und 200 Jahren kam das Programm zur Berech-

nung von Hochwasserwahrscheinlichkeiten HQ-EX 4.0 (DHI WASY 2015b)

zur Anwendung.

Zur Bestimmung der mittleren Durchflüsse in Sachsen wurde auf vorhandene

Ergebnisse aus dem KLiWES-Projekt zurückgegriffen, in dem bereits für den

Großteil von Sachsen entsprechende Durchflüsse ermittelt wurden.

Für die anzuwendenden Regionalisierungsverfahren multiple lineare Regression

und Top Kriging waren Geodaten und daraus für räumliche Einheiten abgeleite-

te Gebietskenngrößen notwendig. Im Zuge der Modellerstellung wurden diese

Gebietskenngrößen zunächst für die Einzugsgebiete der verwendeten Fließge-

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wässerpegel und später für alle Einzugsgebiete gemäß Digitalem Flächenver-

zeichnis (Stand August 2015) bereitgestellt.

Die Auswahl der Gebietskenngrößen, die in die Regionalisierung einzubeziehen

waren, gestaltete sich insofern schwierig, dass die Gebietskenngrößen, die einen

signifikanten Einfluss auf die Durchflüsse haben, a priori nicht bekannt sind.

Aufbauend auf den Erfahrungen bei der Hochwasserregionalisierung in Bran-

denburg (DHI WASY 2009), Sachsen (LfULG, 2013), Rheinland-Pfalz

(DHI WASY 2010) und Thüringen (DHI WASY 2012) kamen folgende Ge-

bietskenngrößen für die Regionalisierung prinzipiell in Frage:

Hydrographische und morphologische Kenngrößen, z. B. Einzugsgebiets-

fläche, Einzugsgebietsform, Fließgewässerdichte, Geländegefälle, Gelän-

dehöhe

Meteorologische und hydrologische Kenngrößen, z. B. mittlerer Jahres-

niederschlag, mittlerer jährlicher Zufluss zum Speicher der langsamsten

unterirdischen Abflusskomponente, Rückgangskonstante der langsamsten

unterirdischen Abflusskomponente

Landnutzungskenngrößen, z. B. Waldanteil, Anteil der bebauten Fläche

Bodenkenngrößen, z. B. nutzbare Feldkapazität

Grundsätzlich müssen die ausgewählten Gebietskenngrößen flächendeckend,

d. h. auch für die außerhalb des Territoriums Sachsens zu berücksichtigenden

Einzugsgebietsanteile, ableitbar sein. Die Grundlage für die Ermittlung der Ge-

bietskenngrößen ist daher eine konsistente digitale Geodatenbasis für das ge-

samte über Sachsen hinausgehende Untersuchungsgebiet.

4 Ergebnisse

Nach Anwendung der Regionalisierungsverfahren lagen für 3349 Zu- und 6240

Ausflussquerschnitte der Teileinzugsgebiete Durchflüsse und Durchflussspen-

den vor.

Diese Ergebnisse wurden anschließend einer Reihe von Tests und anschließen-

den Korrekturen und Plausibilisierungen unterzogen. Es wurden untersucht:

unplausibel geringe Abflussspenden,

lokale Konsistenz der Abflussspenden,

Plausibilisierung der Abflüsse im Flusslängsschnitt.

Page 110: bemessung im wasserbau

102 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen

Abbildung 1: Durchflussspende für MNqGesamtjahr, Mq und Hq100 an den Ausflussknoten der

Teileinzugsgebiete

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Beispielsweise wurde als eine unplausibel geringe Abflussspende für

MNqGesamtjahr ein Abfluss von 0,3 l/(s*km²) festgelegt, da dies in etwa dem Wert

entspricht, den die verwendeten Pegel mit den geringsten Abflussspenden im

Untersuchungsgebiet besitzen. Wurden geringere Abflussspenden registriert,

erfolgte eine Anhebung der Abflussspende auf den genannten Wert.

Die Einhaltung der lokalen Konsistenz fordert, dass an einem Querschnitt z. B.

MNQGesamtjahr ≤ MNQSommer ≤ MNQWinter < MQ ist.

Bei Verletzung der lokalen Konsistenz wird der entsprechende Durchflusswert

auf den kleinsten plausiblen Wert angehoben. Verfahrensbedingt ist bei den

HQT ist die lokale Konsistenz immer gegeben.

Bei der Plausibilitätsprüfung im Flusslängsschnitt wurde festgelegt, dass die Ab-

flüsse im Längsschnitt zunehmen bzw. zumindest konstant bleiben sollten. Da-

bei werden mehrere Fälle unterschieden. Bei einer Verletzung der Plausibilitäts-

kriterien wurde der entsprechende Abfluss auf den kleinstmöglichen plausiblen

Wert angehoben.

In Abbildung 1 sind beispielhaft die berechneten, korrigierten und plausibilisier-

ten Abflussspenden für MNqGesamtjahr, Mq und Hq100 an den Ausflussknoten der

Teileinzugsgebiete enthalten.

5 Webanwendung im Wasserhaushaltsportal

Über das Wasserhaushaltsportal Sachsen werden die regionalisierten Abfluss-

kenngrößen in einer Browserumgebung für Wasserbehörden und andere An-

wender schnell und komfortabel bereitgestellt.

Die internetbasierte Anwendung setzt auf die GIS-Standard-Software ArcGIS-

Server der Fa. Esri und auf Software von DHI WASY auf. Basis der in der We-

banwendung dargestellten und abfragbaren Themen bildet ein Kartendokument

mit den in einer Datenbank gespeicherten Projektergebnissen, welches veröf-

fentlicht wird. Als Hintergrundkarte wurde der WMS Dienst WebAtlasSN

(Stand 2015) mit Informationen aus dem Digitalen Landschaftsmodell und den

Hauskoordinaten aus dem Liegenschaftskataster integriert.

Die Durchflüsse und Durchflussspenden können für beliebig wählbare Fließge-

wässerabschnitte abgefragt werden. Die Auswahl des Querschnitts kann interak-

tiv in der Karte durch Setzen eines beliebigen Punktes im Fließgewässernetz o-

der über eine Auswahlliste der Gewässer erfolgen. Die berechneten Kennwerte

werden längengewichtet zwischen dem Zufluss und -Ausfluss des gewählten

Einzugsgebietes interpoliert und in einer Tabelle für den Anwender dargestellt.

Page 112: bemessung im wasserbau

104 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen

In Abbildung 2 ist beispielhaft die Benutzeroberfläche der Webanwendung an

einem ausgewählten Gewässerabschnitt mit den Abflussspenden für MNqWinter,

MNqSommer, MNqGesamtjahr, Mq dargestellt.

Abbildung 2: Benutzeroberfläche der Webanwendung „MNQ, MQ und Querbauwerke“ mit

ausgewähltem Gewässerquerschnitt und Stammdatenblatt

Die in der Webanwendung hinterlegten Kennwerte bzw. Durchflüsse sind von

den Nutzern in der wasserwirtschaftlichen Praxis jeweils unter Beachtung des

entsprechenden Anwender-Leitfadens zu verwenden (Abbildung 3). Diese erläu-

tern die wichtigsten fachlichen Hintergründe und zeigen, wie die betreffenden

Kennwerte im webbasierten „Wasserhaushaltsportal Sachsen“ hinterlegt sind

und von dort abgerufen werden können.

Die seit 2014 für die Öffentlichkeit freigebende bisherige Webanwendung

“Niedrigwasserkennwerte“ wurde im Zuge der Aktualisierung der Datengrund-

lagen 2015 sowie der Erweiterung um Mittelwasser- und Hochwasserkennwerte

überarbeitet und wird der breiten Öffentlichkeit ab Mitte 2017 zur Verfügung

stehen.

Page 113: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Abbildung 3: Leitfaden Niedrigwasserkennwerte (bisheriger Stand 2014)

6 Literatur

BLÖSCHL, G. (2006): Geostatistische Methoden bei der hydrologischen

Regionalisierung. In: Wiener Mitteilungen, Wasser-Abwasser-Gewässer, Band,

197, Technische Universität Wien, pp. 21-40.

DALRYMPLE, T. (1960): Flood-frequency analysis - manual of hydrology, part 3. U. S.

Geolo-gical Survey, Water Supply Paper 1543-A, Washington.

DHI WASY (2009): Landeseinheitliche Regionalisierung von Hochwasserabflüssen im

Land Brandenburg. Schlussbericht, DHI-WASY GmbH im Auftrag des

Landesumweltamtes Brandenburg.

DHI WASY (2010): Überarbeitung des im Land Rheinland-Pfalz genutzten Verfahrens

zur Regionalisierung von Hochwasserabflüssen. Schlussbericht, DHI-WASY

GmbH im Auftrag des Landesamtes für Umwelt, Wasserwirtschaft und

Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz.

DHI WASY (2012): Hochwasserregionalisierung Thüringen. Schlussbericht, DHI-WASY

GmbH im Auftrag der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie.

DHI WASY (2015a): Neubestimmung von Hochwasser-wahrscheinlichkeiten nach dem

Hochwasser im Jahr 2013. DHI WASY GmbH im Auftrag des Sächsischen

Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie.

Page 114: bemessung im wasserbau

106 Verfügbarkeit von regionalisierten Abflusskenngrößen in Sachsen

DHI WASY (2015b): HQ-EX 4.0 – Programm zur Berechnung von

Hochwasserwahrscheinlichkeiten. Benutzerhandbuch, DHI WASY GmbH.

LAAHA, G. (2008): Aspekte der statistischen Modellierung raumbezogener

Umweltdaten am Beispiel von Abflussdaten. Universität für Bodenkultur Wien;

Habilitation im Fach Umweltstatistik.

LfULG (2012): Flächenhafte Bestimmung von Hochwasserspenden. Schriftenreihe des

Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Heft 3/2012.

LfULG (2017): KLIWES - Klimawandel und Wasserhaushalt in Sachsen. Schriftenreihe

des Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie,

(Veröffentlichung geplant).

MERZ, R. and BLÖSCHL, G. (2005): Flood frequency regionalisation – spatial

proximity vs. catchment attributes. Journal of Hydrology, 302, 283-306.

Autoren:

Dipl.-Hydrol. Björn Fischer

DHI WASY GmbH

Abteilung Solution

Volmerstraße 8

12489 Berlin

Tel.: +49 (0)30 67 99 98 602

Fax: +49 (0)30 67 99 98 99

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Hydr. Uwe Büttner

Sächsisches Landesamt für Umwelt,

Landwirtschaft und Geologie

Referat 45

Pillnitzer Platz 3

01326 Dresden

Tel.: +49 0351 8928 4512

Fax: +49 0351 8928 4099

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Hydr. Karin Kuhn

Sächsisches Landesamt für Umwelt,

Landwirtschaft und Geologie

Referat 44

Pillnitzer Platz 3

01326 Dresden

Tel.: +49 0351 8928 4400

Fax: +49 0351 8928 4099

E-Mail: [email protected]

Page 115: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Einfluss dynamischer Laständerungen auf die

Grundwasserströmung und die Spannungsvertei-

lung bei Erdbauwerken im Wasserbau

Héctor Montenegro

Bernhard Odenwald

Dynamische Laständerungen, seien es mechanische oder hydraulische, z. B. in-

folge Wellen oder variierende Speicherwasserstände, können Porenwasserströ-

mungen sowie Bodenverformungen auslösen, die unter bestimmten Bedingungen

zum Versagen von Gründungen, Böschungen usw. führen können. Hierbei kommt

es zum Verlust der Scherfestigeit bis hin zur weitgehenden Fluidisierung, oder es

werden Transportvorgänge wie Erosion, Suffusion, Kolmation induziert. Gasein-

schlüsse im Grundwasser spielen für das Auftreten solcher Ungleichgewichte eine

wesentliche Rolle. Dies ist in der Ingenieurpraxis wenig bekannt und wird in den

Bemessungsregelwerken derzeit nicht hinreichend berücksichtigt.

Stichworte: gekoppeltes Grundwasserströmungs-und Verformungsverhalten;

Gaseinschlüsse im Boden; Bemessungssituationen für Erdbauwerke

1 Hydraulisch induzierte Verformungs- und Strömungsvorgänge

Eine mechanische Beanspruchung eines wassergesättigten Bodens wirkt sich auf

die Bodenkörner und das deutlich kompressiblere Korngerüst aus. Bei geringer

hydraulischer Durchlässigkeit jedoch steift das nahezu inkompressible Poren-

wasser die Kornmatrix aus und übernimmt die Laständerung. Hierbei entstehen

je nach Art der Beanspruchung (Be- oder Entlastung) lokale Porenwasserüber-

drücke oder –defizite, die eine Ab- oder Zuströmung induzieren. Die Lastände-

rungen werden sukzessiv vom Porenwasser auf das Korngerüst übertragen bis

zum Erreichen des neuen Gleichgewichtzustands. Die hierbei auftretenden

Strömungs- und Verformungsprozesse wurden erstmals von Terzaghi erkannt

und gingen bereits früh in Bemessungsregelwerke ein (Fredlund et al. 2012).

Bei hydraulischen Laständerungen wird im Allgemeinen eine unverzügliche

Ausbreitung des veränderten Druckniveaus im Boden und somit ein sofortiges

Erreichen eines neuen Gleichgewichtzustands angenommen. Dies setzt eine

vollständige Sättigung des Porenraums mit einem nahezu inkompressiblen Fluid

voraus. Wenn diese (stillschweigenden) Annahmen nicht vorliegen, und das

kommt gerade im Wasserbau häufig vor, bauen sich, gleichsam einer mechani-

Page 116: bemessung im wasserbau

108 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die

Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau

schen Beanspruchung, Porenwasserdruckunterschiede auf, die wiederum Po-

renwasserströmungen und Spannungsänderungen auslösen. Unter bestimmten

Bedingungen kann es hierbei zum Versagen von Gründungen, Böschungen usw.

infolge Abminderung der Scherfestigkeit, Fluidisierung und/oder Transportvor-

gänge wie Erosion, Suffusion, Kolmation kommen. Derartige Ungleichge-

wichtszustände bei hydraulischen Beanspruchungen sind in der Ingenieurpraxis

kaum bekannt und werden in den Regelwerken zur Bemessung unzureichend

berücksichtigt, siehe Montenegro (2016).

1.1 Gaseinschlüsse unterhalb des Grundwasserspiegels

Geringste Gasanteile in Form feiner, im Porenraum eingeschlossener Bläschen

etwa infolge von fluktuierenden Wasserständen oder biogenen Ursprungs dürf-

ten in natürlichen Böden aber auch in Meer- und Flusssedimenten eher die Regel

als die Ausnahme sein. Aufgrund der beträchtlichen Kompressibilität der Gas-

phase und je nach Einwirkungsgeschwindigkeit und Durchlässigkeitseigenschaf-

ten kann sich das Erreichen des neuen Gleichgewichtszustands nach hydrauli-

schen Laständerungen deutlich verzögern, siehe Köhler und Montenegro (2003).

Unter Vernachlässigung von Oberflächenspannungseffekten kann man in erster

Näherung die Kompressionssteifigkeit des Wasser-Gas-Gemischs Kwg basierend

auf die Kompressionssteifigkeiten von Wasser Kw [F/L2] und Gas Kg [F/L2] so-

wie den Sättigungsgrad [-] berechnen. Gemäß dem Boyle-Mariotte-Gesetz ent-

spricht die Gaskompressibilität dem jeweils vorherrschenden absoluten Druck

p0, der der Summe aus atmosphärischem Druck pa [F/L2] und Porenwasserdruck

pw [F/L2] entspricht, siehe Fredlund et al. (2012).

(1)

Ist die Kompressibilität des Porenfluids (Wasser-Gas-Gemisch) gegenüber der

Kompressibilität des Korngerüsts nicht vernachlässigbar, so wirken hydraulische

Laständerungen auf das Fluid und das Korngerüst ein und bewirken eine Ände-

rung sowohl des Porenwasserdrucks als auch der effektiven Spannungen. Ein

Maß für die Aufteilung ergibt sich aus dem Kontrast der Kompressionssteifig-

keiten von Boden (entspricht dem Steifemodul Es [F/L2] bei 1D-Belastung) und

Fluid Kwg [F/L2] unter Berücksichtigung der Porosität n [-]. Dies lässt sich in

Anlehnung an Skemptons B-Parameter durch einen dimensionslosen Lastauftei-

lungsparameter, der zwischen 0 und 1 variieren kann, ausdrücken, siehe Stelzer

et al. (2014):

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 109

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(2)

Zur Veranschaulichung kann man sich einen (raschen) Anstieg des Wasser-

stands in einem Gewässer vorstellen, der zu einer Erhöhung des Porenwasser-

drucks an der Sohle und Böschung führt. Hierdurch werden die in der Korn-

matrix eingeschlossenen Gasbläschen komprimiert. Bevor sich die durch den

Aufstau bedingte Druckänderung weiter im Boden ausbreiten kann, muss Was-

ser nachfließen und das komprimierte Gasvolumen ausgleichen. Je nach aufzu-

füllendem Gasvolumen und Bodendurchlässigkeit kann dies jedoch eine Zeit

dauern, während der ein Druckungleichgewicht vorherrscht. Dieses induziert

eine in Richtung des Potentialgefälles gerichtete Strömungskraft, die sich au-

genblicklich als Erhöhung der effektiven Spannungen auswirkt. Abhängig von

den Durchlässigkeitseigenschaften und der Länge des effektiven Dränagewegs

strömt Wasser nach, wodurch das anfängliche Druckungleichgewicht nach und

nach abgebaut wird bis zum Erreichen eines zur hydraulischen Laständerung

kompatiblen neuen Gleichgewichts, siehe Stelzer et al. (20114). Ein rascher Ab-

sunk löst die gleichen dynamischen Ungleichgewichte aus, die jedoch problema-

tischer sein können, weil die Druckgradienten/Strömungskräfte vom Boden nach

außen weisen und die Standsicherheit der Böschung beeinflussen können, wie in

Montenegro und Stelzer (2014), Montenegro et al. (2015) beschrieben.

2 Gekoppelte Strömungs- und Verformungsberechnung

Montenegro hat 2015 die für das gekoppelte Strömungs- und Verformungsver-

halten in einer Bodensäule bei hydraulischer Beanspruchung unter Berücksichti-

gung von Gaseinschlüssen maßgebenden Parameter identifiziert. Die sich infol-

ge einer Wasserstandsänderung h [L] einstellende Porenwasserdruckverteilung

p(z,t) [F/L2] wird von der Länge des Dränagewegs/Mächtigkeit der Boden-

schicht L [L], der Absunkdauer t [T], der hydraulischen Durchlässigkeit k

[L/T] und schließlich dem Verhältnis der Kompressionssteifigkeiten von Korn-

gerüst Es und Fluid Kwg bestimmt. Die Fluidsteifigkeit ist, wie oben dargestellt,

vom Sättigungsgrad sowie vom Umgebungsdruck abhängig.

2.1 Analytische Lösung

In Theory of Linear Poroelasticity weist Wang (2000) auf eine analytische Lö-

sung für ein thermodynamisches Problem vom Boussinesq-Typ hin, das auf die

gekoppelte 1D-Strömungs-Verformungs-Berechnung übertragbar ist. Die analy-

Page 118: bemessung im wasserbau

110 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die

Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau

tische Lösung liefert den Porenwasserüberdruck p(z,t) in einer Bodenschicht

während einer gleichmäßigen Auflaständerung Δσ[F/L2] (d. h. mit konstanter

Geschwindigkeit v = Δσ/Δt [F/L2T]). Der analytische Ausdruck, der Gasein-

schlüsse explizit über die Fluidkompressibilität berücksichtigt, konnte auf hyd-

raulische Einwirkungen erweitert werden. Es zeigt sich, dass die Porenwasser-

drücke infolge mechanischer Einwirkung sich komplementär zu den Porenwas-

serdrücken infolge hydraulischer Einwirkung verhalten, siehe Stelzer et al.

(2014). Bei hydraulischer Belastung lautet die analytische Lösung:

(3)

Mit cv = k/{(1/Es+n/Kwg)∙γw} [L2/T] taucht der bereits von Terzaghi eingeführte

Konsolidationsfaktor auf, der das Verhältnis von Durchlässigkeits- zu Speicher-

eigenschaften des Bodens ausdrückt. Dies verdeutlicht, dass Einschätzungen der

Geschwindigkeit der Laständerung v = Δh/Δt mit Begriffen wie „schnell“ oder

„langsam“ stets im Kontext der Durchlässigkeitseigenschaften zu bewerten sind,

sie umfassen auf der Zeitskala eine Bandbreite von Sekunden bis Monaten.

Das für eine Bemessung maßgebende Maximum des Porenwasserüberdrucks

tritt am Ende der Belastungsdauer ein, da die simultan zur Einwirkung ablaufen-

de Dissipation für eine kontinuierliche Abnahme vom Druckungleichgewicht

sorgt, siehe Montenegro (2015). Man kann Gleichung (3) in ein dimensionsloses

Diagramm überführen (s. Abbildung 1), mit dem man den maximalen Poren-

wasserüberdruck p(z, t=Δt) am Ende der Laständerung (Anstieg oder Absunk)

bestimmen kann. Abhängig vom Betrag des Porenwasserüberdrucks lässt sich

der für eine sichere Bemessung erforderliche Analyseaufwand beurteilen. Fol-

gende Parameterkurven wurden mittels gekoppelter FE-Berechnung verifiziert.

Die einzelnen Kurven werden über den Parameter Δt/τ [-] differenziert. Hierbei

charakterisiert τ =L2/cv [T] das während der Belastungsdauer Δt zur Verfügung

stehende Dränagevermögen. Die dimensionslose Darstellung in Abbildung 1 er-

laubt für jede denkbare Kombination von Elastizitäts- und Durchlässigkeitsei-

genschaften, für beliebige Sättigungsgrade, die indirekt über Kwg im Parameter

B* berücksichtigt werden, sowie Schichtmächtigkeit und Belastungsgeschwin-

digkeit die Porenwasserüberdrücke auszuwerten. Druckungleichgewichte wer-

den stets auf den (hydrostatischen) Gleichgewichtszustand am Ende der Lastän-

derung bezogen. Folglich ist ein Absunk positiv definiert und induziert Poren-

wasserüberdrücke (positives Vorzeichen). Ein Aufstau wird negativ definiert

und bewirkt einen Porenwasserdruckdefizit (negatives Voreichen).

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 111

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Abbildung 1: Dimensionslose Darstellung des Porenwasserüberdrucks in einer Boden-

schicht am Ende einer linear variierenden hydraulischen Belastung.

Weist eine Auswertung basierend auf obigem Diagramm auf unschädliche Po-

renwasserüberdrücke hin, so kann gemäß den anerkannten Bemessungsverfah-

ren vorgegangen werden. Man kann sich mittels eines Grundwasserströmungs-

modells das Potentialfeld ausrechnen und dieses für die Spannungs-

Verformungsanalyse übernehmen. Sind diese Porenwasserüberdrücke jedoch

nicht unerheblich, dann sollte eine gekoppelte Strömungs-Verformungs-

Berechnung zum Einsatz kommen. Bei jeder Anwendung sind die zugrunde ge-

legten Annahmen, homogener Aufbau, linear-elastisches Verhalten sowie ein-

dimensionale Belastung stets im Auge zu halten.

2.2 Säulenversuche

Zur Untersuchung von Wasser-Boden-Wechselwirkungen unter komplexen hyd-

raulischen Randbedingungen wurde in der BAW Karlsruhe eine Wechseldurch-

strömungsanlage (WDA) entwickelt. Details zum Aufbau der Anlage, der er-

fassten Zustandsgrößen sowie der Auswertung ausgewählter Experimente finden

sich in Ewers (2016). Nicht-bindige Böden wurden in einen Plexiglaszylinder

(Höhe ca. 0,8 m, Durchmesser ca. 0,33 m) eingebaut, der mit Drucksensoren in

unterschiedlichen Höhenlagen ausgestattet ist. Die Wechseldurchströmungsan-

lage ist schematisch in Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.

links dargestellt. Der untere Rand der Säule ist undurchlässig, während am obe-

ren wasserdurchlässigen Rand eine mit definierter Geschwindigkeit veränderli-

che Wasserstandsänderung aufgebracht wird. Die Versuchsanlage erlaubt unter-

schiedliche Druckhöhen einzusteuern, wodurch sich unterschiedliche Wassertie-

fen realisieren lassen. Zur Validierung des oben vorgestellten Ansatzes eignet

Page 120: bemessung im wasserbau

112 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die

Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau

sich eine Versuchsreihe, bei der sowohl die Laständerung von Δh = 3 m WS, in

diesem Falle ein Absunk, und die Lastdauer Δt = 15 s (Absunkgeschwindigkeit

v = 0,2 m/s) bei allen Experimenten vorgegeben wurden. Lediglich der absolute

Wasserdruck in der Bodensäule wurde in den einzelnen Versuchen von 140 bis

500 kPa variiert, was Wassertiefen von 4 bis 40 Metern entspricht. Die unter-

schiedlichen Druckniveaus wirken sich aufgrund der Gaskompressibilität auf die

Kompressionssteifigkeit der Gasphase aus. Die Versuchsanlage erlaubt die auf-

grund der Wasserstandsänderungen auftretenden Wasserflüsse aus der Bo-

densäule zu erfassen. Unter der Annahme, dass diese Wasserflüsse vorwiegend

die Volumenänderung der Gasphase (Dekompression beim Absunk) und nicht

so sehr die Matrixdeformation widerspiegeln, kann man Die Fluidkompressibili-

tät berechnen und damit das Steifigkeitsverhältnis zwischen Matrix und Fluid

über den Parameter B* bestimmen, siehe Ewers (2016). Die mittels Potential-

gradienten bestimmte hydraulische Durchlässigkeit lag bei k ≈ 1,2 – 2,0 10-4

m/s. Der Betrag des Steifemoduls Es wurde abgeschätzt. Die Versuchsparameter

sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1 Parameter zur Auswertung der Bodensäulenversuche

Absolut-

druck

Durchläs-

sigkeit

Steife-

modul

Porosität Kompressions-

modul Fluid

Sättigungs-

grad

Lastauftei-

lung

p0 k Es n Kwg S B*

kPa m/s kPa - kPa - -

140 1.3E-04 18850 0.42 1061 0.87 0.119

180 1.3E-04 18850 0.42 1895 0.91 0.195

300 1.3E-04 18850 0.42 5455 0.95 0.411

500 1.3E-04 18850 0.42 16667 0.97 0.681

Der Vergleich zwischen gemessenen Porenwasserüberdrücken und Auswertung

mittels analytischer Lösung für die gekoppelte Strömungs-Verformungs-

Berechnung gemäß Gleichung (3) ist in Abbildung 2, rechts dargestellt. Man

kann für sämtliche Experimente eine gute Übereinstimmung zwischen analyti-

schem Ansatz und Versuchsergebnissen feststellen.

Die Experimente spiegeln den Einfluss des Gasgehaltes auf den Betrag und Ver-

teilung der Porenwasserüberdrücke am Ende des Absunks wider. Während bei

einem Druckniveau von 140 kN/m2 (4 m Wassertiefe, Sättigungsgrad 87 %) am

unteren Rand der Bodensäule noch Überdrücke in der Größenordnung von ca.

50 % der Laständerung auftreten, sind das bei einem Druckniveau von

500 kN/m2 (40 m Wassertiefe, Sättigungsgrad 97 %) weniger als 4 %. Was be-

messungsrelevant ist, muss der Ingenieur im Kontext des zu behandelnden

Nachweises entscheiden. Die Gradienten des Porenwasserüberdrucks im oberen

Bereich induzieren Strömungskräfte und diese können im Kontext der Bewer-

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„Bemessung im Wasserbau“ 113

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tung der Filterstabilität gegenüber einer Deckschicht oder einer etwaigen hydro-

dynamischen Bodenverlagerung durchaus kritische Werte annehmen.

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Säulenversuche in der WDA (links). Gemesse-

ne (Symbole) und analytisch ausgewertete Porenwasserüberdrücke.

2.3 Druckverteilung in einem Erddamm nach Stauspiegelabsenkung

Das in Schottland 1957 errichtete Glen Shira Pumpspeicherbecken wird durch

einen ca. 17 m hohen Erddamm eingestaut, siehe Paton und Sample (1961). In

dem aus Moränenmaterial (k = 1,6∙10-8 m/s, E-Modul = 100 MPa) gebauten

Damm, der wasserseitig mit einer Steinschüttung versehen ist, fungiert eine Be-

tonwand als Kerndichtung. Beim Bau wurden Porenwasserdruckaufnehmer in-

stalliert, um die Reaktion des Porenwasserdrucks auf Speicherspiegeländerun-

gen aufzuzeichnen. Der Aufbau des Erddamms sowie die Lage der 5 Piezometer

sind in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Schnitt durch den Glen Shira Damm Paton und Sample (1961).

Page 122: bemessung im wasserbau

114 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die

Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau

Bei der Analyse der Messdaten fanden Paton und Semple (1961) erhebliche Un-

terschiede zwischen der theoretisch zu erwartenden (Abbildung 4 links) und der

auf Grundlage der interpolierten Messdaten ausgewerteten Potentialverteilung

(Abbildung 4 rechts) am Ende einer Probeabsenkung. Die Messdaten zeigten,

dass am Ende des Absunks, der immerhin 4 Tagen dauerte, im feinkörnigen

Dammkern deutlich höhere Potentiale vorherrschen als erwartet. Folglich treten

nach außen weisende hydraulische Gradienten entlang der Böschung sowie an

der Basis oberhalb einer Filterschicht auf.

Abbildung 4: Theoretisch erwartete (links) und gemessene Potentialverteilung (rechts) im

Glen Shira Damm am Ende einer Probeabsenkung (Potentialhöhen in Fuß)

aus Paton und Sample (1961).

Die gemessene Potentialverteilung weist auf einen verzögerten Druckausgleich

während der Speicherleerung hin und wurde von Paton und Sample (1961) mit

dem Vorhandensein von Gaseinschlüssen erklärt. Eine ähnliche Verzögerung

des Druckausgleichs infolge volumetrischer Bodenverformungen während des

Absunks, so wie sie Pinyol et al. 2008 annahmen, kann aufgrund der hohen Bo-

densteifigkeit nicht als Erklärung dienen, siehe Stelzer et al. (2014).

Der oben vorgestellte analytische Ansatz sollte eine Abschätzung der Porenwas-

serüberdrücke im Dammkern ermöglichen. Wenn man die reale 2D-

Belastungssituation, bei der die Wasserstandsänderung sowohl an der Böschung

als auch an der Dammbasis wirkt, auf eine 1D-Situation übersetzt, dann kann

man eine Trennstromlinie in der Winkelhalbierenden des Dammkörpers anneh-

men, was einer „fiktiven“ Dränagelänge von L = 5 m entspricht. Unter der An-

nahme einer „mittleren“ Wassertiefe während der Absenkung von 5 m (Abso-

lutdruck p0 = 150 kPa), einer Porosität von n = 0,25 und einem angenommen

Gasvolumen von 2 % (ein Wert den man in Säulenversuchen häufig vorfindet)

erhält man eine Kompressionssteifigkeit für das Fluid Kwg = von 7,5 MPa und

somit einen Lastaufteilungsfaktor von B* = 0,22. Mit Δt/τ = 0,45 ergibt sich aus

Ablesung im dimensionslosen Diagramm in Abbildung 1 der maximale Poren-

wasserüberdruck zu p/A0 = 0,63 und nach Auswertung von A0 zu p = 51 kPa.

Alle zur Auswertung erforderlichen Größen sind in Tabelle 2 aufgelistet.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 115

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Tabelle 2 Parameter für die Auswertung des Porenwasserüberdrucks im Innern des

Glenn Shira Damms.

Der mit dem dimensionslosen Diagramm abgeschätzte Porenwasserüberdruck

im Innern des Damms (ca. 5 m oberhalb der Aufstandsfläche) beträgt ca. 51 kPa.

Eine Auswertung mittels FE-Grundwasserströmungsmodell ergäbe im Innern

des Dammkerns hingegen Saugspannungen. Eine gekoppelte FE-Strömungs-

Verformungs-Berechnung von Stelzer (2016) ergab im Bereich zwischen

Druckaufnehmer 2 und 4, etwa 5 m oberhalb der Aufstandsfläche, am Ende des

Probeabsunks einen Porenwasserüberdruck von 60 kPa, was trotz der vereinfa-

chenden Annahmen sehr gut mit der analytischen Auswertung übereinstimmt.

3 Schlussfolgerungen

Gerade im maritimen und auch im Binnenbereich sorgen Wasserstandsänderun-

gen nicht selten für dynamische Ungleichgewichte in Form großer Porenwasser-

überdrücke und/oder Porenwasserströmungen. Obwohl solche Phänomene das

Strömungs-Verformungs-Verhalten im Boden/porösen Medium entscheidend

beeinflussen können, werden sie derzeit nur ungenügend in den Nachweisver-

fahren berücksichtigt. Verantwortlich hierfür ist die bislang nicht hinreichend

verknüpfte bodenmechanische und geohyraulischen Analyse der interagierenden

Strömungs- und Verformungsprozesse im Boden. Der vorliegende Beitrag legt

die maßgebenden Mechanismen dar und erläutert die Rolle von Gaseinschlüssen

bei der Entstehung von Ungleichgewichten infolge hydraulischer Laständerun-

gen. Es wird ein Ansatz vorgestellt, um das etwaige Auftreten dynamischer Un-

gleichgewichte abzuschätzen und so den erforderlichen Analyseaufwand be-

gründet festzulegen.

4 Literatur

Ewers J. (2016): Porenströmung als Auslöser für Erosion? Tagungsband zum "Johann-

Ohde-Kolloquium". BAW und TU Dresden. BAW-Mitteilungen Nr. 99.

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Engineering Practice. John Wiley & Sons.

Köhler, H.-J.; Montenegro, H. (2003): Investigations regarding soils below phreatic

surface as unsaturated porous media. In: Unsaturated Soils: Numerical and

Theoretical Approaches: Proceedings of the International Conference "From

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116 Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die

Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau

Experimental Evidence Towards Numerical Modeling of Unsaturated Soils",

Weimar, Germany, September 18-19.

Montenegro, H.; Köhler, H..-J. and Holfelder, T. (2003): Inspection of excess pressure

propagation in the zone of gas entrapment below the capillary fringe. Proceedings,

International Conference "From Experimental Evidence towards Numerical

Modelling of Unsaturated Soils", Weimar, Germany, Vol. 2, September 2003.

Montenegro, H., Stelzer, O. (2014). Untersuchung des Einflusses von Gaseinschlüssen

unterhalb des Grundwasserspiegels auf Druckausbreitung und Bodenverformungen

mittels gekoppelter FE-Berechnungen. Ohde Kolloquium 2014 Mitteilungsheft 19.

Institut für Geotechnik. Technische Universität Dresden.

Montenegro, H., Stelzer, O. Odenwald, B. (2015): Parameterstudie zum Einfluss von

Gasbläschen im Grundwasser auf Porenwasserdruck und effektive Spannung bei

Auflast- oder Wasserspiegeländerungen. BAW Mitteilungen Nr. 98.

Paton, J. and Semple (1961), N.G. Investigation of the Stability of an Earth Dam Subject

to Rapid Drawdown including Details on Pore Pressures recorded during a

Controlled Drawdown Test., in Pore Pressure and Suction in Soils, pp. 85-90,

Butterworth, London.

Pinyol, N. M.; Alonso, E. E and Olivella, S. (2008): Rapid drawdown in slopes and

embankments. Water Resources Research 44, 2008 W00D03.

Stelzer, O., Montenegro, H., Odenwald, B. (2014) Consolidation Analyses Considering

Gas Entrapment below the Phreatic Surface. Numerical Methods in Geotechnical

Engineering. Proceedings. CRC Press.

Stelzer, O. (2016): Zur Berücksichtigung der Kopplung von Grundwasserströmung und

Bodenverformung bei der numerischen Berechnung der

Porenwasserdruckverteilung. BAW-Mitteilungen Nr. 99.

Wang, H. F. (2000): Theory of Linear Poroelasticity with Applications to Geomechanics

and Hydrogeology. Princeton University Press.

Autoren:

Dr.–Ing. Héctor Montenegro

Bundesanstalt für Wasserbau

Abteilung Geotechnik

Kußmaulstraße 17

76187 Karlsruhe

Tel.: +49 721 9726-4250

Fax: +49 721 9726-4830

E-Mail: [email protected]

Dr.–Ing. Bernhard Odenwald

Bundesanstalt für Wasserbau

Abteilung Geotechnik

Kußmaulstraße 17

76187 Karlsruhe

Tel.: +49 721 9726-3620

Fax: +49 721 9726-4830

E-Mail: [email protected]

Page 125: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch

urbane Sturzfluten

Oliver Buchholz

Robert Mittelstädt

Alpaslan Yörük

Aktuelle Studien untersuchen den Zusammenhang zwischen Klimawandel und

den Starkregenereignissen, die in den Sommermonaten der vergangenen Jahre

auftraten und vielerorts urbane Sturzfluten verursachten. Einhergehend mit dichter

Besiedlung und intensiver landwirtschaftlicher Nutzung führten diese zu hohen

wirtschaftlichen Schäden.

Ein nach den aktuellen Bestimmungen geplantes Kanalnetz ist für extreme Nie-

derschläge nicht ausgelegt. Ein Großteil des Niederschlags gelangt zudem nicht in

die Kanalisation. Verschärft wird der Effekt durch Einläufe zusetzende, schlamm-

und geröllführende Abflüsse aus hängigen Außenbereichen.

Zu ermitteln, wohin Niederschlagswasser fließt und wo es Schaden anrichtet, er-

fordert eine örtliche, sehr detaillierte, modellgestützte Untersuchung mit hoch-

aufgelösten Daten.

GIS-Analysen des digitalen Geländemodells (DGM) liefern wichtige erste Er-

kenntnisse zur Abflusskonzentration des betrachteten Gebiets sowie Anhaltspunk-

te für besonders gefährdete Bereiche.

Gute Erfahrungen für die Modellierung der hochdynamischen Fließprozesse bei

Starkregen liegen mit der 2D-hydronumerischen Simulation vor. Modulare und

gestufte Modellkonzepte liefern belastbare Ergebnisse auf verschiedenen Skalen.

Flächig verfügbare Daten (Laserscan-DGM, Landnutzung, Gebäudebestand ALK)

erlauben die Aufstellung großflächiger, aussagekräftiger Modelle.

Die Stufen 2D-Grobanalyse, Identifikation von Risikobereichen, detaillierte 2D-

Fließanalyse von Schadensschwerpunkten bis hin zur kleinräumigen Kopplung

mit Kanalmodellen, Integration von Gewässermodellen und der Nachweis von

Schutzmaßnahmen decken das ganze Spektrum städtischer Sturzfluten ab.

Die EU hat in der HWRM-RL als mögliche Arten von Hochwasser auch „Sturz-

fluten“ und „Hochwasser in Städten“ aufgeführt. Es ist erforderlich, auch diese

Hochwasserarten in einem der nächsten Berichtszyklen in die Risikobetrachtun-

gen aufzunehmen.

Die Inhalte urbaner Gefahren- und Risikokarten sind noch im Einzelnen zu defi-

nieren. Sie sollten flächig die Fließwege des Wassers, die zu erwartenden Fließge-

schwindigkeiten und Fließtiefen darstellen und auf sensible Nutzungen und Infra-

Page 126: bemessung im wasserbau

118 Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten

struktureinrichtungen hinweisen. Für Behörden und die Öffentlichkeit können aus

ihnen spezielle Informationen abgeleitet und zur Verfügung gestellt werden.

Im Vortrag werden vor dem Hintergrund der Projekterfahrung des Autorenteams

verschiedene Fragestellungen aus dem Kontext urbaner Sturzfluten kritisch disku-

tiert.

Stichworte: Starkregen, urbane Sturzfluten, Extremniederschläge, 2D-

Modellierung, Hochwassergefahrenkarten, kommunaler Hochwas-

serschutz

1 Starkregenereignisse

In den vergangenen Jahren kam es deutschlandweit häufig zu sehr starken Re-

genfällen, die lokal verheerende Sturzfluten mit Toten und Sachschäden in Mil-

liardenhöhe verursachten. In Erinnerung sind die Ende Mai und Anfang Juni

2016 aufgetretenen zahlreichen Gewitter mit Extremniederschlägen und anhal-

tenden Regenfällen, verursacht durch die beiden Tiefs Elvira und Friederike.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. v. (GDV) zieht

im Dezember 2016 eine Bilanz der Schäden, die durch Starkregenereignisse in

den letzten Jahren gemeldet wurden (GDV 2016).

Abbildung 1: Starkregen-Tiefs mit den höchsten Versicherungsschäden (GDV 2016)

Meteorologen und Klimaforscher können aus den verfügbaren Wetterdaten zur-

zeit keinen klaren Trend zur Zunahme solcher Ereignisse in Deutschland ablesen

oder einen eindeutigen Zusammenhang mit dem Klimawandel ableiten. Der

DWD schlussfolgert aber, dass die bekannten physikalischen Zusammenhänge

Page 127: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 119

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einen durch den Klimawandel verursachten Anstieg der Extremniederschläge für

die Zukunft vermuten lassen (DWD 2016).

Eine weltweite statistische Analyse von Regendaten aus den Jahren 1901 bis

2010 zeigt für den Zeitraum seit 1980 einen Anstieg von Rekord-Regen-

Ereignisse um 12 Prozent verglichen mit einem Szenario ohne Klimawandel

(Lehmann 2015).

2 Größere Kanäle bieten keinen höheren Schutz

Häufig versuchen Kommunen künftige Schäden zu verhindern, indem sie Ab-

wasserkanäle und -bauwerke überprüfen und noch größer dimensionieren. Doch

das ist aus folgenden Gründen nicht das Mittel der Wahl:

1) Ein nach den aktuellen Normen, Bestimmungen und Genehmigungskriterien

geplantes und gebautes Kanalnetz ist definitiv nicht in der Lage, solche Was-

sermengen abzuleiten.

2) Abflüsse entstehen bei einem Starkregen direkt auf allen befestigten Flächen

und vor allem auf gesättigten Böden. Das führt dazu, dass ein großer Teil des

abfließenden Wassers Schaden anrichten kann, bevor es überhaupt in die Nähe

der Kanalisation gelangt.

3) Die Kanalnetze sind vielerorts bereits baulich an ihrer Leistungsfähigkeit an-

gelangt. Eine Vergrößerung der Querschnitte und Rückhalteräume ginge mit

hohen Kosten und großem Flächenverbrauch einher.

Konsequenterweise können Kanalnetzmodelle nur ein Teil der Modellumgebung

sein, mit der sich Maßnahmen zur Vorsorge vor urbanen Sturzfluten konzipieren

lassen.

3 Kommunale Starkregen-Schutzkonzepte entwickeln

Bei der Aufstellung kommunaler Starkregen-Schutzkonzepte sind die hydrolo-

gisch-hydraulischen Bedingungen vor Ort genau zu berücksichtigen. Folgende

Schritte sollten dazu erfolgen:

• Gefährdungs- und Risikoanalyse

• Risikobewertung und Festlegung von Schutzzielen

• Konzeption und Umsetzung von Maßnahmen mit Wirkungsanalyse

• Risikokommunikation

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120 Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten

Zunächst ist die Gefährdung für die gesamte Kommune zu ermitteln. Folgende

Fragen sind zu klären: Wohin und wie schnell fließt oberflächig abströmendes

Regenwasser? Wo staut sich der Abfluss? An welchen Stellen wird das Kanal-

netz überstaut? Welche Gewässer treten im städtischen Bereich über die Ufer?

Das DWA-Merkblatt M 119 "Risikomanagement in der kommunalen Überflu-

tungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starkregen", macht Vorgaben, an

denen sich Kommunen und Ingenieurbüros orientieren können (DWA 2016).

Eine anschließende Risikoanalyse zeigt auf, ob und in welchem Umfang durch

die Überflutungen Schäden entstehen können. Eine einfache Risikoanalyse kann

sich darauf beschränken zu ermitteln, ob wichtige Infrastrukturen wie Kranken-

häuser, öffentliche Gebäude oder Versorgungseinrichtungen betroffen sind. Mit

einer detaillierten Risikoanalyse können auch die potenziellen wirtschaftlichen

Schäden ermittelt werden.

Hohe Fließtiefen und hohe Geschwindigkeiten können gleichermaßen zu Gefah-

ren werden. Die detaillierte hydrodynamische Modellierung zeigt beides räum-

lich sehr differenziert. Gefahren- und Risikobereiche können so ausgewiesen

werden.

Den absoluten Schutz vor Überflutungen gibt es nicht. Deshalb ist es wichtig,

die ermittelten Risiken zu bewerten und angemessene Schutzziele festzulegen,

d. h. zu definieren, welche Maßnahmen entsprechend Eintrittswahrscheinlichkeit

oder Wasserstand sinnvoll und wirksam sind. Hier empfiehlt sich eine Kosten-

Nutzen-Abwägung.

Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse ist es möglich, ein Maßnahmen-

konzept aufzustellen, um die Kommune künftig wirksam vor Schäden durch ur-

bane Sturzfluten schützen.

Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern spielt eine große Rolle, um

ein Bewusstsein für die bestehenden Risiken zu schaffen. Damit wird es mög-

lich, Maßnahmen mit Interessengruppen abzustimmen und potenziell Betroffene

zu eigenverantwortlichem Handeln zu bewegen.

4 Gefahren- und Risikoermittlung mit GIS-Analysen und

hydrodynamischer 2D-Modellierung

4.1 Topografische Analysen

Einen Eindruck von den Gebietseigenschaften vermitteln topografische Analy-

sen des digitalen Geländemodells (DGM) hinsichtlich der folgenden Aspekte:

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Hangneigung

potenzielle Fließwege

Schummerung (s. Abbildung 2)

Ermittlung von Senken und Mulden

Daraus lassen sich erste wichtige Erkenntnisse über gefährdete Bereiche im Ein-

zugsgebiet gewinnen, die jedoch durch eine 2D-hydraulische Berechnung noch

zu untermauern und zu quantifizieren sind.

Abbildung 2: GIS-Analyse: Schummerung macht kleine abflussrelevante Strukturen sichtbar.

4.2 Hydrodynamische 2D-Modellierung

Mit einem effektiven Modellierungsverfahren lassen sich die Gefahren ermit-

teln, die auf dem Gebiet einer Kommune bei Starkregenereignissen durch urba-

ne Sturzfluten entstehen (s. Abbildung 3). Es wurde bereits mehrfach in der Pra-

xis angewandt z. B. für die Gemeinde Wachtberg bei Bonn und die Stadt Gre-

venbroich.

Das hydrodynamische 2D-Modell HYDRO_AS-2D (Nujic 2017) ermöglicht es,

die auftretenden Oberflächenabflüsse instationär und räumlich hochaufgelöst

unter Lösung der vollständigen 2D-Flachwassergleichungen zu modellieren und

den Prozess der Abflusskonzentration in natürlichen und urbanen Einzugsgebie-

ten sehr detailliert abzubilden. Dazu wird das Modellnetz mit einem Effektiv-

niederschlag belastet, der zeitlich und räumlich variabel sein kann. Das ermög-

licht die realitätsnahe Abbildung von Starkniederschlägen mit unterschiedlicher

Eintrittswahrscheinlichkeit.

Page 130: bemessung im wasserbau

122 Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten

Die Gefahrenanalyse mit dem 2D-Modell erfolgt in zwei Schritten:

1. Das Screening-Modell basiert auf dem DGM inkl. der Gebäude. Es identifi-

ziert die Gefahrenbereiche und ermöglicht eine Abgrenzung der zu untersuchen-

den Gebiete.

Abbildung 3: Die 2D-hydrodynamische Modellierung ermöglicht es, oberflächlich abflie-

ßendes Niederschlagswasser zu simulieren und macht die durch Sturzfluten ge-

fährdeten Bereiche einer Besiedlung erkennbar.

2. Ein detailliertes 2D-Modell mit hoher Auflösung (inkl. Bruchkanten, Straßen,

Gebäude, evtl. Gewässer etc.) und integrierten maßgeblichen Kanalnetzpunkten

(Schächten) liefert genaue Angaben über die zu erwartenden Überflutungstiefen

und Fließgeschwindigkeiten. Das aus der Kanalisation austretende Wasser wird

durch die Kopplung eines Kanalnetzmodells im 2D-Modell berücksichtigt.

Die mit der Modellierung gewonnenen Informationen können beispielsweise in

Gefahren- und Risikokarten (s. Abbildung 4) dargestellt und veröffentlicht wer-

den.

5 Urbane Gefahren- und Risikokarten

Die Europäische Union hat in der Begründung der EG-

Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie als mögliche Arten von Hochwasser

auch „Sturzfluten“ und „Hochwasser in Städten“ aufgeführt. Es ist davon auszu-

gehen, dass diese Hochwasserarten in einen der nächsten Berichtszyklen in die

Hochwassergefahren- und Risikokarten aufzunehmen sind.

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Abbildung 4: Urbane Gefahrenkarten enthalten detaillierte Informationen über sturzflut-

gefährdete Bereiche. Karten dieser Art wurden von Hydrotec im Rahmen der

oben genannten Projekte erstellt.

Die Inhalte urbaner Hochwasser- und Gefahrenkarten sind noch im Einzelnen zu

definieren und zu standardisieren. Ihre Darstellung geht räumlich über die einer

detaillierten Überflutungsmodellierung des Grenzfalls der Kanalisation hinaus.

Die Karten sollten flächig die Fließwege des Wassers, die zu erwartenden Fließ-

geschwindigkeiten und Fließtiefen darstellen und sensible Nutzungen und Infra-

struktureinrichtungen enthalten (s. Abbildung 4).

Für Fachbereiche wie Stadtplanung, Stadtentwässerung und Katastrophenschutz

sowie die Öffentlichkeit können aus ihnen spezielle Informationen abgeleitet

und zur Verfügung gestellt werden.

Als hilfreich hat sich in vielen Gemeinden ein Hochwasseraudit nach DWA oder

die Einführung von Hochwasserpässen für Gebäude erwiesen (DKKV 2016).

Viele Kommunen erarbeiten zurzeit mit staatlicher Förderung ein Klimaanpas-

sungskonzept für ihre Stadt, um den zu erwartenden Wetterextrema besser be-

gegnen zu können. Es behandelt die Aspekte Hitze, Sturm und Starkregen und

beschreibt Maßnahmen, die zu einer Verringerung der Gefährdung führen. Bei

diesem vielversprechenden Ansatz ist interdisziplinäre Zusammenarbeit aus den

Bereichen Stadt- und Landschaftsplanung, Geografie, Hydrologie und Hydraulik

erforderlich.

Page 132: bemessung im wasserbau

124 Modellgestützte Ermittlung der Gefährdung durch urbane Sturzfluten

6 Ausblick und Fazit

Auch wenn die Ursache und die zukünftige Wahrscheinlichkeit von Extrem-

ereignissen hierzulande aktuell noch nicht geklärt sind, sollten auf allen Ebenen

Anstrengungen unternommen werden, die Gefährdungslage von Kommunen

abzuschätzen und Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um Schäden zukünftig zu

verhindern.

Die hydronumerische 2D-Modellierung in Kombination mit GIS-Analysen lie-

fert wertvolle und verlässliche Aussagen zur Gefährdung besiedelter Bereiche

durch Starkregen und urbane Sturzfluten, ermöglicht die Konzeption von

Schutzmaßnahmen und stellt damit ein elementares Werkzeug zur Vorsorge dar.

7 Literatur

DWA (2016) Merkblatt DWA-M 119, November 2016. Risikomanagement in der

kommunalen Überflutungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starkregen,

Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. -DWA-,

Hennef

DWD (2016): Starkniederschläge in Deutschland. Deutscher Wetterdienst, Offenbach am

Main, Deutschland

DKKV (2016): Newsletter Juni 2016, Starkregen in Deutschland, Deutsches Komitee

Katastrophenvorsorge e.V., Bonn

GDV (2016): Naturgefahrenbilanz, Pressemitteilung der Versicherungswirtschaft vom

28.12.2016, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., Berlin

Lehmann, J., Coumou, D., Frieler, K. (2015): Increased record-breaking precipitation

events under global warming. Climatic Change [DOI: 10.1007/s10584-015-1434-y]

Nujic, M., Hydrotec (2017): HYDRO_AS-2D - Programm zur 2D-hydrodynamischen

Modellierung von Fließgewässern, Version 4.2; Dr. Nujic, Rosenheim; Hydrotec

Ingenieurgesellschaft für Wasser und Umwelt mbH, Aachen; 2017

Autoren:

Dr.-Ing. Oliver Buchholz

Dipl.-Ing. Robert Mittelstädt

Prof. Dr.-Ing. Alpaslan Yörük

Hydrotec Ingenieurgesellschaft

für Wasser und Umwelt mbH

Bachstr. 62-64

52066 Aachen

E-Mail: [email protected]

[email protected]

alpaslan.yörü[email protected]

Tel.: +49 241 94689-0

Fax: +49 241 506889

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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

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Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen

Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen

Antje Bornschein

Die Erstellung von Katastrophenschutzplänen für den hypothetischen Bruch eines

Staubauwerkes basiert auf verschiedenen Bruchszenarien. Derzeit existieren viele

empirische Formeln und einige Sedimenttransportmodelle für die Breschenbil-

dung, die jedoch nur für homogene Dämme entwickelt wurden. Der Artikel stellt

zunächst einige historische Talsperrenbrüche vor, bei denen Dämme mit Dichtun-

gen versagten. Danach werden Modellversuche zum Versagen von Dämmen mit

und ohne Dichtungen erläutert. Es zeigt sich, dass der Einfluss der Dichtungsele-

mente auf den Bruchverlauf auch abhängig von der Böschungsneigung des Dam-

mes ist.

Stichworte: Talsperrenbruch, Modellversuche, Breschenausfluss

1 Motivation

Talsperren sind sichere Bauwerke. Jedoch stellt der Versagensfall ein Restrisiko

dar. In vielen Ländern sind dem Betreiber oder Eigentümer des Absperrbauwer-

kes Studien zur Abschätzung des Restrisikos vorgeschrieben. Ergebnisse solcher

Studien sind Katastrophenschutzpläne mit Informationen zum möglichen Über-

schwemmungsgebiet und zum Fortschreiten der Flutwelle mit Ankunftszeiten

und maximalen Wasserständen. Zusätzlich werden Angaben zu zuständigen Be-

hörden und Ansprechpartner, zum Ablauf notwendiger Evakuierungen usw. be-

nötigt. Die Daten zum Ablauf einer hypothetischen Talsperrenbruchwelle beru-

hen im Allgemeinen auf hydro-numerische Berechnungen.

Eingangsgrößen für hydro-numerische Berechnungen sind neben geografischen

Daten zum Gelände und zur Landnutzung mögliche Ganglinien für den Bre-

schenausfluss. Letztere sind abhängig von der Art und Größe der Talsperre, der

Bruchentwicklungszeit und Kenngrößen des Reservoirs wie der Wasserstands-

Volumen-Beziehung und möglicherweise zu berücksichtigende Hochwassersze-

narien.

Für die Erstellung von Ausflussganglinien für Staudämme stehen viele empiri-

sche Formeln zur Verfügung (Wahl 1998). Jedoch sind diese streng genommen

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126 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen

nur für homogene Dämme anwendbar. Der Einfluss von Dichtungselementen

auf das Bruchverhalten ist noch nicht ausreichend untersucht und quantifiziert.

2 Beispiele historische Talsperrenbrüche

Nachfolgend sollen kurz einige Beispiele für historische Talsperrenbrüche von

inhomogenen Dämmen dargestellt werden. Schwerpunkt liegt hierbei auf die

Bruchentwicklung und wie diese möglicherweise durch die Dichtungselemente

beeinflusst wurde. In Tabelle 1 sind wichtige Kenngrößen zu den vorgestellten

Talsperren zusammengefasst.

Taum Sauk

Das Oberbecken des Pumpspeicherkraftwerkes Taum Sauk in Missouri, USA

hatte einen Steinschüttdamm mit einer Außendichtung als Staubauwerk. Am

14.12.2005 am Ende des Pumpzyklus kam es zu einer Überströmung der Kro-

nenmauer an mehreren Stellen. Erst 20 Minuten später stoppten die Pumpen. Da

hatte die Breschenbildung bereits begonnen. Nach 8 Minuten trat der maximale

Breschenausfluss ein. Innerhalb von 35 Minuten war das Becken mit einem In-

halt von 5,38 Mio. m³ ausgelaufen. (FERC 2006)

Abbildung 1: Bruch des Oberbeckens des Pumpspeicherkraftwerkes Taum Sauk, USA,

Zustand ca. 5 Minuten nach dem Versagen der Kronenmauer, ca. 50 % des

Dammkörpers sind abgetragen (nach Rogers et al. 2010)

Nachfolgende Berechnungen (Rogers et al. 2010) zeigten, dass die Außendich-

tung aus bewehrtem Beton maßgeblich dafür verantwortlich war, dass der Ero-

sionsprozess so schnell verlief. Der Beton bildete ein scharfkantiges Wehr und

begünstigte die schnelle Ausbildung eines tiefen Kolkes unterhalb (vgl. Abbil-

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dung 1). Der verbliebene Rest des Dammes brach dann, zusammen mit dem Au-

ßendichtung, sehr schnell und erzeugte einen sehr großen Ausflussscheitel.

Tabelle 1 Kenngrößen von historischen Talsperrenbrüchen.

Talsperre Damm-

höhe

[m]

Bruchent-

wicklungszeit

[h]

Maximaler

Ausfluss

[m³/s]

Quelle

Taum Sauk 25,6 0,33 7730 FERC 2006

Ibrastausee 10 k. A. 600 Glatthaar & Kuttler 1979

Dehli 13,1 1,5 1960 IPE 2010

Gouhou 71 „rasch“ 15000 Vischer 1994

Ibrastausee

Der Ibrastausee ist ein Freizeitsee in Hessen. Der Damm mit Außendichtung aus

Asphalt wurde 1974-1975 erbaut. In der Zeit von Dezember 1975 bis Mai 1977

wurden mehrere Probestaue durchgeführt, wobei immer wieder Undichtigkeiten

und Leckagen festgestellt wurden. Eine endgültige Abnahme des Staubauwerkes

erfolgte nicht (MLU 1977).

Am 22.8.1977 wurde zunächst ein Wasseraustritt am Damm in Form einer Fon-

täne festgestellt. Kurz nach 15:00 brach der Damm. Linke untere Begrenzung

der Bresche war der Grundablass, was auf eine Sickerröhrenbildung als mögli-

che Bruchursache hinweisen würde. Als mögliche Ursachen wurden Baumängel

oder Planungsfehler vermutet, die genaue Ursache wurde jedoch nie ermittelt.

(HR-online 2012) Leider kann der genaue zeitliche Ablauf des Bruches nicht

mehr rekonstruiert werden.

Dehli

Die Talsperre Dehli in Iowa, USA war 1922-1929 als ein Kombinationsbauwerk

mit Erdschüttdämmen links und rechts eines Massivbauwerkes erbaut worden.

Das Massivbauwerk enthielt ein Krafthaus und die Hochwasserentlastungsanla-

ge. Der rechte Erdschüttdamm, der während eines Hochwasserereignisses 2010

gebrochen ist, hatte als Dichtungselement eine Kernmauer, die aber nur bis in

eine Höhe von ca. 1,8 m unterhalb der Dammkrone reichte (IPE 2010).

Beim Hochwasser am 24.7.2010 konnte die Hochwasserentlastungsanlage das

Wasser nicht vollständig abführen, auch weil eins der drei Tore nicht vollständig

geöffnet werden konnte. Durch den hohen Wasserstand kam es zunächst zu ei-

ner Durchströmung des Bauwerkes mit Sickerröhrenbildung. Gegen 10:00 be-

gann die Überströmung des rechten Dammes. Nachdem der Belag der Straße,

die auf der Dammkrone verlief, abgetragen wurde, erfolgte eine von unten nach

oben fortschreitende Erosion des luftseitigen Dammkörpers. Die Dichtungsmau-

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128 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen

er hielt der Überströmung noch eine Zeitlang stand, bis sie schließlich gegen

13:00 zerbrach. (IPE 2010)

Gouhou

Die Talsperre Gouhou liegt in China und wurde 1988 in Betrieb genommen.

Kurz nach dem Ersteinstau gab es starke Sickerwasserverluste. Nach einer Re-

paratur an der Außendichtung aus bewehrtem Beton wurde die Talsperre im

Teilstau betrieben und keine Sickerwasseraustritte mehr beobachtet. Doch ab

Juli 1993 wurde der Wasserspiegel wieder angehoben, am 26.8.1993 der Voll-

stau erreicht. Einen Tag später brach der Damm. Die Breschenbildung wird als

rasch beschrieben, was auf den Einfluss der Außendichtung zurückgeführt wer-

den könnte. (Vischer 1994)

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sowohl Innen- als auch Außendich-

tungen die Breschenentwicklung eines Dammes beeinflussen können. Für Au-

ßendichtungen ist dokumentiert, dass sie wie ein Wehr wirken und so eine

schnelle Erosion des Dammmaterials durch Auskolkung befördern. Für Innen-

dichtungen ist dies nicht so eindeutig nachzuweisen. Wenn die Innendichtung

aus einem ausreichend stabilen Material besteht, kann sie den Bruchprozess ver-

langsamen, indem sie z. B. einer Überströmung noch einige Zeit standhält. Je-

doch ist auch in diesem Fall darauf hinzuweisen, dass die Wasserspiegeldiffe-

renz aufrecht gehalten und im Fall des Bruch eine großer Fließquerschnitt plötz-

lich freigegeben wird.

3 Modellversuche

Zwischen 2013 und 2016 wurden im Hubert-Engels-Labor des Institutes für

Wasserbau und Technische Hydromechanik der TU Dresden hydraulische Mo-

dellversuche zum Bruchverhalten von inhomogenen Dämmen durchgeführt. Der

prinzipielle Versuchsaufbau, die Versuchsdurchführung und die verwendete

Messtechnik wurden schon in Bornschein (2014) vorgestellt. In Abbildung 2 ist

eine Skizze des Versuchsstandes gezeigt. In Tabelle 2 sind die Parameter für die

4 Versuchsreihen zusammengestellt.

Insgesamt wurden 34 Versuche durchgeführt. Der Modelldamm war dabei bei

32 Versuchen 0,4 m hoch. Bei den anderen 2 Versuchen wurde das Bruchverhal-

ten eines 0,3 m hohen und eines 0,2 m hohen Dammes untersucht. Wesentliches

Unterscheidungskriterium für die einzelnen Versuchsreihen war die Böschungs-

neigung, wobei sowohl die Wasserseite als auch die Luftseite des Dammes die

gleiche Neigung aufwiesen.

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Abbildung 2: Skizze Versuchsstand und Messgeräte für die Versuchsreihe 1 (Längsschnitt,

Maßangaben in [m], Bildquelle: Bornschein 2014)

Nach dem Aufbau des Modelldammes und der Herstellung einer Initialbresche

wurde das Reservoir gefüllt bis der Kronenstau erreicht wurde bzw. ein signifi-

kanter Ausfluss aus der Initialbresche den Bruchvorgang eingeleitet hatte. Der

Ausflussvorgang mit Breschenbildung wurde in einem Film dokumentiert und

der zeitabhängige Wasserstand im Reservoir vermessen.

Tabelle 2 Parameter und Anzahl der Modellversuche.

Versuchsreihe Böschungsneigung Anzahl Versuche

ohne Dichtung

Anzahl Versuche

mit Dichtung

1 1:2,5 5 3

2 1:4 6 3

3 1:3,25 11 4

4 1:1,7 - 2

Nach dem Leerlaufen des Reservoirs wurde die Größe der Endbresche (vgl. Ab-

bildung 3) aufgemessen. Dafür kamen verschiedenen Messverfahren zum Ein-

satz.

Abbildung 3: Bresche eines homogenen Dammes (links), eines Dammes mit Außendich-

tung (Mitte) und eines Dammes mit Innendichtung (rechts).

Bei der Versuchreihe 2 wurde z. B. ein 3D-optisches Messsystem von AICON

verwendet. In der Versuchsreihe 3 wurden Querschnitte der Bresche mit einer

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130 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen

Laserabstandsmessung aufgenommen. Weitere Details zu den Modellversuchen

finden sich in Bornschein (2014).

4 Auswertung

In Tabelle 3 ist der maximale Breschenausfluss für 3 Versuchsreihen zusam-

mengefasst. Bei mehreren Versuchen zum gleichen Modelldamm (gleiche Bö-

schungsneigung, gleiches Dichtungselement) ist der Mittelwert aus den Versu-

chen aufgeführt. In Abbildung 4, 5 und 6 sind die zugehörigen Ganglinien zu

sehen.

Tabelle 3 Ergebnisse der Modellversuche – Maximaler Breschenausfluss.

Böschungsneigung Dammart/

Dichtungselement

Maximaler Ausfluss

[m³/s]

Max. Ausfluss

[%]

1:2,5 homogen 0,047 100

1:2,5 Außendichtung 0,063 135

1:2,5 Innendichtung 0,062 132

1:3,25 homogen 0,035 100

1:3,25 Außendichtung 0,044 125

1:3,25 Innendichtung 0,056 157

1:4 homogen 0,027 100

1:4 Außendichtung 0,029 108

1:4 Innendichtung 0,023 86

Aus den Ergebnissen in Tabelle 3 kann geschlussfolgert werden, dass ein Damm

mit einer steileren Böschungsneigung und damit einem schmaleren Dammquer-

schnitt schneller erodiert und einen größeren maximalen Breschenausfluss er-

zeugt. Dies gilt auch für Dämme mit Dichtungselementen.

Da die vorhandenen empirischen Modelle mehrheitlich für homogene Dämme

gelten, ist es wichtig zu untersuchen, inwieweit sich der maximale Breschenaus-

fluss bei einem Damm mit Dichtungselement gegenüber einem homogenen

Damm verändert. Dafür wurde in Tabelle 3 der maximale Breschenausfluss als

Referenzwert genommen und die prozentuale Veränderung für die Dämme mit

Dichtungen bestimmt.

Für die Dämme mit einer Außendichtung ergibt sich immer ein höherer maxi-

maler Breschenausfluss gegenüber den homogenen Dämmen. Darüber hinaus ist

die prozentuale Zunahme umso größer, je steiler die Böschungsneigung ist.

Für die Modelldämme mit Innendichtung ist das Ergebnis nicht eindeutig. Für

die beiden Böschungsneigung 1:2,5 und 1:3,25 ergibt sich ein deutlich höherer

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maximaler Breschenausfluss, für die Böschungsneigung von 1:4 jedoch nicht.

Auch ergibt sich die höchste prozentuale Zunahme nicht für die steilste Bö-

schungsneigung. Hier ist der tatsächliche Bruchmechanismus der Mauer ent-

scheidend. Bleibt sie aufgrund der eigenen Stabilität stehen und bricht „im Gan-

zen“ oder versagt sie schrittweise.

Abbildung 4: Ausflussganglinien (Böschungsneigung 1:2,5).

Abbildung 5: Ausflussganglinien (Böschungsneigung 1:3,25).

Die inkonsistenten Ergebnisse bei den Modelldämmen mit Innendichtungen

können auch auf Modelleffekte zurückzuführen sein. Es ist nicht sicher, ob die

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132 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen

errichteten Innendichtungen immer die gleichen Eigenschaften, wie z. B. die

Breite, aufwiesen. Auf jeden Fall bedarf es hier weitere Untersuchungen.

Abbildung 6: Ausflussganglinien (Böschungsneigung 1:4).

Die Analyse der Modellversuche umfasste des Weiteren die Endbreschengröße,

das erodierte Volumen sowie die zeitliche Entwicklung der Breschenbreite und -

tiefe. Die Daten werden demnächst veröffentlicht und stehen zur Verifizierung

empirischer und numerischer Modelle zur Verfügung.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Eine Analyse von historischen Talsperrenbrüchen zeigt einen dokumentierten

Einfluss einer Außendichtung auf die Breschenentwicklung. Durch die Ausbil-

dung eines Wehrüberfalles an der Kante der Außendichtung wird der Erosions-

prozess durch Kolkbildung unterhalb stark beschleunigt. Bei Dämmen mit In-

nendichtungen wird dagegen vermutet, dass sie den Bruchprozess verlangsamen,

weil sie bei ausreichender Standsicherheit dem Wasserdruck noch etwas länger

standhalten können. Dies spielt im Katastrophenmanagement eine wichtige Rol-

le.

Es wurden Modellversuche zum Bruchverhalten von Dämmen mit und ohne

Dichtung vorgestellt. Ausführlich wurde der maximale Breschenausfluss be-

trachtet.

Für die Dämme mit einer Außendichtung ergibt sich für alle 3 Versuchsreihen

ein höherer maximaler Breschenausfluss als bei den homogenen Dämmen mit

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gleicher Böschungsneigung. Darüber hinaus ist die prozentuale Zunahme des

maximalen Ausflusses umso größer, je steiler die Böschungsneigung ist.

Für die Modelldämme mit Innendichtung ist das Ergebnis nicht eindeutig. Für

die beiden Böschungsneigung 1:2,5 und 1:3,25 ergibt sich ein deutlich höherer

maximaler Breschenausfluss, für die Böschungsneigung von 1:4 jedoch nicht.

Auch ergibt sich die höchste prozentuale Zunahme nicht für die steilste Bö-

schungsneigung. Weitere Untersuchungen sind hier notwendig.

6 Danksagung

Die Autorin möchte sich an dieser Stelle bei der Gesellschaft der Förderer des

Hubert-Engels-Institutes für Wasserbau und Technische Hydromechanik e.V.

für die finanzielle Unterstützung beim Bau des Versuchstandes bedanken. Den

Aufbau des Versuchsstandes übernahmen Herr Just und Herr Gräfe. Die Mess-

technik lag in den Händen von Herrn Martin. Bei allen möchte ich mich für ihre

Unterstützung bedanken.

An dem Versuchstand haben viele Studenten einen Teil ihrer universitären Aus-

bildung abschließen können. Ich möchte mich bei Christina Ruggeri, Gözde

Aklan, Sabin Pahari, Anne Häschel, Lydia Hermann und Tommy Breuer für ihre

Arbeit bedanken.

7 Literatur

Bornschein, A. (2014): Breschenentwicklung bei Dämmen mit Dichtungen. In:

Wasserbauliche Mitteilungen, Institut für Wasserbau und Technische

Hydromechanik, TU Dresden, Heft 50, S. 303-312

Wahl, T. L. (1998): Prediction of Embankment Dam Breach Parameneters – A Literature

Review and Needs Assessment. U.S. Department of the Interior, Bureau of

Reclamation, Dam Safety Office, DSO-98-004, Juli 1998

FERC (2006): Report of Findings on the Overtopping and Embankment Breach of the

Upper Dam – Taum Sauk Pumped Storage Project, FERC No. 2277, 28.4.2006

Glatthaar, D., Kuttler, W. (1979): Dammbruchbedingte Hochwasserschäden auf Talauen.

Natur und Museum, Bd. 109, Heft 5, Frankfurt a.M., S. 156-164

HR-Online (2012): Als der Seepark-Staudamm brach. Hessenschau vom 8.2.2012,

http://www.hr-online.de/website/archiv/hessenschau/hessenschau.jsp?t=20120208&

type=v, Zugriff am 4.4.2012

IPE (2010): Report on Breach of Dehli Dam. Independent Panel of Engineers, 1.12.2010

Page 142: bemessung im wasserbau

134 Konsequenzen beim Versagen von Stauanlagen - Risikobetrachtung bei inhomogenen Dämmen

MLU (1977): Antwort des Ministers für Landwirtschaft und Umwelt auf die kleine

Anfrage des Abg. Stanitzek (CDU) betreffend Staudammbruch in Kirchheim,

Landtag Hessen, Drucksache 8/5380 vom 12.12.1977,

http://starweb.hessen.de/cache/DRS/08/0/05380.pdf, Zugriff am 5.1.2016

Rogers, J. D., Watkins, C. M., Chung, J.-W. (2010): The 2005 Upper Taum Sauk Dam

Failure – A Case History. Environmental & Engineering Geoscience, Vol. XVI, Nr.

3, August 2010, S. 257-289

Vischer, D. (1994): Bruch einer chinesischen Talsperre. Wasser, Energie, Luft, 86. Jg.

Heft 3/4, S. 114

Autor:

Dr.-Ing. Antje Bornschein

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

Technische Universität Dresden

01062 Dresden

Tel.: +49 351 46334696

Fax: +49 351 46337141

E-Mail: [email protected]

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Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

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Schwingungen unterströmter Schütze

Christian Kohout

Jörg Kranawettreiser

Konrad Thürmer

Unterströmte Schütze können bei großem Schützenhub in Schwingungen geraten,

wenn die resultierende Druckkraft aus Ober- und Unterwasserstand im unteren

Rollen- oder Kipplager oder tiefer angreift. In diesem Fall wird das obere Lager

entlastet und das Schütz kann Drehschwingungen um das untere Lager ausführen.

Voraussetzung ist eine Abstimmung der Eigenfrequenz des Schützes (einschließ-

lich der mitschwingenden Wassermasse) mit der Erreger- und der Eigenfrequenz

der Strömung sowie eine Rückkopplung (über die Umlauffrequenz der Walze im

Unterwasser des Schützes). Die strömungsbedingten Frequenzen können mittels

der Theorie von Bünger ermittelt werden.

Stichworte: Schwingung, Schütz, Eigenfrequenz der Strömung, Erregerfre-

quenz der Strömung

1 Frequenzen

1.1 Eigenfrequenz des Schützes

Die Eigenfrequenz des Schützes bei Drehung um das untere Lager ergibt sich

aus dem Trägheitsmoment des Schützes unter Berücksichtigung der mitschwin-

genden Wassermasse. Aus den Untersuchungen zum Wehr Gnevsdorf ist be-

kannt, dass diese mitschwingende Wassermasse als Walze mit der Eintauchtiefe

des Schützes ins Unterwasser als Durchmesser berechnet werden kann. Tatsäch-

lich wird der Querschnitt dieser Walze nicht kreisförmig sein, sondern eher zu

einem Dreieck verformt, für die Berechnung ist aber die Annahme der Kreis-

form ausreichend. Die Berücksichtigung der mitschwingenden Wassermasse

führt dazu, dass die Eigenfrequenz des Schützes f0 von der Eintauchtiefe ins Un-

terwasser abhängt.

1.2 Frequenzen der Strömung

Am Wehr Gnevsdorf konnte nachgewiesen werden, daß die von der Bünger-

schen Theorie vorausgesagten Frequenzen

Page 144: bemessung im wasserbau

136 Schwingungen unterströmter Schütze

Erregerfrequenz der Strömung fE = g/(2*v)

Eigenfrequenz der Strömung fS = v/(2*R)

(jeweils gebildet mit der Geschwindigkeit v im freigegebenen Öffnungsquer-

schnitt und dem hydraulischen Radius im engsten Querschnitt µ*a) miteinander

in einem resonanznahen Zustand sein müssen (+/- 30 %), damit Schwingungen

auftreten können. Weiterhin muß dieser Resonanzzustand mit der Eigenfrequenz

des Schützes oder einem ganzzahligen Vielfachen davon abgestimmt sein.

1.3 Frequenzen der Walzen

Stromab des Schützes verengt sich der Ausflussstrahl von der freigegebenen

Öffnungshöhe a (Schützenhub) auf µ*a. Verbunden ist damit, dass sich am

Schütz eine Walze mit der Höhe hUW - µ*a und der Länge 6*(hUW - µ*a) ausbil-

det, wenn sowohl der Schützenhub a als auch die Unterwassertiefe hUW auf den

Fachbaum bezogen werden. Diese Walze wird – genauso wie die Walze der mit-

schwingenden Wassermasse – von der Strömungsgeschwindigkeit v im engsten

Querschnitt angetrieben. Die Frequenzen, welche mit der Bewegung dieser

Walzen verbunden sind, sind die Umlauffrequenzen. Sie ergeben sich aus dem

Walzenumfang, dividiert durch die Antriebsgeschwindigkeit (= Strahlgeschwin-

digkeit UWOW hhgv **2 ).

Für die mitwirkende Walze ergibt sich der Umfang zu p*(hUW-a), demnach die

Umlauffrequenz zu fU,mW = v/(p*(hUW-a)).

Die strahlbedingte Walze kann als Ellipse aufgefaßt werden mit der kleinen

Halbachse A = 0,5*(hUW-a) und der großen Halbachse B = 3*(hUW-a) sowie dem

Umfang U = p*[1,5*(A+B) – Wurzel(A*B)] = p * 4,025 * (hUW-a) und damit

fU = v/(p*4,025 *(hUW-a)) = fU,mW/4,025.

In der Schnittzeichnung (Abbildung 2) sind die Walzen als Kreis und Ellipse

eingezeichnet, welche sich durchdringen. Tatsächlich wird sich jedoch die

mitwirkende Walze eng an das Schütz anschmiegen (und dabei vom Kreis zu

einem Dreieck verformen), so daß sich beide (mit gleicher Umfangs-

geschwindigkeit v angetriebenen!) Walzen berühren.

Die Berechnungen werden am Beispiel des Einlaßwehres Neuwerben an der

Havelmündung vorgestellt. An diesem Wehr traten zeitlich sehr eng begrenzt

Schwingungen bei Schützenhüben von ca. 4,5 m auf, welche bei Verringerung

des Schützenhubes (bei gleichbleibenden Ober- und Unterwasserständen)

aufhörten.

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Abbildung 1: Schnitt durch das Schütz

Abbildung 2: Schematische Anordnung der Walzen

Page 146: bemessung im wasserbau

138 Schwingungen unterströmter Schütze

2 Rückkopplung

Die oben angegebenen Erreger- und Strömungsfrequenzen treten im engsten

Querschnitt des Strahls hinter dem Schütz auf. Damit sie auf das Schütz einwir-

ken können, ist eine Rückkopplung erforderlich. Diese erfolgt zum einen durch

eine „mitwirkende Walze“, welche direkt am Schütz, unterwasserseitig, mit dem

Durchmesser gleich der Eintauchtiefe des Schützes ins Unterwasser, die Verbin-

dung vom Strahl zum Schütz herstellt und gleichzeitig mit ihrer Masse die

schwingende Masse des Schützes vergrößert. Die Existenz und Größe dieser

Walze wurde bei den Modelluntersuchungen am Wehr Gnevsdorf ermittelt. In

Abbildung 2 ist diese Walze blau gezeichnet.

Wird die Ausbildung dieser Walze gestört, z.B. durch Anbringen von Platten am

Untergurt des Schützes, so kann unter Umständen die Rückkopplung unterbun-

den werden.

Eine zweite Rückkopplung stellt sich ein, weil der Strahl unter dem Schütz

Wasser aus dem Unterwasser aufnimmt, welches dann wieder abgegeben wer-

den muss. Damit stellt sich eine Walze ein, deren vertikale Abmessung gleich

der Entfernung vom Unterwasserspiegel bis zur Strahlgrenze ist, während die

horizontale Abmessung gleich dem Sechsfachen dieses Wertes ist. Diese Walze

ist rot eingetragen.

3 Schwingungsgefährdung des Schützes

Mit den vorstehenden Erläuterungen ist es nun möglich, für einen beliebigen

Zustand des Wehres Neuwerben, charakterisiert durch Oberwasserstand der El-

be am Pegel Neuwerben Elbepegel, Unterwasserstand der Havel am Pegel

Quitzöbel Binnenpegel sowie Schützenhub, alle maßgebenden Frequenzen

• Erregerfrequenz fE,

• Strömungsfrequenz fS,

• Walzen-Umlauffrequenzen fU und fU,mW,

• Eigenfrequenz des Schützes f0

zu berechnen und daraus abzuleiten, ob die Gefahr der Drehschwingung um das

untere Kipplager besteht oder nicht. In den folgenden grafischen Darstellungen

sind jeweils die Fenster der Abstimmung von Erregerfrequenz, Strömungsfre-

quenz und Umlauffrequenz der mitwirkenden Walze einerseits und Eigenfre-

quenz des Schützes und Walzen-Umlauffrequenz andererseits rot umrahmt. Zu

bemerken ist, dass die ganzzahligen Vielfachen der Eigenfrequenz durch das

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obere Fenster verlaufen und damit auch eine Abstimmung der oberen drei Fre-

quenzen mit der Eigenfrequenz vorhanden ist.

Es ist jeweils an Hand des Schützenhubes erkennbar, ob ein Schwingungszu-

stand vorliegt oder nicht.

Abbildung 3: keine Schwingungen

In Abbildung 3 ist der Schützenhub von 2,5 m soweit von den Fenstern der

möglichen Abstimmung entfernt, dass keine Schwingung möglich ist. Die

vierfache Eigenfrequenz des Schützes liegt zwar sehr nahe bei der Erreger-

frequenz der Strömung, aber es fehlt die Rückkopplung über die Walzen. Deren

Frequenzen liegen zu weit entfernt.

Mit fortschreitender Füllung der Havel nimmt der Oberwasserstand ab und der

Unterwasserstand zu. Damit verändern sich auch die Abstimmungsfenster. Bei

einem Schützenhub von 3,8 m beginnen die Schwingungen (Abbildung 4), wenn

der Balken des Schützenhubes das Abstimmungsfenster berührt.

Bei weiterer Erhöhung des Schützenhubes auf 4,5 m (Abbildung 5) liegt der

Balken des Schützenhubes ganz im Abstimmungsfenster und es treten

ausgeprägte Schwingungen auf.

Page 148: bemessung im wasserbau

140 Schwingungen unterströmter Schütze

Abbildung 4: Schwingungen beginnen

Abbildung 5: ausgeprägte Schwingungen

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Abbildung 6: Schwingungen bei 4 m Schützenhub und Erlöschen der

Schwingungen bei Verringerung des Schützenhubes auf 2,9 m

Bei einer Verringerung des Schützenhubes ist wieder keine Abstimmung mehr

möglich, weil die Rückkopplung fehlt. Außerdem ist dann die notwendige

Voraussetzung, dass die resultierende Druckkraft im Kipplager oder unterhalb

angreift, nicht mehr gegeben.

4 Zusammenfassung

Unter Nutzung der Erkenntnisse über die mitschwingende Wassermasse bei

eingetauchten Schützen und der Erreger- und Eigenfrequenzen nach Bünger

kann für ein beliebiges Schütz ermittelt werden, ob eine Schwingungs-

gefährdung vorliegt oder nicht, wenn die notwendige Bedingung der Entlastung

des oberen Dreh- oder Kipplagers gegeben ist. An Hand der Beobachtung der

Schwingungen am Wehr Neuwerben konnte nachgewiesen werden, dass ein

solches Vorgehen erfolgreich ist.

Page 150: bemessung im wasserbau

142 Schwingungen unterströmter Schütze

5 Literatur

Kranawettreiser, J.; Schneider, O. (1986): Untersuchungen zum Sommerstauwehr Gnevs-

dorf. Hydrolabor Schleusingen 1986, (unveröffentlicht)

Kranawettreiser, J. (1986): Schwingungsuntersuchungen am Wehr Gnevsdorf. Hydro-

labor Schleusingen 1986 (unveröffentlicht)

Kohout, C.; Sauerwein, J.; Wilhelm, C.; Kranawettreiser, J. (2011): Modelluntersuchun-

gen am Wehr Neuwerben. Hydrolabor Schleusingen 2011 (unveröffentlicht)

Autoren:

Dipl.-Ing. Christian Kohout

Institut für Wasserwirtschaft, Siedlungs-

wasserbau und Ökologie (IWSÖ) GmbH

Coudraystraße 4

99423 Weimar

Tel.: +49 3643 4581851

Fax: +49 3643 4581852

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr.-Ing. habil. Jörg Kranawettreiser

Institut für Wasserwirtschaft, Siedlungs-

wasserbau und Ökologie (IWSÖ) GmbH

Hydrolabor Schleusingen

Themarer Straße 16c

98553 Schleusingen

Tel.: +49 36841 530911

Fax: +49 36841 530915

E-Mail: joerg.kranawettreiser@uni-

weimar.de

Dr.-Ing. Konrad Thürmer

Brandenburgische Technische Universität

Cottbus-Senftenberg

Lehrstuhl Wassertechnik

Siemens-Halske-Ring 8

03046 Cottbus

Tel.: +49 355 69 4303

Fax: +49 355 69 3025

E-Mail: [email protected]

Page 151: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Ringkolbenventile mit Innenbelüftung -

eine neue Generation

Hans-Peter Günther

Heribert Herold

Peter Weiß

Der ausströmende Strahl aus Ringkolbenventilen tritt an der äußeren Oberfläche kegel-

förmig, spitz zusammen laufend aus. Bei niedrigen Öffnungsgraden ergibt sich diese

Kontur auch im Inneren des Strahls. Da der statische Druck unmittelbar im Austrittbe-

reich Null ist, nimmt das Wasser den energieärmsten Zustand an. Es zerfällt in Tröpf-

chen, zwischen denen ein Vakuum entsteht, welches sich mit Luft auffüllt.

Dieser Vorgang tritt auch im Inneren des Austrittsstrahles auf. Dort steht aber nur ein

begrenztes Luftvolumen zur Verfügung. Nach Absaugen dieser Luftmenge entsteht im

Hohlraum ein Unterdruck, der zwangsläufig zu einer Erhöhung der vorhandenen

Druckhöhe H führt. Somit erhöht sich der Ausfluss. Ab einer bestimmten Größe des

Unterdrucks wird in das Innere des Ringkolbenventiles ein Wasser-Luft-Gemisch aus

dem Austrittstrahl zurück gesaugt. Danach verringern sich H und der Ausfluss Q wie-

der. Der Wechsel geschieht mit einer Frequenz von 275 Hz.

In Folge jeglicher Veränderung von Q ergeben sich Druckstöße. Die Druckstöße sind

Ursache für Schwingungen im Rohrleitungssystem. Durch die kontinuierliche Luftzu-

fuhr in das Innere des Ringkolbenventils entfällt der ständige Wechsel von Sog und

Auffüllen des Innenraums, so dass keine Druckstöße und damit Schwingungen mehr

auftreten.

1 Ringkolbenventile

Zur Regelung von Drücken und Durchflüssen wird der Querschnitt in der Arma-

tur erweitert oder verringert. Während bei Schiebern oder Klappen asymmetri-

sche Querschnitte entstehen, ist beim Ringkolbenventil in jeder Stellung stets

ein symmetrischer ringförmiger Querschnitt vorhanden, der damit eine nahezu

lineare Regelkurve ermöglicht.

Vom Eintrittsflansch bis zum Drosselquerschnitt wird der Querschnitt im Ring-

kolbenventil stetig verringert und die Strömung in einer geometrisch optimierten

Form am tropfenförmigen Innenkörper entlang geführt. Zur flexiblen Verände-

Page 152: bemessung im wasserbau

144 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation

rung des Austrittsquerschnitts wird ein Zylinderkolben axial im Innenkörper

verschoben.

Seine lineare Bewegung entsteht aus der Umsetzung der Drehbewegung an der

Antriebswelle durch den innenliegenden Schubkurbelmechanismus und gewähr-

leistet in jeder Position einen definierten ringförmigen Querschnitt.

Abbildung 1: Ringkolbenventil in 3D-Schnittdarstellung (VAG)

2 Schwingungen durch Ringkolbenventil

2.1 Darstellung des Erscheinungsbildes

An Stelle des bisherigen Ringkolbenventils (RKV) DN 600 wurde an einer gro-

ßen Talsperre in Thüringen in den Entnahmeturm ein RKV DN 800 eingebaut,

siehe Günther, WWT 1-2-11. Ein Ringkolbenventil mit der Nennweite DN 800

wurde gewählt, da die nunmehr hergestellten RKV am Ende einen Gehäusewin-

kel von ca. 45° aufweisen. Gegenüber der ursprünglichen RKV-Konstruktion

mit 30° Gehäusewinkel ist dadurch der hydraulisch wirksame Querschnitt klei-

ner und demzufolge auch das Abflussvermögen. Dieser Unterschied stellt sich in

dem niedrigeren Ausflussbeiwert µE max = 0,58 gegenüber µE max = 0,64 deut-

lich dar.

Nach kurzer Betriebszeit wurden bei einem Öffnungsverhältnis von ca. 20 % des

neuen Ringkolbenventils und damit bei einer Abgabe von 0,69 m³/s Schwingun-

gen am Ringkolbenventil, an der Entnahmeleitung und dem gesamten Entnah-

meturm festgestellt. Der Entnahmeturm aus Stahlbeton besitzt immerhin einen

Außendurchmesser von 14 m, eine Höhe von ca. 30m und eine Turmwanddicke

von 1 m. Derartige Schwingungen wurden bisher an keiner anderen Anlage fest-

gestellt und waren nicht erklärbar. Gemäß DIN 19 700 Teil 11 ist auf einen

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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schwingungs- und kavitationsfreien Betrieb von Verschlüssen besonders zu ach-

ten. Natürlich waren die Schwingungen des Entnahmeturms bezüglich der Riss-

freiheit des Betons und insbesondere der außen aufgebrachten Dichtung bedenk-

lich. Bekannt ist auch, dass die Festigkeit von Stahl bei dynamischer Belastung

gemäß der Wöhler-Linie mit steigender Schwingzahl stetig abnimmt.

Die Erhöhung der Masse des RKV DN 800 durch Befestigung mit dem Baukör-

per sollte eine Veränderung der Eigenfrequenz erwirken, um somit Resonanz-

schwingungen zu vermeiden. Eine Veränderung der Schwingungen wurde je-

doch nicht erreicht.

Erneute Schwingungsmessungen zeigten, dass sich die Schwingungsfrequenz

gegenüber dem nicht befestigten RKV nicht verändert hatte und keine nennens-

werten Beschleunigungen im niederfrequenten Bereich bis 275 Hz auftraten. An

der Turmwand des Entnahmeturms selbst wurde eine Frequenz von 140,6 Hz

gemessen. Das Rätsel der Schwingungsanfachung war nicht gelöst.

2.2 Mathematische Analyse der Ursachen

Um die weiteren Schlussfolgerungen besser verstehen zu können, wird nachfol-

gend die zugeschnittene Bernoulli-Gleichung für die Berechnung des Ausfluss-

vorganges aus einer Rohrleitung mit einem Regelverschluss am Ende angege-

ben.

2)(

1

2

E

DN

mD

L

HgAQ

(1)

mit

ADN m² Fläche der Nennweite des Regelverschlusses

AE m² engste Fläche am Sitz der Dichtung

D m Rohrdurchmesser

H m Stauhöhe, Differenz zwischen OW-Spiegel und Rohrachse Regel-

verschluss

L m Rohrlänge

Q m³/s Ausfluss

g m/s² Erdbeschleunigung

m - Flächenverhältnis AE/ADN

- Rohrreibungsverlust

- Einzelverlustbeiwert

E - Austrittsbeiwert bezogen auf AE

Page 154: bemessung im wasserbau

146 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation

Nach der Einstellung eines bestimmten Öffnungsgrades eines Ringkolbenventils

sind auf der rechten Seite der Gleichung außer H alle anderen Größen konstant.

Diese mathematische Überlegung führte dazu, dass sich H nur durch Strö-

mungseinflüsse ändern kann, da die Stauhöhe konstant bleibt.

Bei sehr kleinen Öffnungsgraden (< 5%) tritt der Austrittsstrahl noch kreisför-

mig als Hohlstrahl aus, so dass Luft in das innere Unterdruckgebiet gelangen

kann. Mit steigendem Öffnungsgrad mit höheren Ausflüssen schließt sich der

Hohlstrahl. Der ausströmende Strahl aus Ringkolbenventilen tritt an der äußeren

Oberfläche kegelförmig, spitz zusammen laufend aus.

Abbildung 2: Konischer Austrittsstrahl

Bei niedrigen Öffnungsgraden besteht diese Kontur auch im Inneren des Strahls.

Da der statische Druck unmittelbar im Austrittsbereich Null ist, nimmt das Was-

ser den energieärmsten Zustand an. Es zerfällt in Tröpfchen, zwischen denen ein

Vakuum entsteht, welches sich mit Luft auffüllt.

Dieser Vorgang tritt auch im Inneren des Austrittsstrahles auf. Dort steht aber

nur ein begrenztes Luftvolumen zur Verfügung. Nach Absaugen dieser Luft-

menge entsteht im Hohlraum ein Unterdruck, der zwangsläufig zu einer Erhö-

hung der vorhandenen Druckhöhe H führt. Somit erhöht sich der Ausfluss. Ab

einer bestimmten Größe des Unterdrucks wird in das Innere des Ringkolbenven-

tiles ein Wasser-Luft-Gemisch aus dem Austrittstrahl zurück gesaugt. Danach

verringern sich H und der Ausfluss Q wieder. Der Wechsel geschieht mit einer

Frequenz von 275 Hz.

Der Unterdruck führt zwangsläufig zu einer Erhöhung von H. Er muss zur geo-

dätischen Stauhöhe addiert werden. Folglich muss sich auch nach der o. a.

Bernoulli-Gleichung (1) der Ausfluss Q erhöhen. Vermindert sich der Unter-

druck wieder, verringert sich der Ausfluss Q ebenfalls. Danach wird der Unter-

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druck wieder ansteigen usw. In Folge der Veränderung des Ausflusses Q erge-

ben sich Druckstöße. Da sich Wasser nicht komprimieren oder auseinander zie-

hen lässt, muss sich die Rohrwandung der Entnahmeleitung bei höherem Durch-

fluss dehnen, um einen größeren Querschnitt zu erreichen. Bei niedrigerem

Durchfluss zieht sie sich wieder zusammen. Die Druckstöße durchlaufen das

gesamte Rohrleitungssystem, werden reflektiert und überlagert. Das ist die Ur-

sache für die Schwingungen – eigentlich ein einfacher Sachverhalt.

Da das Rohrsystem und auch das Ringkolbenventil im Bauwerk aufgelagert

sind, übertragen sich die Schwingungen aus diesem System natürlich auch auf

das Bauwerk.

Bereits in der Dissertation von Herzer (1975) wurde eine Rückströmung in der

Mitte des Austrittsstrahls dokumentiert, jedoch nicht weiter verfolgt. Auch die

Fa. Erhard hat zu den Strömungsverhältnissen ein interessantes Bild veröffent-

licht.

Abbildung 3: Strömungsverhältnisse im RKV nach Fa. Erhard

3 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung

3.1 Konstruktive Lösung

Um den ständigen Wechsel von Sog und Auffüllen des Innenraums zu vermei-

den, ist eine kontinuierliche Luftzufuhr in das Innere des Ringkolbenventils er-

forderlich. Dadurch kann sich der zwischen den Tröpfchen des Austrittstrahls

bildende Hohlraum ständig mit Luft aufgefüllt werden. Es entfällt der ständige

Wechsel von H und Q, so dass keine Schwingungen mehr auftreten.

Bei dem Versuch an der Talsperre Eibenstock hat sich gezeigt, dass ein Be- und

Entlüftungsventil auf der Luftzufuhr erforderlich ist, da bei größeren Öffnungs-

graden Wasser aus dem Inneren des RKV austritt. Infolge der Veränderung der

Page 156: bemessung im wasserbau

148 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation

inneren Kontur und der beengten Verhältnisse für den Austrittsstrahls sammelt

sich Wasser im inneren Gehäuse, allerdings mit ganz geringem Druck. Diese

Erfahrung ist auch wichtig für die Konstruktion der Ringkolbenventile, insbe-

sondere im Hinblick auf die Werkstoffauswahl und die Abdichtung der Welle

Abbildung 4: Ringkolbenventil mit Luftzufuhr ins Innere

.

3.2 Versuch mit Prototyp

Im Februar 2013 wurde an der TS Eibenstock ein Versuch mit einem Ringkol-

benventil DN 400 durchgeführt. Die Ausmündung erfolgt durch eine plötzliche

Erweiterung auf 2 x DN. Das RKV DN 400 besitzt eine Innenbelüftung mit auf-

gebautem Lüftungsventil.

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Abbildung 5: RKV DN 400 mit Innenbelüftung und Lüftungsventil DN 50

Der Versuch hat ergeben, dass die Innenbelüftung im Bereich zwischen 5% und

25 % Öffnungsgrad wirksam ist. Die Strahleigenschaften ohne und mit Innenbe-

lüftung waren im genannten Öffnungsgradbereich unterschiedlich. Ohne Innen-

belüftung ist der Austrittsstrahl diffuser, mit Innenbelüftung mit mehr Luft

durchsetzt.

Abbildung 6: Diagramm mit den Durchflussmesswerten für Wasser und für Luft

Schwingungen wurden nicht festgestellt, was auch darin liegt, dass die Grundab-

lassrohre einbetoniert sind.

Bei frei verlegten und auch erdverlegten Rohrleitungen werden Druckstöße

wirksamer ausgebildet, weil sich die Rohre verformen können. Deshalb sollten

Ringkolbenventile mit Innenbelüftung dafür angewendet werden.

Für die Belüftung der äußeren Strahloberfläche werden Belüftungsrohre mit ei-

nem Durchmesser von 30% der Nennweite des RKV eingesetzt. Diese Festle-

gung resultiert aus Forschungsergebnissen der TU Dresden und hat sich be-

währt. Für die Belüftung der inneren Strahloberfläche gibt es keine Forschungs-

ergebnisse und noch keine Festlegung. Aus der Überlegung, dass die Oberfläche

des inneren Strahles im Belüftungsbereich kleiner ist, als die des äußeren

Strahls, kann man abschätzen, dass 10% der Nennweite des RKV für die Nenn-

weite der Innenbelüftung ausreichend sind.

Page 158: bemessung im wasserbau

150 Ringkolbenventile mit Innenbelüftung - eine neue Generation

Abbildung 7: Austrittsstrahl bei 20 % Öffnung ohne Belüftung

Abbildung 8: Austrittsstrahl bei 20 % Öffnung mit Belüftung

Page 159: bemessung im wasserbau

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Literatur

Günther, H.-P. (2011): WWT 1-2-11, Talsperre Zeulenroda, Entnahmeleitung saniert

Herzer, Volkmar (1975): Dissertation: Wirkungsweise und Funktionssicherheit der

Ausmündungskonstruktionen von Grundablassanlagen

Fa. Erhard: Optimierte Technik – Konstruktion bei TALIS

VAG (2013): Versuche an Ringkolbenventilen in der Talsperre Eibenstock

Autoren:

Dipl.-Ing. Hans-Peter Günther

EDR GmbH München

Dillwächterstraße 5

80686 München

Tel.: +49 351 3104331

Fax: +49 89 547112-50

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Heribert Herold

VAG

Carl-Reuther-Str.1

68305 Mannheim

Tel.: +49 621 749-1925

Fax: +49 621 749 29-1925

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Peter Weiß

Wilhelmstr. 17

09117 Chemnitz

Tel.: +49 371 8448131

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Page 160: bemessung im wasserbau

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Page 161: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Klimaanpassung:

Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und

Hochwasser

Hartmut Wibbeler

Die zunehmenden starken Regenfälle, auch in Gebieten fernab der Überflutung,

können Sturzfluten freisetzen und plötzlich heftige Überschwemmungen und

Hochwasser im urbanen Raum auslösen. Die Sommerhitze und starker Regen

wechseln schnell und der genaue Ort und Zeitpunkt eines Starkregenereignisses

kann meist nicht genau vorhergesagt werden.

Blickdichte Betonwände an Gewässern sind im Zuge des Klimawandels mit der

Sommerhitze ungeeignet, in vielen Fällen von den Bürgern unerwünscht, mindern

die Lebensqualität und sorgen für Konflikte zwischen Hochwasserschutz und dem

Städtebau. Etablierte Handlungsschemata für diese neue Art von Hochwasser- und

Starkregen-Ereignissen gibt es noch nicht und eine Vorsorge wird für die Bürgern

und Verantwortlichen der Stadt immer wichtiger und eine Gemeinschaftsaufgabe

sein.

Der Klimawandel ist im vollen Gange und die unvermeidliche Klimaanpassung

mit neuen Schritten zum Schutz vor heftigen Überschwemmungen sind: Erster

Schritt mit den Bürgern eine moderne, breite Kommunikation einer Wettervorher-

sage und präzise gemessenen Wetterdaten wie einer Unwetterwarnung aufzustel-

len. Zweiter Schritt einen schnellen, autarken und von jedermann aufzubauenden

Flutschutz mit Hinweisplänen „Flutschutzplänen“ incl. Aufbauwerkzeug für die

rasche Orientierung und schadensmindernden Einsatz einzurichten. Dritter Schritt:

eine einfache Übung zu etablieren.

Stichworte: Klimaanpassung, Warnung, Sturzfluten, Starkregenereignisse,

Hochwasserschutz, Hochwasser, urbaner Raum, Fließgewässer, Un-

wetter

Page 162: bemessung im wasserbau

154 Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser

1 Problemstellung:

Der Klimawandel ist im vollen Gange und es gibt immer öfter Unwetter: Im Ju-

ni sintflutartige Regenfälle und schwülen Sommerhitze in ganz Deutschland. Im

Sommer 2014 heftige Gewitterstürme in Münster und NRW. Es gab Tote und

Verletzte und Schäden in Milliardenhöhe. Wir werden Infolge des Klimawan-

dels eine deutliche Zunahme von extremen Hitzetagen, extremen Stürmen sowie

extremen Hochwasser- und Starkregenereignissen bekommen

Sintflutartiger Regen lässt kleine unscheinbare Gewässer schnell anschwellen

reißt vieles mit sich, versperren die Durchlässe und setzt Alles unter Wasser.

Gewitterstürme werfen Bäume um und versperren die Straßen. Die Infrastruktur

wird stark getroffen. Hilferufe im Sekundentakt, Polizei und Feuerwehr kom-

men den 100en Notrufen nicht mehr nach und stoßen an Ihre Grenzen.

Die Stadt und Ihre Bevölkerung sind aber nicht vollkommen hilflos. Das Ziel

sollte sein: eine topografische Gefährdungsanalyse zu erstellen und mit den Er-

kenntnissen eine Flutwarnung auf den lokalen Bereich abzustimmen, die gefähr-

deten Bereiche so umzugestalten, dass bei einer kritischen Wetterlage bzw. Un-

wettervorhersage oder einem Starkregenalarm durch schnelles Handeln der Bür-

ger und der Einsatzkräfte die kritische Infrastruktur geschützt, das Wasser ein-

gedämmt, kontrolliert oder weiterleitet wird. So werden die Städte und Kommu-

nen widerstandsfähiger gegen Extremwetterereignisse.

In Zeiten des Klimawandels ist Wasser in der Stadt für die Menschen wichtig:

Wasserlandschaften schaffen Grünkorridore, verbessern die Luftqualität, spei-

chern vor Ort das Wasser, reduzieren die extreme Sommerhitze und erhöhen die

Lebensqualität der Menschen. Gewässer zu Ablaufrinnen einzubetonieren ist

keine Lösung und mit dem zukünftigen Städtebau nicht vereinbar.

2. Die Bevölkerung im Kontext mit Sturzfluten und Schutzmaß-

nahmen:

Ein Flutereignis betrifft schnell großflächig Ortschaften oder ganze Stadtteile

und wird zur Katastrophe, wenn die Bürger nicht vorbereitet sind. Ein guter und

wirksamer Hochwasserschutz zeichnet sich dadurch aus, dass er mit den einzel-

nen Schritten ein breites Publikum erreicht. Eine nachhaltige Verhaltensände-

rung bzw. eine neuen Umgang mit dem Hochwasser in der Bevölkerung erzielt

und die Maßnahmen der öffentlichen Hand und deren Grenzen anerkennt. Statt-

liche Hilfen ist oft begrenzt, kann nicht so schnell vor Ort sein und muss die kri-

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tische Infrastruktur wie Strom-, Wasser, Telekommunikation, Krankenhäuser

usw. managen.

Abhilfe schaffen kann ein Drei-Schritte-Konzept zum Schutz vor Sturzfluten

und Hochwasser im urbanen Raum:

Abbildumg 1: Drei Schritte zum Schutz vor Sturzfluten

1. Unwettervorhersagen mit gezielte Warnung auf eine modernen

Kommunikationsebene (Apps) bringen und visuelle Flutschutzpläne (wie

Brandschutzpläne) am, bzw. im Gebäude anbringen,

2. Einbau eines schnellen, autark von jedermann (trainierte Bürger)

aufzubauenden mobilen Hochwasserschutzes und

3. die einfache Übung und Wartung des ganzheitlichen Flutschutzes.

Durch Unwettervorhersagen der Wetterdienste, Warnungen durch Regen- und

Pegelmelder auf das Smartphone, oder auch ein Sirenenalarm und

Flutschutzpläne im Gebäude (wie ein Brandschutzplan) wird das

Hochwasserrisiko für die verschiedenen Zielgruppen anschaulich kommuniziert.

Das sachlich kommunizierte Risiko wird durch die App-Warnmeldungen und

den Flutschutzplan erkennbar und motiviert zu einem planvollen Handeln der

Bürger, Einsatzkräfte und der Entscheidungsträger. Die App-Flutwarnungen und

Flutschutzpläne erzeugen nicht nur eine einmalige Aufmerksamkeit, sondern

kommunizieren kontinuierlich den Flutschutz und halten die Erinnerung (eine

Hochwasser-Sensibilität) aufrecht, denn „Nach der Flut ist vor der Flut“.

Risiken haben viel mit Emotionen zu tun und entfernen die Kommunikation oft

von der sachlichen Ebene. Übung, Schulung und Wartung der Systeme schafft

dann bei den trainierten Bürgern Verantwortung und Akzeptanz der

Notwendigkeit zu eigenständigem Handeln. Die anschauliche Darstellung der

Flutwarnung und der einfache Aufbau eines Flutschutzsystemes - auch für

„Nicht-Fachleute“ - schafft Akzeptanz und Vertrauen. Denn nur ein informierter

Bürger kann im Ereignisfall planvoll handeln.

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156 Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser

3. Die Technik der drei Schritte

3.1 Erster Schritt: Gezielte Warnungen mit Regen- /Pegelwarnern und den

neuen Apps

Eine Unwetterwarnung im Fernsehen und Rundfunk wird gemeldet (1). Die Be-

völkerung ist sensibilisiert.

Ein autarker Regen-/und Pegelwarner (1a) misst im Gefahrenbereich in Echtzeit

die Wasserstands-, und Regenwerte und gibt eine Mikroflutvorhersage.

Die WarnWetter-App vom Deutschen Wetterdienst (DWD) und/oder die Warn-

App des Bundes „NINA“, enthalten wichtige Wetterwarnungen und versorgen

die Bürger wie die Einsatzkräfte mit wichtigen Hinweisen zur aktuellen Warn-

und Wettersituation wie Hochwasserinformationen.

Alle Daten werden über das Internet auf das Smartphone (1b), Tablett oder den

PC übertragen und können auf einen aktuellen Standort abgestimmt werden.

3.1b Ein visueller Flutschutzplan = Die erste Information / der erste Meter

Flutschutzpläne (wie Brandschutzpläne) (1c) erlauben den Bürgern des Gebietes

im Ernstfall die rasche Orientierung und damit den raschen schadensmindernden

Einsatz. Aus diesem Grund sollten Flutschutzpläne ausgehängt werden. Flut-

schutzpläne bieten eine wesentliche Unterstützung in der stressreichen Krisensi-

tuation direkt am Anfang. So werden beispielsweise aus einem Flutschutzplan

die ersten Arbeitsschritte, Informationen über Wetterdienste, Schutzwandsyste-

me, der Standort von Aufbauwerkzeug, Pumpen, Licht usw. bestimmt, oder

Hinweise über Elektrogefahren, Schieber, Stromanschlüsse usw. aufgeführt.

Der Flutschutzplan (1c) hängt z. B. an einem flachen Lagerschrank (1d), der

vorzugsweise gut zugänglich in einem Flur eines Gebäudes befestigt ist oder

auch ein Lagerschrank im Außenbereich am Einsatzort. Beim Einsatz wird auf

den Flutschutzplan geschaut und der Lagerschrank wird aufgeklappt (2a). Das

gesamte Aufbauwerkzeug (2a) steht zur Verfügung und der Organisationsablauf

wie der Aufbau eines vor Ort eingebauten Schutzsystems werden enorm be-

schleunigt.

3.2 Zweiter Schritt: Mobile Schutzsysteme

Gerade in einer stressigen Krisensituation, wie es eine Sturzflut ist, ist ein mobi-

ler Schutz gefragt, der möglichst ohne lose Teile (keine Schrauben und andere

Kleinteile) auskommt, um einen schnellen Aufbau nicht zu verzögern. Am bes-

ten sollte der mobile Schutz am Einsatzort gelagert sein, um den größten Zeit-

faktor „die Logistik“ zu verringern oder ganz zu vermeiden.

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Das System muss einfach und robust konstruiert sein, so dass starke Strömung

und Treibgut abgehalten werden. Bei Beschädigungen wie Löchern, fehlenden

bzw. defekten Schrauben oder auch Aufbaufehlern dürfen die Schutzsystem

nicht versagen. Diese Defekte sollten dann während des Hochwassers schnell

und einfach repariert werden können.

Als Weiteres ist eine Autarkie eines modernen Hochwasserschutzes anzustre-

ben, der von Jedermann (trainierte Bürger)aufzubauen ist, d. h. der Aufbau sollte

ohne viele Hilfsmittel und Transportwege auskommen und auch bei schlechtem

Wetter (nachts um 3:00 Uhr bei Regen) funktionieren.

Starkregenereignisse werden oft unterschätzt. Ein Gebiet kann innerhalb von

weniger als einer Stunde vollständig unter Wasser stehen und Zufahrtswege

können durch umgefallene Bäume versperrt oder überflute sein.

Aufwendige Lagerhaltung und umständliche Logistik sind gerade in zeitkriti-

schen Krisensituationen keine Lösung und würden das Problem nur verschärfen

weil wertvolle Zeit, die nicht mögliche Transportlogistik auf versperrten Straßen

und viele Personen mit dem Aufbau des mobilen Schutzes gebunden sind.

Die mobile Schutzwand (2b) ist eine Stahl-, Edelstahlnetz- Planen-Konstruktion.

Bei Nicht-Gebrauch ist sie in einem Betonkanal gelagert, welcher Teil eines

Bürgersteiges oder Ähnlichem ist. Bei einem Hochwassereinsatz ist die Schutz-

wand in extrem kurzer Zeit aufgebaut. Nach einem Einsatz wird sie wieder in

den Betonkanal verstaut.

Praxisbeispiel: Die Schutzwand in Roßwein (Sachsen) Schutzhöhe 1,6 Meter

Gesamtlänge 30 Meter

Abbildung 2: 2.1 eingebauter Zustand | 2.2 Aufbau des Schutzsystems |

2.3 die 11 m lange Schutzwand ist in 10 Minuten aufgebaut.

Praxisbeispiel: Eine Schutzwand in Kirchheim unter Teck Schutzhöhe 1,0 Meter

Länge 20 Meter

Page 166: bemessung im wasserbau

158 Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser

Abbildung 3: 3.1 eingebauter Zustand | 3.2 Aufbau (von Jedermann) | 3.3

die 20 m lange Schutzwand ist in 15 Minuten aufgebaut.

3.3 Dritter Schritt: Übung Schulung Wartung

Ohne Übung ist es nicht einfach, sich auf eine urbane Sturzflut vorzubereiteten.

Daher sind Starkregenübungen in einem festgesetzten Zeitintervall zwingend

notwendig. Dann wissen alle Bürger und alle Einsatzkräfte Was zu tun ist und

wie die Schutzwände aufgebaut werden. Die Starkregenübungen könnten als

Informationsveranstaltung, Beratungstag oder Ideenwettbewerb, z. B. „Tag des

Starkregens“, verbunden mit einer Wartung (3a), laufen. Dieses gibt den Be-

wohnern ein Bewusstsein von Sicherheit, Qualität und Verfügbarkeit.

Abbildung 4: die drei Schritte im Detail

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Die Übung bzw. Wartung (3a) des ganzheitlichen Hochwasserschutzes ist recht

einfach und schnell (mit einer eingebundenen Schulung) durchzuführen. Diese

beinhaltet: den Aufbau, das Reinigen (3b), die Überprüfung der Funktionsfähig-

keit und eine evtl. Reparatur möglicher Schäden.

Wenn dann von den Wetterdiensten ein Unwetter gemeldet wird oder die Mess-

stationen draußen an den Bächen einen Flutalarm auslösen, stehen auf den Flut-

schutzplänen die ersten Arbeitsschritte (die erste Information). Die Bürger und

Einsatzkräfte wissen, was sie machen müssen und wo sie hin müssen.

4. Maßnahmenbeispiele

In der Krisensituation sind die starken Regengüsse nur oberirdisch

einzudämmen und abzuleiten, da die fließenden Gewässer in der Stadt nicht so

viel Platz haben und die Kanalisation weder unter wirtschftlichen noch

technischen Aspekten auf Extremwettereirgeinisse ausgelegt werden kann. Und

bei einem Starkregenereignis völlig überfordert ist.

Die Anforderungen moderner Stadtgestaltung mit einem Starkregenschutz zu

vereinen ist nicht konfliktfrei:

Zum einen sollten die fließenden Gewässer in der Stadt den Bürgern frei

zugänglich sein. Der Mensch lebt mit dem Wasser, Wasser inspiriert, bietet eine

hohe Lebensqualität, schafft Grüngürtel, reduziert die Sommerhitze und sorgt

für eine gute Luftqualität.

Zum anderen sollte die Straßengestaltung barrierefrei sein und eine hohe

Aufenthalts- und Verkehrsqualität besitzen.

Abhilfe schaffen kann hier der mobile Flutschutz.

Mit einem schnellen und einfach aufzubauenden Flutschutz kann das Wasser

oberirdisch eingedämmt und abgeleitet werden. Die Gewässer werden nicht

zubetoniert und die Verkehrsgestaltung nicht behindert.

5 Das Szenario

Die Bürger werden durch eine Wetterwarnung aus dem Fernsehen und Rund-

funk sensibilisiert. Die Warn-Wetter-Apps der Wetterdienst und / oder die Flut-

melder schlagen an. Die Flutschutzpläne geben eine optimale Orientierung von

Anfang an und bei den Bürgern wie Einsatzkräften beginnt die Routine des Auf-

baus der Schutzwände. Das Gebiet ist gesichert.

Page 168: bemessung im wasserbau

160 Klimaanpassung: Neue Schritte zum Schutz vor Sturzfluten und Hochwasser

6 Fazit und Ausblick

Die drei Schritte: Warn-Wetter-Apps der Wetterdienste wie autarke Regen- und

Pegelwarner an den Gewässern, die visuellen Flutschutzpläne und die autarken

mobilen Schutzwände mit eine einfachen Übung können optimal auf die Be-

dürfnisse von Bürgern und Einsatzkräften der Stadt zugeschnitten werden.

Der ganzheitliche Flutschutz leistet einen konkreten Beitrag zum verbesserten

Schutz der Bevölkerung in von Starkregen gefährdeten Gebieten.

Die neuen Schritte sind nicht nur Information selbst, sondern bieten Schutz und

erzeugen ein Bewusstsein mit einem Hochwasserrisiko planvoll umzugehen.

Die Klimaanpassung beinhaltet eine neue Kultur im Umgang mit Hochwasser.

Wir müssen aus der Zukunft lernen und der unvermeidbare Klimawandel erfor-

dert eine Anpassung mit der Gesellschaft. Hochwasser und Starkregen gelten als

die Naturgefährdungen, bei denen das richtige Risikobewusstsein und die richti-

ge Vorsorge den größten schadenmindernden Effekt haben. Der Hochwasser-

schutz ist eine essentielle Zukunftsaufgabe und wird zum Stadtortfaktor für

Wirtschaft und Bürger.

Autor:

Hartmut Wibbeler

AQUABURG Hochwasserschutz GmbH

Linckensstraße 115

48165 Münster

Tel.: +49 2501 927 8000

Fax: +49 2501 927 8004

E-Mail: [email protected]

Internet: www.aquaburg.com

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echnische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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HRB Neuwürschnitz –

Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen

Lösungen für das Absperrbauwerk

Dr. Holger Haufe

Uwe Beetz

Dominik Fiedler

Matthias Höhne

Olaf Kornmann

Holger Rosenkranz

Martin Stärker

Im Rahmen der Umsetzung des Hochwasserschutzkonzeptes Nr. 27 realisiert die

Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen von 2014 bis 2017 das Ab-

sperrbauwerk des gesteuerten Hochwasserrückhaltebeckens (HRB) Neuwür-

schnitz südwestlich vom Chemnitz.

Das als ökologisch durchgängiges Trockenbecken mit einer Öko-Schlucht konzi-

pierte HRB besitzt als Absperrbauwerk einen Steinschüttdamm mit Asphaltinnen-

dichtung. Mit einer Dammhöhe über Gelände in der Talsohle von 12,5 m und ei-

ner Kronenlänge von ca. 535 m kann bei Vollstau ein Volumen von 923.000 m³

zurückgehalten werden. Zur Durchleitung des Beuthenbachs und zur Gewährleis-

tung der Wanderungsbewegungen der aquatischen und terrestrischen Fauna wurde

ein großzügig dimensioniertes, nach oben offenes Durchlassbauwerk (Auslauf-

bauwerk) errichtet. In die dort angeordnete Stauwand aus Stahlbeton sind zwei

ölhydraulisch angetriebene Betriebsauslässe und die Hochwasserentlastungsanla-

ge integriert. Um den besonderen Randbedingungen gerecht zu werden, welche

sich durch die Forderung der ökologischen Durchgängigkeit ergeben, wurde für

die Energieumwandlungsanlage die Sonderkonstruktion einer Tosmulde gewählt.

Nach dem Modellversuch an der TU Dresden 2010/11 und der Erteilung des Plan-

feststellungsbeschlusses in 07/2012, begann 02/2014 der Bau des Absperrbauwer-

kes, der im 1. Halbjahr 2017 vollendet werden soll.

Der Beitrag stellt Einzelschwerpunkte der wasserbaulichen Planung vor und gibt

einen Überblick über die entwickelten ingenieurtechnischen Lösungen hinsicht-

lich Hydraulik, Geotechnik, Tragwerksplanung, Stahlwasserbau, messtechnischer

Bauwerksüberwachung und Bautechnik. Anschließend werden wichtige Phasen

der Ausführung erläutert und die dabei gewonnenen Erkenntnisse präsentiert.

Stichworte: Hochwasserrückhaltebecken, ökologische Durchgängigkeit, Ab-

sperrbauwerk, Untergrundinjektion, Herdmauer, Asphaltinnendich-

tung, Dammschüttung, Stahlwasserbau, Betriebsauslässe, Tosmulde

Page 170: bemessung im wasserbau

162

HRB Neuwürschnitz –

Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk

1 Einleitung

Oberhalb der Ortslage Neuwürschnitz, einem Ortsteil der Stadt Oels-

nitz/Erzgebirge, errichtet der Betrieb Freiberger Mulde/Zschopau der Landestal-

sperrenverwaltung des Freistaates Sachsen (LTV) das gesteuerte Hochwasser-

rückhaltebecken (HRB) Neuwürschnitz. Das als ökologisch durchgängiges Tro-

ckenbecken ausgebildete HRB ist gem. DIN 19700-12 (2004) als mittleres Be-

cken klassifiziert. Der Beckenstandort befindet sich im oberen Einzugsgebiet

(AE ca. 12 km²) der Würschnitz am Beuthenbach. Der Gesamtstauraum beträgt

923.000 m³. Der Einstau beginnt ab einem Zufluss von 5 m³/s, der in etwa dem

HQ5 entspricht. Die Bemessungshochwasserzuflüsse an der Sperrstelle betragen

HQ100 = 14,1 m³/s (BHQ3), HQ500 = 20,8 m³/s (BHQ1), HQ5.000 = 32,2 m³/s

(BHQ2) und HQmax = 47,4 m³/s.

Im Auftrag der LTV hat die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Hydroprojekt Ingeni-

eurgesellschaft mbH (jetzt Lahmeyer Hydroprojekt GmbH) / ARCADIS

Deutschland GmbH (jetzt ARCADIS Germany GmbH) seit 2008 die Planungs-

unterlagen erstellt (ARGE HPI / ARCADIS 2011, ARGE HPI / ARCADIS 2013)

und die Bauausführung begleitet.

Abbildung 1: Absperrbauwerk Wasserseite mit Wildholzsperre, Bauzustand 09/2016

2 Absperrbauwerk

2.1 Allgemeines

Das Absperrbauwerk ist ein Steinschüttdamm (Kronenlänge ca. 535 m, Höhe

ca. 12,5 m über Gelände, Böschungsneigungen beidseitig 1:2 mit Bermen) mit

Asphaltinnendichtung (AID) und integriertem Auslaufbauwerk (Abbildung 1).

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Das Auslaufbauwerk vereint dabei Stauwand, Hochwasserentlastung sowie Be-

triebsauslässe. Zur Gewährleistung der Durchgängigkeit für die aquatische, am-

phibische, terrestrische und fliegende Tierwelt sowie für das Makrozoobenthos

wurde es großzügig als nach oben offenes Durchlassbauwerk (Ökoschlucht) ge-

plant (s. a. Haufe et al. 2007). Das durch das Bauwerk hindurch führende Gerin-

ne des Beuthenbaches wurde hinsichtlich der Durchwanderbarkeit für unter-

schiedliche Betriebszustände bemessen und umfangreich abgestimmt, um allen

Anforderungen gerecht zu werden. Als Energieumwandlungsanlage wurde zur

Gewährleistung der ökologischen Durchgängigkeit die Sonderkonstruktion einer

Tosmulde gewählt. Die hydraulische Funktionsfähigkeit des Bauwerkes wurde

im Modellversuch 2010/11 an der TU Dresden untersucht, optimiert und nach-

gewiesen (Stoebenau et al. 2012).

Mit der gewählten Lösung wurde ein Kompromiss zwischen Hochwasserschutz

und den Zielen der EU-WRRL gefunden, so dass unter Berücksichtigung der

geplanten Kompensationsmaßnahmen der durch das Bauwerk zu verzeichnende

Eingriff in Natur und Landschaft ausgeglichen werden konnte. Weitere Details

können Haufe et al. (2013), Höhne et al. (2016) und der Internetseite der LTV

(www.hrb-neuwuerschnitz.de) entnommen werden. Nach Durchführung des

Ausschreibungsverfahrens 09/2013 begann 02/2014 der Bau des Absperrbau-

werks als vierte von insgesamt sechs Vergabeeinheiten.

2.2 Dammbauwerk

Herdmauer

Die Herdmauer aus unbewehrtem Beton (Breite 3,0 bis 5,5 m, Höhe 2,0 bis

3,5 m) als Verbindungselement zwischen der AID und dem Festgesteinsunter-

grund wurde im Pilgerschrittverfahren hergestellt und ist von ausschlaggebender

Bedeutung für die Wirksamkeit der gesamten Abdichtung des Absperrbauwer-

kes (Abbildung 2). Durch die Wahl der Geometrie und die Verwendung langsam

erhärtenden Betons mit geringem Zementgehalt und 63 mm Größtkorn konnte

Rissbildung verhindert werden. In der Mitte der Blockfugen wurde zur Anbin-

dung der Fugenbänder an die AID eine Tasche (Breite 0,25 m, Tiefe 0,15 m)

angeordnet. Der Übergang zwischen Herdmauer und AID wurde mittels As-

phaltmastix (Handeinbau) hergestellt.

Untergrundinjektion

Im Ergebnis der bei Planungsbeginn durchgeführten Baugrundhauptuntersu-

chung wurde festgestellt, dass die im Untergrund vorhandenen Baugrundschich-

ten nicht durchgängig erosionssicher sind. Deshalb wurde die Herstellung einer

Untergrundvergütung in Form eines zweireihigen Injektionsschleiers (Einpres-

Page 172: bemessung im wasserbau

164

HRB Neuwürschnitz –

Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk

sen von Zementsuspension, Abstand der Reihen 1,0 m, Abstand der Bohrungen

in der Reihe 2,0 m, versetzt in den Reihen, Herstellung im Pilgerschrittverfah-

ren) geplant. Der Ausführungsbereich sollte sich auf die zerklüfteten Bereiche in

der Talsohle (Länge 260 m) mit einer Endteufe von 10 m unter Gründungssohle

der Herdmauer beschränkten. Die Ausführung erfolgte im Anschluss an die Er-

richtung der Herdmauer, die gleichzeitig als Verpresswiderlager wirkte. Wegen

der geringen Abmessungen des Widerlagers musste der Einpressdruck begrenzt

werden, um ein Aufpressen zu vermeiden.

Während der Injektionsarbeiten, die auf Grundlage der vom Planer für die Qua-

litätssicherung erstellten Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTV)

„Untergrundinjektion“ erfolgten, wurden lokal ungünstigere Bodeneigenschaf-

ten angetroffen, als der Planung zu Grunde gelegt. Der vorgegebene WD-Wert

konnte bereits im Probefeld bereichsweise in den Kontrollbohrungen nicht er-

reicht werden. Deshalb wurde bei Bedarf lokal auf einer Tiefe von 6 m das In-

jektionsraster verdichtet und vorsorglich die seitliche Ausdehnung des Injekti-

onsbereichs auf insgesamt 392 m Länge erweitert.

Abbildung 2: Herstellung Herdmauer und AID einschl. Übergangszonen mit Fertiger

Asphaltinnendichtung

Die Anforderungen an das Dichtungselement (Wasserundurchlässigkeit, Ver-

formbarkeit, Filterstabilität, Erosionsbeständigkeit, Einbaufähigkeit; Parameter:

optimale, kontinuierlich abgestufte Korngrößenverteilung der Zuschlagsstoffe,

Hohlraumgehalt 3 Vol.%, Bindemittelgehalt ca. 6%, Einbautemperatur

160 ... 180°C) wurden in der ZTV „Asphaltinnendichtung“ fixiert. Mit Beginn

der Dammschüttung waren im Rahmen von Schütt- und Verdichtungsversuchen

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„Bemessung im Wasserbau“ 165

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sowie weiterer Laboruntersuchungen die o. g. Materialparameter zu bestätigen

bzw. zu präzisieren. Die beiderseitigen Übergangszonen (Breite jeweils 1,50 m,

Mineralgemisch (MG) 8/63) wurden mit der AID in einem Arbeitsgang mit ei-

nem Fertiger der 3. Generation hergestellt (Abbildung 2). Der Bau wurde durch

die Eigenüberwachung (EÜ) des AN Bau und eine Fremdüberwachung (FÜ)

eines Asphaltprüflabors begleitet.

Dammschüttung

Der luft- und wasserseitige Stützkörper wurde aus gut verdichtbarem Stein-

schüttmaterial (MG 0/600) hergestellt, dessen Körnungslinie langestreckt, kon-

kav und nahezu ohne Feinanteile ist. Die Schüttung wurde in ihrem Fortschritt

den Herstellungsbedingungen der AID mit den beiderseitigen Übergangszonen

anpasst. Mit dem Schüttprozess wurden auch die Messeinrichtungen der Bau-

werksüberwachung eingebaut und am luftseitigen Dammfuß ein Sickerprisma

aus grobem Schüttmaterial (MG 63/600) mit darüber liegendem Vlies herge-

stellt, um die Ableitung des Sickerwassers aus dem luftseitigen Stützkörper zu

gewährleisten. Die Parameter der Übergangszonen wurden hinsichtlich Korn-

aufbau, Schichtdicke, Filterstabilität, Verformungsverhalten usw. den Über-

gangsbedingungen von der AID zum Stützkörper angepasst. Die Kornzusam-

mensetzung wurde so vorgesehen, dass nur eine einschichtige Übergangszone

erforderlich ist. Die wasserseitige Übergangszone wurde injizierfähig und mit

einem Feinstkornanteil gestaltet, um eine selbstdichtende Wirkung zu ermögli-

chen. Die luftseitige Übergangszone wurde für die sichere Abführung eventuell

anfallenden Sickerwassers ausgebildet und die Abdeckung des gesamten Schütt-

körpers mit Abdeckmaterial MG 0/63 vorgesehen. Die Details der Schüttarbei-

ten wurden vom Planer in der ZTV „Dammschüttung und Dammaufstandsflä-

che“ fixiert.

Kurz vor dem Baubeginn wechselte der AN Bau seinen angebotenen Rohstoff-

lieferanten (Steinbruch). In Probefeldern wurden von 09/2014 bis 05/2015 Eig-

nungsprüfungen des Mineralgemischs mit Feld- und Laboruntersuchungen

durchgeführt, um den Materialeinbau in der für den Regelbetrieb vorgesehenen

Technologie zu testen und zu optimieren. Dabei gab es erhebliche Probleme,

weil das Material aus dem „neuen“ Steinbruch nicht den geforderten und ur-

sprünglich angebotenen Eigenschaften entsprach. Nach der Testphase erstellte

der AN Bau eine Ausführungsrichtlinie für den Regelbetrieb. Der Dammbau

begann in 05/2015 mit dem linken Hang (bis 10/2015 Baufortschritt bis 4 m un-

ter Krone), wurde ab 10/2015 am rechten Hang fortgesetzt und nach erneutem

Umsetzen des AID-Fertigers auf den linken Hang bis 10/2016 fertiggestellt.

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HRB Neuwürschnitz –

Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk

Das Stützkörpermaterial (MG 0/600) wurde nach dem Antransport von einer

Planierraupe verteilt und anschließend mit einer Polygonwalze mit drei Über-

fahrten mit zugeschalteter Vibration verdichtet. Im Übergangsbereich zur AID

wurden größere Steine/Blöcke entfernt. Bei Abweichungen von den Soll-

Tragfähigkeitswerten erfolgten zusätzliche dynamische Überfahrten mit einer

Polygonwalze. Die Arbeiten wurden durch eine vom Bauherrn direkt beauftragte

geotechnische Fachbauleitung begleitet, deren Schwerpunkte die visuelle Begut-

achtung des Liefermaterials und die Überwachung der Verdichtung waren. Wei-

tere Kontrollen erfolgten durch die EÜ des AN Bau und eine FÜ (mit Baustoff-

prüfstelle).

2.3 Auslaufbauwerk

Massivbauwerk

Das Auslaufbauwerk aus Stahlbeton (Gesamtlänge 59,0 m) wurde monolithisch

hergestellt und unterteilt das Dammbauwerk in der Gewässerachse in einen

rechten und einen linken Abschnitt und trägt die Betriebseinrichtungen (Abbil-

dung 3). Der Trogteil (Länge 27,8 m) besitzt parallele Seitenwände mit einem

lichten Abstand von 6,6 m. Die wasser- und luftseitig angeordneten Flügelwän-

de (Länge je 16,0 m) knicken mit einem Winkel von 12,5° ab und sind auf un-

bewehrten Streifenfundamenten gegründet. Die Kronenbreite der Seitenwände

beträgt über die gesamte Länge konstant 1,0 m. Die dammseitigen Außenwände

wurden mit einer Neigung von 10:1 zur besseren Anbindung des Dammbauma-

terials ausgeführt.

In Dammachse schließt die AID an 1:1 geneigte Flügelwände an (Abbildung 2).

Die zur Gewährleistung der durchgängigen Befahrbarkeit der Dammkrone er-

forderliche Brücke (Fahrbahnbreite 3,5 m) wurde monolithisch in das Auslauf-

bauwerk integriert. Als Stauraumabtrennung wurde eine 1,0 m dicke Stauwand

ausgeführt. In dieser sind die luftseitig angeordneten BA verankert. Um eine

Überströmung der im Bau befindlichen Dammschüttung im Falle eines bauzeit-

lichen Hochwassers sicher ausschließen zu können, wurde in der Stauwand eine

bauzeitliche 3. Öffnung vorgesehen, die nach Erreichen der finalen Schütthöhe

mit Beton verschlossen wurde.

Die Bodenplatte ist 2,50 m dick und wurde zur Minderung der frühen Zwangs-

spannungen in zonierter Bauweise hergestellt. Das Bewehrungsraster ist 15 cm x

15 cm. Um einlagig bewehren zu können sind in der oberen Lage Bewehrungs-

stäbe 32 mm erforderlich. Die Stöße dieses Durchmessers wurden durch

Schraubverbindung hergestellt. Damit konnte Stahl gespart und die Betonierbar-

keit verbessert werden. Auf den Einsatz von Luftporenbildner wurde in massi-

gen Bauteilen verzichtet. Stattdessen wurden an frei bewetterten Oberflächen

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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wasserabführende Schalungsbahnen zur Erhöhung der Dauerhaftigkeit einge-

setzt.

Abbildung 3: Auslaufbauwerk Wasser- und Luftseite

Betriebsauslässe

Das HRB verfügt über zwei Betriebsauslässe (BA), mit denen der Abfluss zum

Beckeneinstau im Hochwasserfall gesteuert und das Becken anschließend ent-

leert werden kann. Die BA sind Gleitschütze nach DIN 19704 zum Verschluss

der lichten Durchflussöffnungen B x H 1,4 m x 1,4 m. Die Gleitschütze und die

im Beton vergossenen Teile sind aus nichtrostendem Stahl nach DIN EN 10088

– Werkstoff-Nr. 1.4571 gebaut. Der BA 1 liegt im Hauptgerinne. Der BA 2 liegt

auf der Berme oberhalb des Gerinnes. Beide BA sind außer im Einstaufall stän-

dig geöffnet und gewährleisten so die ökologische Durchgängigkeit. Beide BA

haben einen ölhydraulischen Antrieb mit einem Hydraulikaggregat in einer

Kammer auf der luftseitigen Berme des Dammes (Abbildung 3).

Das HRB kann automatisiert pegelgesteuert oder händisch gesteuert werden. Die

händische Steuerung hat drei Bedienebenen: aus der Ferne von der Flussmeiste-

rei Chemnitz, vor Ort am Bedienschrank und am Handantrieb des Hydraulikag-

gregates. Die Dichtflächen der Schütze sind beheizt. Die hydraulische Leis-

tungsfähigkeit beträgt bei Vollstau 16,7 m³/s für den BA 1 und 16,2 m³/s für den

BA 2. Nach dem Einbau der Stahlwasserbauteile und der Antriebe wurden die

BA in 11/2016 erfolgreich auf Funktionsfähigkeit mit Wassereinwirkung geprüft

und damit die Voraussetzung für den Probebetrieb geschaffen.

Page 176: bemessung im wasserbau

168

HRB Neuwürschnitz –

Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk

HWE

Die Hochwasserentlastungsanlage (HWE) ist als rundkroniger Überfall (Bogen

150°, Radius 1,0 m, Breite 6,6 m) mit beidseitiger Belüftung als oberer Ab-

schluss der Stauwand angeordnet. Die hydraulische Leistungsfähigkeit der HWE

bei Kronenstau beträgt 41,1 m³/s.

Raugerinnebeckenpass

Zur Gewährleistung der Fischdurchgängigkeit wurden in Abstimmung mit dem

Sachverständigen für Fischereiwirtschaft (FSV) zur Schaffung eines Raugerin-

nebeckenpasses im Hauptgerinne im Abstand von 2,0 m Querriegel (B x H

0,2 m x 0,3 m) angeordnet (Sohlpflaster: Einzelsteine als Steinsatz in Beton mit

20 cm tiefen Fugen und speziellen Haltesteinen für Sohlsubstrat; Querriegel: in

Beton gesetzte Natursteine). Der Niedrigwasserabfluss erfolgt durch wechselsei-

tig angeordnete Schlitze in den Querriegeln (Sohlbreite 0,16 m). Zur Qualitätssi-

cherung begleitete der FSV die Errichtung eines Probefeldes und überwachte die

Herstellung der Steinriegel einschl. deren Abnahme (s. a. Höhne, M. et al.

2016).

Tosmulde

Um den besonderen Randbedingungen gerecht zu werden, welche sich durch die

Forderung der ökologischen Durchgängigkeit ergeben, wurde für die Ener-

gieumwandlungsanlage die Sonderkonstruktion einer Tosmulde gewählt. Nach

der Optimierung im Modellversuch wurde diese durch eine 5,0 m hinter den

Auslässen gelegene Erhöhung des Gefälles auf 3% auf einer Länge von 40 m,

einen 10 m langen Abschnitt ohne Längsgefälle und ein Gegengefälle mit -5%

ausgeführt. Dadurch ergibt sich insgesamt eine Eintiefung um 0,8 m gegenüber

der Gerinnesohle. Die Tosmulde besitzt eine maximale Breite von 21 m. Die

Berandung der Tosmulde besteht aus einer Böschung, die umlaufend bis auf ei-

ne Höhe von 428,00 m ü. NHN geführt wurde.

2.4 Messtechnische Bauwerksüberwachung

Der Umfang der Bauwerksüberwachung ist an die konstruktive Gestaltung und

die Besonderheiten der Nutzung als HRB angepasst und orientiert sich an den

Empfehlungen des DWA-M 514 (DWA 2011). Das Messsystem ist sowohl zur

Erfassung des Langzeitverhaltens als auch zur Überwachung während des Pro-

bestaus und bei späteren Einstauereignissen ausgelegt. Bereits vor Baubeginn

waren im Umfeld des Dammes Messstellen zum Grundwassermonitoring vor-

handen. Ein Teil dieser Pegelrohre wird in das neue Überwachungssystem inte-

griert, so dass an diesen Stellen besonders lange Messreihen zur Verfügung ste-

Page 177: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 169

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hen werden. Weitere Messstellen zur Bestimmung des Grundwasserstands wur-

den zusammen mit dem Bauwerk errichtet. Um Informationen über die Dichtig-

keit der AID zu erhalten, befinden sich in deren Fußbereich oberhalb des erwar-

teten luftseitigen Grundwasserstands Drainageleitungen. Das dort anfallende

Sickerwasser wird in Messschächte geleitet. Zusammen mit den ebenfalls luft-

seitig der Dichtung angeordneten Sickerlinienpegeln kann im Einstaufall das

Verhalten der AID erfasst und bewertet werden. Die gesamte Sickerwassermen-

ge wird dauerhaft automatisiert gemessen. Zur Überwachung des langfristigen

Deformationsverhaltens sowohl des Dammes als auch des Auslaufbauwerks sind

in mehreren Querschnitten Objektpunkte zur Erfassung der Vertikal- und Hori-

zontalverschiebungen angeordnet. Details für den Einbau der Anlagen des Bau-

werksmonitorings wurden vom Planer in der ZTV „Messtechnische Bauwerks-

überwachung“ fixiert.

Schon vor der Fertigstellung des Bauwerks liegt eine von der LTV erstellte

Messanweisung einschließlich der zugehörigen Formulare vor, so dass unmittel-

bar mit den Messungen begonnen werden kann.

3 Fazit

Das HRB Neuwürschnitz als erstes mittleres HRB mit Ökoschlucht in Sachsen

befindet sich seit 02/2014 im Bau, wobei das Absperrbauwerk weitestgehend

hergestellt ist. Die zu Grunde liegende Planung wurde umgesetzt. Baubegleitend

wurden geringfügige Anpassungen vorgenommen. Nach der geplanten Vollen-

dung im 1. Halbjahr 2017 wird das HRB einen signifikanten Beitrag zum

Hochwasserschutz der Gemeinden entlang der Würschnitz und im weiteren Ver-

lauf bis nach Chemnitz leisten sowie gleichzeitig die ökologische Durchgängig-

keit gewährleisten.

Das vorgestellte Projekt kann als ausgewogener Kompromiss zwischen wasser-

baulichen Erfordernissen und ökologischen Forderungen angesehen werden.

4 Danksagung

Die Autoren danken dem Auftraggeber LTV und dem ARGE-Partner

ARCADIS für die Zusammenarbeit.

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170

HRB Neuwürschnitz –

Planung und Ausführung der ingenieurtechnischen Lösungen für das Absperrbauwerk

5 Literatur

ARGE HPI / ARCADIS (2011): HRB Neuwürschnitz – Entwurfs- und

Genehmigungsplanung. unveröffentlicht, Dresden/Freiberg 2011

ARGE HPI / ARCADIS (2013): HRB Neuwürschnitz – Ausführungsplanung und

Vorbereitung der Vergabe. unveröffentlicht, Dresden/Freiberg 2013

DIN 19700-12 (2004) Stauanlagen - Hochwasserrückhaltebecken. Berlin: Beuth-Verlag,

2004

DWA (2011): DWA-Merkblatt DWA-M 514, Bauwerksüberwachung an Talsperren,

Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Juli 2011

Haufe, H., et al. (2007): Neue Aspekte zur ökologischen Durchgängigkeit von

Hochwasserrückhaltebecken. Dresdener Wasserbauliche Mitteilungen Heft 35,

Seiten 125-133, Dresden 2007

Haufe, H. et al. (2013): Hochwasserrückhaltebecken Neuwürschnitz – Stand der Planung

für ein mittleres HRB mit Ökoschlucht, Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen

Heft 48, Seiten 259-268, Dresden 2013

Höhne, M. et al. (2016): HRB Neuwürschnitz – Lösungsansätze für den Zielkonflikt

zwischen EU-WRRL und Hochwasserschutz, Dresdener Wasserbauliche

Mitteilungen Heft 57, Seiten 57-66, Dresden 2016

Stoebenau, S., et al. (2012): Physikalische Modellierung des

Hochwasserrückhaltebeckens Neuwürschnitz, Dresdener Wasserbauliche

Mitteilungen Heft 47, Seiten 187-194, Dresden 2012

Autoren:

Dr.-Ing. Holger Haufe

Dipl.-Ing. Uwe Beetz

Dipl.-Ing. Dominik Fiedler

Dipl.-Ing. Matthias Höhne

Ing. Olaf Kornmann

Dipl.-Ing. Martin Stärker

Lahmeyer Hydroprojekt GmbH

Geschäftsbereich Dresden

Ludwig-Hartmann-Straße 40

01277 Dresden

Tel.: +49 351 21123 0

Fax: +49 351 21123 88

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Holger Rosenkranz

Lahmeyer Hydroprojekt GmbH

Geschäftsbereich Weimar

Rießnerstraße 18

99427 Weimar

Tel.: +49 3643 746 210

Fax: +49 3643 746 435

E-Mail: [email protected]

Page 179: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der

Standort gibt die Lösung vor

Daniel Schmidt Marcel Härtel

Reinhard Hassinger

Holger Pabsch

Die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit an kleinen, mittleren und gro-

ßen Fließgewässern hat nach wie vor einen hohen Stellenwert insbesondere zur

Erreichung der Bewirtschaftungsziele im Zusammenhang mit der Umsetzung der

Wasserrahmenrichtlinie. Durch das DWA-Merkblatt M-509, Stand 2014, werden

zahlreiche Vorgaben im Hinblick auf die großräumige Positionierung und die ge-

ometrischen sowie die hydraulischen Anforderungen an Fischaufstiegsanlagen

gemacht. Dennoch ist die Erfüllung aller Vorgaben an vielen Standorten aufgrund

planerischer Zwangspunkte nicht vollumfänglich möglich. Die Entwicklung in der

letzten Zeit lässt dabei einen Trend hin zu sogenannten Sonderlösungen erkennen.

Anhand von zwei Beispielen soll erläutert werden, wie sich die technische Pla-

nung im Zusammenspiel mit fischökologischen Anforderungen in einem iterati-

ven, abschichtenden Prozess der abschließenden Lösung an einem schwierigen

Standort nähern kann. Neben der Auffindbarkeit und Passierbarkeit des Bauwerks

für alle Fischarten der potentiellen natürlichen Fischfauna müssen auch die An-

forderungen des Hochwasserschutzes sowie des Denkmalschutzes und ggf. weite-

re rechtliche und planerische Rahmenbedingungen, wie z:B. die Lage in Schutz-

gebieten, berücksichtigt werden.

Es soll zum einen ein früherer Wasserkraftstandort vorgestellt werden, für den

Sonderlösungen in Form einer Borstenrampenfischschleuse sowie einer Fischlift-

schleuse als mögliche Vorzugsvarianten abgeleitet wurden. Zum anderen wird ei-

ne unkonventionelle Lösung für einen Standort mit rezenter Wasserkraftnutzung

vorgestellt, bei dem durch einen Schlitzpass und ein Raugerinne die Gesamthö-

hendifferenz überwunden werden soll. Dazu ist es erforderlich, dass der Wasser-

spiegel in einem unterhalb des Wehres liegenden Kolkbereich erhöht wird, damit

die Fische über das Raugerinne aus dem Triebwerkskanal in den Kolk und von

dort über den Schlitzpass in das Oberwasser aufsteigen können.

Stichworte: ökologische Durchgängigkeit, Standortbedingungen, Sonderlösun-

gen, Fischwanderhilfen, Borstenrampenfischschleuse, Fischlift-

schleuse, Vertical-Slot, Raugerinne

Page 180: bemessung im wasserbau

172 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor

1 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit im Lieberoser

Mühlenfließ an der Lieberoser Mühle

1.1 Ausgangssituation

Das Lieberoser Mühlenfließ ist mit knapp 20 km Länge und einem mittleren Ab-

fluss von 800 l/s einer der wichtigsten Zuflüsse des Schwielochsees. Die Liebe-

roser Mühle befindet sich am Mittellauf des Gewässers in der Ortslage Liebero-

se. Eine Wasserkraftkraftnutzung erfolgt derzeit nicht mehr, jedoch sind die we-

sentlichen Anlagenteile, insbesondere die Turbine, noch vorhanden. Die gesam-

te Mühlenanlage ist als Baudenkmal geschützt und zu erhalten. Des Weiteren ist

der gesamte Bereich um die Mühle herum als Bodendenkmal deklariert.

Abbildung 1: Blick aus dem OW auf das Mühlenge-

bäude

Abbildung 2: Blick aus dem UW auf das Mühlenge-

bäude

Der Abfluss des Lieberoser Mühlenfließes erfolgt hauptsächlich über den Leer-

schuss der Mühle. Der Turbinenkanal ist durch ein Wehrfeld mit festen Damm-

balken vom Hauptgerinne abgekoppelt und wird bei der vorhandenen Stauhöhe

nicht beaufschlagt. Im Nebenschluss der Mühle befindet sich eine Hochwasser-

entlastung in Form eines Kombinationsbauwerks aus Rohrleitung und Gewölbe-

durchlass. Die vorhandene Schützanlage im Leerschuss sowie der Hochwas-

serableiter sind gegenwärtig in einem baulich schlechten Zustand, sodass die

beiden Anlagenteile im Hochwasserfall nicht die geforderte Leistungsfähigkeit

erreichen können.

Tabelle 1: Abflüsse Lieberoser Mühlenfließ - hydrologische Fachauskunft, (LUGV 2015)

MNQ MQ HQ100 Q30 Q330

Q (m³/s) 0,322 0,588 4,2 0,38 0,81

Der Mühlenstau ist gegenwärtig für Fische und andere aquatisch gebundene Le-

bewesen nicht überwindbar und stellt aufgrund seiner standörtlichen Gegeben-

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 173

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heiten besondere Anforderungen an die Herstellung der ökologischen Durch-

gängigkeit.

1.2 Untersuchte Varianten zur Herstellung der ökologischen Durchgän-

gigkeit

Der Stau kann aus bautechnischen Gründen (u.a. Standsicherheit der Brücken-

widerlager) nicht wesentlich verändert werden. Eine Verlegung des Staus und

auch die Anordnung einer Fischaufstiegsanlage im Oberwasser sind nicht mög-

lich, da eine damit verbundene Reduzierung der Stauhöhe die Standsicherheit

der vorhandenen Bebauung gefährden kann.

Wird die Durchgängigkeit im Nebenschluss über den vorhandenen Ableiter her-

gestellt, so muss in Privateigentum eingegriffen werden. Die ökologische

Durchgängigkeit kann aufgrund der bestehenden Nutzung nur in geschlossener

Bauweise hergestellt werden, was sich durch die veränderten Lichtverhältnisse

nachteilig auf die Auffindbarkeit und die Passierbarkeit auswirken kann.

Alternativ wurde eine großräumige Lösung über ein rechts des Lieberoser Müh-

lenfließes vorhandenes Nebengerinne betrachtet. Eine solche Verbindung zum

Oberwasser ist jedoch aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sowie der vorhan-

denen Bebauungen nicht möglich. Darüber hinaus würde ein erheblicher Sack-

gasseneffekt die Auffindbarkeit und somit die Funktionsfähigkeit der FAH be-

einträchtigen.

Für den Standort wurden verschiedene Bauformen entsprechend dem DWA-M

509 (DWA 2014) untersucht. Der Einbau eines Raugerinnes würde zu erhebli-

chen Eingriffen in das Mühlengebäude führen, was von Seiten der Denkmalbe-

hörde abgelehnt wird. Die Hochwasserneutralität kann mit dieser Variante eben-

falls nicht nachgewiesen werden. In Folge dessen wurde der Bau eines Rauge-

rinnes ausgeschlossen und nicht weiter betrachtet.

Von den möglichen technischen Lösungsvarianten des DWA-M 509 wurden der

Vertical-Slot Fischpass und ein konventioneller Fischlift näher betrachtet. Auf-

grund der Örtlichkeiten und unter Berücksichtigung des Denkmal- und Boden-

schutzes wäre nur der Fischlift realisierbar, jedoch mit einem sehr hohen ge-

samtheitlichen Aufwand (technischer und finanzieller Aufwand, Unterhaltungs-

aufwand), sodass nachfolgend zusätzlich zwei Sonderlösungen (nicht explizit im

DWA-M 509 enthalten) untersucht wurden, um ggf. eine optimierte Lösung ab-

leiten zu können.

Bei den beiden untersuchten Sonderlösungen handelt es sich zum einen um eine

Kombination aus Fischlift und Fischschleuse (Fischliftschleuse, vgl. Monai

2015/2016) und zum anderen um eine Borstenrampenfischschleuse (nach Has-

Page 182: bemessung im wasserbau

174 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor

singer 2016). Die beiden Anlagentypen können aufgrund ihrer Bauweise im

Mühlengebäude im Bereich des Turbinenkanals angeordnet werden, ohne dass

das Gebäude von außen erheblich verändert werden müsste.

Abbildung 3: 3D-Ansicht einer Fischliftschleuse Abbildung 4: 3D-Ansicht einer Borstenrampen-

Fischschleuse

1.3 Fischliftschleuse vs. Borstenrampenfischschleuse

Bei der Fischliftschleuse handelt es sich um ein Schachtbauwerk, das während

der Aufstiegsphase mit Wasser geflutet wird. Der Fangkorb wird bei dieser Va-

riante durch die Eigenkraft des Wassers mit Hilfe von Schwimmkörpern nach

oben befördert. Im Vergleich zu einem klassischen Fischlift gem. DWA ist mit

diesem System eine Fischwanderung in beide Richtungen (Fischauf- und Fisch-

abstieg) möglich. Zudem handelt es sich hierbei um ein kompaktes System, das

auch mit sehr wenig Wasser betrieben werden kann. Die platzsparende Umset-

zung erlaubt einen kostengünstigen Einsatz bspw. in beengten Siedlungsgebie-

ten und kann in bestehenden Bauwerken untergebracht werden.

In der Fangphase befindet sich der Wasserspiegel im Schacht auf dem Niveau

des Unterwasserspiegels. Der Fangkorb befindet sich auf der Höhe der unter-

wasserseitigen Gewässersohle. Vom Schachtboden gelangt die Leitströmung

über ein Verteilerrohr in Schacht und Fangkorb und durch die Einstiegsöffnung

ins UW, wodurch die Fische in den Korb geführt werden. Diese Art der zu er-

zeugenden Leitströmung hat den Vorteil, dass die Turbulenzintensität im Fang-

korb trotz Durchströmung sehr klein ist und die Fische, die sich im Fangkorb

befinden, nicht irritiert werden. Nach einer bestimmten Fangzeit wird das Un-

terwasserschütz geschlossen und der Schacht über die Dotationsleitung von un-

ten gefüllt. Um eine durchgängige Leitströmung im UW zu erzeugen und damit

die Fische im Einstiegsbereich zu halten, wird während der Aufstiegsphase (bei

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 175

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geschlossenem UW-Schütz) eine Dotationsströmung über eine Bypassleitung

erzeugt. Mit dem ansteigenden Wasserspiegel wird der Fangkorb schwimmend

nach oben befördert. Wenn der Wasserspiegel im Schacht mit dem Wasserspie-

gel des Oberwassers ausgespiegelt ist, wird das Oberwasserschütz langsam ge-

öffnet. Gleichzeitig wird das Unterwasserschütz einen Spalt geöffnet, sodass ein

Durchfluss aus dem Oberwasser durch den Schacht bis ins Unterwasser entsteht.

Der Durchfluss mit einer Strömungsgeschwindigkeit von bis zu 0,5 m/s veran-

lasst die Fische, gegen die Strömung den Schacht und damit den Fangkorb zu

verlassen. Gleichzeitig können abstiegswillige Fische in die Fischliftschleuse

einschwimmen, sofern sie z.B. mit Leiteinrichtungen nah genug an den Liftaus-

stieg herangeführt wurden. Nach erfolgtem Aus- bzw. Einstieg im Oberwasser

wird der Oberwasserschieber vollständig verschlossen. Durch den Unterwasser-

schieber (einen Spalt geöffnet) fließt das Wasser, das sich im Schacht befindet,

langsam ab. Erst wenn sich der Fangkorb wieder in der unteren Position befin-

det, wird das Unterwasserschütz vollständig geöffnet. Die abgestiegenen Fische

können nun die Fischliftschleuse ins Unterwasser verlassen (Monai 2016).

Bei einer Borstenrampenfischschleuse handelt es sich um eine Sonderform der

Fischschleuse, wie sie in der aktuellen Ausgabe des DWA-M 509 (2014) behan-

delt wird. Im Grundaufbau besteht sie aus einer Schleusenkammer sowie einem

unteren und einem oberen Verschlussorgan. Die namensgebende Besonderheit

ist, dass die Schleusenkammer mit einem Fangbereich und einer mit Borsten

besetzten Rampe ausgestattet ist. Die Borstenrampe hat erstens die Funktion,

dem in der Fangphase durchströmenden Wasser die überschüssige Energie zu

entziehen und zweitens diese Strömung quasi diffus über die gesamte Breite zu

verteilen, so dass im Fangbereich sich keine lokal irritierende Konkurrenzströ-

mung ausbildet. Drittens bildet die Borstenrampe bei der Befüllung eine nach

oben wandernde Leitstromfront aus, die die Fische über die schiefe Ebene zum

Ausstieg leiten soll. Der Aufstieg der Fische erfolgt damit ausschließlich durch

die Eigeninitiative der Tiere entgegen der Leitströmung. Eine weitere neue

Komponente besteht in einer oder mehreren Heberleitungen mit Strömungsbe-

ruhigungen, die bei geschlossenem Unterwasserschütz eine gerichtete Lock-

strömung aufrechterhalten. Über diese Heber wird der Lockstrom für den Aus-

stieg durch die Kammer durchgesetzt und auch die Entleerung vollzogen. Die

Vorteile dieser Heberleitungen mit Strömungsaufbereitern sind, dass sie keine

beweglichen Teile enthalten und dass am Unterwasserschütz nie Teilöffnungen

mit starker Strahlbildung gefahren werden, durch die herangelockte Fische wie-

der verscheucht werden. Die Entleerung wird erst durch das Abreißen der He-

berströmung (WSP auf Heberzulauföffnung) beendet (Hassinger 2016).

Aus fischökologischer Sicht handelt es sich bei der Borstenrampenfischschleuse

um die günstigere Lösungsvariante, die auch deutlich geringeren technischen

Page 184: bemessung im wasserbau

176 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor

Aufwand (2 Elektroschützen; 1 Wasserstandsmessung, 1 Kleinsteuerung) mit

sich bringt. Im vorliegenden Fall ist wegen des Längenbedarfs für die Schleu-

senkammer mit Rampe, die nicht zu steil sein sollte, der Aufwand jedoch größer

einzuschätzen, da von einem Ersatzneubau des Gebäudes ausgegangen werden

muss. Unter Berücksichtigung aller Randbedingungen wurde die Fischlift-

schleuse für den Standort als zu bevorzugende Lösung bestimmt. Mit dieser

Konstruktion kann mit geringem Platzbedarf die ökologische Durchgängigkeit

hergestellt werden. Die Anlage wird in das vorhandene Mühlengebäude einge-

baut. Durch ihre geringen Abmessungen kann der Eingriff in den Baubestand

auf ein Minimum reduziert werden. Das vorhandene Mühlengebäude wird in

seinem äußeren Erscheinungsbild nicht wesentlich beeinträchtigt und kann fast

vollständig erhalten bleiben.

2 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit an der Großen

Mühle Hasede

2.1 Ausgangssituation

Die „Große Mühle Hasede“ liegt ca. 4 km nördlich von Hildesheim in der Ge-

meinde Giesen im Ortsteil Hasede am Ostufer der Innerste. Derzeit stellt die

Große Mühle Hasede mit ihren zwei Entlastungswehren sowie der Wasserkraft-

anlage ein unüberwindbares Hindernis für stromaufwärts wandernde Organis-

men dar. Auch eine stromab gerichtete Wanderung ist auf Grund der Turbinen

und ihrem vorgeschalteten Rechen für die meisten aquatischen Lebewesen aus-

geschlossen. Bei einer Passage durch die Turbinen ist von einem hohen Schädi-

gungspotential auszugehen. An der Großen Mühle Hasede fließt das Wasser

durch den Triebwerkskanal bzw. den Mühlengraben am Mühlenkolk vorbei in

das Unterwasser der Innerste. Ab dem maximalen Leistungsvermögen der Tur-

binen von 10,2 m³/s wird das Wasser über die Nordschleuse in den Mühlenkolk

geleitet. Die Nordschleuse befindet sich direkt oberhalb des Turbinenzulaufes.

Oberhalb des Mühlengraben soll die derzeit geschlossene und nicht mehr zu

öffnende Südschleuse mittelfristig erneuert werden, um die Hochwasserstände

oberhalb von Hasede zu senken. Die Entlastungswehre werden nur in Zeiten er-

höhter Abflüsse beaufschlagt und stellen daher für eine Auf- und Abwanderung

auch aufgrund der Wasserspiegeldifferenz zwischen Ober- und Unterwasser von

etwa 1,98 m keine Alternative dar.

Tabelle 2: Abflüsse Innerste, Gr. Mühle Hasede (Bezug: Pegel Gr. Giesen 1972-2001)

MNQ MQ max. Abfluss Turbinen Q30 Q330

Q (m³/s) 2,6 9,0 10,2 3,0 16,6

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Der Gewässerentwicklungsplan für die Innerste von der Talsperre bis zur Mün-

dung in die Leine (Jürging et al. 2012) liegt seit 2012 vor. Darin ist zur Umset-

zung des Entwicklungszieles „lineare Durchgängigkeit der Innerste“ die Maß-

nahmen „Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit an der Wasserkraftan-

lage der Großen Mühle Hasede“ enthalten.

Abbildung 5: Kolkbereich mit Blick auf die Südschleu-

se

Abbildung 6: Unterwasserkanal

Für die Innerste gilt die Barbe als Leitart. Sie zählt zu den potamodromen Mit-

teldistanzwanderern und führt Wanderungen im Verlauf des Gewässers durch,

ohne den Süßwasserbereich zu verlassen. Zusätzlich zu der Leitart werden Be-

gleitarten genannt, welche bei der Dimensionierung der Anlage mit berücksich-

tigt werden müssen (Äsche, Bachforelle, Bachneunauge, Döbel, Dreistachliger

Stichling, Elritze, Flussbarsch, Flussneunauge, Gründling, Hasel, Hecht, Koppe,

Groppe, Lachs, Quappe, Rotauge, Schmerle und Zährte). Unter diese Begleitar-

ten fällt auch der Aal, welcher als einzige heimische Fischart eine Wanderung

zwischen Süß- und Salzwasser vornimmt, um sich im Salzwasser zu reproduzie-

ren und im Süßwasser aufzuwachsen (diadrome Wanderung). Grundsätzlich sol-

len gemäß Vorgabe des DWA M 509 (2014) bei der Auslegung von Bauwerken,

die Fischwanderungen ermöglichen, alle Arten der autochthonen Fischfauna

(Referenzfauna) berücksichtigt werden, sodass das gesamte Spektrum vom leis-

tungsschwächsten bis zum größten Individuum das Wanderhindernis überwin-

den kann.

Grundsätzlich müsste eine FAH im Unterwasser der Wasserkraftanlage (WKA)

unmittelbar im Bereich des Saugschlauches positioniert werden, da die stromauf

wandernden Fische in der Regel der am stärksten ausgeprägten Strömung (Leit-

strömung) folgen. Da der Mühlenkolk nur bei deutlich erhöhter Wasserführung

durchströmt wird und in der restlichen Zeit eher einen Stillgewässercharakter

aufweist, ist davon auszugehen, dass sich die Fische im UW der WKA sammeln.

Page 186: bemessung im wasserbau

178 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor

Aufgrund dieses Erfordernisses und der speziellen Gegebenheiten des Standor-

tes, ergeben sich komplexe Anforderungen an die Planung.

2.2 Untersuchte Varianten zur Herstellung der ökologischen Durchgän-

gigkeit

Laut des Gewässerentwicklungsplanes der Innerste (vgl. Jürging et al. 2012)

wird vom Landkreis Hildesheim eine Auf-/Abstiegslösung direkt am Mühlen-

standort favorisiert. Eine zweite Variante, die ggf. als Alternative angestrebt

werden könnte, sieht den Bau eines Umfluters um den „Haseder Busch“ herum

vor. Die Trassenführung orientiert sich dabei soweit wie möglich an vorhande-

nen Grabenmulden im Gelände. Ein Vorteil der Umfluterlösung besteht darin,

dass auf diese Weise nicht nur die Barriere der Stauanlage umgangen wird, son-

dern die Fische auch über einen größeren Teil des Rückstaubereichs hinweg ins

Oberwasser geleitet werden. Die Umfluterlösung gewährleistet jedoch aufgrund

der nicht korrekten Anordnung des Einstiegs im UW der WKA nicht die Anfor-

derungen des DWA M-509 hinsichtlich dessen Positionierung und kann somit

allenfalls eine Ergänzung zu der eigentlichen FAH darstellen.

Um den Fischen aus dem UW der WKA eine direkte Passage in das Oberwasser

zu ermöglichen, müssten sie über die Insel, die den Kolk und den UW-Kanal

voneinander trennt (vgl. Abbildung 7), am Kraftwerksgebäude vorbei ins OW

geleitet werden. Aufgrund der gegebenen Bebauung wäre dies nur über eine

aufwändige Tragwerkskonstruktion entlang der Wand des Turbinengebäudes

möglich. Die Mündung einer derartigen FAH würde zum einen unmittelbar

oberhalb des Rechens und somit im unmittelbaren Gefahrenbereich liegen, zum

anderen könnten die geometrischen und hydraulischen Anforderungen (vgl.

DWA M-509, 2014) nicht erfüllt werden.

2.3 Vorzugslösung

Die Vorzugsvariante sieht die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit

durch zwei separate Fischaufstiegsanlagen vor. Um den Fischen die Passage aus

dem UW der WKA in das OW zu ermöglichen, wird der Mühlenkolk als großes

„Ruhebecken“ verwendet. Da zwischen dem Mühlenkolk und dem UW keine

Wasserspiegeldifferenz vorhanden ist, wird am Auslauf des Mühlenkolks zu-

nächst eine Überlaufschwelle vorgesehen, mit der der Wasserspiegel im Kolk

gegenüber dem UW um 15 cm angehoben wird. Die entstandene Wasserspie-

geldifferenz ermöglicht es, über die zwischen Kolk und UW-Kanal gelegene

Insel, ein Raugerinne anzuordnen, das unmittelbar unterhalb des Saugschlauchs

mündet und den Fischen zunächst eine Passage in den Mühlenkolk ermöglicht.

Der verbleibende Höhenunterschied zwischen UW und OW kann von den Fi-

schen dann durch die Passage eines auf der orographisch linken Uferseite ange-

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 179

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ordneten Schlitzpasses überwunden werden. Zusätzlich wird ein Fischabstieg an

der WKA vorgesehen.

Abbildung 7: Übersichtsdarstellung

Im Zuge der Planung war zunächst durch ein hydraulisches Gutachten sicher zu

stellen, dass durch die vorgesehene Überlaufschwelle die Hochwasserneutralität

gewahrt bleibt. Dies konnte entsprechend belegt werden.

Durch die erforderliche Passage durch den Mühlenkolk und die dort fehlende

Fließgeschwindigkeit (reduzierte oder fehlende Rheotaxis), kann sich eine ge-

ringfügige Verzögerung innerhalb des Aufstiegs ergeben. Es konnte jedoch für

den Muldestausee in Sachsen-Anhalt mittels Radiotelemetrie nachgewiesen

werden, dass auch rheophile Arten (u.a. Barbe und Rapfen) dazu in der Lage

sind, längere Stillwasserbereiche in verhältnismäßig kurzer Zeit zu durch-

schwimmen (vgl. Fredrich 2006).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für den Standort trotz Was-

serkraftnutzung und schwieriger topographischer Verhältnisse eine Lösung für

die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit gefunden werden konnte, die

die Anforderungen des DWA M-509 bestmöglich umsetzt.

Page 188: bemessung im wasserbau

180 Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit – der Standort gibt die Lösung vor

3 Literatur

Dwa (2014): M 509 - Fischwanderhilfen und fischpassierbare Bauwerke - Gestaltung,

Bemessung, Qualitätssicherung. DWA (Hrsg.). Meckenheim.

Fredrich, F. (2006): Monitoring zur Durchwanderbarkeit des Muldestausees für

potamodrome Fischarten. Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Talsperren-

betriebes Sachsen-Anhalt.

Hassinger, R. (2016): Funktions- und Ablaufbeschreibung der Borstenrampen-

fischschleuse nach VPUW Universität Kassel, Versuchsanstalt und Prüfstelle für

Umwelttechnik und Wasserbau, Uni Kassel.

Jürging, M., Schmida, U., Fink, S., Truh, M., Tangen, A., Unbehaun, T. (2012):

Gewässerentwicklungsplan für die Innerste von der Talsperre bis zur Mündung in die

Leine. Ingenieurgemeinschaft agwa GmbH. Landkreis Hildesheim (AG). Hannover.

LUGV – Landesamt fürUmwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2015):

Hydrologische Fachauskunft zum Lieberoser Mühlenfließ.

Monai, B. (2015): Informationsmappe zu den Fischliften des KW der Treibacher

Industrie AG an der Gurk und des KW der Leser GmbH am Löllingbach. Straßburg.

Monai, B. (2016): Wasserwirts Fischlift – eine Kombination aus Lift und Schleuse, Das

System, Pilotstandorte, bisherige Monitoringergebnisse. Straßburg.

Autoren:

Dipl.-Ing. (FH) Daniel Schmidt

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Marcel Härtel MSc.

IPP HYDRO CONSULT GmbH

Gerhart-Hauptmann-Str. 15

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Dr. Reinhard Hassinger

Versuchsanstalt und Prüfstelle für Umwelt-

technik und Wasserbau

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34109 Kassel

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Dr. Holger Pabsch

Ingenieurbüro Pabsch & Partner Ingeni-

eurgesellschaft mbH

Barienroder-Str. 23

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei

Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit

Holger Pabsch

Am hessischen Mittelgebirgsfluss Salz sollte gemäß der Wasserrahmenrichtlinie

am Wehr oberhalb von Romsthal die ökologische Durchgängigkeit hergestellt

werden. Da gleichzeitig die Ausleitung und die Bespannung des Mühlgrabens auf-

rechterhalten werden musste, konnte das bestehende Wehr nicht alternativlos

rückgebaut werden. Um einen möglichst naturnahen Gewässerabschnitt herzustel-

len, wurde in der Gewässersohle eine Sickerrigole hergestellt. Damit entspricht

die Ausprägung des Flusses im Bereich der Maßnahme der natürlichen Gewäs-

sermorphologie dieses Abschnittes.

Stichworte: Wasserrahmenrichtlinie, ökologische Durchgängigkeit, Ausleitung,

Wehrrückbau, Sickerrigole

1 Problemstellung

Mit der Wasserrahmenrichtlinie verfolgt die Europäische Union das Ziel, in na-

türlichen Fließgewässern den guten oder sehr guten ökologischen Zustand her-

zustellen. Ein häufiger Grund für die Störung des guten Zustandes sind Wehre,

die die ökologische Durchgängigkeit der Fließgewässer reduzieren oder verhin-

dern. In vielen Fällen ist ein einfacher Rückbau nicht möglich, da die Auslei-

tung, zu deren Zweck das Wehr errichtet wurde, aufrechterhalten werden muss.

Dann sind in der Regel umfangreiche Maßnahmen wie z. B. der Bau von Sohl-

gleiten oder technischen Bauwerken erforderlich. Diese sind jedoch immer noch

als Eingriffe sichtbar und verändern das Erscheinungsbild des Gewässers.

Oberhalb der Ortslage Romsthal bei Bad Soden-Salmünster im Bundesland Hes-

sen befand sich in dem Fluss Salz ein Betonwehr, das das Wasser zur Ausleitung

in einen Mühlgraben staute. Dieses Wehr stellte eine unüberwindbare ökologi-

sche Barriere in der ansonsten sehr naturbelassenen Salz dar. Außerdem befand

sich das Wehr in einem sehr schlechten baulichen Zustand.

Die Ausleitung musste erhalten bleiben, da am Mühlgraben ein Wasserrecht be-

steht und der Mühlgraben Bedeutung für das Ortsbild hat. Daher kam ein einfa-

cher Rückbau des Wehres nicht in Frage.

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182 Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit

Im betrachteten Abschnitt ist das Gewässerbett weitgehend frei von anthropoge-

nen Einflüssen, weshalb die Errichtung eines technischen Fischpasses bei Erhalt

des Wehres als unbefriedigende und zudem aufwendige Lösung erschien.

Abbildung 1: Wehrbauwerk in der Salz mit seitlicher Ausleitung in den Mühlgraben

Abbildung 2: Unterlauf des Wehres, Zustand des unbeeinflussten Gewässers

2 Örtliche Verhältnisse

2.1 Die Salz

Die Salz gehört zum Flussgebiet der Kinzig und ist einer ihrer größten Zuflüsse.

Ihr Lauf beginnt am Zufluss zweier Quellbäche und überwindet auf 19 km Län-

ge einen Höhenunterschied von 322 m, was einem mittleren Gefälle von 1,7 %

entspricht.

Im betrachteten Abschnitt ist die Salz ein Gewässer II. Ordnung. Ca. 4 km ober-

halb, bei Sarrod, wird sie zum Gewässer III. Ordnung. Der Fluss ist der oberen

Ausleitung Mühlgraben

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Forellenregion zuzuordnen und gilt als wenig verändert, jedoch gibt es mehrere

unpassierbare Wanderhindernisse, die zu einem hohen Anteil strukturell defizi-

tärer Abschnitte führen.

2.2 Wasserwirtschaftliche Funktion des Wehres

Das in Abbildung 1 dargestellte Wehr diente dem Aufstau und der seitlichen

Ausleitung in den Mühlgraben. Diese Ausleitung war aufgrund bestehender

Wasserechte, der Löschwasserversorgung und zum Erhalt des Ortsbildes auch

nach Umsetzung der Maßnahme zu gewährleisten. Zudem stellt der Mühlgraben

eine ökologisch wertvolle Struktur dar.

Abbildung 3 zeigt den oberen Abschnitt des Mühlgrabens, bevor dieser die Orts-

lage Romsthal erreicht.

Abbildung 3: Mühlgraben oberhalb der Ortslage Romsthal

3 Planung

3.1 Konzeption

Nach Abstimmungen mit den Behörden wurde eine Lösung umgesetzt, die der

widersprüchlichen Zielstellung uneingeschränkt gerecht wird: die Herstellung

eines gegenüber den angrenzenden Bereichen unveränderten Gewässerabschnit-

tes bei gleichzeitiger Bespannung des Mühlgrabens mit 20 l/s – 80 l/s.

Um dieses Ziel zu erreichen, wurde in 2016 das Wehr komplett entfernt und in

einem definierten Sohlbereich der Salz eine Sickerrigole eingebaut, die das

Wasser über eine parallel zur Salz verlaufende Leitung in den Mühlgraben leitet.

Dadurch ergibt sich in der Salz eine völlig ungestörte Durchgängigkeit und da-

mit eine deutliche optische und ökologische Aufwertung. Zudem wird die Un-

Page 192: bemessung im wasserbau

184 Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit

terhaltung erleichtert, da es kein Hindernis mehr gibt, an dem sich Bäume und

anderes Treibgut verfangen können.

Die Sickerrigole wurde etwa 50 m oberhalb des Wehres angelegt, um auch bei

Entfall des Einstaus ein ausreichendes hydraulisches Gefälle zum Mühlgraben

zu erhalten.

Unter der Gewässersohle wurde auf etwa 100 m² eine mit Geotextil eingefasste

Kieslage eingebracht, in der 8 Drainagerohre aus PE-HD verlegt wurden. Auf

dieser Sickerrigole wurde das zuvor entnommene und separat gelagerte Sohlma-

terial in einer Stärke von ca. 40 cm wieder eingebaut, sodass eine einheitliche

Sohle im Gewässerabschnitt hergestellt wurde. Im Ober- und Unterwasser wur-

de die Rigole durch massive Steinriegel gesichert (vgl. Abbildung 4 und 5).

Abbildung 4: Gewässerlängsschnitt der Sickerrigole

Die Sohle unter der Drainagerohre wurde horizontal angelegt, sodass sich auf-

grund der hydraulischen Entkopplung der Salz von der Rigole ein freier Wasser-

spiegel innerhalb der mit Drainagerohren belegten Fläche ergibt. Somit ist die

Anordnung eines Sammelschachtes für die Leitungen ausreichend.

Dieser Sammelschacht ist im linksseitigen Ufer angeordnet. Zur Durchflussre-

gulierung verfügt er über einen Drosselschieber.

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Abbildung 5: Lageplan der Sickerrigole

Vom Sammelschacht führt eine 85 m lange Freigefälleleitung DN400 aus Beton

zum Mühlgraben und mündet dort in einer rückverlegten Einleitstelle.

Die bisherige durch den Mühlgraben unterbrochene Uferlinie wurde dem allge-

meinen Gewässerverlauf entsprechend aufgefüllt. Sie erhielt eine mit Wasser-

bausteinen befestigte Absenkung, sodass der Mühlgraben die bisherige Funktion

einer Entlastung der Salz bei Hochwasser weiterhin erfüllen kann.

3.2 Bemessung

Entscheidend für die abgeführte Wassermenge ist die Durchlässigkeit der Ge-

wässersohle. Sobald das Wasser die Rigole erreicht, ist die Ausleitung über den

groben Kies aus eng gestuftem Rundkorn und die Drainageleitungen gewährleis-

tet.

Da der kf-Wert des anstehenden Sohlsubstrates uneinheitlich und schwer be-

stimmbar ist, wurde eine Bandbreite wahrscheinlicher Durchlässigkeiten ange-

nommen und zusammen mit der vereinbarten Spanne der abzuführenden Was-

sermenge wurde eine erforderliche Sickerfläche errechnet: mit der Mindestwas-

sermenge von 20 l/s dem Maximum von 80 l/s. Die Substratschicht wurde in der

Berechnung mit 40 cm berücksichtigt und darüber ein Wasserstand von 10 cm

angesetzt.

Es wurde davon ausgegangen, dass die Substratschicht komplett wassergesättigt

ist und am oberen Rand der Rigole das hydraulische Potential auf null sinkt, so-

dass sich eine Druckdifferenz von 50 cm Wassersäule ergibt.

Page 194: bemessung im wasserbau

186 Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit

Es wurden kf-Werte von 1,5·10-4 m/s für die geringere und 7·10-4 m/s für die

größere Ausleitmenge berücksichtigt. Dies entspricht Grobsand an der Grenze

zum Mittelsand. Daraus resultiert nach Darcy eine erforderliche Rigolenfläche

von ca. 100 m².

Orientierende Schleppspannungsberechnungen haben gezeigt, dass mit einer Se-

dimentation von feinerem Material und einer Kolmation des Sohlmaterials nicht

zu rechnen ist. Erodiertes Sohlmaterial wird wieder vom Fluss aus dem Oberlauf

eingetragen, so dass von einer stabilen Sohle im Zustand der Beharrung auszu-

gehen ist.

Bei abnehmendem Abfluss in der Salz verringert sich aufgrund des sinkenden

Wasserstands auch die Sickerleistung der Rigole, sodass auf diese Weise die

Mindestwasserführung der Salz nicht unzulässig beeinträchtigt wird.

Genehmigt wurde die Maßnahme in einem wasserrechtlichen Genehmigungs-

verfahren nach §22 Hessisches Wassergesetz (Anlagen in Gewässern).

4 Bauliche Umsetzung

4.1 Bauablauf

Die einzelnen Bauwerke wurden in folgender Reihenfolge erstellt:

1. Betonleitung vom Sammelschacht zum Mühlgraben

2. Sammelschacht

3. Wehrrückbau

4. Wiederherstellung des Ufers zwischen Salz und Mühlgraben mit Entlas-

tungsmulde

5. Sickerrigole

Um den Mühlgraben im Bauzustand der Rigole auch nach dem Rückbau des

Wehres zu speisen, wurde im Bereich der späteren Rigole eine frei endende Lei-

tung zwischen dem Sammelschacht und der Salz verlegt und dort eine Vertie-

fung ausgehoben. Während der Bauzeit wurde diese von Sedimenten freigehal-

ten.

Die kritische Bauphase war der Einbau der Sickerrigole, sodass hierfür eine Ab-

flussarme Phase genutzt wurde. Am rechtsseitigen, dem Sammelschacht abge-

wandten Ufer wurde die Salz auf ca. 1 m Breite vertieft, sodass durch diese Rin-

ne temporär der gesamte Abfluss abgeführt wurde. So konnte die Rigole mit den

Drainageleitungen in einem Abschnitt erstellt werden.

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Abbildung 6: Kiesrigole mit Drainagerohren – links: Blickrichtung Sammelschacht, rechts:

Blickrichtung entgegengesetztes Ufer

Wie in Abbildung 7 dargestellt wurde die Sickerrigole seitlich und von oben mit

Geotextil einer Schichtdicke von 6,7 mm und einer Flächenmasse von 828 g/m²

abgedeckt. Die charakteristische Öffnungsweite von 0,08 mm verhindert den

Eintrag von Feinmaterial in die Rigole. Die Drainagerohre wurden nicht in Geo-

textil gefasst, damit eventuell in die Rigole eingetragenes Material wieder aus-

geschwemmt werden kann. Auf diese Weise bleiben sie spülbar. Ober- und un-

terhalb der Rigole wurde die Gewässersohle mit einer Reihe großer Steine gesi-

chert, die auch das Geotextil fixieren.

Abbildung 7: Mit Geotextil eingefasste Rigole

Das oberstrom des Wehres abgelagerte Geschiebe wurde vor dem Wehrrückbau

entnommen und gemeinsam mit dem im Rigolenbereich ausgebaggerten Sohl-

material wieder eingebracht. Dazu wurde es oberhalb der Rigole eingesetzt und

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188 Bau einer Sickerrigole zur Wasserausleitung bei Schaffung der ökologischen Durchgängigkeit

hat sich dem Fließverhalten entsprechend eingespült. Anschließend wurden die

größeren Steine der Gewässersohle aufgesetzt und angedrückt.

Die Baumaßnahme wurde neben der Bauleitung durch eine ökologische Baube-

gleitung überwacht. Der Eingriff in die Natur konnte sehr gering gehalten wer-

den. Lediglich 2 Bäume mussten gefällt werden.

4.2 Fertiggestelltes Bauwerk

Ende September 2016 wurde die Maßnahme abgeschlossen (vgl. Abbildung 9).

Die Ausleitung von bis zu 80 l/s erweist sich nach Umsetzung der Maßnahme

als absolut unproblematisch. Um den Eintrag von Feinkorn in das Geotextil zu

verhindern, wurde der Drosselschieber auf ca. 40 l/s bei mittlerem Abfluss regu-

liert.

Das Sohlsubstrat entspricht dem ober- und unterhalb anstehenden Material, so

dass bisher auch bei einer abflussbedingten Substratverlagerung keine nennens-

werten Veränderungen der Gewässersohle aufgetreten sind.

Abbildung 8: Flussbett der Salz im Bereich der fertiggestellten Sickerrigole

Nach Kenntnis des Autors ist diese Lösung im Zusammenhang mit einem Wehr-

rückbau ohne Beispiel. Der bisherige Betrieb zeigt, dass so die ökologische

Durchgängigkeit bei gleichzeitig geringem Unterhaltungsaufwand in optimaler

Weise gewährleistet ist.

5 Förderung

Die Maßnahme wurde mit Mitteln des Landes Hessen gefördert, Träger war die

Stadt Bad Soden-Salmünster.

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6 Literatur

Pabsch & Partner, Ingenieurbüro (2014): Erläuterungsbericht zur Genehmigungsplanung

„Rückbau Absturz und Neugestaltung Abschlag Romsthal“, Hildesheim 2014

Ditter, G. (2014): Umgestaltung Abschlag Romsthal – Fachbeitrag Naturschutz, Erlensee

2014

Autor:

Dr.-Ing. Holger Pabsch

Ingenieurbüro Pabsch & Partner GmbH

Barienroder Straße 23

31139 Hildesheim

Tel.: +49 5121 2094-0

Fax: +49 5121 2094-44

E-Mail: [email protected]

www.ipp-consult.de

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken

für den Rückhalt von Eisenocker

Ingo Schnauder, Christoph Gerstgraser

Thomas Koch, Wilfried Uhlmann

Im Umgang mit der Eisenbelastung von Gewässern ist ein möglichst früher, de-

zentraler Rückhalt in kleinen Anlagen wünschenswert. Als wirtschaftliche Lösung

eignen sich dafür besonders Absetzbecken, in denen sich Eisenausfällungen durch

den Gravitationseinfluss langsam absetzen. Als Bemessungsgrundlagen für eine

Vordimensionierung können Ansätze für Sandfänge aus der Literatur übertragen

werden. Für die strömungsgünstige Detailgestaltung und eine optimale Ausnut-

zung des Rückhalteraumes bieten sich zusätzlich 3D-HN-Modelle an.

In der vorliegenden Studie wird dieser kombinierte Modellierungsansatz vorge-

stellt und auf die besonderen Eigenschaften von Eisenocker eingegangen.

Stichworte: Absetzbecken, Sedimentation, Numerische Modellierung, Schweb-

stofftransport

1 Einführung

Durch den Grundwasserwiederanstieg in einigen Bereichen der Lausitzer

Braunkohlefolgelandschaften kommt es zum Eintrag von saurem und eisenhalti-

gem Grundwasser. Die Oxidation des Eisens beim Austritt des Grundwassers

führt zur Bildung von Eisenhydroxid, was zur Braunfärbung der Fließgewässer

und anschließend zur Ablagerung von Eisenhydroxidschlämmen führt, die sich

negativ auf das Ökosystem Fließgewässer auswirken können (Abbildung 1).

Absetzbecken sind einfache und vom Volumenstrom her leistungsfähige Anla-

gen zum Rückhalt von Eisenocker. Die wesentlichen Faktoren für ihre Reini-

gungsleistung sind Retentionszeit, bzw. bei kontinuierlichem Betrieb die Durch-

strömgeschwindigkeit, Gesamteisenkonzentration im Zulauf sowie physikalisch-

chemische Parameter wie Temperatur, Sauerstoffgehalt, pH-Wert und Alkalini-

tät.

Grundsätzlich können für den Eisenockerrückhalt offene Becken und Makro-

phytenbecken unterschieden werden. Die Retentions- bzw. Durchlaufzeit kann

Page 200: bemessung im wasserbau

192 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker

Abbildung 1: (a) Anlagerung von Eisenhydroxidflocken an Makrophyten in einem neutra-

len Gewässer (Foto: Uhlmann, 2000 in LfULG, 2014)

(b) Mineralbildungen durch Eisen(III)ausfällungen in einem stark sauren

Wasser mit pH = 2,9 und ca. 70 mg/L Eisen-gelöst (LfULG, 2014)

in beiden Fällen durch eine Kammerung des Gesamtvolumens erhöht werden.

Um einen optimalen Betrieb solcher Becken zu erreichen, ist jedoch eine mög-

lichst gleichmäßige Sedimentation über die gesamte Beckenfläche wünschens-

wert und die Entstehung von präferenziellen Fließwegen zu vermeiden.

Nach einer Vordimensionierung basierend auf Ansätzen für Sandfänge, lassen

sich mit Hilfe hydronumerischer Modelle Detailgestaltungen für Absetzbecken

optimieren. In der vorliegenden Studie wird das 3D HN-Modell „SSIIM“ (Ol-

sen, 2014) zur Berechnung von Strömungsstruktur, Retentionszeiten und dem

Absetzverhalten von Eisenocker eingesetzt. Mit SSIIM ist es möglich, neben der

Beckengeometrie auch überströmbare Einbauten sowie Filter- oder Makrophy-

tenstreifen als poröse Medien in das Rechengitter zu implementieren. Das ver-

wendete k-eps Turbulenzmodell mit Berechnung der turbulenten kinetischen

Energie (TKE) liefert zudem einen wichtigen Parameter für das Absetzverhalten

und hat damit Vorteile gegenüber Modellen, die nur mit einem Wirbelviskosi-

täts-Ansatz arbeiten.

a) b)

5 cm 50 cm

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2 Vordimensionierung von Absetzbecken

Bei der Vordimensionierung von Absetzbecken sind zu berücksichtigen:

Erforderliche Länge des Beckens, die sich aus der Absinkrate der Partikel

und der Durchströmgeschwindigkeit ergibt (2.1, 2.4)

Erforderliche Breite des Beckens, die sich aus der Partikelfracht (Bilanz

der aus Ein- und Austrag) und dem geplanten Beräumungszyklus ergibt

(2.2).

Strömungsgünstige Gestaltung, insbesondere der Ein- und Ausläufe, des

Breiten/Längenverhältnisses und ggf. der Kammerungen (2.3)

Vorhandenes Gefälle und nutzbare potentielle Energie für die Etablierung

einer kontinuierlichen Gerinneströmung zwischen Fließgewässer, Becken

und Vorflut.

Realisierung einer betrieblichen Infrastruktur (z.B. für Beräumung mittels

Saugbaggereinsatz und Verspülung in Trockenbeete)

Allgemeine Gestaltungsprinzipien , wie z.B. naturräumlich geeignete Lö-

sungen (Landschaftsbild, Eingriffsminimierung) und eine naturnahe Ge-

staltung.

2.1 Erforderliche Beckenlänge

Die erforderliche Beckenlänge ergibt sich aus der Sinkgeschwindigkeit der Par-

tikel und der Wassertiefe des Beckens (Abbildung 2).

Abbildung 2: Sandfang im Längsschnitt mit linearisierten, mittleren Bahnkurven für ver-

schieden große Körner (aus Patt & Gonsowski, 2011)

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194 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker

Nach dem linearen Weg-Zeit-Gesetz und wenn die effektive Absinkzeit Tv,eff (s)

gerade gleich der Durchlaufzeit Thor (s) entspricht, ergibt sich daraus für die Be-

ckenlänge L (m):

L = u ∙h

weff

(1)

mit: u mittlere Durchlaufgeschwindigkeit = L/Thor (m/s)

weff effektive Sinkgeschwindigkeit der Partikel = h/Tv,eff (m/s)

h Wassertiefe des Beckens (m)

2.2 Erforderliche Beckenbreite

Die Beckenbreite B (m) bestimmt den wirksamen Raum und muss daher in Ab-

hängigkeit von der Partikelfracht festgelegt werden. Gleichzeitig ist die Breite

so festzulegen, dass eine gleichmäßige Durchströmung gewährleistet werden

kann. Giesecke et al. (2014) geben dafür folgende Grenzwerte an:

B ≤L

8 und

h

B≈ 1,25

(2a/b)

Diese können als Richtwerte für die grobe Vordimensionierung angesetzt wer-

den. Die detaillierte Planung muss darüber hinaus eine strömungsgünstige Ge-

staltung berücksichtigen, um Turbulenzproduktion zu vermeiden und den wirk-

samen Absetzraum möglichst groß zu halten.

2.3 Strömungsgünstige Gestaltung

Strömungsablösungen und damit verbundene Turbulenzproduktion wirken sich

negativ auf das Sedimentationsverhalten und damit die Leistungsfähigkeit eines

Absetzbeckens aus. Weiterhin geht durch damit verbundene Rezirkulationsströ-

mungen und Tot-/Stillwasserzonen letztendlich auch wirksamer Absetzraum

verloren. Besonders wichtig sind der Ein- und Auslaufbereich (Abbildung 3)

sowie Ecken und Trennwände bei Kammerungen (Abbildung 4).

Auch zu beachten sind Energieverluste durch zusätzliche Turbulenz, die das

vorhandene Potentialgefälle vermindern und sich damit negativ auf die kontinu-

ierliche Durchströmung der Becken auswirken können.

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Abbildung 3: Langsandfänge (a) bei günstiger Ein- und Ausströmung und großem wirksa-

men Raum, (b) bei Strömungsablösung und damit verringertem wirksamen

Raum (aus Vischer & Huber, 1993)

Abbildung 4: Verringerung von wirksamen Raum durch Eckwalzen und Strömungsablösun-

gen mit Turbulenzproduktion in gekammerten Systemen

Page 204: bemessung im wasserbau

196 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker

2.4 Sinkgeschwindigkeit

Die zentrale Größe für die Dimensionierung der Absetzbecken ist die Sinkge-

schwindigkeit w0 (m/s) im ruhenden Fluid. Sie wird über ein Kräftegleichge-

wicht der Auftriebs- und Widerstandskräfte beim Sinken abgeleitet. Bei geringer

Sinkgeschwindigkeit, d.h. im unteren Re-Bereich (Re < 0,25), gilt nach Stokes:

w0 =1

18 ∙ ν∙ g ∙ d2 ∙

ρS

ρ− 1

(3)

mit: d Partikeldurchmesser (m)

S Partikeldichte (kg/m³)

Dichte Wasser (kg/m³)

g Erdbeschleunigung (m/s²)

kinematische Viskosität (m²/s)

Bei durchströmten Absetzbecken muss zusätzlich die Turbulenz der Strömung

berücksichtigt werden, die den Sedimentationsprozess verzögert und zu vertika-

len Konzentrationsprofilen führt (Abbildung 5). Nach Bagnold (1966) kann die

effektive Sinkgeschwindigkeit weff (m/s) um den Betrag der vertikalen Turbu-

lenzintensität wrms (m/s) reduziert werden (Ortmann, 2006):

weff = w0 − w′rms ≡ w0 −

2

3k

0,5

(4)

mit: k turbulente kinetische Energie (m²/s²) unter Annahme

isotroper Turbulenz (urms= vrms= wrms)

Abbildung 5: Vertikale Geschwindigkeits- und Konzentrationsverteilungen bei ungünstiger

stufenartiger Aufweitung mit Strömungsablösung

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Absetzverhalten von Eisenocker

Bei der Übertragung der vereinfachten Ansätze nach Gl. (3) und (4) auf Eiseno-

cker muss die Kinetik der Ausfällung berücksichtigt werden. Dabei ist zu beach-

ten (LfULG, 2014):

Eine ausreichende Sauerstoffkonzentration im Wasser, um eine vollstän-

dige Oxidation und Hydrolyse zu Eisenhydroxid zu gewährleisten.

Eisenhydroxid ist eine Festphase und bildet im Freiwasser zunächst Mik-

roflocken, die unter schwach sauren und neutralen Bedingungen nur

schwer koagulieren und deshalb lange Zeit in der Schwebe verbleiben.

Mit der Erhöhung des pH-Wertes verbessert sich das Absetzverhalten des

Eisens deutlich.

Die Ausfällung findet bevorzugt an Grenzflächen zwischen Wasser und

Festkörpern statt. Makrophyten weisen durch ihre große Oberfläche daher

eine sehr hohe Rückhalteeffizienz auf, die durch die Sauerstoffproduktion

durch Photosynthese zusätzlich begünstigt wird.

Die genannten Faktoren beeinflussen Dichte und Durchmesser der Flocken wäh-

rend des Beckendurchlaufs und sind unter vertretbarem Aufwand eigentlich nur

integral durch Absetzversuche zu bestimmen.

3 Detailgestaltung mit Hilfe numerischer Modellierung

Die strömungsgünstige Detailgestaltung der Absetzbecken erfolgt mit Hilfe der

numerischen Strömungsmodellierung. Ziel ist dabei, Strömungsablösungen und

erhöhte Turbulenzproduktion zu vermeiden, sowie den wirksamen Absetzraum

zu maximieren und so zu einer möglichst homogenen Ablagerung gesamten Be-

cken zu kommen.

Derzeit laufen hierzu erste Untersuchungen mit dem 3D-Strömungsmodell

„SSIIM“ (Olsen, 2006). Speziell SSIIM hat dabei folgende Vorteile:

Berücksichtigung der dreidimensionalen Strömungscharakteristik im Ein-

und Auslaufbereich (Abbildung 6).

Makrophyten können über einen Porositätsansatz (Zinke, 2012) in das

Rechengitter implementiert werden (Abbildung 7).

k-eps Turbulenzmodell mit Berechnung der turbulenten kinetischen Ener-

gie, die zu einem verzögerten Absinken führt (vgl. 2.4).

Page 206: bemessung im wasserbau

198 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker

Sedimentberechnungen für verschiedene Korngrößenklassen sind über

den Konvektions-Diffusions-Ansatz möglich (Olsen, 2014).

Abbildung 6: Offenes Becken: Fließgeschwindigkeit und Bahnlinien (berechnet mit SSIIM)

Abbildung 7: Flaches Becken mit Makrophytenstreifen im Einlauf (SSIIM)

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4 Ausblick

Dezentrale Absetzbecken, die möglichst weit im Oberlauf liegen, sind ein wich-

tiger Beitrag bei der Reduktion der Eisenbelastung in unseren Gewässern. Auf-

grund der geringen Sinkgeschwindigkeit von Eisenocker und der erheblichen

Frachten ergeben sich aber auch bei geringen Abflüssen bereits beträchtliche

Beckenvolumen. Der Absetzraum sollte durch eine strömungsgünstige Gestal-

tung effizient genutzt werden. Dabei helfen hydronumerische Modelle, in denen

auch die Wirkungen von Einbauten oder Makrophytenstreifen im Ein- oder Aus-

lauflaufbereich untersucht werden können.

Ebenfalls hilfreich bei der Optimierung sind Strömungs-Visualisierungen von

Bahnlinien und daraus bestimmten Verweilzeiten, die bei Eisenocker mehrere

Tage betragen. Eine quantitative Sedimentationsberechnung ist dagegen noch

mit großen Unsicherheiten behaftet. Hier ist sicherlich eine bessere Parametri-

sierung der Flockung und des Absetzverhaltens und damit der Auswirkungen

auf die physikalischen Eigenschaften Dichte, Form und Partikelgröße erforder-

lich.

5 Literatur

Bagnold, R. A. (1966): An Approach to the Sediment Transport Problem from General

Physics. Geological Survey Professional Paper 422 – 1, U.S. Departmenz of the

Interior.

Giesecke, J., Heimerl, S. & Mosonyi, E. (2014): Wasserkraftanlagen - Planung, Bau und

Betrieb. 6. Auflage, Springer Verlag, Berlin, 2014

LfULG (2014): Fließgewässerorganismen und Eisen. Schriftenreihe des Landesamtes für

Umwelt, Landwirtschaft udn Geologie, Freistaat Sachsen, Heft 35/2014.

Olsen, N. R. B.(2014): SSIIM User’s Manual. The Norwegian University of Science and

Technology, Trondheim, Norway (online: http://folk.ntnu.no/nilsol/ssiim/).

Ortmann, C. (2006): Entsander von Wasserkraftanlagen. Dissertation ETH Zürich Nr.

16324.

Zinke, P. (2012): Application of a porous media approach for vegetation flow resistance.

River Flow 2012 - Proceedings of the International Conference on Fluvial

Hydraulics.

Page 208: bemessung im wasserbau

200 Strömungsoptimierte Gestaltung von Absetzbecken für den Rückhalt von Eisenocker

Autoren:

Dr. Ingo Schnauder

Dr. Christoph Gerstgraser

gerstgraser -

Ingenieurbüro für Renaturierung

An der Pastoa 13

03042 Cottbus

Tel.: +49 355 48389 0 +49 355 48389 0

Fax: +49 355 48389 20 +49 355 48389 20 +49 355 48389 20

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Dr. Thomas Koch

Lausitz Energie Bergbau AG

(LEAG)

Vom-Stein-Straße 39

03050 Cottbus

Tel.: +49 355 28872082

Fax: +49 355 28872188

E-Mail: [email protected]

Dr. Wilfried Uhlmann

Institut für Institut f. Wasser u. Boden

(IWB)

Lungkwitzer Str. 12

01259 Dresden

Tel.: +49 351 2709854

Fax: +49 351 4668800

E-Mail: [email protected]

Page 209: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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aa

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Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftli-

cher Anlagen im urbanen Raum

Adrian Schulz

Thomas Geyer

Konrad Thürmer

Ennes Sarradj

Jennifer Stapel

Der Wasser- und Bodenverband Oberland Calau errichtete zur Gewährleistung der ökologi-

schen Durchgängigkeit des Priorgrabens verschiedene wasserwirtschaftliche Anlagen im

Stadtgebiet Cottbus. Hierbei wurden vorhandene Anlagen durch Ersatzneubauten mit inte-

grierten Fischaufstiegsanlagen ersetzt. Nach Umsetzung der Baumaßnahmen kam es vermehrt

zu Beschwerden von Anwohnern bezüglich erhöhter Lärmemissionen. Dies hatte zur Folge,

dass auf dem begehbaren Steg einer Fischaufstiegsanlage eine geneigte Schallschutzwand

errichtet werden musste. Angesichts der starken Zunahme an ökologisch durchgängig ausge-

führten wasserwirtschaftlichen Anlagen ist ein ausführlicher Kenntnisstand und Erkenntnis-

bedarf über die zu erwartenden akustischen Emissionsgrößen solcher Anlagen erforderlich.

Um den Aspekt der Lärmemission für zukünftige Bauvorhaben im urbanen Raum besser mit

in die Vorplanung und Bemessung zu integrieren, wurden in Abhängigkeit der Wasserstands-

Abflussbeziehung für vier verschiedene Bauwerke der frequenzabhängige Schallleistungspe-

gel bestimmt. Hierbei galt es zu klären in welchen Größenordnungen die Belastungen für

Anwohner durch Geräuscheinwirkungen auftreten und wie man diese auftretenden Lärmemis-

sionen nachweisen bzw. messen kann.

Um diesen Fragestellungen nachzugehen, existieren eine Vielzahl von Leitlinien und Grund-

normen zur Bestimmung des Schallleistungspegels, die als Grundlage für diese spezielle Fall-

betrachtung herangezogen wurden. Zur Ermittlung eines geeigneten Messverfahrens erfolgte

eine schalltechnische Prognoseberechnung an ausgewählten Beispielen. Basierend auf der

Analyse des ermittelten Schallleistungspegels betrachteter Anlagen resultierte die Optimie-

rung des Messverfahrens zur Bestimmung des frequenzabhängigen Schallleistungspegels.

Dabei wurden verschiedene Optionen entwickelt und deren Einfluss auf die Gesamtauswir-

kung untersucht. Eine generelle Übertragbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der

Schallausbreitung je nach Bauart ist hierbei jedoch nicht ohne Einschränkungen möglich, da

je nach Standort eine spezifische Betrachtung der Umgebungsfaktoren erfolgen muss. Anhand

der Untersuchungen lassen sich jedoch für zukünftige Bauvorhaben erste Empfehlungen, hin-

sichtlich des möglichen Typs der zu errichtenden Anlage, im urbanen Gebiet abgeben.

Stichworte: Fischaufstiegsanlagen, Schallschutz, Schallleistungspegel

Page 210: bemessung im wasserbau

202 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum

1 Problemstellung

Der Wasser- und Bodenverband „Oberland Calau“ versetze in den letzten Jahren

durch strukturelle Veränderungen und den Bau von Fischpässen an Wehranla-

gen den Priorgraben in ein naturnahes Fließgewässer zurück. Diese Maßnahmen

waren mit der Wiederherstellung der Durchgängigkeit für aquatische Organis-

men verbunden. Nach dem Umbau der Anlage an der Steinteichmühle kam es

vermehrt zum Auftreten von Anwohnerbeschwerden über Lärmbeeinflussung

infolge von Wasserrauschen. Im Zuge dessen musste an diesem Standort eine

Schallschutzwand errichtet werden (siehe Abbildung 1). Angesicht des starken

Anstiegs der Zahl der ökologisch durchgängig ausgeführten wasserwirtschaftli-

chen Anlagen ist ein ausführlicher Kenntnisstand und Erkenntnisbedarf über die

zu erwartenden akustischen Emissionsgrößen solcher Anlagen erforderlich.

Abbildung 1: Geneigte Schallschutzwand an Fischaufstiegsanlage

2 Untersuchungsgebiet

Der Priorgraben als Fließgewässer II Ordnung entspringt südöstlich von Cottbus

zwischen den Ortsteilen Madlow und Kiekebusch aus dem Mühlgraben Der

Mühlgraben ist ein circa 1,5 km langer Altarm der Spree, der linksseitig dieser

in einem großen Bogen vor dem Madlower Wehr abzweigt. Stromabwärts ver-

läuft der Priorgraben durch die Niederung der Sachsendorfer Wiesen und Glin-

ziger Fischteiche, um kurz dahinter das Koselmühlenfließ aufzunehmen. Nach

einer Gesamtlänge von 20 km mündet das Gewässer nahe der Ortschaft Babow

in das Greifenhainer Fließ. Der Priorgraben bildet damit eine wichtige Verbin-

dung zwischen der Spree und dem Oberspreewald. Eine Auflistung der betrach-

teten Bauwerke ist in Tabelle 1 aufgeführt.

Page 211: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 203

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Tabelle 1: Übersicht der betrachteten wasserwirtschaftlichen Anlagen

Wehr Babow

D1

Steinteichmühle

D9

Priormühle

D10

Einlaufbauwerk

D11

Fluss-km 0+700 13+650 18+500 19+900

Art der FAA Rauhgerinne-

Beckenpass

Rauhgerinne-

Beckenpass

Naturnahe Soh-

lengleite

Doppelschlitzpass

Anzahl Becken 7 8 14 10

Wehrfeld Staubohlen

(überströmt)

Schütztafel

(unterströmt)

- Schütztafel

(unterströmt)

3 Methodik

3.1 Akustik

Die wichtigste Messgröße der Akustik ist der Schalldruck p, eine Wechselgröße,

die dem statischen Luftdruck überlagert, jedoch wesentlich kleiner ist. Da der

Schalldruck als zeitabhängige Wechselgröße für die Charakterisierung der Stär-

ke eines Schalles nicht geeignet ist, wird stattdessen der Effektivwert des

Schalldrucks verwendet. Bei akustischen Messungen an Maschinen oder Indust-

rieanlagen wird dazu üblicherweise über eine Messdauer von mindestens 30 s

linear gemittelt. Da der Lautstärkeeindruck des Menschen näherungsweise einer

logarithmischen Skala folgt, wird in der Praxis der sogenannte Schalldruckpegel

(Lp) verwendet.

Um die Schallentstehung einer Maschine oder Anlage anzugeben, ist jedoch der

Schalldruckpegel eher ungeeignet, da dieser sowohl von der Entfernung zur

Schallquelle, von deren Richtwirkung, als auch generell von den örtlichen Ge-

gebenheiten am Messplatz abhängt. Stattdessen wird zur Charakterisierung einer

Schallquelle die sogenannte Schallleistung LW verwendet, welche die erzeugte

Schallenergie einer Quelle pro Zeiteinheit angibt. Wird dieser Schallleistungs-

pegel frequenzabhängig (üblicherweise in Terz- oder Oktavbändern) gemessen,

so lässt sich daraus ein Gesamtschallleistungspegel wie folgt bestimmen:

(1)

Page 212: bemessung im wasserbau

204 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden verschiedene wasserwirtschaftliche

Anlagen in der Umgebung von Cottbus hinsichtlich ihrer Schallemission unter-

sucht. Dazu wurde an verschiedenen Positionen um und über der Anlage durch

Messungen mit einem Handschallpegelmesser der jeweilige Schalldruckpegel

bestimmt. Um eine grobe Aussage zum Einfluss der Fließgeschwindigkeit auf

die Schallerzeugung zu erhalten, wurden am Wehr in Babow sowie am Einlauf-

bauwerk zusätzliche Messungen bei einer von der ersten Messung verschiede-

nen Fließgeschwindigkeit durchgeführt.

Tabelle 2: Übersicht der verwendeten Messraster

Bez. Einlaufbau-

werk D11

Priormühle

D10

Steinteich-

mühle D9

Wehr

Babow D1

Länge Messraster m 32 48 37,5 24

Breite Messraster m 13,3 8,7 14,4 18,23

Höhe Messraster m 2,25 2,25 2,25 2,25

Messfläche m2 629,45 672,75 773,55 627,75

Anzahl Mikrofon-

positionen

- 27 41 32 32

Mikrofonabstand

in Fließrichtung

m 8 6 7,5 6

Messdauer s 30 60 60 60

Für die Bestimmung der Schallleistung einer wasserwirtschaftlichen Anlage aus

gemessenen Schalldruckpegeln gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

1. die Messung entlang eines einfach geformten, geschlossenen Pfades um die

Anlage und die Ermittlung der zugehörigen Messfläche nach DIN EN ISO 8297

(DIN8297)

2. die Messung auf einer die Quelle umschließenden Hüllfläche, entsprechend

der erreichbaren Genauigkeit nach DIN EN ISO 3744 (DIN3744) (für Genauig-

keitsklasse 2) oder DIN EN ISO 3746 (DIN3746) (Genauigkeitsklasse 3)

Obwohl eine Messung nach dem Hüllflächenverfahren (zweite Möglichkeit) bei

vielen wasserwirtschaftlichen Anlagen aufgrund deren Größe und unter Um-

ständen einer begrenzten Zugänglichkeit sehr aufwändig ist, bietet sie den Vor-

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 205

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teil, dass auch eine nach oben gerichtete Schallemission berücksichtigt wird. In

der vorliegenden Studie wurde daher die Schallleistung der unterschiedlichen

Anlagen mit Hilfe des Hüllflächenverfahrens in Anlehnung an DIN EN ISO

3746 durchgeführt. Zu diesem Zweck wurde um die Anlagen jeweils ein etwa

quaderförmiges Messraster definiert, mit dessen Hilfe die Mikrofone positioniert

werden konnten. Beidseitig der Anlagen wurde das Mikrofon dabei in zwei un-

terschiedlichen Höhen von 1,55 m und 2,25 m aufgestellt. Auf Grund der zum

Teil beschränkten Zugänglichkeit der Anlagen war es dabei jedoch nicht in je-

dem Fall möglich, die über den Anlagen befindlichen Messpunkte ebenfalls ide-

al gleichmäßig zu verteilen. Die vorliegende Studie ist daher als erste Untersu-

chung der Durchführbarkeit von Schallemissionsmessungen an solchen Anlagen

zu verstehen. Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die für die akustischen Messun-

gen verwendeten Messraster.

In Abweichung zu DIN EN ISO 3746 konnte in der vorliegenden Untersuchung

kein Störgeräusch gemessen werden, da die wasserwirtschaftlichen Anlagen

zum Zweck der Messung nicht abgeschaltet werden können. Vereinfachend wird

die laut Norm zu berechnende Fremdgeräuschkorrektur K1A an dieser Stelle als

Null angenommen. Da die Messungen im Freien stattfanden, wurde in Überein-

stimmung mit der Norm als Korrekturwert K2A für die Messumgebung ebenfalls

Null angenommen.

Alle akustischen Messungen wurden mit einem Handschallpegelmessgerät der

Klasse 1 und einem 1/4 Zoll Messmikrofon der Klasse 2 durchgeführt, welches

mit einem Windschutz versehen war. Die Messdauer betrug mindestens 30 s, in

ausgewählten Fällen 60 s. Die Messungen wurden gemäß der Norm in Terzbän-

dern mit Mittenfrequenzen von 125 Hz bis 8 kHz durchgeführt.

3.2 Abfluss-Wasserstands-Beziehung

Für die Abflussmessungen wurde als Messgerät der ADC (Acoustic Digital Cur-

rent Meter) der Fima OTT Hydromet GmbH & Co.KG verwendet. Alle vorge-

nommenen Messungen mittels des OTT ADC erfolgten unter Berücksichtigung

von LAWA: „Richtlinie für das Messen und Ermitteln von Abflüssen und

Durchflüssen“, der Pegelvorschrift Anlage D. Gemessen wurde nach dem Prin-

zip des Messlotrechten Verfahrens. An den regelbaren Wehranlagen erfolgte die

Aufnahme der Ober- und Unterwässerstände (OW & UW) durch Ablesen der

Lattenpegel. Für die naturnahe Sohlengleite resultierte die Höhendifferenz (Δh)

zwischen Ober- und Unterwasser aus Nivelliermessungen.

Page 214: bemessung im wasserbau

206 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum

4 Ergebnisse

Abbildung 2 zeigt den Vergleich der ermittelten A-bewerteten Schallleistungs-

pegel für die untersuchten wasserwirtschaftlichen Anlagen als Funktion der

Terzmittenfrequenz. Die während der Messungen vorherrschenden Wasserspie-

geldifferenzen und Fließgeschwindigkeiten sind in Tabelle 3 angegeben (für die

beiden Anlagen, bei denen zwei Messungen durchgeführt wurden, gehört der

jeweils erste Wert zur in Abbildung 2 dargestellten Schallleistung). Es ist er-

sichtlich, dass der spektrale Verlauf bei allen Anlagen grundsätzlich ähnlich ist:

Die Schallleistung steigt von tiefen zu mittleren Frequenzen an (mit etwa 10 bis

12 dB(A) pro Frequenzverdopplung) und erreicht dann bei etwa 1000 Hz bis

1250 Hz das Maximum. Anschließend fällt der Schallleistungspegel mit weiter

steigender Frequenz wieder ab (mit etwa 6 bis 8 dB(A) pro Frequenzverdopp-

lung). Der höchste Schallleistungspegel wurde dabei für die Fischaufstiegsanla-

ge gemessen, das Maximum beträgt hier 85,9 dB(A). Die geringste Schallleis-

tung mit einem Spitzenwert von 73,9 dB(A) ergibt sich für das Wehr Babow.

Das gemessene Schallleistungsspektrum des Wehrs in Babow zeigt neben dem

globalen Maximum bei 1250 Hz noch ein weiteres, lokales Maximum bei 200

Hz. Dieses Schallleistungsmaximum kommt durch einen sehr hohen Schall-

druckpegelmesswert an der Messposition direkt auf dem Bediensteg zustande,

der sich direkt oberhalb des Wehrüberfalls befand. Bereits während der Mes-

sungen ist subjektiv festgestellt worden, dass die Lautstärke an dieser Position

vergleichsweise hoch ist.

Abbildung 2: Diagramm der Schallleistungspegel

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 207

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Tabelle 3: Abflussmessungen

Bez.

Art d. FAA

Einlaufbau-

werk D11

Doppel-

schlitzpass

Priormühle

D10

Naturnahe

Sohlengleite

Steinteich-

mühle D9

Rauhgerinne-

Beckenpass

Wehr

Babow D1

Rauhgerinne-

Beckenpass

mittlere Tiefe m 0,62 0,53 0,45 0,64 0,37 0,42

Fließquerschnitt m2 3,16 2,63 2,48 3,51 2,47 3,56

mittlere Fließge-

schwindigkeit

m/s 0,23 0,21 0,27 0,16 0,25 0,17

Abfluss m3/s 0,73 0,57 0,68 0,56 0,41 0,89

Δh (OW – UW) m 0,61 0,76 1,00 1,06 0,63 0,51

Aus den Einzelschallleistungspegeln bei den Terzmittenfrequenzen von 125 Hz

bis 8 kHz wurde anschließend nach Formel 2 der A-bewertete Gesamtschallleis-

tungspegel berechnet. Dieser ist in Abbildung 3 dargestellt. Es ist ersichtlich,

dass die untersuchten Anlagen Gesamtschallleistungspegel von etwa 82 dB(A)

bis 95 dB(A) aufweisen. Das sind Werte, die in der Tat schon als lästig empfun-

den werden können.

Abbildung 3: A-bewerteter Gesamtschallleistungspegel

Um in einem ersten Schritt die Abhängigkeit der Schallentstehung an ausge-

wählten wasserwirtschaftlichen Anlagen von der Fließgeschwindigkeit bzw., da

diese über den Gewässerquerschnitt stark variieren kann, vom Abfluss zu unter-

suchen, fanden bei zwei der Anlagen zusätzliche Messungen statt. Allerdings

Page 216: bemessung im wasserbau

208 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum

wurde aus Zeitgründen auf eine Messung auf der kompletten Hüllfläche verzich-

tet. Stattdessen wurden Messungen auf nur einer Seite des Gewässers an jeweils

zehn Positionen durchgeführt. Die resultierenden Schalldruckpegel wurden an-

schließend gemittelt, wodurch sich für diese Fläche ein mittlerer A-bewerteter

Schalldruckpegel ergibt, der aber als proportional zum Schallleistungspegel an-

gesehen werden kann.

Abbildung 4 zeigt entsprechend den mittleren Schalldruckpegel für das Wehr in

Babow bei Abflüssen von 0,89 m³/s und 0,41 m³/s. Für den Abfluss von 0,89

m³/s ergibt sich bei einer Frequenz von 1250 Hz ein Maximum des Schalldruck-

pegels von 48,4 dB(A), für den geringeren Abfluss beträgt es 39,8 dB(A). Das

bedeutet, dass eine Abnahme des Abflusses auf etwa die Hälfte eine Reduktion

des maximalen Schalldruckpegels von fast 9 dB bewirkt. Für das Einlaufbau-

werk wurde bei einem Abfluss von 0,73 m³/s ein maximaler mittlerer Schall-

druckpegel von 47,2 dB(A) gemessen, bei 0,57 m³/s sind es nur noch 44,8

dB(A). Hier führt demnach eine Reduktion des Abflusses um etwa 20 % zu ei-

ner Reduktion des gemessenen Schalldruckpegels von fast 2,5 dB (siehe Abbil-

dung 5). Beide Beispiele machen deutlich, dass eine erste, sehr einfache Maß-

nahme zur Lärmminderung wasserwirtschaftlicher Anlagen darin bestehen

könnte, den Abfluss während der Nacht, wenn im Allgemeinen geringere Im-

missionsgrenzwerte (TA Lärm) gelten, zu reduzieren, um ihn dann tagsüber zu

erhöhen.

Abbildung 4: Schalldruckspektrum Wehr Babow

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 209

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Abbildung 5: Schalldruckspektrum Einlaufbauwerk

5 Zusammenfassung

Die Bestimmung der Schallleistungspegel für wasserwirtschaftliche Anlagen ist

generell möglich, auch wenn in der vorliegenden Studie vor allem bei tiefen

Frequenzen teilweise sehr niedrige Schalldruckpegelwerte unter 45 dB(A) ge-

messen wurden. Anhand der vorliegenden Daten ist es nicht möglich, ein Mo-

dell zur Schallvorhersage wasserwirtschaftlicher Anlagen zu erstellen. Zu die-

sem Zweck wäre eine Vielzahl weiterer Messwerte bei verschiedenen Anlagen

und mit variierenden Abflüssen nötig. Zusätzlich wäre eine Erfassung von Pa-

rametern wie der maximalen Fließgeschwindigkeit sehr sinnvoll. Trotzdem zei-

gen die vorhandenen Untersuchungsergebnisse bereits, dass ein auf einer um-

fangreicheren Studie basierendes Schallvorhersagemodell für die zukünftige

Planung wasserwirtschaftlicher Anlagen sehr hilfreich sein könnte.

6 Literatur

DIN EN ISO 3746 (2010): Akustik - Bestimmung der Schallleistungs- und Schallener-

giepegel von Geräuschquellen aus Schalldruckmessungen; Hüllflächenverfahren der

Genauigkeitsklasse 3 über einer reflektierenden Ebene. Normenausschuss Akustik,

Lärmminderung und Schwingungstechnik (NALS), Deutsches Institut für Normung

e. V., Beuth Verlag 2011

DIN ISO 8297 (2000): Akustik - Bestimmung der Schallleistungspegel von Mehr-

Quellen-Industrieanlagen für die Abschätzung von Schalldruckpegeln in der

Page 218: bemessung im wasserbau

210 Beachtung der Schallemission wasserwirtschaftlicher Anlagen im urbanen Raum

Umgebung. Normenausschuss Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik

(NALS), Deutsches Institut für Normung e. V., Beuth Verlag 2000.

LAWA (1991): Pegelvorschrift Anlage D:Richtlinie für das Messen und ermitteln von

Abflüssen und Durchflüssen, Parey 1998

Stapel, J. (2014): Schallemissionen an hydrotechnischen Anlagen am Beispiel von

Sohlengleiten und Fischaufstiegsanlagen. Bachelorarbeit an der BTU Cottbus-

Senftenberg (unveröffentl.), November 2014

TA-Lärm(1998): Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm. Sechste Allgemeine

Verwaltungsvorschrift zum Bundesimissionsschutzgesetz, August 1998

Autoren:

Dipl.-Ing. Adrian Schulz

Institut für Wasserwirtschaft Siedlungs-

wasserbau und Ökologie GmbH

Siemens-Halske-Ring 8

03046 Cottbus

Tel.: +49 355 69 4315

Fax: +49 355 69 3025

E-Mail: [email protected]

Dr.-Ing. Konrad Thürmer

Brandenburgische Technische Universität

Cottbus-Senftenberg

Lehrstuhl Wassertechnik

Siemens-Halske-Ring 8

03046 Cottbus

Tel.: +49 355 69 4303

Fax: +49 355 69 3025

E-Mail: [email protected]

B. Sc. Jennifer Stapel

Brandenburgische Technische Universität

Cottbus-Senftenberg

Fachgebiet Bauliches Recycling

Siemens-Halske-Ring 8

03046 Cottbus

Email: [email protected]

Dr.-Ing. Thomas Geyer

Brandenburgische Technische Universität

Cottbus-Senftenberg

Lehrstuhl Technische Akustik

Siemens-Halske-Ring 14

03046 Cottbus

Tel.: +49 355 69 5012

Fax: +49 355 69 4891

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr.-Ing. Ennes Sarradj

Technische Universität Berlin

Institut für Strömungsmechanik und Tech-

nische Akustik

Einsteinufer 25

10587 Berlin

Tel.: +49 30 314 25928

Fax: +49 30 314 25135

E-Mail: [email protected]

Page 219: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Stauanlagenklassifizierung –

zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?

Friedhelm Garbe

Die gesetzliche Stauanlagenklassifizierung ist in Deutschland nicht einheitlich ge-

regelt und nicht auf die Klassifizierung der technischen Regelwerke abgestimmt.

Die Klassifizierung der technischen Regelwerke ist mit Blick auf die Abgren-

zungskriterien und Stauanlagentypen nicht widerspruchfrei. Die Klassifizierung

auf Grundlage des tatsächlichen Gefährdungspotentials wird in den Regelwerken

nur allgemein beschrieben und findet in Deutschland in der Praxis nur selten An-

wendung. In englischsprachigen, iberischen und skandinavischen Ländern sowie

in China ist das Gefährdungspotential das primäre Klassifizierungskriterium. Die

Bewertung dieses Potentials erfolgt gewöhnlich durch Bruch - und Überflutungs-

analysen. Die Zahl der Stauanlagen dieser Länder und ihr Anteil am Weltstauan-

lagenbestand begründet es, diese Klassifizierungsmethode als den derzeit interna-

tionalen Stand der Technik anzusehen. Mit Blick auf diesen Stand wird vorge-

schlagen, die derzeit in Deutschland festgelegten Klassifizierungskriterien zu

harmonisieren und nach dem Gefahren- und Gefährdungspotential auszurichten.

Stichworte: Stauanlagenklassifizierung, Gefahrenpotential, Gefährdungspotential

1 Zielsetzung der Klassifizierung

In Abhängigkeit von ihrer Größe und Lage sowie der Anlagenart können Stau-

anlagen ein hohes Gefährdungspotential besitzen und im Fall eines Bauwerks-

versagens erhebliche Schäden für Menschen, Sachwerte (materiell und ideell)

und die Umwelt verursachen. Eine Voraussetzung für die öffentliche Akzeptanz

von Stauanlagen ist daher neben sozioökonomischen und ökologischen Frage-

stellungen ihre Sicherheit. International besteht die Übereinkunft, dass die bauli-

che und betriebliche Sicherheit von Stauanlagen sehr hoch sein muss (ICOLD,

1987). Dies gilt umso mehr, wenn ein Versagen der Anlage Menschenleben ge-

fährden könnte.

Die Klassifizierung von Stauanlagen bei Entwurf, Bau und Betrieb bezweckt die

Abstufung der Sicherheitsanforderungen nach festgelegten, einheitlichen Krite-

rien. Hierbei wird davon ausgegangen, dass für eine große Stauanlage mit ho-

hem Gefährdungspotential die Einhaltung einer geringen Versagenswahrschein-

lichkeit erforderlich ist, während für eine kleine Anlage mit geringerem Potenti-

al eine höhere Versagenswahrscheinlichkeit gesellschaftlich akzeptiert wird.

Page 220: bemessung im wasserbau

212 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?

-Si

che

rhe

itsg

rad

+

+ W

irts

chaf

tlic

hke

it -

Abbildung 1: Spannungsfeld von Sicherheitsgrad und Wirtschaftlichkeit

Die Klassifizierung dient vornehmlich dem Ausgleich von Sicherheitsgraden

und Wirtschaftlichkeit (Abb. 1). Sie verfolgt die Zielsetzung, durch eine Klas-

seneinteilung eine begründete, möglichst objektive Staffelung der anzusetzenden

Sicherheitsanforderungen zu schaffen.

2 Stauanlagenklassifizierung in Deutschland

2.1 Landeswassergesetze

Eine Mehrzahl der sechzehn Bundesländer hat in ihren Wassergesetzen explizit

Regelungen zur Stauanlagensicherheit getroffen. Elf Bundesländer setzen Grö-

ßenkriterien und sechs Bundesländer ergänzend das Gefährdungspotential für

die Gültigkeit besonderer Anforderungen an den Bau und Betrieb von Stauanla-

gen fest.

Diese Regelungen können auf das preußische Wassergesetz von 1913 und die

zugehörige Anleitung für den Bau und Betrieb von Talsperren von 1914 zurück-

geführt werden. Dem Jahr 1913 vorangehend wurden bereits in Sachsen (techni-

sche Vorschriften 1904, Anleitung 1908) und Preußen (Anleitung, 1908) unter-

gesetzliche Klassifizierungsregelungen getroffen.

Page 221: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 213

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In den heutigen Landeswassergesetzen werden als Größenmaße die Absperr-

bauwerkshöhe h (mit unterschiedlichem unterem Bezugsniveau zur Krone) und

das gespeicherte Volumen I bei Voll-, Hochwasser- oder Kronenstau festgelegt

(Tabelle 1). Die beiden Maße werden in Baden-Württemberg, Brandenburg und

Thüringen mit „oder“ ansonsten jedoch mit „und“ verknüpft.

Tabelle 1 Gesetzliche Klassifizierung - Größenkriterien deutscher Bundesländer

Bundesland Absperrbauwerkshöhe h > 5 m von der / vom … bis zur Krone I [m3] > Ii =2)

Baden-Württemberg tiefsten Geländepunkt oder 100.000

IB

Berlin Sohle des Gewässers bzw. tiefsten Geländepunkt am Stauwerk und IB

Brandenburg Sohle des Gewässers unterhalb des Absperrbauwerkes bzw. tiefsten

Geländepunkt im Speicher oder 1.000.000 IB

Bremen Sohle des Gewässers und

100.000

IS

Hessen Sohle des Gewässers bzw. tiefsten Geländepunkt im Speicherraum und IS

Niedersachsen Sohle des Gewässers bzw. tiefsten Geländepunkt und IS

Nordrhein-

Westfalen

der Sohle des Gewässers unterhalb des Absperrbauwerks bzw. tiefs-

ten Geländepunkt im Speicher und IB

Saarland Sohle des Gewässers bzw. tiefsten Geländepunkt im Stauraum und IB

Sachsen tiefsten luftseitigen Geländepunkt am Absperrbauwerk und IS

Sachsen-Anhalt Gründungssohle des Absperrbauwerks und IG

Thüringen 1) tiefsten Punkt der Gründungssohle oder IG

1) für Staustufen h > 2,5 m | 2) Ii = Räume nach DIN 4048 Teil 1

An diese gesetzliche Klassifizierung schließen sich regelmäßig die Anforderun-

gen, dass für diese Stauanlagen gesonderte Zulassungen für Bau und Betrieb

erforderlich sind, soweit nicht bereits eine Zulassungspflicht nach Wasserrecht

besteht. Fünf Landeswassergesetze enthalten für gesetzlich klassifizierte Stauan-

lagen die Festlegung, dass diese nach den allgemein anerkannten Regeln der

Technik (a.a.R.d.T.) zu bauen und zu betreiben sind. Erfüllen bestehende Anla-

gen diese Anforderungen nicht, so sind sie anzupassen (Anpassungsgebot). Als

a.a.R.d.T. wird insbesondere die Stauanlagennorm DIN 19700 (2004) in den

Teilen 10 bis 15 angesehen. Die Aufsicht der gesetzlich klassifizierten Stauanla-

gen obliegt in der Regel staatlichen Behörden.

Als ergänzende, rechtliche Vorschrift zu den Landeswassergesetzen ist die thü-

ringische Anleitung für Stauanlagen (TMLNU, 2007) hervorzuheben. Mit vier

Klassen für Talsperren, Hochwasserrückhalte- und Pumpspeicherbecken sowie

drei Wehrklassen führt diese ein gesondertes Klassifizierungsschema nach Grö-

ßenmerkmalen und dem Gefährdungs- / Gefahrenpotential ein.

Page 222: bemessung im wasserbau

214 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?

2.2 Technische Regelwerke

In den technischen Regelwerken Deutschlands findet sich die Klassifizierung

von Stauanlagen in der DIN 19700 (2004) und dem Merkblatt DWA-M 522

(2015). In diesen beiden Regelwerken werden Talsperren und Hochwasserrück-

haltebecken in fünf (Abbildung 2), Staustufen in drei sowie Pumpspeicher- und

Sedimentationsbecken in zwei bzw. drei Klassen unterteilt.

Das Merkblatt DWA-M 522 (2015) behandelt Talsperren und Hochwasserrück-

haltebecken mit Staudämmen und empfiehlt unter Berücksichtigung der DIN

19700 (2004) Teil 11 die Anwendung auch auf Staumauern.

15

6

4

2

groß

mittel

klein

sehr klein

klei

nst

10.000* 50.000 100.000 1.000.000

Stau*- / Gesamtstauraum [m3]

Ab

sper

rbau

wer

ksh

öh

e [m

]

Abbildung 2: Klassifizierung von Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken

Pumpspeicherbecken außerhalb vom Gewässern und Sedimentationsbecken fol-

gen der Einteilung der DIN 19700 (2004) Teil 11 in große (Talsperrenklasse 1)

sowie in mittlere / kleine Talsperren (Talsperrenklasse 2). Sedimentationsbecken

werden abweichend zur Klassifikation der DIN 19700 (2004) Teil 11 bereits mit

mehr als 100.000 m3 Gesamtstauraum der Talsperrenklasse 1 zugeordnet.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 215

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Tabelle 2 Von der Klassenzuordnung abhängige Festlegungen

Bereich von der Klassenzuordnung abhängige Festlegungen Regelwerk

DIN 19700 DWA-M 522

Bemessung

Wahl des Bemessungshochwasserzuflusses Teile 11-13 X

Ermittlung von Verformungen Teil 11 X

Verfahren zum Erdbebennachweis Teil 11

Wahl des Betriebs- / Bemessungserdbebens Teil 11

Langfristsimulation zur Speicherbemessung Teil 11

zu berücksichtigende Tragwiderstandsbedingungen Teil 12

Freibordnachweis Teil 12 X

Entfallen von Tragsicherheitsnachweisen X

Entfallen des Betriebserdbebennachweises X

Überwachung

und

Betrieb

Notwendigkeit des Anschlusses an das Fernmeldenetz Teil 11

Redundanz von Kommunikationseinrichtungen Teil 11

Umfang des Sicherheitsberichts Teil 11

Umfang des Stauanlagenbuchs Teil 11

Turnus / Notwendigkeit zur Aufstellung des Sicherheitsberichtes Teil 12 X

Ersteller des Sicherheitsberichtes X

Häufigkeit von vertieften Überprüfungen X

Notwendigkeit von elektrischen Anlagen Teil 12 X

Umfang von Mess- und Kontrolleinrichtungen Teil 12 X

konstruktive

Gestaltung

Sickerwasserfassung bei Staudämmen Teil 11

Erfordernis von Kontrollgängen bei Staumauern Teil 11

Anzahl der Verschlüsse von Grund- und Betriebsauslässen Teil 11 X

Erfordernis von Revisionsverschlüssen bei Einläufen Teil 11

Anzahl der Grundablässe Teil 11 X

Durchmesser der Grundablassleitung Teil 11 X

Breite der Dammkrone bei Stauhaltungsdämmen Teil 13

Unterhaltungs- und Verteidigungswege bei Stauhaltungsdämmen Teil 13

Art der Betriebseinrichtungen X

Anzahl der Lagen von Oberflächendichtungen bei Staudämmen X

Breite der Dammkrone bei Staudämmen X

Page 224: bemessung im wasserbau

216 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?

Für Staustufen wird die Fallhöhe bei Mittelwasser, bei den übrigen Stauanlagen

die Absperrbauwerkshöhe h oder verschiedene Räume zur Klassifizierung her-

angezogen. Für kleinste Stauanlagen sind die Höhe der Krone über dem luftsei-

tigen Böschungsfuß oder der Stauraum IS bei Vollstau, für die übrigen Stauanla-

gen die Höhe der Krone über der Gründungssohle oder der Gesamtstauraum IG

die geometrischen Maßzahlen.

Zur Klassenzuordnung kann das Gefährdungspotential abweichend bzw. ergän-

zend herangezogen werden. In der DIN 19700 (2004) werden hierzu keine wei-

terführenden Angaben gemacht. Im Merkblatt DWA-M 522 (2015) werden hin-

weisend Gefährdungskriterien genannt. Eine Ermittlungsmethodik wird dort

nicht eingeführt, jedoch auf Schweizer Regelungen verwiesen.

Die Klassenzuordnung ist bestimmend für differenzierte Festlegungen von Be-

messung, Überwachung, Betrieb und konstruktiver Gestaltung (s. Tabelle 2).

Hervorzuheben ist die Wahl der Bemessungsgrößen für Hochwasser und Erdbe-

ben, der Umfang der Zuverlässigkeitsnachweise und Überwachung sowie die

konstruktive Gestaltung der Absperrbauwerke und Betriebseinrichtungen.

3 Stauanlagenklassifizierung im Ausland

In untersuchten englischsprachigen, iberischen und skandinavischen Ländern

sowie in China sind die potentiellen Versagensfolgen das primäre Klassifizie-

rungskriterium (Garbe, 2006). Die Anzahl der Stauanlagen dieser Länder ver-

bunden mit ihrem Anteil am Weltstauanlagenbestand und die Entwicklungshis-

torie der Kriterien zur Bildung von Stauanlagenklassen begründet es, diese

Klassifizierung als den derzeit internationalen Stand der Technik zu bezeichnen.

Tabelle 3 Klassifizierung von Stauanlagen - internationaler Stand der Technik

Gefährdungs- oder

Folgenklasse 1)

Anzahl gefährdeter

Menschenleben

mögliche ökonomische, soziale und

ökologische Schäden

1 sehr hoch große Anzahl ≥ N2) extrem

2 hoch / bedeutend geringe Anzahl < N2) groß

3 niedrig nicht erwartet 0 mäßig

4 sehr niedrig keine 0 gering3)

1) zusätzliche zu dem natürlichen Ereignis auftretende Gefahren / Folgen eines Stauanlagenversagens

2) N zwischen 2 und 100

3) in der Regel beschränkt auf Schäden an den Stauanlagen

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 217

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Dieser Stand in den technischen Regelwerken lässt sich nach Garbe (2006) ge-

neralisiert und gewichtet in Tabelle 3 zusammenfassen. Stauanlagen werden hie-

rin in 4 Gefährdungs- oder Folgeklassen eingeteilt. Um das tatsächliche Gefähr-

dungspotential oder die potentiellen Versagensfolgen zu analysieren, sind in den

meisten dieser Ländern Bruch- und Überflutungsanalysen obligatorisch und da-

mit gleichfalls Stand der Technik. Die in einigen Ländern praktizierte primäre

Klassifizierung nach Höhe und Speicherinhalt kann im Vergleich zum genann-

ten internationalen Stand der Technik nur als Ersatzkriterium angesehen werden.

Als ein sehr differenziertes Klassifizierungssystem ist die Methodik des Bundes-

staates Washington (WSDE, 1993) in den USA anzuführen. Dort erfolgt die Un-

terteilung in fünf „Unterstrom Gefährdungsklassen“ (Tabelle 4). Die Klassenzu-

ordnung erfolgt auf Grundlage der Anzahl gefährdeter Menschen, dem mögli-

chen ökonomischen Verlust sowie möglichen Sach- und Umweltschäden.

Tabelle 4 Klassifizierung von Stauanlagen im Bundesstaat Washington

Gefährdungs- gefährdete

Menschen Sachschäden und ökonomischer Verlust Umweltschäden

potential klasse

hoch

1A >300

extrem: mehr als 100 bewohnte Gebäude,

hoch entwickelte, dicht besiedelte vorstädti-

sche oder städtische Gebiete mit zugehörigen

Industrien, Vermögenswerten, lebenswichti-

ger Infrastrukturen und Einrichtungen schwerwiegendes Verschlechte-

rungspotential der Wasserquali-

tät durch Speicherinhaltsstoffe,

Langzeitwirkungen auf das

aquatische und menschliche

Leben

1B 31-300

extrem: 11-100 bewohnte Gebäude; mittel

besiedelte vorstädtische oder städtische Ge-

biete mit zugehörigen Industrien, Vermö-

genswerten, Infrastruktureinrichtungen

1C 7-30

groß: 3-10 bewohnte Gebäude; wenig besie-

delte vorstädtische oder städtische Gebiete

mit wenig Industrie und Arbeitsplätzen,

Hauptverkehrswege

erheblich 2 1-6

bemerkenswert: 1-2 bewohnte Gebäude,

bemerkenswerte Landwirtschaft oder Ar-

beitsplätze, Verkehrswege von untergeordne-

ter Bedeutung

begrenztes Verschlechterungs-

potential der Wasserqualität

durch Speicherinhaltsstoffe, nur

Kurzzeitauswirkungen

gering 3 0 minimal: keine bewohnten Gebäude, begrenz-

te landwirtschaftliche Entwicklung

keine schädlichen Stoffe im

Speicher

Das Gefährdungspotential wird mit Hilfe von Bruch- und Überflutungsanalysen

ermittelt. Zu deren methodischer Umsetzung enthält die Vorschrift WSDE

(2007) differenzierte Vorgaben. An die Klassifizierung knüpfen sich 8 Bemes-

sungsstufen, die ausgehend von akzeptier- bzw. tolerierbaren Risiken den ein-

zelnen Stufen unterschiedliche jährliche Überschreitungswahrscheinlichkeiten

zuordnen und damit Bemessungsanforderungen für kritische Entwurfselemente

festlegen.

Page 226: bemessung im wasserbau

218 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?

4 Klassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?

Die gesetzliche Stauanlagenklassifizierung ist in Deutschland im Detail sehr un-

einheitlich geregelt (Tabelle 1). Unter Vernachlässigung landespezifischer Be-

sonderheiten sollte es zielführend sein, die geometrischen Größenangaben in den

einzelnen Landeswassergesetzen – mit Anknüpfung an die technischen Regel-

werke - einheitlich zu gestalten. Die Entstehungsgeschichte sowie das mögliche

Gefahrenpotential von Stauanlagen begründen es, als geometrische Merkmale

den Beckenraum IB > 100.000 m3 als Volumen und die Höhe hKG > 5 m - ge-

messen von der Krone bis zum tiefsten Geländepunkt / zur Gewässersohle (luft-

seitig des Absperrbauwerks) - als einheitliche, gesetzliche Klassifizierungsgrö-

ßen in Deutschland vorzuschlagen (Abbildung 3). Die gesetzestextliche Ver-

knüpfung der beider Größen mit „und“ bzw. „oder“ hat gerade in Flächenbun-

desländern eine Verbindung zur behördlichen Stauanlagenaufsicht (Zuständig-

keit, Personaleinsatz) und wird weiterhin länderspezifisch zu regeln sein.

Abbildung 3: Vorschlag zur einheitlichen gesetzlichen Stauanlagenklassifizierung

Mit Blick auf das preußische Wassergesetz von 1913 besitzen diese Größenan-

gaben historisch eine Kontinuität von mehr als 100 Jahren und haben sich für

die Verhältnisse in Deutschland bewährt. In Bezug auf das Gefahrenpotential

fasst der Beckenraum IB das Volumen, welches unter sehr ungünstigen Umstän-

den (Verlegung der Hochwassersentlastungsanlage) bei einem Bauwerksversa-

gen aus dem Becken entweichen kann. Mit der Höhe hKG wird diesem Becken-

raum der zugehörige Wasserstand zugeordnet, der ein sehr ungünstiges Gefah-

renpotential einer versagenden Stauanlage für Überflutungsbereich darstellt. IB

und hKG lassen sich in der Regel aus Bestandsunterlagen oder ggf. vor Ort

(Vermessung) mit vertretbarem Aufwand auch nachträglich ermitteln.

Page 227: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 219

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Für die Praxistauglichkeit ist eine Harmonisierung der Klassifizierung sowohl

zwischen den Landeswassergesetzen und technischen Regelwerken als auch

zwischen einzelnen Stauanlagentypen anzustreben. Folgerichtig sollten auch in

den technischen Regelwerken IB und hKG als geometrische Größenangaben für

alle Stauanlagentypen (einschließlich Staustufen) herangezogen und die Klas-

seneinteilung angepasst werden.

Ein Vorschlag zur Einteilung in vier Stauanlagenklassen enthält Tabelle 5. Sie

bezieht sich auf alle Anlagentypen und orientiert sich an der Anleitung TMLNU

(2007) und der DIN 19700 (1986) Teil 12. Für die Praxis ist es förderlich, eine

Untergrenze der geometrischen Größen festzulegen. In Tabelle 5 richtet sich

diese nach den Hinweisen in BW (2012).

Tabelle 5 Vorschlag zur Stauanlagenklassifizierung- technische Regelwerke

SK geometrische Größen Gefährdungspotential

I groß hKG > 15 m

oder

> 1.000.000 m3 sehr hoch

II mittel 10 m < hKG ≤ 15 m 300.000 m3 < IB ≤ 1.000.000 m3 hoch

III klein 5 m < hKG ≤ 10 m 100.000 m3 < IB ≤ 300.000 m3 bedeutsam

IV sehr klein 1 m < hKG ≤ 5 m 500 m3 < IB ≤ 100.000 m3 gering

SK = Stauanlagenklasse | IB: Beckenraum nach DIN 4048 Teil 1

hKG: Höhe des Absperrbauwerks - luftseitig gemessen von der Krone bis zur Gewässersohle / zum tiefsten Geländepunkt unterhalb

Die Größen IB und hKG sind bestimmende Maßzahlen für das Gefahrenpotential

von Stauanlagen. Als weitere Gesichtspunkte der Gefahreneinstufung (z. B.

nach TMLNU, 2007) können die Betriebsform (gesteuert / nicht gesteuert), die

Überlastbarkeit der Hochwasserentlastungsanlage, der Ausbaugrad, die Verhält-

nisse im Beckenraum (Böschungen, Hänge) und die Lage zum Gewässer

(Haupt- oder Nebenschluss, ohne oberirdischen Zufluss) herangezogen werden.

Bei Sedimentationsbecken ist das Potential zudem von den Inhaltstoffen der Ab-

lagerungen abhängig.

Im Zuge einer Harmonisierung der Stauanlagenklassifizierung sollte das Ge-

fährdungspotential als mitbestimmendes, obligatorisch zu untersuchendes Klas-

sifizierungskriterium in den technischen Regelwerken eingeführt werden. Dies

bedarf einer methodischen Festlegung, diese Gefährdung abzuschätzen und ein-

zustufen. Hierbei ist das Schadensrisiko im Unterstrom der Stauanlage zu be-

werten. Dies ist von der tatsächlichen Nutzung und den betroffenen Schutzgü-

tern und Menschen im Überflutungsbereich einer versagenden Stauanlage und

der sich dort einstellenden Fließgeschwindigkeiten und Wasserstände (Überflu-

tungsintensität) abhängig. Objekt- und aufenthaltsbezogene Schwellenwerte der

Überflutungsintensitäten und Wasserstände, die eine Gefährdung für Menschen

darstellen, sind in BFE (2014) enthalten.

Page 228: bemessung im wasserbau

220 Stauanlagenklassifizierung – zielführend, widerspruchsfrei, praktikabel?

Vereinfacht kann das Gefährdungspotential in Bezug auf die Entfernung der

Stauanlage zur Bebauung und zu Infrastruktureinrichtungen, die Bebauungsart

und die Talform im Unterlauf nur abschätzt werden (z. B. TMLNU, 2007). Vor-

schläge für eine vereinfachte Flutwellen- und Gefährdungsabschätzung enthält

BW (2012). Methoden zur Durchführung von detaillierten Bruch- und Überflu-

tungsanalysen sind in internationalen Regelwerken (z. B. WSDE, 2007, BFE,

2014) enthalten.

5 Literatur

BW (2012): Hinweise zu „Stauanlagen von untergeordneter Bedeutung“ Definition,

Anforderungen und Umgang. AG Stauanlagen in Baden-Württemberg, Dez. 2012

BFE (2014): Richtlinie über die Sicherheit der Stauanlagen Teil B: Besonderes

Gefährdungspotenzial als Unterstellungskriterium, Bundesamt für Energie Schweiz

DIN 19700 (2004): Stauanlagen, Teile 10 – 15 - Deutsche Norm. Beuth Verlag, Berlin,

Normenausschuss Wasserwesen.

DWA-M 522 (2015): Merkblatt DWA-M 522, Kleine Talsperren und kleine

Hochwasserrückhaltebecken, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft,

Abwasser und Abfall e. V., Hennef Mai 2015

Garbe, F.(2006): Konzepte zur Hochwassersicherheit von Talsperren im internationalen

Vergleich. Diplomarbeit, Technische Universität Dresden, Institut für Wasserbau

und technische Hydromechanik, Juli 2006, unveröffentlicht.

ICOLD (1987): Dam safety - Guidelines. International Commission on Large Dams,

Bulletin 59, Paris.

TMLNU (2007): Thüringer Technische Anleitung Stauanlagen (ThürTA-Stau). Thüringer

Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt-Abteilung Wasser,

Boden, Altlasten, Referat Gewässerlandschaft, Wasserbau. Erfurt, 05/2007.

WSDE (1993): Dam Safety Guidelines, Part IV: Dam Design and Construction.

Washington State Department of Ecology. July.

WSDE (2007): Dam Safety Guidelines, Technical Note 1: Dam break inundation analysis

and downstream classification. Washington State Department of Ecology. July.

Autor:

Dipl. Ing. Friedhelm Garbe

Bezirksregierung Arnsberg

Dezernat 54 - Wasserwirtschaft

Hermelsbacher Weg 15

57072 Siegen

Tel.: +49 2931 82 5517

Fax: +49 2931 82 56

E-Mail: [email protected]

Page 229: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsan-

nahmen nach DIN 19700

Reinhard Pohl

Der DWA-Fachausschuss „Talsperren und Flusssperren“ WW4 widmet sich erst-

malig einem sehr sensiblen Thema: Der Stauanlagensicherheit und den möglichen

Folgen einschließlich des Anlagenversagens beim Überschreiten der Bemessungs-

annahmen. Im vorliegenden Aufsatz werden die Grundzüge des diesbezüglichen

Themenheftes 2/2017 vorgestellt.

Stichworte: Stauanlage, Bemessungsannahmen, Talsperrenversagen

1 Einführung

Bis in die Gegenwart hinein galt der oft zitierte Satz, dass die deutschen „Talsper-

ren nach menschlichem Ermessen sicher“ sind. Das ist auch nicht falsch, wenn

einerseits die umfangreichen und klaren Vorschriften zur Gewährleistung der

Stauanlagensicherheit betrachtet werden und die Aussage andererseits so verstan-

den wird, dass die Sicherheit nicht 100% beträgt und somit ein gewisses Restri-

siko verbleibt. Falsch ist sicherlich ein Verständnis, welches von einer vermeint-

lich 100%igen Sicherheit ausgeht und wenn die in der DIN 19700-11:2004-7 ge-

forderte Beschäftigung mit dem verbleibenden Risiko unterbleibt.

Die Notwendigkeit der Befassung mit dem verbleibenden Risiko wird auch daraus

deutlich, dass es in den letzten 4 Jahrtausenden zu zahlreichen, teils spektakulären

und katastrophalen Talsperrenbrüchen gekommen ist. Auch wenn in Deutschland

in den letzten 70 Jahren keine der z. Zt. etwas über 300 großen Talsperren

(H > 15 m; V > 106 m³) gebrochen ist, zeigen die theoretischen Überlegungen in

Tabelle 1, dass die Versagenswahrscheinlichkeit wegen der begrenzten Grundge-

samtheit dennoch nicht Null ist. Bei mittleren Talsperren waren Versagensfälle

zu verzeichnen. Nachdenklich stimmt auch, dass die empirische Wahrscheinlich-

keit von Kernkraftwerkskatastrophen in der Größenordnung des Talsperrenversa-

gens mittlerer Talsperren liegt, wobei die Folgen nicht vergleichbar sind.

Die Brand- und Katastrophenschutzgesetze mehrerer Bundesländer fordern von

Eigentümern und Betreibern von Anlagen mit hohem Gefährdungspotenzial, dass

diese über Unterlagen verfügen, die Aufschluss über den Gefährdungsbereich im

Falle der Gefahrfreisetzung geben. Diese gesetzliche Forderung wird nach der

Page 230: bemessung im wasserbau

222 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700

Beobachtung des Verfassers deutschlandweit unterschiedlich ausgelegt. Insbe-

sondere zu der Frage, ob die Unterlagen unaufgefordert bereitzuhalten, eventuell

zu übergeben oder erst auf Anforderung anzufertigen sind, existieren verschie-

dene Auffassungen. Auch die Frage, ob die EU- Hochwasserrisikomanage-

mentrichtlinie diese „künstlichen“ Hochwasserereignisse miteinschließt, wird zu-

weilen diskutiert.

Tabelle 1 Empirische Talsperrensicherheit (einmalige Versagenswahrscheinlichkeit ei-

nes Absperrbauwerkes in einem beliebigen Jahr)

Empirische Talsperrensicherheit in Deutschland Randbedingungen

Versa-gens-fälle

Mittlere Anzahl der betreffenden Anla-gen (über n Jahre als konstant ange-

nommen) n

Jahre P/a P/a

mittlere Talsperren 6 … 15 m (über 40 Jahre: An-nahme: mittlere Talsperren ca. dreimal so viel wie große Talsperren (z. Zt. 312 TS Kl. 1 - Dams in Germany 2001) ) 5 1000 40 0.000125

1: 8000

große Talsperren (> 15 m) seit 1947 (70 Jahre) kein Versagensfall (Obergrenze des Konfidenzinter-valls mit der χ² -Funktion) 0 250 70 0.000040

1: 25253

große Talsperren (> 15 m) seit 1947 (70 Jahre) kein Versagensfall (adaptiertes Clopper-Pearson-Intervall mit Irrtumswahrscheinlichkeit 2,5%) 0 250 70 0.000250

1: 3994

große Talsperren (> 15 m) seit 1947 (70 Jahre) kein Versagensfall (adaptiertes Clopper-Pearson-Intervall mit Irrtumswahrscheinlichkeit 5%) 0 250 70 0.000211

1: 4744

große Talsperren (> 15 m) seit 1947 (70 Jahre) kein Versagensfall (Score-Methode) 0 250 70 0.000229

1: 4375

Kernkraftwerke weltweit 2 440 40 0.000114 1: 8800

Aus der Sicht des Verfassers lassen sich bei den Eigentümern und Betreibern vier

Sichtweisen erkennen: Die Ersten haben Sondergefahrenkarten erstellen lassen

und veröffentlicht, die Zweiten möchten die bereits erstellten und für eine Anfor-

derung bereitliegenden Karten nicht veröffentlichen, um Fehlinterpretationen und

Missverständnissen vorzubeugen. Die Dritten würden die Unterlagen auf Anfor-

derung erstellen lassen und die Vierten gehen nicht davon aus, dass ihre Anlagen

entsprechende Gefährdungspotenziale darstellen könnten.

Den Verfassern des DWA-Themenbandes „Stauanlagensicherheit und Folgen bei

der Überschreitung der Bemessungsannahmen nach DIN 19700“ schien es an der

Zeit, die im DWA-Fachausschuss „Talsperren und Flusssperren“ entstandene

Auffassung zu diesem Themenkreis der Fachöffentlichkeit mitzuteilen und so den

Anwendern der deutschen Stauanlagennorm Überlegungen, Hinweise und Hilfe-

stellungen zu diesen Fragen an die Hand zu geben.

Page 231: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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2 Bemessung nach dem technischen Regelwerk

Die gegenwärtige Praxis verwendet im Bauwesen unter Bezugnahme auf die Nor-

men und Regelwerke üblicherweise das semiprobabilistische Teilsicherheitskon-

zept. Nach DIN 19700:2004-07 und DIN EN 1990:2010-12 (Eurocode EC 0) ist

bei Stauanlagen die Zuverlässigkeit der Tragwerke nachzuweisen, wobei folgen-

der Ansatz gilt (Abb. 1):

Zuverlässigkeit = Tragfähigkeit + Gebrauchstauglichkeit + Dauerhaftigkeit

Die grundlegenden Anforderungen an die Zuverlässigkeit im vorgenannten Sinne

werden entsprechend DIN 19700-10:2004-07 im Allgemeinen dann erfüllt, wenn

• stabile und widerstandsfähige Tragsysteme gewählt werden,

• geeignete Baustoffe zur Anwendung kommen,

• zutreffende Bemessungs- und Berechnungsverfahren gewählt werden,

• das Absperrbauwerk und zugehörige Einzelbauteile und -bauwerke

zweckmäßig konstruiert werden und

• das Tragwerk überwacht und instandgehalten wird.

Bei der nach DIN 19700: 2004-08 noch zulässigen Anwendung des globalen (de-

terministischen) Sicherheitskonzeptes müssen die widerstehenden Kräfte größer

sein, als die einwirkenden Kräfte multipliziert mit einem bestimmten Sicherheits-

beiwert (z. B. η = 1,3). Beim in jüngerer Zeit oft praktizierten und für bestimmte

Bauwerke auch geforderten Teilsicherheitskonzept müssen die mit Teilsicher-

heitsfaktoren erhöhten Einwirkungen kleiner sein als die entsprechend abgemin-

derten Widerstände, woraus sich ein Auslastungsgrad < 1 ergibt. Weil durch die

verschieden großen, willkürlichen Beiwerte auf beiden Seiten die klare Sicht auf

den zumindest theoretisch berechenbaren Grenzzustand der Tragfähigkeit ver-

wischt wird, hält der Verfasser des vorliegenden Beitrages diese semiprobabilis-

tische Methodik aus erkenntnistheoretischer Sicht für weniger vorteilhaft, wenn-

gleich sie für die Bemessung durchaus praktikabel erscheinen mag. Das DWA-

Merkblatt M542/2016 beschreibt eine Vorgehensweise, die es ermöglicht, auch

für Staumauern und Staudämme Tragfähigkeitsberechnungen unter Berücksichti-

gung von Teilsicherheitsbeiwerten entsprechend den Eurocodes durchzuführen,

wobei die Ergebnisse bezüglich des Sicherheitsniveaus im Wesentlichen demje-

nigen bei Ansatz von globalen Sicherheiten wie bisher entsprechen.

In eine vollständig probabilistische Berechnung würden die Verteilungen aller

Einwirkungen und Widerstände eingehen, so dass für jede potenzielle Versagens-

art und das Gesamtversagen eine sehr kleine Wahrscheinlichkeit z. B. P < 10-3 …

10-6 ermittelt werden könnte. Aus psychologischen Gründen wird häufig die Zu-

verlässigkeit 1-P angegeben, die dann Werte von 99,9 … 99,9999 % annimmt.

Page 232: bemessung im wasserbau

224 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700

Abbildung 1: Zuverlässigkeitsnachweiskonzept für Stauanlagen gemäß DIN 19700-11:2004-

07 (nach Sieber 2009) und DWA-Merkblatt 542)

3 Mögliche Einwirkungen jenseits der Bemessungsannahmen

Stauanlagen sind Einwirkungen ausgesetzt, die natürlichen Schwankungen (Un-

sicherheiten) unterliegen und vor Ansatz eines Bemessungswertes (meist langjäh-

rig) beobachtet oder erkundet werden müssen. Dies betrifft vor allem die Bemes-

sungsabflüsse, Erdbebeneinwirkungen und Windlasten. Jenseits der Bemessungs-

annahmen sind insbesondere folgende Einwirkungen nicht auszuschließen:

Extreme Abflüsse und Hochwasserstände

Außerplanmäßige Überströmung des Absperrbauwerkes

Kritische Überlastung von Betriebseinrichtungen

Unvorhergesehene Hangrutschungen im Beckenbereich

Absperrbauwerk

+ Untergrund

= Tragwerk

Hydrologisch

bedingte

Einwirkungen

Statische und dynamische Einwirkungen

(Kraftwirkungen)

Hochwasser-

bemessungsfälle

Bemessungs-

situationen

Bemessung der

Hochwasser-

entlastungsanlage

Tragwerks-

bemessung

Freibordbemessung, Festlegung der

Kronenhöhe des Absperrbauwerkes

Sicherheitsnachweis gegenüber Versagen infolge hydrologischer Ereignisse

(Anlagensicherheit im Sinne der Überströmsicherheit)

Tragfähigkeits-

nachweis

Tragfähigkeit

+ Gebrauchstauglichkeit

+ Dauerhaftigkeit

= Zuverlässigkeit

Page 233: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Extremerdbeben

Unvorhergesehene Durch- und Unterströ-

mung mit extremen hydraulischen Gradien-

ten, grabende Tiere, Vegetation

Extreme außerplanmäßige Verkehrslasten

Fehlbetrieb, Fehlsteuerung von Anlagen

Gewalteinwirkungen

Abbildung 2: Überströmung einer Staumauer während eines

Extremhochwassers jenseits der Bemessungs-

annahmen (HQ extrem > BHQ2 ; Keul 2011)

Durch jede der vorgenannten Einwirkungen sind in der Vergangenheit Talsper-

renbrüche mit großen Schäden hervorgerufen worden. Durch geeignete Maßnah-

men, die eine zutreffende Bemessung ergänzen, können entweder Schwachstellen

und Defizite erkannt, die Einwirkungen vermindert oder die Folgen reduziert wer-

den:

Abbildung 3: Überströmung einer Technische und personelle Maßnahmen zum Schutz von

kritischer Infrastruktur: Wachturm (Sheriff) und Videoüberwachung, 3 zusätzliche Entlastungs-

öffnungen im Bild rechts (Folsom-Talsperre am American River oberhalb Sacramento, CA.)

Fotos: Pohl)

Regelmäßige visuelle Kontrolle der Bauwerke

Sicherheitsberichte und vertiefte Überprüfungen

Schwachstellenanalyse.

Regelmäßige Wartung, Überprüfung, Funktionskontrollen

Regelmäßige und ausreichende Messungen mit Auswertung

Aus- und Weiterbildung des Personals, effektive Organisationsstruktur

Baumaßnahmen an den Wasserwegen, Revisionsbetrieb in abflussarmen

Zeiten

Page 234: bemessung im wasserbau

226 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700

Videoüberwachung und Bewegungsmeldung, Alarm bei gewaltsamem

Eindringen, einbruchhemmende Türen, Verstärkung von Bauteilen.

Zugangskontrollen, Zugangssperren zu wichtigen Anlagenteilen.

Sicherung der Übertragungswege (z. B. Kabel) für Daten und Signale.

Zusammenarbeit von Betreibern mit Behörden (Orts-, Landes-, Bundespo-

lizei) im Falle einer konkreten Gefährdungslage. Notfallpläne.

4 Ungünstige Bedingungen auf der Widerstandsseite

Während einerseits die Einwirkungen unerwartet hoch oder intensiv sein können,

sind andererseits auch zu geringe Widerstände denkbar. Dazu können beispiels-

weise Materialparameter im Bauwerk und dessen Untergrund beitragen, die nicht

die gestellten Erwartungen erfüllen (Materialfestigkeit (Druck, Zug, Abscheren),

Bodenkennwerte (Reibungswinkel, Kohäsion, Durchlässigkeit, Frostbeständig-

keit, Erosionsbeständigkeit)). Des Weiteren können Funktionsausfälle das Ver-

halten auf der Widerstandsseite extrem nachteilig beeinträchtigen (Verschlüsse

der Wasserwege blockiert; Entwässerungsleitungen und Dränkörper ver-

stopft/kolmatiert; Dichtungselemente im Bauwerk und/oder Untergrund beschä-

digt; Eisfreihaltungsanlagen, Betonkühlsysteme (insbesondere bei Bogenstau-

mauern) ohne Funktion, Antriebe, Überlastabschaltung, Stromversorgung, Was-

serstandsanzeigen, Grenzwertgebern, Stauzielbegrenzer, Überflutungsmelder,

Prozessleit- und Meldesystemen defekt).

Nicht jede Überbeanspruchung führt zu einem Anlagenversagen (s. Abb. 4), weil

in der Bemessung, den Nachweisverfahren, den Modellen, den Materialien, den

Sicherheitszuschlägen, den Mindestfreiborden und den Einwirkungsgrößen ge-

wisse Reserven stecken. Diese werden zunächst aktiviert und erst wenn diese auf-

gezehrt sind, wird der Grenzzustand erreicht. Teilweise sind auch gewisse Selbst-

heilungseffekte z. B. durch Lastumlagerungen oder Kolmation zu beobachten.

5 Operationelle Maßnahmen beim Auftreten von Besonderheiten

und Notfallpläne

Falls Besonderheiten auftreten, müssen im Notfallplan als Teil der Betriebsvor-

schrift (als „Anweisung für das Verhalten im Gefahrenfall und die zu veranlas-

senden Meldungen“ gemäß DIN 19700-10: 2004-07 bzw. als „Melde- und Alarm-

pläne für Hochwasser und andere außerordentliche Ereignisse“ gemäß DIN

19700-11: 2004-07) Handlungsanweisungen vorgegeben sein. Wenn z. B. Risse,

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Verformungen, Bauwerksbewegungen, Wasseraustritte, untypische Sickerwas-

serabflüsse o. ä. beobachtet werden, so ist ein Meldeplan abzuarbeiten. Dazu kann

z. B. eine Information an den zuständigen fachkundigen Ingenieur gehören, der

eine Erstbeurteilung durchführt und gegebenenfalls weitere Maßnahmen auslöst

(z. B. Absenkung des Stauspiegels mit einer zulässigen Absenkgeschwindigkeit,

Alarmmeldung, Information der Katastrophenschutzbehörde und der Unterlie-

ger).

Abbildung 4: Abgestufte Betrachtung zum Versagen von Stauanlagen. Beispiele für die Bean-

spruchung und Überlastung durch Hochwasser (Pohl 2016).

Die Eigentümer und Betreiber von Stauanlagen sind wegen des meist sehr hohen

Gefährdungspotenzials von großen Stauanlagen gesetzlich verpflichtet, die Kata-

strophenschutzbehörden der Bundesländer bei ihren Planungen sowie den Alarm-

und Einsatzplänen zu unterstützen. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Son-

dergefahrenkarten, die den Gefährdungsbereich als Überflutungsplan darstellen.

Daraus sollten auch maximale Wasserstände, Wassertiefen, Wellenlaufzeiten,

Flutausbreitungswege und Evakuierungspfade erkennbar sein.

Sobald für den Stauanlagenbetreiber erkennbar wird, dass die Versagensgefahr

z. B. wegen des progressiven Schadensverlaufes nicht mehr aufzuhalten ist, muss

Page 236: bemessung im wasserbau

228 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700

unmittelbar mit den Maßnahmen entsprechend dem Notfallplan begonnen wer-

den. Besonders im Nahbereich mit den größten Auswirkungen und der kürzesten

Vorwarnzeit muss schnell reagiert werden. Rechtzeitige Warnungen und Evaku-

ierungen der potenziellen Überflutungsbereiche, klare Verhaltensanweisungen

für die Bevölkerung und eine deutliche Ausweisung von Fluchtwegen helfen im

Ernstfall Menschenleben zu retten. Zur Warnung der Unterlieger werden meist

die folgenden Möglichkeiten genutzt:

- Audiotechnik (Sirenen und fest installierte oder mobile Lautsprecher)

- Rundfunk und Fernsehen

- Direktbenachrichtigung über Telefon oder persönliche Von-Tür-zu-Tür-In-

formation.

Notfallübungen helfen bei der Vorbereitung auf den möglichen Fall eines Tal-

sperrenversagens. Sie wer-

den meist als Stabsübung

des Stauanlagenbetreibers

und seines Personals ge-

meinsam mit den Katastro-

phenschutzbehörden ohne

Einbeziehung der Bevölke-

rung durchgeführt, um letz-

tere nicht zu beunruhigen.

Abbildung 5: Modellie-

rung eines hypothetischen Stau-

anlagenbruches und seiner Fol-

gen (Pohl 2008)

6 Talsperrenversagen und Folgenabschätzung

Wenn die potenzielle Gefahrfreisetzung im unwahrscheinlichen Falle eines Anla-

genversagens quantitativ untersucht werden soll, müssen mehrere Bearbeitungs-

stufen durchlaufen werden, die in Abb. 5 dargestellt sind.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass nicht jede außerplanmäßige Einwir-

kung auf das Absperrbauwerk jenseits der Bemessungsannahmen oder mit rech-

nerischem Überschreiten des Grenzzustandes zu einem Bauwerksversagen führt

(Abb. 4 u. 6). Falls dies doch der Fall ist, sind die in Frage kommenden Versa-

gensmechanismen und Bruchszenarien zu beschreiben. Bei Dämmen kommen

vor allem die Überströmung (overtopping) mit rückschreitender Erosion und die

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 229

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Sickerröhrenbildung (piping) auf Grund innerer Erosion vor. Während erstere an

ein meteorologisch-hydrologisches Ereignis geknüpft ist, kann die Durchströ-

mung auch überraschend („aus heiterem Himmel“-„sunny day event“) auftreten.

Abbildung 6: Auswahl von Bruchszenarien an einer Beispieltalsperre bestehend aus einem

Damm mit Massivbauwerk im Bereich der Hochwasserentlastungsanlage (Pohl, Bornschein

2007)

Abbildung 7: Beispiel für eine

Sondergefahrenkarte (aus DWA

T2/2017) mit Darstellung der maximalen

Wassertiefen, der HQ100 Überschwem-

mungsgrenze, der Abflusswerte an den

Kontrollquerschnitten und der Zeiten für

die Wellenankunft und den Wellenschei-

tel ab Dammbruchbeginn. Zusätzlich

wäre noch eine Darstellung der Fließgeschwindigkeit oder der Intensität h∙v möglich (Hinter-

grundkarte: OpenStreetMap)

Beide Verläufe erstrecken sich meist über einen Zeitraum von einer Stunde bis zu

wenigen Stunden und können aus Erfahrungswerten oder mit bodenmechanischen

Modellen beschrieben werden. Das Versagen von Staumauern erfolgt meist rela-

tiv schnell und umfasst entweder einzelne Bauabschnitte/Blöcke oder bei Bogen-

und Gewölbestaumauern zuweilen das gesamte Bauwerk in kürzester Zeit. Aus

Page 238: bemessung im wasserbau

230 Talsperren bei Überschreiten der Bemessungsannahmen nach DIN 19700

den Bruchszenarien und der progressiven Breschenentwicklung wird mit Hilfe

von hydraulischen Modellen die Ausflussganglinie abgeschätzt, die dann die

obere Randbedingung für eine hoch instationäre hydronumerische Berechnung

dient. Diese wird in der Regel soweit nach flussab fortgeführt, bis die Wasser-

spiegellage natürliche Bemessungshochwasserstände erreicht. Die Berechnungs-

ergebnisse werden in so genannten Sondergefahrenkarten dargestellt, aus denen

Evakuierungpläne und Risikokarten abgeleitet werden können.

7 Zusammenfassung

Talsperren werden in Deutschland nach den allgemein anerkannten Regeln der

Technik bemessen, gebaut, betrieben und unterhalten und sind sehr sicher. Den-

noch verbleibt ein sehr geringes Restrisiko, welches transparent gemacht und

identifiziert werden soll, um bei entsprechenden Anzeichen oder Unregelmäßig-

keiten in kurzer Zeit angemessen reagieren zu können. Das vorgelegte DWA-

Themenheft 2/2017 soll einen Beitrag dazu leisten, für den sehr unwahrscheinli-

chen Fall des Eintretens des Restrisikos vorbereitet zu sein, das Ausmaß und die

Versagensfolgen abzuschätzen und die richtigen Maßnahmen zur Risikominde-

rung zu ergreifen. Gleichzeitig wird mit der nun vorgelegten Veröffentlichung die

Tür zu einer risikobasierten Bemessung oder Überprüfung von Stauanlagen ein

Stück weit geöffnet.

8 Literatur

Pohl, R., Aufleger, M., Bettzieche, V., Bieberstein, A., Carstensen, D., Kanne, S., Kast,

K., Knallinger, M., Overhoff, G., Sieber, H.-U., Strasser, K.-H., Banzhaf, P.:

Stauanlagensicherheit und Folgen bei Überschreitung der Bemessungsannahmen

nach DIN 19700.- DWA-Themenheft T2/2017, Deutsche Vereinigung für

Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) Hennef 2017

(mit weiterführenden Literaturangaben)

Autor:

Prof. Dr.-Ing. habil. Reinhard Pohl

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

Technische Universität Dresden

August-Bebel-Straße 30a

01219 Dresden

Tel.: +49 351 46333837 Fax: +49 351 46335654

E-Mail: [email protected]

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echnische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und

Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die

Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau

Bernhard Odenwald

Im Juni 2010 erschien die vollständig überarbeite DIN 19702 für den Nachweis

der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit von Massivbau-

werken im Wasserbau. Dabei wurden die in den internationalen und nationalen

Grundnormen des Bauwesens entwickelten Grundsätze und Begriffe berücksich-

tigt. Einen wesentlichen Einfluss auf die Bemessung von Wasserbauwerken haben

zumeist die aus Grund- und Oberflächenwasser resultierenden Druck- und Strö-

mungskräfte. Diese Kräfte sind i. d. R. nicht nur räumlich sondern auch zeitlich

veränderlich und können oft einen erheblichen Schwankungsbereich aufweisen.

Um einerseits eine ausreichende Sicherheit des Bauwerks zu gewährleisten und

andererseits eine wirtschaftliche Bemessung zu ermöglichen, sind die aus diesen

Einwirkungen resultierenden Kräfte und Beanspruchungen unter Berücksichti-

gung der Schwankungsbereiche und deren Unsicherheiten sowie der gegenseiti-

gen Abhängigkeiten festzulegen. Anhand eines einfachen Beispiels wird die Be-

anspruchung eines Wasserbauwerkes durch Grund- und Oberflächenwasser darge-

stellt. Dabei werden die Schwierigkeiten bei der Festlegung charakteristischer

Werte für die Einwirkungen erläutert, die sich aus der Abhängigkeit der Grund-

wasserverhältnisse von den Oberflächenwasserständen ergeben.

Stichworte: Massivbauwerke, Wasserbau, bautechnische und geotechnischen

Nachweise, Einwirkungen, Grundwasser, Oberflächenwasser

1 Einleitung

An den Bundeswasserstraßen im deutschen Binnenland mit einer Gesamtlänge

von ca. 7.300 km existieren zahlreiche Schleusen und Wehranlagen, die vielfach

bereits ein hohes Alter aufweisen. Deshalb ist davon auszugehen, dass in den

nächsten Jahrzehnten bei den Wasserbauwerken umfangreiche Instandsetzungs-

arbeiten oder Ersatzneubauten erforderlich werden. Sowohl beim Neubau als

auch bei der Instandsetzung von Massivbauwerken im Wasserbau ist die im Juni

2010 erschienene, vollständig überarbeite DIN 19702 für den Nachweis der

Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit maßgebend. Bei der

Überarbeitung der DIN 19702 (2010) wurden die in den internationalen und na-

tionalen Grundnormen des Bauwesens entwickelten Grundsätze und Begriffe

Page 240: bemessung im wasserbau

232

Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die

Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau

berücksichtigt. So wurden z. B. die Berechnungsgrundlagen an das Teilsicher-

heitskonzept angepasst und die Einwirkungen ständigen, vorübergehenden und

außergewöhnlichen Bemessungssituationen zugeordnet, wobei den wasserbau-

spezifischen Einwirkungen Teilsicherheitsbeiwerte zugewiesen wurden (Kunz,

2010). In der im Februar 2013 erschienenen, nochmals geringfügig überarbeite-

ten Fassung der DIN 19702 wurde im Wesentlichen auf die 2012 bauaufsichtlich

eingeführten Eurocodes (Normenreihe DIN EN 1990 ff.) Bezug genommen.

Einen wesentlichen Einfluss auf die Bemessung von Wasserbauwerken haben

zumeist die aus Grund- und Oberflächenwasser resultierenden Druck- und

Strömungskräfte. Dies betrifft sowohl die im Betriebszustand auf das Bauwerk

und den Baugrund einwirkenden Kräfte als auch die während des Bauzustands

auf die Baugrube und deren Verbau einwirkenden Kräfte. Diese Kräfte sind

i. d. R. sowohl räumlich als auch zeitlich veränderlich und können oft einen er-

heblichen Schwankungsbereich aufweisen. Um einerseits eine ausreichende Si-

cherheit des Bauwerks zu gewährleisten und andererseits eine wirtschaftliche

Bemessung zu ermöglichen, sind die aus Grund- und Oberflächenwasser resul-

tierenden Kräfte und Beanspruchungen unter Berücksichtigung der Schwan-

kungsbereiche und deren Unsicherheiten sowie der gegenseitigen Abhängigkei-

ten festzulegen.

Nachstehend wird anhand eines einfachen Beispiels die Beanspruchung eines

Wasserbauwerkes durch Grund- und Oberflächenwasser erläutert. Dabei werden

die normativen Grundlagen für die Ermittlung und den Ansatz von Einwirkun-

gen und Beanspruchungen aus Grund- und Oberflächenwasser in den geotechni-

schen und bautechnischen Nachweisen dargestellt. Insbesondere wird auf die

Schwierigkeiten bei der Festlegung charakteristischer Werte für die Einwirkun-

gen eingegangen, die sich aus der Abhängigkeit der Grundwasserverhältnisse

von den Oberflächenwasserständen ergeben.

2 Beispielberechnung mit charakteristischen Einwirkungen

2.1 Berechnungsmodell

Die Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser auf ein Wasserbauwerk

werden anhand des in Abbildung 1 dargestellten vereinfachten Beispiels einer

Schleusenkammerwand erläutert. Auf der Außenseite wird die Kammerwand

von Oberkante Kammersohle bis zu einer Höhe von 15 m durch den Erddruck

belastet. Die Feuchtwichte des Erdstoffes wird mit = 20 kN/m³ und die Wichte

unter Auftrieb mit ’ = 11 kN/m² angesetzt. Der wirksame Reibungswinkel des

als kohäsionslos (c’ = 0) angenommenen Bodens beträgt ’ = 30°. Vereinfacht

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„Bemessung im Wasserbau“ 233

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wird der Erddruck als horizontal auf die Wand wirkend angenommen. Nach DIN

4085 (2011) wird der erhöhte aktive Erddruck (arithmetisches Mittel aus Erdru-

hedruck und aktivem Erddruck E = ½·(E0 + Ea)) angesetzt. Auf der Innenseite

der Kammerwand wird der Wasserdruck aus dem Schleusenwasserstand mit ei-

nem spezifischen Gewicht des Wassers von W = 10 kN/m³ berücksichtigt.

2.2 Berechnungsbeispiel 1

In dieser Berechnung wird angenommen, dass sich der Grundwasserstand auf

gleicher Höhe wie der Kammerwasserstand 4 m über Kammersohle (auf Unter-

wasserstand) befindet (Abbildung 1). Die daraus resultierenden, charakteristi-

schen Werte des Erddrucks Ek, des von außen wirkenden Grundwasserdrucks

W1,k und des von der Schleusenkammer wirkenden, stützenden Wasserdrucks

W0,k sowie die daraus folgenden charakteristischen Schnittkräfte (Querkraft Qk

und Moment Mk) am Übergang der Kammersohle zur Kammerwand sind eben-

falls aus Abbildung 1ersichtlich.

Abbildung 1: Berechnungsbeispiel 1: Grundwasserstand und Kammerwasserstand 4 m über

Kammersohle

2.3 Berechnungsbeispiel 2

In diesem Berechnungsbeispiel wird ein Grundwasserstand auf Höhe der Gelän-

deoberfläche (15 m über Kammersohle) bei einem Kammerwasserstand von 4 m

über Kammersohle (auf Unterwasserstand) angenommen. Dieses Beispiel stellt

z. B. eine Schleuse in einem staugeregelten Fluss dar, bei der der Grundwasser-

stand bei einem maßgebenden Hochwasser bis auf Geländehöhe ansteigt. Wei-

terhin wird auf der sicheren Seite liegend angenommen, dass der Grundwasser-

stand bei gleichzeitig schnell abfallendem Unterwasserstand zunächst auf dieser

Höhe verbleibt. Dadurch ergibt sich die maximale Wasserstandsdifferenz zwi-

schen dem noch auf Geländehöhe anstehenden Grundwasserstand auf der Au-

ßenseite der Kammerwand und dem bereits wieder auf einen Normalwasser-

Page 242: bemessung im wasserbau

234

Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die

Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau

stand abgefallenen Unterwasserstand auf der Innenseite der Kammerwand. In

Abbildung 2 sind das Berechnungsbeispiel sowie die resultierenden, charakteris-

tischen Werte für die Einwirkungen und die Schnittgrößen dargestellt.

Abbildung 2: Berechnungsbeispiel 2: Grundwassereinstau bis Geländeoberfläche, Kam-

merwasserstand 4 m über Kammersohle

Die durch den erhöhten Grundwasserstand bewirkte Zunahme des äußeren Was-

serdrucks ist wesentlich größer als die Reduzierung des Erddrucks infolge des

Auftriebs. Gegenüber dem Zustand bei ausgeglichenem Grund- und Kammer-

wasserstand (Abbildung 1) erhöhen sich die Schnittgrößen um mehr als 70 %.

2.4 Berechnungsbeispiel 3

In dieser Berechnung wird angenommen, dass der Grundwasserstand maximal

2 m höher ansteht als der Kammerwasserstand, der sich wiederum 4 m über

Kammersohle (auf Unterwasserstand) befindet. Dieses Beispiel stellt z. B. eine

Schleuse in einem Schifffahrtskanal dar, bei dem das Unterwasser als Vorfluter

für das Grundwasser fungiert und der Kanalwasserstand im Oberwasser infolge

einer Dichtung des Kanalbettes deutlich über dem Grundwasserstand ansteht. In

Abbildung 3 sind das Berechnungsbeispiel sowie die resultierenden, charakte-

ristischen Werte für die Einwirkungen und die Schnittgrößen dargestellt.

Bei Annahme eines nur maximal 2 m über dem Kammerwasserstand anstehen-

den Grundwasserstandes erhöhen sich die Schnittgrößen gegenüber dem Zu-

stand mit ausgeglichenem Grund und Kammerwasserstand (Abbildung 1) nur

geringfügig und liegen deutlich unter denjenigen für ein Grundwasserstand auf

Höhe der Geländeoberfläche (Abbildung 2).

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Abbildung 3: Berechnungsbeispiel 3: Grundwasserstand 2 m über Kammerwasserstand,

Kammerwasserstand 4 m über Kammersohle

Insgesamt ist aus den Berechnungsbeispielen ersichtlich, dass die aus dem

Grundwasser und dem Oberflächenwasser resultierenden Wasserdrücke maßge-

bende Einwirkungen für Bemessung der Schleusenkammer darstellen. Dabei hat

die Festlegung des Grundwasserstandes in Verbindung mit dem jeweiligen

Kammerwasserstand einen wesentlichen Einfluss auf die ermittelten Schnittgrö-

ßen.

3 Normative Grundlagen

3.1 Allgemeines

Der Eurocode DIN EN 1990 (2010) ist die neue europäische Grundlagennorm

für die Tragwerksplanung und stellt zusammen mit dem nationalen Anhang DIN

EN 1990/NA (2010) auch die Grundlage für die statische Bemessung von massi-

ven Wasserbauwerken der deutschen Bundeswasserstraßen dar. Die auf dem Eu-

rocode basierende DIN 19702 (2012) legt die ergänzenden, grundlegenden An-

forderungen an die Zuverlässigkeit (Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und

Dauerhaftigkeit) für Massivbauwerke im Wasserbau fest. Eine detaillierte Zu-

sammenstellung der wesentlichen Regelungen dieser Normen für den Ansatz

von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser enthält Odenwald (2011).

3.2 Regelungen der DIN 19702

Für die Ermittlung maßgebender Wasserstände wird festgelegt:

– Bei der Zusammenstellung der jeweiligen Wasserstände ist zu beachten,

dass zu den einzelnen Wasserständen auf einer Seite eines Bauwerks (z. B.

Oberwasser) je nach Art und Nutzung des Bauwerkes ein Spektrum zugehö-

riger, möglicher Wasserstände auf der anderen Seite des Bauwerks (z. B.

Page 244: bemessung im wasserbau

236

Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die

Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau

Unterwasser) sowie ein Spektrum zugehöriger, möglicher Grundwasserstän-

de festzulegen ist.

– Die maßgebenden Wasserstände bei Kanalhaltungen, Kanälen und stehen-

den Gewässern sind entsprechend der Nutzung jeweils für ständige bzw.

veränderliche und außergewöhnliche Einwirkungen festzulegen.

– Die maßgebenden Wasserstände für ein massives Wasserbauwerk an einem

frei fließenden Gewässer sind in der Regel für ständige bzw. veränderliche

Einwirkung aus einem Abfluss mit einem Wiederkehrintervall von T = 100 a

(jährliche Überschreitungswahrscheinlichkeit 10−2) und für die außerge-

wöhnliche Einwirkung mit einem Wiederkehrintervall von T = 1.000 a (jähr-

liche Überschreitungswahrscheinlichkeit 10−3) zu bestimmen.

Für den Ansatz von Einwirkungen und Beanspruchungen aus Grund- und Ober-

flächenwasser in den Tragfähigkeitsnachweisen sind nachstehend die wesentli-

chen Festlegungen der DIN 19702 (2013) aufgeführt, die die Regelungen der

DIN EN 1990 (2010) ergänzen bzw. präzisieren:

– Kräfte aus Wasserdrücken, auch Grundwasserdrücken, sind veränderliche

Einwirkungen. Sie dürfen jedoch für die Bestimmung des Teilsicherheitsbe-

iwertes als ständige Einwirkungen berücksichtigt werden, wenn der Wasser-

druck aufgrund geometrischer Randbedingungen begrenzt ist.

– Eine geometrische Randbedingung liegt z. B. vor, wenn der veränderliche

Wasserstand durch eine Überlaufkante nach oben begrenzt wird. Geometri-

sche Randbedingung können auch durch betriebliche Maßnahmen (z. B. Ab-

senken des Grundwasserstands bei Trockenlegung) herbeigeführt werden.

– Aus Wasserdrücken auf das Bauwerk wirkende Kräfte werden als äußere

Kräfte gesondert berücksichtigt und nicht mit anderen Kräften verrechnet.

Bei um- oder unterströmten Bauwerken oder Bauteilen (z. B. massive Ufer-

wände) dürfen die beidseits wirkenden Wasserdrücke zu einer Einwirkung

zusammengefasst werden.

Für die Tragfähigkeitsnachweise sind die Einwirkungen aus Grund- und Ober-

flächenwasser mit Teilsicherheitsbeiwerten nach Tabelle 1 der DIN 19702

(2013) zu beaufschlagen. Die Teilsicherheitsbeiwerte unterscheiden sich nach

Bemessungssituation und Wirkung (günstig / ungünstig). Ergänzende Erläute-

rungen zur Wahl der Teilsicherheitsbeiwerte für den Ansatz von Wasserdrücken

gibt Kunz (2014).

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4 Beispielberechnung mit Bemessungswerten

4.1 Allgemeines

Die nachstehend aufgeführten Berechnungen basieren auf den in Abschnitt 2

beschriebenen Berechnungsbeispielen. Für die Ermittlung der Schnittkräfte wer-

den jedoch Bemessungswerte der Einwirkungen aus Grund- und Oberflächen-

wasser sowie aus Erddruck anstatt charakteristischer Einwirkungen angesetzt.

Dabei wird nach günstiger oder ungünstiger Wirkung der Einwirkung und dem

Ansatz der Wasserdrücke als veränderliche oder ständige Einwirkung aufgrund

geometrischer Begrenzung unterschieden. Weiterhin wird jeweils die ständige

Bemessungssituation vorausgesetzt.

4.2 Berechnungsbeispiel 2

Der Erddruck als ungünstige, ständige Einwirkung ist mit einem Teilsicherheits-

beiwert = 1,35 zu multiplizieren. Da der Grundwasserstand und der Kammer-

wasserstand unter den hier vorliegenden Annahmen nicht als voneinander ab-

hängig angesehen werden können, ist eine Zusammenfassung der Einwirkungen

aus den beiden Wasserdrücken nicht möglich. Der Wasserdruck aus dem bis zur

Geländeoberfläche reichenden Grundwasserstand ist jedoch geometrisch be-

grenzt und kann deshalb ebenfalls mit dem Teilsicherheitsbeiwert = 1,35 für

ungünstige, ständige Einwirkungen multipliziert werden. Der Kammerwasser-

stand kann bei Ansatz eines unteren Wertes des Unterwasserstandes (z. B. hyd-

rostatischer Stau der unteren Kanalhaltung) ebenfalls als geometrisch begrenzt

angesetzt werden. Der Wasserdruck aus dem Kammerwasserstand ist deshalb

mit dem Teilsicherheitsbeiwert = 1,0 für günstige, ständige Einwirkungen zu

multiplizieren. In Abbildung 4 sind die Bemessungswerte der Einwirkungen aus

Wasser- und Erddrücken sowie der resultierenden Beanspruchungen dargestellt.

Abbildung 4: Berechnungsbeispiel 2, Bemessungswerte

Page 246: bemessung im wasserbau

238

Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die

Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau

Aufgrund des geringen Einflusses des stützenden Kammerwasserdruckes auf die

Schnittgrößen und der geometrischen Begrenzung des Grundwasserstandes ent-

sprechen die Bemessungswerte der Schnittgrößen ungefähr dem 1,35-fachen der

charakteristischen Werte.

4.3 Berechnungsbeispiel 3

Hier wird davon ausgegangen, dass der maßgebende Grundwasserstand 2 m

über dem Kammerwasserstand liegt und dass die beiden Wasserstände ebenfalls

nicht als voneinander abhängig betrachtet werden können. Der aus dem Grund-

wasserstand resultierende Wasserdruck ist nicht geometrisch begrenzt und ist

deshalb mit dem Teilsicherheitsbeiwert = 1,5 für ungünstige, veränderliche

Einwirkungen zu multiplizieren. Der Wasserdruck aus dem Kammerwasserstand

ist aufgrund der angenommenen geometrischen Begrenzung wieder mit dem

Teilsicherheitsbeiwert = 1,0 für günstige, ständige Einwirkungen zu multipli-

zieren In Abbildung 5 sind die Bemessungswerte der Einwirkungen aus Wasser-

und Erddrücken sowie der resultierenden Beanspruchungen dargestellt.

Abbildung 5: Berechnungsbeispiel 3, Bemessungswerte

Aufgrund des wegen fehlender geometrischer Begrenzung erhöhten Teilsicher-

heitsbeiwerts für den Grundwasserdruck liegen die Bemessungswerte der

Schnittgrößen ungefähr um das 1,4-fache über den charakteristischen Werten.

Aus der Gegenüberstellung mit Abbildung 4 ist jedoch ersichtlich, dass bei An-

satz eines lediglich 2 m über dem Kammerwasserstand anstehenden, maßgeben-

den Grundwasserstand die Bemessungswerte der resultierenden Beanspruchun-

gen (Schnittgrößen) um ca. 40 % unter denen aus dem vorangegangenen Bei-

spiel mit Ansatz des Grundwasserstandes auf Geländehöhe (11 m über Kam-

merwasserstand) liegen.

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5 Schlussfolgerungen

Zusammenfassend ergeben sich für den Ansatz der Einwirkungen aus Grund-

und Oberflächenwasser sowie für deren Einfluss auf die Bemessung von Was-

serbauwerken folgende Schlussfolgerungen:

– Die aus Grund- und Oberflächenwasser resultierenden Druck- und ggf. auch

Strömungskräfte stellen meist wesentliche Einwirkungen für die Bemessung

von Wasserbauwerken dar.

– Dabei hat die Festlegung der maßgebenden Grundwasserstände in Verbin-

dung mit den jeweiligen maßgebenden Kammerwasserständen einen maßge-

benden Einfluss auf die Bauwerksbemessung. Dies betrifft auch den Ansatz

von Wasserdrücken als ständige Einwirkungen aufgrund geometrischer Be-

grenzung oder die Zusammenfassung von Einwirkungen aus beidseitig des

Bauwerks wirkenden Wasserdrücken aufgrund gegenseitiger Abhängigkeit.

– Zur Festlegung der maßgebenden Wasserstände (mit einer Überschreitungs-

wahrscheinlichkeit von einem Mal pro Lebensdauer des Bauwerks) sind aus-

reichende Messungen erforderlich Dies gilt insbesondere für Grundwasser-

standsmessungen, bei denen sowohl eine ausreichende Anzahl von Messstel-

len als auch ein ausreichender Messzeitraums sowie ein geeignetes Messin-

tervall benötigt werden. Bei einem frei fließenden oder staugeregelten Ge-

wässer ist zumeist ein Messzeitraum von mindestens drei Jahren mit einem

geeigneten Messintervall zur Erfassung hochwasserbeeinflusster Grundwas-

serstände erforderlich. Dies ist insbesondere notwendig, wenn Aussagen

über die Korrelation zwischen Grund- und Oberflächenwasserständen und

eine daraus resultierende, maßgebende Wasserstandsdifferenz getroffen

werden sollen.

– Aus diesen Gründen ist bei geplanten Baumaßnahmen von massiven Was-

serbauwerken eine frühzeitige Erstellung eines geeigneten Grundwasser-

messsystems mit entsprechender Messdatenerfassung und Messdatenauswer-

tung erforderlich.

6 Literatur

DIN 1054: 2010-12: Baugrund – Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau –

Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1. Beuth Verlag, Berlin

DIN EN 1990: 2010-12: Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche

Fassung EN 1990. Beuth Verlag, Berlin

Page 248: bemessung im wasserbau

240

Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach DIN 19702 für die

Bemessung von Massivbauwerken im Wasserbau

DIN EN 1990/NA: 2010-12: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter -

Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Beuth Verlag, Berlin.

DIN 19702: 2010-06: Massivbauwerke im Wasserbau – Tragfähigkeit, Gebrauchstaug-

lichkeit und Dauerhaftigkeit. Beuth Verlag, Berlin.

DIN 19702: 2013-02: Massivbauwerke im Wasserbau – Tragfähigkeit, Gebrauchstaug-

lichkeit und Dauerhaftigkeit. Beuth Verlag, Berlin.

Kunz, C. (2010): DIN 19702 – Die Norm für massive Wasserbauwerke. Bautechnik

87/12, S. 806-809

Kunz, C. (2014): Ein Beitrag zum Teilsicherheitsbeiwert für Wasserdruck. Bautechnik

91/5, S. 339-446

Odenwald, B. (2011): Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach

neuen Normen. In: Tagungsband zum BAW-Kolloquium „Aktuelle geotechnische

Fragestellungen bei Baumaßnahmen an Bundeswasserstraßen“ am 18. und 19.

Oktober 2011, S. 81 – 89.

Autor:

Dr.-Ing. Bernhard Odenwald

Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) Karlsruhe

Abteilung Geotechnik

Kußmaulstraße 17

76187 Karlsruhe

Tel.: +49 721 9726 3620

Fax: +49 721 9726 4830

E-Mail: [email protected]

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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Zur Bemessung geotextiler Filter

- Das neue Merkblatt DWA-M 511 -

Carl Stoewahse

Michael Heibaum

Katja Werth

Im Jahr 1966 (in Deutschland 1971) wurden die ersten Empfehlungen für Kunst-

stoffe im Wasserbau veröffentlicht. In Deutschland erschienen 1986 Filterregeln

für Gewebe und Vliesstoffe. Inzwischen liegen zahlreiche Erfahrungen national

und international vor, so dass DGGT und DWA, die betreuenden Gesellschaften

der Empfehlungen, eine Überarbeitung initiierten. Der Vergleich der internationa-

len Ansätze zeigt zum Teil erhebliche Unterschiede.

Im Merkblatt DWA-M 511 wurde aus dem Vergleich der international gängigen

Empfehlungen ein neues Bemessungsverfahren entwickelt. Weitere Anforderun-

gen an die hydraulische Filterwirksamkeit, Filterdicken und die Robustheit wer-

den formuliert. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Herleitung des Bemes-

sungsverfahrens.

1 Einleitung

Ein der ersten Anwendungen von Filtergeweben unter einem Deckwerk wird auf

das Jahr 1958 datiert (http://carthagemills.com/). Barrett (1966) beschreibt An-

wendungen dieser "plastic filters" und gibt geometrische und mechanische

Kennwerte an, filtertechnische Angaben fehlen zunächst. Diese werden erst von

Calhoun (1972) veröffentlicht.

Eine Zusammenstellung über die Anwendung von geotextilen Filtern (damals

noch "Vlies- und Gewebefilter aus Kunststoffen") wurde von Zitscher (1971)

erstellt. Filterregeln finden sich in dieser Schrift nicht.

Die ersten umfassenden deutschen Empfehlungen zu geotextilen Filtern wurden

1986 veröffentlicht, 1982 neu aufgelegt und 1992 überarbeitet (DVWK, 1992),

wobei die Filterregeln bestehen blieben.

Inzwischen liegen zahlreiche Erfahrungen national und international vor, so dass

DGGT und DWA, die betreuenden Gesellschaften der Empfehlungen, eine

Überarbeitung initiierten. Der Vergleich der internationalen Ansätze zeigt zum

Teil erhebliche Unterschiede. Daher ist es das Ziel, einen Kompromiss zu fin-

Page 250: bemessung im wasserbau

242 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511

den, der nationale Erfahrungen und internationale Gepflogenheiten in Einklang

bringt.

2 Grundsätze der Filterbemessung

2.1 Allgemeines

Ein Filter soll den Boden vor Erosion infolge von strömendem Wasser oder äu-

ßerer hydraulischer Beanspruchung durch Oberflächenwasser schützen. Um ei-

nen Filter zu bemessen, müssen vier, sich teilweise widersprechende Kriterien

berücksichtigt werden:

I) Der Bodenrückhalt oder die mechanische Filterwirksamkeit: die Bodenpar-

tikel müssen (zum überwiegenden Teil) zurückgehalten werden

II) Die hydraulische Filterwirksamkeit; das zuströmende Wasser muss druck-

frei abgeleitet werden.

III) Die Vermeidung von Kolmation; die Durchlässigkeit des Filters darf im

Betrieb nicht durch eingelagerte Bodenteilchen abnehmen.

IV) Die Robustheit; der Filter darf beim Einbau, Überschütten oder im Betrieb

nicht beschädigt werden.

Bei Filterregeln wird üblicherweise zwischen „hydraulischen" und „geometri-

schen" Ansätzen unterschieden.

2.2 Hydraulische Kriterien

Hydraulische Kriterien enthalten Grenzwerte für den hydraulischen Gradienten,

bei dem ein Transport beginnt. Die Fließgeschwindigkeit oder der hydraulische

Gradient an der Kontaktstelle Boden-Filter müssen bekannt sein. Nur wenn die

hydraulische Beanspruchung dauerhaft so gering ist, dass auch feinere Boden-

partikel nicht bewegt werden, ist ein Filter überflüssig.

Für geotextile Filter gibt es nur wenige hydraulische Kriterien und diese sind

nicht allgemein gültig. Genannt sei hier das Bemessungsdiagramm von Klein

Breteler (2000), das auf Grundlage von Versuchen für gleichförmige Sande mit

0,1 < d90 < 0,25mm und einem Ungleichförmigkeitsgrad CU < 2 entwickelt wur-

de.

Wegen ihrer begrenzten Anwendbarkeit und der unsicheren Ermittlung der

maßgebenden Einwirkungen werden diese Ansätze nicht weiter verfolgt.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 243

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l 5

2.3 Geometrische Kriterien

Geometrische Kriterien enthalten Grenzwerte für Korndurchmesser oder Poren-

kanaldurchmesser, um den Transport von feineren Partikeln durch die Poren-

räume der gröberen Partikel zu verhindern. Für die geometrischen Kriterien

muss die Größenverteilung der Engstellen (nicht der Poren!) bekannt sein.

Da die Verteilung der Engstellen meist einfacher bestimmt werden kann als der

lokale hydraulische Gradient werden meist geometrische Kriterien herangezo-

gen, auch wenn eine Reihe von Annahmen erforderlich ist.

Drei Ansätze haben sich für die praktische Arbeit durchgesetzt. In Nord- und

Südamerika sind die Empfehlungen von Holtz et al. (1997) in Gebrauch, die mit

den kanadischen Empfehlungen erweitert wurden (CFEM, 2006). Daneben ist

die Vorgehensweise nach Luettich und Giroud (1992) weit verbreitet.

In Europa sind mehrere Ansätze gebräuchlich, die allerdings derzeit erneut dis-

kutiert werden. Neben der Überarbeitung der DVWK-Empfehlungen in

Deutschland (DVWK, 1992) wurden die Empfehlungen der französischen Ge-

sellschaft für Geokunststoffe zurückgezogen. Auch in den Niederlanden erfolgte

eine Überarbeitung der bestehenden Regelwerke.

Nachfolgend werden die Kriterien nach CFEM, Giroud und DVWK so weit be-

schrieben, wie es für die Herleitung des neuen Filterkriteriums nach DWA-M

511 erforderlich ist. Eine ausführlichere Darstellung gibt z. B. Heibaum (2015).

CFEM

Holtz et al. (1997) unterteilen die Böden nach dem Korndurchmesser d50 größer

oder kleiner als 0,075 mm und bilden 4 Gruppen in Abhängigkeit von der Un-

gleichförmigkeit.

Wie schon für Kornfilter haben Lafleur et al. (1993) in zahlreichen Versuchen

aufgezeigt, dass auch geotextile Filter über einem Boden mit CU > 6 besonderer

Aufmerksamkeit bedürfen. Auf der Grundlage dieser Versuche wurden entspre-

chende Empfehlungen formuliert.

Die Ergebnisse der Untersuchungen von Lafleur und die Empfehlungen von

Holtz et al. wurden in einem Handbuch der kanadischen geotechnischen Gesell-

schaft verknüpft (CFEM, 2006), wobei als Grenzwert CU = 8 gewählt wurde.

Für stationäre Anströmung des Filters gelten dann für die Öffnungsweite O90 die

Kriterien:

Page 252: bemessung im wasserbau

244 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511

mit B = 1 für CU 2

B = 0,5CU für 2 < CU 4

B = 8/CU für 4 < CU 8

und

für CU > 8

Giroud und Luettich et al.

Giroud (1982) bzw. Luettich, Giroud und Bachus (1992) berücksichtigen die

Ungleichförmigkeitsgrad und zusätzlich den Krümmungskoeffizienten und die

Lagerungsdichte. Daraus wird ein Ansatz für das Verhältnis der Öffnungsweite

O90 zum mittleren Korndurchmesser d50 entwickelt.

Für gleichförmige Böden mit C'u 3 (der Apostroph kennzeichnet Kennwerte

der linearisieren Kornverteilung) wird davon ausgegangen, dass alle feineren

Partikel durch die Gröberen festgesetzt sind. Daher muss ein Filter nur die gro-

ben Partikel zurückhalten. Ferner nimmt Giroud an, dass für einen dicht gelager-

ten Boden mit C'u 3 mindestens zwei Partikel gleichzeitig durch eine Öffnung

im Geotextil durchtreten müssen, um Instabilität im Bodengefüge zu initiieren.

Daraus ergibt sich die Forderung

Für C'U > 3 gilt:

Bei lockerer Lagerung des Bodens kann schon das Durchtreten eines Partikels

durch den Filter zu Instabilitäten im Boden führen und die oben genannten Ver-

hältnisse O90 / d50 reduzieren auf die Hälfte.

DVWK

Das DVWK-Merkblatt 221 (1992) unterscheidet zunächst zwischen drei Kör-

nungsbereichen mit d40 ≤ 0,06 mm, d40 > 0,06 mm sowie d15 ≤ 0,06 mm und

d40 > 0,06 mm.

Für Böden des Körnungsbereichs A mit d40 ≤ 0,06 mm gilt ein konstanter

Grenzwert.

Für die Körnungsbereiche B und C mit d40 > 0,06 mm wird ein Kriterium aufge-

führt, das die Ungleichförmigkeit einbezieht:

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 245

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Das dort genannte zweite Kriterium O90 < 12·d90 ist in den meisten Fällen

nicht relevant.

Die Trennung bei d40 = 0,06 mm führt oft dazu, dass die linke Seite eines Kör-

nungsbandes anders behandelt werden muss als die rechte.

2.4 Vergleich

Die vorgestellten Empfehlungen berücksichtigen alle die Ungleichförmigkeit

des Bodens, beziehen sich allerdings auf verschiedene Korndurchmesser. Um

hier einen Vergleich zu ermöglichen wird in Anlehnung an die Vorgehensweise

von Giroud (1982) die Kornverteilung mit Bezug auf die Ungleichförmigkeit CU

linearisiert, d. h. die Steigung der Verbindungslinie von d10 und d60 gilt für die

gesamte Körnungslinie.

Am Beispiel des DVWK-Kriteriums

ergeben sich die Verhältniswerte der Massenanteile M und der zugehörigen

Korndurchmesser zu:

woraus sich mit (log d60 - log d10) = log (d60/d10) = log CU ergibt:

d’10 und d’50 sind die Korndurchmesser der linearisierten Körnungslinie. Als

Kennzahl für den Bodenrückhalt wird analog zum Abstandsverhältnis nach Cis-

tin/Ziems das Verhältnis von Öffnungsweite O90 zu d50 festgelegt (s. auch Zit-

scher, 1971):

Page 254: bemessung im wasserbau

246 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511

Für die übrigen, oben beschriebenen Ansätze kann entsprechend vorgegangen

werden. Damit ergeben sich dann die in Abbildung 1 dargestellten Zusammen-

hänge.

Alle Empfehlungen stimmen darin überein, für höhere Ungleichförmigkeitszah-

len geringere Verhältniswerte O90/d50 vorzuschreiben. Im Bereich 3 CU 6

werden höhere Werte zugelassen.

Die Kriterien von Giroud (1982) und CFEM enthalten Singularitäten und

Sprünge. Der DVWK-Ansatz ergibt hohe Werte für O90/d50 bei kleinen Un-

gleichförmigkeiten, was allen anderen Ansätzen widerspricht. Es sollten also bei

sehr gleichförmigem Boden kleinere Öffnungsweiten gewählt werden.

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20Ungleichförmigkeitszahl Cu [-]

0

1

2

3

4

5

6

7

Ab

sta

nd

sve

rhä

ltn

is O

90/d

50 [

-]

Giroud dicht

Giroud locker

CFEM

DVWK 221

Abbildung 1: Abstandsverhältnis O90/d50 abhängig von der Ungleichförmigkeitszahl CU

3 Neuformulierung DWA-M 511

3.1 Bodenrückhalt - mechanische Filterwirksamkeit

Nichtbindige Böden

Bei der Neuformulierung des Bemessungsansatzes wurde versucht, die Gemein-

samkeiten der vorgestellten Ansätze zu berücksichtigen, aber gleichzeitig eine

kontinuierliche Abhängigkeit von Öffnungsweite und Ungleichförmigkeitskoef-

fizient zu erreichen und damit Unstetigkeiten zu vermeiden.

Page 255: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 247

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aa

l 5

Zur Anpassung wurde eine modifizierte Lognormalverteilung mit den Stützstel-

len

O90 / d50 = 1 für CU = 1

O90 / d50 5 für CU = 4

O90 / d50 = 1 für CU 20

gewählt. Da in Deutschland mit der Bemessung nach DVWK keine negativen

Erfahrungen gemacht wurden, sollte im Bereich des Sprunges der CFEM-Regel

(CU = 8) etwa das DVWK-Niveau erhalten bleiben.

Somit ergibt sich die Anpassungsfunktion:

Es muss betont werden, dass dies ein empirisch gefundener Kompromiss ist, der

versucht, die verschiedenen Ansätze miteinander zu vereinbaren, und dem keine

neuen Untersuchungen zugrunde liegen.

Um wie beim Ansatz nach Giroud auch die Lagerungsdichte zu berücksichtigen,

wird eine Bandbreite von 10% eingeführt. Das Ergebnis ist in Abbildung 2

aufgetragen.

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20Ungleichförmigkeitszahl Cu [-]

0

1

2

3

4

5

6

7

Ab

sta

nd

sve

rhä

ltn

is O

90/d

50 [

-]

Giroud dicht

Giroud locker

CFEM

DVWK 221

DWA-M 511

Abbildung 2: Abstandsverhältnis O90/d50 abhängig von der Ungleichförmigkeitszahl CU des

Bodens

Page 256: bemessung im wasserbau

248 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511

Suffosionsgefährdete Böden

Bei suffosiven Böden sollte der Filter nicht auf den Rückhalt aller infolge von

Suffosion umlagerbaren Feinteile ausgelegt werden. Die Bemessung des Filters

kann nach Lafleur (1993) mit

O90 ≤ d30

erfolgen.

Bindige Böden

Für bindige Böden gelten Filterkriterien abhängig von ihrer Plastizität und ihrer

undränierten Scherfestigkeit.

3.2 Hydraulische Filterwirksamkeit

Der Mindestwert für die Durchlässigkeit muss die Forderung

kGeotextil 10 100 kBoden

erfüllen. Bei sehr durchlässigem Untergrund und bei unkritischen Randbedin-

gungen (z.B. geringe Gradienten) wird kGeotextil kBoden als ausreichend angese-

hen.

3.3 Filterdicke

Vliesstoffe als Filter verhalten sich analog zu Kornfiltern, da in beiden Fällen

ein dreidimensionaler Porenraum zur Verfügung steht. Der dreidimensionale

Fließweg durch den Filter ermöglicht auch dann eine ausreichende Wasser-

durchlässigkeit, wenn einzelne Porenkanäle durch eingelagerte Partikel blockiert

sind.

Hier ist die Engstellenverteilung abhängig von der Filterdicke und der Fa-

serstruktur. Nach Giroud (1996) ändert sich die Öffnungsweite bei mehr als 25

Engstellen in Fließrichtung nicht mehr. Die 25 Engstellen erfordern eine Min-

destdicke des Filters.

In der Praxis wird die Filterdicke meist abhängig von der Öffnungsweite ange-

geben. Mit dieser Angabe der Öffnungsweite ist zwar keine Aussage über die

Anzahl der Engstellen verknüpft. Diese Abschätzung ist aber ausreichend, da

hiermit erfahrungsgemäß eine ausreichende Anzahl von Engstellen gewährleis-

tet wird.

Um bei geotextilen Filtern eine ausreichende Filtrationslänge zu erreichen ist

eine Mindestdicke von

Page 257: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 249

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l 5

d ≥ 30 · O90

in einer Lage erforderlich.

Für bestimmte Anwendungen wie im Deponiebau und Verkehrswasserbau gel-

ten noch weitergehende Anforderungen.

3.4 Robustheit

Der Einbau stellt für den geotextilen Filter häufig die höchste Beanspruchung

dar. Das Geotextil muss zusätzlich zu seinen mechanischen und hydraulischen

Filtereigenschaften so beschaffen sein, dass es beim Einbau und im Betrieb kei-

ne Schäden davon trägt.

Für geotextile Filter werden im Merkblatt Mindestflächengewichte abhängig

von der Beschaffenheit des benachbart eingebauten Bodens festgelegt. Bei

Überschüttung mit Sand und Kies mit einem Größtkorn bis d = 8 mm ist ein

Flächengewicht von mindestens 300 g/m² erforderlich. Bis hin zu einem Flä-

chengewicht von 1000 g/m² bei Überschüttung mit Steinen von mehr als 60 kg.

Unter Berücksichtigung der Dickenanforderungen aus den Regelwerken z. B.

für den Deponiebau, Küstenschutz und Verkehrswasserbau ist die Forderung

von Mindest-Geotextilrobustheitsklassen aus dem Verkehrswegebau für Fil-

teranwendungen nicht ausreichend.

4 Zusammenfassung

Im Jahr 1966 (in Deutschland 1971) wurden die ersten Empfehlungen für

Kunststoffe im Wasserbau veröffentlicht. In Deutschland erschienen 1986 Fil-

terregeln für Gewebe und Vliesstoffe. Inzwischen liegen zahlreiche Erfahrungen

national und international vor, so dass DGGT und DWA, die betreuenden Ge-

sellschaften der Empfehlungen, eine Überarbeitung initiierten.

Das im Merkblatt DWA-M 511 enthaltene Bemessungsverfahren für geotextile

Filter ist eine Synopse der gängigen international angewendeten Filterkriterien

und vermeidet die in anderen Bemessungsverfahren enthaltenen Singularitäten,

Sprünge und Sonderregelungen.

Die Formulierung des auch für Kornfilter bekannten Filterkriteriums mit dem

Abstandsverhältnis abhängig von der Ungleichförmigkeitszahl bietet eine pra-

xisgerechte Möglichkeit der Filterbemessung. Weitere Kriterien zur hydrauli-

schen Filterwirksamkeit, Dicke und Robustheit werden angegeben.

Page 258: bemessung im wasserbau

250 Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511

5 Literatur

Barrett, R.J. (1966): Use of plastic filters in coastal structures. 10th Conference on

Coastal Engineering, Tokyo, Japan, 5.-8.Sep 1966, Beitrag 3-22 (4 S)

Calhoun, C.C. (1972): Development of design criteria and acceptance of specifications

for plastic filter cloth. Technical Report S-72-7, U.S. Army Corps of Engineers,

Vicksburgh, MS, USA, 105 S.

CFEM (2006): Canadian Foundation Engineering Manual. 4th Edition. Canadian

Geotechnical Society, S.343-356

DVWK (1992): Merkblatt 221 "Anwendung von Geotextilien im Wasserbau". Deutscher

Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau e.V. (DVWK). Hamburg/Berlin:

Parey, 31 S.

Giroud, J.P. (1982): Filter criteria for geotextiles. Proc. 2nd Int. Conference on

Geotextiles, Las Vegas, USA, Vol. 1, S.103-108

Giroud, J.P. (1996): Granular Filters and Geotextile Filters. Proceedings Geofilters ’96,

Montréal, Canada: S.565-680

Holtz, R.D.; Christopher, B.R.; Berg, R.R. (1997): Geosynthetic Engineering. Richmond:

BiTech Publishers Ltd.

Klein Breteler, M.; Pilarczyk, K. (2000): Geotextiles in revetment structures – A Dutch

approach. In: Wolski, W.; Mlynarek, J. (Eds.): Filters and Drainage in Geotechnical

and Environmental Engineering – Geofilters 2000 – Proceedings. Rotterdam:

Balkema 2000, pp. 339-348

Lafleur, J.; Mlynarek, J.; Rollin, A.L. (1993): Filter criteria for well graded cohesionless

soils. In: Brauns, J.; Heibaum, M.; Schuler, U. (Eds.): Filters in Geotechnical and

Hydraulic Engineering - Geofilters'92 - Proc. Rotterdam: Balkema, S. 97-106

Luettich, S. M.; Giroud, J. P.; Bachus, R. C. (1992): Geotextile Filter Design Guide.

Geotextiles and Geomembranes 11, S.355-370

Zitscher, F.F. (1971): Kunststoffe für den Wasserbau. Bauingenieur Praxis Heft 125.

Ernst&Sohn 1971, 225 S.

Autoren:

Dr.-Ing. Carl Stoewahse

GGU Gesellschaft für Grundbau

und Umwelttechnik mbH

Am Hafen 22

38112 Braunschweig

Tel.: +49 531 31 28 95

Fax: +49 531 31 30 74

E-Mail: [email protected]

Dr.-Ing. Michael Heibaum

Bundesanstalt für Wasserbau

Kußmaulstraße 17

76187 Karlsruhe

Tel.: +49 721 9726 3820

Fax: +49 721 9726 4830

E-Mail: [email protected] Dipl.-Ing. Katja Werth

Umtec Prof. Biener Sasse Konertz mbB

Haferwende 7

28357 Bremen

Tel.: +49 421 20 75 9 0

Fax: +49 421 20 75 9 999

E-Mail: [email protected]

Page 259: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

C1

S

aa

l 3

Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im

Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter

Niederschlagsgrößen und deren Beeinflussung auf

die Beckenbemessung

Andre Jurides

Dorit Müller-Gericke

Wolfram Kritzner

Dieser Beitrag möchte die Herausforderungen bei der Bemessung von Hochwas-

serrückhaltebecken aufzeigen und ein Bewusstsein für die Sensibilität bei der

Verwendung hydrologischer Daten schaffen, da dies unmittelbare Auswirkungen

auf die Größe eines Vorhabens, die Wirtschaftlichkeit und den Schutzgrad hat.

1 Veranlassung

In den letzten Jahren kam es in den Ortslagen Oelsa und Rabenau (Landkreis

Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) mehrfach zu Überflutungen. Die Hochwas-

serereignisse vom August 2002 und Juni 2013 verursachten Schäden in Millio-

nenhöhe. Das Hochwasser 2013 verursachte im Gemeindegebiet der Stadt

Rabenau allein an Gewässern II. Ordnung und der öffentlichen Infrastruktur

Schäden in Höhe von 1,91 Mio. Euro.

Um künftige Schäden durch Hochwasser zu verringern wurde 2008 durch die

Stadtverwaltungen Rabenau und Dippoldiswalde ein gemeinsames Hochwasser-

schutzkonzept (HWSK) für den Oelsabach IWB (2008) erstellt. Die

Betrachtung der Überschwemmungsflächen, Gefahrenpunkte und deren Beein-

flussung durch einzelne Maßnahmen ergab, dass für den Hochwasserschutz in

den Ortslagen Oelsa und Rabenau neue Rückhalteräume erforderlich sind.

Die Stadt Rabenau beabsichtigt den Neubau eines Hochwasserrückhaltebeckens

am Waldstadion im Ortsteil Oelsa. Das geplante Hochwasserrückhaltebecken

soll bei Fluss-km 6+260 errichtet werden. Geplant ist ein gesteuertes Becken

ohne Dauerstau. Mit dem Bau des Rückhaltebeckens sowie weiteren Maßnah-

men kann ein Schutzziel HQ100 für Oelsa und Rabenau erzielt werden. Durch

die Retentionswirkung des Beckens lassen sich ferner die Folgen von Hochwas-

serereignissen der Roten Weißeritz für Freital verringern.

Page 260: bemessung im wasserbau

252 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und

deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung

2 Hydrologische Verhältnisse und Angaben zum Einzugsgebiet

Der Oelsabach entspringt südöstlich der Großen Kreisstadt Dippoldiswalde

oberhalb von Reinholdshain auf einer Höhe von 445 m NN und mündet nach

15,5 Kilometern an der Rabenauer Mühle bei 260 m NN in die Rote Weißeritz.

Das mittlere Sohlgefälle beträgt 1,2 %. Das Gesamteinzugsgebiet des Oelsaba-

ches besitzt eine Größe von 28,8 km² (Abbildung 1).

Das Gewässer verläuft außerorts durch Wald und freien Landschaftsraum.

Innerhalb der Ortslagen ist der Oelsabach überwiegend ein naturfernes,

technisches Gerinne und weist eine Vielzahl an Kreuzungsbauwerken (Brücken,

Stege, Verrohrungen, Durchlässe etc.) auf. Im Bereich des geplanten

Hochwasserrückhaltebeckens besitzt der Oelsabach ein Sohlgefälle von 0,58 %.

Das Einzugsgebiet bis zur geplanten Absperrstelle beträgt etwa 19,6 km².

Abbildung 1: Einzugsgebiet Oelsabach und geplanter Beckenstandort (Kartenauszug TK50)

Beckenstandort

natürliches Einzugsgebiet

AE = 28,80 km²

Page 261: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 253

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l 3

3 Hydrologische Grundlagen

3.1 Niederschlags-Abfluss-Modell

Das Hochwasserschutzkonzept Oelsabach verwendet ein Niederschlags-Abluss-

Modell. Das Modell wurde mit Hilfe der Software Hochwasseranalyse und

-berechnung IWG (2012) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) erstellt.

Die Berechnungen der hydrologischen Abflussprozesse basieren auf den Regio-

nalisierungsansatz nach LUTZ (1984). Dabei werden sowohl gebietsspezifische

als auch ereignisspezifische Parameter berücksichtigt.

Als gebietsspezifische Parameter zählen z.B. die Einzugsgebietsfläche, die Form

des Einzugsgebietes, das Geländerelief, die anstehenden Bodenarten, die Fluss-

bettgeometrie, die Vorfluterdichte sowie der Versiegelungs- bzw. Bebauungs-

grad. Aus diesen Parametern erhält man für ein Einzugsgebiet den Endabfluss-

beiwert, der als maximaler Abflussbeiwert für das Einzugsgebiet zu verstehen

ist. Der Endabflussbeiwert ist aber auch von ereignisspezifischen Kenngrößen

wie der Niederschlagsintensität und Niederschlagsdauer, der Jahreszeit, der Ve-

getation, der Vorfeuchte des Bodens und der Wetterlage abhängig.

Eine relevante Eingangsgröße in das N-A-Modell stellt der Gebietsniederschlag

dar. Die Datengrundlage wurde im Vorfeld der Bemessung in Abstimmung mit

den zuständigen Behörden auf Aktualität geprüft und hinsichtlich der Eignung

beurteilt. Hierfür standen folgende Möglichkeiten zur Verfügung:

Datenbasis A Niederschlagshöhen nach KOSTRA-DWD-2000

Datenbasis B Niederschlagshöhen nach KOSTRA-DWD-2000 unter

Berücksichtigung eines Toleranzzuschlages von bis zu 20%.

Datenbasis C Niederschlagshöhen der Station Dippoldiswalde Reinberg für

eine 57-jährige Zeitreihe (1951 – 2008) welche durch die

LTV (2012) statistisch ausgewertet und bereitgestellt wurde.

Abbildung 2 vergleicht die Niederschlagshöhen hN [mm] für die untersuchten

Regendauerstufen D = 1 bis 72 Stunden und dem Wiederkehrintervall T = 100a.

Für das 100-jährige Regenereignis liegen die Werte der Datenbasis C im Mittel

um + 48 % über den Werten der Datenbasis A.

Im Ergebnis der N-A-Berechnung sind in Abbildung 3 die zugehörigen Hoch-

wasserganglinien für das HQ100 dargestellt.

Page 262: bemessung im wasserbau

254 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und

deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung

52,0

64,4 68,1 73,9

85,0

110,0

165,0

185,0

62,4

77,3 81,7 88,7

102,0

132,0

198,0

222,0

74,1

97,5 103,7

116,0

138,0

164,0

216,0

255,0

0

50

100

150

200

250

300

1 3 4 6 12 24 48 72

Nie

der

sch

lag

shö

he

hN

[mm

]

Regendauer D [h]

Datenbasis A: KOSTRA-Werte

Datenbasis B: KOSTRA-Werte zzgl. Toleranzzuschlag

Datenbasis C: Regendaten der Station DW-Reinberg

Abbildung 2: Vergleich der Niederschlagshöhe hN [mm] für T = 100a und D = 1….72 h

0

5

10

15

20

25

30

35

- 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24

Du

rch

flu

ss

[m³/

s]

Zeit T [h]

HQ100 nach Datenbasis A

HQ100 nach Datenbasis B

HQ100 nach Datenbasis C

Abbildung 3: Vergleich der Zuflussganglinien für T = 100a und D = 4 h

11,9 m³/s

19,3 m³/s

32,7 m³/s

maßgebende Regendauer

Page 263: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 255

C1

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l 3

3.2 Retentionsberechnung

Die Ergebnisse der Retentionsberechnung sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1 Ergebnisse der Retentionsberechnung im Vergleich

Datenbasis A Einheit HQ5 HQ10 HQ20 HQ50 HQ100

Stauziel m NHN 310,44 310,79 311,41 311,95 312,67

Stauhöhe m 0,44 0,79 1,41 1,95 2,67

Stauraum m³ 1.000 4.000 13.000 26.000 52.000

Zufluss m³/s 4,20 5,00 5,60 7,40 11,90

Abfluss m³/s 4,10 4,50 4,50 4,50 4,50

Wirkung % ↓ 2% ↓ 10% ↓ 20% ↓ 39% ↓ 62%

Datenbasis B Einheit HQ5 HQ10 HQ20 HQ50 HQ100

Stauziel m NHN 310,55 311,18 312,28 312,97 313,86

Stauhöhe m 0,55 1,18 2,28 2,97 3,86

Stauraum m³ 2.000 9.000 37.000 66.000 119.000

Zufluss m³/s 4,80 5,70 9,00 13,70 19,30

Abfluss m³/s 4,50 4,50 4,50 4,50 4,50

Wirkung % ↓ 6% ↓ 21% ↓ 50% ↓ 67% ↓ 77%

Datenbasis C Einheit HQ5 HQ10 HQ20 HQ50 HQ100

Stauziel m NHN 310,68 312,10 312,60 314,00 315,35

Stauhöhe m 0,68 2,10 2,60 4,00 5,35

Stauraum m³ 3.000 31.000 50.000 129.000 253.000

Zufluss m³/s 5,10 8,70 10,70 20,20 32,70

Abfluss m³/s 4,50 4,50 4,50 4,50 4,50

Wirkung % ↓ 12% ↓ 48% ↓ 58% ↓ 78% ↓ 86%

Es wird ersichtlich, dass eine Veränderung der KOSTRA-Werte um + 20 % für

das HQ100 eine Erhöhung des Stauzieles von 312,67 m NHN (Datenbasis A)

um +1,19 m auf 313,86 m NHN (Datenbasis B) bewirkt und der erforderliche

Stauraum für das Schutzziel HQ100 sich von 52.000 m³ (Datenbasis A) auf

119.000 m³ (Datenbasis B) mehr als verdoppelt. Dadurch ist unter Berücksichti-

gung eines Mindestfreibordmaßes von f = 1,00 m ein um +1,19 m höherer

Dammkörper erforderlich.

Page 264: bemessung im wasserbau

256 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und

deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung

Bei Verwendung der Niederschlagsdaten der Station Dippoldiswalde-Reinberg

(Datenbasis C) liegt die Niederschlagshöhe für das 100-jährige Regenereignis

um + 52,2 % über KOSTRA bzw. um +26,9 % über KOSTRA mit Toleranzzu-

schlägen. Dies führt zu einem Anstieg des Stauzieles um weitere +1,49 m ge-

genüber der Datenbasis B bzw. sogar um + 2,68 m gegenüber der Datenbasis A.

Bei gleichbleibender Dammkronenbreite und einheitlicher Böschungsneigung

nehmen jedoch der Dammquerschnitt und damit auch das Dammvolumen

unproportional zu. Dies wirkt sich letztlich auch in den Herstellungskosten für

das Dammbauwerk und damit auch in den Projektkosten für das gesamte Vor-

haben aus.

In Abbildung 4 ist der in der Retentionsberechnung ermittelte erforderliche

Stauraum für Wiederkehrintervalle T = 5 bis 100 Jahre in Abhängigkeit der

verwendeten Niederschlagsdaten dargestellt.

1.000 4.000 13.000

26.000

52.000

70.000 80.000

2.000 9.000

37.000

66.000

119.000

150.000

180.000

3.000 31.000

50.000

129.000

253.000

315.000

371.000

-

50.000

100.000

150.000

200.000

250.000

300.000

350.000

400.000

5 10 20 50 100 500 5000

erfo

rder

lich

er S

tau

rua

m [

m³]

Jährlichkeit T [a]

Datenbasis A: KOSTRA-Werte

Datenbasis B: KOSTRA-Werte zzgl. Toleranzzuschlag

Datenbasis C: Regendaten der Station DW-Reinberg

Abbildung 4: Vergleich der erforderlichen Stauvolumina

In Abstimmung mit dem Auftraggeber und der Landesdirektion Sachsen wurde

die Verwendung von stationsbezogenen Niederschlagsdaten festgelegt, da sich

seit Erstellung des HWSK die Datenbasis für den KOSTRA-Atlas geändert hat

und regionale Niederschlagsdaten qualitativ und quantitativ geeigneter sind.

Page 265: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 257

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4 Technische Lösung

Die Bemessung ergab in Abhängigkeit der verwendeten Eingangsdaten unter-

schiedliche Dammhöhen und Baukosten. Die Nettobaukosten wurden auf Preis-

basis 2016 ermittelt und berücksichtigen keine Betriebs-, Wartungs- und Rein-

vestitionskosten.

Daten-

basis

Stau-

raum

Damm-

höhe

Grund-

fläche

Damm-

volumen

Nettobau-

kosten

A 52.000 m³ 7,00 m 4.000 m² 11.300 m³ 1,30 Mio. €

B 119.000 m³ 8,20 m 4.700 m² 15.600 m³ 1,78 Mio. €

C 253.000 m³ 9,70 m 5.600 m² 22.000 m³ 2,51 Mio. €

Der gewöhnliche Stauraum bis zum Vollstauziel Zv = 315,35 m NHN beträgt

IGHR = 253.000 m³. Für die Hochwasserstauziele Zh,1 (BHQ1) und Zh,2 (BHQ2)

nach DIN 19700 wird ein außergewöhnlicher Stauraum von IAHR = 118.000 m³

ausgewiesen. Mit einer Dammhöhe von 9,70 m über Gründungssohle und einem

Gesamtstauraum von 371.000 m³ gehört die Anlage nach DIN 19700-12 in die

Gruppe der mittleren Becken. Abbildung 5 zeigt die Einstauflächen für das ge-

plante Becken.

Abbildung 5: Einstauflächen

Der geplante Damm soll als homogenes Erdbauwerk errichtet werden und das

Oelsabachtal auf einer Breite von rund 200 m absperren. Die Aufstandsfläche

des Dammkörpers beträgt 5.600 m². Für den Dammbau werden ca. 22.000 m³

Erdstoff benötigt. Das Bauwerk soll eine überströmbare Dammscharte als

Hochwasserentlastung erhalten. Die Neigung der Dammböschungen wird regu-

lär mit 1 : 2,5 und im Bereich der Dammscharte mit 1 : 4 ausgeführt.

Page 266: bemessung im wasserbau

258 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und

deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung

5 Ausblick

Die Vorplanung wurde bereits 2010 abgeschlossen. Im Jahr 2011 erfolgte

eine positive UVP-Vorprüfung bei der Landesdirektion Sachsen. Die Entwurfs-

und Genehmigungsplanung wurde Ende 2012 fertiggestellt.

Anfang 2013 wurde jedoch die Zulässigkeit des Vorhabens aus naturschutzfach-

licher und raumordnerischer Sicht in Frage gestellt, da das Vorhabensgebiet Teil

des Landschaftsschutzgebietes „Dippoldiswalder Heide und Wilisch“ ist und

außerdem im FFH-Gebiet „Täler von Roter Weißeritz und Oelsabach“ liegt. Als

Teil der Natura-2000-Gebiete der Europäischen Union zeichnet sich dieses Ge-

biet durch wertgebende Lebensraumtypen aus.

Der Untersuchungsraum befindet sich außerdem in einem regionalplanerisch

festgesetzten Vorranggebiet für Natur und Landschaft. Daher wurde 2014/15

zunächst ein raumordnerisches Zielabweichungsverfahren nach § 16 SächsLPlG

i. V. m. § 6 Abs. 2 ROG bei der Landesdirektion Sachsen durchgeführt.

Mit Bescheid von Oktober 2015 kann von den raumordnerischen Zielen abgewi-

chen werden, wenn wirksame Kohärenz- und Ausgleichsmaßnahmen zur Siche-

rung des NATURA-2000 Schutzgebietssystems ergriffen werden.

Im Jahr 2016 wurde die Ingenieur- und Umweltplanung anhand der aktuellen

Planungsrandbedingungen vollständig überarbeitet. Ziel ist es Anfang 2017 das

Planfeststellungsverfahren bei der Landesdirektion zu eröffnen.

Abbildung 6: Hochwasser in der Ortslage Oelsa (links) und Überflutungsbeginn am

Waldstadion (rechts) am 03.06.2013

Page 267: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 259

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6 Zusammenfassung

Die differenzierte Analyse der zur Verfügung stehenden Niederschlagsdaten und

deren Auswertung war nicht ursprüngliches Planungsziel und ergab sich erst im

Laufe der Beckenbemessung (Retentionsberechnung).

Die Vorplanung (2010) verwendete KOSTRA-Werte zzgl. eines Toleranz- und

Statistikzuschlages in Höhe von jeweils 20 %. Der so bestimmte Hochwasser-

bemessungsabfluss betrug 24,20 m³/s. Die Retentionsberechnung ergab einen

erforderlichen Stauraum von 180.000 m³ und führte zu einem 6,00 m

hohen Damm. Damals wurden Baukosten in Höhe von 1 Mio. Euro brutto aus-

gewiesen. In der Entwurfsplanung (2012) wurden stationsbezogene Daten einer

57-jährigen Zeitreihe (1951 - 2008) für den Regenschreiber Dippoldiswalde-

Reinberg verwendet. Daraus ergab sich ein um 35 % höherer Hochwasser-

bemessungsabfluss von 32,70 m³/s. Die Retentionsberechnung ergab jetzt ein

erforderliches Beckenvolumen von 253.000 m³. Dies erfordert einen 9,70 m

hohen Damm. Die Baukosten liegen derzeit bei ca. 2,99 Mio. Euro brutto (Stand

12/2016). Die Kostensteigerung erklärt sich u.a. aufgrund der erforderlichen

Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sofern keine andere Datenbasis zu Ver-

fügung steht, der KOSTRA-Atlas ein nützliches Hilfsmittel für alltägliche

Planungszwecke darstellt. Sind hingegen regionalisierte oder stationsbezogene

Daten vorhanden, wird empfohlen diese Werte vergleichend zu KOSTRA

hinzuzuziehen, da diese andere Ergebnisse liefern können. Welche Daten

geeigneter erscheinen sollte im Einvernehmen mit der Genehmigungsbehörde,

dem Vorhabensträger und dem Planer erfolgen. Der zum Bearbeitungszeitpunkt

neu erschienene KOSTRA-Atlas 2010 konnte für die Untersuchung keine

Berücksichtigung mehr finden.

Dieser Beitrag möchte die möglichen Herausforderungen bei der Bemessung

von Hochwasserrückhaltebecken aufzeigen, und ein Bewusstsein für die Sensi-

bilität bei der Verwendung hydrologischer Grundlagen zu schaffen, da dies

unmittelbare Auswirkungen auf die Größe einer wasserbaulichen Anlage hat.

Damit verbunden sind auch die Aspekte der Wirtschaftlichkeit, mögliche

Umweltauswirkungen und der erreichbare Schutzgrad des Vorhabens.

Page 268: bemessung im wasserbau

260 Planung eines Hochwasserrückhaltebeckens im Osterzgebirge unter Berücksichtigung veränderter Niederschlagsgrößen und

deren Beeinflussung auf die Beckenbemessung

7 Literatur

DIN 19700 (2004): Stauanlagen

IWB (2008): Hochwasserschutzkonzept für das Einzugsgebiet des Oelsabaches,

Ingenieurbüro für Wasser und Boden GmbH, Bannewitz, 2008.

IWG (2012): Hochwasseranalyse und -berechnung, Version 7.0.

Institut für Wasser und Gewässerentwicklung (IWG), Bereich Hydrologie

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

KOSTRA (2000): Starkniederschlagshöhen für Deutschland, DWD, 2000.

LTV (2012):Niederschlagshöhen für Dippoldiswalde-Reinberg (1951 – 2008),

Hrsg.: Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen, Referat 21

LUTZ (1984): Berechnung von Hochwasserabflüssen unter Anwendung von

Gebietskenngrößen, Institut für Hydrologie und Wasserwirtschaft der Universität

Karlsruhe, Heft 24, Karlsruhe 1984.

Autoren:

Dipl.-Ing. Andre Jurides

Ingenieurbüro für

Wasser und Boden GmbH

Turnerweg 6

01728 Bannewitz

Tel.: +49 35206 397 302

Fax: +49 35206 397 328

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. (FH) Falk Seidel

Stadtverwaltung Rabenau

Bauamt

Markt 3

01734 Rabenau

Tel.: +49 351 64 98 220

Fax: +49 351 64 98 211

E-Mail: [email protected]

Page 269: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Anpassung Speicher Schladebach an die geänder-

ten Nutzungsanforderungen

Andreas Rudolf

Jörg Schreiter

Der ca. 2 km nordwestlich von Bad Dürrenberg gelegene Speicher Schladebach

ist nachweislich eine der ältesten Stauanlagen in Sachsen-Anhalt und wurde vor

langer Zeit für Bewässerungszwecke und die Fischzucht errichtet. Hochwasser-

schutz war eine untergeordnete Nebennutzung ohne definiertes Schutzziel für den

Unterlauf und spielte bis vor kurzem auch beim Betrieb der Anlage kaum eine

Rolle.

Der Speicher staut das Gewässer 1. Ordnung „Der Bach“ im Hauptschluss.

Zentraler Bestandteil einer umfangreichen Hochwasserrisikomanagementplanung

für den „Bach“ von der Landesgrenze Sachsen / Sachsen-Anhalt bis zur Mündung

in die Saale bzw. Luppe war eine signifikante Steigerung des Retentionspotentials

der Stauanlage und Optimierung der Maximalabgabe aus dem Speicher im Hoch-

wasserbemessungsfall. In Verbindung mit erheblichen bautechnischen Defiziten,

die den Speicher bei vergangenen Hochwasserereignissen in 2006 und 2011 mehr-

fach an der Grenze des Versagens brachten, ergab sich die Notwendigkeit, für den

Speicher die Stand- und Betriebssicherheiten sowie die Gebrauchstauglichkeit

entsprechend den a.a.R.d.T. bautechnisch umzusetzen und die Anlage in das Steu-

erleitsystem des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt einzubinden. Damit wurden

die Vorrausetzungen für eine Änderung der Primärnutzung als Hochwasserrück-

haltebecken geschaffen. Mit den Baumaßnahmen wurde in 01/2015 begonnen.

Die Fertigstellung und der Beginn des Probebetriebes sind in 04/2017 geplant.

Stichworte: Landwirtschaft, Fischzucht, Hochwasserrückhaltebecken, Hochwas-

serrisikomanagementplanung

1 Geografische Einordnung und Historie

Der Speicher Schladebach befindet sich im Bundesland Sachsen-Anhalt, ca. 2

km nordwestlich der Stadt Bad Dürrenberg und ca. 8 km südöstlich der Stadt

Merseburg auf dem Verwaltungsgebiet der Stadt Leuna. Seine Namensgebung

verdankt er dem direkt an der Stauwurzel liegenden Ort Schladebach. In einigen

Quellen wird er aber auch als „Speicher Kötzschau“ bezeichnet.

Page 270: bemessung im wasserbau

262 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen

Abbildung 1: Lageplan, Screenshot Openstreetmap, 12/2016, Bearbeitung FICHTNER Wa-

ter & Transportation GmbH

Historische Quellen belegen, dass der Speicher bereits im Spätmittelalter auf

Geheiß des Merseburger Bischofs Thilo von Trotha angelegt wurde. Der Chro-

nist Trotha schrieb 1860 folgenden Absatz:

Burkhardt beschreibt in seiner Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler

des Kreises Merseburg 1883 zum Ort Schladebach:

„Pfarrkirchdorf, am rechten Ufer des Flossgrabens, 8,4 km ostsüdöstlich von

Merseburg. Da noch jetzt das westlichste Ende des Dorfes die "Halle" heißt und

"Hal" mhd. ein Salzwerk bedeutet, so hat man den Namen Schladebach von dem

böhmischen slany =salzig abgeleitet. Der Ort, nach welchem sich im 13. und 14.

Jahrhundert die von Slatebach nannten, kam 1285 mit dem Gerichtsstuhl Mar-

kranstedt an den Bischof von Merseburg. Das Rittergut (Domäne) besaß schon

der Morseburger Bischof Thilo von Trotha, welcher auch am 21. März 1482 die

wüste Dorfstätte Boritz ankaufte, um auf ihr den Schladebacher Unterteich und

bald darauf auch den Oberteich anzulegen.“

Page 271: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 263

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Der steigende Bedarf an Fisch für den Bischofssitz und das Benediktinerkloster

Merseburg als zur Fastenzeit erlaubter Speise, war die Ursache für das Anlegen

dieser Teiche. Die in den historischen Quellen als „Schladebacher Unterteich“

bezeichnete Anlage ist der heutige Speicher Schladebach.

Eine bildliche Darstellung, die sich etwa auf das Jahr 1670 datieren lässt, zeigt

eindeutig den Speicher Schladebach, der bereits damals eine der heutigen Größe

vergleichbare Fläche bedeckt.

Abbildung 2: Grundriss des Amtes Merseburg, ca. 1670, Quelle: Sächsische Landesbiblio-

thek Dresden

Die Fischeiwirtschaft lässt sich auch später weiterverfolgen. So wurde z.B. in

einem Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Merseburg 1835 ein Fischzug

angekündigt:

Speicher Schla-

debach

Stadt Merseburg

Page 272: bemessung im wasserbau

264 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen

Abbildung 3: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Merseburg 1835

Nach dem 2. Weltkrieg setzte in der Landwirtschaft eine rasante Entwicklung

hin zur Großfeldbewirtschaftung ein, einhergehend mit der Kollektivierung ein-

zelner Betriebe zu großen Einheiten, den sog. Landwirtschaftlichen Produkti-

onsgenossenschaften (LPG). Um den intensiven Ackerbau zur Produktion

hochwertiger Feldfrüchte vor dem Hintergrund der vergleichsweise geringen

Jahresniederschläge von ca. 430 mm/a überhaupt zu ermöglichen, wurden leis-

tungsfähige Bewässerungssysteme aufgebaut. Das Gebiet um den Speicher wur-

de durch die LPG Pflanzenproduktion Bad Dürrenberg bewirtschaftet. Das Be-

regnungswasser für mehr als 500 ha Anbaufläche entnahm man dem Speicher

Schladebach, der sich aus den Einzugsgebieten der Gewässer „Der Bach“, „Pis-

sener Graben“ und „Floßgraben“ speiste. Stand aus dem Einzugsgebiet nicht

genügend Wasser zur Verfügung, konnte Wasser aus der westlich gelegenen

Saale entnommen und im Speicher gepuffert werden. Die Rechtsnachfolgerin

der ehem. LPG ist seit 1991 die Agrargenossenschaft Bad Dürrenberg e.G., die

den Speicher bis in die Gegenwart weiterhin zur Bewässerung ihrer Flächen

nutzt. Die Fischereiwirtschaft spielt heute keine Rolle mehr.

Der Speicher Schladebach befand sich seit dem Hochwasser 2002, als nur mit

erheblichem Aufwand durch Dammverteidigung Schlimmeres verhindert wurde,

bis 08/2010 im Verantwortungsbereich des Landesbetriebes für Hochwasser-

schutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt (LHW). Da es sich bei der Anlage

um eine Stauanlage handelt, erfolgte ein Übergang der Verantwortlichkeit an

den Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt (TSB).

2 Hydrologie und Hochwasserrisikomanagement

2.1 Niederschlags-Abfluss-Modellierung

Zur Bewirtschaftung des Speichers standen dem TSB bis 2011 keine hinrei-

chend genauen Kenntnisse zur Einzugsgebietshydrologie zur Verfügung. Da das

Einzugsgebiet messtechnisch nicht erfasst ist, konnten erforderliche Daten nur

durch ein Niederschlags-Abfluss-Modell generiert werden. Der Speicher Schla-

debach wird von dem Gewässer „Der Bach“ sowie seinen Zuflüssen „Pissener

Page 273: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 265

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Graben“, „Renne“ und „Floßgraben“ gespeist. Hierbei stellt der Floßgraben eine

Besonderheit dar, weil er als künstlich angelegtes Gewässer über die Grenzen

des natürlichen Einzugsgebietes hinaus reicht und somit das Einzugsgebiet

des Speichers künstlich auf ca. 70 km² vergrößert. Zur Modellierung wurde das

sogenannte Modell IWK-HW des Karlsruher Institutes für Technologie ver-

wendet.

Abbildung 4: Vorgehen bei der Ermittlung der Teileinzugsgebiete (von links nach rechts):

1. DGM, 2. künstlich erzeugtes Gewässernetz, 3. kleine Teilgebiete, 4. fertige

Teileinzugsgebiete

Nach der Festlegung der geometrischen/morphologischen Eingabeparameter für

das N-A-Modell, der Bestimmung der Bemessungsniederschläge aus KOSTRA

und der Aufstellung und Kalibrierung des Flussgebietsmodells, konnten die Ab-

flussganglinien der Hochwässer mit Wiederkehrzeiten von 2 Jahren bis 5.000

Jahren und Regendauern von 2 h bis 72 h berechnet und für alle relevanten Ge-

wässerknotenpunkte ausgewertet werden. Damit standen die hydrologischen

Grundlagendaten für die vom LHW durchgeführten Hochwasserrisikomanage-

mentplanungen und für die Bemessung des Speichers zur Verfügung.

2.2 Hochwasserrisikomanagementplanung

Entsprechend der Richtlinie 2007/60/EG (HWRM-RL) hat der LHW eine Pla-

nung zur Bewertung sowie dem Management von Hochwasserrisiken für das

Gewässer 1. Ordnung „Der Bach“ von der Landesgrenze Sachsen/Sachsen-

Anhalt bis zur „Saale“ und „Luppe“ erstellt. Daraus wurden Maßnahmen zur

Verbesserung des Hochwasserschutzes abgeleitet. Aus den Erfahrungen mit dem

Hochwasser im Januar 2011 wurden nach entsprechender Bewertung und Plau-

sibilisierung Gewässerabschnitte mit einer Gesamtlänge von 8,1 km als signifi-

kant hochwassergefährdet ausgewiesen. Hierfür waren anschließend Hochwas-

sergefahren- und Hochwasserrisikokarten für Hochwässer hoher (HQ10), mittle-

rer (HQ100) und niedriger (HQ200) Wahrscheinlichkeit zu erarbeiten. Die Be-

rechnung der Überschwemmungsgebiete erfolgte dabei mit einem zweidimensi-

onalen hydronumerischen Strömungsmodell (2D-HN-Modell).

Page 274: bemessung im wasserbau

266 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen

Abbildung 5: Dammbauwerk des Speichers Schladebach im 2D-HN-Modell

Neben den nicht monetär bewertbaren Schäden wurden die nachfolgend darge-

stellten Schadenspotentiale und Anteile bezogen auf die Landnutzung bestimmt.

Tabelle 1 Übersicht Überschwemmungsgebiet und Schadenpotentiale HQ10, HQ100,

HQ200

Szenarien Überschwemmungsgebiet [ha] Schadenspotential [Mio. €]

HQ10 562,25 1,228

HQ100 911,59 2,070

HQ200 963,87 2,227

Anteil am Gesamtschaden bei HQ100

0,00%

Sonstige

0,76%

Verkehr

0,69% Wald-

und Forst23,43%

Siedlung2,11%

Grünland

13,41%

Industrie-

und Gewerbe

59,50%

Acker-

Garten-

Weinbau

0,10%

Grün- Sport

und Freizeit

Abbildung 6: Anteil am Gesamtschaden HQ100 bezogen auf die Landnutzung

Als eine zentrale Maßnahme zur Minderung der Hochwasserrisiken wurde das

Schutzpotential des Speichers Schladebach erkannt. Dessen Potential konnte

aufgrund der baulichen Konfiguration und des damaligen Zustandes der Anlage

nicht ausgenutzt werden. Verschiedene Berechnungsvarianten einschließlich

dynamischer Kostenvergleichsrechnungen ergaben, dass eine Regelabgabe aus

dem Speicher im HWBF3 mit 2,5 m³/s und weitere Maßnahmen im Unterlauf

ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis darstellt. Nach Umsetzung aller Maß-

Page 275: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 267

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nahmen verringern sich das Überschwemmungsgebiet bei HQ100 unterhalb des

Speichers um ca. 94 % und der potentielle Schaden um 80%.

Abbildung 7: Retentionsberechnung HRB Schladebach / Planzustand mit GA max 2,5 m³/s,

Zu- und Abflussganglinien

Als Zwischenfazit kann man festhalten, dass sich die Hauptaufgabe für den

Speicher von der fischereilichen und landwirtschaftlichen Nutzung zu einer

Nutzung für den Hochwasserschutz verschiebt.

3 Umbau des Speichers zum Hochwasserrückhaltebecken

Folgende Grafiken zeigen das Speicherbecken mit den einzelnen Anlagenteilen

bis 2014 als grobe Übersicht.

Abbildung 8: Anlagenübersicht

Page 276: bemessung im wasserbau

268 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen

In den Jahren 2006 bis 2011 traten mehrfach Hochwassersituationen auf, welche

das Absperrbauwerk an die Grenze der Belastbarkeit beachten. Die Hochwas-

serentlastung auf der rechten Seite war hydraulisch unterdimensioniert, der

Grundablass war nur in der Lage, ca. 0,6 m³/s abzugeben. Dies führte regelmä-

ßig zu einer schnellen Speicherfüllung, denn bei einem HQ 5 fließen dem Spei-

cher bereits 4,4 m³/s zu.

Retentionsberechnungen für den Ist-Zustand ergaben darüber hinaus, dass die

Freiborde entsprechend der Anlagengröße nicht ausreichend waren. Es wurde

schnell klar, dass zur Erfüllung der künftigen Aufgaben des Speichers eine In-

standsetzung mit Umbau aller relevanten Anlagenteile erforderlich macht.

3.1 Umbaumaßnahmen

3.1.1 Innendichtung

Als Sofortmaßnahme zur Gewährleistung der Anlagensicherheit wurde eine In-

nendichtung in Form einer Spundwand hergestellt.

3.1.2 Hochwasserentlastung, Grundablass und Betriebsauslässe

Die vorhandene Hochwasserentlastung, eine mit Rasengittersteinen total unter-

dimensionierte Ableitungsrinne, wurde komplett entfernt und die entstehende

Lücke mit geeignetem Dammbaumaterial geschlossen. Für die Betriebs- und

Grundablassanlage sowie Hochwasserentlastung wurde ein trogartiges Beton-

bauwerk in der Achse der vorhandenen Grundablassleitung errichtet. De Stau-

wand wurde dabei in das Becken hineingestellt und erhielt beidseitig je eine als

fester Wehrüberfall ausgebildete Hochwasserentlastung. Luftseitig fungiert der

Trog gleichzeitig als Tosbecken und wurde zur optimalen Energieumwandlung

zusätzlich mit Störkörpern ausgestattet. Die Geometrie folgt luftseitig weitest-

gehend der Dammgeometrie, so dass sich das Bauwerk optisch gut einfügt.

3.1.3 Dammgeometrie

Die sehr unregelmäßige Dammgeometrie wurde im Zuge der Maßnahme ausge-

glichen und möglichst ebene Böschungsflächen hergestellt, die eine optimale

Pflege und Unterhaltung des Bauwerkes begünstigen. Die Höhe der Dammkrone

wurde vergleichmäßigt, aber grundsätzlich nicht verändert.

Nachfolgend einige technische Daten zur Anlage und Fotos zum Zeitpunkt vor

dem Umbau sowie vor der Fertigstellung in 12/2016.

Page 277: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 269

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Erhebung der hydrologischen Grundlagendaten mit einem NA-Modell für

AE = 70 km²

Dammhöhe über dem tiefsten Punkt der Gründungssohle ca. 6,0 m

Kronenlänge ca. 180,00 m

HW- Rückhalteraum im HWBF 3 I GHR = 0,85 hm3

max. Drosselabgabe der neuen Grundablassanlagen: QD = ca. 2,5 m³/s

BHQ 3 = 13,08 m3/s, BHQ 1 = 18,37 m3/s, BHQ 2 = 27,16 m3/s

Abbildung 9: Vor der Instandsetzung (von links nach rechts): Absperrbauwerk

(Erddamm) luftseitig, Schussrinne der HWE, Einlauf Grundablass

Abbildung 10: Nach der Instandsetzung (von links nach rechts): Dammkrone,

Kombinationsbauwerk, Auslaufbereich Luftseite

Page 278: bemessung im wasserbau

270 Anpassung Speicher Schladebach an die geänderten Nutzungsanforderungen

4 Literatur

Andronov, S., D. Baum, H. Hartmann, Th. Nabert, W. Rose, G. Seidel und H.-J.

Steingraf: Der Elsterflossgraben. Geschichte und Gestalt eines technischen

Denkmals. Herausgegeben vom Burgenlandkreis, dem CJD Chemnitz im

Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands e.V., der MIBRAG mbH und dem Pro

Leipzig e.V., Leipzig 2005

DIN 19700 Teil 10, Teil 11, Teil 12

Burkhardt, J. [Hrsg.]: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler

der Provinz Sachsen (Band 8): Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und

Kunstdenkmäler des Kreises Merseburg, Halle a. d. S., 1883

Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt, „Abflussge-

schehen im Einzugsgebietes des „Baches“ und des Schöpfwerkes in der Ortslage

Kreypau – Naturbeobachtungen und Hochwasserschutzkonzept“ – Studie, Beller

Consult GmbH, 12/2003

Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt, „Untersu-

chung eines möglichen Einstauszenario am Speicherbecken Kötzschau“ – Studie,

Beller Consult GmbH, 06/2006.

Trotha, Th. (1860): Vorstudien zur Geschichte des Geschlechtes von Trotha, Neuwied

1860

Autoren:

Dipl.-Ing. Andreas Rudolf

Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt

Anstalt des öffentlichen Rechts

Timmenröder Straße 1a

38889 Blankenburg

Tel.: +49 39 44 - 94 20

Fax: +49 39 44 - 94 22 00

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Jörg Schreiter

Fichtner Water & Transportation GmbH

Löbauer Straße 68,

04347 Leipzig

Tel.: +49 2429 - 326

Fax: +49 2429 - 333

E-Mail: [email protected]

Page 279: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im

Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe

Christian Maerker, Imad al Diban, Holger Haas

Ingolf Burisch

In diesem Beitrag werden die Herausforderungen und Umsetzung der Planung des

Ersatzneubaus von spreewaldtypischen Komplexbauwerken bestehend aus Wehr,

Kahnschleuse und Fischaufstiegsanlage dargestellt. Aufgrund der vielfältigen

Entwicklungsziele, die bei der Ertüchtigung dieser Bauwerke beachtet werden

müssen, ergibt sich eine interdisziplinäre Planungsaufgabe, die hydraulische, ver-

kehrswasserbauliche, fischökologische und landschaftsplanerische Fragestellun-

gen sowie klassische massivbauliche Berechnungen zur Standsicherheit und Ge-

brauchstauglichkeit beinhaltet.

1 Einführung

Die Kulturlandschaft Spreewald ist aus der natürlichen Verzweigung der Spree

zu einem Binnendelta entstanden. Der Spreewald wurde im Zuge seiner Nutz-

barmachung durch zahlreiche Kanäle erweitert. Die Gewässer sind zum Teil mit

Stauanlagen ausgestattet mit denen die hiesigen Wasserstände reguliert werden.

Ein Teil dieser Querbauwerke ist bereits mit Schleusen versehen, um die daran

anschließenden Gewässerabschnitte schiffbar zu halten.

Die Stauanlagen sind in der Regel nicht redundant und müssen zur Steuerung

des Wasserhaushalts erhalten bleiben. Zahlreiche Bauwerke sind jedoch baufäl-

lig und müssen saniert oder durch Neubauten ersetzt werden. Im Zuge dessen

sind die aktuellen ökologischen Anforderungen gemäß Wasserrahmenrichtlinie

aufzugreifen und die Querbauwerke für die in den Spreewaldgewässern behei-

mateten Fischarten durchgängig zu gestalten.

Aus planerischer Sicht ergibt sich dadurch eine anspruchsvolle interdisziplinäre

Fachaufgabe, bei der verschiedene Bereiche des Ingenieurwesens wie z.B. die

hydraulische Bemessung der Anlage bestehend aus Fischaufstiegsanlage, Wehr-

körper und Schleuse, Berechnungen zur Gründung, Massiv- und Stahlwasserbau

sowie Betrachtungen zum Grundwasserregime und landschaftsplanerische As-

pekte abgedeckt werden müssen. Hinzu kommen über den üblichen Normenka-

talog hinausgehende Anforderungen, die hinsichtlich der Herstellung der ökolo-

Page 280: bemessung im wasserbau

272 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe

gischen Durchgängigkeit und der Befahrbarkeit des Gewässerabschnitts durch

die ortsüblichen Spreewaldkähne Berücksichtigung finden.

Das Wehr 65 befindet sich westlich der Ortschaft Burg in der Hauptspree. Die

Anlage bestehend aus einem Zweifeldwehr und einer Kahnschleuse befindet

sich in einem baulichen schlechten Zustand, so dass es durch ein Komplexbau-

werk bestehend aus Wehrkörper, Schleusenbauwerk und Fischaufstiegsanlage

ersetzt werden soll. Eine Planungsgemeinschaft bestehend aus IPROconsult und

PTW Planungsgemeinschaft Tief- und Wasserbau GmbH wurde durch den Was-

ser- und Bodenverband „Oberland Calau“ mit der Erstellung der Planungsunter-

lagen beauftragt. Einige wesentliche Ergebnisse dieser Planung werden im

Rahmen dieser Veröffentlichung vorgestellt.

Abbildung 1: Standortkarte Wehr 65 in der Hauptspree bei Burg

2 Anforderungen und Zielstellung an die Planung zu Wehr 65

2.1 Aktueller Bau- und Gebrauchszustand

Die im Jahr 1955 erbaute Anlage (Wehr 65) ist Bestandteil des Staugürtels VIII.

Der Bauwerksstandort befindet sich in der Schutzzone III des Biosphärenreser-

vates Spreewald, im FFH- Gebiet „Spree“ (EU-Nr. DE 3651-303), im europäi-

schen Vogelschutzgebiet (SPA) „Spreewald und Lieberoser Endmoräne“ (EU-

Nr. DE 4151-421) und im Landschaftsschutzgebiet (LSG) „Biosphärenreservat

Spreewald“ (4150- 601). Die Anlage dient der Stützung der Wasserstände zur

Sicherung des Landschaftswasserhaushaltes, des Hochwasserschutzes und der

Schiffbarkeit.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2016

„Bemessung im Wasserbau“ 273

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Im Rahmen einer Bauzustandseinschätzung wurde das Bauwerk aufgrund der

starken Schäden an den Betonbauteilen und den bedienungsrelevanten Mängeln

im Stahlwasserbau, insbesondere der sehr großen Undichtigkeiten in die Bauzu-

standsklasse 4 bis 5 eingeordnet. Zudem entspricht das Bauwerk nicht mehr dem

heutigen Stand der Technik und genügt nicht den gewässerökologischen Anfor-

derungen einer Passierbarkeit für Fische und Kleinlebewesen.

Aufgrund dieser Defizite wurde entschieden, das bestehende Bauwerk durch ei-

nen ökologisch durchgängigen Ersatzneubau zu ersetzen.

2.2 Anforderungen an den Ersatzneubau

Für den Ersatzneubau sind aufgrund der vielfältigen Nutzungsansprüche ver-

schiedene Anforderungen zu berücksichtigen.

Wasserwirtschaftliche Anforderungen

Zur Einhaltung wasserwirtschaftlich Anforderungen werden an den Staugürteln

des Spreewalds Stauziele definiert, die einen Einfluss auf die Wasserstände der

miteinander verflochtenen Gewässer haben. Im Rahmen der Grundlagenermitt-

lung ist zu prüfen, inwieweit stromab gelegene Staubauwerke die Wasserspie-

gellagen im betrachteten Gewässerabschnitt beeinflussen. Weiterhin ist der Ein-

fluss des neu zu errichtenden Bauwerks auf die oberstrom gelegenen Abschnitte

durch eine Stauwurzelermittlung oder hydraulische Berechnungen zu bestim-

men.

Hydrologische Anforderungen

Zur Einhaltung des Hochwasserschutzes ist der Abfluss durch die Wehranlage

unter Umständen unter Einhaltung der (n-1)-Bedingung zu prüfen. Weiterhin

sind Rückstaueffekte durch strömungsbeeinflussende Faktoren durch Einbauten

wie Fischaufstiegsanlage und Schleusenbauteile zu untersuchen.

Verkehrswasserbauliche Anforderungen

Die verkehrswasserbaulichen Anforderungen werden im Wesentlichen durch die

per Verordnung definierten Abmessungen der Spreewaldkähne bestimmt (Länge

= 9,50 m, Breite = 1,90 m). Schleusengröße und –form werden gemäß dieser

Kahngröße festgelegt. Die Bemessung der Dalben, Leitwerke und Bootsstege im

oberen und unteren Schleusenvorhafen erfolgt für entsprechende Belastungen.

Der Betrieb der Schleusentore erfolgt traditionell in Selbstbedienung durch den

Bootsführer.

Page 282: bemessung im wasserbau

274 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe

Ökologische Anforderungen

Gemäß Wasserrahmenrichtlinie ist für Fließgewässer ein guter Zustand herzu-

stellen. Wanderhindernisse sind zu beseitigen oder durchgängig zu gestalten.

Daher sind an Wehren Möglichkeiten für ihre Passierbarkeit durch die beheima-

teten Zielarten vorzusehen. Beim Biosphärenreservat Spreewald handelt es sich

zudem um einen sensiblen Naturraum. Daher sind hier erhöhte Anforderungen

in der Landschaftsplanung zu berücksichtigen.

Konstruktive Anforderungen

Auf der konstruktiven Seite sind alle notwendigen statischen Nachweise für das

Bauwerk selbst, assoziierte Bauteile und die vorgesehenen Ausrüstungsteile zu

erbringen. Das Bauwerk selbst ist vor allem hinsichtlich der Gesamtstandsicher-

heit des Komplexbauwerks und der inneren Spannungen sowie der Ge-

brauchstauglichkeit der Massivbauteile zu beurteilen.

3 Planungsergebnisse Ersatzneubau Wehr 65

Um den oben aufgeführten Anforderungen gerecht zu werden, wurde im Ergeb-

nis der Planung ein Komplexbauwerk bestehend aus einem Einfeldwehr mit seit-

lich angeordneter Schleuse und Schlitzpass vorgesehen. Einige wesentliche As-

pekte der Planung werden nachfolgend dargestellt.

Abbildung 2: Geplantes Bauwerk Ersatzneubau Wehr 65

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2016

„Bemessung im Wasserbau“ 275

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3.1 Hydraulische Berechnungen

Bei der Festlegung charakteristischer Abflüsse ist die Beeinflussung der ver-

schiedenen Wehrstandorte untereinander zu berücksichtigen, durch die Wasser-

stände und Wasserverteilung reguliert werden. Die Abflussverhältnisse in der

Hauptspree werden durch die Wasserverteilung am Wehr VI / VII eingangs des

Spreewalds bestimmt. Durch entsprechende Regulierung dieser Stauanlagen wird

die Abflussaufteilung in die Spree sowie in den Nord- und Südumfluter gesteuert.

Der Nordumfluter dient vorrangig zur Hochwasserabführung unter Umgehung

der Ortslage Burg.

In der Hauptspree teilt sich die Abflussmenge der Spree annähernd im Verhält-

nis Südumfluter zu Hauptspree von 0,3 bis 0,4 bei Niedrigwasser und von 0,5

bei Mittelwasser bis zu 0,65 bei Hochwasser auf. Darüber hinaus gibt es Ab-

schlagsmengen für die Neue und Kleine Spree oberhalb der Burger Mühle

(Wehr 21) von der Spree. Unter Berücksichtigung dieser Aufteilungen konnten

für den Wehrstandort folgende Abflussmengen annährend angesetzt werden:

Mittlerer Niedrigwasserabfluss: NQ = 0,80 m3/s

Mittelwasserabfluss: MQ = 1,50 m3/s

Mittlerer Hochwasserabfluss: MHQ = 3,0 m3/s

Hochwasserabfluss: HQ100 = 10,00 m3/s

Die Gewässerhydraulik in dem betrachteten Planungsgebiet wird vornehmlich

durch das neu zu errichtende Einfeldwehr beeinflusst. Dieses besitzt eine lichte

Breite von 4,0 m und verfügt über einen Wehrverschluss, der als elektromecha-

nische Doppelschütze ausgebildet wird. In Anbetracht der Nutzung des Nordum-

fluters als Hochwasserableiter sowie der bestehenden Möglichkeiten zur Was-

serverteilung auf andere Fließgewässer kann auf die ansonsten übliche (n-1)-

Bedingung im Havariefall eines Verschlussorgans verzichtet werden. Die

Schleusentore werden konstruktiv und statisch so gestaltet, dass eine Öffnung

bei Hochwasser möglich ist.

Bei den hydraulischen Nachweisen für das Wehr waren vornehmlich die sichere

Abführung des Bemessungshochwassers durch das Wehr (z.B. analytisch nach

Bollrich, 1992 oder durch programmtechnische Wasserspiegellagenberechnung

mit HEC-RAS, 2010), die Bemessung des Tosbeckens und der Nachlaufsiche-

rung (z.B. analytisch nach Bollrich) sowie die Wehrsteuerung zur Erreichung

des Stauziels (z.B. als Darstellung in Schlüsselkurve) nachzuweisen. Zudem

wurde im Rahmen einer eindimensionalen Wasserspiegellagenberechnung über-

prüft, ob der maximal zulässige Wasserstand von 53,00 m+NN bei Hochwasser-

abfluss in der Hauptspree eingehalten wird. Im Ergebnis können für die gewähl-

te Wehrgeometrie alle erforderlichen Nachweise erbracht werden.

Page 284: bemessung im wasserbau

276 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe

3.2 Bemessung Fischaufstiegsanlage

Die ökologische Durchgängigkeit am Standort des Wehrs 65 wird durch eine

Fischaufstiegsanlage in Form eines Schlitzpasses hergestellt. Dieser kann in

kompakter Bauweise hergestellt werden und lässt sich gut in das Komplexbau-

werk integrieren.

Bei der Festlegung der Bemessungsarten ist das Landeskonzept zur ökologi-

schen Durchgängigkeit der Fließgewässer Brandenburgs (Land Brandenburg,

2010) zu berücksichtigen. Die Fischaufstiegsanlage wurde für die Zielarten

Hecht und Blei / Karpfen bemessen. Die daraus folgenden geometrischen und

hydraulischen Anforderungen wurden dem DWA-Merkblatt M 509 (2014) ent-

nommen. Für die Bemessung des Fischpasses wurden folgende Abflussbereiche

vorgegeben:

Q30 = 0,60 m³/s

Q330 = 2,00 m³/s

Für den ökologischen Mindestabfluss sind am Wehrstandort 500 l/s zu sichern.

Die Differenz zwischen den Wasserständen ober- und unterhalb einer Trenn-

wand soll h = 0,10 m nicht unterschreiten. Aus einer maximalen Differenz

zwischen OW und UW von hOW-UW = 1,10 m ergibt sich das Erfordernis von 11

Trennwänden. Daraus ergibt sich unmittelbar eine Anzahl von 10 Becken.

Für die geometrischen Bemessungswerte der Schlitzweite sowie der Beckenlän-

ge und –breite wurden in Abhängigkeit der Zielarten die in DWA-M 509 (2014)

angegeben Werte gewählt.

Die Wasserspiegellagen an dem Standort werden durch die Stauwerte des neu zu

errichtenden Wehrs beeinflusst. Um ein möglichst repräsentatives Spektrum an

möglichen Wasserständen für die Prüfung der Funktionsweise der Fischauf-

stiegsanlage zu betrachten, wurde für verschiedene Szenarien im Ober- und Un-

terwasser der hydraulische Nachweis geführt. Dabei wurde die Einhaltung der

erforderlichen Grenz- und Bemessungswerte folgender Größen für die gewählte

Geometrie der Fischaufstiegsanlage überprüft:

Wassertiefe hU hinter dem Schlitz

Maximale Fließgeschwindigkeit vmax im Schlitz

Leistungsdichte pD in den einzelnen Becken

Mittels eines iterativen Verfahrens wurde zunächst die Wassertiefe in allen Be-

cken ermittelt. Ausgehend von diesem Ergebnis wurden sodann die davon ab-

hängigen Werte für die Fließgeschwindigkeit und die Leistungsdichte ermittelt.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2016

„Bemessung im Wasserbau“ 277

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Im Ergebnis ist die Dimensionierung der Fischaufstiegsanlage ausreichend und

alle Grenzwerte werden eingehalten.

Abbildung 3: Gewählte Abmessungen Schlitzpass (Planausschnitt)

3.3 Gestaltung des Schleusenbereichs

Da es sich bei der Spree um ein schiffbares Landesgewässer handelt, wird zur

Gewährleistung der Schiffbarkeit die Anlage mit einer üblichen Stemmtor-

schleuse (4 x 10 m) ausgestattet. Weiterhin ist die Schaffung zusätzlicher Mög-

lichkeiten für das Ein- und Aussetzen von Paddelbooten zweckmäßig (Bootsrol-

len). Die Schleusentore werden als 2-flügelige Stemmtore mit Füllschützen und

integrierten Bedienstegen über handmechanische Kurbelantriebe bedient.

In Verlängerung der wasserseitigen Kammerwand sind ober- und unterwasser-

seitig jeweils Leitdalben mit horizontalen Leithölzern aus Eichenholz zur Be-

grenzung des Ein- und Ausfahrtsbereiches vorgesehen. Im Ober- und Unterwas-

ser der Schleuse wurden zudem jeweils 10 m lange Anlegestege geplant. Die

Gründung und die Tragkonstruktion der Stege werden in Stahlbauweise ausge-

bildet. Die Dalben und Stege wurden auf Schiffsstoß, Trossenzug und Eisgang

bemessen.

Page 286: bemessung im wasserbau

278 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe

Abbildung 4: Bauähnliches Komplexbauwerk Wehr 100, bestehend aus Kahnschleuse

(rechts), Zweifeldwehr (Mitte) und Fischpass (links) zur Trockenabnahme

3.4 Statische Berechnungen

Für die Dimensionierung der einzelnen Bauteile und die erforderlichen Standsi-

cherheitsnachweise wurden die nachfolgend beschriebenen Berechnungen

durchgeführt.

Baugrube und Spundwände

Hier wurden für die maßgebenden Bemessungssituationen die Wasserhaltungs-

spundwände, die seitlichen Kastenspundwände, die Sickerschürzen sowie die

Flügel- und Leitwände für Bau- und Endzustände berechnet.

Massivbau

Für den Massivbau erfolgten für das Komplexbauwerk die Nachweise bzgl.

Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Dazu wurden die Schleuse, das Wehr-

feld und der Fischaufstieg im Bereich des Wehres als ein zusammenhängendes

Bauwerk betrachtet. Der oberwasserseitige Bereich des Fischaufstieges, welcher

mit einer Dehnungsfuge anschließt, wurde als weiteres separates Bauwerk be-

trachtet. Beide Bauwerke wurden in einem FEM- Programm modelliert und be-

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messen. Die Rissbreiten wurden analog des BAW- Merkblattes MFZ 2011 auf

0,25 mm beschränkt. Für die äußere Standsicherheit wurden die Nachweise für

die Auftriebssicherheit, Gleitsicherheit und der Sohlpressung geführt.

Allgemeiner Stahlbau

Hier erfolgte die Bemessung der Bedien- und Wartungsstege. Weiterhin wurden

Regelquerschnitte für die Absturzsicherungen und die Aluminiumdammbalken

als Notverschluss statisch dimensioniert.

Stahlwasser- und Maschinenbau

Auf der Grundlage der als Entwurf vorliegenden Fachnorm DIN 19704 erfolgte

die Bemessung der Doppelschützen und der 2-flügeligen Stemmtore. Mit den

daraus gewonnenen Ergebnissen wurden Eckwerte für die Antriebsdimensionie-

rung abgeleitet. Der Antrieb der Schützen besteht aus Triebstöcken mit elektro-

mechanischer Wehrwinde. Die Schleusentore werden über einen Kurbelmecha-

nismus mit Kegel- und Schneckenradgetriebe und Koppelstange bewegt.

3.5 Landschaftsplanerische Aspekte

Die besondere Lage des Wasserbauwerkes in einem FFH/SPA-Gebiet bedingt

einen erhöhten Aufwand bei den naturschutzfachlichen Planungen, die das Vor-

haben über den gesamten Projektierungszeitraum begleiten. Zur Bewertung der

Erheblichkeit des Eingriffs wurden eine FFH- und eine SPA-Verträglichkeits-

Vorprüfung durchgeführt. Mit der Erarbeitung eines Artenschutzrechtlichen

Fachbeitrages wurde geprüft, ob durch die Maßnahme Verbotstatbestände nach

§ 44 (1) BNatSchG berührt werden können.

Da der Ersatzneubau an sich einen Eingriff nach BNatSchG darstellt, wurde im

Rahmen der Entwurfs- und Genehmigungsplanung ein landschaftspflegerischer

Begleitplan aufgestellt, worin alle Eingriffe in Natur und Landschaft, wie z.B.

Baumfällungen im Baufeldbereich, bleibende Versiegelungen im geplanten

Endzustand sowie bauzeitliche Beeinträchtigungen bilanziert werden und die

möglichen und notwendigen Schutz- und Vermeidungs- sowie Ausgleichs- und

Ersatzmaßnahmen festgelegt werden.

4 Zusammenfassung

Durch den Ersatzneubau von sanierungsbedürftigen Komplexbauwerken im

Spreewald wird ein wesentlicher Beitrag für die bedarfsgerechte Wasserbewirt-

Page 288: bemessung im wasserbau

280 Die Ertüchtigung komplexer Wehrbauwerke im Spreewald als interdisziplinäre Planungsaufgabe

schaftung, den Hochwasserschutz, die Aufrechterhaltung der Schiffbarkeit und

die Verbesserung der ökologischen Rahmenbedingungen geleistet.

Die damit verbundene interdisziplinäre Planungsaufgabe stellt hohe Anforde-

rungen an die Präzision während der einzelnen Planungsschritte, da die Gestal-

tung der drei miteinander kombinierten Bauwerke einander beeinflusst und der

Ersatzneubau in einem ökologisch sensiblen Habitat erfolgt. Zudem ist ein ho-

hes Maß an Abstimmungsbedarf erforderlich, um die verschiedenen Anforde-

rungen einzuhalten und den Planungsprozess optimal zu gestalten.

5 Literatur

Bollrich, G., Preißler, G. (1992): Technische Hydromechanik Band 1. Verlag Bauwesen,

Berlin, 1992.

Land Brandenburg (2010): Landeskonzept zur ökologischen Durchgängigkeit der

Fließgewässer Brandenburgs. www.lugv.brandenburg.de

DWA (2014): Merkblatt DWA-M 509, Fischaufstiegsanlagen und fischpassierbare

Bauwerke - Gestaltung, Bemessung, Qualitätssicherung, 2014

US Army Corps of Engineers (2010): HEC-RAS River Analysis System, User’s Manual,

Version 4.1, 2010

Autoren:

Dr.-Ing. Christian Maerker

Dr.-Ing. Imad al Diban

Dipl.-Ing. Holger Haas

IPROconsult GmbH

Niederlassung Berlin / Brandenburg

Abteilung Wasserbau

Franz-Jacob-Straße 2

10369 Berlin

Tel.: +49 30 63499310

Fax: +49 30 63499311

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Ingolf Burisch

Wasser- und Bodenverband „Oberland

Calau“

Lindenstraße 2

03226 Vetschau OT Raddusch

Tel.: +49 35433 592616

Fax: +49 35433 592627

E-Mail: [email protected]

Page 289: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen

in Fischaufstiegsanlagen

Ulf Helbig

Philipp Lübcke, Christian Jähnel, Jürgen Stamm

Schlitzpasskonstruktionen in Form der klassischen Bauart oder auch als Sonder-

bauweise werden häufig als Fischaufstiegsanlagen zum Zwecke der Gewährleis-

tung der Durchgängigkeit von Gewässern eingesetzt. Sie sind durch mindestens

eine bis zur Beckensohle durchgehende Schlitzöffnung des Typs 3 in der Trenn-

wand zwischen zwei aufeinander folgenden Becken charakterisiert. Eine Schlitz-

öffnung repräsentiert dabei einen Kontrollquerschnitt, der maßgeblichen Einfluss

auf den Durchfluss (Dotationswasser) sowie auf die Verteilung und Größe der

auftretenden Fließgeschwindigkeiten in unmittelbarer Umgebung der Schlitzöff-

nung besitzt. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick zum aktuellen Stand

der Untersuchungen zur Durchflussbestimmung sowie zur charakteristischen

Fließgeschwindigkeitsverteilung.

Stichworte: Fischaufstieg, Schlitz, Hydraulik, Strömung, Geschwindigkeitsver-

teilung

1 Schlitzöffnung – geometrische und hydraulische Charakteris-

tik

Beckenartige Fischaufstiegsanlagen (FAA) werden als hydraulische Gerinne

betrachtet, die eine Aufeinanderfolge von Becken bilden. Der hydraulische Kon-

takt der Becken zueinander erfolgt über bestimmte Öffnungen. Diese Öffnungen

zwischen den einzelnen Becken, die aus hydraulischer Sicht zur Gewährleistung

des Abflusses in der Anlage erforderlich sind, lassen sich in die Öffnungstypen

1 bis 4 unterteilen (DWA-M 509, 2016; Larinier, 1992):

Öffnungstyp 1: Kronenausschnitt, über den ein Abfluss mit freiem Über-

fall erfolgt (nicht rückgestaut),

Öffnungstyp 2: Sohlennahe als Schlupfloch bezeichnete Öffnung, durch

die ein vollständig rückgestauter Auslauf vorliegt,

Öffnungstyp 3: Vertikal bis zur Sohle durchgehender Schlitz, i. d. R.

rechteckig oder trapezförmig (V-förmig) nach unten verjüngend,

Page 290: bemessung im wasserbau

282 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen

Öffnungstyp 4: Kronenausschnitt, bei dem ein Abfluss deutlich rückge-

staut ist.

Anlagen, die den Öffnungstyp 3 aufweisen, werden im Regelfall als Schlitzpass

(engl.: Vertical-Slot Pass) bezeichnet. Die Schlitzkanten können dabei scharf-

kantig, gefast oder auch ausgerundet ausgebildet werden. Die Öffnung beim

klassischen Schlitzpass besitzt normalerweise einen nach oben offenen, recht-

eckigen Querschnitt (Abbildung 1, links). Eine V-förmige Geometrie (Trapez)

ist u. a. bei Sonderbauweisen (z. B. Rundbeckenpass) zu beobachten (Abbildung

1, rechts).

Abbildung 1: Links: typische Öffnung im klassischen Schlitzpass mit scharfkantigen / ge-

fasten Schlitzkanten (DWA-M 509 [Quelle: Redeker], 2016), rechts: V-

förmige Öffnungsausbildung in einem Rundbeckenpass Typ H mit ausgerun-

deten Schlitzkanten (Peters Ökofisch GmbH + Co. KG)

Die sohlengleiche Öffnung erzeugt im Betriebsfall eine rückgestaute Durch-

strömung, die eine Kombination aus Überfall und seitlichem Auslauf aus einem

Gefäß darstellt. Als Einstaugrad (hu/ho) lässt sich das Verhältnis aus den Wasser-

tiefen unmittelbar unterhalb und vor der Schlitzöffnung bezeichnen (hu/ho =

hu/[h + hu]). Der Gesamtdurchfluss Qges, abhängig von der Beckenfall- (h)

bzw. Energiehöhe (hE) sowie von der Einstauhöhe des Schlitzes (hu), lässt sich

wiederum als Summe eines oberen, überfalldominierten, (Qo) und eines unteren,

ausflussdominierten, (Qu) Durchflusses beschreiben:

mit

und

ges o u

3

o E u u E

Q Q Q

Q ~ f h Q ~ f h h

(1)

Page 291: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 283

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Überwiegt der obere Durchflussanteil am Gesamtdurchfluss (Qo/Qges → groß),

herrscht insgesamt ein überfalldominierter Durchfluss bei keinem bis geringem

Rückstau vor (Abbildung 2, links). Der Einstaugrad hu/(hu + h) ist klein, was

sich letztlich auch in geringen Beckenwassertiefen zeigt. Dominiert hingegen

der untere Anteil am Gesamtdurchfluss (Qu/Qges → groß), liegt ein auslaufge-

prägter Durchfluss mit großem Rückstau vor, der sich durch einen großen Eins-

taugrad und somit durch große Beckenwassertiefen äußert (Abbildung 2, rechts).

Abbildung 2: Prinzipdarstellung: Wassertiefen- und Durchflussverhältnisse an einer

Schlitzöffnung des Typs 3, links: überfalldominierter Durchfluss mit gerin-

gem Rückstau, rechts: auslaufdominierter Durchfluss mit großem Rückstau

2 Durchflussbestimmung in der Schlitzöffnung des Typs 3

Wie Aigner (2016) bereits ausführt, berücksichtigen die aktuellen, empirisch

basierten hydraulischen Berechnungsansätze (vgl. z. B. DWA-M 509, 2016)

nicht die Trennung zwischen geometrischen und hydraulischen Einflussgrößen,

was letztlich eine Verallgemeinerung sowie eine Differenzierung und Übertra-

gung auf verschiedenste Bauarten erschwert.

Dies betrifft insbesondere die Durchflussberechnung. Es wird daher vorgeschla-

gen (vgl. auch Aigner, 2016; Helbig & Aigner & Stamm, 2016), eine Trennung

zwischen den jeweiligen Einflussgrößen über den Durchflussbeiwert µ vorzu-

nehmen. Im Ergebnis dieses Ansatzes steht auf Basis der Gleichung (1) eine Be-

rechnungsformel für den Durchfluss einer Schlitzöffnung des Typs 3, die sich

aus einer Überfall- und einer Ausflussformel zusammensetzt:

Page 292: bemessung im wasserbau

284 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen

2 2

für einen Rechteckquerschnitt:

22

3

für einen Trapezquerschnitt:

22 0 406

3

ges E u E

u Eges E u E

Q s g h h h m³ / s

h hQ µ s g h h m h , m m³ / s ,

s s

(2)

wobei s [m] die Schlitzbreite auf Sohlhöhe, m [-] das arithmetische Mittel der

Seitenneigungen eines Trapezquerschnittes (m = 0,5 · [m1 + m2]) und µ [-] den

Durchflussbeiwert darstellen.

Der Durchflussbeiwert wird primär von der Einschnürung des effektiven Durch-

flussquerschnitts des Schlitzes beeinflusst und ist formabhängig, jedoch nicht

abhängig von den Wasserständen hu oder ho oder den Beckenfallhöhen h (Aig-

ner, 2016). Der Einschnüreffekt ist bei scharfen Kanten größer als bei ausgerun-

deten, wodurch wiederum der effektive Durchflussquerschnitt kleiner und somit

auch der Durchflussbeiwert kleiner werden.

Als Ergebnis von Laborversuchen für die Größe µ können aktuell bei scharfkan-

tigen und ausgerundeten Rechteck- bzw. Trapezquerschnitten die in Tabelle 1

aufgeführten µ-Beiwerte angesetzt werden. Bei den µ-Werten in Tabelle 1 ist zu

beachten, dass bei deren Ermittlung die Anströmgeschwindigkeit va vernachläs-

sigt werden konnte. Für Rundbeckenpässe ließ sich ein mittlerer Durchflussbei-

wert von µ ≈ 0,79 ableiten.

Tabelle 1 Durchflussbeiwerte für scharfkantige und ausgerundete Rechteck- bzw. Tra-

pezquerschnitte (Helbig et al., 2016)

Schlitzgeometrie µ [-]

rechteckig scharfkantig 0,645

rechteckig ausgerundet 0,8

trapezförmig scharfkantig 0,68

trapezförmig ausgerundet 0,84

Die Größe hE [m] in Gleichung (2) beschreibt zunächst die vorhandene Energie-

höhe am jeweiligen Schlitz und bildet die Summe aus Beckenfallhöhe und An-

strömgeschwindigkeitshöhe:

2

2

aE

vh h m ,

g (3)

wobei die Variable va [m/s] die mittlere Anströmgeschwindigkeit vor einem

Schlitz repräsentiert. Befindet sich eine Schlitzpassanlage in einem regulären

Page 293: bemessung im wasserbau

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„Bemessung im Wasserbau“ 285

D1

S

aa

l 5

quasi-gleichförmigen Fließzustand (keine relevanten Absunke bzw. Rückstaue),

kann für va bei jeder Schlitzöffnung vereinfacht die Anströmgeschwindigkeit im

oberwasserseitigen Zulaufbereich angesetzt werden (va ≈ vZulauf, vgl. auch Hel-

big & Aigner & Stamm, 2016). Ist die Anströmgeschwindigkeit hingegen sehr

klein und somit vernachlässigbar, so ist es ausreichend, va = 0 und somit hE = h

zu setzen.

Untersuchungen an Rundbeckenpässen zeigen jedoch, dass die in einer FAA

tatsächlich gemessenen bzw. eingestellten Durchflüsse Q nur unter Berücksich-

tigung der Anströmgeschwindigkeit rechnerisch nachvollzogen werden konnten,

da ansonsten Abweichungen bis zu 23% zu beobachten waren (Abbildung 3).

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

35 38 45 50 58 65 70 75

Q e

rmit

telt

[l/

s]

Q vorhanden [l/s]

Q gemessen/eingestellt

Q berechnet mit µ = 0,79, mit va

Q berechnet mit µ = 0,79, ohne va

Abbildung 3: Vergleich der gemessenen / eingestellten Durchflüsse mit berechneten Durch-

flusswerten bei einem Rundbeckenpass Typ C

3 Geschwindigkeitscharakteristik im Bereich der Schlitzöffnung

des Typs 3

Neben dem Durchfluss Q ist insbesondere die Fließgeschwindigkeitsgröße v und

deren räumliche Verteilung von Interesse, da sie das Wanderverhalten von Fi-

schen und somit letztlich die Passierbarkeit der FAA beeinflusst. Da eine Fisch-

aufstiegsanlage im Idealfall für das ganze, in diesem Bereich vorkommende

Fischinventar passierbar sein soll, muss insgesamt ein Strömungsregime in der

Page 294: bemessung im wasserbau

286 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen

FAA vorherrschen, das den Ansprüchen der überwiegenden Fischfauna vor Ort

genügt.

Hinsichtlich der maximal auftretenden Fließgeschwindigkeit, ohne Berücksich-

tigung der Fließrichtung, lässt sich der auf dem Energieansatz beruhende skalare

Ausdruck (DWA-M 509, 2016; Helbig & Aigner & Stamm, 2016):

22 max av g h v m / s , (4)

hinreichend genau verwenden. Bezüglich der Berücksichtigung der Größe va

[m/s] gelten die bereits oben genannten Ausführungen zum Durchfluss Q.

Untersuchungen an Rundbeckenpässen zeigen wiederum, dass zur Abbildung

der gemessenen maximalen Fließgeschwindigkeiten nach Gleichung (4) die An-

strömgeschwindigkeit va erforderlich ist. Dabei ist deren Tiefenlage von nach-

rangiger Bedeutung, so dass hinreichend genau mit einem Mittelwert über die

gesamte Wassertiefe gerechnet werden kann (Abbildung 4).

1,6

1,7

1,8

1,9

2,0

2,1

2,2

38 l/s,

sohlnah

50 l/s,

sohlnah

50 l/s,

mittig

58 l/s,

sohlnah

58 l/s,

mittig

75 l/s,

sohlnah

75 l/s,

mittig

75 l/s,

WSP-nah

vm

ax[m

/s]

vorhandener Durchfluss Q und Tiefenhorizont]

vmax gemessen

vmax berechnet, mit va

vmax berechnet, ohne va

Abbildung 4: Vergleich der gemessenen maximalen Fließgeschwindigkeiten vmax mit be-

rechneten Geschwindigkeitswerten bei einem Rundbeckenpass Typ C

Um die Engstelle „Schlitzbereich“ für das ganze Fischinventar passierbar zu ge-

stalten, ist u. a. auch die Kenntnis der tiefenabhängigen, vertikalen Geschwin-

digkeitsverteilung von Bedeutung. Hierbei sollte sowohl schlechten Schwim-

mern (i. d. R. sohlnah) aber auch guten Schwimmern (i. d. R. freischwimmend

im mittleren / oberen Bereich) Rechnung getragen werden.

Page 295: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 287

D1

S

aa

l 5

Dabei scheinen

- die generelle Querschnittsform der Schlitzöffnung (z. B. Rechteck, nach

unten verjüngendes Trapez, nach oben verjüngendes Trapez, Ellipse, Sut-

ro-Profil usw.) sowie

- das Verhältnis von Überfall- und Ausflussanteil (Einstaugrad hu/ho)

von Relevanz zu sein. Aktuelle Rinnenversuche an ausgewählten Schlitzquer-

schnitten und Einstaugraden zeigen unter definierten Oberwasser- (OW) und

Unterwasserbedingungen (UW) bestimmte hydraulische Charakteristika (Abbil-

dung 5).

0

50

100

150

200

250

300

0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40

h [mm]

v [m/s]

Rechteck, 150 mm OW, Δh = 20 mm

200 mm vordem Schlitz

30 mm vordem Schlitz

10 mm hinterdem Schlitz

0

50

100

150

200

250

300

0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40

h [mm]

v [m/s]

Rechteck, 300 mm OW, Δh = 20 mm

200 mm vordem Schlitz

30 mm vordem Schlitz

10 mm hinterdem Schlitz

0

50

100

150

200

250

300

0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40

h [mm]

v [m/s]

Rechteck, 300 mm OW, Δh = 80 mm

200 mm vordem Schlitz

30 mm vordem Schlitz

10 mm hinterdem Schlitz

Abbildung 5: Schlitzöffnung Typ 3, rechteckig: vertikale Verteilung der horizontalen Ge-

schwindigkeitskomponente vH, 200 mm und 30 mm vor und 10 mm unterhalb

des Schlitzes, links oben: h = 20 mm, hu/ho = 0,87; rechts oben: h = 80

mm, hu/ho = 0,47; links unten: h = 20 mm, hu/ho = 0,93; rechts unten: h =

80 mm, hu/ho = 0,73

Die Rinnenversuche werden in einer Kipprinne der lichten Breite b = 0,30 m

durchgeführt. Ober- (ho), Unterwasserstand (hu) sowie Beckenfallhöhe (h)

Page 296: bemessung im wasserbau

288 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen

werden variiert. Die horizontale Geschwindigkeitskomponente vH [m/s] wird

mittels Mini-Flügel 200 mm und 30 mm oberhalb sowie 10 mm unterhalb des

Schlitzes gemessen (Abbildung 5). Beim Vergleich der 3 Messprofile liegen wie

erwartet die größten Fließgeschwindigkeiten kurz unterhalb der Schlitzöffnung.

Insgesamt wird das erreichte Geschwindigkeitsniveau erwartungsgemäß von der

Beckenfallhöhe h bestimmt. Weiterhin sind ein oberer überfalldominierter

Durchflussbereich sowie ein ausflussdominierter unterer Bereich gut erkennbar.

Ersterer ist durch einen rückschreitenden v-Verlauf gekennzeichnet. Wie Raja-

ratnam & Katopodis & Solanki (1992) schon zeigten, sind im rückgestauten un-

teren Bereich nahezu über die ganze Wassertiefe hinweg, konstante Fließge-

schwindigkeiten zu beobachten, die fast bis zur Sohle reichen. Der sohlnahe

Verlauf fällt hingegen sehr steil aus. Die jeweilige qualitative Ausprägung der

vertikalen Geschwindigkeitsprofile ist stark von h und hu abhängig (vgl. auch

Kap. 1). Je kleiner die Einstauhöhe hu ist, desto stärker bildet sich ein rück-

schreitender Kurvenverlauf aus.

Hingegen scheint die Schlitzform bei gleicher Öffnungsquerschnittsfläche und

gleichen OW- und UW-Bedingungen nur einen nachrangigen Einfluss zu haben,

wie Abbildung 6 zeigt. Hier weisen die Geschwindigkeitsprofile über die Was-

sertiefe hinweg qualitativ sehr ähnliche Verläufe auf.

0

50

100

150

200

250

300

0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40

h [mm]

v [m/s]

Trapez nach oben geöffnet, 300 mm OW, Δh = 80 mm

200 mm vordem Schlitz

30 mm vordem Schlitz

10 mm hinterdem Schlitz

0

50

100

150

200

250

300

0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40

h [mm]

v [m/s]

Ellipse, 300 mm OW, Δh = 80 mm

200 mm vordem Schlitz

30 mm vordem Schlitz

10 mm hinterdem Schlitz

Abbildung 6: Schlitzöffnung Typ 3, ho = 300 mm, hu = 220 mm, h = 80 mm, links: nach

oben geöffnetes Trapez, rechts: Ellipsenquerschnitt (gleiche Öffnungsquer-

schnittsfläche), qualitativer Verlauf des vertikalen Geschwindigkeitsprofils

Anderseits zeigen Messungen und 3d-HN-Simulationen bei Rundbeckenpässen

(V-förmige bzw. trapezförmige Schlitzöffnung) einen ausgeprägten rückschrei-

tenden Kurvenverlauf des vertikalen Geschwindigkeitsprofils (Abbildung 7).

Charakteristisch ist dabei, dass bei zunehmendem Durchfluss Q die Beckenwas-

sertiefen zwar größer werden und die Beckenfallhöhe h näherungsweise kon-

stant bleibt. Trotz zunehmender Beckenwassertiefen bildet sich aber kein cha-

Page 297: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 289

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S

aa

l 5

rakteristischer Bereich mit konstantem Geschwindigkeitsfeld wie oben be-

schrieben aus. Bei allen Messungen / Simulationen dominiert ein rückschreiten-

des Geschwindigkeitsprofil mit einem Maximum in Sohlnähe (Abbildung 7).

0,00

0,05

0,10

0,15

0,20

0,25

0,30

0,35

0,40

0,45

0,00 0,20 0,40 0,60 0,80 1,00 1,20 1,40 1,60 1,80 2,00 2,20 2,40

z üb

er S

ohle

[m]

v [m/s], horizontal gemessen in Schlitzmitte

Q = 75 l/s

Q = 58 l/s

Q = 50 l/s

Q = 38 l/s

Simulation, Q = 58 l/s

Abbildung 7: Vergleich der gemessenen / 3d-hydronumerisch ermittelten vertikalen Fließ-

geschwindigkeitsverteilung (horizontale vH-Komponente) in Schlitzmitte ei-

nes Rundbeckenpasses des Typs C bei unterschiedlichen Durchflüssen

Eine schlussendliche Beurteilung bezüglich der konkreten Öffnungsgeometrie

ist jedoch erst nach Abschluss der Versuchsreihen möglich. Hierbei ist auch

noch offen, ob, inwiefern und mit welcher Schlitzgeometrie ein optimierter Ge-

schwindigkeitsverlauf in Sohlnähe, d. h. ein flacherer Anstieg des vertikalen Ge-

schwindigkeitsprofils in diesem Bereich, für alle Bauformen von Schlitzpässen

erreicht werden kann.

4 Zusammenfassung

Der Öffnungstyp 3 (sohlengleicher Schlitz) bei beckenartigen Fischaufstiegsan-

lagen ist typisch und namensgebend für eine ganze Bauart von Beckenpässen.

Die Durchströmung ist geprägt durch einen Überfall- und einen Ausflussanteil,

für die sich ein hinreichend genauer Berechnungsansatz ableiten lässt. Die Be-

rechnung des maximalen Geschwindigkeitsskalars kann über den modifizierten

Torricelli-Ansatz abgeschätzt werden. Die vertikale Geschwindigkeitsverteilung

Page 298: bemessung im wasserbau

290 Hydraulische Charakteristik von Schlitzöffnungen in Fischaufstiegsanlagen

im schlitzunmittelbaren Bereich ist von der Beckenfallhöhe sowie vom Einstau-

grad abhängig. Der Einfluss der konkreten Schlitzgeometrie ist noch nicht final

geklärt. Insbesondere ob und inwiefern eine optimierte Geschwindigkeitsvertei-

lung v. a. in Sohlnähe (Verminderung des Anstiegs) durch eine gezielte Schlitz-

geometrie erreicht werden kann, ist momentan noch unklar.

5 Literatur

Aigner, D. (2016): Der Schlitzpass – Ausfluss- oder Überfallströmung. In: Dresdner

Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 57, Selbstverlag der Technischen Universität

Dresden, Dresden, 2016

DWA-M 509 (2016): Merkblatt DWA-M 509, Fischaufstiegsanlagen und fischpassier-

bare Bauwerke – Gestaltung, Bemessung, Qualitätssicherung. Deutsche Vereini-

gung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hennef, 2014, korrigierte

Fassung, 2016

Helbig & Aigner & Stamm (2016): Ulf Helbig, Detlef Aigner, Jürgen Stamm, Hydraulik

der Schlitzöffnungen bei beckenartigen Fischaufstiegsanlagen. In: BAUTECHNIK

93 (2016), Heft 5, S. 295 – 303, 2016

Helbig et al. (2016): Ulf Helbig, Detlef Aigner, Jürgen Stamm, Rocco Zimmermann,

Untersuchungen zur Hydraulik in Rundbeckenpässen. In: Proceedings, 18. Wasser-

bau-Symposium Wasserbau – mehr als Bauen im Wasser, TU München, Wallgau,

29.06. – 01.07.2016

Larinier, M. (1992): Passes à bassins successifs, prébarrages et rivières artificielles. In:

Bull. Fr. Pêche Piscic., 326/327, p. 45-72, 1992

Rajaratnam & Katopodis & Solanki (1992): N. Rajaratnam, C. Katopodis, S. Solanki,

New designs for vertical slot fishways. In: Canadian Journal of civil Engineering 19

(1992), S. 402-414, 1992

Autoren:

Dr. Ulf Helbig, Philipp Lübcke

Christian Jähnel, Jürgen Stamm

Technische Universität Dresden

Institut für Wasserbau und Technische

Hydromechanik

August-Bebel-Straße 30

01219 Dresden

Tel.: +49 351 463 37527

Fax: +49 351 463 37120

E-Mail: [email protected]

Page 299: bemessung im wasserbau

chnische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

D1

S

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l 5

Untersuchung von Einflussparametern auf die

Abflussbemessung von Fischaufstiegsanlagen in

Schlitzbauweise

Jessica Klein

Mario Oertel

Fischaufstiegsanlagen sind im letzten Jahrzehnt im modernen Wasserbau zum Stan-

dard geworden. Die Wasserrahmenrichtlinie (WFD, 2000) fordert die Wiederher-

stellung der Durchgängigkeit europäischer Gässer und verbietet eine Verschlechte-

rung des Gewässerzustandes. Eine Maßnahme hierfür sind Fischaufstiegsanlagen,

welche aquatischen Lebewesen eine Migration in stromaufwärtsgelegene Lebens-

räume ermöglichen sollen. Die hier behandelten Schlitzpässe zählen zu den techni-

schen Fischaufstiegsanlagen.

Grundlegend können zwei Bemessungsformeln in der Literatur gefunden werden:

(1) die Bemessung des Abflusses basierend auf dem Abfluss einer Seitenöffnung

sowie (2) die Bemessung des Abflusses mit Gerinneeinengung mit jeweils empiri-

schen Abflussbeiwerten. Gegenwärtig werden hierbei zum einen die physikalischen

Hintergründe als auch die Anwendbarkeit in der Praxis hinterfragt. Es hat sich ge-

zeigt, dass vorhandene Ansätze nicht die Vielfalt der geplanten und gebauten An-

lagen berücksichtigen können. Die empirisch ermittelten Abflussbeiwerte lassen

sich nicht auf alle Anwendungsfälle übertragen. Des Weiteren fokussieren bishe-

rige Publikationen auf Schlitzpässe mit Sohlneigungen über 5 %, wohingegen die

in Deutschland beheimateten Fischarten die Sohlneigung der Anlagen auf unter 5

% beschränken. Ziel der Arbeit ist es, die bestehenden Bemessungsansätze zu un-

tersuchen und deren Anwendbarkeit zu prüfen. Mit der Erweiterung vorhandener

physikalischer Modelle (um Untersuchungen mit Sohlgefällen unter 5 %) wird eine

breite Datengrundlage geschaffen, um Einflussparameter der Abflussbeiwerte zu

identifizieren. Hierbei stehen das Sohlgefälle sowie Strömungsleiteinbauten im Fo-

kus.

Stichworte: Physikalische Modellierung, Fischaufstiegsanlage, Schlitzpass

1 Einleitung

Heutzutage sind Gewässer stark künstlich verändert. Die anthropogenen Einflüsse

wie beispielsweise der Aufstau der Gewässer zur Schiffbarmachung oder zur

Energiegewinnung haben weitreichende ökologische Folgen. Die unterbrochene

Durchgängigkeit verhindert unter anderem das ungehinderte Wanderverhalten

von Fischen seit mehreren hundert Jahren, was die Population zahlreicher Arten

Page 300: bemessung im wasserbau

292 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung

von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise

gefährdet. Die Reaktion auf die Missstände wurde mit der Wasserrahmenrichtli-

nie der EU (EU-WRRL 2000) rechtlich festgehalten. Die EU-WRRL (2000) fordert

die Zurückführung von Gewässern in einen ökologisch guten Zustand, welches

die Durchgängigkeit für aquatische Lebewesen einschließt. Diese ökologische

Durchgängigkeit wird entweder durch Zurückbauen des Wanderhindernisses oder

durch den Bau von Fischaufstiegsanlagen (FAA) wiederhergestellt. FAA ermög-

lichen aquatischen Lebewesen trotz eines Wanderhindernisses die ungehinderte

Migration ins Oberwasser. Sie lassen sich unterscheiden in naturnahe FAA (z. B.

Blockrampen, Oertel und Schlenkhoff 2012) und technische Anlagen. Die hier

behandelte Fischaufstiegsanlage in Schlitzbauweise (auch Schlitzpass, Vertical

Slot fishway) zählt zu den technischen Anlagen. Sie kann als eine Aneinanderrei-

hung von Becken mit gleichbleibendem Gefälle verstanden werden. Die Becken

entstehen durch vertikale Wände mit Schlitzen über die gesamte Wassersäule,

welche einen Wanderkorridor für aquatische Lebewesen bieten. Obwohl Fisch-

aufstiegsanlagen mittlerweile zum Standard gehören, sind die Kenntnisse der

Hydraulik als auch die Reaktion der Fische auf diese noch nicht umfassend er-

forscht. So werden gegenwärtig zum einen die physikalischen Hintergründe als

auch die Anwendbarkeit in der Praxis hinterfragt (z. B. Sokoray-Varga et al. 2015;

Klein und Oertel 2016).

2 Bemessung

Die Bemessung der Hydraulik von Schlitzpässen erfolgt grundlegend hinsichtlich

der Passierbarkeit für Fische. Dabei wird eine maximale Geschwindigkeit vmax im

Schlitz festgelegt, welche von den relevanten Fischarten überwunden werden

kann:

vmax=√2∙g∙∆h (1)

mit g als Erdbeschleunigung, ∆h als Wasserspiegeldifferenz. In der Bemessung

wird die Wasserspiegeldifferenz als ∆h = S∙L aus der Sohlneigung S und der Be-

ckenlänge L berechnet. Ein weiteres Kriterium für die Einhaltung der Passierbar-

keit ist ein mindestens zu erreichender Wasserstand in den Becken für die jeweils

relevanten Fischarten (Bemessungsfisch). Das Erreichen dieses Wasserstands

wird durch den Bemessungsdurchfluss garantiert. Grundlegend werden zwei ana-

lytische Ansätze zur Berechnung eines Durchflusses Q in Schlitzpässen in der

Praxis angewandt. Ein auf Toricelli basierender Ansatz, mit der Geschwindigkeit

aus Formel (1), wird seit Jahrzehnten weiterentwickelt (siehe z. B. Clay 1961, La-

rinier 1992, Rajaratnam et al. 1986):

Q = Cd∙h∙b0∙√2∙g∙∆h (2)

Page 301: bemessung im wasserbau

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„Bemessung im Wasserbau“ 293

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mit Cd als Widerstandsbeiwert, b0 als Schlitzweite und h als Wassertiefe. Hierbei

ist zu beachten, dass abhängig von der Publikation entweder die Wassertiefe ober-

halb des Schlitzes ho (siehe Clay 1961, Larinier 1992, Rajaratnam et al. 1986),

ein mittlerer Wasserstand hm (siehe Puertas et al. 2004) oder die Wassertiefe im

Schlitz hSchlitz = ho−(L∙S) (L = Beckenlänge, S = Gefälle) (siehe Wang et al. 2010)

definiert wird.

Die Bemessung von Fischaufstiegsanlagen in Deutschland wird auf Grundlage

des Merkblattes M-509 (2014) der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft,

Abwasser und Abfall e. V. (DWA) durchgeführt, in welcher der Bemessungsan-

satz nach Krüger et al. (2010) angeführt wird:

Q = μ∙ho2/3

∙b0∙√g mit μ∙= f (hu

ho) (3)

Zusätzlich wurde in zahlreichen Modellversuchen eine lineare Abhängigkeit des

dimensionslosen Wasserstands hm/b0. zum dimensionslosen Durchfluss QA er-

kannt (u. a. Rajaratnam et al. 1986, Wu et al. 1999, Puertas et al. 2004, Wang et

al. 2010). Der dimensionslose Abfluss kann mit

QA

= Q

√g∙b05 (4)

oder QAS =

Q

√g∙S∙b05 (5)

beschrieben werden.

Eine weitere Bedeutung für die Bemessung einer Anlage entfällt auf das Strö-

mungsmuster, welches sich im Becken einstellt. Nach Wu et al. (1999) können

zwei Strömungsmuster, sowie ein Übergangszustand zwischen beiden, unter-

schieden werden (siehe Abbildung 1). Die für Strömungsmuster 1 (SM 1) charak-

teristische Strömung ist eine Art Kurzschlussströmung von Schlitz zu Schlitz, so-

wie zwei Wirbeln jeweils am Rand der Hauptströmung innerhalb der Becken. Bei

Strömungsmuster 2 (SM 2) wird der Hauptstrom stärker abgelenkt, wodurch die-

ser auf die unterwasserseitige Wandungen trifft und so Energie dissipiert wird.

Nach Wang et al. (2010) sowie Gebler (2015) wird beim Durchschwimmen des

Schlitzpasses das instationäre Verhalten der Strömung, welches beim Übergangs-

zustand beider Strömungsmuster auftritt, von den Fischen ausgenutzt.

Page 302: bemessung im wasserbau

294 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung

von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise

Abbildung 1: Strömungsmuster nach Wang et al. (2010), links SM 1; rechts SM 2

3 Modellaufbau

Im Wasserbaulabor der Fachhochschule Lübeck (FHL) wurden physikalische

Modellversuche durchgeführt, um Einflussparameter auf die Wasserspiegellage

bzw. Wassertiefen in Schlitzpässen zu identifizieren. Eine Kipprinne

(Länge = 10 m, Breite = 0,8 m, Höhe = 0,8 m) wurde bei einem Gefälle von

S = 5 % mit 6 Becken einer Fischaufstiegsanlage in Schlitzbauweise ausgestattet.

Die Wände sind vertikal in einem lichten Abstand LL = 1,0 m montiert. Bei einer

Wanddicke von 2,1 cm ergibt sich eine Gesamtbeckenlänge je Becken von

L = 1,021 m. Neben der Querwand und der Umlenkwand, welche die Becken un-

terteilen, wird die Strömung zusätzlich durch ein Leitelement, bestehend aus einer

Wand in Strömungsrichtung am Kopf der Querwand, geleitet (vorderes Leitele-

ment). Die untersuchte Geometrie lässt sich weitestgehend in Puertas et al. (2004)

wiederfinden, wobei jedoch die Beckenlänge leicht verkürzt und das Gefälle mit

S = 5,7 % etwas erhöht ist.

Für die aktuellen Untersuchungen wurde die Position der Umlenkwände variiert

(siehe Tabelle 1 und Abbildung 2). Hierbei werden auch die Längen der Umlenk-

wände so verändert, dass bei jeder Variante eine Schlitzweite von exakt

b0 = 0,122 m resultiert. Die vorliegende Studie vergleicht demnach die Resultate

der Variation des Schlitzöffnungswinkels (C = 37°, 52° und 67°). Weitere verän-

derte Parameter werden hier nicht behandelt.

Abbildung 2: Skizze der genutzten Variablenbezeichnungen im Schlitzpass

Page 303: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 295

D1

S

aa

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Tabelle 1 Parameter der untersuchten Modellgeometrien (FHL), sowie Modelle mit ver-

gleichbarer Geometrie

Variable FHL Puertas et

al. 2004

Rajaratnam et al. 1992

D3 T2 D16 D14 D15

S [%] 5,0 5,7 / 10,1 5,0 / 10,0 / 15,0

b0 [m] 0,12 0,15 0,52 0,34 0,34

B/b0 [-] 6,56 6,60 4,69 7,15 7,15

B/L [-] 0,78 0,81 0,80

C [°] 37 / 52 / 67 37 52 27 27

lg/b0 [-] 1,61 1,61 0,38 1,79 1,79

bg/b0 [-] 0,57 0,57 0,42 0,89 0,29

bT/b0 [-] 4,52 4,52 2,80 6,26 6,26

Der Abfluss wird über eine frequenzgesteuerte Pumpe (Fabrikat: Grundfos NBE-

150-250, 11 kW) bereitgestellt und über ein Rohrsystem in ein Hochbecken ge-

leitet, über das die Kipprinne gespeist wird. Die Kontrolle des Durchflusses er-

folgt über ein magnetisch induktives Durchflussmessgerät (MID, Krohne Op-

tiflux 2000, Genauigkeit ±0,1 l/s).

Zwei Becken jeweils im Ober- und Unterwasser der eigentlichen Untersuchungs-

becken stellen eine gleichförmige Strömung im Versuch sicher. Für die drei Va-

rianten und je drei Durchflüsse werden die Wasserspiegellagen flächig in einem

Raster von 51 × 130 mm über dem dritten und vierten Becken mit Ultra-

schallsensoren (USS635, General Acoustics, Genauigkeit ±1 mm) aufgenommen.

Für weitere sechs Durchflüsse erfolgen für die Konfiguration C = 67° punktuell

Wasserstandsmessungen in der Mitte des vierten Beckens. Das Messraster sowie

die Lage der Punktmessung sind in Abbildung 3 dargestellt. Die Messdauer be-

trägt 60 Sekunden bei 75 Hz.

Abbildung 3: Darstellung der Messpunkte im physikalischen Modellversuch

(∙ Messraster; × Punktmessung), Fließrichtung von links nach rechts

Becken 3 Becken 4

Page 304: bemessung im wasserbau

296 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung

von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise

4 Ergebnisanalyse

4.1 Wasserstands-Abfluss-Beziehung

Die Bemessung von Schlitzpässen beruht auf einer Wasserstands-Abfluss-Bezie-

hung. Nach Puertas et al. (2004) kann ein dimensionsloser Durchfluss berechnet

werden:

QA

= Q

√g∙b05 (5)

Eine lineare Abhängigkeit zwischen dimensionslosem Durchfluss QA sowie di-

mensionsloser Fließtiefe hm/b0 in der Mitte des Beckens kann in den aktuellen

Untersuchungen bestätigt werden (siehe Abbildung 4(a) und 4(c)). Abbil-

dung 4(a) stellt dabei einen Auszug aus Abbildung 4(c) dar (zu beachten: die Er-

gebnisse von Rajaratnam et al. (1992) sind der Übersicht halber nicht abgebildet).

Es lässt sich ableiten, dass die Position des Umlenkblocks in den hier untersuchten

Varianten einen zu vernachlässigbaren Einfluss auf die Wasserspiegellage ausübt.

Im Vergleich zu Puertas et al. (2004), an deren Geometrie die Modelversuche

angelehnt sind, stellen sich im physikalischen Modell aufgrund des höheren Ge-

fälle niedrigere Wasserstände ein. Dies bestätigt das Modell D14 nach Rajarat-

nam et al. (1992), welches am ehesten mit den untersuchten Modellen vergleich-

bar ist (siehe Abbildung 4(c)). Die dimensionslosen Wasserstands-Abfluss-Bezie-

hungen von D15 und D16 hingegen weisen einen deutlich steileren Verlauf auf.

Für D15 lässt sich der Grund ausschließlich in der Verlagerung des Leitelements

an der Querwand erklären (bgD14/b0 = 0,89, bgD15/b0 = 0,29). Die Geometrieverän-

derung zu D16 ist jedoch so vielfältig, dass hier keine belastbare Aussage getrof-

fen werden kann.

Tendenziell kann festgestellt werden, dass je höher das Gefälle des Schlitzpasses

ist, desto niedriger verläuft die Neigung der Ausgleichgeraden eines Modellver-

suchs. Eine Beeinflussung des Wasserstands vom Gefälle der Fischaufstiegsan-

lage wird deutlich. Wird die Abhängigkeit des Wasserstands vom Gefälle des

Schlitzpasses in Betracht gezogen, kann nach Rajaratnam et al. (1992) der dimen-

sionslose Durchfluss wie folgt beschrieben werden:

QAS =

Q

√g∙S∙b05 (6)

Abbildung 4(b) bzw. 4(d) stellen den modifizierten dimensionslosen Durchfluss

QAS zur dimensionslosen Wassertiefe hm/b0 in Beckenmitte dar. Durch die Einbe-

ziehung des Schlitzpass-Gefälles können die Abflussgeraden aneinander angenä-

hert und mit Gleichung (7) beschrieben werden.

Page 305: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 297

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(a) (b)

(c) (d)

Abbildung 4: Wasserstands-Abfluss-Beziehung in physikalischen Modellen von Schlitzpäs-

sen

Page 306: bemessung im wasserbau

298 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung

von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise

QAS = α∙

hm

b0 (7)

mit α zu

0,29 (für FHL D3, C = 37°, S = 5,0 %)

0,30 (für FH L D3, C = 52°, S = 5,0 %)

0,29 (für FHL D3, C = 67°, S = 5,0 %)

0,34 (für Puertas et al. (2004), C = 37°, S = 5,7 %)

0,34 (für Puertas et al. (2004), C = 37°, S = 10,1 %)

0,34 (für Rajaratnamet al. (1992), D14, C = 27°, S = 5,0 %)

0,41 (für Rajaratnamet al. (1992), D14, C = 27°, S = 10,0 %)

0,42 (für Rajaratnamet al. (1992), D15, C = 27°, S = 5,0 %)

0,63 (für Rajaratnamet al. (1992), D16, C = 52°, S = 5,0 %)

0,60 (für Rajaratnamet al. (1992), D16, C = 52°, S = 10,0 %)

0,64 (für Rajaratnamet al. (1992), D16, C = 52°, S = 15,0 %)

Schlussfolgernd kann bei Anlagen mit ähnlicher Konstruktion, jedoch unter-

schiedlichen Gefällen, auf eine einzige Wasserstands-Abfluss-Beziehung zurück-

gegriffen werden. Hierbei sind die Lage des Umlenkblockes und das Gefälle der

FAA für die sich einstellenden Wasserstände nicht von Bedeutung. Ein leichtes

Ansteigen des Wertes α kann bei D14 und D 15 nach Rajaratnam et al. (1992)

verzeichnet werden. Dieser leichte Anstieg kann durch die vorderen Leitelemente

hervorgerufen werden. Weichen die Parameter trotz eines grundlegend ähnlichen

Konstruktionsprinzips ab, wie in D16 nach Rajaratnam et al. (1992), muss α er-

neut empirisch ermittelt werden.

4.2 Prüfung des Abflussbeiwertes

Trotz des linearen Zusammenhangs zwischen dimensionslosem Wasserstand und

dimensionslosem Abfluss wird in der Bemessung zumeist auf die in Kapitel 2 dis-

kutierten Abflussformeln zurückgegriffen. Es kann beobachtet werden, dass der

Wasserstand in der Mitte des Beckens weniger den Wasserstandsschwankungen

aus der Konstruktion des Schlitzes (Leitelemente, Öffnungswinkel, usw.) unter-

liegt und somit auch für die praktische Anwendung in der Bemessung einfacher

abzuschätzen ist, weshalb im Folgenden der Abflussbeiwert aus Gleichung 2 zu

Q = Cd∙hm∙b0∙√2∙g∙∆h (8)

mit Δh = L ∙ S berechnet wird. Abbildung 5 zeigt die nach Gleichung 8 berechne-

ten Abflussbeiwerte. Hierbei lässt sich kein Abflussbeiwert einer bestimmten

Schlitzpass-Konfiguration zuordnen, da die Schwankungsbreiten bis zu ± 0,1 be-

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 299

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tragen. Durch die lineare Beziehung dimensionslosem Wasserstand und dimensi-

onslosem Abfluss, sowie dem konstanten Wert je Konstruktion von 𝑏0∙√2∙g∙∆h

ist es nicht möglich, einen konstanten Abflussbeiwert Cd zu ermitteln. Lediglich

eine empirische Ermittlung des Abflussbeiwertes unter spezifischen Bedingungen

ist denkbar.

Abbildung 5: Berechnete Abflussbeiwerte Cd

5 Schlussbetrachtung

Die hier präsentierten Untersuchungen zeigen, dass die lineare Wasserstands-Ab-

fluss-Beziehung im Schlitzpass nicht von der Position der quer zur Strömungs-

richtung eingebauten Umlenkwände abhängt und auch das Gefälle von geringer

Bedeutung für die Wasserstands-Abfluss-Beziehung ist. Ein Mangel an systema-

tischen Modellversuchen zur detaillierteren Bestimmung der Einflussparameter

auf den Abfluss in Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise, wie z. B. die vorde-

ren Leitelemente, wurde identifiziert. Daher sind weitere Untersuchungen zum

Einfluss der vorderen Leitelemente und deren Einfluss auf die Wasserstands-Ab-

fluss-Beziehung bei unterschiedlichen Gefällen geplant.

Der bisher übliche Ansatz der Durchflussberechnung wurde hinterfragt, da sich

herausgestellt hat, dass eine einfache Wasserstands-Abfluss-Beziehung mehrere

geometrische Varianten zusammenfassen kann. Ob dies bei komplexeren und un-

terschiedlich ausgeformten Leiteinbauten weiterhin bestätigt werden kann, müs-

sen ebenfalls weiterführende Untersuchungen zeigen.

Page 308: bemessung im wasserbau

300 Untersuchung von Einflussparametern auf die Abflussbemessung

von Fischaufstiegsanlagen in Schlitzbauweise

6 Literatur

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of Canada, Ottawa

DWA (2014): Merkblatt DWA-M 509: Fischaufstiegsanlagen und Fischpassierbare

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UND DES RATES vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für

Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. Europäisches

Parlament und Rat

Gebler, R.-J. (2015): Dimensionierung von Schlitzpässen - Anforderungen der Fische und

der Hydraulik. Wasserwirtschaft. 105(7/8), 73-79

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über den aktuellen Stand der Forschung. Tagungsband: 18. JuWi. Versuchsanstalt für

Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich. Zürich

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hydraulischen Berechnung von Schlitzpässen. WasserWirtschaft 100 (3), 30-36

Larinier, M. (1992). Passes à bassins successifs, prébarrages et rivières artificielles.

Bulletin Français de la Pêche et de la Pisciculture 326-327, 45-72

Oertel, M., Schlenkhoff, A. (2012): Crossbar Block Ramps: Flow Regimes, Energy

Dissipation, Friction Factors, and Drag Forces. Journal of Hydraulic Engineering

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Puertas, J., Pena, L., Teijeiro, T. (2004): Experimental Approach to the Hydraulics of

Vertical Slot Fishways. Journal of Hydraulic Engineering 130(1), 10-23

Rajaratnam, N., Van der Vinne, G., Katopodis, C. (1986): Hydraulics of Vertical Slot

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Rajaratnam, N., Katopodis, C., Solanki, S. (1992): New designs for vertical slot fishways.

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Sokoray-Varga, B., Weichert, R., Nestmann, F. (2015): Untersuchungen zu hydraulischen

Berechnungansätzen von Schlitzpässen. WasserWirtschaft 105 (7/8), 61-66

Wang, R. W., David, L., Larinier, M. (2010): Contribution of experimental fluid mechanics

to the design of vertical slot fish passes. Knowledge and Management of Aquatic

Ecosystems 396(2). doi: 10.1051/kmae/2010002

Wu, S., Rajaratnam, N., Katopodis, C. (1999): Structure of Flow in Vertical Slot Fishway.

Journal of Hydraulic Engineering 125(4), 351-360

Autoren:

M. Eng. Jessica Klein

LuFG Wasserbau

Fachhochschule Lübeck

Mönkhofer Weg 239, 23562 Lübeck

Tel.: +49(0) 451 300 5726

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr.-Ing. habil. Mario Oertel

LuFG Wasserbau

Fachhochschule Lübeck

Mönkhofer Weg 239, 23562 Lübeck

Tel.: +49(0) 451 300 5154

E-Mail: [email protected]

Page 309: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spund-

wände auf die Strömungscharakteristik in techni-

schen Fischaufstiegsanlagen

Mark Musall, Tim Kerlin,

Frank Seidel, Peter Oberle und Daniel Schmidt

Im Rahmen aktueller Forschungsarbeiten werden am Karlsruher Institut für Tech-

nologie (KIT) die hydraulischen Auswirkungen unterschiedlicher seitlicher Be-

randungen bei technischen Fischaufstiegsanlagen (FAA) analysiert. Im Beitrag

werden die wesentlichen Ergebnisse und Schlussfolgerungen der bisherigen Un-

tersuchung vorgestellt.

Stichworte: Fischaufstiegsanlagen, Spundwände, Strömungscharakteristik

1 Einleitung

Zur Verbesserung der ökologischen Durchgängigkeit werden derzeit an vielen

Gewässern existierende Querbauwerke mit Fischaufstiegsanlagen nachgerüstet

bzw. es werden alte, nicht ausreichend funktionsfähige Aufstiegsbauwerke er-

setzt. Insbesondere bei Schlitzpässen und Raugerinne-Beckenpässen kommen

dabei aus bautechnischen Gründen häufig Stahlspundwände als seitliche Be-

grenzung zum Einsatz (vgl. Abschnitt 2). Bedingt durch die Bauform geeigneter

Spundwandprofile und den daraus resultierenden, großen geometrischen Unre-

gelmäßigkeiten der seitlichen Berandungen, sind jedoch Auswirkungen auf die

hydraulische Situation innerhalb der eigentlichen Anlage nicht auszuschließen.

Diese soll sich gemäß gängiger Vorgaben [z.B. DWA, 2014] durch eine eindeu-

tige, durchgehende Leitströmung in der gesamten Beckenkaskade kennzeichnen.

In der Praxis werden deshalb derzeit vor allem bei größer dimensionierten Anla-

gen oftmals Betonvorschalungen vorgesehen bzw. von Behördenseite gefordert,

welche mit entsprechend höheren Kosten für den Bauherrn verbunden sind.

Da zu dieser Thematik bislang keine systematischen Untersuchungen vorliegen,

werden aktuell am Institut für Wasser und Gewässerentwicklung (IWG) des

Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) umfassende Analysen unter Einsatz

physikalischer Laborversuche und numerischer Simulationen durchgeführt. Im

physikalischen Modell erhobene, fischökologisch relevante Messdaten ermögli-

chen dabei die Bewertung der hydraulischen Auswirkungen der unterschiedli-

Page 310: bemessung im wasserbau

302

Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände

auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen

chen Wandgestaltung. Des Weiteren dienen sie der Kalibrierung eines 3D-

numerischen Strömungsmodells, welches zukünftig mittels Übertragung auf an-

dere standortspezifische Geometrien abschließende Aussagen zur Allgemeingül-

tigkeit der gewonnenen Erkenntnisse liefern soll.

2 Vorteile des Einsatzes von Spundwänden

Spundwände stellen ein sehr flexibel einsetzbares Element im konstruktiven

Wasserbau dar. Insbesondere werden sie zur Herstellung und Sicherung von

Baugruben eingesetzt, sie können aber gleichzeitig auch als Bestandteil der

Tragkonstruktion Verwendung finden. Maßgebend für die Ausführung von

Spundwandbauwerken ist die DIN EN 12063. Das Einbringen der Spundwände

erfolgt in der Regel im Press-, Vibrations- oder Rammverfahren.

Abbildung 1: Spundwandprofile für die Anwendung bei Baugruben [Wietek 2011], einge-

setzt werden vor allem die statisch sehr tragfähigen U- und Z-Profile

Ein Verbau mit Spundwänden ist wegen seiner wasserabsperrenden Funktion

und der vollflächigen Wandstützung besonders geeignet für die Absicherung

von Baugruben in offenen Gewässern sowie in Fällen, in denen anstehendes

Grundwasser nicht abgesenkt werden darf bzw. kann (DIN 4124, 2012).

Insbesondere bei Schlitzpässen und Raugerinne-Beckenpässen kommen häufig

Stahlspundwände als seitliche Begrenzung zum Einsatz (vgl. Abbildung 2). In

Kombination mit der Verwendung von Unterwasserbeton ermöglicht dies die

sehr schnelle Errichtung einer trockenen Baugrube ohne zusätzliche Maßnah-

men zur Wasserhaltung wie z.B. Nadelfilteranlagen. Dadurch kann insbesondere

auch das Absenken des Grundwassers (Absenkungstrichter) im Umfeld der

Baugrube vermieden werden, was z.B. bei Lage des Vorhabens in sensiblen

Schutzgebieten von Bedeutung ist. Gleichzeitig kann die räumliche Ausdehnung

der Baugrube auf ein Minimum beschränkt werden und auch geneigte Böschun-

gen sind nicht erforderlich.

Page 311: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 303

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Abbildung 2: Links: Vorbereitung zum Einbringen der Spundbohlen mittels Vibrationsram-

me, rechts: Schlitzpass mit Spundwänden als Tragkonstruktion

3 Modellierung

3.1 Physikalisches Modell und Messtechnik

Es wurde der Ausschnitt eines aktuell in Planung befindlichen Schlitzpasses an

einem Nebengewässer im Oberrheingebiet im Maßstab 1:3 im Labor nachgebil-

det (vgl. Abbildungen 3 und 4). Das Modell zeichnet sich durch eine variable

Wandgestaltung (Spundwände bzw. Vorschalung) sowie in Längsrichtung vari-

abel positionierbare Schlitzeinbauten aus und bietet somit umfangreiche Optio-

nen zur Parametervariation. Durch unterschiedliche Beckenlängen ließen sich je

nach Untersuchungszustand 7 bis 10 Becken in der Modellrinne von 12 m Länge

realisieren. Die verwendeten Spundwände sind dem U-Spundwandprofil Larssen

24 [ThyssenKrupp, 2010] nachempfunden. Um eine Umströmung der Schlitz-

einbauten bei direkt angrenzenden, offenen Spundwandtaschen auszuschließen,

wurden diese mit Metallblechen verschlossen (vgl. Abbildung 4). Die Sohlnei-

gung der Rinne beläuft sich auf ca. 4 %.

Zur messtechnischen Erfassung der Strömungsverhältnisse wurden Fließge-

schwindigkeiten im Schlitzbereich und Wasserstände aufgenommen. Mit der

eingesetzten auf dem Akustik-Doppler-Messprinzip basierenden ADV-Sonde

sind punktuelle dreidimensionale Geschwindigkeitsbestimmungen möglich. Es

wurde in ausgewählten Becken in mittlerer Wassertiefe gemessen, wobei die

Messdauer jeweils 180 s bei einer Frequenz von 25 Hz betrug. Die Wasserstän-

de wurden an jeweils zwei charakteristischen Positionen pro Becken mittels ei-

ner über der Wasseroberfläche positionierten Ultraschallsonde aufgezeichnet,

Page 312: bemessung im wasserbau

304

Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände

auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen

wobei die Daten mit einer Frequenz von 100 Hz über 180 s erfasst wurden

(Messpositionen vgl. Abbildung 4).

Abbildung 3: Modellaufbau im Wasserbaulabor

Abbildung 4: Planskizze des Modellaufbaus im Modellmaßstab 1:3

Der Unterwasserstand und der Durchfluss wurden mittels einer am Modellaus-

lauf angeordneten Klappe bzw. einem Zulaufschieber eingestellt und mit einem

magnetisch-induktiven Durchflussmesser überwacht. Des Weiteren wurden qua-

litative Tracerversuche zur visuellen Detektion von Strömungspfaden und Ver-

wirbelungen durchgeführt, welche zur späteren Auswertung über Fotos und Vi-

deos dokumentiert wurden.

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„Bemessung im Wasserbau“ 305

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4 Darstellung der Untersuchungsergebnisse

Frühere Untersuchungen [z.B. Wang et al., 2010, Musall et al., 2014] haben

aufgezeigt, dass die Strömungscharakteristik in Fischaufstiegsanlagen maßge-

bend vom Breiten-zu-Längen-Verhältnis (B/LLB) bestimmt wird. Zur Analyse

möglicher Spundwandeinflüsse wurden deswegen drei verschiede Situationen

mit unterschiedlichen B/LLB-Verhältnissen und daraus resultierenden unter-

schiedlichen Strömungsmustern in den Einzelbecken ausgewählt.

Zunächst wurde der Ausschnitt des Schlitzpasses gemäß der realen Planung mit

einem B/LLB = 0,61 untersucht, wobei sich ein „strömungsstabiler“ Zustand

[vgl. DWA, 2014] einstellt. Es folgten ein B/LLB = 0,45 mit „strömungsdissipie-

rendem“ Strömungsbild und ein B/LLB = 0,56, wo der Übergangsbereich zwi-

schen den beiden eindeutigen Strömungsmustern identifiziert wurde.

4.1 B/LLB = 0,61 – „Strömungsstabiler“ Zustand

Mit eingesetzter Vorschalung und einem B/LLB = 0,61 wurde ein „strömungs-

tabiles“ Strömungsverhalten beobachtet. Es bildete sich ein von Schlitz zu

Schlitz fließender, leicht gebogener Hauptströmungspfad aus. Er schwankte

leicht zwischen einem Auftreffen auf die Leiteinrichtung des Schlitzes und der

in Fließrichtung rechten Außenwand. Die Hauptströmung wurde von zwei aus-

geprägten Rezirkulationswirbeln gestützt (vgl. Abbildung 5, links).

Das Entfernen der Vorschalung zeigte bei diesem Untersuchungszustand nur

geringe Auswirkungen. Es stellte sich mit Spundwänden ein nahezu unveränder-

tes Strömungsmuster ein und auch die Schwankungsbreite des Strahles zeigte

keine sichtbare Veränderung. Der Stützwirbel hinter dem Umlenkblock reichte

nun allerdings bis in die offene Spundwandtasche, während sich in den anderen

Spundwandtaschen beruhigte Bereiche oder nur kleinere Wirbel ohne Auswir-

kung auf die Hauptströmung ausbildeten (vgl. Abbildung 5, rechts). Auch eine

offene Spundwandtasche direkt vor dem Umlenkblock ergab keinen erkennba-

ren Einfluss auf den Durchströmungswinkel des Schlitzes.

Die Analyse der Messwerte der Beckenwasserstände (vgl. Abbildung 8) sowie

der Fließgeschwindigkeiten zeigt ebenfalls nur geringfügige Unterschiede, wel-

che im Rahmen der natürlichen Schwankung bzw. der Messgenauigkeit liegen.

Der in Abbildung 8 erkennbare Effekt leicht erhöhter Wassertiefen in Rinnen-

mitte ist auf bauliche Ungenauigkeiten der Modellsohle zurück zu führen und

somit in allen Untersuchungsszenarien vorhanden und ohne weitere Bedeutung

für die Analyse.

Page 314: bemessung im wasserbau

306

Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände

auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen

Abbildung 5: Strömungssituationen bei einem B/LLB = 0,61 mit Vorschalung (links) und

Spundwandberandung (rechts)

4.2 B/LLB = 0,45 – „Strömungsdissipierender“ Zustand

Im weiteren Verlauf wurde ein Zustand mit B/LLB = 0,45 untersucht. Bedingt

durch die Verlängerung der Becken bildete sich hier bei eingesetzter Vorscha-

lung erwartungsgemäß ein „strömungsdissipierendes“ Muster. Gekennzeichnet

durch einen stark gebogenen Strömungspfad prallte die Hauptströmung zunächst

auf die linke Außenwand, wurde an der querstehenden Leitwand stark umge-

lenkt und prallte schließlich noch auf die rechte Außenwand. Von dort floss die

Strömung dann zum nächsten Schlitz. Es entwickelte sich eine große Rezirkula-

tionszone unterstrom des Umlenkblocks (vgl. Abbildung 6, links).

Nach Entfernen der Vorschalung vor den Spundwänden konnten in diesem Zu-

stand einige Unterschiede in der Strömungscharakteristik festgestellt werden.

Die Hauptströmung prallte zwar immer noch gegen die linke Außenwand, wur-

de jedoch im weiteren Verlauf durch kleine Wirbel, welche sich in den Spund-

wandtaschen ausbildeten, zur Mitte gedrückt, wodurch sich insgesamt ein etwas

„glatterer“ Strömungspfad durch das Becken hindurch mit geringer ausgepräg-

ten Umlenkungen einstellte. Ein zusätzlicher, starker Aufprall auf die rechte

Außenwand blieb i.A. aus bzw. erfolgte nur noch gelegentlich im Rahmen der

Schwankung der Hauptströmung (vgl. Abbildung 6, rechts).

Die Betrachtung der Wassertiefen in Abbildung 8 zeigt ausgehend von einem

identischen Unterwasserstand nach oben hin abnehmende Wassertiefen bei der

Spundwandvariante. Die Wassertiefendifferenz in den oberen Becken (1, 2, 3)

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„Bemessung im Wasserbau“ 307

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liegt bei ca. 1 – 1,3 cm, was ca. 4 – 5 % der Beckenwassertiefe entspricht. Dies

bedeutet aufgrund des identischen Modelldurchflusses bei beiden Varianten eine

Erhöhung der Abflussleistung um ca. 4 – 5 % bei Einsatz einer Spundwandbe-

randung. Ursächlich dafür erscheinen im Wesentlichen die geringeren Umlen-

kungsverluste bedingt durch den „glatteren“ Strömungsverlauf.

Abbildung 6: Strömungssituationen bei einem B/LLB = 0,45 mit Vorschalung (links) und

Spundwandberandung (rechts)

4.3 B/LLB = 0,56 - Übergangsbereich

Beim dritten Modellzustand wurde ein B/LLB = 0,56 eingestellt. Dabei wurde bei

eingesetzter Vorschalung in den obersten Becken 1 bis 3 ein „strömungsstabi-

les“ Verhalten beobachtet, die untersten Becken 7 bis 9 waren demgegenüber

durch „strömungsdissipierende“ Strömungscharakteristik gekennzeichnet und in

den mittleren Becken 4 bis 6 bildete sich ein Übergangsbereich zwischen dem

„strömungsstabilen“ und dem „strömungsdissipierenden“ Zustand aus. Hier lag

ein unregelmäßiger Wechsel der Hauptströmung zwischen einem Strahl von

Schlitz zu Schlitz (vgl. Abbildung 7, links) zu einem stark gekrümmten Strahl,

welcher auf beide Außenwände traf (vgl. Abbildung 7, Mitte), vor. Es kam ab-

schnittweise zu Strömungsverhältnissen, die keinem der beiden Mustern zuzu-

ordnen waren, wobei diese Übergangsphasen im Modell ca. 4 – 35 s (real: 7 –

60 s) andauerten und die jeweiligen Strömungsmuster für ca. 7 – 20 s (real: 12 –

35s) erkennbar waren.

Page 316: bemessung im wasserbau

308

Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände

auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen

Nach Entfernen der Vorschalung der Spundwände stellte sich demgegenüber in

allen Becken der Rinne ein „strömungsstabiles“ Muster ein. In den Spundwand-

taschen bildeten sich beruhigte Bereiche oder nur kleinere Wirbelsysteme (vgl.

Abbildung 7, rechts).

Abbildung 7: Strömungssituation bei einem B/LLB = 0,56 mit Vorschalung und Ausschlag

Richtung SM 1 (links), mit Ausschlag Richtung SM 2 (Mitte) und mit Spundwandberandung

(rechts)

Betrachtet man die Wassertiefen in Abbildung 8, so sind bei eingesetzter Vor-

schalung generell deutlich größere Wassertiefen erkennbar, lediglich der mo-

delltechnisch fixierte Unterwasserstand ist identisch. Die Unterschiede nehmen

im Verlauf zunächst stark zu und reduzieren sich zum oberen Modellrand hin

dann wieder etwas. In den Becken 4 bis 6 beträgt die Wassertiefendifferenz zwi-

schen Vorschalung und Spundwandberandung ca. 3 – 3,5 cm. Dies ist gleichbe-

deutend mit ca. 11 - 13 % niedrigeren Wassertiefen im Übergangsbereich.

Betrachtet man diese Ergebnisse, erkennt man einen deutlichen Unterschied be-

züglich der Anlagenleistungsfähigkeit im unteren Rinnenbereich bedingt durch

die Änderung des Strömungsmusters. Hier kommt es im Falle einer Spund-

wandberandung bei identischem Abfluss zu deutlich geringeren Wassertiefen

und damit auch zu höheren Fließgeschwindigkeiten. Die unterstrom des Schlit-

zes ermittelten maximalen Fließgeschwindigkeiten liegen hier mit Spundwänden

um ca. 10 – 15 % höher. Im mittleren Rinnenabschnitt, wo sich mit Vorscha-

lung ein strömungstechnischer Übergangsbereich einstellte, sind die Unterschie-

de vergleichsweise gering und aufgrund der im unteren Modellabschnitt verur-

sachten großen Wasserspiegeldifferenz, welche hier nun etwas abgebaut wird,

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 309

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nicht abschließend zu beurteilen. Im oberen Rinnenabschnitt zeigen sich kaum

Veränderungen, was zu den Erkenntnissen aus Abschnitt 4.1 passt.

Abbildung 8: Wassertiefen in den einzelnen Becken bei den untersuchten Szenarien

5 Zusammenfassung & Ausblick

Der Einsatz von Spundwänden im Gegensatz zu einer ebenen Berandung führte

bei dem untersuchten technischen Schlitzpass im Planungszustand zu keiner er-

kennbaren Beeinflussung der Strömungscharakteristik. Ergänzende Untersu-

chungen mit veränderter Beckengeometrie (Verlängerung der Becken zur Er-

zeugung abweichender Strömungsmuster) zeigten dagegen deutliche Tendenzen

hin zu einer „Glättung“ der Hauptströmung. Abhängig von den gewählten Be-

ckenabmessungen konnte es dabei auch zu einer vollständigen Veränderung des

Page 318: bemessung im wasserbau

310

Untersuchungen zum Einfluss seitlicher Spundwände

auf die Strömungscharakteristik in technischen Fischaufstiegsanlagen

Strömungsmusters bedingt durch die Art der Berandung kommen. Hier führte

der Einsatz von Spundwänden tendenziell zu einer höheren Anlagenleistungsfä-

higkeit, was sich in etwas geringeren Wassertiefen und erhöhten Maximalge-

schwindigkeiten unterstrom des Schlitzes zeigte.

Im weiteren Verlauf der Untersuchungen werden die Ergebnisse durch numeri-

sche Berechnungen ergänzt, wobei insbesondere auch die Übertragbarkeit der

Untersuchungsergebnisse auf andere FAA-Geometrien analysiert werden soll.

6 Literatur

DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (2012): 4124 - Baugruben und Gräben -

Böschungen, Verbau, Arbeitsraumbreiten. Beuth Verlag GmbH Berlin.

DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (1999): EN 12063 Spundwandkonstruktionen.

Beuth Verlag GmbH Berlin.

DWA (2014): Merkblatt DWA-M 509: Fischaufstiegsanlagen und fischpassierbare

Bauwerke, Hennef

Musall, M., Oberle, P., Henning, M., Weichert, R., Nestmann, F.: „Analysen zu

Strömungsmustern in technischen Fischaufstiegsanlagen“ In: 37. Dresdner

Wasserbaukolloquium „Simulationsverfahren und Modelle für Wasserbau und

Wasserwirtschaft“, Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen Heft 50, S. 353-362,

2014

ThyssenKrupp (2010): Spundwandhandbuch, im Internet: https://www.yumpu.com/de/

document/view/8472688/spundwandhandbuch-thyssenkrupp-bautechnik/2

Wang, R. W., David, L., Larinier, M.: Contribution of experimental fluid me-chanics to

the design of vertical slot fish passes, Knowledge and Management of Aquatic

Ecosystems 396, 02, 2010

Wietek, B. (2011): Böschungen und Baugruben – ohne und mit Verbau. Vieweg und

Teubner Verlag – Springer Fachmedien Wiesbaden.

Autoren:

Dr.-Ing. Mark Musall

Tim Kerlin, cand. M.Sc.

Dr.-Ing. Frank Seidel

Dr.-Ing. Peter Oberle

Institut für Wasser und Gewässerentwick-

lung, Karlsruher Institut für Technologie,

Kaiserstraße 12, 76131 Karlsruhe

Tel.: +49 721 6084 3163

Fax: +49 721 6084 2992

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Dipl.-Ing. (FH) Daniel Schmidt

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Fax: +49 355 75 70 05 22

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Page 319: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe

von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen

Gereon Hermens

Gerrit Fiedler

Bei zahlreichen Fischaufstiegsanlagen (FAA) muss im Auslaufbereich dem Be-

triebsdurchfluss Dotationswasser zugeführt werden, um eine ausreichend starke

Leitströmung unterhalb der Staustufe zu generieren. Dieses Dotationswasser wird

in der Regel aus dem Oberwasser der Staustufe entnommen. Um die Passierbar-

keit der FAA durch die Einleitung in die Aufstiegsanlage nicht einzuschränken,

sind spezielle Anforderungen hinsichtlich Geschwindigkeit und Richtung der

Wasserzugabe einzuhalten. Hierzu muss das Dotationswasser vor der Einleitung

in die FAA zumeist durch Energieumwandlung verlangsamt und beruhigt werden.

In der vorliegenden Ausarbeitung wird dargestellt, welche Betrachtungsansätze

für die mathematische Beschreibung dieser Energieumwandlung aktuell zur Ver-

fügung stehen und warum diese zur Beantwortung der Fragen nicht ausreichen.

Anhand von aktuellen Planungen zum Bau von Pilotanlagen für die WSV werden

die gewählten Entwürfe zur Dotationswassereinleitung dargestellt und ein Aus-

blick auf die weiterhin offenen Fragen gegeben

Stichworte: Energieumwandlung, Strömungsberuhigung, Strömungsaufweitung,

Dotation, Passierbarkeit von Fischaufstiegsanlagen

1 Das Problem der Energieumwandlung und Einleitung

In der Regel muss der Einstieg der Fischaufstiegsanlage (FAA) sohlnah ange-

bunden werden, was dazu führt, dass der Einstiegsschlitz über die gesamte Un-

terwassertiefe ausgeführt werden muss. Darüber hinaus reicht das eigentliche

Betriebswasser einer Fischaufstiegsanlage nicht aus, die Auffindbarkeit im Un-

terwasser zu gewährleisten, so dass im unteren Bereich der Anlage die Strömung

verstärkt werden muss. Dies geschieht durch Zugabe von Dotationswasser in das

Einstiegsbecken der FAA. Dieses Dotationswasser stammt in der Regel aus dem

Oberwasser der Staustufe und strömt nach der Entnahme zunächst auf dem

Oberwasserniveau durch einen Zulaufkanal. Da sich das Einstiegsbecken der

FAA jedoch auf dem Niveau des Staustufenunterwassers befindet, ergibt sich

eine überschüssige hydraulische Energie im Dotationswasser in der Größenord-

nung der Staustufenfallhöhe. Um die Passierbarkeit im Bereich der Einleitung

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312 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen

und im Einstiegsbecken zu gewährleisten, ist es erforderlich diese überschüssige

Energie vor der Einleitung zu reduzieren (Energieumwandlung).

Es handelt sich somit um zwei hydraulische Einzelvorgänge, deren mathemati-

sche Dimensionierung derzeit nicht ohne weiteres möglich ist: Die Energieum-

wandlung und die Einleitung in die FAA.

1.1 Energieumwandlung

Bisher steht keine Berechnungsformel zur Dimensionierung eines Energieum-

wandlungsbeckens zur Verfügung. In Analogie zur Dimensionierung der FAA

nach aktuellem Regelwerk (DWA, 2014) wird zur Ermittlung bisher häufig die

nachstehende Formel für die Leistungsdichte als Hilfsgröße herangezogen.

Pd = ρ*g*Q*Δh/Beckenvolumen [W/m³]

mit: Pd = Leistungsdichte

ρ = Dichte von Wasser

g = Gravitationskonstante

Q = Dotationswassermenge

Δh = Höhendifferenz der Energielinie im Dotationswassersystem ober-

und unterhalb der Energieumwandlung

VB = Beckenvolumen (hier: Zielgröße)

Allerdings kann der Grenzwert für die Leistungsdichte bislang nur anhand von

empirischen Vergleichswerten gewählt werden, eine eindeutige Ermittlung der

erforderlichen Beckengröße ist nicht möglich. Ist sie zu klein, wird zu viel Ener-

gie in die FAA eingetragen und somit die Passierbarkeit gefährdet. Bei einer zu

großen Beckenauslegung entstehen entsprechend unnötige Mehrkosten, die ge-

genüber dem Bauherren nicht zu begründen sind. In Abbildung 1 sind zur Ver-

deutlichung der Problematik exemplarisch Energieumwandlungsbecken an

FAAn an der Eifel-Rur (linkes Bild) sowie an der Lahn (rechtes Bild) aufge-

führt.

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Abbildung 1: mittlere Leistungsdichte Pd für vorhandene Energieumwandlungsbecken (Quel-

le: Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH)

Im linken Beispiel wird das Dotationswasser im hinteren Teil in das Becken

eingeleitet. Es ist deutlich zu erkennen, wie sich die Energiedichte nach vorne

hin reduziert.

Im rechten Beispiel wird das Dotationswasser zunächst in das linke Becken mit-

tels Rohrleitung an der unteren Stirnseite tief eingeleitet, zu erkennen an der

leichten Verwirbelung am unteren Bildrand. In dem nachgeschalteten rechten

Becken ist die Energiedichte hingegen sehr hoch.

In einer frühen französischen Ausarbeitung aus den 1990er Jahren wurde der

mögliche Energieeintrag in das Energieabbaubecken mit 1000 – 1500 W/m³ be-

ziffert, wobei auch hier auf die Problematik der anschließenden Dotationseinlei-

tung hingewiesen wurde (LARINIER 1995).

1.2 Dotationseinleitung

Ist die Energieumwandlung im Energieabbaubecken zu gering, wirkt sich die

mit der Einleitung verbundene Querströmung oder gar Turbulenz in der FAA

negativ auf den Wanderkorridor innerhalb der FAA und somit auf die Passier-

barkeit aus.

125 W/m³

35 W/m³ 1100 W/m³

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314 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen

Abbildung 2: links sehr starke Turbulenzen in der FAA, rechts deutliche Aufwirbelung,

(Quelle: Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH)

In Abbildung 2 ist deutlich zu erkennen, dass die Strömung in den Becken der

FAA von der seitlichen Einleitung aus den Energieumwandlungsbecken beein-

flusst wird und damit die Passierbarkeit in diesem FAA-Bereich eingeschränkt

wird.

2 Stand des Wissens

2.1 Energieumwandlung

Wie oben bereits beschrieben wurde, muss die überschüssige Energie des Dota-

tionswassers vor der Einleitung in die FAA reduziert werden (Abbildung 3). Für

die Umsetzung dieser Maßnahmen sind Bauwerke notwendig, die in der Regel

gemeinsam mit der FAA in eine bestehende Staustufe integriert werden müssen.

Hierbei liegt im Normalfall eine Vielzahl an konstruktiven Zwangspunkten vor,

weshalb sich eine allgemeingültige Anordnung und Bemessung von Zuleitun-

gen, Energieumwandlung und Einleitung schwierig beschreiben lassen.

Die Umwandlung von überschüssiger Energie in Wärme und Schall kann im

Wasserbau durch verschiedene Mechanismen erfolgen. Hierzu gehört die Rei-

bung zwischen Wasser und Gerinneoberfläche, die Reibung zwischen Wasser

und Luft, die innere Reibung des Wassers sowie die Energieumwandlung durch

Aufprall.

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1 2 3

Drucklinie

Energielinie

Oberwasser

Unterwasser

(Einstiegsbecken FAA)

Energiehorizont

hU

mw

andlu

ng

Dotationsleitung

Bezugshorizont

Energ

ie-

um

wandlu

ng

4

Lageenergiehöhe

Druckhöhe

Geschwindigkeitshöhe

Abbildung 3: Vereinfachte Darstellung der notwendigen Energieumwandlung für die Einlei-

tung von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen anhand der Energieerhaltung (Quelle:

BAW)

Eine einfache theoretische Herangehensweise zur Begrenzung der in einem

Wasserkörper befindlichen Leistungsdichte kann, wie in Abbildung 13 darge-

stellt, genutzt werden, um das Volumen eines Energieumwandlungsbeckens zu

bestimmen. Hiermit kann die durch die überschüssige Energiehöhe abgegebene

Leistung in einem definierten Wasserkörper ideell beschrieben werden. Aller-

dings wird anhand dieser Herangehensweise weder die Bemessung einer geeig-

neten Beckengeometrie noch eine Optimierung der energieumwandelnden Me-

chanismen erreicht.

Ähnliche Problemstellungen gibt es in der Siedlungswasserwirtschaft und dem

Kanalbau, wofür diverse Energieumwandlungsbauwerke entwickelt wurden.

Beispielsweise zählen hierzu Gegenstrom-Tosbecken, Fallschächte, Aufprallbe-

cken und Beruhigungsschächte, deren Dimensionierung ausschließlich empiri-

sche Ansätze zugrunde liegen. Zudem besteht auch die Möglichkeit, die über-

schüssige Energie mit einer kleinen Turbine abzuarbeiten und in nutzbare elekt-

rische Energie umzuwandeln. Um solche Bauwerke für die Energieumwandlung

des Dotationswassers anwenden zu können, müssen sie für den erforderlichen

Betriebsbereich, definiert durch die Spannweite der auftretenden Fallhöhen und

Durchflüsse, bemessen werden. Um einen sachgerechten Betrieb zu gewährleis-

ten, ist man bisher noch immer häufig auf Modellversuche angewiesen, da die

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316 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen

Übertragbarkeit der vorliegenden Bemessungswerke (z. B. Vollmer (1975)) auf

die benötigten Betriebspunkte z. T. mit größeren Unsicherheiten verbunden ist.

2.2 Zugabe des Dotationswassers

Nach der Energieumwandlung muss das Dotationswasser in das Einstiegsbecken

der FAA geleitet werden. Hierfür wird nach aktueller Literatur (DWA, 2014)

eine Einschwimmbarriere in Form eines Feinrechens empfohlen, der gleichmä-

ßig mit einer Strömungsgeschwindigkeit von nicht mehr als 0,4 m/s und mög-

lichst beruhigt durchströmt werden soll.

In der Regel verursacht das Zuleitungssystem in Form einer Rohr- oder Kanal-

ausführung dreidimensionale Strömungsverteilungen, wodurch der Feinrechen

nicht ohne weitere Maßnahmen gleichmäßig und beruhigt durchströmt wird. Um

diesen Effekten entgegen zu wirken, muss die Dotationsströmung vor der Einlei-

tung vergleichmäßigt, beruhigt und auf die Strömungsfläche der Einschwimm-

barriere ausgeweitet werden.

Die Vergleichmäßigung eines Strömungsprofils kann z. B. durch trichterförmige

Fließquerschnittsausweitungen erfolgen, welche jedoch aufgrund von kleinen

Ausweitungswinkeln häufig lange Bauwerke erzwingen. Eine Möglichkeit für

die Beschleunigung eines Vergleichmäßigungsprozesses ist die turbulente Ver-

mischung mit anschließender Beruhigung. Für die Umsetzung dieser Maßnah-

men sind für einfache Geometriefälle Berechnungsansätze für entsprechende

Einbauten aus einschlägiger Literatur (z. B. Smith (1966)) zu entnehmen oder

für kompliziertere Fälle Modellversuche/-berechnungen durchzuführen.

3 Die geplante Umsetzung

Der Pilotstandort FAA Eddersheim am Main der WSV ist durch räumliche Enge

geprägt, welche aufgrund der Insellage zwischen WKA und Schleuse hervorge-

rufen wird. In einer mehrjährigen Versuchsreihe soll hier u.a. in mehreren Ein-

stiegen untersucht werden, wie sich die Leitströmung auf die Auffindbarkeit

auswirkt. Für diesen Zweck muss in jedem vorgesehenen Einstieg eine größere

Dotationswassermenge eingeleitet werden können.

Für einen dieser Stränge müssen 3,2 m³/s als Dotationswasser bereitgestellt wer-

den, welches zuvor ein Höhenniveau von ca. 3,4 m abbauen und vor der Zugabe

in die FAA ausreichend beruhigt werden muss. In Abbildung 4 ist die Anord-

nung dieser Dotationswasserzugabe schematisch im Schnitt dargestellt.

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Abbildung 4: Zulaufkanal und Energieumwandlungsbecken mit Strömungsberuhigung vor dem Zu-

gaberechen in die FAA (Quelle: Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH)

Das geplante Energieumwandlungsbecken verfügt über rund 120 m³, so dass der

mittlere Energieeintrag ohne weitere Einbauten bei rund 650 W/m³ liegt. Es

wird daher geprüft, ob zusätzliche Beruhigungselemente vorzusehen sind, um

die Strömung vor dem Zugaberechen in das Einstiegsbecken der FAA weiter zu

beruhigen.

Die zulässige mittlere Fließgeschwindigkeit am Zugaberechen wird über den

oben genannten Grenzwert definiert, wobei dieser bei den Pilotanlagen Edders-

heim und Lauffen sogar auf 0,2 m/s reduziert wurde.

Der Zugaberechen muss entsprechend ausreichend groß dimensioniert werden.

Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass am Rechen auch lokal keine signifikant

höheren Fließgeschwindigkeiten auftreten. Um dies zu gewährleisten, sind vor

der Rechenebene ergänzende Einrichtungen zur Strömungslenkung (z.B. Leit-

wände) vorzusehen. Deren konkrete Ausgestaltung wird in den unten näher be-

schriebenen laufenden Untersuchungen der Bundesanstalt für Wasserbau

(BAW) ermittelt.

4 Durchgeführte Untersuchungen

Die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) führt im Rahmen eines Forschungs-

projektes Untersuchungen über die Bemessung von Sonderbauwerken in Fisch-

aufstiegsanlagen durch. Hierzu zählen im Kontext dieses Beitrags auch Ener-

gieumwandlungsbecken und Einbauten für die Einleitung von Dotationswasser.

Page 326: bemessung im wasserbau

318 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen

Für die Planung der Fischaufstiegsanlage Wallstadt an der Bundeswasserstraße

Main wurde ein Modellversuch abgeschlossen, indem verschiedene Bauweisen

für die Einleitung des Dotationswassers untersucht wurden (Abbildung 5). Das

Ziel war hierbei, das Dotationswasser gleichmäßig und beruhigt in das Ein-

stiegsbecken zu leiten. Aufgrund räumlicher Enge und konstruktiven Zwangs-

punkten wurde für die Ausführung eine kompakte Bauweise für die Einleitung

gesucht.

Die Ergebnisse der Untersuchungen haben gezeigt, dass die Zulaufbauweise so-

wie deren Anströmung aus dem Rohrsystem einen starken Einfluss auf die

Strömungsverteilung am Rechen haben. Eine Vorzugsvariante der Untersuchun-

gen in Ausführung einer Sohlstufe vergleichmäßigt die aus dem Rohrsystem

stammende dreidimensionale Strömung durch turbulente Vermischungseffekte.

Nachdem sich ein gleichmäßiges Strömungsprofil eingestellt hatte, konnten zu-

dem mit dem Einsatz von wabenförmigen Gleichrichtern starke Beruhigungsef-

fekte erreicht werden (Fiedler, 2016). Die Vorzugsvariante für den Standort

Wallstadt, bietet sich an, um auf andere Planungen (z. B. Standort Eddersheim

am Main) mit ähnlicher Bauwerksanordnung übertragen zu werden.

Abbildung 5: Gegenständliches Modell für die Untersuchung von Zulaufbauweisen für die

gleichmäßige und beruhigte Einleitung von Dotationswasser (Quelle: BAW)

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Momentan werden an der BAW vergleichbare Untersuchungen für den Standort

Lauffen am Neckar durchgeführt. Hierbei wird die Energieumwandlung durch

einen Fallschacht hinsichtlich einer geringen Turbulenzintensität und Luftein-

trag in der Abströmung untersucht. Für die Einleitung des Dotationswassers

werden weitere Möglichkeiten zur Strömungsausweitung und gleichmäßigen

Durchströmung des Rechens erprobt. Auch am Standort Lauffen herrschen be-

sonders enge Platzverhältnisse, weshalb auch hier eine möglichst kompakte Lö-

sung gemäß Abbildung 6 gesucht wird.

Fallschacht

Dotationszulauf

als Kanal

Dotationsbecken

Fischaufstiegsanlage

Rechen

Unterwasser der

Staustufe

QDot

QFAA

QLeit

QWKA

QLeit

Einstieg 1

Einstieg 2

Abbildung 6: Draufsicht des gegenständlichen Modells zur Umsetzung der Dotation in der

Fischaufstiegsanlage Lauffen (Quelle: BAW)

5 Ausblick

Um allgemein gültige Aussagen für die Bemessung von Energieumwandlungs-

bauwerken sowie für Einbauten zur Einleitung treffen zu können, sind an der

BAW weitere Untersuchungen geplant. Hierfür soll die Anwendbarkeit und

Übertragbarkeit der Bemessungswerte bestehender Energieumwandlungsbau-

werke auf die Betriebsbereiche von Fischaufstiegsanlagen ausgeweitet werden.

Page 328: bemessung im wasserbau

320 Energieabbau und Ansätze zur beruhigten Zugabe von Dotationswasser in Fischaufstiegsanlagen

Für die Einleitung des Dotationswassers werden zukünftig weitere Untersu-

chungen über Einbauten zur Strömungsausweitung, Vergleichmäßigung und Be-

ruhigung durchgeführt. Hierbei wird das Ziel verfolgt, diesen Teil des Bauwerks

möglichst kompakt auszuführen und mit allgemeingültigen Aussagen bemessen

zu können.

6 Literatur

DWA – Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (2014):

Merkblatt 509 Fischaufstiegsanlagen und Fischpassierbare Bauwerke – Gestaltung,

Bemessung, Qualitätssicherung.

Fiedler, G. (2016): Bauweisen für die beruhigte und gleichmäßig verteilte

Durchströmung eines spitzwinkligen Dotationsbeckens, Kolloquiumsreihe der

BAW und BfG, Karlsruhe 2016

Larinier, M. (1995): Passes à poissons. – Paris (Conceil Supérieur de la Pêche).

Smith, C. (1966): Use of baffles in open channel expansion, Journal of Hydraulic

Division, University of Tennessee 1966

Vollmer, E. (1975): Energieumwandlung und Leistungsfähigkeit des Gegenstrom-

Tosbeckens, Mitteilungen des Instituts für Wasserbau Universität Stuttgart,

Stuttgart 1975

Autoren:

Dipl.-Ing. Gereon Hermens

Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH

Bachstraße 62-64

52066 Aachen

Tel.: +49 241 94986-0

Fax: +49 241 94986-13

E-Mail: gereon.hermens@floecksmuehle-

fwt.de

Gerrit Fiedler M.Sc.

Bundesanstalt für Wasserbau

Abteilung Wasserbau im Binnenbereich

Referat Wasserstraße und Umwelt (W1)

Kussmaulstr. 17

D - 76187 Karlsruhe

Tel.: +49 721 9726-5240

Fax: +49 351 01234 56

E-Mail: [email protected]

Page 329: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

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Wellenumlenker in der Freibordbemessung

Reinhard Pohl

Höhere Bemessungswasserstände bei Stauanlagen führen zu einer Freibordvemin-

derung. Damit diese nicht zu Lasten der Stauanlagensicherheit geht, können Wel-

lenumlenker eingesetzt werden. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit de-

ren Konstruktion und Bemessung.

Stichworte: Schlagwörter: Freibord, Wellenumlenker, Wellenauflauf, Ufermauer

Key Words: Freeboard, Wave Deflector, Wave Run-up, recurved Sea Wall

1 Einführung

Wenn für Stauanlagen höhere Bemessungsabflüsse ermittelt werden oder das

Stauziel auf Grund von Nutzungsänderungen erhöht werden soll, wird damit zu-

nächst die Freibordhöhe vermindert. Auch wenn keine Freibordreserve vorhanden

ist, darf dies nicht zu Lasten der Anlagensicherheit gehen. Um das Sicherheitsni-

veau zu halten, können die in Abb. 1 genannten Maßnahmen einzeln oder in Kom-

bination ergriffen werden.

Abbildung 1: Mögliche Maßnahmen bei Freiborddefiziten (Pohl 2016)

Page 330: bemessung im wasserbau

322 Wellenumlenker in der Freibordbemessung

2 Kronenelemente

Eine sehr vorteilhafte konstruktive Maßnahme zur Kompensation von Freibord-

defiziten ist die Anordnung von Kronenelementen. Diese können aus Beton oder

auch aus Metall hergestellt sein. Wenn sie auf die Krone aufgesetzt werden, ver-

größern sie die Freibordhöhe. Wenn sie zusätzlich auf der Wasserseite konkav

ausgerundet sind, können sie eventuell auflaufende Wellen (Windwellen,

Schwallwellen) von der Krone ablenken und werden deshalb auch als Wellenum-

lenker bezeichnet. Die Anwendungsbereiche sowie die Vor- und Nachteile dieser

Elemente sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit für typische Ausführungen in

der Tabelle dargestellt.

3 Wellenumlenker

Die auflaufvermindernde Wirkung von Wellenumlenkern wird schon seit längerer

Zeit vor allem im Seebau und Küstenschutz genutzt. Beispiele hierfür sind neben

vielen anderen weltweit die ausgerundeten Ufermauern in San Francisco, CA

(USA 1930), Galveston, TX (USA 1965), in Exmouth, Devonshire (GB) und die

Wellenumlenker bei Dranske, Rügen (D 1980) – s. Abb. 2.

Abbildung 2: Ausführungsbeispiele für Wellenumlenker (v. l. n. r.) 1. als Polygon ausgebildeter

Wellenumlenker auf der Krone der Talsperre Bautzen (Nr. 3 in Abb. 4), 2. in den Dammkörper

eingelassener Umlenker an der Talsperre Nonnweiler (Nr. 13 in Abb. 4), 3. Ausgerundete Was-

serseite mit aufgesetzter Wellenschutzmauer auf dem Damm des oberen Großhartmannsdorfer

Teiches der Revierwasserlaufanstalt Freiberg, 4. Raudeckwerk und Wellenumlenker an der Ost-

seite des Süßen Sees bei Eisleben, 5. Asphaltrauhdeckwerk und Wellenumlenker südlich von

Dranske (Rügen), 6. Ausgerundete Ufermauer in Exmouth, Devonshire (GB). Bildquelle: Pohl

Abbildung 3: Zwischenlager der Wellenumlenker (Nr. 12 in Abb. 4) vor dem Einbau am Ober-

becken des PSW Säckingen (Eggbergbecken). Bildquelle: Pohl

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Die Ausrundung folgt dabei oft einem Kreisbogen, der im oberen Bereich auch

durch eine Ellipse abgeschossen werden kann. Der Strahlablösungswinkel des

umgelenkten Strahles kann dann zwischen 45° und 90° (horizontal) liegen.

Abbildung 4: Verschiedene Wellenumlenker: 1 TS Ohra, 2/3 TS Bautzen alt/neu, 4/5/6 PSW

Markersbach UB, OB alt/neu [13], 7 TS Schönbrunn, 8 TS Lichtenberg, 9 TS Ratscher, 10 TS

Schömbach, 11 PSW Glems OB, 12 PSW Säckingen OB, 13 TS Nonnweiler. Bildquelle: Pohl

4 Bemessung

Die Bemessung der Wellenumlenker und anderer Kronenelemente muss aus hyd-

raulischer und Sicht und im Hinblick auf die Tragfähigkeit (statisch-dynamisch)

erfolgen.

Beim Nachweis der hydraulischen Wirksamkeit gilt es, die auflaufvermindernde

Wirkung der Elemente zu erfassen. Die Fragestellung kann in Abhängigkeit von

dem Bemessungskriterium lauten: Um wieweit verschiebt sich der Überlaufbe-

ginn auf der Skala der relativen Freibordhöhe hf/R in Abb. 6 gegenüber einer an-

sonsten gleich geneigten und gleich rauen Böschung ohne Umlenker oder wie

groß ist der Wellenüberlauf qT in Abhängigkeit von der Umlenkerhöhe hu, der

Freibordhöhe hf und den Wellenkennwerten H, T ?

Der Bemessungsrechengang und die Festlegung der erforderlichen Freibordhöhe

werden nun vom gewählten Bemessungskriterium bestimmt, welches z. B. aus

den nachfolgenden Möglichkeiten gewählt werden kann:

1. Die Dammkrone wird so ausgelegt, dass nur ein bestimmter Anteil der Wellen-

aufläufe zu einem Überlauf führt. Bei P = 2% bzw. F = 1 – P = 98% würden z.

B. die beiden größten von 100 Aufläufen überlaufen. Dieses Kriterium wird

häufig in der Praxis verwendet, wobei auf das DVWK-Merkblatt 246/1996 Be-

zug genommen wird.

2. Ein kritisches Überlaufvolumen (z. B. (qT)max = 2 m³/m bei einem Seedeich –

EuroTop 2016) darf nur von einem bestimmten Anteil der Überlaufeinzelereig-

nisse überschritten werden. Bei P = 3% dürften dann 3 von 100 Überlaufvolu-

mina größer als (qT)max sein. Dieses Kriterium geht von der Annahme aus, dass

nur größere zu häufige Überläufe dem Bauwerk schaden, kleinere aber nicht.

1 m

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Page 332: bemessung im wasserbau

324 Wellenumlenker in der Freibordbemessung

3. Der mittlere quasistationäre spezifische Überlauf darf einen Grenzwert (z. B.

qmax = 0,005 m²/s – EuroTop 2016, S. 41) nicht überschreiten. Hierbei wird von

der Gesamtwassermenge als kritische Einwirkung ausgegangen, wobei seltene

hohe Einzelüberläufe toleriert werden. Dieses Kriterium wird oft bei Seedei-

chen verwendet, bei denen höhere Schutzziele nicht wirtschaftlich realisierbar

sind. Andererseits ist ein Vergleich des Wellenüberlaufes mit Starkniederschla-

gereignissen deren Abfluss von der Krone sicherlich ein sinnvoller Vergleichs-

wert, da der Damm auch dieser Belastung widerstehen können muss.

4. Eine Kombination aus den Kriterien 2 und 3, wenn seltene hohe Einzelüber-

läufe nicht toleriert werden können.

5. In einer bestimmten Zeit darf nur eine bestimmte Anzahl von Überläufen ein

kritisches Volumen (qT)max überschreiten (z. B. zweimal pro Stunde (qT) >

(qT)max = 0,25 m³/s.)

Druet 1963 schlägt für die Ausrundung des Umlenkers einen Radius 𝑟 ≈ 0,6 ∙𝑐/𝑐𝑜𝑠𝛼 vor, wobei die Höhe der Ausrundung c = 3·dR dem Dreifachen der

Schwalldicke am Aufstellort entsprechen soll. Schajtan 1974 schlägt einen Wel-

lenumlenker vor, dessen Höhe hu = 1

2 H der halben Bemessungswellenhöhe ent-

spricht, dessen unterer Teil der Ausrundung ein Kreisbogen mit dem Radius

r = 1

3 H ist und dessen oberer Teil der Ausrundung eine Ellipse mit dem kleinen

Halbmesser von ungefähr 𝐻

10 ist. Keberle und Kolnykow (SU Pat. 1194952 E02B

3/06) hatten eine etwa 1 m hohe Ufermauer mit nach der Wasserseite um den

Betrag 0,14 … 0,16 ∙ H auskragender Rundung (r = 0,1 ∙ H) vorgeschlagen.

Hydraulische Berechnungsansätze wurden vom Verfasser auf der Grundlage von

Modellversuchen formuliert (Pohl 1991) und zeigten, dass bei entsprechenden

Verhältnissen die Freibordhöhe durch Wellenumlenker bis ungefähr auf die

Hälfte reduziert werden kann, wenn sichergestellt ist, dass der Brecherstrahl auf

die Böschung unterhalb des Umlenkers trifft und die Wellenhöhe nicht größer als

etwa die doppelte Umlenkerhöhe ist Abb. 6).

Abbildung 5: Definitionsskizze zum Wellenüberlauf: 1 ohne Kronenelement, 2 Ufermauer, 3

Wellenumlenker Kreis und Ellipse, Wellenumlenker logarithmische Spirale

Page 333: bemessung im wasserbau

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Abbildung 6: Versuchsergebnisse zum Wellenüberlauf ohne und mit verschiedenen Wel-

lenumlenkern. Wellenüberlaufvolumen als Funktion der normierten Freibordhöhe. – Bild-

quelle: Pohl

Abbildung 7: Links: Wellenauf- und Überlaufversuche mit Wellenumlenkern (hier Sturzbre-

cher auf einer 1:3 geneigten glatten Böschung) TU Dresden 1987. Rechts: Versuchsstand zum

Wellenauf- und Überlauf mit Wellenumlenker TU Dresden 2017. Bildquelle Pohl

Die Versuchsergebnisse sind auch in

das Berechnungsprogramm „Freibord“

integriert worden, welches eine hohe

Flexibilität in der Anpassung an kon-

struktive Ufergestaltungen aufweist und

neben der Berücksichtigung von Kro-

nenelementen noch weitere über das

DVWK-Merkblatt 246 hinausgehende

Abbildung 8: Berechnungsprogramm „Frei-

bord“ mit Auswahlmenü für die in Abb. 5 vor-

gestellten Böschungs- und Ufergestaltungen. –

Bildquelle: Pohl

Page 334: bemessung im wasserbau

326 Wellenumlenker in der Freibordbemessung

Optionen bietet wie den schrägen Wellenauflauf, die Berechnung für steile Bö-

schungsneigungen > 1:2 und die Mehrfachrechnung für probabilistische Betrach-

tungen (s. Abb. 8).

Beim Nachweis der Tragfähigkeit kommt es darauf an, dass in den maßgebenden

Bemessungssituationen die widerstehenden Kräfte (Widerstand Gewicht, Rei-

bung) größer sind als die einwirkenden (BeLASTung Wasserdruck, Auftrieb,

Stützkraft, Wind). Bei der nach DIN 19700: 2004-08 noch zulässigen Anwendung

des globalen (deterministischen) Sicherheitskonzeptes müssen die widerstehen-

den Kräfte größer sein, als die einwirkenden Kräfte multipliziert mit einem be-

stimmten Sicherheitsbeiwert (z. B. η = 1,3). Beim in jüngerer Zeit oft praktizierten

und für bestimmte Bauwerke auch normativ geforderten Teilsicherheitskonzept

müssen die mit Teilsicherheitsfaktoren erhöhten Einwirkungen kleiner sein als die

entsprechend abgeminderten Widerstände, woraus sich ein Auslastungsgrad < 1

ergibt. Weil durch die verschieden großen Beiwerte auf beiden Seiten die klare

Sicht auf den zumindest theoretisch berechenbaren Grenzzustand der Tragfähig-

keit willkürlich verwischt wird, hält der Verfasser des vorliegenden Beitrages

diese semiprobabilistische Methodik aus erkenntnistheoretischer Sicht für weni-

ger vorteilhaft, wenngleich sie durchaus praktikabel erscheinen mag. In eine voll-

ständig probabilistische Berechnung würden die Verteilungen aller Einwirkungen

und Widerstände eingehen, so dass für jede potenzielle Versagensart und das Ge-

samtversagen eine sehr kleine Wahrscheinlichkeit P < 10-3 … 10-6 ermittelt wer-

den könnte. Aus psychologischen Gründen wird häufig die Zuverlässigkeit 1-P

angegeben, die dann Werte von 99,9 … 99,9999 % annimmt.

Abbildung 9: Idealisierte Wellenauflaufphasen bis zum Umkehrpunkt der Bewegung. Bild-

quelle Pohl

Wenn eine Bemessung für den Grenzzustand vorgenommen werden soll, kann

zunächst vom sehr unwahrscheinlichen stationären Fall des bordvollen Einstaus

ausgegangen werden, in dem ein im Querschnitt (ungefähr) quadratisches Beton-

element ohne weitere Befestigung gleitsicher auf die Krone gestellt werden

könnte. Mit einem Reibungsbeiwert µ = 𝑡𝑎𝑛𝜑 = 0,45, einer Betondichte

ρB = 2200 kg/m³ und einem vollständigen Abbau des Sohlwasserdruckes von der

Wasser- bis zur Luftseite in der Aufstandsfläche würde der Grenzzustand der

Gleitsicherheit (η = 1) erreicht.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 327

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Wenn die instationäre Krafteinwirkung des Wellenauflaufes betrachtet werden

soll, muss der wellenerzeugende Wind in Auflaufrichtung zusätzlich berücksich-

tigt werden. Für Lasteinwirkungen wird üblicherweise die mittlere Welle des

höchsten Drittels aus dem Wellenspektrum, die sogenannte signifikante Welle an-

gesetzt: Hm0 ≈ HS ≈ H13% ≈ H1/3, die zusammen mit der Peakperiode TP der höchs-

ten spektralen Energiedichte zugeordnet wird. Modellhaft ist es vorstellbar, dass

sich der ungefähr dreieckige Auflaufkeil mit abnehmender Geschwindigkeit in

den Umlenker als Schwall auf geneigter Sohle hineinschiebt, bis zum Auflauf-

punkt verzögert wird und dann umkehrt. Die auf der gekrümmten Bahn verzögerte

und beschleunigte Wassermasse verursacht entsprechend der jeweiligen Momen-

tangeschwindigkeit eine Radialbeschleunigung und ruft auf Grund der Wasser-

masse nach dem zweiten Newtonschen Gesetz zeitlich veränderliche (instatio-

näre) Radialkräfte im Wellenumlenker hervor, die in Vertikal- und Horizontal-

kräfte zerlegt werden können (Abb. 9).

Abbildung 10: Ergebnisse einer instationären Beispielrechnung für einen 85 cm hohen Wel-

lenumlenker: Horizontal- (FH) und Vertikal- (FV) Kräfte infolge hydrodynamischer Belastung

einschließlich Windeinwirkung in Abhängigkeit von der zeit- und wegabhängigen Position des

Auflaufschwalls nach verschiedenen Berechnungsansätzen für verschiedene Bemessungsereig-

nisse. Es ist festzustellen, dass die Ergebnisse sensitiv auf Eingangswerte, wie zum Beispiel die

empirisch bestimmte Dicke des Auflaufschwalls in Wasserspiegelhöhe reagieren.

Page 336: bemessung im wasserbau

328 Wellenumlenker in der Freibordbemessung

Tabelle 1 Vor- und Nachteile verschiedener Bauweisen von Wellenumlenkern

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Eine dritte Möglichkeit für die Darstellung der Einwirkung bietet der Stützkraft-

satz. Dazu wird ein Kontrollvolumen festgelegt (Abb. 9), welches die Ein- und

Austrittsquerschnitte des Wasserstrahls am Umlenker einschließt. Mit Hilfe der

Stützkräfte kann dann die Änderung der Krafteinwirkungen über die Zeit verfolgt

werden, wenn die Fließquerschnitte und Geschwindigkeiten an den Grenzen des

Kontrollraumes angegeben werden können.

Es ist zu berücksichtigen, dass auch Vertikalkräfte (nach oben gerichtet negativ)

durch die aufwärts gerichteten Strömungskräfte, durch den Auftrieb im Falle einer

nicht dauerhaft wasserdicht verschlossenen Aufstandsfuge und durch die sich

zeitweise in der Umlenkerausrundung befindliche Wasserauflast entstehen. Die

Maxima dieser vertikal gerichteten Einwirkungen treten etwas früher auf als die

maximale Horizontalkraft.

Der Betrag für die nach oben gerichtete Vertikalkraft erscheint in Abb. 10 relativ

groß, weil die Annahme einer wasserseitig voll geöffneten Fuge zwischen Um-

lenkerelement und Aufstandsfläche, in der sich die anfänglich hohe Auflauf-

schwallgeschwindigkeit nach dem Energieerhaltungssatz voll in den Fugendruck

umwandeln kann, eine sehr konservative Annahme darstellt.

5 Zusammenfassung, Ausblick

Im vorliegenden Beitrag wurden die Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz

von Wellenumlenkern vorgestellt. In der Regel kann mit Hilfe von Wellenumlen-

kern die rechnerisch erforderliche Freibordhöhe verringert werden. Die üblichen

Mindestfreibordhöhen sollten aber nicht unterschritten werden.

Die verfügbaren hydromechnischen Bemessungsansätze wurden unter einschrän-

kenden Randbedingungen im Modellversuch ermittelt, weshalb sie auf ihre All-

gemeingültigkeit hin überprüft und durch weitere Modellversuche verifiziert wer-

den sollten, die jetzt begonnen wurden.

Die Tragfähigkeit der Kronenelemente kann mit physikalisch begründeten Ansät-

zen abgeschätzt werden. Hierzu vorliegende neuere Versuchsergebnisse sollen

demnächst ausgewertet und verglichen werden.

6 Dank

Der Verfasser dankt der Gesellschaft der Förderer des Hubert – Engels – Institutes

für Wasserbau und Technische Hydromechanik an der TU Dresden e. V. für die

finanzielle Unterstützung bei den laufenden Modellversuchen.

Page 338: bemessung im wasserbau

330 Wellenumlenker in der Freibordbemessung

7 Literatur

Druet, C.: Über eine wirksame Methode zur Verminderung der Staudammhöhe bei Ein-

wirkung von Windwellen (poln.).- Gospodarka Wodna (1963)6, S. 217 ff.

DVWK 1997, Merkblatt (Guideline) 246/1997. Jäger, W.; Krinitz, H.; Lehmkühler, A.;

Pohl, R.; Schelp, H.: Freibordbemessung an Stauanlagen

EurOtop-Manual 2016: Manual on wave overtopping of sea defences and related

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A., Pullen, T., Schüttrumpf, H., Troch, P. and Zanuttigh, B., www.overtopping-

manual.com.

Heyer, T., Pohl, R.: Der Auflauf unregelmäßiger Wellen im Übergangsbereich zwischen

Branden und Schwingen.- In: Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen 26/2003, TU

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ISBN 3-86005-376-0 S. 95 - 104

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilung 40/2010, TU Dresden, Institut für Wasserbau

und Technische Hydromechanik S. 467-478, ISBN 978-3-86780-135-5

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Pohl, R. 1997: Wellenüberlauf im Übergangsbereich zwischen Brandung und Reflexi -on.-

In: Hansa 134(1997)10 S. 62-64

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schweig 2000

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am Beispiel der geplanten Beckenerweiterung des PSW Markersbach.- In: Tagungs-

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Dresden, S. 59 - 77

Waal J. P. de, Meer J. W. van der 1992. Wave run-up and overtopping on coastal struc-

tures, Proc. 23rd International Conference on Coastal Engineering, 1772 – 1784

Autor:

Prof. Dr.-Ing. habil. Reinhard Pohl

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

Technische Universität Dresden

August-Bebel-Straße 30a, 01219 Dresden

Tel.: +49 351 46333837, Fax: +49 351 46335654, E-Mail: [email protected]

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von

Hochwasserschutzmaßnahmen

Stefan Schmid

Eine wesentliche Vorgabe des Wasserhaushaltsgesetzes für wasserwirtschaftliche

Planungen ist es, natürliche Retentionsflächen zu erhalten oder sogar, wo es mög-

lich ist, wiederherzustellen.

Der Rückbau oder die Rückverlegung von Deichen hat Auswirkungen auf die Re-

tentionsraumbilanzierung und damit auf den Verlauf einer Hochwasserwelle. Bis-

her wurde dabei meist nur auf das HQ100 Bezug genommen. Im Folgenden wird

ein Verfahren vorgestellt, mit dem auf Grundlage der Ergebnisse stationärer Be-

rechnungen und unter Einbeziehung sämtlicher Jährlichkeiten die Retentions-

raumbeanspruchung beschrieben werden kann. Es wurde beispielhaft angewendet,

um einen Zustand mit gewässernahen Deichen mit dem Zustand nach Deichrück-

bau/-rückverlegung zu vergleichen. Aus den Ergebnissen kann direkt auf die Re-

tentionswirkung und die Naturnähe des Retentionsverhaltens geschlossen werden.

Stichworte: Hochwasser, Retentionsraum, Deichrückbau, Deichrückverlegung

1 Veranlassung

Im § 67 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) werden die Grundsätze für Ge-

wässerausbau, Deich-, Damm- und Küstenschutzbauten wie folgt festgelegt:

„Gewässer sind so auszubauen, dass natürliche Rückhalteflächen erhalten blei-

ben, das natürliche Abflussverhalten nicht wesentlich verändert wird… . Deich

und Dammbauten, die den Hochwasserabfluss beeinflussen, … stehen dem Ge-

wässerausbau gleich.“

Gleichzeitig wird bezüglich der Planfeststellung oder -genehmigung in §68 Abs.

3 gefordert:

Page 340: bemessung im wasserbau

332 Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen

„Ein Plan darf nur festgestellt oder genehmigt werden, wenn eine Beeinträchti-

gung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine erhebliche und dauerhaf-

te, nicht ausgleichbare Erhöhung der Hochwasserrisiken oder eine Zerstörung

natürlicher Rückhalteflächen, vor allem in Auwäldern, nicht zu erwarten ist…“

Im Zentrum dieser Vorgaben steht somit eine Erhaltung oder Wiederherstellung

der natürlichen Retentionsflächen.

Auch für Thüringen wurden im „Landesprogramm Hochwasserschutz 2016-

2021“ unter anderem folgende grundsätzlichen Ziele festgehalten:

- „Gewinnung der natürlichen Rückhalteräume“,

- „Optimierung des technischen Hochwasserschutzes“.

Doch was ist ein natürliches Abflussverhalten, und wie unterscheidet sich dieses

vom Verhalten eingedeichter Gewässer?

Um die Wirkung des Abflussverhaltens auf die Unterlieger genauer beurteilen

zu können, sind instationäre Berechnungen erforderlich. Doch die Ergebnisse

von instationären Berechnungen sind stark von der Wellenform abhängig.

Bezüglich der Auswirkungen des Klimawandels wurden in den vergangenen

Jahren zwei unterschiedliche Tendenzen beobachtet: Einerseits führen instabile

Wetterlagen wie im Frühjahr 2016 zu lokalen, eng begrenzten, aber dafür umso

heftigeren Starkniederschlagsereignissen mit Sturzfluten.

Andererseits führen Großwetterlagen wie 2013 zu länger anhaltenden oder zu

mehreren, aufeinanderfolgenden Niederschlägen, welche an den Oberläufen der

Gewässer oft zu mehrgipfligen Ganglinien führen, die sich in Fließrichtung

mehr und mehr überlagern und zu großen Abflusssummen führen.

Welches ist nun die richtige Welle? Oder ist es möglich, unabhängig von der

Wellenform im Rahmen von konzeptionellen Studien das Retentionsverhalten

zu beurteilen, gerade auch im Hinblick auf die zunehmenden hydrologischen

Unsicherheiten?

2 Retentionsraumbilanzierung an einem Beispiel

Um hier Antworten zu finden, wurde ein derzeit vollständig eingedeichter Ge-

wässerabschnitt genauer untersucht. Es wurden Berechnungen mit den beste-

henden Deichen sowie nach einem Rückbau der Deiche und einer Rückverle-

gung an die Ortslagen durchgeführt. Die bestehenden Deiche weisen im konkre-

ten Beispiel einen Schutzgrad (ohne Freibord) unterhalb von HQ50 auf, wäh-

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rend bei den rückverlegten Deichen ein Schutzgrad HQ100 mit Freibord ange-

nommen wurde.

Der untersuchte Abschnitt ist etwa 3,4 km lang, bei einem Einzugsgebiet von ca.

2.000 km² und einem Abflusswert für HQ100 von 190 m³/s.

Als Grundlage für die Retentionsraumbilanzierung werden die Ergebnisse von

stationären Abflussberechnungen herangezogen. Dadurch sind die Ergebnisse

unabhängig von der Form und Fülle einer Ganglinie. Erfasst wird dadurch der

maximal beanspruchbare Retentionsraum. Inwieweit dieser tatsächlich bean-

sprucht wird, hängt von einer konkreten Ganglinie ab. Im Ergebnis sind auf

nachfolgender Abbildung die Retentionsräume nach Jährlichkeit im derzeitigen

Zustand sowie nach einer Rückverlegung der Deiche dargestellt.

Abbildung 1: Retentionsraumbilanzierung für das Beispielgewässer für den Ist-Zustand und

den Zustand nach Rückverlegung der Deiche an die Ortsränder

Aus dem Verlauf der Kurve für den Ist-Zustand (siehe Abbildung 1) ist der zur-

zeit gegebene Schutzgrad gut erkennbar: Bis HQ25 ist der derzeit beanspruchte

Retentionsraum sehr gering, das Gewässer bleibt zwischen den Deichen. Bei

höheren Abflüssen jedoch werden im Ist-Zustand die Deiche überströmt: der

beanspruchbare Retentionsraum steigt stark an – allerdings unter Inkaufnahme

des Eisstaus der besiedelten Bereiche hinter den Deichen.

Ganz anders verhält sich das Gewässer im naturnahen Zustand nach Rückverle-

gung der Deiche: Bereits bei häufigeren Hochwasserereignissen steigt die Re-

Page 342: bemessung im wasserbau

334 Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen

tentionsraumbeanspruchung stark an. Bei HQ100 jedoch liegt sie in diesem Fall

aufgrund der Überströmung der Deiche unter dem Wert für den derzeitigen Zu-

stand.

Für die Gegenüberstellung der beiden Zustände kann – analog zur Schadenspo-

tentialermittlung – die mittlere jährliche Retentionsraumbeanspruchung be-

stimmt werden, indem die Retentionsraumbeanspruchung über die Wahrschein-

lichkeit aufsummiert wird (siehe Abbildung 2).

Dazu wird die theoretische Funktion:

(1)

mit folgender diskreten Funktion umgesetzt:

(2)

Dabei wurden im vorliegenden Fall Retentionsvolumina mit der Wahrschein-

lichkeit p> 0,5 (kleiner HQ2) und p<0,005 (größer HQ200) vernachlässigt (siehe

auch Abbildung 2).

Abbildung 2: Retentionsraumbeanspruchung nach Wahrscheinlichkeit des Auftretens für

das Beispielgewässer

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Im vorliegenden Fall führt dies zu einer mittleren Retentionsbeanspruchung von

310.000 m³/Jahr im Ist-Zustand und von 950.000 m³/Jahr im Zustand mit rück-

verlegten Deichen. Auch wenn die Retentionsraumbeanspruchung hier im Ist-

Zustand bei HQ100 größer ist als nach einer Deichrückverlegung, so ist doch die

mittlere jährliche Retentionsraumbeanspruchung bei einem naturnahen Zustand

deutlich größer. Dabei ist zu beachten, dass im Ist-Zustand nach Überströmen

der Deiche auch die eigentlich zu schützenden Siedlungen eingestaut werden,

welche bei einer Deichrückverlegung geschützt sind.

Mit anderen Worten: Nach Deichrückverlegung ist deutlich öfters mit einer

Dämpfung der Hochwasserwelle zu rechnen als im derzeitigen Zustand mit ge-

wässernahen Deichen.

Anstatt den Retentionsraum auf die Jährlichkeit zu beziehen, kann er auch auf

den Scheitelabfluss bezogen werden. Auf diese Weise kann die Zunahme des

beanspruchbaren Retentionsraumes bei einer Zunahme des Abflusses anschau-

lich dargestellt werden. Aus der Steigung dieser Geraden (Zunahme des Re-

tentionsraumes im Verhältnis zur Zunahme des Abflusses, dV/dQ) kann direkt

abgeleitet werden, wieviel zusätzlicher Retentionsraum in m³ bei einer Zunahme

des Abflusses um 1 m³/s durch das Gewässer beansprucht werden kann. Dies

zeigt somit, bei welchen Abflüssen welche Dämpfung erreichbar ist. Für den

bereits oben erwähnten Abschnitt sind diese Werte in nachfolgender Abbildung

dargestellt.

Abbildung 3: Retentionsraumbeanspruchung nach Abflussscheitel für das Beispielgewässer

Page 344: bemessung im wasserbau

336 Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen

Der Zeitwert an der rechten Skala zeigt, wie lange es dauert, den zusätzlich ver-

fügbaren Retentionsraum zu füllen. Mit anderen Worten: Wenn der Scheitel

kürzer anhält als der Wert auf der rechten Skala, ist durch die Retentionsraum-

beanspruchung eine Scheitelreduzierung erreichbar.

Die Werte zeigen auch, dass bei einer Deichrückverlegung bei höheren Abflüs-

sen zwar nur eine geringere Scheitelreduzierung erreichbar ist, dafür aber eine

deutlich stärkere Verzögerung bei anlaufender Welle. Im derzeitigen Zustand

hingegen wird bis zur Erreichung der Deichkronen praktisch kein Retentions-

raum in Anspruch genommen, was zu einer steilen anlaufenden Welle führt. Erst

nach Überschreiten der Leistungsfähigkeit der Deiche steigt die mögliche Re-

tentionsraumbeanspruchung stark an, bis der Raum hinter den Deichen vollstän-

dig geflutet ist. Mit anderen Worten: das derzeitige System ist optimal für eine

Dämpfung von Abflussscheiteln, die im Bereich von 140 bis 190 m³/s liegen,

ausgelegt, allerdings unter Inkaufnahme des Einstaus der dahinterliegenden

Siedlungen, dämpft aber häufigere Ereignisse mit geringerem Scheitel praktisch

gar nicht. Bei seltenen Ereignissen ist die scheitelreduzierende Wirkung bei bei-

den Systemen etwa gleich.

Auf diese Weise kann somit das Verhalten eines Systems gut veranschaulicht

werden: Bei einem natürlichen oder naturnahen System mit einer weiträumigen

Aue wird der Retentionsraum kontinuierlich in Anspruch genommen. Bei stark

eingedeichten Gewässern kann demgegenüber deutlich weniger Retentionsraum

in Anspruch genommen werden, der Abfluss wird beschleunigt, bis ein Schwel-

lenwert erreicht wird. Erst danach, nach Überströmen der Hochwasserschutzan-

lagen, tritt eine wirksame Retention ein. Je höher der Schutzgrad, desto später ist

eine wirksame Retention zu erwarten. Aber auch diese Wirkung lässt nach,

wenn die zusätzlichen Retentionsräume hinter den Deichen gefüllt sind und der

Abfluss weiter zunimmt.

Für einen Vergleich verschiedener Gewässerabschnitte können die Ergebnisse

auf die Gewässerlänge bezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich

einerseits die Retentionswirkung im Verlauf des Gewässers summiert, anderer-

seits aber auch seitliche Zuflüsse zur Beanspruchung des Retentionsraumes bei-

tragen.

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3 Schlussfolgerungen

Wenn in die Retentionsraumbilanzierung auf Grundlage von stationären Be-

rechnungen die Ergebnisse sämtlicher Jährlichkeiten einbezogen werden, kön-

nen daraus wertvolle Schlussfolgerungen über das Retentionsverhalten eines

Gewässerabschnitts gezogen werden. Diese Schlussfolgerungen sind unabhän-

gig von der Form und dem Verlauf einer Abflussganglinie, welche von einem

Einzelereignis übernommen oder theoretisch abgeleitet werden müsste.

Naturnahe Gewässersysteme üben bereits bei häufigeren Ereignissen (und damit

auch öfters) eine abflussverzögernde und scheitelreduzierende Wirkung aus.

Naturnahe Systeme sind resiliente Systeme: Die Retentionswirkung beginnt

frühzeitig, bei häufigeren Ereignissen (und damit auch öfters) ist eine scheitelre-

duzierende und abflussverzögernde Wirkung zu erwarten. Da auch seltene

Hochwasserereignisse in den Mittel- und Unterläufen der Gewässer durch die

Überlagerung mehrerer, statistisch häufigerer Wellen entstehen können, wie es

in vielen Gebieten 2013 der Fall war, kann hier eine positive Wirkung erwartet

werden.

Auch bei selteneren Ereignissen ist im Vergleich zu eingedeichten Systemen

eine stärkere Abflussverzögerung der anlaufenden Welle zu erwarten.

Die mittlere jährliche Retentionsraumbeanspruchung kann als Maß dafür dienen,

welche Dämpfung im Mittel erreichbar ist. Die mittlere jährliche Retentions-

raumbeanspruchung ist dabei in der Regel bei natürlichen oder naturnahen Sys-

temen deutlich größer als bei technischen.

Die Ergänzung naturnaher Systeme um zusätzliche punktuelle Rückhalteeinrich-

tungen wie steuerbare Polder oder Hochwasserrückhaltebecken, welche gezielt

bei selteneren, Ereignissen wirksam werden, kann dennoch sinnvoll sein, um die

negativen Folgen bei schadensträchtigen Ereignissen zu reduzieren.

Mit der hier vorgeschlagenen Methodik ist es möglich, die Wirkungsweise und

die Sinnhaftigkeit von Deichrückbauten und –rückverlegungen aus dem Blick-

winkel der Retentionsraumbilanzierung in wasserwirtschaftliche Studien einzu-

beziehen. Auch bei konkreten Planungen können Deichrückverlegungen in ihrer

Wirkungsweise dargestellt und aus Sicht der Retentionsraumbilanzierung zu-

sätzlich begründet werden.

Page 346: bemessung im wasserbau

338 Retentionsraumbilanzierung bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen

4 Literatur

Schröter, K, B. Mühr, F. Elmer, T. Kunz-Plapp, W. Trieselmann (2013): Juni-

Hochwasser 2013 in Mitteleuropa - Fokus Deutschland, Bericht 1 – Update 2:

Vorbedingungen, Meteorologie, Hydrologie. CEDIM Center for Disaster

Management and Risk Reduction Technology, Karlsruhe 2013

TMUEN (2016): Thüringer Landesprogramm Hochwasserschutz 2016 - 2021. Thüringer

Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz, Erfurt 2016

WHG (2016): Wasserhaushaltsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585), das zuletzt

durch Artikel 1 des Gesetzes vom 4.August 2016 (BGBl. I S. 1972) geändert

worden ist

Autor:

Dr.-Ing. Stefan Schmid

Lahmeyer Hydroprojekt GmbH

Geschäftsbereich Weimar

Rießner Str. 18

99423 Weimar

Tel.: +49 3643 746 432

Fax: +49 3643 746 311

E-Mail: [email protected]

Page 347: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraft-

anlagen für die Abwanderung von Lachssmolts

und Aalen

Claudia Berger

Boris Lehmann

Um Planern und Betreibern Angaben zur Dimensionierung eines Horizontalrechens

als Fischschutzeinrichtung zu geben, wurde ein Forschungsprojekt gemeinsam von

der EnBW Energie Baden-Württemberg AG und der Technischen Universität

Darmstadt initiiert. Hydraulische und verhaltensbasierte Parameter für verschie-

dene Rechen-Setups wurden anhand ethohydraulischer Versuche mit Lachssmolts

und Aalen sowohl im Labor als auch an zwei EnBW-Kraftwerken ermittelt. Zudem

wurde mit Fokus auf das Aalverhalten mittels Elektrifizierung die Wirksamkeit ei-

nes sogenannten Hybridrechens untersucht.

1 Veranlassung und Ziel der Forschungsarbeit

Auf Grund von EU-weiten und nationalen gesetzlichen Vorgaben werden Maß-

nahmen zur Herstellung der stromauf und stromab gerichteten Durchgängigkeit

sowie dem Schutz der Fischpopulationen gefordert, um die Fließgewässer in ei-

nen guten ökologischen Zustand zu überführen. Als Schutzbarriere und zugleich

Leithilfe für die Abwanderung gilt derzeit ein schräg zur Anströmung ausgerich-

teter Horizontalrechen als besonders wirksam und wird daher oft bei neuen oder

umzurüstenden Wasserkraftanlagen eingesetzt. Jedoch sind das Verhalten der Fi-

sche als auch die hydraulischen Eigenschaften solcher Schrägrechen bis dato nur

teilweise untersucht und es bestehen noch Wissenslücken bspw. hinsichtlich der

hydraulischen Verluste und dem Zusammenhang zwischen Schrägstellung und

Leitwirkung auf Fische.

Die hier vorgestellte Forschungsarbeit beinhaltet sowohl die strömungs- und ver-

lusterzeugende Darstellung und Analyse eines realitätsnahen Schrägrechens im

Labor und im Freiland an einer EnBW-Wasserkraftanlage, als auch ethohydrau-

lische Versuche mit Lachssmolts und Aalen, die wiederum im Labor und im Frei-

land durchgeführt wurden. Zusätzlich wurde am Schrägrechen im Labor ein

Stromfeld erzeugt, um die Wirksamkeit eines sogenannten Hybridrechens – eine

Kombination aus mechanischer Barriere und Verhaltensbarriere – speziell auf

Aale hin zu untersuchen. Zur Validierung dieser Laborversuche wurde an einem

Page 348: bemessung im wasserbau

340

Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen

für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen

0,4 18

0,5 18 30

0,7 18

0,8 10 18 30

0,4 18

0,5 18

0,7 18

0,8 18

0,4 18

0,5 18 30

0,7 18

0,8 10 18 30

0,4 18

0,5 18

0,7 18

0,8 18

30

45

55

70

Stabweite s [mm]Anströmwinkel

δ [°]

Anströmgeschwindigkeit

va [m/s]

weiteren EnBW-Kraftwerk eine ähnliche Hybridbarriere installiert und deren

Wirksamkeit für Aale untersucht.

2 Ethohydraulische Labor- und Feldstudien mit Lachssmolts

2.1 Laborstudien

Im April 2016 wurden in der 2 m breiten und 40 m langen Rinne des wasserbau-

lichen Forschungslabors der TU Darmstadt ethohydraulische Versuche an unter-

schiedlichen Anordnungen von Schrägrechen mit Lachssmolts durchgeführt. Im

spitzen Winkel zwischen Schrägrechen und Rinnenwand war dabei stets ein By-

pass angeordnet, durch den die Fische in das Unterwasser abwandern konnten.

Insgesamt wurden 413 Lachssmolts in unterschiedlichen Gruppen zu je 13 Tieren

eingesetzt. Jede Gruppe kam dabei ein bis maximal viermal zum Einsatz, um

Lerneffekte bei den Tieren zu vermeiden. Bezüglich der Parameter des Schrägre-

chens (Anströmwinkel δ und Stabweite s) als auch der hydraulischen Randbedin-

gungen (querschnittsgemittelte Anströmgeschwindigkeit va) wurden 22 verschie-

dene Setups untersucht - jedes Setup wurde dazu mit je 2 bis 5 Gruppen getestet

(Tab. 1 und Abb. 1).

Tabelle 1: Mit dem Laborrechen durchgeführte Setups mit Lachssmolts

Abbildung 1: Definition der geometrischen Rechenparameter (rechts oben, verändert nach

Glock 2016) und des Anströmwinkels δ (rechts unten, verändert nach Ecologic

Institut & IGF Jena 2015)

δ

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„Bemessung im Wasserbau“ 341

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l 3

Der Rechen im Labor hatte eine Stabdicke von 8 mm sowie eine statische Kon-

struktion analog zu den meisten bestehenden Horizontalrechentypen. Als Stab-

profil für den Rechen wurde ein Rechteckquerschnitt verwendet, welcher nach

Kirschmer (1925) den ungünstigsten Stabprofilbeiwert besitzt und demnach die

höchsten hydraulischen Verluste verursacht (Abb. 2). Abgerundete, strömungs-

günstig geformte Stabformen verursachen zwar geringere hydraulische Verluste,

sind jedoch bzgl. der Herstellung deutlich aufwendiger und daher in der Praxis

bisher kaum etabliert. Neben dem Rechen befand sich eine 0,2 m breite schlitz-

förmige Bypassöffnung als Abwanderungsmöglichkeit (Abb. 2, links). Der im

Labor verwendet Rechen war situativ ähnlich zum Rechen an der Feldanlage

(Abb. 2, rechts).

Die in der Rinne maximal mögliche Anströmgeschwindigkeit von 0,8 m/s konnte

bei einer Wassertiefe von ca. 0,8 m mit einer Abflussmenge von 960 l/s erzeugt

werden. Geringere Anströmgeschwindigkeiten konnten durch entsprechend we-

niger Durchfluss und mittels einer Stauklappe am Ende der Rinne bewerkstelligt

werden.

Abbildung 2: Schrägrechen in der Laborrinne mit s = 18 mm Stabweite und δ = 45° Anström-

winkel (links); während des Umbaus mit verschiedenen Abstandshaltern für die anderen Stab-

weiten s (Mitte); mit s = 18 mm Stabweite an der Feldanlage am Standort Ottenau/Murg wäh-

rend des Einbaus (rechts). (Quelle: EnBW)

Da es in einigen Ländern inzwischen bereits Vorgaben für eine Stabweite von s =

10 mm gibt (z.B. für Lachsentwicklungsgewässer in Nordrhein-Westfalen und

Rheinland-Pfalz, Umweltbundesamt (2012)) wurde diese Stabweite ebenfalls mit

in das Versuchsprogramm aufgenommen. Als anderes Extrem wurden auch Ver-

suche mit s = 30 mm durchgeführt, bei denen der Rechen von den Smolts und

Aale theoretisch durchschwommen werden konnte.

Ermittelt wurden jeweils die Strömungssignaturen im Nahbereich des Schrägre-

chens sowie die daraus resultierenden hydraulischen Verluste. Ferner wurde das

Verhalten der Fische im Sinne von Meiden, Verharren, Sondieren und eines ggf.

erkennbaren Gierverhaltens mit Leitwirkung des Schrägrechens zum Bypass hin

analysiert.

Page 350: bemessung im wasserbau

342

Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen

für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen

Erkenntnisse:

Folgende Erkenntnisse konnten während der Laborversuche beobachtet werden:

Das Gierverhalten (Schrägstellung des Fisches zur Strömung und damit

kraftsparendes aber kontrolliertes Driften entlang der Rechenebene Rich-

tung Bypass; Lehmann et al 2016) hängt sowohl von der Anströmge-

schwindigkeit va als auch vom Anströmwinkel δ ab. Mit steigender An-

strömgeschwindigkeit va lässt das Gierverhalten nach.

Schrägrechen mit spitzen Anströmwinkeln (δ ≤ 55°) lösen bei den Smolts

zuverlässig ein Gierverhalten aus, was zu einem raschen Auffinden des By-

passes und zu einer Abwanderung führt. Bei stumpfen Winkeln

(δ = 70°) kommt es seltener zum Gieren – vielmehr wurde ein ungeordnetes

Sondieren im Nahfeld des Rechens als auch ein Flüchten bzw. Zurückzie-

hen nach Oberstrom sowie ein Verharren in strömungsberuhigten Zonen

beobachtet, wodurch die Wahrscheinlichkeit zum Auffinden des Bypasses

deutlich abnahm.

Bei hohen Anströmgeschwindigkeiten (va = 0,8 m/s) tritt ein längeres Ver-

harren der Smolts in strömungsberuhigten Zonen und häufig auch eine Mei-

dungsreaktionen unmittelbar vor dem Bypass auf – Gründe dafür liegen in

den heterogenen Strömungssignaturen, welche bei hohen Anströmge-

schwindigkeiten deutlich ausgeprägter sind. Bei niedrigen Anströmge-

schwindigkeiten (va = 0,4 bis 0,5 m/s) verharren nur halb so viele Smolts.

Grundsätzlich war zu beobachten, dass die Smolts eher nahe der Rinnen-

wand verharrten (47% aller Smolts) als in strömungsberuhigten Zonen un-

mittelbar beim Rechen (vor der Sohlschürze oder vor Stützpfosten; 11%

aller Smolts).

Es konnte bei 42% aller Smolts im Rahmen des Sondierens am Rechen ein

sogenanntes „negatives Gieren“ festgestellt werden, d.h. die Smolts beweg-

ten sich weg vom Bypass entlang der Rechenebene hin zum strömungsmo-

deraten wandnahen Bereich am oberstromigen Ende des Horizontalre-

chens.

Bei allen untersuchten Anströmgeschwindigkeiten va wurde nachgewiesen,

dass die typischen Verhaltensweisen, wie Sondieren, Gieren, Verharren o-

der kollektives Schwarmverhalten etwa in gleicher Häufigkeit vorkamen.

Rechenkontakte mehrten sich mit steigender Anströmgeschwindigkeit

kaum.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 343

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l 3

Bei den getesteten hohen Anströmgeschwindigkeiten von va = 0,8 m/s be-

stand für die Smolts keine Gefahr des Impingements – hier ist mit Blick auf

deren Schwimmleistung davon auszugehen, dass auch höhere Anströmge-

schwindigkeiten ein sicheres Navigieren der Smolts im Nahfeld des Re-

chens kaum beeinflussen.

Die Anzahl der Rechendurchgänge bei einer Stabweite von 30 mm war ge-

ring (5% aller Smolts), obwohl die Smolts problemlos die Räume zwischen

den Stäben durchschwimmen konnten. Ein Grund hierfür könnte die visu-

elle Wahrnehmung der Barriere und/oder die plötzliche Strömungsbe-

schleunigung im Bereich zwischen den Stäben sein.

Erkennbare Muster des Schwarmverhaltens (Lehmann et al (2016)) wurden

grundsätzlich bei jedem Versuch und unabhängig vom Setup und den ein-

gestellten Randbedingungen beobachtet.

Die Stabweite s scheint nach bisheriger Auswertung der Daten mit Blick

auf die Leitwirkung des Rechens für die Smolts eine untergeordnete Rolle

zu spielen.

Aufgrund dieser Erkenntnisse kann für die Bemessung von Schrägrechen für

Lachssmolts ein Anströmwinkel von δ = 30° bis 55° empfohlen werden. Auf-

grund der Erkenntnisse aus Lehmann et al (2016) ist davon auszugehen, dass dies

auch für die meisten potamodromen Arten gilt.

2.2 Feldstudien

Die Feldversuche wurden im Mai 2016 am Ausleitungskraftwerk Ottenau/Murg

(Landkreis Rastatt) durchgeführt.

Fischschutz-, -auf- und -abstiegskomponenten der Wasserkraftanlage

Der dortige Horizontalrechen besitzt einen Anströmwinkel von δ = 45°, eine Stab-

weite von 18 mm mit rechteckigem Stabprofil. Die Rechenlänge beträgt knapp 15

m, die Wassertiefe vor dem Rechen liegt bei ca. 2 m. Der Ausbauabfluss des

Kraftwerks beträgt etwa 15 m³/s, die maximale Anströmgeschwindigkeit wurde

zu va ≈ 0,8 m/s ermittelt. Am Ende des Rechens ist ein Fischabstieg installiert, der

mittels überströmbarer Klappe konstant mit 800 l/s beaufschlagt wird (Abb. 3).

Durch den danebenliegenden Fischaufstieg fließen konstant 500 l/s. Bei einem

Reinigungsvorgang des Rechens wird das Rechengut zum Fischabstieg hin abge-

schoben, dort wird temporär die Klappe komplett gelegt und mit dem erhöhten

Abfluss das Getreibsel abgespült.

Page 352: bemessung im wasserbau

344

Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen

für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen

Abbildung 3: Luftbild der Situation am Horizontalrechen des Wasserkraftwerks Ottenau

(Quelle: verändert nach google.maps)

Für die Feldversuche wurden 60 Lachssmolts mit aktiven Sendern versehen und

oberhalb des Rechens in den Kraftwerkskanal eingesetzt. Mittels Empfängern am

Streichwehr, Fischabstieg und vor dem Horizontalrechen konnte sowohl der Ab-

wanderungsweg detektiert, als auch über die Signalstärke die Verweildauer im

Umfeld der jeweiligen Empfänger bestimmt werden.

Während der Versuchsdauer betrug die Kraftwerksleistung relativ gleichbleibend

etwa 171 kW, was eine Anströmgeschwindigkeit von va = 0,33 m/s zur Folge hatte

(max. 210 kW und damit max. 0,37 m/s).

Erste Erkenntnisse

Innerhalb von 13 Tagen sind alle 60 besenderten Lachssmolts am Standort abge-

wandert. Die Abwanderkorridore wurden dabei wie folgt frequentiert:

Fischabstieg: 38 Smolts = 63%

Fischaufstieg: 15 Smolts = 25%

Streichwehr: 5 Smolts = 8%

Kraftwerk: 1 Smolt = 2%

Unbekannt: 1 Smolt = 2%

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 345

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Lediglich ein Smolt ist durch den Rechen und das Kraftwerk abgewandert, was

die hohe Schutzrate des Rechens belegt. Des Weiteren wurde auch der Fischauf-

stieg mit 25% stark von den Abwanderern frequentiert, was der günstigen Lage,

dem großräumigen Öffnungsquerschnitt und den dortigen Strömungssignaturen

geschuldet sein dürfte.

Die Ergebnisse der Feldstudien decken sich insoweit mit den Laborstudien, als

dass bei letzteren keine Rechendurchgänge bei 18 mm stattfanden und ein kon-

trolliertes Abwanderungsverhalten bei einer Anströmgeschwindigkeit von va =

0,4 m/s gegeben war. Ebenso bestätigt auch der Anströmwinkel von δ = 45° so-

wohl im Labor als auch im Feld eine gute Leitwirkung, welche für ein rasches

Auffinden des Bypasses verantwortlich war.

Die detaillierte Auswertung der einzelnen Verweildauern an den jeweiligen Sen-

dern als auch der Verschnitt mit den ermittelten hydraulischen Signaturen steht

noch aus.

3 Ethohydraulische Labor- und Feldstudien mit Aalen

Im Herbst 2016 wurden im Labor die ethohydraulischen Versuche mit Aalen am

Schrägrechen durchgeführt.

3.1 Laborstudien

Für die Laborversuche wurden 500 Aale mit einer Länge von 40 bis 80 cm einge-

setzt. Die Tiere stammten aus den Catch & Carry Programmen am Neckar

(EnBW) und Main (e.on), sowie aus einer Fangaktion des RP Karlsruhe am Rhein.

Die einzelnen im Labortest eingesetzten Gruppen umfassten je 6 Aale, jede

Gruppe wurde nicht mehr als zweimal und dabei in unterschiedlichen Setups ge-

testet, um das bei Aalen bekannten Lernverhalten weitestgehend ausschließen zu

können.

Ohne Elektrifizierung des Rechens wurden 26 verschiedene Setups mit je 2 bis 4

Probandengruppen untersucht; mit Elektrifizierung kamen 16 weitere Setups mit

je 2 bis 5 Wiederholungen hinzu (Tab. 2). Wie bei den Smolt-Versuchen auch

bestand neben dem Schrägrechen ein durchflossener Bypass mit schlitzartiger

Öffnung von der Sohle bis zur Wasseroberfläche.

Für die Elektrifizierung wurde ein Stromfeld zwischen den Stäben und hinter dem

Rechen erzeugt: hierbei bildete der Rechen die Anode und eine im Abstand von

20-25 cm hinter dem Rechen angeordnete Baustahlmatte die Kathode (Abb. 4).

Das Stromfeld wurde mit einer schwachen Spannung von 38 V betrieben, welche

so auch bspw. bei Weidezäunen eingesetzt wird.

Page 354: bemessung im wasserbau

346

Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen

für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen

Tabelle 2: Mit dem Laborrechen durchgeführte Setups mit Aalen mit und ohne Stromfeld

Abbildung 4: Rechen mit dahinter liegender Baustahlmatte als Elektrode von Unterstrom aus

gesehen. (Quelle: EnBW)

Erste Erkenntnisse

Die folgenden fünf verschiedenen Verhaltensweisen von Aalen konnten am Ho-

rizontalrechen ohne Elektrifizierung beobachtet werden:

(1) Schlängelndes Antreiben der Tiere mit der Strömung, was zum Aufprall auf

den Rechen oder (zufällig) in den Bypass führt. Ausgehend vom Rechenauf-

prall schlängeln sich die Tiere entlang der Stäbe bis in den Bypass oder sie

zeigen nach dem Anprallen eine Umkehrreaktion mit Abstoßen vom Rechen

und Schwimmen ins Oberwasser.

(2) Mit dem Schwanz voran langsam sondierend (zufällig) direkt in den Bypass

einschwimmend gefolgt vom Abwandern durch den Bypass.

(3) Lange direkt vor dem Rechen verweilend/verharrend ohne erkennbares Such-

oder Sondierverhalten und ohne erkennbaren Stress oder Fluchtabsicht.

0,4 18 30 (+ elektrisch)

0,5 18 30 (+ elektrisch)

0,7 18 30 (+ elektrisch)

0,8 18 30 (+ elektrisch)

0,4 18 (+ elektrisch) 30 (+ elektrisch)

0,5 18 (+ elektrisch) 30 (+ elektrisch)

0,7 18 (+ elektrisch) 30 (+ elektrisch)

0,8 18 (+ elektrisch) 30 (+ elektrisch)

0,4 18 30 (+ elektrisch)

0,5 10 18 30 (+ elektrisch)

0,7 18 30 (+ elektrisch)

0,8 10 18 30 (+ elektrisch)

30

45

55

Anströmwinkel

δ [°]

Anströmgeschwindigkeit

va [m/s]Stabweite s [mm]

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„Bemessung im Wasserbau“ 347

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(4) Schlängeln entlang des Rechens zur Rinnenwand oder nach Oberwasser in

ruhigere Zonen.

Damit bestätigen die Beobachtungen die erkannten Verhaltensweisen der Aale

aus Lehmann et al (2016) und es zeigt sich, dass Aale im Vergleich zu den Smolts

überwiegend den direkten Kontakt mit der Barriere aufnehmen und sich von der

Rechenschrägstellung keinesfalls ausgeprägt zum Bypass hinleiten lassen.

Zusätzlich konnten weitere aalspezifische Erkenntnisse erarbeitet werden:

Kürzere Rechen sorgen für eine schnellere Abwanderung. Je länger der Re-

chen desto häufiger kam es vor, dass kleine Änderungen in den Strömungssig-

naturen bspw. infolge des Rechenrahmens oder der Stützkonstruktion die Aale

zum Verharren oder Flüchten veranlassten. Für die Praxis bedeutet dies, dass

die Abwanderdauern an realen Rechenfeldern deutlich länger als bei Smolts

sein werden.

Bei höheren Anströmgeschwindigkeiten (va ≥ 0,7 m/s) wurde bei den Aalen

häufig ein ruckartiges/gestresstes Verhalten beim Anprallen auf den Rechen

beobachtet, wodurch benachbarte dort verharrende Aale teils aufgeschreckt

wurden und dann ebenfalls gestresst reagierten. Bei niedrigen Geschwindig-

keiten (va ≤ 0,5 m/s) überwiegte ein aktives Sondierverhalten mit stressfreien

Berührungen am Rechen.

Auch bei Anströmgeschwindigkeiten von va = 0,8 m/s konnten sich alle Aale

vom Rechen lösen und flussaufwärts schwimmen.

Impingement wurde bei den Aalen am Schrägrechen für die untersuchten An-

strömgeschwindigkeiten nicht beobachtet, da infolge des schrägen Verlaufes

der Rechenoberfläche beim Wegstoßen des Aales gegen die Strömung rasch

genug Raum entstand, der vom Tier für das schlängelnde Wegschwimmen ge-

nutzt wurde.

Rechenpassagen fanden bei Stababständen bis s = 18 mm keine statt.

Bei Stababständen von s = 30 mm sind 15% der Aale abgewandert. Mit elektri-

fiziertem Rechen war es bei selber Konfiguration nur 1% der Tiere, was auf

eine effektive Scheuchwirkung des elektrischen Feldes schließen lässt.

Bei den elektrischen Laborstudien wurden grundsätzlich sehr ruckartige Re-

aktionen beim Abtasten der Stabzwischenräume beobachtet. Dies hatte eine

plötzliche Umkehr nach Oberstrom zur Folge. So wurde ein langes Verharren

der Aale am Rechen und zwischen den Stäben verhindert, was an bestehenden

Wasserkraftanlagen positiv zu bewerten ist, da infolge der Rechenreinigung

oft eine hohe Mortalität bei den am Rechen befindlichen Aalen entsteht.

Page 356: bemessung im wasserbau

348

Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen

für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen

Aufgrund dieser Beobachtungen können für die Bemessung von nicht elektrifi-

zierten Horizontalrechen für Aale die gleichen Empfehlungen wie bei den Lachs-

smolts gegeben werden – jedoch ist zu beachten, dass die Leitwirkung des Schräg-

rechens auf Aale deutlich geringer ausfällt wodurch die Abwanderdauern für Aale

länger als bei Smolts sind. Bei der Herstellung eines schwachen elektrischen Felds

im Nahfeld des Rechens verringert sich der Kontakt und das Verharren der Aale

am Rechen, so dass in diesem Fall die Stabweite auf 30 mm heraufgesetzt werden

kann, ohne eine hohe Anzahl an Rechenpassagen befürchten zu müssen.

3.2 Feldstudien

Im Feld wurde sowohl das Verhalten der Aale am nicht elektrifizierten Horizon-

talrechen in Ottenau untersucht, als auch das Verhalten an einer elektrischen

Scheuchanlage am EnBW-Unterliegerkraftwerk Rotenfels. Die Versuche laufen

seit ca. Mitte November 2016; bis Anfang Januar 2017 waren auf Grund der Nied-

rigwasserphase erst ca. 50 % der besenderten Aale abgewandert.

Versuchsaufbau

Insgesamt wurden 124 Aale besendert und oberhalb vom Kraftwerkskanal Ot-

tenau eingesetzt. Der Versuchsaufbau in Ottenau entspricht dem der Lachssmolt-

versuche (Abb. 3).

Abbildung 5: Luftbild der drei Elektrodenreihen der Scheuchanlage am Kraftwerkskanalein-

lauf Rotenfels (Quelle: EnBW)

Page 357: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 349

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Die elektrische Scheuchanlage am Kraftwerkskanaleinlauf des WKW Rotenfels

wurde aus drei Reihen Schwimmelektroden mit einer Spannung von 80 V instal-

liert und an der Murgsohle mittels Tauchern befestigt (Abb. 5).

Bisherige Erkenntnisse

Bis zum 05.01.2017 waren von 124 Aalen 64 in Ottenau am Horizontalrechen und

40 in Rotenfels an der Elektroscheuche abgewandert (Tab. 3).

Tabelle 3: Stand der Abwanderung in Ottenau und Rotenfels vom 05.01.2017

Die Ergebnisse sind vergleichbar mit denen der Lachssmolts, da auch hier kein

Aal über den 18 mm Rechen abgewandert ist, sondern vorwiegend Streichwehr

und Fischabstieg benutzt wurden. Dies deckt sich auch mit den Laborstudien bei

s = 18 mm. Bei der elektrischen Scheuchanlage hingegen sind bisher fast 50% der

Aale durch diese mit der Hauptströmung durch das Kraftwerk abgewandert.

Grund dafür ist die große „Stabweite“ der Elektroden von 0,3 bis 0,4 m, was eine

situative Ähnlichkeit zu einem Horizontalrechen mit bspw. 30 mm Stababstand

nicht mehr ermöglicht. Hieraus wird ersichtlich, dass die Verhaltensbarriere als

hinreichende Komponente mechanische Fischschutzanlagen ergänzen/effektivie-

ren kann - als notwendige Komponente muss jedoch stets eine mechanische Bar-

riere (bspw. Rechen) vorhanden sein.

Da sich die Aalwanderzeit über den Januar 2017 ausdehnen kann, werden hier

noch Änderungen an den Ergebnissen erwartet.

Eine umfassende Auswertung und Zusammenstellung der Ergebnisse, Erkennt-

nisse und Empfehlungen erfolgt 2017 im Rahmen einer Dissertation an der TU

Darmstadt und wird 2018 in der Schriftenreihe des Instituts für Wasserbau und

Wasserwirtschaft der TU Darmstadt veröffentlicht werden.

Stück [%] Stück [%]

abgewandert in Ottenau

angekommen in Rotenfels

Fischabstieg 22 34,4% 5 12,5%

Fischaufstieg 14 21,9% 2 5,0%

Streichwehr 28 43,8% 15 37,5%

Kraftwerk 0 0,0% 18 45,0%

- 40 von 64

Ottenau RotenfelsBesendert: 124 Aale

64 von 124 -

Page 358: bemessung im wasserbau

350

Bemessung von Horizontalrechen an Wasserkraftanlagen

für die Abwanderung von Lachssmolts und Aalen

4 Literatur

Anderer, P., U. Dumont, E. Massmann, R. Keuneke (2012): Wasserkraftnutzung in

Deutschland - Wasserrechtliche Aspekte, ökologisches Modernisierungspotenzial

und Fördermöglichkeiten. Schriftenreihe des Umweltbundesamtes 22-2012, Dessau-

Roßlau 2012.

Glock, T. (2016): Experimentelle Ermittlung von 3D-Strömungssignaturen und

hydraulischjen Verlusthöhen bei schräg angeströmten Rechenanlagen. Masterarbeit

an der Technischen Universität Darmstadt, Darmstadt, 2016.

Kirschmer, O. (1925): Untersuchungen über den Gefällsverlust an Rechen. Mitteilungen

des Hydraulischen Instituts der Technischen Hochschule München, München 1925

Lehmann, B., B. Adam, O. Engler, K. Schneider & V. Hecht (2016): Untersuchungen zum

Orientierungs- und Suchverhalten abwandernder Fische zur Verbesserung der

Dimensionierung und Anordnung von Fischschutzeinrichtungen vor

Wasserkraftanlagen. BfN-Schriftenreihe Naturschutz und biologische Vielfalt (in

Druck).

Autoren:

Dipl.-Ing. Claudia Berger

EnBW Energie Baden-Württemberg AG

Schelmenwasenstr. 15

70567 Stuttgart

Tel.: +49 711 28989-396

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr.-Ing. habil. Boris Lehmann

Technische Universität Darmstadt

Fachgebiet Wasserbau und Hydraulik

Franziska-Braun-Str. 7

64287 Darmstadt

Tel.: +49 6151 16-21165

E-Mail: [email protected]

Page 359: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic

Profiling Tool und Mini-Pump Tests

Bas Berbee

Gert-Ruben van Goor

Eugen Martac

Das Hydraulic Profiling Tool (HPT) ist ein Direct-Push System, das die relative

hydraulische Durchlässigkeit von unterirdischen Sand- und Kieslagen misst. Die

absolute Durchlässigkeit dagegen wird zumeist durch Zusammenhänge mit anderen

Verfahren abgeleitet. Diese zusätzlichen Schritte sind aber zeit- und kostenintensiv.

Aus diesem Grund hat Fugro eine alternative Feldtechnik entwickelt, um gleichzei-

tig bei einer HPT-Sondierung auch die absolute Durchlässigkeit abzuleiten. Die

HPT-Sondierung wird dabei für einen so genannten Mini-Pump Test (MPT) ange-

halten, wobei Wasser in den Boden injiziert wird. Der resultierende Druckaufbau

wird von einem zusätzlichen Piezometer gemessen. Durch invers-analytische Mo-

dellierungstechniken können sowohl die hydraulische Durchlässigkeit K als auch

der Speicherkoeffizient Ss berechnet werden. Diese Methode ist im Vergleich zur

derzeit üblichen Arbeitsweise wesentlich effizienter und kann mit traditionellen

Sondierungstechniken kombiniert werden.

Die neue Messtechnik wurde jüngst im niederländischen Rhein-Maas-Delta einge-

setzt. Hierbei stellte sich heraus, dass die Ergebnisse aus der MPT Methode Durch-

lässigkeitswerte in der gleichen Größenordnung wie die großmaßstäblichen Pump-

versuche und Piezometer Analysen ergeben.

Stichworte: HPT, Mini-Pump Test, Durchlässigkeit K, Speicherkoeffizient Ss

1 Aufgabestellung

In den Niederlanden gibt es mehr als zehntausend Kilometer Deich als Hochwas-

serschutz. Die Deiche werden überprüft und, wenn notwendig, saniert. Für den

Piping Mechanismus (Rückschreitende innere Erosion) gibt es neue, stringentere,

Regeln für Zustandsanalysen und Entwurf. Einer der wichtigsten Parameter ist

dabei die Durchlässigkeit K der Sand- und Kieslagen unter der Deichsohle. Dabei

ist auch die Heterogenität vom Boden und die Responsezeit des Grundwassers

(Speicherkoeffizient Ss) wichtig für eine realistische Modellierung.

Die übliche Vorgehensweise für die Bestimmung dieser Parameter sind die Ab-

leitung der Durchlässigkeit von Korngrößenverteilungen, von der Vermessung

Page 360: bemessung im wasserbau

352 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests

des Hochwasserdruckverlaufs im Aquifer, von Slug-Tests oder von großräumigen

Pumpversuchen. Diese messen oft nur einen Parameter und kosten viel Zeit und

Geld.

Für die Untersuchung des Deiches werden außerdem oft Drucksondierungen

durchgeführt, die den Spitzendruck und die Mantelreibung gleichzeitig messen.

Eine kombinierte Messung der Durchlässigkeit K und des Speicherkoeffizienten

Ss mit einer traditionellen Drucksonde würde somit zeitliche und finanzielle Vor-

teile bieten. Die Entwicklung einer solchen Messtechnik war die Aufgabe dieser

Forschungsarbeit.

Stand der Technik

Es gibt bereits verschiedene Methoden für Durchlässigkeitsbestimmungen, z.B.

Direct Push oder CPT basiert. Es gibt punktuelle Messungen, die absolute Durch-

lässigkeiten ergeben (Parez & Fauriel (1988), Kemp (1999; Doorlatendheids-

sonde), Van Baars & De Graaf (2007) und Butler et al. (2007; DPP Methode)

sowie die relativen Durchlässigkeiten (Durchfluss/Wasserdruck Q/P) ermitteln

(Dietrich et al. (2008; DPIL), McCall & Christy (2010; HPT) und Reiffsteck et

al. (2010; Permeafór). Ein kontinuierliches Profil der absoluten Durchlässigkeit

kann beispielweise mit der Methode Elsworth & Lee (2005) oder der HRK Me-

thode (Liu et al., 2009; DPP und DPIL kombiniert) erlangt werden.

Kemp (1999) und Butler et al. (2007) nutzen den Druckunterschied zwischen zwei

Messpunkten auf der Sonde und bestimmen die Durchlässigkeit mit Hilfe der sta-

tionären sphärischen Darcy Formel. Bei einer traditionellen HPT-Sondierung

wird während der Bewegung der Sonde Wasser in den Boden injiziert. Das Re-

sultat ist ein Profil der relativen Durchlässigkeit (Q/P). Dieses Verfahren ergibt

jedoch keine absoluten Durchlässigkeiten und keine Speicherkoeffizienten. Die

absolute Durchlässigkeit konnte bisher nur mit Hilfe von extra ausgeführten (Son-

dier-) Slug-Tests ermittelt werden. Die HPT-Technik wurde bereits mit Druck-

sonden kombiniert.

2 Der Mini-Pump Test (MPT)

Um ein Profil der absoluten Durchlässigkeit K und des Speicherkoeffizienten Ss

in Kombination mit einer traditionellen Drucksonde zu erhalten, ist für die HPT-

Sonde eine komplementäre Technik, der sogenannte Mini-Pump Test (MPT) ent-

wickelt worden.

HPT inklusive MPT unterscheidet sich dadurch, dass die Sonde auf einer festge-

legten Tiefe angehalten wird. Zuerst wird der Wasserüberdruck, der durch die

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 353

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Bewegung der Sonde nach unten aufgebaut wurde, abgelassen (Dissipationstest).

Nachfolgend wird mit unterschiedlichen Durchflussmengen Wasser injiziert. Der

Aufbau des Porenwasserdrucks, der auf die Injektion folgt, wird mit traditionellen

(u1 oder u2) Drucksensoren gemessen. Nach einem zweiten Dissipationstest (um

einen hydrostatischen Zustand zu erreichen), wird die HPT-Sondierung bis zum

nächsten MPT bzw. bis zur Endtiefe fortgesetzt.

Abbildung 1: Wirkung eines MPT.

2.1 Inverse Modellierung des MPT

MPT ist mit der Doorlatendheidssonde und den DPP Techniken vergleichbar,

man hat jedoch statt zwei nur einen Porenwasserdrucksensor. Die stationäre

Darcy Formel ist damit nicht anwendbar. Für MPT benutzt man die instationäre

Formel, wie sie bei Bruggeman beschrieben ist (199; Formel 410.03):

𝜑 = 𝑄

4𝜋𝑟𝑘𝑠 𝑒𝑟𝑓𝑐 (

𝛽𝑟

2√𝑡) mit 𝛽 = √

𝑆𝑠

𝑘𝑠 (1)

φ = Wasserdruck

Q = Injektionsdurchfluss

r = Länge zwischen Injektionspunkt und Porenwasserdrucksensor

ks = Sphärische Durchlässigkeit

Ss = Speicherkoeffizient

t = Zeitverlauf seit Injektionsanfang

In einer stationären Situation wird (1) zur stationären sphärischen Darcy Formel

umgewandelt:

𝜑 = 𝑄

4𝜋𝑟𝑘𝑠 (2)

Page 362: bemessung im wasserbau

354 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests

2.2 Zusammenhang HPT und MPT

Formel (2) kann man nutzen, um den Zusammenhang zwischen relativer Durch-

lässigkeit der HPT-Sonde und absoluter Durchlässigkeit abzuleiten, unter der An-

nahme, dass neben dem Injektionsfilter eine stationäre Strömung besteht.

𝑄

𝜑= 𝐶𝑘𝑠 (3)

C = 4πr = Lineare Konstante zwischen Q/φ des HPT und ks des MPT

HPT hat einen kleinen, MPT aber einen großen Einflussbereich. Der MPT Ein-

flussbereich ist von K und Ss abhängig. Für die Ableitung von C (3) soll man des-

wegen Durchschnittwerte des Q/P über den MPT Einflussbereich anwenden.

3 Überprüfung des MPT

Die HPT/MPT-Technik ist in den Niederlanden an den Deichen bei Doeveren

entlang des Flusses ‘Bergsche Maas‘ überprüft und mit traditionellen Verfahren

verglichen worden. Es wurde auch geprüft, ob die CPT/HPT/MPT-Sondierungen

die gleichen Spitzendrücke und Mantelreibungen ergeben wie die traditionellen

CPT-Sondierungen.

Das hydrologische System des Testgebietes besteht aus einem Aquifer mit einer

Mächtigkeit von 50 m. Zu Beginn der Tests waren untenstehende Durchlässigkei-

ten laut Literatur bekannt:

Tabelle 1 Durchlässigkeit des Aquifers laut Literatur. Werte beruhen auf kombinierter

Interpretation von Pumpversuchen und Expert-Judgement

Formation Ober-/Unterkante Quelle

REGIS-Vernes &

Van Doorn (2005)

Quelle

Grondwaterkaart-

Lekahena & Ne-

lisse (1974)

Kreftenheye NAP 0 bis -20 m 10-30 m/d 50 m/d

Sterksel NAP 20 bis -50 m 40-60 m/d

Alle HPT-Sondierungen wurden mit mindestens einem MPT gemäß Abbildung 1

ausgeführt. Bei HPT1 und HPT7 wurden alle 5 m MPT durchgeführt. Die traditi-

onellen Drucksondierungen (DKMP) wurden mit Messung des Spitzendrucks, der

Mantelreibung und des Porenwasserdruckes (u2) bis etwa NAP -30 m abgeteuft.

Alle 5 m wurde ein Dissipationstest durchgeführt und mit Parez & Fauriel (1988)

und Van Baars & van de Graaf (2007) ausgewertet. Die mechanischen Bohrungen

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 355

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(MB) wurden bis 25 m Tiefe abgeteuft. In den Bohrlöchern wurden alle 5 m Slug-

Tests durchgeführt sowie Proben entnommen. Ausgewertet wurden die Daten mit

Hvorslev (1951) und Bouwer & Rice (1976) bzw. im Labor mit fallendem hyd-

raulischem Gefälle. In den Handbohrlöchern (PB) wurden ebenso Slug-Tests aus-

geführt. Außerdem wurden Peilrohre installiert um den Verlauf des Grundwasser-

spiegels bei Hochwasser zu messen und davon die Durchlässigkeit mit Hilfe einer

numerischen Modellierung abzuleiten.

Abbildung 2: Generelles Prüfprogramm (nicht maßstabsgerecht).

4 Ergebnisse und Diskussion

4.1 MPT

Abbildung 3 zeigt das Resultat eines typischen MPT. Die drei Injektionsstufen

sind gut erkennbar. Im rechten Teil der Abbildung sieht man die Ergebnisse der

inversen Modellierung. Eine Übersicht aller MPT ist in Abbildung 4 gegeben.

Abbildung 3: Ausarbeitung MPT 3-1; links u1 Druckverlauf (rot) und Durchflussmenge

(schwarz), rechts inverse Modellierung des Druckverlaufs (Modell in rot).

Page 364: bemessung im wasserbau

356 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests

Der u1 Sensor hat kann nur eine begrenzte Druckerhöhung aufnehmen. Die Ober-

grenze des Durchlässigkeitsmessbereichs, die mit MPT gemessen werden kann,

ist damit auf eine Wasserdruckerhöhung von nur einigen Millimetern limitiert.

Selbstverständlich kann man mit einer größeren Injektionsmenge höhere Drücke

erzielen, aber man riskiert dadurch auch, dass der Boden ausgespült wird. Derzeit

wird die maximale Obergrenze und das Ausspülrisiko untersucht. Die ersten Er-

gebnisse zeigen, dass das System bis zu mindestens einer Durchlässigkeit von 150

m/d nutzbar ist.

Abbildung 4: MPT im Vergleich mit traditionelle Verfahren; links traditionelle physische

Durchlässigkeitsmessungen und MPT, rechts empirische Durchlässigkeit in

Abhängigkeit von Korngrößenverteilungen. Großräumige Tests sind mit verti-

kaler Linien dargestellt (rot, blau und grün).

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 357

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4.2 Vergleich mit traditionellen Verfahren und Maßstabseffekt

Die Ergebnisse traditioneller physischer und empirischer Verfahren sind in Ab-

bildung 4 dargestellt. Im Vergleich mit großräumigen Messungen (vertikale Li-

nien) ergeben sich (mit Ausnahme von MPT) bei den physischen Tests sehr nied-

rige Durchlässigkeitswerte. Eine Steigung der Durchlässigkeit unterhalb NAP -

10 m ist durchaus zu erkennen. Die empirischen Durchlässigkeiten von Korngrö-

ßenverteilungen zeigen weniger Streuung, ergeben aber keine klare Reproduzier-

barkeit der Durchlässigkeitssteigung.

Die niedrigen Durchlässigkeitswerte von kleinräumigen Tests sind mit dem Bo-

denvolumen positiv korreliert (Abbildung 5). Wie von Schulze Makuch et al.

(1999) nachgewiesen, besteht dieser Zusammenhang bis die Obergrenze für groß-

räumige Tests erreicht ist. Die Lage der Obergrenze ist von der Heterogenität der

Ablagerung abhängig. Dieser Maßstabseffekt erklärt auch, warum ein großräumi-

ger Test die Chancen erhöht, die bevorzugten Strömungswege an zu treffen. Der

Piping Mechanismus bezieht sich auf ein Bodenvolumen von mindestens 1000

m3. Für Piping sind daher in diesen fluviatilen Sedimenten nur Tests nutzbar, die

eine Durchlässigkeit an der Obergrenze ergeben. Für diese Sedimente eignen sich

großräumige Pumpversuche, Modellierung von Grundwasserresponse-Messun-

gen und MPT.

Abbildung 5: Durchlässigkeit aller Tests versus Bodenvolumen. Das Bodenvolumen wurde

anhand des gebrauchten Wasservolumens und einer Porosität von n = 0,4 be-

rechnet.

Page 366: bemessung im wasserbau

358 Böschungscharakterisierung mittels Hydraulic Profiling Tool und Mini-Pump Tests

4.3 Einfluss auf traditionelle Drucksondierung

Eine Kombination der HPT/MPT-Sonde mit traditionellen Drucksondierungen ist

nur möglich, wenn die HPT/MPT-Messungen die Resultate der Drucksonde nicht

wesentlich beeinflussen. Um das zu prüfen, wurden der Spitzendruck und die

Mantelreibung mit traditioneller DKMP sowie mit DKMP/HPT/MPT gemessen

und die Ergebnisse voneinander abgezogen. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung

der Differenz ist in Abbildung 6 dargestellt. Die Paare DKMP1-DKMP2 und

HPT5-HPT6 ergeben die Bezugsstreuung. Der Spitzendruck ist bei beiden Son-

diermethoden gleich. Die Differenz DKMP-DKMP/HPT ist nicht größer als bei

zwei DKMP-Sondierungen. Die Mantelreibung ist bei DKMP/HPT-

Sondierungen generell etwas höher. Das Reibungsverhältnis, das oft für die Be-

stimmung der Bodenart verwendet wird, ist dadurch etwa 0,5 % niedriger. Der

Unterschied ist vernachlässigbar klein und somit für die Bestimmung der Boden-

art nicht relevant.

Abbildung 6: Wahrscheinlichkeitsverteilungen DKMP-HPT Paare und Paar-distanz

Page 367: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 359

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5 Konklusion und Dank

Wie gezeigt wurde, ist es mit HPT/MPT möglich, gleichzeitig mit einer traditio-

nellen Drucksondierung ein kontinuierliches Profil der Durchlässigkeit zu erhal-

ten. Wegen des Maßstabseffekts bei Durchlässigkeitsbestimmungen ist

HPT/MPT für großräumige Prozesse wie Piping besser geeignet als kleine Tests

wie Labor- oder Slug-Tests. Die Messergebnisse einer Drucksondierung (Spitzen-

druck und Mantelreibung) werden nur in geringem Maß durch die HPT/MPT-

Sonde beeinflusst.

Die Untersuchungen bei Doeveren wurde durch das Niederländische „Hoogwa-

terbeschermingsprogramma en Waterschap Aa en Maas“ ermöglicht.

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Water Resources Research, vol. 12, no. 3, pp. 423-428

Autoren:

Bas Berbee M.Sc.

Gert Ruben van Goor M.Sc.

Fugro GeoServices B.V.

Archimedesbaan 13

3439 ME Nieuwegein

Niederlande

Tel.: +31 306 028 175

E-Mail: [email protected]

E-Mail: [email protected]

Dr. Eugen Martac

Fugro Consult GmbH

Ofterdinger Str. 3

72116 Mössingen

Deutschland

Tel.: +49 7473 95 138-02

E-Mail: [email protected]

Page 369: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten

Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen im

Rückstaubereich von Sperrwerken

Edgar Nehlsen

Peter Fröhle

Im Rahmen der Umsetzung der HWRM-RL sind auch für die Nebenflüsse der gro-

ßen deutschen Ästuare Hochwasserereignisse mit definierten Eintrittswahrschein-

lichkeiten zu ermitteln und deren Auswirkungen zu betrachten. Ein wesentliches

Wasserstands beeinflussendes Merkmal der meisten Nebenflüsse der deutschen

Ästuare sind Sturmflutsperrwerke im Bereich von deren Mündung. Im Rückstau-

bereich dieser Sperrwerke führen kombinierte Ereignisse, bestehend aus einer Sper-

rung über mehrere Tiden überlagert mit einem Binnenhochwasserabfluss zu maß-

gebenden Hochwasserständen. Die im Folgenden zusammengefassten Untersu-

chungen zeigen eine Möglichkeit auf, wie die Wahrscheinlichkeit eines solchen

kombinierten Hochwasserereignisses ermittelt werden kann. Aus einer beispielhaf-

ten Anwendung geht hervor, dass das es sich hierbei vielfach um extrem seltene

Ereignisse mit sehr großen Wiederkehrintervallen (teilweise > 5000 Jahre) handelt.

Im Hinblick auf die Umsetzung der EU-HWRM-RL, die die Betrachtung von

Hochwasserereignissen definierter Wahrscheinlichkeiten fordert, ist es daher sinn-

voll die bestehenden Annahmen zu überprüfen, gegebenenfalls anzupassen und die

Wahrscheinlichkeiten von den angesetzten kombinierten Hochwasserereignissen

auf der Grundlage der präsentierten Methodik spezifisch für jeden Nebenfluss zu

bestimmen.

Stichworte: Sperrwerk, Tide, kombinierte Wahrscheinlichkeit

1 Einführung

Viele Nebenflüsse der großen deutschen Ästuare sind im Bereich ihrer Mündung

mit einem Sturmflutsperrwerk versehen. Planung und Bau der Sperrwerke wurde

forciert durch die schweren Sturmfluten von 1953 (Niederländische Küste) und

1962 (Deutsche Bucht) in deren Folge die Küstenschutzstrategie für die Nordsee-

küste überarbeitet wurde. Ein wesentliches Ziel der neuen Strategie war die deut-

liche Verkürzung der Hauptdeichlinien (Niedersachsen Ministerium für Ernäh-

rung, Landwirtschaft und Forsten 1962; Schleswig-Holstein Ministerium für Er-

Page 370: bemessung im wasserbau

362

Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen

im Rückstaubereich von Sperrwerken

nährung, Landwirtschaft und Forsten 1963). Dementsprechend wurden die Sperr-

werke im Bereich der Mündungen der Nebenflüsse platziert, deren Deiche bis zur

Inbetriebnahme der Sperrwerke ebenfalls zur Hauptdeichlinie gehörten. Im Be-

reich der Unterelbe wurde die Länge der Hauptdeichlinie durch den Bau von

Mündungsschöpfwerken an den sieben größten Nebenflüssen mehr als halbiert.

Die Schließung der Sperrwerkstore erfolgt in der Regel bereits bei Wasserständen

von 0,5 m bis 1,0 m über dem mittleren Tidehochwasser (MThw) was dazu führt,

dass einige Sperrwerke häufiger als 100 Mal pro Jahr geschlossen werden.

Auf der Binnenseite der Sperrwerke führte deren Inbetriebnahme zu einer grund-

sätzlichen Änderung der Hochwassersituation. Da Sturmfluten gekehrt werden,

sind in den Unterläufen der Nebenflüsse keine Wasserstände in der Größenord-

nung von extremen Sturmfluten mehr zu erwarten. Trotzdem können sich auf der

Binnenseite der Sperrwerke hohe Wasserstände einstellen, die zu Überflutungen

der Niederungen der Nebenflüsse führen. Diese Hochwassersituation wird

dadurch hervorgerufen, dass der Binnenabfluss während einer lange andauernden

Sperrung nicht abfließen kann und es folglich zu einem Aufstau des Wassers auf

der Binnenseite des Sperrwerks kommt. Von dem Aufstau ist in der Regel der

gesamte tidebeeinflusste Abschnitt eines Nebenflusses betroffen.

Entsprechend der veränderten Auslöser für die Hochwasserentstehung wurden für

Bemessungsaufgaben, wie z.B. die Festlegung des Deichbesticks für die Neben-

flüsse oder die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten, Hochwasserereig-

nisse definiert, die eine Kombination aus Binnenabfluss und lange andauernden

hohen Außerwasserständen im Hauptästuar mit umfassen. Heute besteht insbe-

sondere vor dem Hintergrund der Umsetzung der EU-Hochwasserrisiko-

management-Richtlinie (EU-HWRM-RL) die Frage nach der Wahrscheinlichkeit

mit der ein solches kombiniertes Ereignis auftritt.

In Abbildung 1 ist ein denkbarer schematischer Verlauf der Abfluss- und Wasser-

standsganglinien im Fall einer Sperrung über eine Tnw-Kette mit zwei aufeinan-

derfolgenden erhöhten Tideniedrigwassern (Tnw) dargestellt. Diese führen dazu,

dass das Sperrwerk aufgrund hoher Außenwasserstände auch zu den Zeitpunkten

der beiden Tnw nicht geöffnet werden kann. Die im Folgenden vorgestellten Er-

gebnisse beziehen sich allesamt auf das in Abbildung 1 schematisch dargestellte

Ereignis, das in Anlehnung an die gängige Praxis gewählt wurde.

Der Binnenabfluss setzt sich an Nebenflüssen in tief liegenden Marschen aus zwei

wesentlichen Komponenten zusammen: i) dem natürlichen Zufluss aus dem obe-

ren Einzugsgebiet (zumeist der Geest), der im freien Gefälle erfolgt und ii) dem

künstlichen Zufluss über die Schöpfwerke, die das untere Einzugsgebiet im Be-

reich der Marsch entwässern. Für den Zufluss aus dem oberen Einzugsgebiet wird

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 363

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in der Praxis zumeist ein statistisches Abflussereignis mit einem definierten Wie-

derkehrintervall, z.B. HQ5 oder HQ10, angenommen. Außerdem überlagert sich

die maximale Fülle der Hochwasserganglinie mit der Sperrung. Der Zufluss über

die Schöpfwerke wird aufgrund der mangelnden Datengrundlage als konstant an-

genommen. Die Sperrung beginnt während der Flut sobald der Außenwasserstand

den festgelegten Schließwasserstand überschreitet. Durch den abrupt abreißenden

Impuls entsteht zunächst ein Absperrsunk. Parallel zur Beruhigung der Strömung

und dem Ausspiegeln des Wasservolumens führt der Binnenabfluss zu einem An-

stieg des Wasserspiegels. Die Anstiegsrate des Wasserspiegels hängt dabei von

der Fülle des Abflusses und dem Stauraum hinter dem Sperrwerk ab. Letzterer ist

in der Regel eine fixierte Größe, die durch die Topographie von Gewässer und

Vorländern (inklusive Verlauf der Deichlinie) gegeben wird. Nur wenige Neben-

flusssysteme, wie z.B. (Ochtum, Hunte, Lühe) verfügen an ihren Unterläufen über

Polder, die bei hohen Wasserständen geflutet werden und somit den Anstieg des

Wasserspiegels verlangsamen.

Abbildung 1: Schematischer Verlauf und zeitliche Überlagerung der Wasserstands- und Abfluss-

ganglinien im Fall einer Sperrung über eine Kettentide mit zwei erhöhten Tnw, aus (Nehlsen

2017)

Der fortwährende Anstieg des Binnenwasserstands im Fall einer Sperrung wird

erst durch die Wiederöffnung des Sperrwerks bei Gleichheit von Binnen- und Au-

ßenwasserstand gestoppt. Die Veranschaulichung der Wasserstandsganglinien in

Abbildung 1 macht deutlich, dass die Tnw eine entscheidende Bedeutung haben,

da zu diesen Zeitpunkten der Wasserstandsverlauf definitionsgemäß ein lokales

Minimum aufweist. Dementsprechend wird bei den nachfolgend vorgestellten

Untersuchungen zur Bestimmung des Wiederkehrintervalls eines kombinierten

Ereignisses sowohl die Größe des Abflusses als auch die Tnw im Hauptästuar

einbezogen.

Page 372: bemessung im wasserbau

364

Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen

im Rückstaubereich von Sperrwerken

2 Methodik

Die Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit des dargestellten Bemes-

sungsereignisses erfordert eine statistische Analyse von Tideniedrigwasser- und

Abflusszeitreihen. Dabei sollten die zugrunde gelegten Wasserstandszeitreihen

repräsentativ für die Verhältnisse auf der Außenseite des jeweiligen Sperrwerks

und die Abflusszeitreihen repräsentativ für den Binnenabfluss aus dem gesamten

Einzugsgebiet des jeweiligen Nebenflusses sein.

Die Wasserstände im Bereich der Ästuare unterliegen im Allgemeinen unter-

schiedlichen Einflüssen, die zu einer Veränderung der mittleren Wasserstände

führen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führten z.B. massive Baumaß-

nahmen, die die Verbesserung der Schiffbarkeit die Sicherung des anthropogen

genutzten Raumen zum Ziel hatten, zu teilweise signifikanten Veränderungen der

mittleren Wasserstände. Von diesen Änderungen sind auch die Tnw betroffen.

Während die Veränderungen des MTnw im Mündungsbereich der Ästuare noch

vergleichsweise gering ausfallen ist in Richtung stromauf jedoch eine deutliche

Abnahme der Tnw-Höhen erkennbar. Das bedeutet im Rahmen dieser Untersu-

chung, dass die gemessenen Zeitreihen im Bereich der Nebenflussmündungen zu-

nächst überprüft und homogenisiert werden müssen. Das Ziel der Homogenisie-

rung ist es, den anthropogenen Einfluss weitgehend zu eliminieren und darüber

hinaus eine möglichst lange Tnw-Zeitreihe zu generieren.

Ein möglicher Ansatz zur Ermittlung einer homogenen Tnw-Zeitreihe ist die Ver-

wendung eines Regressionsmodells mit dem die gemessenen Daten eines mün-

dungsnahen Bezugspegels auf den jeweils betrachteten Pegel nahe der Mündung

des Nebenflusses transferiert werden. Dabei wird aus jeder gemessenen Zeitreihe

ein Ausschnitt gewählt, der für den aktuellen Ausbauzustand des Ästuars reprä-

sentative Werte beinhaltet. Aus diesem Ausschnitt werden wiederum nur die re-

levanten Ereignisse, d.h. im vorliegenden Fall nur die erhöhten Tnw, extrahiert.

Aus der Gegenüberstellung der Daten im Streudiagramm wird dann eine ab-

schnittsweise lineare Funktion abgeleitet mit der dann die gesamte verfügbare Da-

tenreihe vom Bezugspegel auf den jeweiligen nebenflussnahen Pegel transferiert

wird. Aus der erzeugten Tnw-Zeitreihe wird dann eine Stichprobe bestehend aus

Tnw-Paaren gewonnen, die einer bivariaten Extremwertanalyse unterzogen wird.

In den Zeitreihen des Binnenabflusses aus den Einzugsgebieten sind keine größe-

ren anthropogenen Beeinflussungen zu erwarten. Im Hinblick auf die Ermittlung

des Wiederkehrintervalls des kombinierten Ereignisses (Tnw-Kette mit Hochwas-

serabfluss) ist es allerdings von wesentlicher Bedeutung ob ein signifikanter Zu-

sammenhang (Korrelation) zwischen hohen Binnenabflussereignissen und erhöh-

ten Tnw besteht. Ist dies nicht der Fall, d.h. das Zusammentreffen kann als rein

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„Bemessung im Wasserbau“ 365

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zufällig betrachtet werden, dann können die Wahrscheinlichkeiten der beiden

Komponenten Hochwasserabfluss und Tnw-Kette unabhängig voneinander ermit-

telt und anschließend miteinander multipliziert werden. Andernfalls wird eine

multivariate Betrachtung erforderlich. Zur Beurteilung eines möglichen Zusam-

menhangs zwischen den Parametern sowie dessen Stärke werden eine Korrelati-

onsanalyse sowie eine phänomenologische Betrachtung durchgeführt.

3 Datengrundlage

Für die Untersuchungen standen Abflusszeitreihen von Pegeln im oberen Ein-

zugsgebiet der Nebenflüsse und Wasserstandszeitreihen der Tnw von Elbe-Pegeln

für den Zeitraum zwischen ca. 1900 und 2015 (Cuxhaven) bzw. zwischen den

1960er Jahren und 2015 (übrige Pegel) zur Verfügung, die sich in der Nähe der

Nebenflussmündungen bzw. nahe der Elbmündung (Cuxhaven) befinden. Die

Abflusszeitreihen haben eine zeitliche Auflösung von einer Stunde und wurden

vom Landesamt für Landwirtschaft und ländliche Räume Schleswig-Holstein

(LLUR) sowie vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küs-

ten- und Naturschutz bereitgestellt. Die Wasserstandszeitreihen der Tnw wurden

von der Wasser- und Schifffahrtsstraßenverwaltung des Bundes (WSV) zur Ver-

fügung gestellt. Bei allen Zeitreihen handelt es sich um durch die Behörden ge-

prüfte Datensätze.

Während die verwendeten Abflusszeitreihen keine signifikanten Trends aufwei-

sen, ist dies bei den Wasserstandszeitreihen der Tnw der Fall. Die Tnw-Zeitreihen

von den mündungsnahen Pegeln weisen einen positiven Trend auf, z.B. Pegel

Cuxhaven: 1,2 mm/a. Dieser positive Trend kehrt sich in Richtung stromauf des

Ästuars um, so dass die meisten Tnw-Zeitreihen von den weiter stromauf gelege-

nen Pegeln im Bereich der Nebenflussmündungen einen negativen Trend aufwei-

sen. Grundsätzlich nimmt der negative Trend in Richtung stromauf stetig zu.

4 Ergebnisse

Im Folgenden werden Ergebnisse des vorgestellten Ansatzes beispielhaft für den

Elbnebenfluss Krückau dargestellt. Der nächstgelegene Elbe-Pegel ist der Pegel

Kollmar an dem seit 1964 Wasserstände aufgezeichnet werden. Aufgrund der be-

schriebenen starken anthropogenen Beeinflussung werden die Daten jedoch nicht

direkt für weitere Auswertungen genutzt. Stattdessen werden Daten jüngeren Da-

tums genutzt, um das vorgestellte lineare Regressionsmodell aufzubauen. Dazu

Page 374: bemessung im wasserbau

366

Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen

im Rückstaubereich von Sperrwerken

werden die Tnw der Pegel Kollmar und Cuxhaven in einem Streudiagramm auf-

getragen und Geradengleichungen abgeleitet. In Abbildung 2 sind die am Pegel

Kollmar gemessenen und die auf der Grundlage des Regressionsmodells simu-

lierten Werte dargestellt. Es ist zu erkennen, dass die Werte nur geringfügig von

der Winkelhalbierenden abweichen und das angewendete Verfahren genaue Er-

gebnisse liefert. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil des Ansatzes ist

die Länge der Zeitreihe am Pegel Cuxhaven. Für die weiteren Untersuchungen

steht nunmehr eine Zeitreihe von 115 Jahren zur Verfügung.

Abbildung 2: Streudiagramm der simulierten und gemessenen Tnw-Höhen am Pegel Kollmar

(Zeitraum: 01.11.1964-31.10.2013), aus (Nehlsen 2017)

Aus der simulierten 115 Jahre umfassenden Zeitreihe wird eine Stichprobe ge-

wonnen, die aus Wertepaaren von jeweils zwei aufeinanderfolgenden erhöhten

Tnw besteht. Das Kriterium für die Aufnahme in die Stichprobe ergibt sich in

Anlehnung an (Siefert 1985) und (Gönnert und Siefert 1998). Beide definieren für

die Elbe einen Windstau von mindestens zwei Metern als Sturmflut. Dementspre-

chend werden auch nur solche Tnw-Paare in die Stichprobe aufgenommen, die

einen entsprechenden Windstau aufweisen. Die auf diese Weise für den Pegel

Kollmar gewonnene Stichprobe ist in Abbildung 3 dargestellt. Es wird deutlich,

dass keine Korrelation zwischen den Tnw-Paaren besteht, was jedoch nicht be-

deutet, dass die Paare in gar keinem Zusammenhang stehen. Tatsächlich besteht

ein kausaler Zusammenhang wie von (Nehlsen 2017) dargestellt und untersucht.

Ein statistischer Zusammenhang zwischen den Werten besteht über die Stichpro-

bendefinition, woraus sich schließlich eine Aussage über Wahrscheinlichkeiten

ergibt.

Page 375: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 367

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Abbildung 3: Streudiagramm der Wertepaare bestehend aus zwei aufeinanderfolgenden Tnw mit

einem Windstau von mindestens 2 m (extrahiert aus der simulierten Tnw-Zeitreihe für den Pe-

gel Kollmar, Zeitraum 01.11.1905-31.10.2013)

Nachdem der Zusammenhang zwischen den Tnw-Paaren geklärt ist, stellt sich

noch die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen den erhöhten Binnenabflüssen

und erhöhten Tnw besteht. Dazu sind in Abbildung 4 die Tagesmittelwerte des

Abflusses in der Krückau und die Tnw-Höhe aufgetragen. Da in der Regel zwei

Tnw pro Tag auftreten, wird der jeweils höhere Wert gewählt. Eine Trendanalyse

ergibt keinen signifikanten Trend. Im Gegensatz zu den Tnw-Paaren ergibt die

phänomenologische Betrachtung keinen kausalen Zusammenhang (siehe Nehlsen

2017). Die genaue ereignisbezogene Betrachtung zeigt, dass eine mögliche Kor-

relation von sehr wenigen Ereignissen stark beeinflusst wird. Hierfür sind bei-

spielhaft die Binnenhochwasserereignisse im Oktober 1998 und im Januar 2012

sowie die Nikolaussturmflut 2013 zu nennen.

Abbildung 4: Streudiagramm der Tagesmittelwerte des Abflusses am Krückau-Pegel A23 und

dem höheren Tages-Tnw am Pegel Kollmar (Zeitraum 01.11.1995-31.10.2014)

Page 376: bemessung im wasserbau

368

Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen

im Rückstaubereich von Sperrwerken

Da zwischen erhöhten Tnw in der Elbe und erhöhten Binnenabflüssen in den Ne-

benflüssen kein Zusammenhang besteht, werden die Wahrscheinlichkeiten der

beiden Komponenten zunächst separat bestimmt und anschließend miteinander

multipliziert. Für den Abfluss wird eine univariate Extremwertanalyse durchge-

führt, um Aussagen zu der Größe definierter statistischer Ereignisse (z.B. HQ5

und HQ10) zu erhalten. Weitere Informationen hierzu sind in (Nehlsen 2017) zu

finden.

Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von zwei deutlich erhöhten (d.h. min. 2m

Windstau) Tnw in Folge wird auf der Grundlage einer bivariaten Analyse be-

stimmt. Hierfür werden Copula-Funktionen herangezogen, mit denen der funkti-

onale Zusammenhang zweier Zufallsvariablen mit beliebigen Randverteilungen

beschrieben wird. In Abbildung 5 sind die Stichproben (schwarze Kreuze) sowie

die auf der Grundlage der Randverteilungen und der Copula-Funktion simulierten

Werte (graue Ringe) dargestellt. Jedem Tnw-Paar wird eine gemeinsame Wahr-

scheinlichkeit zugeordnet. Im Folgenden sowie in Abbildung 5 werden aus Grün-

den des besseren Verständnisses die entsprechenden Wiederkehrintervalle in Jah-

ren angegeben. Durch Verbinden von Werten mit gleichem Wiederkehrintervall

entstehen Isolinien gleicher Wiederkehrintervalle (schwarze durchgezogene Li-

nien). Bei der statistischen Einordnung der gemessenen Ereignisse fällt auf, dass

das Wertepaar (1,89/1,91 m ü. NN), das während der Sturmflut vom Februar 1962

auftrat, das größte Wiederkehrintervall von etwa 500 Jahren aufweist. Das zweit-

größte Wiederkehrintervall weist die zweite Niedrigwasser-Orkanflut vom Feb-

ruar 1967 auf, bei der ein Tnw einen Windstau von fast 4,5 m erreichte. Das nach-

folgende Tnw fiel allerdings (genauso wie das vorherige Tnw) deutlich niedriger

aus, weshalb sich für die Kombination (3,06/0,46 m ü. NN) kein größeres Wie-

derkehrintervall als ca. 200 Jahre ergibt.

Um nun das Tnw-Paar zu finden, das genau dazu führt, dass das Sperrwerk nicht

geöffnet werden kann (vgl. Abbildung 1) muss der zugehörige Binnenwasserstand

zum Zeitpunkt des Eintretens des ersten (Tnw-1) und des zweiten (Tnw) ermittelt

werden. Dies kann mit Hilfe eines hydrodynamisch-numerischen Modells erfol-

gen wie in (Nehlsen 2017) dargestellt. Im Folgenden wird diese Thematik nicht

aufgegriffen. Stattdessen wird vereinfachend davon ausgegangen, dass sich der

Wasserstand nach Beginn der Sperrung nicht mehr ändert. Dementsprechend ist

nach einer Kombination zu suchen, bei der beide Tnw exakt den Schließwasser-

stand erreichen.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 369

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Abbildung 5: Gemessene und simulierte Datenpaare sowie Linien gleicher Wiederkehrinter-

valle für den Pegel Kollmar

Der Schließwasserstand ist in Abbildung 5 als gestrichelte Linie dargestellt. Dort

wo sich beide Linien kreuzen, befindet sich der gesuchte Wert. Es wird deutlich,

dass in der 115 Jahre umfassenden Tnw-Zeitreihe kein Tnw-Paar zu finden ist,

das dem gesuchten Wert besonders nahe kommt. Insgesamt sind überhaupt nur

drei einzelne Tnw zu verzeichnen, die höher aufgelaufen sind als der Schließwas-

serstand. Damit wird deutlich, dass es sich bei der gesuchten Kombination um ein

extrem seltenes Ereignis handelt. Tatsächlich ergibt sich für das gesuchte Tnw-

Paar ein Wiederkehrintervall von mehr als 1000 Jahren.

5 Diskussion und Schlussfolgerung

Die Untersuchungen zeigen eine Möglichkeit auf, wie die Wahrscheinlichkeit ei-

nes kombinierten Hochwasserereignisses (Binnenhochwasser und wasserstands-

bedingte Sperrung über zwei Tnw) im Rückstaubereich von Sperrwerken ermittelt

werden kann. Es wird gezeigt, dass zwischen den beiden Komponenten Binnen-

hochwasser und erhöhte Tnw statistisch kein signifikanter Zusammenhang be-

steht, weshalb die beiden Komponenten unabhängig voneinander ausgewertet

werden. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bzw. das Wiederkehrintervall von

zwei erhöhten Tnw in Folge wird auf der Grundlage einer bivariaten Extrem-

wertanalyse bestimmt. Die statistische Einordnung der in 115 Jahren aufgetrete-

nen Ereignisse zeigt, dass das Wiederkehrintervall für eine Sperrung über zwei

Bereich relevanter Ereignisse

Page 378: bemessung im wasserbau

370

Eine Methodik zur Ermittlung der kombinierten Wahrscheinlichkeit von Bemessungsereignissen

im Rückstaubereich von Sperrwerken

Tnw in Folge unter Berücksichtigung der aktuell gültigen Steuerung (Schließwas-

serstand) extrem groß ist (>1000 Jahre). Das Wiederkehrintervall für das kombi-

nierte Ereignis (Binnenhochwasser und wasserstandsbedingte Sperrung über zwei

Tnw) ergibt sich aus der Multiplikation der einzelnen Wiederkehrintervalle. Wird

z.B. für das Binnenhochwasser ein HQ5 angenommen, ergibt sich für das kombi-

nierte Ereignis ein Wiederkehrintervall >5000 Jahre. Insgesamt ist zu beachten,

dass im vorliegenden Fall ein Tnw-Paar eingeordnet wurde, das sich aus der ver-

einfachenden Annahme ergibt, dass sich der Wasserstand während der Sperrung

statisch verhält. Dies entspricht natürlich nicht der Realität. Bei der genauen Be-

rücksichtigung der Wasserstandsentwicklung ergibt sich ein noch höheres Wie-

derkehrintervall wie von (Nehlsen 2017) gezeigt. Unabhängig davon kann jedoch

auch an dieser Stelle aus den vorgestellten Ergebnissen gefolgert werden, dass das

untersuchte Ereignis, das an der gängigen Praxis angelehnt ist, ein sehr hohes

Wiederkehrintervall hat. Dies gilt trotz der unterschiedlichen Eigenschaften (Bin-

nenabfluss, Stauraum, Tideverhältnisse, Schließwasserstand etc.), die die Neben-

flüsse von Elbe und Weser aufweisen, übergreifend für nahezu alle Nebenflüsse.

Im Hinblick auf die Umsetzung der EU-HWRM-RL, die die Betrachtung von

Hochwasserereignissen definierter Wahrscheinlichkeiten fordert, ist es daher

sinnvoll die bestehenden Annahmen zu überprüfen und die Wahrscheinlichkeiten

der angesetzten kombinierten Hochwasserereignissen spezifisch für jeden Neben-

fluss, z.B. auf der Grundlage des vorgestellten Ansatzes, zu bestimmen.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 371

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6 Literatur

Gönnert, Gabriele; Siefert, Winfried (1998): Sturmflutatlas Cuxhaven. [Hamburg]: Strom- und

Hafenbau (Studie / Strom- und Hafenbau [Hamburg], Strombau/Hydrologie <24>, Nr.

91).

Nehlsen, Edgar (2017): Wasserbauliche Systemanalyse zur Bewertung der Auswirkungen des

Klimawandels auf tidebeeinflusste Nebenflüsse der Elbe. Im Druck. Hamburg: TuTech

Verlag (Hamburger Wasserbau-Schriften, 20).

Niedersachsen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1962): Nieders.

Küstenschutzprogramm. Deichbau und Küstenschutz ab 1963. Unter Mitarbeit von

Niedersächsischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Hannover.

Schleswig-Holstein Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1963):

Generalplan Deichverstärkung, Deichverkürzung, Küstenschutz in Schleswig-Holstein.

Unter Mitarbeit von Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Kiel.

Siefert, Winfried (1985): Sturmfluten von 1901 bis 1984 vor der südlichen Nordseeküste und

in Hamburg. Ganglinien. Hamburg: Behörde für Wirtschaft Verkehr u. Landwirtschaft

Strom- u. Hafenbau (Hamburger Küstenforschung, 44).

Autoren:

Dipl.-Ing. Edgar Nehlsen

Institut für Wasserbau

TU Hamburg-Harburg

Denickestraße 22

21073 Hamburg

Tel.: +49 40 42878 4274

Fax: +49 40 42874 2802

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr.-Ing. Peter Fröhle

Institut für Wasserbau

TU Hamburg-Harburg

Denickestraße 22

21073 Hamburg

Tel.: +49 40 42878 4600

Fax: +49 40 42874 2802

E-Mail: [email protected]

Page 380: bemessung im wasserbau

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Page 381: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb

von Talsperren im operationellen Betrieb

Alexander Rötz

Christian Bouillon

Stephan Theobald

Die Bewirtschaftung von Talsperren mit konkurrierenden Nutzungen stellt im

Echtzeitbetrieb eine besondere Herausforderung dar. Um abhängig von den äuße-

ren Einflussfaktoren eine optimale Betriebsweise festzulegen, sind möglichst gute

Vorhersagedaten sowie detaillierte Kenntnisse zur Wirkung von verschiedenen

Betriebsstrategien auf die Abflussdynamik im Gewässersystem und auf die Ein-

haltung der Bewirtschaftungsziele erforderlich. Eingebettet in einer Vorher-

sageumgebung kann mit Simulations- und Optimierungsverfahren eine vorraus-

schauende (prädiktive) Steuerungsstrategie abgeleitet und daraufhin die Betriebs-

weise von wasserbaulichen Anlagen im operationellen Betrieb optimiert werden.

Die Möglichkeit des Einsatzes der modellbasierten prädiktiven Regelung im lau-

fenden Betrieb als Entscheidungsunterstützung zur Festlegung einer bedarfsge-

rechten Betriebsstrategie wird dargelegt und die Bedeutung des Simulationsver-

fahrens zur modellhaften Abbildung des wasserwirtschaftlichen Systems hervor-

gehoben. Am Beispiel der operationellen Bewirtschaftung der Edertalsperre wird

die Anwendbarkeit gezeigt.

Stichworte: Modellbasierte prädiktive Regelung, Entscheidungsunterstützung,

Optimierung, Talsperrensteuerung, Fließgewässermodellierung

1 Einleitung

Der Bau und Betrieb von Talsperren ist seit jeher eng mit der Nutzung der Res-

source Wasser verbunden. Durch den künstlichen Aufstau des Gewässers und

der damit einhergehenden Wasserspeicherung wird ein Ausgleich zwischen dem

natürlich vorhandenen Wasserdargebot und dem Bedarf an Wasser für die Erfül-

lung unterschiedlicher Bedürfnisse, wie z. B. Wasserkraftnutzung, Hochwasser-

schutz, Bewässerung, Brauch- und Trinkwasserversorgung, Niedrigwasserbe-

wirtschaftung und Binnenschifffahrt geschaffen. Aus den unterschiedlichen

Nutzungsanforderungen resultiert ein Interessenskonflikt und es ergibt sich die

Optimierungsaufgabe, mit welcher Betriebsweise die Wassernutzungseffizienz

gesteigert werden kann. Zur Ableitung von effizienten Betriebsweisen und zur

Entscheidungsunterstützung werden im Echtzeitbetrieb vermehrt computerge-

Page 382: bemessung im wasserbau

374 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb

stützte Simulationsverfahren zur modellhaften Abbildung der Strömungs- und

Regelungsprozesse im wasserwirtschaftlichen System eingesetzt. Mit der Mög-

lichkeit auf Grundlage von gebietsspezifischen Vorhersagedaten modellbasierte

Simulationen zur zukünftigen Wirkung von verschiedenen Betriebsstrategien

durchzuführen, werden Betreiber von wasserbaulichen Anlagen in der Lage ver-

setzt, eine vorrausschauende Steuerungsstrategie für den individuellen Bewirt-

schaftungsfall abzuleiten.

2 Simulationsverfahren zur Entscheidungsunterstützung

2.1 Prinzip des Entscheidungsprozesses

Der auf einem Simulationsmodell beruhende Entscheidungsprozess zur Festle-

gung einer bedarfsgerechten und somit optimalen Talsperrenabgabe setzt zu-

nächst voraus, dass das wasserwirtschaftliche System mit seiner komplexen Sys-

temdynamik vollständig und möglichst realitätsnah in einem Prozessmodell ab-

gebildet wird. Erfolgt darüber hinaus die Kopplung mit einem Optimierungsver-

fahren, wird dieses Prinzip als modellbasierte prädiktive Regelung (MPR) be-

zeichnet (Dittmar, 2004). Wie Abbildung 1 zeigt, wird dabei auf Grundlage ei-

nes Anfangszustandes zum Vorhersagezeitpunkt T0 und den gebietsspezifischen

Zuflussvorhersagen das Prozessmodell in einer Optimierungsschleife wiederholt

angestoßen, um sämtliche Zustandsgrößen (Modellprognose) des zu regelnden

Systems über den Zeitraum T vorherzusagen. Dieser Prozess wird unter Berück-

sichtigung der zulässigen Abgabemengen (Nebenbedingung) solange – mit einer

immer neuen vom Optimierer gewählten Folge von Stellgrößenänderungen (Tal-

sperrenabgabe) – durchlaufen, bis die über eine Kostenfunktion (vgl. Glg. 1)

quantifizierbaren Abweichungen zwischen simulierter Zielgröße (xi,sim,k) und

Zielvorgabe (xi,soll,k) minimiert werden.

n

1i

T

1k

a

ksoll,i,ksim,i,i )x(xωJmin (1)

Die Kostenfunktion beschreibt dabei das individuelle Optimierungsproblem

vom jeweiligen Bewirtschaftungsfall und nimmt eine parametergewichtete (ωi)

Priorisierung der teilweise konkurrierenden Bewirtschaftungsziele (z. B. Mini-

mierung des Abflussscheitels unterhalb einer Talsperre, Einhaltung von Min-

dest- und Maximalabgaben, Einhaltung von Stauzielen, Einhaltung eines Min-

destwasserstandes an einem Pegel) vor. Vom Anwender sind in der ereignisbe-

zogenen Bewirtschaftung lediglich die betrieblichen Bewirtschaftungsziele

(z. B. Zielwasserstand Talsperre, Abflussminderung Unterwasserpegel) und ggf.

zu berücksichtigende Restriktionen (Nebenbedingungen) vorzugeben.

Page 383: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessungen im Wasserbau“ 375

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Zeit

VorhersagehorizontT0Beobachtungszeitraum

Zielvorgabe xi,soll,k

(z. B. Wasserstand

Talsperre)

Simulierte Zielgröße xi,sim,k

(Modellprognose)

optimierte

Talsperrenabgabe

rechnerische Stellschrittweite

Historiezulässige Abgabe

(Nebenbedingungen)

Abweichung J (Bestrafung, Kosten)

Abbildung 1: Anwendung der modellbasierten prädiktiven Regelung im operationellen Tal-

sperrenbetrieb zur Einhaltung eines Pegelwasserstandes durch Optimierung

der Talsperrenabgabe (Rötz und Theobald, 2016)

Den Simulations- und Entscheidungsprozess zur Festlegung einer optimierten

Betriebsstrategie im operationellen Talsperrenbetrieb zeigt Abbildung 2. Auf

Grundlage der abschließend vom Optimierer (z. B. IPOPT, Wächter, 2009) ge-

fundenen Lösung kann der Anwender mit dem Simulationsverfahren weiterfüh-

rende Szenarienrechnungen unter veränderten Zielvorgaben durchführen oder

die für die nahe Zukunft (Stunden, Tag) simulierten Stellschritte in eine Abga-

bestrategie überführen. Die Entscheidung zur abschließenden Festlegung einer

Betriebsstrategie obliegt demnach immer dem Betriebspersonal.

Abbildung 2: Prozess zur Optimierung einer Betriebsstrategie (Rötz und Theobald, 2016)

Page 384: bemessung im wasserbau

376 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb

Stehen im operationellen Betrieb aktualisierte Prognosedaten bereit, kann der

Prozess erneut durchlaufen werden, um die zuletzt getroffene Abgabestrategie,

die Zielerreichung sowie das Eintreffen der Zuflussprognose zu überprüfen.

2.2 Modellhafte Abbildung des wasserwirtschaftlichen Systems

Die mit dem Prozessmodell erzielten Ergebnisse der simulierten Zustandsgrößen

(Modellprognose) dienen dem Anwender als Entscheidungshilfe zur Festlegung

einer bedarfsgerechten Betriebsstrategie und sollten daher ein hohes Vertrauen

zugesprochen bekommen können. Voraussetzung für den operationellen Einsatz

und zur Entscheidungsunterstützung ist zunächst, dass mit dem Prozessmodell

auf Grundlage eines Speichermodells die Bilanzierung des zukünftigen Talsper-

renvolumens und der resultierende Wasserstand möglichst genau beschrieben

werden. Um die Auswirkungen von verschiedenen Betriebsstrategien auf die

unterhalb der Talsperre gelegenen Gewässerstrecken darlegen zu können, ist das

Speichermodell über die Talsperrenabgabe mit einem Fließgewässermodell zu

koppeln. Die Notwendigkeit eines detaillierten Fließgewässermodells ergibt sich

insbesondere dann, wenn sich der Ziel- und Steuerpegel weit unterhalb der Tal-

sperre befindet. Folglich sind bei der hydrodynamischen Analyse des Wellenab-

laufs die Systemreaktionszeit (Wellenlaufzeit) und die Retentionseffekte im

Gewässersystem bestmöglich wiederzugegeben.

Im ereignisbezogenen Betrieb einer Talsperre sind Entscheidungen häufig in

einem engen Zeitplan zu treffen. In diesem Zusammenhang kann es erforderlich

sein, eine Bandbreite von verschiedenen Abgabeszenarien zu berechnen, um da-

raus eine möglichst optimale Bewirtschaftungsstrategie abzuleiten. Das Simula-

tionsverfahren sollte daher im laufenden Talsperrenbetrieb über das gesamte

Abflussspektrum (von Niedrig- bis Hochwasser) eine hohe Rechenperformance,

ein zuverlässiges Laufverhalten und eine hohe Modellstabilität aufweisen. Da

zugleich die nichtlineare Dynamik der strömungsmechanischen Vorgänge mög-

lichst exakt beschrieben werden sollen, ist für die wiederholten Simulationen

und für die Lösung des nichtlinearen Optimierungsproblems mit einem erhebli-

chen numerischen Rechenaufwand zu rechnen. Aus diesem Grund werden für

diesen Anwendungsbereich zugunsten des Rechenaufwandes effiziente hydro-

dynamisch-numerische Berechnungsverfahren eingesetzt, welche zumeist auf

Vereinfachungen der 1D-Saint-Venant-Gleichungen basieren.

3 Anwendungsbeispiel „Edertalsperre“

Im Auftrag der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) wurde ein auf den

freien Software-Produkten RTC-Tools (Schwanenberg und Becker, 2015) und

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„Bemessungen im Wasserbau“ 377

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Delft-FEWS (Werner et al., 2013) basierendes und operationell zu betreibendes

Vorhersage- und Optimierungsmodell für die Bewirtschaftung der Edertalsperre

entwickelt (Rötz et al., 2016).

Die im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg, etwa 35 km südwest-

lich von Kassel an einer Engstelle des Edertals gelegene Edertalsperre, staut

mithilfe einer Schwergewichtsmauer die Eder zu einem ca. 28,5 km langen

Stausee auf (vgl. Abbildung 3). Der langjährige mittlere Talsperrenzufluss be-

trägt am Zulaufpegel Schmittlotheim MQ = 19,1 m³/s, das oberirdisches Ein-

zugsgebiet des Stausees ca. 1.450 km². Mit max. 199,3 Mio. m³ Speichervolu-

men und einer Stauseeoberfläche von ca. 11 km² ist der Edersee bei Vollstau-

verhältnissen der volumen- und flächenmäßig drittgrößte Stausee Deutschlands

(Heimerl, et al., 2013). Die Edertalsperre gehört neben der Diemeltalsperre zu

den einzigen von der Wasser-

und Schifffahrtsverwaltung des

Bundes betriebenen Talsperren.

Abbildung 4 veranschaulicht den

jahreszeitlich bedingten Einfluss

der Talsperrenbewirtschaftung

auf den unterhalb gelegenen Ge-

wässerabschnitt. Während in den

Sommermonaten der mittlere

monatliche Mittelwasserabfluss

am Zulaufpegel Schmittlotheim

auf bis zu Q = 7 m³/s absinkt, ist

am Ablaufpegel Affoldern ein

zunehmender Abfluss von bis zu

Q = 20 m³/s erkennbar. Auch der

mittlere monatliche Niedrigwas-

serabfluss erhöht sich in dieser

Zeit auf bis zu Q = 11 m³/s, ob-

wohl der Zulaufpegel auf ca. Q = 3 m³/s abfällt. Als primäre Zweckbestimmun-

gen der Talsperre dient die erhöhte Talsperrenabgabe der saisonalen Niedrig-

wasseraufhöhung und durch Stützung des Wasserstandes an der Oberweser ab

Hann. Münden zur Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse. Der Mehrzweck-

talsperre fügen sich als weitere Zweckbestimmungen der Hochwasserschutz für

die untere Eder, die untere Fulda und die Weser sowie die Energieerzeugung aus

Wasserkraft an. Dabei ist die Betriebsstrategie bedarfsgerecht und abhängig von

der jeweiligen hydrologischen und füllstandsabhängigen Situation anzupassen.

Weitere Nebennutzungen sind Tourismus, Freizeit- und Naherholung sowie

Binnenfischerei (Hohenrainer et al., 2012).

Abbildung 3: Untersuchungsgebiet der Edertal-

sperre mit relevanten Fließgewäs-

sern und Pegeln (Rötz et al. 2016)

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378 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb

0

5

10

15

20

25

30

35

40

Jan Feb Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Ab

flu

ss [

m³/

s]

Monat

mittlerer monatlicher Zu- und Abfluss an der Edertalsperre (Jahre 1941 bis 2012)

MQ Schmittlotheim MNQ Schmittlotheim

MQ Affoldern MNQ Affoldern

Abbildung 4: Mittlerer monatlicher Mittelwasser- und Niedrigwasserabfluss am Zu- und

Ablaufpegel der Edertalsperre (Zahlen aus NLWKN, 2014)

Das zur operationellen Bewirtschaftung der Edertalsperre entwickelte Modell-

system berücksichtigt diese komplexen Nutzungsanforderungen sowie die örtli-

chen Rahmenbedingungen an den Gewässerabschnitten unterhalb der Talsperre

und knüpft an Vorhersagedaten aus vorgeschalteten hydrologischen Modellen

der BfG (Cemus und Richter, 2008) sowie jeweils aktuellen Abfluss- und Was-

serstandsvorhersagen vom Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und

Geologie (HLNUG) an (Brahmer, 2009). Das Optimierungsmodell ermittelt im

laufenden Betrieb eine im Hinblick auf die Talsperrenbilanz und der Wellen-

fortpflanzung in den Gewässerabschnitten bestmögliche Talsperrenabgabe und

dient dem Betreiber als Entscheidungsunterstützungssystem.

Das Vorhersagesystem Delft-FEWS stellt die Benutzeroberfläche dar, verwaltet

sämtliche Eingangs- und Ergebnisdaten und ruft über eine Schnittstelle die ex-

ternen Modellkomponenten von RTC-Tools auf. Mit RTC-Tools erfolgt die Bi-

lanzierung des Talsperrenvolumens, die hydrodynamische Modellierung des

Wellenablaufs im Gewässersystem und die Optimierung der Steuergröße nach

dem Prinzip der modellbasierten prädiktiven Regelung.

Das wasserwirtschaftliche Prozessmodell bildet die rund 106 km lange Gewäs-

serstrecke zwischen der Edertalsperre und dem Pegel Hann. Münden mit 38 an-

einandergereihten und kaskadenartig angeordneten Berechnungselementen (No-

des, vgl. Abbildung 5, links) ab (Rötz et al., 2016). Diese, auf Grundlage von

Fluss- und Vorlandprofilen parametrisierten Elemente, bilden die Speicherwir-

kung im jeweiligen Gewässerabschnitt in Form einer Wasserstands-Volumen-

Beziehung ab. Das hydraulische System besteht ferner aus Verbindungselemen-

ten (Branch) zwischen zwei Knotenpunkten. Der Abflussweitergabe von einem

zum anderen Knoten wird mit der in RTC-Tools implementierten vereinfachten

Bewegungsgleichung des diffusiven Wellenansatzes (Schwanenberg und Be-

cker, 2015) ermittelt. Die Variablen der durchflossenen Fläche, des hydrauli-

schen Radius und des Rauheitseiwertes werden auf Grundlage eines repräsenta-

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„Bemessungen im Wasserbau“ 379

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tiven Querprofils vom Gewässerabschnitt als geometrische Funktion vom Was-

serstand ausgedrückt. Umfangreiche Vergleichsuntersuchungen mit einem de-

taillierten 1D-HN-Modell haben gezeigt, dass mit dem gewählten Berechnungs-

verfahren eine gute Annäherung an die voll dynamische Lösung erreicht wird,

der numerische Lösungsaufwand gering ausfällt und somit eine Eignung für den

operationellen Einsatz gegeben ist (Rötz, 2016). Exemplarisch sind in Abbil-

dung 5 (rechts) die mit beiden Modellen simulierten Abflussganglinien am Pegel

Hann. Münden für ein ausgewähltes Abflussereignis aufgetragen. Der Vergleich

der Abflussganglinien zeigt, dass trotz des deutlich höheren Abstraktionsgrades

vom Fließgewässermodell der Wellenablauf sehr gut wiedergegeben wird und

eine hohe Übereinstimmung zum 1D-HN-Modell vorliegt. Die für die Bewirt-

schaftung bedeutsamen Zielgrößen von Wellenanstieg und Wellenlaufzeit wer-

den in nahezu gleicher Qualität wiedergegeben.

-40

-35

-30

-25

-20

-15

-10

-5

0

5

10

15

20

25

0

20

40

60

80

100

120

140

160

180

200

220

240

260

1. Okt. 6. Okt. 11. Okt. 16. Okt. 21. Okt. 26. Okt. 31. Okt.

Dif

fere

nz

(FG

M a

bzg

l. 1

D)

[m³/

s]

Ab

flu

ss [

m³/

s]

Datum

Abflussereignis 10/2014

Hann. Münden - 1D-HN-Simulation

Hann. Münden - Fließgewässermodell

Differenz

Abbildung 5: System vom Prozessmodell (links) sowie simulierte Abflussganglinien

(rechts) am Zielpegel Hann. Münden zwischen dem Fließgewässermodell und

einem 1D-HN-Modell (räumliche Auflösung mit 771 Querprofilen)

In dem Optimierungsmodell werden derzeit die speziellen Anforderungen der

Bewirtschaftungsfälle „Schifffahrt“, „Niedrig- und Mittelwasser“ sowie „Hoch-

wasser“ als getrennt formulierte Optimierungsprobleme berücksichtigt (Rötz et

al., 2016). Der Anwender gibt im operationellen Betrieb die aus seiner Sicht zu

erreichenden Bewirtschaftungsziele (z. B. Zielwasserstand Talsperre, Scheitel-

reduktion oder Mindestwasserstand Unterwasserpegel) vor. Die praktische An-

wendbarkeit des Modellsystems wurde durch eine intensiv begleitete Testphase

beim Wasser- und Schifffahrtsamt Hann. Münden sowie bei der Bundesanstalt

für Gewässerkunde belegt (Rötz et al., 2016). Abbildung 6 zeigt ein Fallbeispiel

zum Bewirtschaftungsfall „Hochwasser“ die Anwendung und Ergebnisverwert-

Page 388: bemessung im wasserbau

380 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb

barkeit des Optimierungsmodells. Neben den prognostizierten Zuflussganglinien

sind die optimierte Talsperrenabgabe (Stellgrößenfolge), die simulierte Abfluss-

ganglinie am Pegel Hann. Münden, der sich aus der Talsperrenbilanzierung er-

gebene Talsperrenfüllstand sowie die beobachteten Werte vom Vortag aufgetra-

gen. In diesem Beispiel soll zum Schutz der Unterlieger als Bewirtschaftungs-

ziel der Abfluss von Q = 522 m³/s am Pegel Hann. Münden (≙ 470 cm, Melde-

stufe II) nicht überschritten werden. Zum Vorhersagezeitpunkt T0 beträgt der

Abfluss am Pegel Hann. Münden rund QT0 = 345 m³/s. Die aktuell prognosti-

zierten Gebietszuflüsse zeigen, dass sich die Abflusssituation weiter verschärfen

wird. Zugleich liegt der Talsperrenfüllstand innerhalb des Hochwasserschutz-

raumes (HWSR) und nur geringfügig unter der Vollstaugrenze.

240

241

242

243

244

245

246

0

100

200

300

400

500

600

-2 -1 0 1 2 3 4 5 6 7

Tals

per

ren

füll

stan

d [

m ü

. P

NP

]

Ab

flu

ss [

m³/

s]

Zeitraum [Tag]

Ergebnisse für das Fallbeispiel "Scheitelreduktion"

Beobachtung Vortag

Zielvorgabe - Hann. Münden

Zuflussprognose - Fulda (Grebenau)

Zuflussprognose - Werra (Letzter Heller)

Zuflussprognose - Talsperre

optimierte Stellgröße - Talsperrenabgabe

simulierte Zielgröße - Hann. Münden

Zielvorgabe - Talsperre

Füllstand Talsperre

Vo

rher

sagez

eitp

un

kt

T0

Beobachtung Vorhersage

InitialwertEntlastung

Vollstau

244,89

HW

SR

Einstau

Qmin

Scheitelabminderung

Maximalabfluss = Meldestufe II

Einstau

Qmin

244,60244,85

Initialwert

7,5 m³/s

Abbildung 6: Optimierungsrechnung für den Bewirtschaftungsfall „Hochwasser“

Den prädiktiven Simulationsergebnissen ist zu entnehmen, dass das vorgegebe-

ne Bewirtschaftungsziel in den ersten Tagen eingehalten werden kann und mit

der parametergewichteten Kostenfunktion der HWSR für Einstau- und Entlas-

tungsprozesse ausgenutzt werden kann. Der modellbasierte Optimierungspro-

zess hat ergeben, dass zur Minderung des Wellenscheitels die Talsperrenabgabe

in den ersten 1½ Tagen auf bis zu Qmin = 6 m³/s gedrosselt und folglich ein Tal-

sperreneinstau in Höhe von 19 cm (≙ 2,01 Mio. m³) initiiert wird, ohne das ein

Talsperrenüberlauf stattfindet. Im weiteren Verlauf wird die Talsperrenabgabe

schrittweise angehoben, um zunächst den HWSR um ca. 30 cm zu entlasten und

im Anschluss einen wiederholten Einstau vorzunehmen. Da die prognostizierten

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„Bemessungen im Wasserbau“ 381

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Modellzuflüsse am Ende des Vorhersagezeitraumes erneut ansteigen und das

Abgabeminimum erreicht ist, kann auf das Hochwassergeschehen kein Einfluss

mehr genommen werden. Auf dieser Ergebnisgrundlage kann der Anwender die

zum Vorhersagezeitpunkt T0 bestehende Talsperrenabgabe zunächst beibehal-

ten. Die Belastbarkeit der simulierten Steuer- und Zielgrößen ist dabei primär

von der Eintrittswahrscheinlichkeit der Wetter- und Zuflussprognose abhängig.

So gilt die Aussage, dass die Unsicherheiten mit länger andauerndem Vorhersa-

gezeitraum zunehmen. Diesem Umstand kann im Praxisbetrieb Rechnung getra-

gen werden, indem das Optimierungsmodell mehrmals täglich mit aktualisierten

Prognosedaten angewendet wird. Dadurch findet ein fortlaufender Abgleich

zwischen beobachteten und simulierten Zustandsgrößen statt und der Anwender

kann frühzeitig auf unerwartete Abweichungen reagieren. Ergänzend dazu kön-

nen die Ergebnisse durch individuelle Abgabeberechnungen weiter verifiziert

und verfeinert werden.

Die Anwendung des Optimierungsmodells zeigt, dass mit dem Einsatz von der-

artigen Simulationsverfahren verbesserte Betriebsstrategien festgelegt werden

können. Die Auswirkung einer gewählten oder optimierten Talsperrenabgabe

werden dem Anwender im Vorfeld seiner Entscheidung dargelegt und mögliche

Handlungsspielräume in der Bewirtschaftung aufgezeigt, wodurch schlussend-

lich auch eine verbesserte Zielerreichung möglich ist.

4 Literatur

Brahmer, G. (2009): Operationelle Wasserhaushaltsmodellierung zur Hochwasservor-

hersage in Hessen. Jahresbericht des HLNUG, S. 55-61.

Cemus, J.; Richter K. (2008): Bewirtschaftung der Edertalsperre. ‒ In: Bundesanstalt für

Gewässerkunde (BfG) (Hrsg.): Veranstaltungen 6/2008, Wasserbewirtschaftung

und Niedrigwasser, Kolloquium am 26./27. Mai 2008 in Koblenz, S. 84-95.

Dittmar, R. (2004): Modellbasierte prädiktive Regelung. Eine Einführung für Ingenieu-

re. ‒ Verlag Oldenbourg, München.

Heimerl, S.; Kohler, B.; Ebert, M.; Libisch, C. (2013): Die großen Stauanlagen

Deutschlands im Portrait. In: Deutsches TalsperrenKomitee e.V. (Hrsg.): Talsperren

in Deutschland: S. 35–492. Springer Vieweg. Wiesbaden.

Hohenrainer, J.; Cemus, J.; Ebner von Eschenbach, A.-D.; Preuß, P.; Richter, K.:

BEWASYS Edertalsperre - Aufbau eines Bewirtschaftungsmodells der

Edertalsperre für den operationellen Betrieb. In: Bundesanstalt für Gewässerkunde

(BfG) (Hg.): Veranstaltungen 2/2012, Überregionale Wasserbewirtschaftung -

Entwicklung und Einsatz eines Informationssystems und verschiedener Modelle,

Kolloquium am 12./13.10.2011 in Hannover, S. 61–71.

NLWKN, Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und

Naturschutz (2014): Deutsches Gewässerkundliches Jahrbuch, Weser- und

Emsgebiet 2012. Norden 2014.

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382 Simulationsverfahren für den optimierten Betrieb von Talsperren im operationellen Betrieb

Rötz, A. (2016): Ein simulationsbasiertes Entscheidungshilfewerkzeug zur Optimierung

der operationellen Talsperrenbewirtschaftung. ‒ Dissertation, Kasseler Wasserbau -

Mitteilungen, Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft, Heft 21, Universität

Kassel.

Rötz, A.; Bouillon, C.; Theobald, S.; Hohenrainer, J.; Ebner von Eschenbach, A.-D.

(2016): Synthese von Praxiserfahrung und Modelloptimierung als Grundlage eines

verbesserten Talsperrenbetriebes. ‒ Forum für Hydrologie und Wasserbewirt-

schaftung, Heft 37.16, S. 315-325.

Rötz, A.; Theobald, S.: Einsatz simulationsgestützter Modelloptimierung im er-

eignisbezogenen Talsperrenbetrieb. Hydrologie & Wasserbewirtschaftung 60 (6).

368-379.

Schwanenberg, D.; Becker, B. (2015): RTC-Tools, Software Tools for Modeling Real-

Time Control. ‒ Referenz Manual, Onlinezugriff,

http://content.oss.deltares.nl/delft3d/manuals/RTC_Tools_User_Manual.pdf.

WÄCHTER, A. (2009): Short Tutorial: Getting Started With Ipopt in 90 Minutes. ‒

http://drops.dagstuhl.de/volltexte/2009/2089/pdf/09061.WaechterAndreas.Paper.20

89.pdf

Werner, M.; Schellekens, J.; Gijysbers, P.; van Diyk, M.; van den Akker, O.; Heynert, K.

(2013): The Delft-FEWS flow forecasting system. ‒ Environmental Modelling &

Software 40, 65-77.

Autoren:

Dipl.-Ing Alexander Rötz

Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirt-

schaft

Universität Kassel

Kurt-Wolters-Straße 3

34125 Kassel

Tel.: +49 561 804-3203

Fax: +49 561 804-3952

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Hydrol. Christian Bouillon

Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirt-

schaft

Universität Kassel

Kurt-Wolters-Straße 3

34125 Kassel

Tel.: +49 561 804-3538

Fax: +49 561 804-3952

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr.-Ing. Stephan Theobald

Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirt-

schaft

Universität Kassel

Kurt-Wolters-Straße 3

34125 Kassel

Tel.: +49 561 804-2679

Fax: +49 561 804-3952

E-Mail: [email protected]

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

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3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und

Optimierung von Anlagen im Wasserbau

Max Heß

Carla Schneefeld

Tilo Vollweiler

Dirk Carstensen

Die Anwendung dreidimensionaler hydrodynamisch-numerischer Simulationen

im wasserbaulichen Versuchswesen rückt, durch die in den letzten Jahrzehnten ra-

sant angestiegene Leistungsfähigkeit von Großrechneranlagen, immer mehr in den

Vordergrund. Damit einhergehend können die Untersuchungsgebiete in einem

numerischen Modell in sehr viel feinere Kontrollvolumina aufgelöst werden,

wodurch die Genauigkeit der berechneten Lösungen deutlich zunimmt. Auch die

Umsetzung großräumiger Modellgebiete, wie zum Beispiel die generelle Untersu-

chung von gesamten Hochwasserentlastungsanlagen, kann so mit einem einzigen

Modell abgedeckt werden. Zudem kann mit Hilfe numerischer Modelle eine Viel-

zahl an Modell-Varianten mit relativ geringem Aufwand untersucht und so sehr

effizient eine optimierte Lösung gefunden werden. Dieses Vorgehen kann bereits

bei der Entwurfsplanung etwaiger Anlagen Berücksichtigung finden.

Neben dem Zugang zu einer Großrechneranlage ist tiefgreifendes Fachwissen, ei-

ne fundierte Datengrundlage und der sichere Umgang mit der jeweiligen CFD-

Software Voraussetzung für realitätsnahe Berechnungsergebnisse. Wie in jedem

Modell, ob physikalisch oder numerisch, gibt es Unschärfen bei den Untersu-

chungsergebnissen, welche unter anderem durch eventuelle Maßstabseffekte bei

der Anwendung von Modellgesetzten beziehungsweise, in der Numerik, dem Ein-

satz bestimmter Lösungsverfahren bedingt sein können.

Anhand ausgewählter Beispiele, von der Modellierung von Fischaufstiegsanlagen

bis hin zum Nachweis von Kavitation an einem unterströmten Schütz, wird die

Vielseitigkeit und Flexibilität von 3d-HN-Modellen verdeutlicht. Zudem werden

die derzeitigen Möglichkeiten und Grenzen dreidimensionaler numerischer Mo-

dellierung aufgezeigt.

Stichworte: CFD-Simulation, 3d-HN-Modellierung, OpenFOAM

1 Einleitung

Anwendungen mehrdimensionaler hydrodynamisch-numerischer (HN) Simula-

tionen sind im wasserbaulichen Versuchswesen in den letzten Jahrzehnten infol-

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384 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau

ge des rasanten Anstieges der Systemleistung von Großrechneranlagen immer

häufiger anzutreffen.

Bei der Ermittlung von Überflutungsflächen von Fließgewässern im Hochwas-

serfall findet die tiefengemittelte, numerische Modellierung (2d-HN-

Modellierung) bereits seit vielen Jahren Anwendung und beschleunigt so den

Prozess der Lösungsfindung. Während bei der 2d-HN-Modellierung sehr groß-

räumige Untersuchungsgebiete abgedeckt werden, können dabei die einzelnen

Bauwerke und Anlagen i.d.R. nicht detailliert abgebildet werden. Für die Unter-

suchung einzelner wasserbaulicher Anlagen kann heutzutage, neben der physi-

kalischen Modellierung, auch auf dreidimensionale hydrodynamisch-numerische

Simulation zurückgegriffen werden, womit sehr effizient Lösungen im Rahmen

der baulichen Gestaltung sowie die Steuerung in der praktischen Anwendung

erarbeitet werden können.

Bei der gegenständlichen bzw. physikalischen oder numerischen Modellierung

treten in den Untersuchungsergebnissen Unschärfen auf. Diese sind u.a. auf

eventuelle Maßstabseffekte bei der Anwendung von Modellgesetzten bezie-

hungsweise, in der Numerik, dem Einsatz bestimmter Lösungsverfahren zurück-

zuführen. Durch die richtige Anwendung numerischer Verfahren können diese

Unschärfen für die jeweiligen Untersuchungsgebiete auf ein Minimum reduziert

und so aussagekräftige Berechnungsergebnisse erzeugt werden. Im Nachgang ist

es vom hydraulischen Fachwissen sowie den Kenntnissen der Bearbeiterin/des

Bearbeiters im Postprocessing abhängig, Darstellungen zu erstellen, die eine

richtige Deutung der Ergebnisse zulassen.

2 Grundlagen der 3d-CFD-Numerik

Neben den kommerziell verfügbaren CFD-Software-Paketen, wie StarCCM+

oder ANSYS Fluent, gibt es auch kostenfreie Open Source Software, beispiels-

weise OpenFOAM. Unabhängig von der programmiertechnischen Umsetzung

dieser Programme, basieren die Lösungsverfahren in der Regel auf den Navier-

Stokes-Gleichungen, welche die Bewegung von newtonschen Fluiden vollstän-

dig beschreiben. Die numerischen Modellgebiete für derartige Untersuchungen

werden grundsätzlich für die Anwendung der Finite-Volumen-Methode in eine

definierte Anzahl an Kontrollvolumina unterteilt. Für jedes dieser Kontrollvo-

lumen werden die Erhaltungsgleichungen gelöst und so die Bewegung des Flu-

ids durch den Raum ermittelt. Mit der Anzahl der Kontrollvolumina in einem

Modellgebiet steigt auch die Genauigkeit der ermittelten Lösung. Durch die je-

doch begrenzte Anzahl an möglichen Kontrollvolumina, bedingt durch die end-

lichen Rechnerressourcen, treten in der Anwendung Probleme auf, welche

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grundsätzlich mittels zusätzlicher mathematischer Ansätze gelöst werden kön-

nen.

2.1 Numerische Lösungsmethoden

Die gängigen CFD-Bibliotheken bieten eine Auswahl von variierenden Lösern

an, welche anhand ihres mathematischen sowie numerischen Konzepts i.d.R. für

einen bestimmten Anwendungsfall optimiert sind. Für wasserbauliche Anwen-

dungsfälle bietet OpenFOAM Löser für Ein- oder Zwei-Phasen-

Strömungsmodelle sowie Lösungsverfahren mit integriertem Phasen-Wechsel

an.

Bei Zwei-Phasen-Strömungsmodellen muss im wasserbaulichen Versuchswesen

grundsätzlich auf die Abbildung der Phasengrenze, also der Wasserspiegelober-

fläche, Rücksicht genommen werden. Für Anwendungsfälle mit freier Oberflä-

che ohne Durchmischung löst das Volume of Fluid Verfahren (VOF) einen zu-

sätzlichen Term für die Phasenkonzentration, um die Phasengrenze abbilden zu

können. Dabei werden Luftblasen bzw. Wassertropfen, deren Größe die Abmes-

sungen der anstehenden Zelle unterschreitet, nicht erfasst. Sollen Durchmi-

schungen, beispielsweise kleine Luftblasen im Wasser, berechnet werden, ste-

hen andere Methoden nach Euler oder Euler-Lagrange zur Verfügung. In diesem

Zusammenhang ist beim Aufsetzen einer Simulation die richtige Wahl des Lö-

sungsverfahrens von entscheidender Wichtigkeit.

2.2 Turbulenz in der 3d-Numerik

Bedingt durch die diskrete Aufteilung des Untersuchungsgebietes in Kontrollvo-

lumina können turbulente Strömungen nur begrenzt abgebildet werden und müs-

sen grundsätzlich über mathematische Ansätze formuliert werden. Man unter-

scheidet dabei in Reynolds-Averaged Stress (RAS) Modelle und Large-Eddy

Simulation (LES) Modelle. Während bei den RAS-Modellen die komplette tur-

bulente Strömung eine zeitliche Mittelung erfährt, werden mit der LES-

Modellierung die turbulenten Wirbel, soweit die Gitterauflösung es erlaubt, di-

rekt numerisch gelöst. Eine Kombination beider Verfahren bietet die Detached-

Eddy Simulation (DES). Dabei werden nur die für das Berechnungsgitter zu fei-

nen Wirbel über die RAS-Modellierung abgebildet.

Der Rechenaufwand erhöht sich durch die Anwendung von LES bzw. DES ge-

genüber der reinen RAS-Modellierung, jedoch spielt die Ausbildung des instati-

onären, wirbelbehafteten Fließzustands, welcher die Turbulenz charakterisiert,

bei Untersuchungen an wasserbaulichen Anlagen meist eine nicht zu vernach-

lässigende Rolle. Demnach ist die Nutzung eines LES bzw. DES-Verfahrens in

der 3d-HN-Modellierung für wasserbauliche Anwendungen sehr zu empfehlen.

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386 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau

3 3d-HN-Modellierung mit OpenFOAM

Nachfolgend werden die Anwendbarkeit und die Grenzen der dreidimensiona-

len, hydrodynamisch-numerischen Modellierung mit OpenFOAM anhand von

ausgewählten Beispielen dargelegt.

3.1 Untersuchungen zu Wellenauflauf und Wellenumlenkung

Die Bedeutung von Talsperren (TS) und Pumpspeicherkraftwerken (PSW) als

effiziente und nachhaltige Wasser- und Energiespeicher ist im Zeitalter der Kli-

maänderung und der Energiewende in Deutschland als unstrittig anzusehen. Die

Versorgungssicherheit mit Trink- und Brauchwasser, die Gewährleistung der

Hochwassersicherheit für Unterlieger sowie der Ertrag an elektrischer Energie

einer solchen Anlage hängen wesentlich vom speicherbaren Wasservolumen ab.

Aus den genannten Gründen stellen gegenwärtig für die meisten TS und PSW

die Erweiterung der Becken bzw. eine Freibordoptimierung zur Vergrößerung

der Speicherlamelle anzustrebende Maßnahmen dar.

Ausgehend von den Bemessungsregeln gemäß DIN 19700 stellen der Windstau

und der Sicherheitszuschlag eher marginale bzw. fixe Parameter in der Bestim-

mung des Freibords dar. Demnach muss dem Wellenauflauf im Zusammenhang

mit den geschilderten Fragestellungen und Problemen ein besonderes Augen-

merk geschenkt werden.

Abbildung 1 links: Ermittlung des Wellenauflaufs an einer „unendlichen“ Böschung, rechts: Funktiona-

litätsuntersuchung eines Wellenumlenkers

Mit Hilfe der CFD-Bibliothek OpenFOAM können die Wellenauflaufhöhen für

beliebige Szenarien an einer Böschung jedweder geometrischer Ausbildung si-

muliert werden. Zusätzlich zur Bestimmung des Wellenauflaufs können sehr

effizient Wellenumlenker auf ihre Funktionalität überprüft werden sowie die,

durch die Umlenkung, auftretenden Kräfte auf das Umlenkbauteil numerisch

erfasst werden. Über spezielle Randbedingungen, welche für die Generierung

regulärer Wellen sowie irregulärer Wellenspektren konzipiert sind, wird die

Wasserspiegelauslenkung im Einlassbereich gesteuert. Mit der Erfassung der

maximalen Wasserspiegellagen im Bereich der Böschung kann über den simu-

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lierten Zeitraum der Wellenauflauf für jede Welle ermittelt werden. Wird im Er-

gebnis der Berechnungen der Freibord nicht eingehalten, kann über konstruktive

Maßnahmen, wie das Anbringen eines Wellenumlenkers, eine optimierte Lö-

sung für den jeweiligen Standort gefunden werden.

3.2 Modellierung von Hochwasserentlastungsanlagen

Mit den heutzutage zur Verfügung stehenden Rechnerkapazitäten in Form von

Großrechneranlagen mit leistungsstarken Prozessoren und großen Arbeitsspei-

chern besteht die Möglichkeit, die Modellbereiche von 3d-HN-Simulationen

deutlich zu vergrößern. So können beispielsweise komplette Hochwasserentlas-

tungsanlagen mit nur einem Modell abgedeckt werden. Dabei ist eine sehr ge-

naue und dennoch effiziente Diskretisierung des Modellgebiets von Nöten, um

im Ergebnis die Strömungssituation in den einzelnen Teilbereichen einer sol-

chen Anlage realitätsnah abbilden zu können. Die Anzahl der Kontrollvolumina

innerhalb eines Modells kann durchaus zweistellige Millionenwerte erreichen.

Bei derart umfänglichen Simulationen sollten mehrere hundert Rechenkerne zur

Verfügung stehen, um die Rechenzeiten auf wenige Tage drosseln zu können.

Abbildung 2 Hochwasserentlastungsanlage der TS Pirk mit Wasserspiegellage im Belastungsfall

Die Talsperre (TS) Pirk erlitt, bedingt durch das Hochwasserereignis im Juni

2013, Schäden an der Tosbeckenrandmauer sowie massive Kolkbildung an de-

ren Rückseite. Im Auftrag der Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sach-

sen wurde die Anlage vollständig mit OpenFOAM modelliert (vgl. Abbildung

2).

Das aus vier festen Wehrüberfällen, zwei Fischbauchklappen, zwei Grundabläs-

sen sowie dem Tosbecken und der Überleitung in den Flusslauf der Weißen Els-

ter bestehende Modell wurde bei der Diskretisierung in ca. 13 Mio. Gitterzellen

unterteilt. Dabei variierte die Zellgröße von 1 m je Raumrichtung im Bereich

des Luftkörpers bis hin zu 2 cm an den Überfallkanten. Die Gittererstellung

stellt grundsätzlich die zeitintensivste Arbeitsphase beim Aufsetzten einer nume-

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388 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau

rischen Simulation dar und sollte sehr bedacht durchgeführt werden. Dabei

spielt die, auf Grundlage ausreichenden Fachwissens, vorzunehmende Abschät-

zung der zu erwartenden Strömungssituation eine entscheidende Rolle, um effi-

ziente, ortsabhängige Gitterverfeinerungen zu generieren.

Reibungseffekte, bedingt durch Bauwerksoberflächen, können in der numeri-

schen Simulation durch spezielle Wandfunktionen modelliert werden. Dies wird

in OpenFOAM über ein rein mathematisches Vorgehen umgesetzt und erhöht so

den Rechenaufwand. Liegt das Interesse im Hinblick auf die Berechnungsergeb-

nisse eher im wandfernen Bereich oder ist die Diskretisierung in Wandnähe sehr

fein gewählt, können an Bauwerks- oder Sohloberflächen allein durch die Er-

zeugung sehr flacher Zellen, sogenannte Layer, die Wandreibungseffekte ausrei-

chend genau abgebildet werden.

Abbildung 3 links: Volumenrendering der Fließgeschwindigkeitsverteilung im Modell der Talsperre

Pirk; rechts: Schnitt durch Damm und Tosbecken am sechsten Wehrfeld, Geschwindig-

keitsverteilung farblich dargestellt

Bis zum Erreichen eines quasi-stationären Fließzustands bei der Simulation ei-

nes Hochwasserlastfalls der TS Pirk (siehe Abbildung 3) war eine Simulations-

zeit von 70 Sekunden nötig. Die dafür benötigte reale Rechenzeit auf 120 Pro-

zessoren betrug etwa 144 Stunden.

Mit Hilfe des 3d-HN-Modells konnten u.a. mehrere Varianten mit variierenden

Öffnungsgraden der Regelorgane durchgeführt werden und so eine Empfehlung

für eine optimierte Steuerung der gesamten Anlage formuliert werden.

3.3 Hydraulische Optimierung von Fischaufstiegsanlagen

Zur Optimierung von Fischaufstiegsanalagen können numerische Simulationen

mit Hilfe von Zwei-Phasen-Strömungsmodellen ein wertvolles Tool darstellen.

Bedingt durch die Strömungsverhältnisse in einer solchen Anlage ist kein groß-

räumiger Lufteintrag in den Wasserkörper zu erwarten, wodurch sich zur Abbil-

dung der Phasenübergänge das VOF-Verfahren anbietet. Zusätzlich empfiehlt

sich, die turbulenten Strömungen mittels eines LES- oder DES-Modells zu be-

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rücksichtigen. Bauliche Variationen der Becken können ebenso wie Randbedin-

gungen, beispielsweise für Wasserstände, mit geringem Aufwand variiert wer-

den.

In Abhängigkeit von den potenziell aufsteigenden Fischarten darf eine kritische

Anströmgeschwindigkeit sowie eine gewisse Länge der zu überwindenden Stre-

cke nicht überschritten werden, da sonst die Gefahr besteht, dass die Fische er-

schöpfen bevor sie das Oberwasser erreicht haben. In der Literatur werden

Grenzwerte für maximale Fließgeschwindigkeiten in den Durchlässen von be-

ckenartigen Fischaufstiegsanlagen angegeben. Diese variieren in Abhängigkeit

von den Fischarten und dem Gesamthöhenunterschied der Wasserstände von

Ober- und Unterwasser zwischen 1,4 und 2,2 m/s.

Abbildung 4 3d-HN-Untersuchungen an einer Fischaufstiegsanlage (Schlitzpass) – farbliche Darstellung

der Fließgeschwindigkeiten im Wasserkörper

Im Ergebnis einer 3d-HN-Modellierung für einen Schlitzpass ergaben sich für

ein Szenario (vgl. Abbildung 4), bedingt durch eine Differenz der Wasserspie-

gellagen von ca. 20 cm zwischen den einzelnen Becken, zeitlich gemittelte

Fließgeschwindigkeiten von 1,77 m/s an den Schlitzpässen. Weiterhin konnten

maximale Fließgeschwindigkeiten von ca. 2,5 m/s, verursacht durch das turbu-

lente Strömungsverhalten beim Einströmen des Wassers durch den Schlitz in ein

Becken, nachgewiesen werden. Diese waren jedoch örtlich sehr begrenzt und

traten nur punktuell über einen sehr kurzen Zeitraum auf.

Mit Hilfe ausreichender Rechnerleistung können Berechnungen, vor allem für

kleinräumige Modelle, sehr effizient parallel ausgeführt werden. So besteht die

Möglichkeit, eine Vielzahl an Modellvarianten innerhalb kurzer Zeit und mit

geringem Aufwand zu untersuchen.

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390 3d-CFD-Modelle – Werkzeuge zur Bemessung und Optimierung von Anlagen im Wasserbau

3.4 Nachweis von Kavitation mittels eines numerischen Phasenwechsel-

Lösungsverfahren

Bei der Steuerung von Regelorganen an wasserbaulichen Anlagen, wie zum

Beispiel den Grundablässen einer Hochwasserentlastungsanlage, kann bei unzu-

reichender Belüftung in Verbindung mit großen Druckhöhen Kavitation auftre-

ten. Bedingt durch sehr hohe Fließgeschwindigkeiten in einer turbulenten Strö-

mung entstehen Bereiche mit sehr geringem Druck. Sinkt dieser Druck unter den

Dampfdruck des Wassers, bilden sich Dampfblasen, welche bedingt durch den

Wechsel des Aggregatzustandes mehr Raum benötigen. Sofern der Wasserdruck

wieder ansteigt fallen die Dampfblasen zusammen. Der zuvor eingenommene

Raum wird schlagartig kleiner und das umliegende Wasser strömt implosionsar-

tig zurück. Dabei entstehen enorme Druckstöße, welche im Nahfeld von Bautei-

len Schäden an diesen verursachen können.

Abbildung 1: links: Skizze Modellaufbau, rechts: Nachweis von Kavitation durch 3d-HN-

Modellierung - Druckfeld incl. Dampfblasen

In physikalischen Modellversuchen, bei denen ein Modellmaßstab zur Verklei-

nerung der realen Größen unter Anwendung der Modellgesetze nach Froude o-

der Euler gewählt wurde, kann Kavitation grundsätzlich nicht realitätsgetreu

nachgewiesen werden. Um die Verzerrungen, die bedingt durch den gewählten

Modellmaßstab auftreten, zu umgehen, müssten hierfür physikalische Modelle

im Maßstab 1 : 1 umgesetzt werden. Beim Nachweis von Kavitation mittels 3d-

HN-Modellierung gibt es keine Verfälschung durch Maßstabseffekte, da das

Modell ohne Mehraufwand im Naturmaßstab abgebildet werden kann.

Bei einer Untersuchung eines unterströmten Schützes wurde der Dampfdruck

des Wassers mit 23 hPa festgelegt und mittels OpenFOAM der Nachweis von

Kavitation geführt. Durch die enorme Druckhöhe zusammen mit dem geringen

Öffnungsgrad des Schützes von 5 mm wurden Fließgeschwindigkeiten bis

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22 m/s berechnet. Mit Hilfe einer zeitlich sehr präzisen Erfassung (im Tausends-

tel-Sekunden Bereich) der Strömungssituation konnten selbst die durch die Im-

plosion entstehenden Druckstöße modelliert werden.

Bedingt durch den Phasenwechsel, welcher mathematisch in den zu lösenden

Gleichungssystemen integriert ist, werden die numerischen Berechnungen auf-

wendiger, wodurch sich längere Rechenzeiten ergeben. Um die Rechenzeiten

solcher Untersuchungen auf akzeptierbare Zeiträume zu reduzieren, sollten die

Modelle in ihrer räumlichen Abmessung reduziert werden. So sollte der Kavita-

tionsnachweis nicht im großräumigen Modell einer Gesamtanlage untersucht

werden, sondern lediglich der Modellausschnitt, in welchem die Kavitationsef-

fekte zu erwarten sind, modelltechnisch umgesetzt werden. Bei bestimmten

Anwendungsfällen bietet es sich an, das Untersuchungsgebiet als quasi-zwei-

dimensionales Modell, z.B. als eine Scheibe mit geringer Breite, aufzusetzen.

Während bei Simulationen ohne Phasenwechsel grundsätzlich nur die Druckdif-

ferenzen innerhalb des Modellgebiets entscheidend sind, müssen beim Aufsetz-

ten von Kavitationsuntersuchungen die tatsächlichen Druckverhältnisse sehr ge-

nau eingehalten werden. Dies muss über die Randbedingungen des Modellge-

biets umgesetzt werden und ist maßgeblich für den Erfolg der Berechnung ver-

antwortlich. Werden dort falsche Druckverhältnisse definiert, können diese im

Ergebnis der Simulation meist nicht aufgedeckt werden, weshalb es zur Entste-

hung von falschen, aber für die gesetzten Randbedingungen durchaus realisti-

schen Berechnungsergebnissen kommen kann.

4 Fazit

Mit dem Zuwachs an Rechenleistung können die Untersuchungsgebiete in ei-

nem mehrdimensionalen hydrodynamisch-numerischen Modell in sehr viel fei-

nere Kontrollvolumina aufgelöst werden als dies noch vor einigen Jahren mög-

lich war. Dadurch kann auch die Genauigkeit der berechneten Lösungen deut-

lich gesteigert werden. Auch großräumige Modellgebiete sowie eine Vielzahl an

Modell-Varianten können mit relativ geringem Aufwand untersucht und somit

sehr effizient optimierte Lösungen gefunden werden. Dieses Vorgehen kann be-

reits bei der Entwurfsplanung etwaiger Anlagen Berücksichtigung finden. Im

Hinblick auf kommende bauliche und/oder hydraulische Veränderungen können

numerische Modelle problemlos archiviert werden und stehen so für mögliche

zukünftige Untersuchungen zur Verfügung.

3d-HN-Modellierung im wasserbaulichen Versuchswesen bezieht sich derzeit

hauptsächlich auf Lösungsmethoden für Zwei-Phasen-Strömungen in einem

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Modellgebiet. Mit diesen Verfahren lässt sich ein großes Spektrum an hydrody-

namischen Untersuchungen abdecken. Für weitere Anwendungsfälle stehen, ab-

hängig von der verwendeten Software, zusätzliche Lösungsmethoden zur Verfü-

gung. Zum Nachweis von Kavitationseffekten an hydraulischen Armaturen kön-

nen Löser mit integriertem Phasenwechsel zukünftig vermehrt zum Einsatz

kommen.

Zur Produktion möglichst wahrheitsgetreuer Simulationen ist der Diskretisie-

rung eines Modellgebiets besonderes Augenmerk zu schenken, da die Berech-

nungsgitter entscheidenden Einfluss auf das berechnete Strömungsbild haben.

Generell sind zur Beurteilung der berechneten Lösungen hinsichtlich der reali-

tätsnahen Abbildung eines Strömungszustandes Validierungen unter Verwen-

dung von Ergebnissen aus Natur- oder physikalischen Modellversuchen sowie

archivierten Aufzeichnungen für definierte Abflussszenarien zu empfehlen.

5 Literatur

Chung, T. J. (2002): Computational Fluid Dynamics. Cambridge University Press, New

York 2002

Carstensen, D., Heß, M. & Schneefeld, C. (2014): Ermittlung der hydraulischen

Verhältnisse in der Hochwasserentlastungsanlage der Talsperre Pirk.

Forschungsbericht 2014-06, TH Nürnberg, 2014

Deshpende, S. S., Anumolu, L. & Trujillo, M. F. (2012): Evaluating the performance of

the two-phase flow solver interFoam. Computational Science and Discovery, 2012

DWA (2014): Merkblatt DWA-M 509 – Fischaufstiegsanlagen und fischpassierbare

Bauwerke – Gestaltung, Bemessung, Qualitätssicherung. Deutsche Vereinigung für

Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfälle e.V., Hennef 2014

Autoren:

M.Eng. Max Heß

Technische Hochschule Nürnberg

Georg-Simon-Ohm

Institut für Wasserbau und Wasserwirt-

schaft

Keßlerplatz 12

90489 Nürnberg

Tel.: +49 911 5880 1218

Fax: +49 911 5880 5164

E-Mail: [email protected]

M.Eng. Carla Schneefeld

Dipl.-Ing. (FH) Tilo Vollweiler

Prof. Dr.-Ing. habil. Dirk Carstensen

Technische Hochschule Nürnberg Georg-

Simon-Ohm

Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft

Keßlerplatz 12

90489 Nürnberg

E-Mail: [email protected]

[email protected]

[email protected]

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Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

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3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-

Vernichter-Kammer des WKW Tharandt

Bashar Ismael

Detlef Aigner

Robert Haas

Rüdiger Opitz

Das seit 1926 bestehende Wasserkraftwerk (WKW) Tharandt gehört zum Wasserver-

sorgungssystem der Wilden Weißeritz für das Wasserwerk Coschütz, das die Stadt

Dresden mit Wasser versorgt. Es besteht aus den Trinkwassertalsperren Lehnmühle und

Klingenberg mit den Wasserkraftwerken Klingenberg, Dorfhain und Tharandt sowie ei-

nem umfangreichen Stollensystem für die Überleitung des Rohwassers. Die Energiege-

winnung in der zum Energieversorger ENSO Energie Sachsen Ost AG gehörenden

Wasserkraftanlage WKW Tharandt erfolgt mit zwei Francisspiralturbinen (Baujahr

1926, Firma Voith). Bei Stilllegung oder Ausfall erfolgt der Energiehöhenabbau von

etwa 72 mWS über eine Energievernichterkammer (EVK). Nach einer Sanierung der

Energievernichtungsanlage (EV) wurde die Technische Universität Dresden vom Be-

treiber, der DREWAG NETZ GmbH Dresden, mit der Durchführung von hydraulischen

Untersuchungen zur Optimierung der sanierten EV beauftragen. Ein Teil der Untersu-

chungen, die 3D-hydronumerische Untersuchung der Energievernichterkammer soll in

diesem Beitrag vorgestellt werden.

1 Hydraulisches System des WKW Tharandt

Der Zulauf zu den Turbinen des WKW Tharandt erfolgt über das Wasserschloss

Tharandt, mit der Druckrandbedingung des Wasserstandes, durch eine fast

300 m lange 1200’er Stahlleitung mit Zementmörtelauskleidung. Bei Stillstand

der Turbinen erfolgt der Abzweig des Wassers zur EVK von der 1200’er Lei-

tung über eine Stahlleitung DN800. Vor der EVK wird der Wasserstrom über

ein Hosenrohr aufgeteilt und gelangt einerseits von der Südseite und andererseits

gegenüber von der Nordseite in die EVK. Die Einstellung des Volumenstromes

erfolgt über zwei ringförmige Ventile, indem die Kolben beider Düsen synchron

verschoben werden und damit eine ringförmige Öffnung vergrößern oder ver-

kleinern. Ein ringförmiger Belüftungsspalt nach jeder Düse saugt bei Unterdruck

Luft an und belüftet den sich bildenden Ringstrahl. Dieser prallt dann innerhalb

der Kammer von beiden Seiten auf ein Prallblech und verteilt sich allseitig. In

der Kammer bildet sich eine hochturbulente Wasser-Luft-Strömung aus. Dieses

System, entwickelt von der Firma Voith, ist in dieser Konfiguration einzigartig.

Durch eine Entlüftungsleitung am Zustieg an der Oberseite der EVK erfolgt die

Entlüftung. Das Wasser wird durch die EVK über eine EVK-Leitung seitlich am

Unterwasserkanal der Turbinen vorbei bis zur Zuleitung zur Dükerleitung, die

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394 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt

unter der Weißeritz hindurch geht, geführt. Von da aus gelangt es in den Trink-

wasserstollen zum Wasserwerk Coschütz.

Abbildung 1: Systembild WKW Tharandt (Quelle: DREWAG NETZ GmbH) mit ange-

nommenem Verlauf der Drucklinie in der Energievernichterkammer (EVK) für eine Düse.

2 Aufbau und Funktion der EVK

Die EVK ist zylinderförmig ausgebildet und hat eine Tiefe von etwa 2 m. Die

gegenüberliegenden Düsen befinden sich genau im Zentrum der kreisförmigen

Seitenflächen mit einem Durchmesser von etwa 4 m. Die Zuführung zu den Dü-

sen ist in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2: EVK (Zylinder) mit Wasserzuführung über zwei Düsen

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Der Prallteller innerhalb der EVK ist durch angeschweißte Bleche gehalten, die

sternförmig angeordnet sind. Sie schließen sich an ein Rohr an, dass an der Düse

ansetzt und etwa 0,5 m den Strahl umschließt und führt. Am Kopf der Kammer

befindet sich ein Einstiegsdom von dem seitlich das Entlüftungsrohr DN200 ab-

geht und durch die Vorkammer horizontal ins Freie geführt wird. Seitlich an der

Sohle der EVK setzt die EVK-Leitung DN800 an, die seitlich am Unterwasser-

kanal vorbei in die Kammer vor der Dükerleitung geführt wird bzw. direkt in

diese einmündet. Der direkte Anschluss ist allerdings geschlossen, so dass eine

Ableitung der voll geöffneten EV-Leitung immer in den Freispiegelkanal er-

folgt.

Nach dem Abschalten der Turbinen erfolgt das Öffnen der Düsen an der EVK.

Jede Düsenstellung entspricht einem festgelegten Durchfluss. Mit der Verschie-

bung der Kolben öffnen sich die Düsen und das Wasser strömt in die EVK. Der

bei geschlossenen Düsen mit dem Unterwasserkanal und dem Druck in der

Kammer ausgespiegelte Wasserstand in den Belüftungsleitungen sinkt bei Dü-

senöffnung wegen der großen Geschwindigkeit und dem entstehenden Unter-

druck ab und es kommt zum Ansaugen von Luft. Der belüftete Strahl mit Ge-

schwindigkeiten bis über 40 m/s gelangt in die EVK, wo er durch die Vermi-

schung mit der Luft, durch Strahlausbreitung und –umlenkung an Energie ver-

liert. Ein Teil der Luft sammelt sich im oberen Teil der Kammer und wird durch

die Entlüfterleitung ausgetragen. Ein anderer Teil gelangt mit dem Wasser in die

EV-Leitung und wird mit dem Wasser in den Unterwasserkanal abgeleitet.

3 3D-hydronumerische Simulation

3.1 Aufbau der 3D-Modelle

Entsprechend der Vorgaben erfolgte der Aufbau der Volumenmodelle als Ge-

samtmodell vom Eintritt in das Hosenrohr zur Verteilung der Zuströmung vor

den Düsen über die EVK und die Energievernichterleitung bis zum Ende des

Einlaufbauwerkes.

Neben dem Gesamtmodell mit einer Zellenanzahl von etwa 9 Millionen Elemen-

ten wurde ein reduziertes Modell der EVK mit etwa 2 Millionen Elementen vor

allem für die stationäre Berechnung erstellt. Mit ihm wurden u.a. die Düsen-

kennlinien bestimmt. Die Modelle wurden als 2-Fluidmodelle mit den Medien

Wasser und Luft definiert.

Als Randbedingung für den Einlauf wurde anfangs der Durchfluss und später

eine Druckrandbedingung gewählt.

Page 404: bemessung im wasserbau

396 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt

Abbildung 3: 3D-Gesamtmodell der EVK mit Zuleitung und EV-Leitung

Die Randbedingung für die Belüftungsrohre und das Entlüftungsrohr war der

Luftdruck und für den Auslauf der Wasserstand im Unterwasserkanal als Druck-

randbedingung bzw. eine festgelegte Druckrandbedingung. Die Rauigkeit der

Wände des Modells, die hier eine untergeordnete Rolle spielte, wurde als glatt

angenommen. Für die Berechnung wurde ein k-ε-Turbulenz-Modell verwendet

und für die zwei Fluiden wurde der Phasenübergang als Mixtur-Modell defi-

niert.

Abbildung 4: reduziertes Modell der EVK mit Düsen, Entlüftung und verkürztem Auslauf-

rohr

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 397

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al

5

Da die Berechnungen mit unterschiedlichen Kolbenstellungen erfolgten, musste

für jede Kolbenstellung ein neues Modell aufgebaut werden.

3.2 Ermittlung der Arbeitspunkte der Düsen

Die gesamte zur Verfügung stehende Energie von insgesamt 71,49 mWS wird

einerseits durch die Energieverluste VRLh der zu- und abströmenden Rohrleitung

abgebaut und andererseits durch die Energieumwandlung EVKdH innerhalb der

EVK. Die Energieverluste aus der Rohrleitung können aus den Randbedingun-

gen der Rohrleitungen, Verbindungselemente, Armaturen usw. berechnet wer-

den. Aus Gleichung (1) ergibt sich damit eine Rohrleitungskennlinie (RL-

Kennlinie Abbildung 5) wie bei einer Ausflussleitung bzw. Gravitationsleitung.

Diese wird über den Durchfluss aufgetragen und zeigt die restliche in der EVK

abzubauende Energiehöhe.

2 2 2

71 49 m 71 49 m2 2 2

i i i aEVK VRL i i

i

LdH , h ,

d g g g

(1)

Abbildung 5: Ermittlung der Arbeitspunkte der Düsen für verschiedene Düsenstellungen

Page 406: bemessung im wasserbau

398 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt

Andererseits kann man für jede Düsenstellung eine Düsenkennlinie (Düsen-KL

Abbildung 5) erstellen, diese ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen

Durchfluss Q, effektiver Düsenfläche DA und damit maximaler Geschwindig-

keit in der Düse, den sich ausbildenden Unterdruck in der Düse HS und der

teilweisen Rückumwandlung der Geschwindigkeit in Druck in der EVK. Dieser

Zusammenhang ist aus Gleichung (2) ersichtlich, wobei unklar ist, welcher Un-

terdruck in der Düse erzeugt wird, weil das wiederum durch die Belüftung und

die Ausbildung der Belüftungsleitung stark beeinflusst wird (Abbildung (1)).

Eindeutig ist allerdings, dass es sich um eine quadratische Funktion von Q han-

delt, die für Q = 0 bei 0 bzw. bei - HEVK (etwa – 1,65 m) beginnt.

2 2

2 22 2EVK D EVK S EVK S EVK

D

QdH H H H H H H

g g A

(2)

3.3 Berechnung der Düsenkennlinien

Im ersten Schritt der numerischen Simulation war es erforderlich, die Düsen-

kennlinien zu ermitteln. Dazu wurden die Modelle mit den festgelegten Düsen-

stellungen sowohl im Gesamtmodell als auch im verkürzten Modell berechnet.

Die Randbedingungen, entweder Durchfluss oder Druck wurden dabei variiert.

Die Ergebnisse dieser Simulationen untereinander verbunden ergeben im Dia-

gramm die Düsenkennlinien. Die Schnittpunkte dieser Kennlinien mit der analy-

tisch bestimmten Rohrleitungskennlinie stellen die Arbeitspunkte der Düsen dar.

Das bedeutet, dass sich bei einer bestimmten Öffnung der Düse genau diese

Druck- und Durchflussbedingungen des Arbeitspunktes einstellen. Damit war es

möglich, mit diesen festgelegten Randbedingungen der Arbeitspunkte die nume-

rischen Modelle zu berechnen.

Die Ausflussfläche der Düsen AD der einzelnen Kolbenverschlüsse ist Abhängig

von der Kolbenbewegung dy und steht in engem Zusammenhang mit dem

Durchfluss durch die Düse.

Die durchflossene Fläche einer Düse kann als Mantelfläche eines Kegelstumpfes

berechnet werden zu:

1 2 12DA r r a r dy sin cos dy sin (3)

Damit ergibt sich aus der Kontinuitätsformel der Zusammenhang zwischen

Durchfluss und Kolbenstellung.

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„Bemessung im Wasserbau“ 399

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Abbildung 6: Ermittlung der effektiven Ausflussfläche der Kolbenverschlüssen

Einzige Unbekannte ist die Größe der Saughöhe HS an der Düse. Diese wurde

aus den numerischen Versuchen ermittelt.

12 2 2 2D D SQ A g H H r dy sin cos dy sin (4)

Wegen der allmählichen Strömungsverengung bei der Umströmung des Kolbens

kommt es nur zu einer geringen bzw. keiner Strahleinschnürung und auch die

Energieverluste im Kolben sind wegen der Beschleunigungsströmung vernach-

lässigbar, so dass der Ausflussbeiwert µ in erster Näherung zu 1 gesetzt werden

kann.

4 Ergebnisse der Simulationen

Die Auswertung der Untersuchungen erfolgte in vielen Richtungen, wobei ins-

besondere das Druckverhalten in der EVK, das Verhalten der Luft in der Kam-

mer und der Eintrag der Luft ins Unterwasser sowie die maximalen Durchfluss-

werte bei voller Kolbenöffnung für den Betreiber interessant waren.

4.1 Ermittlung der Druck- und Geschwindigkeitswerte

Die Ermittlung der Druckverhältnisse und der Geschwindigkeiten erfolgte für

die stationären als auch die zeitabhängigen Berechnungen. Dabei wurden die

Auswertungen entweder an definierten Punkten, entlang von Linien oder auf

Flächen und Volumen dargestellt. Folgende zwei Beispiele zeigen die Auswer-

tung von Druck- und Geschwindigkeitsverläufen.

Page 408: bemessung im wasserbau

400 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt

Abbildung 7: Darstellung des Druck- und Geschwindigkeitsverlaufes um den Kolben ent-

lang einer Polylinie innerhalb der Strömung

Es zeigte sich, dass Unterdruck- und Geschwindigkeitsspitzen vor allem punkt-

förmig am Düsenaustritt an der Düsenhülle auftraten und wegen der Belüftung

kurz danach wieder abgebaut wurden (Abbildung 8).

Abbildung 8: Stromlinien eingefärbt mit Geschwindigkeitswerten

Für die Ermittlung der maximalen Druckbelastung in der Kammer war vor allem

der zeitabhängige Druckverlauf (Abbildung 9) am Ausstiegsdom interessant.

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„Bemessung im Wasserbau“ 401

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Abbildung 9: Darstellung des zeitabhängigen Druckverlaufes am Deckel des Ausstiegsdoms

der EVK für eine Simulationsphase von 50s

4.2 Analyse des Lufteintrages und der Luftverteilung

Der Lufteintrag ist abhängig von den Druckverhältnissen am Belüftungsspalt

und der Geometrie der Belüftungsleitungen. Direkt am Belüftungsspalt inner-

halb der Düse stellt sich der Unterdruck auf wenige Meter Wassersäule ein.

Abbildung 10: Momentaufnahme der Luftverteilung in einer senkrechten Ebene innerhalb

der EVK; Q=7400 m³/h bei einer relativen Kolbenstellung von 51,5 mm (rot:

Luft, blau: Wasser)

Page 410: bemessung im wasserbau

402 3D-hydronumerische Untersuchungen der Energie-Vernichter-Kammer des WKW Tharandt

Die starke Turbulenz in der Kammer verhindert eine durchgängige Entmi-

schung, so dass sehr viel Luft mit dem Wasser weitertransportiert wird.

4.3 Analyse der Funktionsweise der EVK

Aus den Ergebnissen der numerischen Simulation konnten erstmals folgende

Zustände dargestellt und analysiert werden:

- Zusammenhang zwischen Abfluss und Kolbenstellung in den Düsen,

- Belüftung des Strahls und Luftverteilung in der Kammer,

- Turbulente Strömung in der Kammer,

- Druckpulsation und damit Beanspruchung im Innern der Kammer,

- Bereiche mit Kavitationsgefährdung,

- Probleme des Luftaustrittes und

- Kräfte auf Bereiche der Kammer.

5 Zusammenfassung

Mit der Zustandsanalyse mit Hilfe der numerischen Simulation konnten an-

schaulich die Vorgänge in der EVK dargestellt und besser verstanden werden.

Durch die Auswertung der Simulationen konnten bestimmte Analysen zur Luft-

verteilung, zur Pulsation der Strömung, zur Innenbeanspruchung der Kammer,

zur Druck- und Kraftverteilung durchgeführt werden und es wurde ein Einblick

in die hydraulischen Vorgänge innerhalb der Kammer ermöglicht. Ein besonde-

rer Dank gilt der DREWAG Netz GmbH für die Beauftragung und die Unter-

stützung dieses Projektes.

Literatur

Aigner, Detlef; Bollrich, Gerhard (2015): Handbuch der Hydraulik : für Wasserbau und

Wasserwirtschaft. 1. Auflage. Berlin-Wien-Zürich : Beuth Verlag GmbH

Autoren:

Dipl.-Ing. Bashar Ismael

Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Aigner

TU Dresden

Institut für Wasserbau und THM

01062 Dresden

Tel.: +49 351 4633 9279

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Robert Haas (M. Sc.)

Dipl.-Ing. Rüdiger Opitz (Abt.-Ltr.)

DREWAG NETZ GmbH

Anlagenmanagement Wasser

Rosenstraße 32, 01067 Dresden

Tel.: 0351 20585 4946

[email protected]

Page 411: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

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Numerische Modellierung von Propeller-

induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Bö-

schungen

Stefan Leschka

Oliver Stoschek

Jann Best

Schiffs-induzierte Wellen und Propellerstrahle verursachen maßgebende Belas-

tungen von Böschungen und sind im Entwurf zu berücksichtigen. Existierende

Standard-Lösungen (GBB; BAW, 2010) stellen empirische Formeln zur Verfü-

gung, die in einigen Fällen jedoch zu hohen Sicherheitswerten führen (PIANC,

2015). Zunehmende Schiffsabmessungen und sich der daraus ergebende stärkere

erforderliche Böschungsschutz regt daher eine Neubewertung der bestehenden

Methoden an. Aufbauend auf einer von DHI durchgeführten detaillierten Mess-

kampagne am Bubendey-Ufer im Hamburger Hafen erstellte DHI ein validiertes

Computational-Fluid-Dynamics-Modell, um Strömungsgeschwindigkeiten auf

Böschungen zu berechnen. Der Vergleich mit dem GBB zeigt das hohe Anwen-

dungspotential des Modells für die Erstellung kosten-effizienter Böschungssiche-

rungen auf.

Stichworte: Propellerstrahl, Feldmessungen, CFD-Berechnungen, Böschungen

1 Einleitung

Schiffs-induzierte Wellen und Propellerstrahle verursachen maßgebende Belas-

tungen von Böschungen. Existierende Entwurfs-Richtlinien wie Grundlagen zur

Bemessung von Böschungs- und Sohlensicherungen an Binnenwasserstraßen

(GBB; BAW, 2010) stellen hierfür empirische Formeln zur Verfügung. Strö-

mungsgeschwindigkeiten im Propellerjet werden für standardisierte Fälle ermit-

telt, denen der jeweilige Bemessungsfall zuzuordnen ist. Im Zusammenhang mit

freien Propellern werden zur Begrenzung der Strahlausbreitung ausschließlich

vertikale Kaimauern seitlich und stromabwärts des Propellerstahls berücksich-

tigt.

Die Abschätzungen der Strömungsgeschwindigkeiten werden verwendet, um

Materialeigenschaften wie Gesteinsgrößen für einen sicheren Böschungsentwurf

zu bestimmen. Aktuell sind solche Abschätzungen sehr konservative (PIANC,

2015). Zunehmende Schiffsabmessungen und somit immer stärker beanspruchte

Page 412: bemessung im wasserbau

404 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen

Böschungen steigern den Bedarf an Methoden, mit denen Böschungen einerseits

sicher entworfen, mit denen aber andererseits auch wirtschaftliche Lösungen für

Hafenplaner bereitgestellt werden können.

Propeller und ihre Wechselwirkung mit Rudern verursachen komplexe Strö-

mungsfelder im Heckbereich eines Schiffes. Das Phänomen umfasst Strö-

mungskomponenten in axialer, tangentialer und radialer Richtung. Sie können

mit Hilfe von empirischen Ansätzen, physikalischen Experimenten und numeri-

schen Modellen ermittelt werden.

Propellerstrahlen wurden in den letzten Jahrzehnten systematisch untersucht,

z.B. durch Albertson et al. (1950) und Lam et al. (2011). Stewardt (1992) be-

schreibt die Strömungsgeschwindigkeiten im Strahl mit Hilfe von generiertem

Schub, Drehmoment und Vorwärtsgeschwindigkeit des Schiffs. Der Schubbei-

wert KT ist besonders abhängig vom Propellertyp (Hamill et al., 1995), der an-

hand des Konstruktionssteigungsverhältnisses P/Dp beschrieben werden kann.

Fröhlich et al. (1977) haben für KT einen Bereich von 0,6 bis 1,4 ermittelt. Die

Geschwindigkeitsverteilung im Propellerstrahl wurde von Albertson et al.

(1950) mit Hilfe der axialen Impulstheorie beschrieben.

Der Einfluss des Ruders wurde beispielsweise durch Blaauw & van de Kaa

(1978) untersucht, wo gezeigt wird, dass der Propellerstrahl in einen aufwärts

und einen abwärts gerichteten Strom aufgespalten wird. Die maximale Strahlge-

schwindigkeit am Boden wurde durch Führer & Römisch (1977) in Abhängig-

keit von P/Dp und eines Koeffizienten beschrieben. Der mit zunehmender Ent-

fernung eintretende Geschwindigkeitsabfall sowie die vertikale Geschwindig-

keitsverteilung wurden durch Hamill & McGarvey (1996) und Sumer & Fredsoe

(2002) beschrieben.

Im Rahmen von numerischen (CFD-) Untersuchungen von Propeller-induzierte

Strahlen wird der (1) Modell-Ansatz mit gleitendem Netz („Sliding Mesh Mo-

del“), (2) der Ansatz mit mehreren Bezugssystemen („Multiple Reference Frame

Approach“) oder (3) ein Impulsquellenmodell („Momentum Source Model“,

MSM) angewandt (Hough & Ordway, 1964). Detaillierte numerische Untersu-

chungen der Ruder-Propeller-Wechselwirkung zeigten, dass der Einfluss der

instationären Propellerströmung vernachlässigt und stationäre Rechnungen

durchgeführt werden können, solange die radiale Variation im axialen und tan-

gentialen Impuls enthalten ist, der vom Propeller erzeugt wird (Phillips et al.,

2010). Daher wird in dieser Studie das MSM verwendet.

Sie beinhaltet den Vergleich von Ergebnissen eines CFD-Modells mit Feldmes-

sungen für drei verschiedene Fälle. Die Messungen werden in Abschnitt 2 be-

schrieben, der Aufbau des numerischen Modells in Abschnitt 3. Es folgt die Prä-

Page 413: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 405

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sentation der Ergebnisse und eine Diskussion, die sie hinsichtlich empirischer

Ansätzen einordnet.

2 Feldmessungen

Die Messungen erfolgten am Bubendey-Ufer in Hamburg im Lauf einer Woche

im September 2014. Eine Skizze des Ufers ist in Abbildung 1 gegeben.

Abbildung 1: Links: Querschnitt der Uferböschung (modifiziert von Heinrich Weseloh

Straßen- und Tiefbau GmbH, 2014). Rechts: Ansicht des Berechnungsnetzes

Die Steigung der Böschung wurde mittels Messungen bestimmt und beträgt ca.

1:3. Der Schlepper “Schleppko” wurde in Ufernähe in einem Winkel von ca. 90°

zum Ufer platziert. Ein Ponton wurde neben dem Schlepper ausgelegt, um seine

Position und Ausrichtung zu stabilisieren. Er verfügt über einen Hauptantrieb

mit einer Leistung von 500 kW. Der Propellerdurchmesser beträgt 1,72 m. Das

Konstruktionssteigungsverhältnis ist 0,661.

Um den Einfluss von natürlichen Fluss- und Tide-Strömungen von den Messda-

ten zu trennen, wurden vor und nach jedem Test „null“-Messungen durchge-

führt, während denen sich der Propeller nicht drehte. Die zwei „null“-

Messungen beinhalten somit nur die natürlichen Strömungen. Linear über die

Zeit zwischen den „null“-Messungen interpoliert konnte der Einfluss weitge-

hend reduziert werden konnte. Die Messbedingungen sind in Tabelle 1 zusam-

mengefasst.

Szenario m1 wurde verwendet, um das numerische Modell zu kalibrieren. Die

Szenarien m2 und m3 dienten der Modellvalidierung. Drei Strömungssensoren

zur Messung der Ufer-normalen und Ufer-parallelen Geschwindigkeitskompo-

nenten wurden entlang der Propellerachse und daneben platziert. Die Koordina-

ten sind in Tabelle 2 aufgeführt. Der Ursprung des Versuchs-

Koordinatensystems liegt auf dem Schnittpunkt von Küstenlinie und Propeller-

achse, wenn der Wasserstand bei NN+0m ist (vergl. Abb. 1).

Page 414: bemessung im wasserbau

406 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen

Tabelle 1 Messbedingungen

Szenario m1

Kalibrierung

m2

Validierung

m3

Validierung

Datum 16.9.2014 17.9.2014 19.9.2014

Startzeit 10:56 11:36 10:42

Wasserstand [mNN] 1,42 1,38 1,45

Propellerachsenlage

[mNN]

-0,38 -0.34 -0,32

Atmosphärischer

Druck [hPa]

1019 1019 1012

Maschinenkapazität

[%]

50 25 70

Propellerdrehzahl

[U/min]

250 192 275

Entfernung vom Ufer

[m]

16,55 16,95 16,53

Umgebungsströmungs-

geschwindigkeit [m/s]

0,16 0,10 0,07

Tabelle 2 Koordinaten der Strömungssensoren (siehe Abb. 1)

Strömungssensor x [m] y [m] z [m]

VS1 1,47 1,80 -0,289

VS2 1,29 -2,19 -0,247

VS3 1,39 -0,06 -0,270

3 Numerisches Modell

3.1 OpenFOAM

Alle CFD-Simulationen wurden mit OpenFOAM ® (OpenFOAM Foundation,

2011) durchgeführt. Dabei wurde der Löser simpleFoam verwendet, der auf den

stationären Reynolds-gemittelten Navier-Stokes-Gleichungen (Reynolds-

averaged Navier-Stokes, RANS) basiert. Hier wurde das k-ε-Turbulenzmodell

mit einer Turbulenzintensität 10% angewandt.

Die asymmetrische axiale und tangentiale Volumenkraft (MSM) wurde in simp-

leFoam nach Paterson et al. (2003) implementiert.

Page 415: bemessung im wasserbau

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5

3.2 Numerischer Modellbereich und Berechnungsnetz

Der numerische Modellbereich und das Berechnungsnetz sind in Abbildung 1

dargestellt. Der Modellbereich erstreckt sich über 30 m Uferlänge und 43,45 m

von der Propellerscheibe in Richtung Flussmitte. Er schließt die gemessene Bö-

schungsform ebenso ein wie die genaue Rudergeometrie des Schleppers. Der

Schiffsrumpf wurde im Modell vernachlässigt.

Das Netz wurde um das Ruder herum, im Bereich der Propellerscheibe und im

Böschungsbereich bis zu 0,01 m verfeinert. Die Netzkonvergenz wurde getestet,

indem die maximale Strömungsgeschwindigkeit im Verhältnis zur Zellenhöhe

an der Böschungssteigung bewertet wurde.

3.3 Randbedingungen

Der obere Rand „top“ des numerischen Modellgebiets wurde auf der Höhe des

Ruhewasserspiegels festgelegt. Es wird darauf hingewiesen, dass die freie Was-

seroberfläche aus Gründen der Vereinfachung und schnelleren Modellkonver-

genz nicht modelliert wurde. Dort wurde reibungsfreie (sog. „slip“-) Randbe-

dingungen angesetzt. Am der Flussmitte zugewandten Rand „offshore“ wurde

die sogenannte „pressueInletOutletVelocity“-Bedingung zusammen mit der „to-

talPressure“-Bedingung für Druck angewendet, so dass Wasser in das Modell-

gebiet hinein und aus ihr heraus gelangen kann. An den seitlichen Rändern

„front“ und „back wurde die Geschwindigkeitsbedingung „inletOutlet“ mit ei-

nem festgelegten Druckwert gepaart. Am Boden wurden die Geschwindigkeiten

auf null gesetzt. Drücke befolgen die Gradienten-freie Bedingung. Um die Ge-

steinsgrößen auf der Böschung zu berücksichtigen, wurde die sogenannte „nu-

tURoughWallFunction“-Wandfunktion angewendet, die es erlaubt, die Rauhig-

keitshöhe von hier 0,03 m anzusetzen.

3.4 Simulationsmatrix

Als Teil des Kalibrierungsprozesses wurden Sensitivitätstests durchgeführt, bei

denen die einzelnen MSM-Parameter um jeweils 10% verändert wurden (Szena-

rien s1.0 bis s1.4). Die Validierungsfälle sind mit s2 und s3 bezeichnet. Eine

Übersicht befindet sich in Tabelle 3.

Tabelle 3 Simulationsmatrix für Kalibrierung und Validierung (veränderte Werte fett)

Szenario s1.0 s1.1 s1.2 s1.3 s1.4 s2 s3

Maschinenleistung 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 25 % 70 %

KT 0,837 0,837 0,837 0,837 0,921 0,837 0,837

KQ 0,029 0,032 0,029 0,029 0,029 0,032 0,031

U0 5,902 5,902 5,902 6,493 5,902 4,685 6,603

J 0,824 0,824 0,906 0,842 0,842 0,851 0,838

Page 416: bemessung im wasserbau

408 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen

4 Ergebnisse

Das numerische Modell berechnet stationäre Geschwindigkeiten und liefert kei-

ne Informationen über Geschwindigkeitsschwankungen, die während des Pro-

pellerantriebs auftreten. Daher wurden die numerisch berechneten Geschwin-

digkeiten mit gemittelten Messdaten verglichen. Da die Messungen jedoch dy-

namische Variationen in der Größenordnung der gemessenen Geschwindigkei-

ten offenbarten, können sie nicht vernachlässigt werden. Um das Verhältnis zwi-

schen Mittelwerten und Schwankungen beizubehalten, wurden die gemessenen

Schwankungen auf die numerischen Ergebnisse übertragen, indem die Verhält-

nisse

max,,1

max,,

,,1

,,

min,,1

min,,

jm

ji

avgjm

avgji

jm

ji

u

u

u

u

u

u (5)

für die Geschwindigkeiten u verwendet wurden. i={1.0,1.1,1.2,1.3,1.4,2,3} gibt

die Versuchsnummer an, j={x,y} die Richtung der Geschwindigkeitskomponen-

te, min steht für minimale Werte, max für maximale Werte und m1 markiert

gemessene Werte während der Messung mit 50% Maschinenleistung. x ist die

Richtung senkrecht zum Ufer (siehe auch Abbildung 1) und y ist die parallele

Richtung. Das Verhältnis aus Gleichung (5) wurde für die Validierungssimulati-

onen mit 25 und 70% Maschinenleistung übernommen.

4.1 Kalibrierung

Die gemessenen und berechneten Geschwindigkeiten senkrecht und parallel zum

Ufer, die im Propellerstrahl bei 50% der Maschinenleistung auftreten, werden in

Abbildung 2 gezeigt.

Alle numerisch berechneten Ufer-normalen Geschwindigkeiten übertreffen die

gemittelten gemessenen Geschwindigkeiten (siehe Abbildungen 5a), c) und e)).

Verglichen mit den großen Geschwindigkeitsschwankungen bewegen sich die

simulierten Geschwindigkeiten innerhalb des Bereiches der gemessenen Ge-

schwindigkeiten. Unter Berücksichtigung dieser Fluktuationen führt ein Ver-

gleich der Maximalgeschwindigkeiten senkrecht zum Ufer in Propellernähe zu

Abweichungen von 18% gegenüber den original berechneten MSM-Parametern

(Fall s1.0). Die Übereinstimmung ist somit gut.

Page 417: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 409

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l 5

D

3

Sa

al

5

-2.5

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4

u (

x)

[m/s

]

a) u(x) at VS1

-2.5

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4

u (

y)

[m/s

]

b) u(y) at VS1

-2.5

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4

u (

x)

[m/s

]

scenario

c) u(x) at VS2

-2.5

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4

u (

y)

[m/s

]

d) u(y) at VS2

-2.5

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4

u (

x)

[m/s

]

scenario

e) u(x) at VS3

-2.5

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

m1 s1.0 s1.1 s1.2 d1.3 s1.4

u (

y)

[m/s

]

scenario

f) u(y) at VS3

Abbildung 2: Gemessene und simulierte Geschwindigkeitsmittelwerte (Kalibrierung mit 50

% der Maschinenleistung). Für m1 bezeichnen die schwarten Linien die

Schwankungsbreite der Messwerte, die auf die Simulationen s1.0 bis s1.4

übertragen wurde (siehe Gleichung (5)).

4.2 Validierung

Die gemessenen und berechneten Geschwindigkeiten senkrecht und parallel zum

Ufer, die im Propellerstrahl bei 25% der Maschinenleistung auftreten, werden in

Abbildung 3 gezeigt.

-2.5-2

-1.5-1

-0.50

0.51

1.5

m2 s2

u(x

) [m

/s]

scenario

a) u(x) at VS1

-2.5-2

-1.5-1

-0.50

0.51

1.5

m2 s2

u(y

) [m

/s]

scenario

b) u(y) at VS1

-2.5-2

-1.5-1

-0.50

0.51

1.5

m2 s2

u(x

) [m

/s]

scenario

c) u(x) at VS2

-2.5-2

-1.5-1

-0.50

0.51

1.5

m2 s2

u(y

) [m

/s]

scenario

d) u(y) at VS2

-2.5

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

m2 s2

u(x

) [m

/s]

e) u(x) [m/s]

-2.5-2

-1.5-1

-0.50

0.51

1.5

m2 s2

u(y

) [m

/s]

scenario

f) u(y) at VS3

Abbildung 3: Gemessene und simulierte Geschwindigkeiten (Validierung mit 25 % Ma-

schinenleistung). Für m2 bezeichnen die schwarzen Linien die Schwan-

kungsbreite der Messwerte. Für s2 wurde die Schwankungsbreite aus der Ka-

librierung (m1) übertragen (siehe Gleichung (5))

Für die Ufer-normale Geschwindigkeitskomponente nimmt die Abweichung in

den äußeren Sensoren Werte von 1 und 26% an (siehe Abbildung 5 a) und c).

Am mittleren Sensor beträgt die Abweichung bei den Maximalgeschwindigkei-

ten 12% (siehe Abbildung 5 e)), wobei der numerisch berechnete Wert die ge-

messenen Werte übertrifft.

Page 418: bemessung im wasserbau

410 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen

Ein weiterer Vergleich wurde für 70% der Maschinenleistung durchgeführt. Na-

he der Propellerachse werden die maximalen senkrechten Geschwindigkeiten

um 31% überschätzt. Das numerische Modell berechnet somit konservative

Werte für die böschungsnormale Richtungskomponente der Strömung.

Insgesamt wurde eine akzeptable Übereinstimmung für die Validierungsfälle

festgestellt. Das numerische Modell berechnet in allen Fällen konservative Wer-

te für die Maximalgeschwindigkeiten nahe der Propellerachse.

4.3 Vergleich mit der GBB-Standardmethode

Die hier untersuchte Situation ist vergleichbar mit Standardsituation 2 (BAW,

2010). Die Geschwindigkeiten wurden den CFD-Ergebnissen in einer Entfer-

nung von 0,03 m entnommen, was im Bereich der äquivalenten Sandrauigkeit

liegt (Adams et al., 2012). Die Maximalgeschwindigkeiten werden in Tabelle 4

wiedergegeben.

Tabelle 4 Maximalgeschwindigkeiten über der Uferböschung nach CFD- und GBB-

Methode

Maschinenleistung CFD GBB

25 % 1,25 m/s 3,14 m/s

50 % 1,63 m/s 4,23 m/s

70 % 1,66 m/s 4,55 m/s

Die Maximalgeschwindigkeiten der CFD-Modelle nehmen Werte zwischen 36

und 40% der GBB-Werte ein. Es sollte beachtet werden, dass Standardsituation

2 in BAW (2010) einen horizontalen Boden aufweist. Eine Böschung wie in die-

sem Fall würde den Propellerstrahl nach oben beugen. Dies wird in der GBB-

Methode nicht berücksichtigt. Die Unterschiede zwischen den CFD- und GBB-

Ergebnissen ist somit auf die starke Verallgemeinerung in BAW (2010) zurück-

zuführen.

5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

In dieser Studie wurde ein CFD-Modell mit Hilfe von in-situ Messungen im

September 2014 am Bubendey-Ufer in Hamburg kalibriert und validiert. Die

modellierten Ergebnisse stimmen gut mit den Messungen überein. Das Modell

liefert konservative Abschätzungen.

Die Ergebnisse wurden mit der GBB-Methode (BAW, 2010) verglichen. Für die

hier untersuchten Fälle liegen die CFD-Ergebnisse unter 50 % der GBB-Werte.

Der Hauptgrund für diese Abweichung liegt im hohen Grad der Verallgemeine-

rung in der GBB-Methode.

Page 419: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 411

D3

Saa

l 5

D

3

Sa

al

5

Der CFD-Ansatz hat sich als effiziente und ökonomische Alternative für den

Böschungsentwurf erwiesen, weil er lokale Bedingungen wie Böschungsneigung

berücksichtigen kann.

6 Danksagung

Die Autoren danken Michel Kopiske (TU Braunschweig) für seinen Beitrag bei

der korrekten Anwendung der GBB-Methode und bei der Begutachtung der

Messdaten.

7 Literatur

BAW (2010): Grundlagen zur Bemessung von Böschungs- und Sohlensicherungen an

Binnenwasserstraßen, Mitteilungsblatt der Bundesanstalt für Wasserbau Nr. 87,

Karlsruhe, Deutschland.

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Page 420: bemessung im wasserbau

412 Numerische Modellierung von Propeller-induzierten Strömungsgeschwindigkeiten auf Böschungen

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Surface Roughness to Equivalent Sand-grain Roughness. International Journal of

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Autoren:

Dipl.-Ing. M.Sc. Stefan Leschka

DHI WASY GmbH

Niederlassung Bremen

Knochenhauerstraße 20/25

28195 Bremen

Tel.: +49 421 988821 16

Fax: +49 421 988821 18

E-Mail: [email protected]

Dr.-Ing. Oliver Stoschek

DHI WASY GmbH

Niederlassung Bremen

Knochenhauerstraße 20/25

28195 Bremen

Tel.: +49 421 988821 21

Fax: +49 421 988821 18

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Jann Best

Hamburg Port Authority (AöR)

Neuer Wandrahm 4

20457 Hamburg

Tel.: +49 40 42847 2508

E-Mail: [email protected]

Page 421: bemessung im wasserbau

Technische Universität Dresden – Fakultät Bauingenieurwesen

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“

D3

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3

Sa

al

5

Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte

hydraulische Systeme

Michael Sabrowski

Sebastian Weichelt

Jens Sauerwein

Am Beispiel des Hochwasserrückhaltebeckens Straußfurt werden aktuelle Unter-

suchungen zur Hochwassersicherheit im Rahmen der vertieften Überprüfung vor-

gestellt. Aufgrund der spezifischen räumlichen und hydraulischen Randbedingun-

gen ist die Kopplung von vier gegenständlich-physikalischen (wasserbaulichen)

Bauwerksmodellen mit einem zweidimensionalen mathematisch-physikalischen

Modell erforderlich.

Stichworte: Hochwassersicherheit, Hybridmodellierung, Kopplung

1 Veranlassung und Zielstellung

Die Thüringer Fernwasserversorgung betreibt als Dienstleister für den Freistaat

Thüringen unter anderem 21 Hochwasserrückhaltebecken aller Größenordnun-

gen mit einem gewöhnlichen Hochwasserrückhalteraum von insgesamt 29,31

Mio. m3. Das Hochwasserrückhaltebecken Straußfurt besitzt aufgrund seines

gewöhnlichen Hochwasserrückhalteraumes von 18,64 Mio. m3 sowie der Ver-

bundwirkung mit dem Hochwasserrückhaltebecken Kelbra (Sachsen-Anhalt)

überregionale Bedeutung für den Hochwasserschutz im gesamten Unstrut-

Helme-Gebiet bis hin zum Flussgebiet der Saale.

Im Rahmen der aktuell laufenden vertieften Überprüfung des Hochwasserrück-

haltebeckens Straußfurt sind gemäß DIN 19700-10:2004-07 alle Sicherheits-

nachweise erneut zu führen, wenn sich Veränderungen der Eingangsparameter

ergeben haben. So erfolgte in der Projektierungsphase in den 1950er Jahren die

Untersuchung der Hochwassersicherheit für einen Bemessungsabfluss von HHQ

= 400 m3/s. Aufgrund einer geänderten Klassifizierung von einem mittleren Be-

cken in ein großes Becken gemäß DIN 19700-12:2004-07 im Jahr 2006 sowie

der im Rahmen der vertieften Überprüfung neu ermittelten hydrologischen Be-

messungsgrößen im Jahr 2014 ist die Anlagensicherheit aktuell für ein Extrem-

hochwasser von BHQ2 = HQ10.000 = 793 m3/s nachzuweisen.

Page 422: bemessung im wasserbau

414 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme

2 Hochwasserrückhaltebecken Straußfurt

Das Absperrbauwerk des Hochwasserrückhaltebeckens Straußfurt besteht aus

einem circa 9 m hohen Erddamm mit einer Länge von rund 1.850 m. Auf etwa

halber Länge quert das Gewässer Unstrut den Erddamm in einem Massivbau-

werk (sogenanntes Abschlussbauwerk). Der Abfluss wird hier über vier Doppel-

hakenschützen mit einer Öffnungsweite von je 3,30 m gesteuert.

An der linken Dammschulter ist die Hochwasserentlastungsanlage angeordnet.

Diese besteht aus einem 270 m langen freien Überfall mit einer mittleren Voll-

stauhöhe von ZV = 149,80 m NHN sowie einer parabelförmigen Sammel- und

Ablaufrinne. Über das Tosbecken entlastet die Ablaufrinne in das luftseitige

Dammvorland (Abbildung 1 links).

Das luftseitige Dammvorland wird bei Abflüssen von größer 100 m3/s in der

Unstrut und/oder bei in Betrieb befindlicher Hochwasserentlastungsanlage über-

flutet (Abbildung 1 rechts). In circa 60 bis 300 m Abstand luftseitig vom Ab-

sperrbauwerk wird das Vorland von zwei hintereinander liegenden Verkehrs-

dämmen gequert (Straßen- und Bahndamm). Die Verkehrsdämme enthalten

sechs über die gesamte Länge ungleichmäßig verteilte Bereiche mit Durchlässen

sowie zwei hintereinander liegende Brücken im Bereich der Unstrut.

Abbildung 1: Hochwasserrückhaltebecken Straußfurt bei Normalbetrieb (sommerlicher

Teildauerstau) und bei Hochwasserbetrieb 1994

Die Hochwassersicherheit wurde in der Projektierungsphase anhand eines was-

serbaulichen Modells für die Hochwasserentlastungsanlage im Maßstab 1:30

(Längen und Höhen) untersucht. Für den Bemessungsabfluss von HHQ = 400

m3/s wird ein Stauziel von 150,50 m NHN angegeben (Forschungsanstalt für

Schifffahrt, Wasser- und Grundbau, 1957).

Gleichzeitig erfolgte die Untersuchung der Strömungssituation im luftseitigen

Dammvorland inklusive der Leistungsfähigkeit der Durchlässe in den Verkehrs-

dämmen an einem separaten wasserbaulichen Modell im Maßstab 1:100 (Län-

Page 423: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 415

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5

gen) und 1:40 (Höhen). Eine Parallelentlastung über das Abschlussbauwerk

(Doppelhakenschützen) wurde bei diesen Untersuchungen nicht berücksichtigt.

3 Nachweiskonzept und erste Ergebnisse

3.1 Grundlagen

Im Rahmen der Grundlagenermittlung zur Hochwassersicherheit (Björnsen Be-

ratende Ingenieure, 2015) wurde unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aus-

bildung der Dammkrone und der vorhandenen Wellenumlenker eine normge-

rechte Hochwassersicherheit für ein Hochwasserstauziel von ZH2 = 150,84 m

NHN ermittelt. Für dieses Hochwasserstauziel und den zugehörigen Bemes-

sungshochwasserzufluss sind folgende Fragestellungen zu beantworten:

Leistungsfähigkeit der Hochwasserentlastungsanlage

Leistungsfähigkeit der Doppelhakenschützen am Abschlussbauwerk

Leistungsfähigkeit der Durchlässe in den Verkehrsdämmen für den Fall

ohne und mit lokaler Überströmung der Verkehrsdämme

Einfluss des Rückstaus aus den Verkehrsdämmen auf die Leistungsfähig-

keit der Hochwasserentlastungsanlage und der Doppelhakenschützen

Einfluss von Querströmungen auf die Leistungsfähigkeit der Doppelhaken-

schützen bei Abflüssen über die Hochwasserentlastungsanlage

Aufgrund der hydraulischen Wechselwirkung zwischen den einzelnen Kompo-

nenten ist die Leistungsfähigkeit der Anlagenteile sowie des Gesamtsystems

durch analytische Berechnungen nicht eindeutig bestimmbar, so dass den Emp-

fehlungen der DIN 19700-11:2004-07 folgend Modellversuche zur Beantwor-

tung der Fragestellungen herangezogen werden.

Aufgrund der Ausdehnung des luftseitigen Dammvorlandes sowie der Größen-

verhältnisse zu den Anlagenteilen und Durchlässen erfolgt die Untersuchung

anhand unterschiedlicher physikalischer Teilmodelle. Die Entscheidung fiel auf

je ein wasserbauliches Teilmodell für die Hochwasserentlastungsanlage und das

Abschlussbauwerk sowie je ein wasserbauliches Teilmodell für zwei charakte-

ristische Durchlassbereiche in den Verkehrsdämmen. Die Kopplung zwischen

allen wasserbaulichen Teilmodellen erfolgt über ein zweidimensionales mathe-

matisch-physikalisches Modell.

Page 424: bemessung im wasserbau

416 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme

3.2 Vorgehensweise

In einem ersten Untersuchungsschritt wurde die grundsätzliche hydraulische

Charakteristik und Leistungsfähigkeit von Hochwasserentlastungsanlage und

Abschlussbauwerk unter rein qualitativer Berücksichtigung der Wechselwirkung

mit der Strömungssituation im luftseitigen Dammvorland untersucht. Die Strö-

mungssituation im luftseitigen Dammvorland wurde dabei vorerst unter Anwen-

dung der modellinternen Ansätze für Bauwerke (Durchlässe) im mathemati-

schen Modell und auf Basis abgeschätzter, von der tatsächlichen Leistungsfä-

higkeit abweichender, Abflussanteile für die Hochwasserentlastungsanlage und

das Abschlussbauwerk bestimmt.

Im zweiten Untersuchungsschritt erfolgt auf Basis der qualitativen Strömungssi-

tuation aus Untersuchungsschritt eins und der konstruktiven Ausbildung der

Durchlassbereiche die Auswahl von zwei charakteristischen Durchlassbereichen

für die Untersuchung am wasserbaulichen Teilmodell. Die Leistungsfähigkeit

der Durchlassbereiche wird in Abhängigkeit der spezifischen Randbedingungen

gemäß Abschnitt 3.4 bestimmt. Im Ergebnis wird das mathematische Modell

anhand von abgeleiteten Übertragungsfunktionen für alle Durchlassbereiche ab-

schließend kalibriert.

Im dritten Untersuchungsschritt erfolgt die iterative Bestimmung der tatsächli-

chen (quantitativen) Leistungsfähigkeit der einzelnen Anlagenteile (Hochwas-

serentlastungsanlage, Abschlussbauwerk) und des Gesamtsystems (mit allen

Durchlassbereichen) unter Berücksichtigung der hydraulischen Wechselwirkung

auf Basis der Ergebnisse aus den Untersuchungsschritten eins und zwei.

Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses ist der zweite Untersuchungsschritt

noch nicht vollständig abgeschlossen.

3.3 Mathematisches Modell und Modellkopplung

Das zweidimensionale hydrodynamisch-numerische (mathematische) Modell

basiert auf dem Rechenkern Hydro_as-2d. Ausdehnung und Größe des mathe-

matischen Modells gewährleisten, dass die Berechnungsergebnisse im luftseiti-

gen Dammvorland zwischen Absperrbauwerk und Verkehrsdämmen nicht von

den Randbedingungen an offenen (unterstrom) und geschlossenen Modellrän-

dern beeinflusst sind und ausschließlich durch die hydraulischen und numeri-

schen Randbedingungen im Untersuchungsgebiet gesteuert werden.

Die wasserbaulichen Teilmodelle sind hinsichtlich Lage und Geometrie exakt

im mathematischen Modell integriert. Sie bilden Stützstellen für die Bereiche

innerhalb derer die allgemeinen Anwendungsgrenzen der tiefengemittelten

Page 425: bemessung im wasserbau

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Flachwassergleichungen verletzt und die Ergebnisse des mathematischen Mo-

dells von der Festlegung von Parametern abhängig sind.

Durch die exakte Integration der wasserbaulichen Teilmodelle sind eindeutige

Übergabestellen (Schnittstellen) für den Austausch von hydraulischen Informa-

tionen an beliebigen Positionen innerhalb des Untersuchungsgebietes definier-

bar. Der Austausch von hydraulischen Informationen erfolgt dabei von den was-

serbaulichen Teilmodellen auf das mathematische Modell in Bereichen mit drei-

dimensionalen Strömungscharakteristiken und räumlich variabler Wirbelviskosi-

tät anhand von gesteuerten internen Randbedingungen. Bereiche mit annähernd

tiefengemittelten Strömungsverhältnissen sind zur Übertragung von Randbedin-

gungen vom mathematischen Modell auf die wasserbaulichen Teilmodelle ge-

eignet.

Abbildung 2: Modellbereich luftseitiges Dammvorland (links) und zugehöriger Ausschnitt

aus dem mathematischen Modell (rechts)

Die Kalibrierung des mathematischen Modells erfolgte vorerst auf Basis der

„historischen“ Modellversuche für das luftseitige Dammvorland anhand von

Wassertiefen und Fließgeschwindigkeiten sowie der Abflussverteilung in den

einzelnen Durchlässen. Für den in der Projektierungsphase zugrunde gelegten

Bemessungsabfluss erfolgte kein Druckabfluss in den Durchlässen sowie kein

Überströmen der Durchlassbereiche an den Verkehrsdämmen.

Eine Validierung des mathematischen Modells gelang auf Basis abgelaufener

Hochwasserereignisse mit in Betrieb befindlicher Hochwasserentlastungsanlage

(1994, 2003, 2011 und 2013) anhand von Referenzpegeln und Luftbildaufnah-

men. Auch für diese Situationen lag kein Druckabfluss in den Durchlässen so-

wie kein Überströmen der Durchlassbereiche an den Verkehrsdämmen vor.

Page 426: bemessung im wasserbau

418 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme

Nach Vorliegen der Ergebnisse aus Untersuchungsschritt 2 erfolgt die abschlie-

ßende Kalibrierung des mathematischen Modells zur Abbildung der tatsächli-

chen Leistungsfähigkeit der Durchlassbereiche in den Bemessungssituationen.

3.4 Wasserbauliche Teilmodelle

Hochwasserentlastungsanlage

Der Aufbau des wasserbaulichen Teilmodells, bestehend aus Überfallprofil,

Sammel- und Ablaufrinne, Tosbecken und Vorländer, erfolgte unter Berücksich-

tigung der Höhenschwankungen für das Vollstauziel, der parabelförmigen Quer-

schnitte und der langgestreckten S-Form auf Basis von 30 Querprofilen nach

dem Froudeschen Ähnlichkeitsgesetz im Maßstab 1:17,5 (Längen und Höhen).

Abbildung 3: Modellbereich der Hochwasserentlastungsanlage

Der gewählte Übertragungsmaßstab begrenzt dabei insbesondere Effekte aus der

Stromfadenkrümmung und der Kapillarwirkung beziehungsweise ermöglicht

eine entsprechende Korrektur der Versuchsergebnisse bei den maßgebenden

Überfallhöhen.

Im Ergebnis des ersten Untersuchungsschrittes beträgt die Leistungsfähigkeit

der Hochwasserentlastungsanlage für den Sollwert von ZH2 = 150,84 m NHN

rund 410 m3/s. Der Überfallvorgang ist dabei im ersten Drittel des Überfallpro-

fils bereits durch einen Rückstau aus der Sammelrinne aufgrund der begrenzten

Leistungsfähigkeit beeinflusst. Dieses Ergebnis ist aktuell für Wasserspiegella-

gen im luftseitigen Dammvorland bis auf Höhe maßgebender variabler Oberkan-

ten der Verkehrsdämme gültig. Eine Verschiebung dieses Ergebnisses auf Basis

der weiteren Untersuchungsschritte ist möglich.

Als weiteres wesentliches Ergebnis ist die offensichtliche Überschätzung der

Leistungsfähigkeit der Hochwasserentlastungsanlage bei den „historischen“

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„Bemessung im Wasserbau“ 419

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Modellversuchen im Maßstab 1:30 zu erwähnen. Gründe dafür bestehen in der

Nichtberücksichtigung der Effekte aus der Stromfadenkrümmung und der Kapil-

larwirkung sowie in möglichen Abweichungen der damaligen Modellgeometrie

von den tatsächlich realisierten Geometrien.

Abschlussbauwerk

Das wasserbauliche Teilmodell umfasst das Massivbauwerk inklusive der vier

Doppelhakenschützen, den oberwasserseitigen Einlaufbereich mit Dammkontu-

ren, die Unstrut selber mit Vorländern sowie die unterwasserseitigen Verkehrs-

dämme einschließlich der Brücken über die Unstrut. Das Froude-Modell bildet

einen Naturausschnitt von 225 m mal 75 m im Maßstab 1:15 ab.

Abbildung 4: Modellbereich des Abschlussbauwerk

Durch die Integration der Brücken und der entsprechenden Bereiche der Ver-

kehrsdämme in einem wasserbaulichen Teilmodell wird hier der Rückstauein-

fluss auf die Leistung der Doppelhakenschützen direkt erfasst. Die unterwasser-

seitige Randbedingung (stromab der Verkehrsdämme) ist unabhängig von der

Leistungsfähigkeit der einzelnen Durchlassbereiche und kann direkt aus dem

mathematischen Modell als Randbedingung übernommen werden.

Die bei Betrieb der Hochwasserentlastungsanlage wirksame Querströmung im

luftseitigen Dammvorland wird im wasserbaulichen Modell als separate seitliche

Zuströmung aus dem luftseitigen Dammvorland berücksichtigt. Die Größenord-

nung ergibt sich aus dem mathematischen Modell anhand der Leistungsfähigkeit

der einzelnen Durchlassbereiche.

Die Ermittlung der Leistungsfähigkeit der Doppelhakenschützen erfolgt für zwei

Hauptzustände:

Page 428: bemessung im wasserbau

420 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme

Schützstellung 1: Das Schützpaket ist vollständig zusammengeschoben und

auf den Boden abgesenkt (minimaler Einfluss aus Rückstau und Querströ-

mung).

Schützstellung 2: Das Schützpaket ist vollständig zusammengeschoben und

maximal angehoben (maximaler Einfluss aus Rückstau und Querströ-

mung).

Im Ergebnis des ersten Untersuchungsschrittes hat sich herausgestellt, dass die

Schützstellung 2, trotz maximal zu erwartendem Einfluss aus Rückstau und

Querströmung, aufgrund der spezifischen Öffnungsverhältnisse für den Sollwert

von ZH2 = 150,84 m NHN die leistungsfähigste Randbedingung für den Nach-

weis der Hochwassersicherheit darstellt. Für Wasserspiegellagen im luftseitigen

Dammvorland bis auf Höhe maßgebender variabler Oberkanten der Verkehrs-

dämme und mit dem mathematischen Modell im ersten Untersuchungsschritt

qualitativ ermittelter Querströmungen ergibt sich eine mittlere Leistungsfähig-

keit je Doppelhakenschütz von rund 100 m3/s. Eine Verschiebung dieses Ergeb-

nisses auf Basis der weiteren Untersuchungsschritte ist möglich.

Durchlässe

Die Bestimmung der Leistungsfähigkeit der Durchlassbereiche ausschließlich

auf Basis von Parametern im mathematischen Modell ist mit zu großen Unsi-

cherheiten behaftet. Gleichzeitig sind vorliegende Bemessungstafeln (zum Bei-

spiel in Bollrich, 2008) aufgrund der dabei gültigen idealisierten Randbedingun-

gen nicht oder nur bedingt anwendbar.

Die für die Ermittlung der Leistungsfähigkeit der Durchlassbereiche geltenden

spezifischen Randbedingungen sind wie folgt:

nicht axiale Anströmrichtung

variable ober-und unterwasserseitige Einstaubedingungen aufgrund hö-

henmäßig ansteigender Verkehrsdämme

partiell simultane lokale Überströmung der Verkehrsdämme in Durchlass-

bereichen aufgrund höhenmäßig ansteigender Verkehrsdämme

partiell Freispiegel- oder Druckabfluss oder Strömungsvorgänge im Über-

gangsbereich in den Durchlässen

Stellvertretend für die sechs Durchlassbereiche in den Verkehrsdämmen (ohne

Brückenbauwerke im Bereich der Unstrut) werden zwei Durchlassbereiche als

Froudesches Modell im Maßstab 1:15 unter diesen spezifischen Randbedingun-

gen untersucht.

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Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 421

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Ziel ist die Ableitung von Übertragungsfunktionen für alle Durchlassbereiche

zur Anwendung im mathematischen Modell, um die tatsächliche Leistungsfä-

higkeit der Durchlassbereiche und damit den Rückstaueinfluss sowie den Anteil

der Querströmung im luftseitigen Dammvorland korrekt wiederzugeben.

Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses sind die Untersuchungen an den Durch-

lassbereichen noch nicht vollständig abgeschlossen.

4 Weiteres Vorgehen und Ausblick

Gemäß aktuellem Untersuchungsstand kann am Hochwasserrückhaltebecken

Straußfurt der Bemessungshochwasserzufluss BHQ2 = HQ10.000 = 793 m3/s über

die Hochwasserentlastungsanlage bei massiver Parallelentlastung am Ab-

schlussbauwerk mit allen Doppelhakenschützen unter Einhaltung des Sollwertes

ZH2 = 150,84 m NHN abgeführt werden.

Eine Bestätigung dieses ersten Ergebnisses auf Basis der tatsächlichen Strö-

mungssituation im luftseitigen Dammvorland (Untersuchungsschritte zwei und

drei) wird erwartet. Dazu erfolgt eine iterative Bestimmung der Abflussanteile

für die Hochwasserentlastungsanlage, das Abschlussbauwerk und alle Durch-

lassbereiche einschließlich der Brückenquerschnitte an der Unstrut und die

Überströmung der Verkehrsdämme.

Die Untersuchungsergebnisse finden anschließend Eingang in die im Rahmen

der vertieften Überprüfung laufenden Zuverlässigkeitsnachweise (Tragsicherheit

und Gebrauchstauglichkeit) für das Absperrbauwerk. Für die Hochwasserbe-

messungsfälle 1 und 2 sind die Hochwasserstauziele und die zugehörigen luft-

seitigen Wasserstände als Einwirkung zu definieren. Als Risikolastfälle sind zu-

sätzlich die Situationen „Wasserstand im luftseitigen Dammvorland ohne Ver-

kehrsdämme“ (nach Versagen) sowie „schnelle Wasserspiegelabsenkung auf der

Luftseite des Absperrbauwerkes im Falle des plötzlichen Versagens der Ver-

kehrsdämme“ zu untersuchen. Entsprechende Eingangsdaten werden über die

hybride Modelltechnik zur Verfügung gestellt.

Abschließend erfolgt auf Basis der Untersuchungsergebnisse und weiterer cha-

rakteristischer Schützstellungen mit spezifischen ober- und unterwasserseitigen

Einstaubedingungen die Untersuchung der Schwingungsanfälligkeit der Dop-

pelhakenschützen. Identifizierbare Grenzzustände sind im Rahmen der Aktuali-

sierung der Betriebsvorschrift über entsprechende Randbedingungen im laufen-

den Betrieb auszuschließen, um die Dauerhaftigkeit der Betriebseinrichtung zu

gewährleisten.

Page 430: bemessung im wasserbau

422 Hybridmodellierung für hochgradig gekoppelte hydraulische Systeme

5 Literatur

Björnsen Beratende Ingenieure Erfurt GmbH (2015): Hochwasserrückhaltebecken

Straußfurt – Nachweis Hochwasserschutz und -sicherheit.

Bollrich, G. (2008): Hydraulische Leistungsfähigkeit kurzer Durchlässe.

Wasserwirtschaft-Wassertechnik, Heft 10.

DIN 19700-10:2004-07: Stauanlagen – Teil 10: Gemeinsame Festlegungen. Deutsches

Institut für Normung e. V.

DIN 19700-11:2004-07: Stauanlagen – Teil 11: Talsperren. Deutsches Institut für

Normung e. V.

DIN 19700-12:2004-07: Stauanlagen – Teil 12: Hochwasserrückhaltebecken. Deutsches

Institut für Normung e. V.

Forschungsanstalt für Schifffahrt, Wasser- und Grundbau (1957): Bericht über die

Modellversuche Rückhaltebecken Straußfurt-Gebesee.

Autoren:

Dr.-Ing. Michael Sabrowski

Thüringer Fernwasserversorgung

Haarbergstraße 37

99097 Erfurt

Tel.: +49 361 5509 125

Fax: +49 361 5509 123

E-Mail: michael.sabrowski@

thueringer-fernwasser.de

Dipl.-Ing. Jens Sauerwein

IWSÖ GmbH

Hydrolabor Schleusingen

Themarer Str. 16c

98553 Schleusingen

Tel.: +49 36841 5309 15

Fax: +49 36841 5309 14

E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Sebastian Weichelt

Björnsen Beratende Ingenieure GmbH

Brühler Herrenberg 2a

99092 Erfurt

Tel.: +49 361 2249 16

Fax: +49 361 2249 11

E-Mail: [email protected]

Page 431: bemessung im wasserbau

Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes

für Wasserbau und Technische Hydromechanik

an der Technischen Universität Dresden e. V.

Förderverein

Im Internet unter http://www.iwd.tu-dresden.de

Zur Unterstützung der wasserbaulichen Forschung und Lehre wurde von Hochschullehrern

und Mitarbeitern des Institutes am 24. Mai 1991 ein gemeinnütziger Förderverein, die Gesell-

schaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes für Wasserbau und Technische Hyd-

romechanik an der Technischen Universität Dresden e. V., gegründet. Der Verein unter-

stützt die Herausgabe der seit 1990 wieder erscheinenden Dresdner Wasserbaulichen Mittei-

lungen und nimmt aktiv an der Vorbereitung und Durchführung des alljährlich stattfindenden

Dresdner Wasserbaukolloquiums sowie der begleitenden Fachausstellung teil. Darüber hinaus

werden vom Förderverein u. a. Studentenexkursionen und Forschungsarbeiten finanziell un-

terstützt.

S A T Z U N G

der

Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes

für Wasserbau und Technische Hydromechanik

an der Technischen Universität Dresden e. V.

Page 432: bemessung im wasserbau

424 Förderverein - Satzung

§ 1 Name und Sitz

(1) Der Verein führt den Namen „Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Instituts

für Wasserbau und Technische Hydromechanik der Technischen Universität

Dresden e. V.“

Er ist im Vereinsregister unter der Nummer VR 1335 registriert.

(2) Der Sitz des Vereins ist Dresden.

(3) Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr.

§ 2 Zweck

(1) Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des

Abschnittes "Steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung. Er dient der Förderung

wissenschaftlicher Forschungsarbeiten auf gemeinnütziger Grundlage, der Information

seiner Mitglieder und der Öffentlichkeit über die Forschungs- und Versuchsarbeiten des

Instituts, der Förderung von Aus- und Weiterbildung sowie der Förderung des Umwelt-

und Landschaftsschutzes.

(2) Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch:

1. Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen und Forschungsvorhaben zu

Themen des umweltverträglichen Wasserbaus, der Renaturierung von Gewässern,

der Verbesserung der Wasserversorgung und Abwasserbehandlung, des Verkehrs-

wasserbaus (mit dem Ziel umweltfreundlicher Transportdurchführung auf Wasser-

straßen), sowie des Hochwasser- und Küstenschutzes

2. Werbung in den interessierten Fachkreisen für den Wasserbau und das hydraulische

Versuchswesen

3. Koordinierung der Arbeiten und Zusammenarbeit auf wasserbaulichem und hydrau-

lischem Gebiet mit anderen Instituten

4. Unterstützung von hydraulischen Modellversuchen

5. Unterstützung der Durchführung von Kolloquien und Symposien in den Fachgebie-

ten Wasserbau und Technische Hydromechanik

6. Förderung der Publikation von wissenschaftlichen Arbeiten, Institutsberichten und

Informationsmaterial

7. Unterstützung von Reisen zu Fachvorträgen und zur Besichtigung von wasserbauli-

chen Objekten

8. Durchführung von Informationsveranstaltungen an Schulen und Gymnasien

9. Unterstützung von besonders förderungswürdigen in- und ausländischen Studieren-

den des Wasserbaus.

10. Würdigung herausragender Leistungen von Absolventen und Studierenden in den

Fachgebieten des Wasserbaus und der technischen Hydromechanik.

Page 433: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 425

(3) Der Verein ist selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche

Zwecke.

§ 3 Mitgliedschaft

(1) Ordentliche Mitglieder können natürliche und juristische Personen werden, die den

Zweck des Vereins nach §2 unterstützen.

(2) Jungmitglieder können Studenten werden, die an einer Hochschuleinrichtung mit was-

serbaulich-wasserwirtschaftlicher Ausbildung immatrikuliert sind.

(3) Korrespondierende Mitglieder können vom Vorstand ernannt werden, wenn sie auf

dem Gebiet des Wasser- und Grundbaus, der Wasserwirtschaft und der Hydrologie for-

schend tätig sind.

(4) Ehrenmitglieder können von der Mitgliederversammlung ernannt werden, wenn sie

sich besondere Verdienste bei der Förderung des Vereins erworben haben.

§ 4 Organe des Vereins

(1) Die Organe des Vereins sind

a) die Mitgliederversammlung und

b) der Vorstand.

(2) Die Mitglieder des Vorstands sind ehrenamtlich tätig.

§ 5 Mitgliederversammlung

(1) Eine ordentliche Mitgliederversammlung findet einmal im Jahr (in der Regel in Verbin-

dung mit dem Dresdner Wasserbaukolloquium) statt. Ihre Einberufung erfolgt unter

Einhaltung einer Frist von vier Wochen in Textform durch den Geschäftsführer im Auf-

trag des Vorstandes unter Mitteilung des Termins, des Ortes und der Tagesordnung.

(2) Zusätze zur Tagesordnung können innerhalb einer Frist von 14 Tagen beim Geschäfts-

führer beantragt werden.

(3) In der Mitgliederversammlung werden geschäftliche Angelegenheiten in Verbindung

mit Vorträgen oder Mitteilungen und deren Beratung behandelt und erledigt.

(4) Die Mitgliederversammlung beinhaltet:

1. den Bericht des Vorsitzenden über das Geschäftsjahr

2. den Bericht der Rechnungsprüfer

3. Genehmigung der Berichte und Entlastung des Vorstandes

4. Beschlüsse über vorliegende Anträge und über Änderungen der Satzung

Page 434: bemessung im wasserbau

426 Förderverein - Satzung

5. Wahl von zwei Rechnungsprüfern

6. Verschiedenes

(5) Der Vorstand kann jederzeit binnen 14 Tagen eine außerordentliche Mitgliederver-

sammlung einberufen. Er ist dazu verpflichtet, wenn mindestens ein Zehntel der Mit-

glieder dies unter Angabe des Zwecks und der Gründe fordert.

(6) Der Vorsitz der Mitgliederversammlung wird vom Vorsitzenden oder vom stellvertre-

tenden Vorsitzenden geführt.

(7) Die Mitgliederversammlung fasst ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit. Sie ist bei

satzungsgemäßer Einladung in jedem Falle beschlussfähig. Bei Stimmengleichheit ent-

scheidet die Stimme des Vorsitzenden.

(8) Satzungsänderungen erfordern eine 3/4-Mehrheit.

(9) Anträge auf Änderung der Satzung, die nicht vom Vorstand ausgehen, können nur dann

beraten werden, wenn sie mindestens vier Wochen vor der Mitgliederversammlung un-

ter Angabe der Gründe beim Vorstand eingereicht worden sind.

(10) Jedes Mitglied hat nur eine Stimme. Stimmübertragungen sind durch schriftliche Voll-

macht auf ordentliche Mitglieder nur bis zu zwei möglich.

(11) Der Verein kann sich zur Regelung der vereinsinternen Abläufe Vereinsordnungen ge-

ben. Die Vereinsordnungen sind nicht Bestandteil der Satzung. Für den Erlass, die Än-

derung und Aufhebung von Vereinsordnungen ist die Mitgliederversammlung zustän-

dig.

(12) Die Beschlüssen der Mitgliederversammlung sind zu protokollieren. Das Protokoll ist

vom Vorsitzenden und dem Protokollführer zu unterzeichnen.

§ 6 Vorstand

(1) Der Vorstand wird von der ordentlichen Mitgliederversammlung für die Dauer von fünf

Jahren gewählt und bleibt bis zum Ablauf der ordentlichen Mitgliederversammlung zur

Neuwahl im Amt.

(2) Der Vorstand besteht aus vier gewählten ordentlichen Mitgliedern

dem Vorsitzenden,

dem stellvertretenden Vorsitzenden,

dem Geschäftsführer und

dem Schatzmeister.

Der Vorsitzende vertritt den Verein mit jeweils einem weiteren ordentlichen Mitglied

des Vorstands gemeinsam.

(3) Vom Vorstand kann ein Ehrenvorsitzender bestellt werden.

(4) Die Mitgliederversammlung kann durch einfache Mehrheit beschließen, darüber hinaus

noch bis zu zwei Mitglieder als Beisitzer zur Vertretung des Vereins in den Vorstand zu

bestellen.

Page 435: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 427

(5) Der Vorstand kann einzelnen Personen Vollmachten für Zweige der Geschäftsführung

erteilen.

(6) Dem Vorstand obliegt die Vertretung des Vereins nach § 26 BGB. Er ist mit der Füh-

rung aller laufenden Geschäfte beauftragt und sorgt für die Durchführung der Beschlüs-

se der Mitgliederversammlung. Er kann selbständig Maßnahmen treffen, die dem Ver-

einszweck förderlich sind.

§ 7 Aufnahme oder Beendigung der Mitgliedschaft

(1) Die Aufnahme als ordentliches Mitglied oder als Jungmitglied ist schriftlich beim Vor-

stand zu beantragen. Dieser entscheidet über die Aufnahme. Der Aufnahmebeschluss ist

dem Antragsteller mitzuteilen. Bei Zurückweisung des Antrages kann der Antragsteller

eine Entscheidung durch die Mitgliederversammlung beantragen, deren Zustimmung

eine 2/3-Mehrheit voraussetzt.

(2) Die Mitgliedschaft kann beendet werden

a) durch schriftliche Austrittserklärung eines Mitglieds gegenüber dem Vorstand mit

einer Frist von drei Monaten zum Ende des laufenden Geschäftsjahres,

b) auf Beschluss des Vorstandes, wenn 3/4 der Mitgliederversammlung dem Aus-

schluss zustimmen,

c) bei Vereinigungen oder Gesellschaften mit deren Auflösung,

d) bei natürlichen Personen mit dem Tod oder

e) durch Streichung aus der Mitgliederliste, wenn trotz Erinnerung durch den Vorstand

in drei Folgejahren kein Mitgliedsbeitrag entrichtet wurde und kein erkennbarer

Hinderungsgrund vorliegt.

§ 8 Rechte und Pflichten der Mitglieder

(1) Die Mitglieder des Vereins haben das aktive Wahlrecht, können Anträge an den Verein

stellen und an den Veranstaltungen des Vereins teilnehmen. Das passive Wahlrecht ha-

ben nur Mitglieder, die natürliche Personen sind.

(2) Juristische Personen müssen eine natürliche Person benennen, welche die Mitglieder-

rechte wahrnimmt. Ist eine derartige Person nicht benannt, so ruhen die Rechte der ju-

ristischen Person als Mitglied des Vereins.

(3) Die Mitglieder des Vereins haben das Recht auf Information über die vom Institut

durchgeführten und laufenden Arbeiten sowie zur Besichtigung des Instituts und seiner

Versuchseinrichtungen soweit das betrieblich möglich ist und die Interessen der Auf-

traggeber nicht beeinträchtigt werden.

(4) Die Mitglieder haben Anspruch auf Überlassung von geförderten veröffentlichten Mate-

rialien.

Page 436: bemessung im wasserbau

428 Förderverein - Satzung

(5) Die Mitglieder sind verpflichtet, den Verein entsprechend der Satzung bei der Erfüllung

seiner Aufgaben nach besten Kräften zu unterstützen.

(6) Die Mitglieder sind zur Zahlung eines jährlichen Beitrags verpflichtet. Die Höhe des

jährlichen Beitrags, die Fälligkeit, die Art und Weise der Zahlung und zusätzliche Ge-

bühren bei Zahlungsverzug oder Verwendung eines anderen als des beschlossenen Zah-

lungsverfahrens regelt eine Beitragsordnung, die von der Mitgliederversammlung be-

schlossen wird.

(7) Ehrenmitglieder und korrespondierende Mitglieder sind beitragsfrei.

§ 9 Auflösung des Vereins

(1) Der Verein kann nur auf Beschluss von 2/3 der anwesenden stimmberechtigten Mitglie-

der einer ordentlichen Mitgliederversammlung aufgelöst werden. Sind in dieser Mit-

gliederversammlung weniger als 1/3 der stimmberechtigten Mitglieder erschienen, so

muss eine neue Mitgliederversammlung einberufen werden, die dann entscheidet.

(2) Im Falle der Auflösung oder Aufhebung des Vereins oder bei Wegfall seiner steuerbe-

günstigten Zwecke fällt sein Vermögen an das Institut für Wasserbau und Technische

Hydromechanik der Technischen Universität Dresden, das es unmittelbar und aus-

schließlich für die Förderung von wissenschaftlichen Forschungsarbeiten zu verwenden

hat.

(3) Die vorstehenden Bestimmungen gelten entsprechend, wenn dem Verein die Rechtsfä-

higkeit entzogen wird.

§ 10 Gemeinnützigkeit

(1) Mittel des Vereins dürfen nur für die satzungsgemäßen Zwecke verwendet werden. Die

Mitglieder erhalten keine Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft.

(2) Die Mitglieder des Vorstandes erhalten keine Vergütung für ihre Tätigkeit. Auslagen im

Interesse des Vereins werden auf Antrag ersetzt, wenn sie der Vorstand vorher geneh-

migt hat und der Verein dazu in der Lage ist.

(3) Der Verein darf keine Personen durch Ausgaben, die dem Zweck des Vereins fremd

sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen.

Die Satzung wurde in der Gründungsversammlung am 24. Mai 1991 in Dresden angenommen

und am 18. März 2004 sowie am 6. März 2015 geändert.

Page 437: bemessung im wasserbau

Gesellschaft der Förderer des Hubert-Engels-Institutes

für Wasserbau und Technische Hydromechanik

an der Technischen Universität Dresden e. V.

Bisher erschienene Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen

Heft 1

(vergriffen)

1989 Klaus Römisch

Empfehlung zur Bemessung von Hafeneinfahrten

Eberhard Lattermann

Bemessungsgrundlagen für Dichtungen und Deckwerke im

Wasserbau

Heft 2

(vergriffen)

1990 Frank Krüger

Schubspannungsverteilungen in offenen, geradlinigen Trapez- und

Rechteckgerinnen

Helmut Martin, Reinhard Pohl

Überflutungssicherheit von Talsperren

Heft 3

(vergriffen)

1990 Reinhard Pohl

Die Entwicklung der wasserbaulichen Lehre und Forschung an der

Technischen Universität Dresden

Reinhard Pohl

Die Berechnung der auf- und überlaufvermindernden Wirkungen

von Wellenumlenkern im Staudammbau

Heft 4

(vergriffen)

1991 Ellen Haufe

Hydromechanische Untersuchungen von Mischungs-, Flockungs-

und Sedimentationsprozessen in der Trinkwasseraufbereitung

Heft 5 1994 Wasserbaukolloquium 1993 Die Elbe – Wasserstraße und Auen

Heft 6

(vergriffen)

1995 Wasserbaukolloquium 1994

Wasserkraft und Umwelt

ISBN 3-86005-154-7

Heft 7 1995 Wasserbaukolloquium 1995

Hydromechanische Beiträge zum Betrieb von Kanalnetzen

ISBN 3-86005-155-5

Heft 8 1996 Detlef Aigner

Hydrodynamik in Anlagen zur Wasserbehandlung

ISBN 3-86005-164-4

Page 438: bemessung im wasserbau

430 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen

Heft 9

(vergriffen)

1996 Wasserbaukolloquium 1996

Wellen: Prognosen - Wirkungen – Befestigungen

ISBN 3-86005-165-2

Heft 10 1997 Wasserbaukolloquium 1997

Sanierung und Modernisierung von Wasserbauwerken, aktuelle

Beispiele aus Deutschland, Polen, der Slowakei und Tschechien

ISBN 3-86005-185-7

Heft 11

(vergriffen)

1997 Reinhard Pohl

Überflutungssicherheit von Talsperren

ISBN 3-86005-186-5

Heft 12

(vergriffen)

1998 Reinhard Pohl

Die Geschichte des Institutes für Wasserbau an der Technischen

Universität Dresden

ISBN 3-86005-187-3

Heft 13 1998 Wasserbaukolloquium 1998

Hydraulische und numerische Modelle im Wasserbau,

Entwicklung – Perspektiven

ISBN 3-86005-201-2

Heft 14 1998 Uwe Müller

Deformationsverhalten und Belastungsgrenzen des Asphaltbetons

unter den Bedingungen von Staudammkerndichtungen

ISBN 3-86005-213-6

Heft 15 1999 Wasserbaukolloquium 1999

Betrieb, Instandsetzung und Modernisierung von Wasserbauwerken

ISBN 3-86005-223-3

Heft 16 1999 Dirk Carstensen

Beanspruchungsgrößen in Fließgewässern mit geschwungener

Linienführung

ISBN 3-86005-236-5

Heft 17

(vergriffen)

1999 Ehrenkolloquium Prof. Martin

anlässlich des 60. Geburtstages von Herrn Univ. Prof. Dr.-Ing.

habil. Helmut Martin

ISBN 3-86005-237-3

Heft 18 2000 Wasserbaukolloquium 2000

Belastung, Stabilisierung und Befestigung von Sohlen und

Böschungen wasserbaulicher Anlagen

ISBN 3-86005-243-8

Page 439: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 431

Heft 19 2001 Seleshi B. Awulachew

Investigation of Water Resources Aimed at Multi-Objective

Development with Respect to Limited Data Situation: The Case of

Abaya-Chamo Basin, Ethiopia

ISBN 3-86005-277-2

Heft 20 2001 Stefan Dornack

Überströmbare Dämme Beitrag zur Bemessung von Deckwerken

aus Bruchsteinen

ISBN 3-86005-283-7

Heft 21 2002 Wasserbaukolloquium 2002 Innovationen in der Abwasserableitung und Abwassersteuerung

ISBN 3-86005-297-7

Heft 22 2002 Zelalem Hailu G. Chirstos

Optimisation of Small Hydropower Sites for Rural Electrification

ISBN 3-86005-304-3

Heft 23 2002 Ehrenkolloquium Prof. Wagner

Zur Emeritierung von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Harold Wagner

ISBN 3-86005-307-8

Heft 24 2003 Wasserbaukolloquium 2003

Gewässer in der Stadt.

ISBN 3-86005-358-2

Heft 25 2003 Toufik Tetah

Numerische Simulation des dynamischen Verhaltens von Caisson-

Wellenbrecher-Gründungen unter Einwirkung brechender Wellen

ISBN 3-86005-363-9

Heft 26 2003 Ehrenkolloquium Prof. Horlacher

Zum 60. Geburtstag von Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil.

Hans-B. Horlacher

ISBN 3-86005-376-0

Heft 27

(vergriffen)

2004 Wasserbaukolloquium 2004

Risiken bei der Bemessung und Bewirtschaftung von

Fließgewässern und Stauanlagen

ISBN 3-86005-414-7

Heft 28 2004 Reinhard Pohl

Historische Hochwasser aus dem Erzgebirge

ISBN 3-86005-428-7

Page 440: bemessung im wasserbau

432 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen

Heft 29

(vergriffen)

2005 Wasserbaukolloquium 2005

Stauanlagen am Beginn des 21. Jahrhunderts

ISBN 3-86005-461-9

Heft 30 2005 Nigussie Teklie Girma

Investigation on Sediment Transport Characteristics and Impacts of

Human Activities on Morphological Processes of Ehiopian

Rivers:Case Study of Kulfo River, Southern Ethiopia

ISBN 3-86005-483-X

Heft 31

2006 Matthias Standfuß

Druckwellenausbreitung in erdverlegten Rohrleitungen

aus PE-HD

ISBN 3-86005-495 - 3

Heft 32 2006 Wasserbaukolloquium 2006

Strömungssimulation im Wasserbau

ISBN 3-86005-473-2

Heft 33 2006 Antje Bornschein

Die Ausbreitung von Schwallwellen auf trockener Sohle unter

besonderer Berücksichtigung der Wellenfront

ISBN 3-86005-523-2

Heft 34 2007 Torsten Frank

Hochwassersicherheit in sielbeeinflussten Gewässersystemen am

Beispiel des Bongsieler Kanals

ISBN 978-3-86780-019-8

Heft 35 2007 Wasserbaukolloquium 2007

Fünf Jahre nach der Flut

ISBN 987-3-86005-571-7

Heft 36 2008 Aktuelle Forschungen 1993 – 2008

Zum 65. Geburtstag von Herrn Prof. Horlacher

ISBN 978-3-86780-083-9

Heft 37 2009 Dirk Carstensen

Eis im Wasserbau – Theorie, Erscheinungen, Bemessungsgrößen

ISBN 978-3-86780-099-0

Heft 38

(vergriffen)

2009 Reinhard Pohl, Antje Bornschein,

Robert Dittmann, Stefano Gilli

Mehrzieloptimierung der Steuerung von Talsperren zur

Minimierung von Hochwasserschäden im Unterwasser

ISBN 978-3-86780-100-3

Page 441: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 433

Heft 39

(vergriffen)

2009 Wasserbaukolloquium 2009

Wasserkraftnutzung im Zeichen des Klimawandels,

angepasste Strategien – neue Technologien

ISBN 978-3-86780-101-0

Heft 40

(vergriffen)

2010 Wasserbaukolloquium 2010

Wasserbau und Umwelt – Anforderungen, Methoden, Lösungen

ISBN 978-3-86780-101-0

Heft 41 2010 Ralf Tackmann

Erosion 2008 – Ein numerisches Modell zur Prognose des

Bodenaustrages von kohäsiven Böden unter Berücksichtigung der

Rillenerosion

ISBN 978-3-86780-158-4

Heft 42 2010 Ulf Helbig

Tragverhalten und Berechnung von mehrschichtigen

Verbundrohren

ISBN 978-3-86780-159-1

Heft 43 2010 Stefano Gilli

Die Wirkung von Flussaufweitungen auf Hochwasserwellen –

Parameterstudie einer Deichrückverlegung im Flussmittellauf

ISBN 978-3-86780-160-7

Heft 44 2010 Negede Abate Kassa

Probabilistic Safety Analysis of Dam – Methods and Applications

ISBN 978-3-86780-161-4

Heft 45

(vergriffen)

2011 Wasserbaukolloquium 2011

Wasserkraft –

Mehr Wirkungsgrad + Mehr Ökologie = Mehr Zukunft

ISBN 978-3-86780-198-0

Heft 46 2011 Torsten Heyer

Zuverlässigkeitsbewertung von Flussdeichen nach dem

Verfahren der logistischen Regression

ISBN 978-3-86780-197-3

Heft 47 2011 Wasserbaukolloquium 2012

Staubauwerke - Planen, Bauen, Betreiben

ISBN 978-3-86780-261-1

Page 442: bemessung im wasserbau

434 Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen

Heft 48 2013 Wasserbaukolloquium 2013

Technischer und organisatorischer Hochwasserschutz

–Bauwerke, Anforderungen, Modelle

ISBN 978-3-86780-318-2

Heft 49 2013 Vinzent Sturm

Simulation der Fluid-Struktur-Interaktion mit freier

Oberfläche am Beispiel des Schlauchwehres unter

Anwendung von Ansys/CFX

ISBN 978-3-86780-348-9

Heft 50 2014 Wasserbaukolloquium 2014

Simulationsverfahren und Modelle für Wasserbau und

Wasserwirtschaft

ISBN 978-3-86780-349-6

Heft 51 2014 Holger Haufe

Zwischenauslässe an Talsperren - Beispiele, Bemessung,

Konstruktion, Nachrüstung

ISBN 978-3-86780-393-9

Heft 52 2014 Pohl/Bornschein u.a.

Effect of very oblique waves on wave run-up and wave

overtopping

ISBN 978-3-86780-392-2

Heft 53 2015 Wasserbaukolloquium 2015

Messen und Überwachen im Wasserbau und am Gewässer

ISBN 978-3-86780-420-2

Heft 54 2015 Mohammed Abdallah

Developing a Multi-purpose Reservoir operating Model

with Uncertain Conditions: a Case of Eastern Nile

Reservoirs – Sudan

ISBN 978-3-86780-431-8

Heft 55

2015 Paolo Dapoz

Reinigung von Abwasserkanälen mittels

Niederdruckspülverfahren

ISBN 978-3-86780-432-5

Heft 56 2015 JuWi-Treffen

17. JuWi-Treffen: Fachbeiträge zur Tagung vom 26.-28.

August 2015

ISBN 978-3-86780-448-6

Page 443: bemessung im wasserbau

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 58 – 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017

„Bemessung im Wasserbau“ 435

Heft 57 2016 Wasserbaukolloquium 2016

Gewässerentwicklung & Hochwasserrisikomanagement

ISBN 978-3-86780-475-2

Heft 58 2017 Wasserbaukolloquium 2017

Bemessung im Wasserbau – Klimaanpassung,

Untersuchung, Regeln, Planung, Ausführung

ISBN 978-3-86780-509-4

Heft 59 2017 Roberto Tatis Muvdi

A contribution to the hydro morphological assessment of

running waters based on habitat dynamics.

ISBN 978-3-86780-512-4

Die Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen können bezogen werden über:

Technische Universität Dresden

Bereich Bau und Umwelt

Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik

01062 Dresden

Telefon: +49 351 463 33837

Fax: +49 351 463 37141

E-Mail: [email protected]

Ein großer Teil unserer Hefte ist digitalisiert und in der Verkehrswasserbauli-

chen Zentralbibliothek der Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe einzuse-

hen.

http://vzb.baw.de/digitale_bib/dwm.php

Page 444: bemessung im wasserbau

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