-
Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 1
Prsident Lukaschenko vor seiner fnften Amtszeit?
Mikita Bialiayeu
Hintergrund:
Belarus
Nr. 43 / 27. Juli 2015
Zusammenfassung
Am 11. Oktober findet in Belarus wieder eine Prsidentschaftswahl
statt. Und
obwohl die belarussische Opposition nach wie vor schwach und
zerrissen ist, be-
reitet der Ausgang der Wahl der politischen Spitze des Landes
Sorge wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und
Herausforderungen in Auen- und Innen-
politik gleichermaen. Entsprechend ist die Vorwahlrhetorik
Prsident Luka-
schenkos, seit 1994 im Amt, ganz anders als sonst. Im
Vordergrund stehen aus-
nahmsweise nicht hhere Lhne und Wachstum, sondern
Beschftigungssiche-
rung und Stabilitt. In jedem Fall sucht Minsk die bisherige
Schaukelpolitik ge-
genber der EU und den USA auf der einen und Russland auf der
anderen Seite
fortzusetzen erstmalig aber mit dem noch anspruchsvolleren Ziel,
gute Bezie-hungen zum Westen auch nach der Wahl zu bewahren. So
glaubt Minsk gegen-
ber eventuellen russischen Druck-Szenarien besser bestehen zu
knnen. Letzt-
endlich wird aber die wirtschaftliche Lage der Faktor sein, der
den auenpoliti-
schen Kurs bestimmt: Sollte sich die Krise verschlimmern, drfte
sich die bela-
russische Regierung doch wieder strker Moskau zuwenden weil sie
ohne fi-nanzielle Untersttzung des Kremls nicht mehr berlebensfhig
ist.
-
Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 2
Das System Lukaschenko
Prsident Lukaschenko ist seit 1994 im Amt. Bei der letzten Wahl
2010 erhielt er nach offiziellen Aus-
zhlungen fast 80 Prozent der Stimmen. Es folgten Proteste und
Repressionen und eine im Resultat noch einmal wesentlich geschwchte
Opposition.
1 Dabei ist die Popularittsrate der Oppositionsfhrer
niedrig. Der beliebteste war nach Umfragen vor zwei Jahren der
Leiter der oppositionellen Bewegung
Sag die Wahrheit Wladimir Nekliajew, aber auch er wre auf keine
zehn Prozent gekommen.2 So
drfte auch in dieser Wahl Prsident Lukaschenko die absolute
Mehrheit der Stimmen erhalten,
schlimmstenfalls erst im zweiten Wahlgang. Unsicher ist eher, ob
sich die Hlfte aller Wahlberechtig-
ten beteiligt, was die Voraussetzung dafr ist, dass die Wahl
auch Gltigkeit hat. Die Kommunalwah-
len, die im Mrz 2014 stattfanden, erhielten die wichtigsten
Trends der vorherigen Wahlen zu den
Organen der lokalen Selbstverwaltung aufrecht: niedrige
Wahlbeteiligung und der Mangel an Wett-
bewerb unter den Kandidaten. Etwa 88% der Sitze wurden
alternativlos besetzt.
Fr die Prsidentschaftswahl sind seit dem 20. Juli acht
Kandidaten zugelassen darunter zum ersten
Mal zwei Frauen. Die eine, Tatiana Korotkewitsch, ist von Sag
die Wahrheit, also der Opposition, die 2010 neben Europisches
Belarus den einzigen halbwegs populren Kandidaten stellte. Sie
steht nun dem Wahlblock Volksreferendum vor. Die andere ist eine
selbstaufgestellte Unbekannte, die ihr
Wahlprogramm erst im Herbst verffentlichen will. Um offiziell
antreten zu drfen, mssen alle Kan-
didaten zwischen dem 23. Juli und dem 21. August 100.000
Whlerunterschriften sammeln. Das drf-
te neben Lukaschenko und Korotkewitsch zumindest noch Anatoli
Lebedko von der Vereinigten Br-gerpartei gelingen, einer der
ltesten Oppositionsparteien, sowie Sergej Gaidukewitsch und
Sergei
Kaljakin. Ersterer war 2001 und 2006 schon einmal Kandidat. Er
vertritt die sog. Liberal-
Demokratische Partei Belarus. Sergej Kaliakin kandidiert fr die
belarussische Partei der Linken Ge-
rechte Welt. Aber auch wenn die Macht die Kandidaten nun nicht
aktiv in ihren Kampagnen behin-dert und ihnen die Mglichkeit
einrumt, ffentlichkeitsarbeit zu betreiben und sich registrieren
zu
lassen, sind sie kaum tatschliche Herausforderer fr den
Amtsinhaber. 2010 erhielt der erfolgreichste
Oppositionskandidat, Andrei Sannikow von Europisches Belarus,
2,56% der Stimmen, der Vorgn-
ger Korotkewitschs Wladimir Nekliaew 1,78% und Gaidukewitsch
2006 3,5%. Es sind also andere Fak-
toren, die den Wahlkampf von frheren Kampagnen
unterscheiden.
Der Wirtschaftsfaktor Anlass fr Vernderungen?
Die schlechte wirtschaftliche Lage ist fr die belarussische
Fhrung eines der Kernprobleme. In der
Regel war es ihr in Vorwahlzeiten immer gelungen,
wirtschaftliches Wachstum zu sichern sowie, als Folge dessen, den
verhltnismigen Wohlstand ihrer Brger. Heute sieht das anders aus.
Viele Bela-
russen mssen mit geringerem Lohn auskommen. Auerdem sieht sich
die Regierung mit fr sie neuen
wirtschaftlichen Erscheinungen konfrontiert. Im Vergleich zu den
Krisen von 2009 und 2011 ist auf-
fllig, dass die Perspektiven fr zuknftigen Aufschwung fehlen.
2011 gelang es der belarussischen
Fhrung noch relativ schnell, Krisenfolgen wie niedrigere Lhne
und BIP-Verfall abzuwenden. Auch
1 Oppositionspolitiker leben noch immer im Ausland oder sind
inhaftiert.
2 S. http://iiseps.org/analitica/550. Das belarussische
Meinungsforschungsinstitut Independent Institute for
Socio-Economic
and Political Studies ist eines der wenigen verbliebenen
unabhngigen Institute fr soziokonomische und politische Stu-
dien; es ist inzwischen in Litauen ansssig.
-
Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 3
wenn das Wachstum geringer ausfiel als in den Vorjahren, die
Einknfte der Bevlkerung wuchsen
jedenfalls. Der durchschnittliche Nominallohn, der zum Ende des
Krisenjahres 2011 nach Angaben des
belarussischen Statistikamtes BELSTAT etwa 362 $ betrug, lag
Ende 2012 bereits wieder bei 448 $.3
Heute dagegen gehen die meisten Experten davon aus, dass (im
Gegensatz zu 2011) die Vorausset-
zungen fr eine schnelle wirtschaftliche Erholung nicht gegeben
sind. Eher lsst sich das Gegenteil
beobachten; die wirtschaftliche Lage des Landes verschlechtert
sich von Monat zu Monat. Die Welt-
bank rechnet fr 2015 mit einem BIP-Rckgang von 3,5% und fr 2016
mit einem Rckgang von 1%.4
hnlich sehen das die Experten der Osteuropabank: 2,5%
BIP-Verlust fr 2015 und Nullwachstum fr
2016.5 So sieht es heute zum ersten Mal seit der
Jahrtausendwende nach einer Trendnderung in Sa-
chen Dynamik des realen BIP-Wachstums aus, die die
wirtschaftliche und soziale Stabilitt des Landes
langfristig negativ beeintrchtigen knnte.
Quelle: Weltbank
Hauptgrund fr die aktuell so schlechte Lage der belarussischen
Wirtschaft ist die russische Wirt-
schaftskrise, weil Russland einer der wichtigen belarussischen
Handelspartner und Absatzmarkt fr die
meisten belarussischen Unternehmen ist. Dazu kommen Probleme der
heimischen Wirtschaft, denn es
mangelt an strukturellen Reformen. Am meisten betroffen von der
Krise ist die Industrie. Im ersten
Quartal 2015 ging die Industrieproduktion um 7,3% zurck, und
dieser Rckgang wirkte sich praktisch
3 S.
http://www.belstat.gov.by/ofitsialnaya-statistika/otrasli-statistiki/naselenie/trud/godovye-dannye/nominalnaya-
nachislennaya-srednyaya-zarabotnaya-plata-rabotnikov-respubliki-belarus-s-1991-po-2013-gg/.
Das ist allerdings immer
noch weniger als der 2010 in den USA erreichte Durchschnittslohn
von 500 $. 4
http://www.worldbank.org/en/country/belarus/publication/belarus-economic-update-april-2015.
5 http://www.ebrd.com/where-we-are/belarus/overview.html.
12,74 12,35 14,59
17,83
23,14
30,21
36,96
45,28
60,76
49,21
55,22 59,73
63,62
71,71
0
10
20
30
40
50
60
70
80
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
2013
BIP in Belarus 2000 - 2013 (Mrd. US-Dollar)
-
Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 4
auf alle Wirtschaftszweige aus. Zudem nahmen die Lagerbestnde
von Fertigprodukten von Januar bis
April d.J. um 20% zu, und fllige Forderungen wuchsen im ersten
Quartal 2015 um 53,6% an.6
Infolge der schwierigen Finanzlage kam es in den meisten
Industriebetrieben zu massiven Stellenkr-
zungen. Die offizielle Arbeitslosenquote, am 1. Januar 2015 noch
bei 0,5%, war Anfang April auf das
Zweifache gewachsen (1%). Auerdem kam es in den ersten Monaten
des Jahres 2015 vermehrt zu
Teilzeitbeschftigungen, weil Industriebetriebe ihre
Produktionsvolumen zurckfuhren. Von Januar bis
Mrz 2015 waren 99,1 Tausend Belarussen in Teilzeitjobs
beschftigt, das sind mehr als dreimal so
viele wie im 1. Quartal 2014.7
Ein weiterer Negativfaktor ergibt sich aus dem Verhltnis von
Lohnkrzungen zu auslndischen Leit-
whrungen. Infolge der Abwertung des Belarussischen Rubels Ende
2014 sank das durchschnittliche
Realeinkommen um mehr als 30%.8 Das ist fr politische Prozesse
in Belarus vllig untypisch. Lohn-
steigerungen waren immer eines der Basisinstrumente der
Regierung in Vorwahlzeiten, um zu sichern,
dass die Bevlkerung die Fhrung weiter untersttzt. Anscheinend
lassen ihr die existierenden wirt-
schaftlichen Risiken keine Wahl, so dass sie gezwungen ist, auf
landesweite Lohnsteigerungen zu ver-
zichten.
Quelle: Belarussisches Statistikamt BELSTAT
6
http://belstat.gov.by/ofitsialnaya-statistika/otrasli-statistiki/promyshlennost/operativnaya-informatsiya_12/o-
proizvodstve-promyshlennoi-produktsii/o-proizvodstve-promyshlennoi-produktsii-za-yanvar-aprel-2015-goda/.
7
http://belstat.gov.by/ofitsialnaya-statistika/otrasli-statistiki/naselenie/trud/operativnaya-informatsiya_8/o-zanyatosti-
naseleniya/o-zanyatosti-naseleniya-v-aprele-2015-g/. 8
http://belstat.gov.by/ofitsialnaya-statistika/otrasli-statistiki/naselenie/trud/operativnaya-informatsiya_8/o-nachislennoi-
srednei-zarabotnoi-plate-rabotnikov/o-nachislennoi-srednei-zarabotnoi-plate-rabotnikov-respubliki-belarus-v-mae-2015-
g/.
123,8 162,3
218
275 327,2
415,8
355,2
413 361,9
448
577,9 591,2
466
0
100
200
300
400
500
600
700
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
2015(Mai)
Der Durchschnittslohn in Belarus ($)
Der Durchschnittslohn
-
Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 5
Neu: Beschftigungssicherheit statt Lohnwachstum
Die Rhetorik der Vorwahlzeit ist so wegen der aktuellen
wirtschaftlichen Lage eine ganz andere als
sonst. Im Unterschied zu frheren Wahlkampagnen geht es in den
heutigen Reden Prsident Luka-
schenkos nicht um hhere Einkommen fr die Belarussen, sondern um
Beschftigungssicherung.
Zeugnis dafr sind auch neu eingefhrte Regeln fr die offiziellen
Gewerkschaften, deren Zustndig-
keit auf private Unternehmen ausgeweitet wurde. Damit sollen
Massenkndigungen nicht nur bei
staatlichen, sondern auch bei privaten Unternehmen
ausgeschlossen werden.
Die weitere wirtschaftliche Entwicklung liegt in der Hand der
Regierung. Deren Wirtschaftsblock
macht seine Sache verhltnismig gut. Einige Signale in den
Aussagen hoher Beamter knnten gar
ein Hinweis darauf sein, dass es nach der Prsidentschaftswahl zu
Reformen in einzelnen Wirtschafts-
zweigen kommt. Wenn aber die Regierung nach alter Manier zu
unbegrndeten Lohn- und Staatsaus-
gabenerhhungen greifen sollte und diese Mglichkeit ist ebenso
realistisch wird es mit der bela-
russischen Wirtschaft weiter abwrts gehen.
Protestpotential?
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die wirtschaftliche Situation
kurzfristig zu sozialen Protesten fhrt.
Vor dem Hintergrund der Krise in der Ukraine nimmt die
belarussische Gesellschaft jeglichen Straen-
protest erst einmal sehr negativ wahr. Laut Umfragen des
Meinungsforschungsinstitutes IISEPS vom
Mrz d.J. wren nur 15% der Befragten bereit, sich an
Protestaktionen gegen schlechtere wirtschaftli-
cher Zustnde in ihrer Stadt bzw. ihrem Bezirk zu beteiligen.
72,6% beantworteten die Frage nach
ihrer Protestbereitschaft negativ im Vergleich zu 22,9%
Protestwilligen und 68,3% Protestunwilli-
gen im Mrz 2014.9
Dafr beeinflusst die aktuelle Wirtschaftslage die Ratings des
Staatsprsidenten durchaus. Laut IISEPS
sanken die Zustimmungswerte der Belarussen fr ihren Prsidenten
von September 2014 also vor
der Dezember-Abwertung des Belarussischen Rubels bis Juni 2015
von 45,2% auf 38,6%.10
Innen- und Auenpolitik Wahlkampfthemen angesichts des
Ukraine-Konflikts
Die Ukraine-Krise ist zu einem der bestimmenden Aspekte der
belarussischen Innen- und Auenpolitik
geworden. Das spiegelt sich auch in der
Prsidentschaftswahlkampagne wider. Der (unbeabsichtigte)
Einfluss der Ukraine auf die belarussische Innenpolitik zeigt
sich in dreifacher Hinsicht: Erstens, Kor-
ruptionsbekmpfung wird betont; zweitens, der Sicherheitsaspekt,
also das Ausbleiben von Krieg im
eigenen Land, wird herausgestellt; und, drittens, die
belarussische Kultur wird vorsichtig akzentuiert
und verbreitet.
9 Die Unzufriedenheit der Belarussen mit der wirtschaftlichen
Lage wchst, die Bereitschaft zu protestieren fllt,
http://news.tut.by/society/442051.html. 10
http://iiseps.org/old/press3.html.
-
Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 6
Die drei Themen Korruptionsbekmpfung, politische Stabilitt und,
angesichts der schlechten wirt-
schaftlichen Lage, Beschftigungssicherung, drften ebenso
Prsident Lukaschenkos Wahlkampagne
dominieren.
Als Antwort auf den Sturz des Janukowytsch-Regimes und soziale
Unruhen in der Ukraine im Winter
2013-2014 bedient die Rhetorik der belarussischen Regierung
bereits seit dem letzten Jahr das Kor-
ruptionsthema, nachdem das hohe Niveau der Korruption in der
Ukraine als einer der wesentlichen
Grnde fr die Proteste dort verstanden wird. Im Rahmen der
aktivierten Antikorruptionskampagne
wurde in Belarus ein neues Gesetz zur Korruptionsbekmpfung
verabschiedet, zur Vervollstndigung
der Antikorruptionspolitik. Tatschlich fhrte es dazu, dass die
Zahl der wegen Korruptionsverdachts
Verhafteten stieg. Insgesamt widmet der Staat diesem Thema
deutlich mehr Aufmerksamkeit als zu-
vor. Dennoch nennen Befragte soziologischer Umfragen Korruption
nach wie vor als eines der gravie-
rendsten Probleme. In einer IISEPS-Studie von Mrz 2015 landete
die Korruption mit 23,1% auf Platz 5 auf der Liste der drngendsten
Probleme des Landes. Einer massiven Anti-Korruptions- und
einer begleitenden Medienkampagne zum Trotz verbesserte sich
dieser Faktor im Verlauf eines Jahres
nur um 0,7% (das Resultat 2014 war 23,8%).11
Der ausbleibende Erfolg drfte der Grund dafr sein,
dass das Korruptionsthema in der politischen Rhetorik nun
seltener vorkommt und den Platz an das
Thema Beschftigungssicherung abgegeben zu haben scheint.
Bezogen auf die Aufwertung belarussischer Kultur und Identitt
sind belarussische Politiker uerst
vorsichtig und beschrnken sich auf minimale nderungen. Erstens
frchten sie die negative Reaktion
seitens Russlands. Tatschlich haben manche russische Medien
bereits auf kleine Vernderungen in
diesem Bereich mit Artikeln ber die Unterdrckung
russischsprachiger Brger in Belarus reagiert.
Zweitens werden belarussische Kultur und Sprache gar nicht von
vielen Belarussen nachgefragt und
aktive Manahmen seitens des Staates in dieser Hinsicht knnten
auch negativ wahrgenommen wer-
den. Laut IISEPS-Umfragen von Mrz d.J. sind 14,5% der Befragten
fr das Belarussische als einzige
Staatssprache. 13,1% der Befragten stimmten fr Russisch, 48,3%
fr beide Sprachen nebeneinan-
der.12
Drittens ist die belarussische Regierung in der Durchfhrung
hnlicher Kampagnen nicht sehr
erfahren, denn in den vergangenen Jahren war eher der
gegenteilige Prozess zu beobachten.
Belarus auf der Suche nach dem eigenen Vorteil
Im Hinblick auf Vernderungen in der belarussischen Auenpolitik
spielte die Krise in der Ukraine eine
groe Rolle. Frher prgten sich wiederholende Trends jeden
Wahlprozess: in dem Mae, in dem die
Wahlen nher kamen, bemhte sich das offizielle Minsk, die
Beziehungen zu Europa und den USA zu
pflegen. Nach den Wahlen aber gingen alle Seiten zurck auf ihre
Ausgangsdistanz. Diese spezielle Art
der belarussischen Auenpolitik erhielt die Bezeichnung
Pendelpolitik.
Die aktuelle Situation unterscheidet sich dadurch, dass es fr
die belarussische Fhrung nun wichtig
zu sein scheint, sich die guten Beziehungen zum westlichen
Ausland auch nach den Wahlen zu be-
wahren. Natrlich bekommt die Wahlkampagne dadurch keinen
komplett demokratischen Charakter,
aber zumindest einige Bereiche erfahren eine Aufweichung etwa im
Hinblick darauf, dass durch die
11
http://www.iiseps.org/analitica/824. 12
http://iiseps.org/old/03-15-08.html.
-
Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 7
Unterschriftensammlungen der o.g. zahlreichen Kandidaten und
deren Wahlwerbung zumindest der
Anschein von mehr Vielfalt hergestellt wird.
In Anbetracht der aggressiven Auenpolitik Russlands ist das
offizielle Minsk einerseits bemht, die
Situation fr sich zu nutzen und in den Augen Brssels und
Washingtons maximal legitimiert zu er-
scheinen. Auf der anderen Seite verbirgt sich in den Absichten
der belarussischen Fhrung, die Bezie-
hungen zu EU und den USA zu verbessern, das heimliche Bemhen,
das eigene Land EU und USA als
vollwertigen Partner in der Region schmackhaft zu machen um
damit das Risiko hypothetisch mg-
licher Manipulationen seitens des Kremls zu mindern.
Um diese Ziele zu erreichen bemht sich die belarussische Fhrung,
einige grundlegende Instrumente
zu nutzen. Erstens sind das die im Rahmen der stlichen
Partnerschaft mglichen Mechanismen und
die Bemhung, die Beziehungen neu zu starten und pragmatischer
auszurichten etwa unter Zu-rckweisung der politischen Forderungen
der EU.
13 Zweitens versucht man sich in einem Dialog dort,
wo es Berhrungspunkte gibt, etwa in Sachen Bologna-Prozess,
Visa-Liberalisierung und grenzber-
schreitender Zusammenarbeit.
Fazit
Das offizielle Minsk steht momentan vor schwierigen
Herausforderungen, sowohl im wirtschaftlichen
als auch im politischen Bereich. Diese Schwierigkeiten werden
die belarussische Regierung dahin
drngen, die Beziehungen mit dem Westen schrittweise zu
normalisieren und gleichzeitig den Status
quo in der Beziehung zu Russland aufrechtzuerhalten. Bemhungen
der belarussischen Fhrung, sich
aus dem Spannungsfeld Russland-EU zu lsen, sind bislang
gescheitert. Zahlreiche Versuche von Prsident Lukaschenko, neue
auenpolitische Partner zu gewinnen, blieben bislang ohne
Resultat.
Infolgedessen wird die auenpolitische Schaukelpolitik zwischen
dem Kreml und der EU noch mehr an
Bedeutung gewinnen. Aber die ungnstige wirtschaftliche Lage kann
noch viel an diesen Bestrebun-
gen ndern. Sollte sie sich weiter verschlechtern, drfte die
belarussische Regierung ihre Auenpolitik
wieder deutlicher prorussisch ausrichten, denn ohne die
finanzielle Untersttzung Russlands ist das
Land nicht lebensfhig.
Mikita Bialiayeu ist Administrativdirektor und Experte der
Minsker Nichtregierungs-
organisation Liberaler Klub (www.liberalclub.biz).
bersetzung: Miriam Kosmehl, Projektleiterin Ukraine und
Belarus.
13
http://www.interfax.by/news/belarus/1182134.
-
Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 8
Impressum
Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)
Bereich Internationale Politik
Referat fr Querschnittsaufgaben
Karl-Marx-Strae 2
D-14482 Potsdam