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Review: PHILOSOPHISCHE MARGINALIEN ZU PROKLOS-TEXTEN Author(s): Werner Beierwaltes Review by: Werner Beierwaltes Source: Philosophische Rundschau, Vol. 10, No. 1/2 (1962), pp. 49-90Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/42570712Accessed: 27-02-2015 13:38 UTC

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 49

durchgehenden Zusammenhang dieses Denkens mit der philosophischen Überlieferung. Aber es ist offenbar gleichermaßen wahr, daß das meta- physische Denken bei Heidegger einer tiefgreifenden Verwandlung unter- zogen wird. Aber Verwandlung und Aneignung gehören hier unmittelbar zusammen.

Erst wenn es gelänge, dieses Zusammengehören als notwendig zu be- greifen, würde Heideggers V erwandlung des aristotelischen Denkens den Anschein des Willkürlichen verlieren. Das könnte aber nur geschehen durch eine Erörterung seiner Idee einer Seinsgeschichte, auf die seine Aristoteles -Interpretation kaum einen Hinweis enthält, es sei denn, man wollte bereits den Umstand, daß es für Heidegger doch offenbar ein außer- ordentlich schwieriges Problem ist, in ein positives Verhältnis zur Ge- schichte der Philosophie zu gelangen, als einen solchen Hinweis gelten lassen. Denn dann wäre seine ganze Interpretation erst unter dem Ge- sichtspunkt dieser Schwierigkeit zu verstehen.

So scheint es in der Tat zu sein. Dann aber wäre es nötig, seine Aristo- teles-Interpretation erneut durchzugehen im Hinblick auf ihre Schwierig- keiten.

K.-H. Iking (Kiel)

PHILOSOPHISCHE MARGINALIEN ZU PROKLOS-TEXTEN

I. Plato Latinus. Vol. III: Parmenides usque ad finem primae hypothesis nec non Prodi Commentarium in Parmenidem. Pars ultima adhuc inedita interprete Guillelmo de Moerbeka. Ediderunt, praefatione et adnotationibus instruxerunt Raymundus Klibansky et Carlotta Labowsky. In Aedibus Institūti Warburgiani, Londinii MCMLIII. XLII, 138 Seiten. Corpus Philosophorum Medii Aevi. Auspiciis Acad. Britannicae adiuvantibus Instituto Warburgiano Londinensi unitisque Academiis edidit Raymundus Klibansky.)

II. Helmut Boese : Die mittelalterliche Übersetzung der 2T0IXEIQ2I2 <PY2IKH des Proclus. Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für grie- chisch-römische Altertumskunde, Arbeitsgruppe für hellenistisch-römische Philo- sophie, Veröffentlichung Nr. 6, Berlin 1958. Akademie-Verlag, 56 S.

III. Procli Diadochi , Tria Opuscula (de Providentia , libertate, malo). Latine Gui- lelmo de Moerbeka vertente et graece ex Isaacii Sebastocratoris aliorumque scrip- tis collecta, ed. Helmut Boese (Quellen und Studien zur Geschichte der Philoso- phie, herausgegeben von Paul Wilpert, Band I), Berlin 1960. Walter de Gruyter, XXXI, 343 S.

IV. 1. Proclus Diadochus : Commentary on the First Alcibíades of Plato , Critical text and indices by L. G. Westerink , Amsterdam 1954. North-Holland Publishing Company, XI, 197 S.

4 Philosophische Rundschau 10 Heft 1/2

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50 Werner Beierwaltes

2. Olympiodorus : Commentary on the First Alcibíades of Plato. Critical text and indices by L. G. Westerink , Amsterdam 1956. North-Holland Publishing Company, XIV, 191 S. 5. Damascius: Lectures on the Philebus , wrongly attributed to Olympiodorus. Text, translation, notes and indices by L. G. Westerink , Amsterdam 1959. North- Holland Publishing Company, XXII, 149 S.

V. Procli Hymni ed. Ernestus Vogt (Klassisch -Philologische Studien herausgegeben von H.Herter und W. Schmid , Heft 18). Wiesbaden 1957. Otto Harrassowitz, 100 S.

VI. Hinweis auf entstehende Ausgaben.

I

Die Philosophie des Proklos wurde in den letzten Jahrzehnten vielfach, wenngleich nicht umfassend, in ihrer Wirkung auf Mittelalter und Re- naissance erforscht. Maßgebend war dabei meist die Frage nach den Quellen der betreffenden Autoren, die Unterscheidung von genuin plato- nischem und neuplatonischem Denken im Mittelalter, Wort- und Begriffs -

geschichte, die Methode der Übersetzung. Zuweilen aber gab die Sache der proklischen Philosophie selbst den Anstoß zur Forschung oder sie führte das Denken notwendig auf sie selbst zurück, da sie sich in einem neuen Aspekt zeigte. Dies geschah insbesondere durch den III. Band des Plato Latinus, der den platonischen Dialog Parmenides bis zum Ende der ersten Hypothesis und den Schluß des Parmenides -Kommentars des Prok- los enthält. Dieser ist uns ab Parmenides 141 e 10 nur in der hier zum erstenmal von Raymond Klibansky und Charlotte Labowsky edierten Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke überliefert1. Durch diese Aus- gabe wird nun neben der fragmentarischen Timaeus -Übersetzung des Chalcidius, dem Meno und Phaedo des Henricus Aristippus auch die Ge- stalt des Dialogs Parmenides deutlich, wie sie dem Mittelalter zugänglich war2.

Der Proklos -Text selbst bedürfte einer gründlichen philosophischen Interpretation sowohl in Hinblick auf seinen systematischen Ort im Den- ken des Proklos, als auch in Hinblick auf seine Wirkungsgeschichte 3. Den

1 Es erübrigt sich, hier auf die vorzügliche Editionsarbeit einzugehen, da diese bereits in zahlreichen Rezensionen gewürdigt wurde. Aus ihnen nenne ich als be- sonders lehrreich: W. Kluxen , diese Zeitschrift 4 (1956) 217-228 und H.-D. Saffrey O. P., DLZ 81 (1960) 622-630. 2 Uber die Interpretation des Parmenides in Mittelalter und Renaissance ver- gleiche: R. Klibansky , Platons Parmenides in the Middle Ages and the Renaissance , Mediaeval and Renaissance Studies 1 (1943) 281-330.

3 Hinweise hierzu finden sich in den Anmerkungen Klibansky s. Vergleiche ferner R. Klibansky , Ein Proklosfund und seine Bedeutung , Sitzungsberichte der Heidel- berger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse 1928/29, 5. Abhandlung, p. 12 sqq.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 5I

Grundriß einer solchen Interpretation, die zunächst nicht textimmanent verfahren, sondern eine Analyse der durch den Text gestellten Probleme geben soll, versuche ich im folgenden zu geben4.

Die Neuplatoniker hielten den Parmenides Piatons nicht für eine for- male Übung in der dialektischen Methode (loyixi) yvßvaola5) um ihrer selbst willen, die auch an einem anderen Gegenstand als an dem Einen hätte gezeigt werden können ; er galt ihnen vielmehr als die sublimste und differenzierteste Aussage über das Sein des Ursprungs selbst, als das ãòvxov der platonischen Philosophie6. „In den Liebhabern Platonsu nämlich „entzündet er das ganze und vollkommene Licht des theologischen Wissens." 7 Im eigentlichen Sinne aber ist diese Piaton -Interpretation nur Anlaß zur Darstellung des eigenen Systems 8. Insbesondere die erste Hypothesis des Dialogs begründet die Entfaltung des Weges zu dem „un- sagbaren und unerkennbaren und über allem Sein seienden" Ursprung9, der das Zentrum der neuplatonischen Gotteslehre ist10. Daher gewährt gerade der von Klibansky veröffentlichte Schlußteil des Parmenides - Kommentars Einsicht in die höchste Spekulation über den höchsten Ge- danken neuplatonischen Philosophierens.

Der Text gründet durchgängig auf der Unterscheidung des Einen als dem seienden Einen , das Prinzip der Einheit in der Mannigfaltigkeit von Seiendem ist (unum ens monas entium11), und dem Einen schlechthin , das, allem Sein zuvor seiend, Ursprung und Grund von Allem ist (auto- unum 12 , primissimum unum 13, exaltatum unum 14). Der von dem Einen

4 Eine ausführliche Interpretation dieses Textes hoffe ich in einer Untersuchung über die Methode des Proklos vorzulegen. 5 Proclus, Theol. Plat. I 9; 17, 43 (Portus). 8 Olympiodor, in Alcib. 11, 5 (Westerink). 7 Proclus, Theol. Plat. I 7; 16,31-35: xó ze oův xai oÂov xah zéheiov xf¡g ïïeo- Àoytxfjç èniozrniTiç qxòç ô IlaQfjisvCÔYjç àvújzzet xolç % ov ÎJXùtcùvoç tQaoxatç. 8 Klibansky, Proklos-Fund p. 11 faßt die neuplatonische Interpretation des Par- menides als „Theologisierung Platonischer Dialektik". Zur Geschichte dieser Um- formung des ursprünglichen platonischen Gedankens vgl. Proclus in Parm. 635 sqq. 1052-64. Theol. Plat. I 7 sqq; 16, 12 sqq. II 4; 93, 1 sqq. II 4; 107, 34 sqq. II 11; 114, 4 sqq. IV 35; 235 sqq. 37; 238 sqq. V 37; 326, 21 sqq. M. Wundt , Piatons Par- menides , Tübinger Beiträge zur Altertumswissenschaft, Stuttgart-Berlin 1935, p. 7 sqq gibt einen Überblick über die Geschichte der neuplatonischen Parmenides- Auslegung, deren metaphysische Methode er selbst zum Prinzip seiner eigenen Aus- legung macht. E. R. Dodds , The Parmenides of Plato and the origin of the neopla- tonic „One", Class. Quart. 22 (1928) 129-142. 9 Proclus Theol. Plat. I 10; 21, 47 sq: %ò cÍQQr)XOv xah äyvoozov xai mtvzòç èjiéxELva rov ovvoç àvv/Ltveív. 10 In Parm. 1060 sq.; 1069 sq. 11 34, 16. 12 36, 16: necesse ergo le autounum esse ante id quod simul cum ente unum.

13 34, 20. 14 36, 3.

4*

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52 Werner Beierwaltes

selbst ausgehende „Kreis des Ganzen" 15 kehrt durch die Vermittlung des seienden Einen aus der Vielfalt wieder in seine ursprüngliche, allem Sei- enden enthobene Einheit zurück: Per illud autem rursum mystice moven- tur ad id quod in ipso unum; deinde per hoc ad exaltatam ab entibus uni- tat em.

Im Zentrum der Reflexion über das Ende der ersten Hypothesis aber steht die Frage nach dem Wesen des Einen selbst und der Methode des Denkens, die an das Eine zu rühren vermag.

Das autounum ist der begrenzenden Beziehung von Etwas und Nichts 16

enthoben, da es weder Etwas noch schlechthin Nichts ist. Wäre es Etwas, so wäre es in sich und anderem gegenüber bestimmt, seine Grenzelosigkeit und absolute Einheit wäre vernichtet. Es wäre weniger als alles andere, indem es Etwas wäre. „Jegliches Etwas nämlich, das man dem Einen zufügte, ist etwas anderes außer dem Einen; wenn also das Eine etwas Anderes annimmt außer dem, was es selbst ist, wird es zu Etwas Einem anstelle des einfachhin Einen." 17 Das Etwas-Sein verursachte eine be- schränkende Unterschiedenheit in der Einfalt (simplicitas 18) oder Rein- heit (puritas 19) dessen, was das Eine selbst ist. Das Eine aber ist vor jeder Unterschiedenheit (ante differentiam 20) die Ununterschiedenheit in sich selbst. Hieraus kann einsichtig werden, warum das Eine als das „Nichts von Allem", nichil ens entium21, nullum ens omnium22 gedacht werden muß. Dieses Nicht-Sein des Einen meint jedoch nicht ein absolutes Nicht des Seins (nullatenus ens23) im Einen, so daß das Eine zum baren Nichts, zur vollkommenen Leere und dunklen Gestaltlosigkeit würde, vielmehr zeigt es die Erhabenheit (exaltatum) des Einen über jeglichem kategorial faßbaren Sein, welches selbst immer nur als Etwas gedacht werden kann. „Das Eine vor dem Sein ist nicht seiend, nicht jedoch Nichts; da es Eines ist, kann man es unmöglich Nichts nennen. Nicht -seiend wollen wir es daher nennen und denken, auf Grund des in uns Ähnlichen (auch in uns

15 34, 6 : totorum circulus. 1# 46, 15: aliquid . . . cui opponitur le nichil. 17 68, 2-4 : Et enim le ens aliquid omne quodcumque uni apponas aliud aliquid

est preter unum; le unum igitur aliud aliquid assumens, preter quod est, fit aliquid unum pro simpliciter uno.

« 40, 17. 19 68, 26. 20 36, 15. 21 52, 4. 22 68, 10. Uber das Eine als Nicht-Sein bei Proklos vgl. J. Trouillard , Un et Etre , Les Études Philosophiques 1960, 192 sq. Ferner: Plotin VI 7, 32, 12 sqq: oi)ÒBV oův tomo T(ùv ow(úV xaí Tcávta. Im Sinne des Ps. Dionysios Areopagita heißt es dann bei Joh. Scotus Eriugena, de div. nat. III 19, PL 122, 681 A: dum ergo incomprehensibilis intelligitur, per excellentiam nihilum non immerito voci- tatur.

2* 46, 13.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 53

nämlich ist ein Same jenes Nicht-Seienden)." 24 „Nicht-Seiend" ist somit als wesentliche Bestimmung des Einen ein Begriff der Grenze 25, die Aus- legung der Abstraktivität des Einen. Dies aber heißt: Das Eine ist Nichts, da es nicht Etwas, nicht Dieses oder Jenes ist. Es ist aber nicht Etwas, da es Ur-Sache von Allem ist: Le unum nullum ens omnium causa est omnium26. So nennt die „allgemeine Verneinung" zugleich das Nicht- Sein des Einen und seine Fülle, die sich in keinem Etwas begrenzt. Daher kann gesagt werden : Das Eine ist das Nicht-Sein des Etwas oder das Nichts des Etwas. Etwas aber ist alles, was das Eine nicht ist; so ist Etwas das Nicht -Sein oder das Nichts des Einen. Etwas gründet in Anderem, im Einen als seiner Ur-Sache; das Eine aber ist aus sich und in sich nur es selbst: ëv &QCL ļiovcūg xò ëv xò oiïv ëxegov aúxov õv oí)% ëv*7.

Die Dimensionen von Seiendem nach dem Einen selbst sind strukturiert durch die bewegenden Momente der Zweiheit : Gegensatz und Beziehung. Das Eine aber ist als das Nichts des kategorial Seienden „jedem Gegensatz entnommen, über jede Beziehung hinaus entfaltet, frei von jeder Zwei- heit"28. Oder wie es im lateinischen Teil des Kommentars heißt: „Auf

24 In Parm. 1082, 6-10: xò òè aö tcqò xov õvxoç ëv ¡mi] õv ļiev ëoxtv, oí) fjiévx öl Kai ovôév ëv yàg õv àòvvaxov cvbxò Xèyeiv oi)òév. ļii) õv ofiv ai)xó (pm fxev xai voãfiev x<p èv rffiiv ó/LtoCq) (xai yàg èv fļļxtv evi xl ojièg^ia ènetvov xov fii) õvxoç), 25 cf. Mar. Vict. ad Candi dum 8, 11-14 (ed. Henry -Hadot) : ergo xò fJLY) òv veluti exterminatio xov õvxoç est. Exterminatio autem infiguratum quiddam est, sed tarnen est, non tarnen sicut õv est.

2« 68, 10. 27 In Parm. 1180, 22 sq. 28 In Parm. 1076,35 sqq: m îorjç yàg é^gr^xat xò êv àvxiiïéoecùç, náor¡g vnegiiTclcùxai oxêoecdç, ícáorjç ôváôoç xa&agevec. Wilhelm von Moerbeke über- setzt diese Stelle so (Cod. Cus. 186, fol. 103 r; vgl. Klibansky , Plato Latinus III 97): ab omni enim exaltatum est le unum oppositione, super omnem habitudinem super- expansum est, supra omnem dualitatem purum est. Diese und ähnliche Stellen (vgl. die nächste Anm.) waren für Nicolaus Cusanus der Ansatzpunkt für seine Lehre der coincidentia oppositorum {Klibansky y Proklos-Fund 28, Plato Latinus III 97). Dies zeigen seine Randnotizen (Cod. Cus. 186, fol. 149 v = Marg. 24, Appendix Plato Latinus III 106). Vgl. ferner: fol. 103 r: unum (causa) omnium simpliciter quod autem omnium opposi cionum causa ipsum ad nichil opponitur. fol. 115 r: oportet ante omnem opposicionem esse unum, alias non esset omnium causa. Der wesentliche Unterschied zwischen Proklos und Cusanus unter der Rücksicht dieses Problems aber ist der, daß Cusanus das zuhöchst Seiende nicht als absolute Rela- tionslosigkeit (ev) und deshalb als über jeglichen Gegensatz erhaben begreift. Gott ist vielmehr als Dreieinigkeit die seiende Relation seines Wesens und hat als solcher die Gegensätze in sich aufgehoben, wobei diesen nicht, wie in der Dimension der Veränderlichkeit und Comparabilität, Widersprüchlichkeit innewohnt. P. Wilpert erläutert in seiner Abhandlung „ Das Problem der coincidentia oppositorum in der Philosophie des Nikolaus von Cues u (in: Humanismus, Mystik und Kunst in der

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54 Werner Beierwaltes

Grund seiner Einfaltigkeit ist (das Eine) über jeglichen Gegensatz und jegliche Negation erhaben." 29

Daher kann alles, was von Seiendem gesagt wird, von dem Einen nicht gesagt werden: es ist weder selbig mit sich selbst, noch von sich selbst verschieden, noch verschieden zu anderem, weder ähnlich noch unähnlich, weder Ganzes noch Teil, weder älter noch jünger als es selbst, weder be- wegt noch unbewegt, weder Gestalt noch Ungestalt, es hat weder Anfang, Mitte noch Ende, es hat auch nicht teil an Zeit und Ewigkeit, Substanz und Wesen30.

Die Weise aber, wie das Denken die Dimension der Differenz über- windet und in die Nähe des Grundes dieser Differenz gelangt, der selbst ante differentiam ist, ist die negative Dialektik . Diese sucht zuerst das zu erkennen, was das Eine nicht ist. Ihr Ziel ist, die simplicitas des Einen sichtbar werden zu lassen, indem sie das aus diesem entsprungene Seiende dem Einen abspricht.

„Diese ganze dialektische Methode, die in Negationen verfährt, führt uns näm- lich gleichsam zu dem Vorhof des Einen, indem sie alles Niedrigere wegnimmt und Welt des Mittelalters, ed. J. Koch, Leiden-Köln 1953, 39-55) diesen Begriff an Hand des Grundtextes in de docta ignorantia I 4 und einer Randnotiz des Cusanus zum Parmenides-Kommentar (Cod. Cus. 186, fol. 114 r), in dem sich das Problem stellt: „Warum kann Gott trotz seiner Unendlichkeit das Maß von Allem (mensura omnium) sein?" (p. 53) Leitend für die Untersuchung bleibt zurecht das der neu- platonischen Tradition (a) und das dem Cusanischen Denken (b) entspringende Mo- ment in der Lehre von der coincidentia oppositorum ( (a) Gott ist über die Gegen- sätze erhaben, (b) Gott ist die Einheit der Gegensätze), wenngleich beide nicht durchgängig scharf faßbar sind, was sich in der Exposition des Problems zeigt (p. 40 sqq).

Über die Beziehung Proklos-Cusanus vergleiche: R. Klibansky , The Continuity of the Platonic Tradition , London 19502, passim. Idem, Proklos-Fund p. 25 sqq. Plato Latinus III 103 sqq. Philosophy in the Mid-Century , Florenz 1959, 91 sq. Sehr aufschlußreich für diese Frage sind die Erläuterungen J. Kochs zu Cusanus, De principio (Schriften des Nikolaus von Cues, Uber den Ursprung, Heidelberg 1949, 69 sqq) und Paul Wilperts zu Cusanus, De non aliud (Nicolai de Cusa Opera omnia, Directio speculantis seu de non aliud, ed. L. Baur et P. Wilpert, Leipzig 1944, und: Schriften des Nikolaus von Cues, Vom Nichtandern, übersetzt u. mit Einführung und Anmerkungen versehen von P. Wilpert, Hamburg 1952). Vgl. ferner J. Koch , Piatonismus im Mittelalter , Krefeld 1948, 32 sqq. M. de Gandillac , Nikolaus von Cues , Düsseldorf 1953, passim. Ein wesentlicher Beitrag zur Erhellung des Einflus- ses insbesondere der Theologia Piatonis und des Parmenides-Kommentars auf die Cusanische Philosophie wird die Veröffentlichung der Marginalien des Cusanus zu diesen beiden Werken sein (Cod. Cus. 185 und 186), die von R. Klibansky vorbereitet wird (vgl. Bericht zur Cusanus-Forschung in PhR. VIII, S. 171 ff. und X, S. 90 ff. Anm. d. Red.).

29 70, 9 sq: sed exaltatum est propter simplicitatem ab omni oppositione et omni negatione. so Vgl. 66, 28 sqq.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 55

durch diese Wegnahme die Hindernisse der Schau des Einen löst, wenn man dies sagen kann." 31

Die negative Dialektik ist also eine Weise der Reduktion und Abstrak- tion, die durch die Entfernung von der Unterscheidung dem über allem Negierten seienden Einen am nächsten kommt. Das negierende Denken führt jedoch nicht vom Etwas zum Nichts der Leere, sondern es abstrahiert von der Vielfalt des Etwas, um in die Sphäre der einfaltigen Fülle des Einen Ursprungs zu gelangen.

In der Dimension der Differenz trifft die Negation die Sache selbst, die sie meint82, sie selbst ist wahr, ihr Widerspruch aber falsch, sie hat in sich die Mächtigkeit der Negation, die Positives zu „erzeugen" vermag. In der Sphäre des Einen hingegen trifft Negation nicht die 'Sache, die ihr eigent- liches Ziel ist. Sie führt das Denken nur in dessen Nähe. Sie nimmt sich auch nicht in die Affirmation zurück, sondern hebt sich auf der Spitze ihrer Möglichkeit selbst auf : Ultima negatio uni apposita fert et abnegatio - nes generativas ab ipso 83. So ist die Negation zwar die angemessenste Weise der Hinführung (preparatio 34), vermag jedoch die puritas des Einen nicht so wie sie in sich ist35 zu fassen. „Jegliche Wahrheit ist in ihm, es selbst aber ist besser als jegliche Wahrheit." 88 Dies heißt: alles Wahre ist nur durch das Eine wahr, es selbst aber ist nicht wie alles seiende Wahre denkbar und erkennbar. Aussagen über das Eine sind somit weder in positiver noch in negativer Aussage wahr37. Daher hat auch Piaton im Parmenides zu Recht durch Negation die „Negationen vom Einen entfernt": ipsas abnegationes removit ab uno88.

So kann das Eine nicht so, wie es ist, erkannt werden, und auch nicht direkt, sondern nur analog, im umkreisenden Denken, ausgesagt werden 39. In seinem Wesen ist es weder den Sinnen (non sensibile), noch der Mei- nung (non opinabile), noch dem Wissen (non scibile40) zugänglich; es ist unerkennbar (incognoscibile) und deshalb auch unsagbar (indicibile41) oder unnennbar (non nominabile42). Der Name nämlich oder das Wort einer Sache kommt mit dem Sein der Sache überein, es ist dessen Bild im Denken43. Daher ist es dem Maß der Sache als seiner Natur angemessen

31 74, 15-18: Ad ea quidem enim que velut preianualia unius deducet utique nos que per abnegationes hec tota dialéctica metodus, auferens omnia inferiora et per ablationem solvens impedimenta speculationis illius, si possibile dicere.

32 68, 18. 33 72, 27 sq. 34 74, 29. 35 70, 31 sq. s# 70, 31 sq: Et enim Veritas omnis in ipso; melius autem ipsum omni veritate. 37 72, 4 sq. 88 72, 1. Vgl. ferner 74, 14. 76, 6. 39 Vgl. den Unterschied der „abnegatio circa rem", jedoch „de uno": 68, 18 sqq;

70, 5 sqq. 4<> 48,6 sqq. 41 46,23. 42 60,15 sqq. 43 52, 9 sq.

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56 Werner Beierwaltes

(commensurabile, conveniens44). Wenn man nun den Grund und Ur- sprung von Allem benennen will, so ist ihm zwar am ehesten der Name „das Eine" oder „das Gute" angemessen, da Einheit und Gutheit alles Seiende durchgängig bestimmen und bewahren. Allerdings vermögen auch diese Namen sein Wesen nicht offensichtig zu machen (manifestare45), vielmehr ist der in der Dimension der Differenz gesprochene Name der Sphäre des Ursprungs immer unähnlicher als er ihr ähnlich ist (dissi - militer illud imitans46). So ist das Eine im eigentlichen, d.h. in dem seinem Wesen angemessenen Sinne nicht nennbar, es ist vielmehr auch der Dimension der Sprache und des Dialogs enthoben: ultra nomen omne47.

Was aber benennen wir, wenn wir das Eine nennen? Wenn der Name aEv auch nicht das Wesen des Einen, so wie es ganz in sich selbst ist (tota- liter48), zu fassen vermag, so nennt er doch den in uns seienden Begriff des Einen: Aut non illud vocamus sie nominantes, sed earn que in nobis intelli- gentiam unius49. Der „Begriff des Einen in uns" ist die reflexive Vor- läufigkeit des selbst nicht reflexiven Prinzips im Akt des Denkens. Das sich selbst denkende Denken wird sich seines eigenen Grundes und Ur- sprungs bewußt, indem es im Rückgang aus der Vielfalt des Seienden50 auf sich selbst des „Einen in uns" (in nobis unum51) gewahr wird. Die Wirklichkeit (operatio 52) oder das Wirken dieses Einen in uns zeigt sich in der allem Seienden innewohnenden Sehnsucht (èôiç5Z) nach dem Einen selbst. Sie ist als die „unauslöschliche Liebe zum Einen" 54 sowohl das initiierende Moment im Denken, daß es sich selbst, d. h. seinen Grund erkenne, als auch das in der negierenden Dialektik des Denkens durch -

44 52, 3 sqq. 45 60, 18. 4« 60, 18. 60, 17. « 54^ 3. 49 54, 4 sq. 56, 2 sq: ... apud nos de primo conceptum . . . 56, 17. 70, 7: qui in nobis conceptus. 60 58,50: seponere anime multitudinem.

51 Vgl. z. B. 54, 13. 62, 25. Der Begriff des ,unum in nobis4 wurde insbesondere für Meister Eckhart bedeutsam. Er muß wohl direkt auf Proklos zurückgehen, da bisher keine andere Quelle für ihn gefunden werden konnte (J. Koch , Piatonismus im Mittelalter , Krefeld 1948, 31). Allerdings bleibt unklar, ob Eckhart dieser Begriff aus der Schrift de Providentia et fato oder aus dem Parmenideskommentar bekannt wurde. Die These, daß Eckhart weder die Elementatio theologica kannte, da er nur das aus ihr zitierte, was auch im Kommentar des Thomas zu finden ist, noch den Parmenides-Kommentar gelesen hat, da seine Lehre der negatio negationis sachlich nicht mit dem proklischen „per negari removere abnegationes" übereinstimmte (Koch, 1. c. p. 30, dagegen Klibans) cj, Proklos-Fund p. 12), scheint mir eine grundsätzliche Überlegung zu diesem Thema notwendig zu machen, was ich in der Anm. 4 zitierten Arbeit versuche.

52 54, 11. 53 Zu diesem Terminus vgl. Klibansky , Plato Latinus III 87. 64 54, 21 : amor unius inextinguibilis.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 57

haltende Prinzip, das schließlich die Dialektik zur Aufhebung ihrer selbst in der exovaoiç führt. So ist das im Denken als Vorläufigkeit des Einen selbst reflexiv werdende Eine Grund der Gelichtetheit des Denkens: illu- strati anime55, claritas 56. Sich aus dem lichten Grund des Denkens aber dem Ur-Grund selbst zuzuwenden, ist der das Wesen des Menschen voll- ziehende Akt des Philosophierens57.

Daher kann der „Begriff des Einen in uns" gefaßt werden als das denkende und gedachte Gestalt gewordene Eine, als Entwurf (provolem) und Ausdruck (expressionem) des Einen in uns: hanc igitur intrinsecam unius intelligentiam, provolem entern eius quod in nobis unius et velut expressionem58. Entwurf und Ausdruck aber meint nicht eine willkür- liche Setzung des Denkens, sondern den mit dem im Denken seienden Sein des Einen identischen Gedanken, der als Idee im Denken erkennbar ist und sich aus dem „schweigenden" Begriff in den „ausgesprochenen" (sprechen- den) Begriff 59 überführt.

Der Name „das Eine" also nennt den in uns zur Sprache gebrachten Begriff des Einen, da er das Eine selbst nicht zu begreifen vermag60. So bezieht sich auch die Negation der negativen Dialektik auf das Eine in uns. Nur auf diese Weise ist sie einer analogen Aussage über das Eine selbst fähig: sic utique dieimus, quod et abnegatio circa hunc (seil, con- ceptum) est, circa illud autem unum nulla est dictarum abnegativarum conclusionum ; sed exaltatum est propter simplicitatem ab omni oppositione et omni negatione 81 .

Daher kann von dem Begriff des Einen in uns gesagt werden: er ist die Vorläufigkeit des unnennbaren Einen im Denken in der Weise der Nenn- barkeit dessen, was das Eine nicht ist.

Diesen Begriff in uns zu denken und als analoge Aussage über das Eine selbst zur Sprache zu bringen, ist ein wesentliches Moment im Aufstieg der Seele zu dem Einen. Je intensiver sie ihres eigenen Grundes bewußt wird, je angemessener sie das Eine in sich denkt, um so mehr wird sie selbst eins und einfach. Solum autem unio nos adducit uni 62.

„Zu dem unbegreifbaren Uberragen des Einen aufsteigend wird die Seele in der Sehnsucht nach der Natur des Einen zu ihm hin getragen, sie umkreist es und wünscht es zu umfangen und in höchster Liebe vollkommen bei ihm zu sein, und eint sich mit ihm, soweit sie es vermag, und befreit sich von jeglicher Vielfalt in ihr selbst, so daß sie in gewisser Weise vollkommen eins wird." 63

55 48, 15. 56 58,20. 57 58, 18 sqq. 58 54, 12 sq. 59 54, 23 sq: tacita - elocutionalis intelligentia. 60 70, 7 sq: ... quod nomen hoc, scilicet (unum), est eius qui in nobis conceptus, sed non ipsius unius. 61 70, 7-9. 82 46, 8. 83 44? 32-46, 3: Ad incomprehensibilem autem super eminenti am unius ascendens

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58 Werner Beierwaltes

Die Sehnsucht nach dem Einen ist das bewegende Moment im Über- stieg der Seele über sich selbst, dessen Ziel die Befreiung von der Dialek- tik selbst ist64, wodurch sie erst mit dem Einen selbst in der Aufhebung der Beziehung von Denken und Gedachtem, Name und Benanntem, Stre- ben und Erstrebtem ganz eins zu werden vermag. Wenn sie sich selbst als denkende Seele überschritten hat, fragt sie nicht mehr, was das Eine nicht ist oder ist, sie „schließt sich (vielmehr) gänzlich ab und sammelt all ihre Wirkkraft und ist mit der Einung allein zufrieden" 65 . So geht das Wort der Dialektik in das Schweigen der Einung über66. „Stumm und schwei- gend ist (die Seele) geworden in einem inneren Schweigen." 67 Ebenso- wenig wie das Eine dadurch, daß von ihm noch nicht einmal Sein und Wesen ausgesagt werden können, als absolute Leere zu denken ist, so ist auch die Unerkennbarkeit oder Unnennbarkeit des Einen und die Auf- hebung von Denken und Rede in das Schweigen nicht in einem Agnostizis- mus oder Irrationalismus begründet. Es wird vielmehr dadurch die abso- lute Incommensurabilität des Einen selbst deutlich 68 : es ist weder mensch- lichem noch göttlichem Denken zugänglich, nicht weil es alles aus ihm Seiende schlechterdings nicht ist, sondern weil es über diesem, in erha- bener Weise als Grund und Ursprung von allem all dies ist, was es nicht ist.

Eine gründliche Interpretation dieses Textes, in dem sich die Speku- lation des Proklos über das Eine vollendet, hätte sich unter den Problem - und Sachhorizont des neuplatonischen Philosophierens vor Proklos zu stellen und hätte das hier Gesagte aus dem Gesamtwerk des Proklos, ins- besondere aus der Entwicklung des Gedankens der Abstraktion und Nega- tion im Parmenides- Kommentar und in der Theologia Piatonis auf seinen Ursprung und seine Begründung zurückzuführen.

Das Verständnis der proklischen Philosophie ist durch die Herausgabe dieses Textes wesentlich gefördert worden, da er in nuce die differenzierte Problematik des Einen enthält und den Sinn des „Begriffes des Einen in uns" deutlich macht.

desiderio quidem nature illius fertur ad ipsum, circumcurrens ipsum et amplecti volens et summo amore ipsi adesse perfecte volens, et secundum posse uniens et omnem sui ipsius purgans multitudinem, ut aliqualiter una per fiei atur.

84 74, 28 sq: et in hiis oportet purgari ab omni dialéctica operatione. •5 74, 8 sq: ... omniquoque claudentem et omnem operationem contrahentem et contentam unione solum. Vgl. auch 76, 1 sq. 56 76, 6: Silentio autem conclusit earn que de ipso theoriam.

97 de prov. et fato 31, 12 (Boese): muta facta et silens intrinseco silentio. 88 52, 6-8 : Commensurabile ergo nihil est ipsi neque nature conveniens ñeque

comparabile eorum que post ipsum.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Textcn 59

II

Neben der Elementatio theologica in der Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke", die allerdings noch einer kritischen, auf der Vielzahl der Handschriften gründenden Edition bedürfte, ist nun auch die Elemcn- tatio physica in einer sehr umsichtigen, von Helmut Boese besorgten Aus- gabe zugänglich.

Die Elementatio physica stellt in euklidischer Methode das Wesen der Veränderung dar, wie es von Aristoteles in den Büchern VI und VIII der Physik und im Buch Über den Himmel entfaltet wurde. Dabei sind aber die einzelnen Propositionen nicht als eine Auslegung des Aristoteles zu fassen, sondern als selbständige Beweise eines aristotelischen Grundsatzes. Es stellen sich die Probleme des Continuums ( ovvE%éç ), der infinitesimalen Teilbarkeit des Continuums, ferner die Frage nach dem Verhältnis von Continuum und Relation, nach der Grundlegung der Zeit als Maß der Veränderlichkeit des Seienden, nach der unendlichen Teilbarkeit von Veränderung, Größe und Zeit. Dabei zeigt sich als konstitutives Element von Zeit das Jetzt , das in der Vergangenheit und in der Zukunft selbig ist, unteilbar und unveränderlich. - Das zweite Buch, das im wesentlichen den Begriff des physikalischen Körpers, die Weisen der Veränderung, ins- besondere der O rtsve ränderung behandeln sollte, gibt lediglich eine kurze Abhandlung über die Kreisbewegung. Die Kreisbewegung ist einfach, weil sie eine in sich ununterschiedene Einheit ist. Während die gerade Bewegung in sich gegensätzlich ist, hat die Kreisbewegung jeden Gegen- satz in sich aufgehoben, da in ihr Anfang und Ende selbig sind. Sie ist daher auch nicht mit der geraden und spiraligen Bewegung als identisch zu setzen. Das im Kreis Bewegte hat weder an Schwere noch an Leichtig- keit teil, da es sich nie zur Mitte hin oder von der Mitte weg bewegt.

Die lateinische Übersetzung der Elementatio physica ist bedeutsam als einer der Wege, auf denen die aristotelische Physik dem Abendland vermittelt wurde (Boese p. 6). Boese beschreibt p. 7 ff. die sieben Handschriften der lateinischen Textüber- lieferung. Dabei zeigt sich auch der Wert der lateinischen Übersetzung für die Kri- tik des griechischen Textes. Zwar ist die Vorlage der Übersetzung offenbar fehler- hafter als der etwa gleichaltrige griechische Codex Harleianus 5685, jedoch ist sie nahezu ohne Lücke (15). Dies gab dem Herausgeber die Möglichkeit, durch Rück- übersetzung des lateinischen Textes den originalen Wortlaut des griechischen Textes an einigen Stellen zu erschließen (14).

Der Name des Ubersetzers ist unbekannt. Seine Person aber kann mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Ubersetzer der Syntaxis des Ptolemaeus identisch ge- setzt werden, was aus dessen Vorrede zur Ubersetzung der Syntaxis deutlich wird

89 Procli Elementatio Theologica translata a Guilelmo de Moerheke (Textus ineditus) ed. C. Vansteenkiste , Tijdschrift voor Philosophie 15 (1951) 265-502; 491-551.

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60 Werner Beierwaltes

(16). Dort sagt er von sich selbst: . . grecis ego litteris diligentissime preinstructus, primo quidem in Euclidis Dedomenis, Opticis et Catoptricis Phisicaque Prodi Ele- mentatione prelusi. Dehinc vero prefatum Ptolomei aggressus opus . . . latine dedi orationi." So ist die Proklos-Ubersetzung eine der Vorübungen zur Syntaxis. Daß die Ubersetzung der Elementatio physica und der Syntaxis vom selben Autor stammt, konnte Boese durch einen Vergleich der Ubersetzungstechnik einsichtig machen, die sich bei beiden Werken in ihren Prinzipien weitgehend entspricht (17 sq).

Als terminus ante quem der Entstehung der Übersetzung ergibt sich das Jahr 1 162, in dem Henricus Aristippus starb. Durch ihn nämlich, der von einer Gesandtschaftsreise aus Byzanz zurückgekehrt war, wurde dem Übersetzer der Text der Syntaxis zugänglich. Obwohl die Reise des Ari- stippus nicht eindeutig zu datieren ist, dürfte wohl 1 160 als Entstehungs- jahr der Übersetzung zurecht angenommen werden70. Die lateinische Übersetzung der Elementatio physica existiert also bereits 100 Jahre früher als die der Elementatio theologica (1268).

Die Einflußsphäre dieser Ubersetzung in Mittelalter und Renaissance war aller- dings im Vergleich zur Elementatio theologica sehr beschränkt. Berthold von Moos- burg71 besaß eine Handschrift der Elementatio physica. Er unterscheidet die Ele- mentatio physica deutlich von der Elementatio theologica in der Auslegung dieses Titels, die er seinem Kommentar voranstellt. Die Erläuterung von Elementatio theo- logica prop. 50 72 macht offensichtig, daß Berthold die Einteilung der Elementatio physica in zwei Teile erkannte und daß ihm das Verhältnis der in dieser Schrift dargestellten Sache zur aristotelischen Physik bewußt war.

Boese weist noch auf einen anonymen Text73 hin, der die Propositionen der Elementatio physica (in derselben Reihenfolge) zum Ansatz einer eigenständigen Entwicklung der Beweise nimmt, so daß man in diesem Werk allerdings weder einen Kommentar zum sechsten Buch der aristotelischen Physik, noch einen Kom- mentar zu Proklos sehen kann.

Die Ansicht M. Grabmanns 74, daß Dionysius Ryckel der Kartäuser einen Kommentar zur Elementatio physica des Proklos geschrieben habe, erweist sich als nicht haltbar. Die Annahme eines solchen Titels dürfte auf einer irrtümlichen Auflösung der Kürzung in physica statt philoso -

phica75 entstanden sein. Die Elementatio philosophica seu Compendium philosophiae Ryckels aber ist ebenso wenig ein Kommentar zu Proklos wie

70 Näheres hierüber siehe bei Ch. H. Haskins , Studies in the History of mediae- val science , Cambridge (Mass.) 1924, 160 sq. 71 Uber die Beziehung des Berthold von Moosburg zu Proklos vgl. unten. S. 75, Anm. 191.

72 Cod. Vat. lat. 2192, fol. 99 v. Boese 21. 73 Cod. Vat. Reg. lat. 1382, fol. 57 r sqq. Boese 22. 74 Die Proklosübersetzungen des Wilhelm von Moerheke und ihre Verwertung

in der lateinischen Literatur des Mittelalters , in: Mittelalterliches Geistesleben II, München 1936, 411-423, insbes. 422.

75 Boese 22.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 51

seine Elementatio theologica seu Compendium theologiae 76. Letzteres Werk hat mit Proklos nur den Titel gemeinsam.

Da die Bedeutung des proklischen Denkens für die philosophische Implikation der Theologie des Dionysius noch kaum erforscht ist, seien hier die wesentlichen Aspekte als Grundlage weiterer Untersuchungen gezeigt.

Proklos ist für Ryckel einer der subtilsten Philosophen, Zeuge für das hohe Maß von Fähigkeit der natürlichen Vernunft, Wahrheit zu begrei- fen. An Autorität ist er Piaton, Aristoteles und den arabischen Philoso- phen zumindest gleich. Von den Werken des Proklos kennt Ryckel offen- bar nur die Elementatio theologica (in der Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke), diese aber aus eigenem Studium, da nicht nur die von Thomas in seinem Kommentar zum Liber de causis angeführten Propositionen zitiert werden.

Einige metaphysische Sätze des Proklos werden bei Ryckel zum Her- meneuticum für das Verhältnis von Ursprung und Entsprungenem (a), für die Struktur des Ursprungs selbst (b) und für die Methode des Philoso- phierens (c).

(a) Aus dem Horizont proklischen Denkens heraus wird alles Seiende auf eine erste in sich seiende Ursache zurückgeführt, die das höchste Gut selbst ist77. Das Verhältnis des Ursprungs zum Entsprungenen ist das einer ontologisch gefaßten Kausalität. Die Bewegung dieser Kausalität ist der Kreis von Verharren, Hervorgang und Rückkehr. Der Akt des Verursachens ist nicht auf ein einmaliges Jetzt beschränkt, sondern „er bringt die Dinge unaufhörlich hervor, auf Grund des unaufhörlichen Einflusses seines Bewahrens und der nicht endenden Abhängigkeit der Dinge" 78. Wesentlich für die Auslegung der Ursächlichkeit von Welt wird der Satz des Proklos: „Alles Verursachte verharrt in seiner Ursache und geht aus ihr hervor und kehrt in sie zurück." 79 Die Ursache bleibt unver- mindert sie selbst, auch wenn sie das Verursachte aus ihr hervorgehen läßt. Das Verursachte aber ist nur dadurch es selbst, daß es den Grund seines Außer-der-Ursache-Seins gerade in der Ursache selbst hat: die Ursache bewahrt (conservât) es in ihr selbst als Verursachtes. Die Rückkehr des Verursachten in die Ursache geschieht auf Grund der im Verursachten wirkenden Mächtigkeit der Ursache: per similitudinem80. So ist der Prozeß dieser Kausalität trotz der Vielfalt des Seienden eine in sich geschlossene

76 Dionysii Cartusiani opera omnia tom. XXXIII, Tournay 1907. 77 I 10 D; IX 103 D. ™ XII 565 A. 7» XXVI 504 D: omne causatum manet in sua causa et procedit ab ea et ad ipsam convertitur. cf. XVI 155 D. Proclus, Elementatio theologica 55. so XXVI 504 D. XV 224 A; 265 BC. XLI 159. Proci. Elem. theol. 32.

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52 Werner Beierwaltes

Einheit und Ganzheit. Prinzip dieser Einheit aber ist der Eine Ursprung selbst81. Daher kann im Sinne des Proklos gesagt werden:

„Die Gründe des Seienden . . . sind miteinander verbunden und geeint und zu- sammengeordnet durch die Eine allgemeine Verhaltensweise und Beziehung aller auf das Eine Prinzip und das Eine Ziel." 82

Die Welt wird deshalb als Einheit des Verursachten begriffen, die ihr Sein aus dem Geist hat: Totus mundus ab intellectu substantiam habet; etsi perpetuus sit, non propter hoc non procedit ab intellectu, sed et proce- dit semper et conversus est semper, et perpetuus secundum essentiam et insolubilis secundum ordinem83.

(b) Gott als der Ursprung der in sich vielfältigen Einheit von Welt ist Einheit schlechthin. Das aus ihm Entsprungene aber vermag er zu einen, indem er als die Gutheit schlechthin das Um-willen jeder Bewegung, das Zentrum des ihm entsprungenen Kreises selbst ist. (Bonum est unitivum participantium ipso84.) So ist der Ursprung die absolute Identität von Einheit und Gutheit85. Der Akt des Einens (unitivum) gründet in seiner Gutheit, durch die er alles Seiende als Eines bewahrt (salvativum). Das Gute schlechthin aber vermag er nur als das schlechthinnige Eine zu sein. Diese seine Einheit ist die integre Einfalt aller Wesensmomente in ihm:

„Die Einfalt Gottes ist seine vollkommenste und reine Einheit . . die Einfalt der Wirklichkeit, die jedwede Möglichkeit ausschließt, wie die Einfalt der Materie die Einfalt der Möglichkeit ist, die der ganzen Wirklichkeit unteilhaft ist. Daher bezeugt Proklos: Jene ist die Einfalt der Vollkommenheit, diese der Unvollkom- menheit." 86

Da in Gott weder eine begrenzende Möglichkeit (potentia limitans), noch eine einschränkende Unterschiedenheit (differentia contrahens) ist 87, erweist sich die Einfalt als Unveränderlichkeit eines Wesens, das Wirk- lichkeit einfachliin ist.

Auch in der Aussage über Gott als der Mächtigkeit schlechthin (virtus virtutum), die Nichts von allem (nec aliquid entium) Seienden ist, viel- mehr allem Seienden in unvergleichlicher Weise enthoben ist (super omnia

81 XVI 224 C: unitas namque habet rationem principii. 82 XVI 224 C : rationes entium . . . sunt invicem connexae et counitae ac co- ordinatae per unam generálem omnium habitudinem et relationem ad unum prin- cipium unumque finem.

83 XII 565 B. cf. Proci. Elem. theol. 34. cf. XIX 386 C. XXXIII 379 A. XVI 135 C. cf. Proci. Elem. theol. 13. XXXVI 600 AB.

85 XXXVI 600 AB (Proci. Elem. theol. 13.): omnis unitio bonum, et bonum uni idem. Bonum enim est salvativum omnium entium. Quod autem salvativum et con- tentivum est substantiae singulorum, est ipsum unum: uno enim salvantur omnia, et dispersio exire facit unumquodque a propria substantia.

8« XVI 231 B. 87 XIII 564 B . . . Proclus subtilissime probat hoc.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 55

entia . . . incomparabiliter superexaltatus 88) und deshalb in seinem Wesen weder begriffen, noch erkannt, noch ausgesagt zu werden vermag89, geht Ryckel insbesondere auf prop. 121 und 123 der Elementatio theologica des Proklos zurück. Allerdings werden gerade hier die Grenzen der Pro- klos- Interpretation Ryckels sichtbar. Die Aussage des Proklos-Textes wird zumeist als ein starres Philosophem genommen, das dann auf einen theologischen Sachverhalt „übertragen" wird, ohne daß dabei die Dimen- sion der Aussage innerhalb des hierarchischen Systems des Proklos reflex würde. Daher wird gerade an den Stellen, an denen Proklos herangezogen wird, insbesondere der Unterschied zwischen dem in sich relationslosen Einen des Proklos und dem absolut einfaltigen und dennoch dreifaltigen Gott der christlichen Theologie nur in sehr geringem Maße deutlich.

(c) Die Methode, durch die das Denken das unaussprechbare Wesen Gottes zu berühren versucht, ist die Negation, in der Gott als das Nichts dessen, was ihm entsprungen ist, offensichtig wird. Um so wahrer und vollkommener nämlich ist der Gedanke Gott in unserem Denken, „je klarer man sieht, daß er unaussagbar und unbegreifbar ist" 90. Hierin steht Ryckel wie Ps. Dionysios Areopagita, Joh. Scotus Eriugena, Meister Eckhart und Cusanus in der neuplatonischen, insbesondere proklischen Tradition der theologia negativa: secundum excellentiores philosophos, Platonem et Proclum, Aristotelem et Alphorabium . . . omnis Dei cognitio quae per species creatas habetur, potius est per ablationem seu abnegatio- nem quam per positionem. Melius enim scitur in ea quid Deus non est quam quid est: imo quid est penitus ignoratur91. Allerdings unterscheidet sich Ryckel von Proklos darin, daß er nicht wie Proklos dem Einen selbst, Gott sogar das Sein abspricht und damit die Negation selbst negiert, son- dern vielmehr das Sein als den eigentlichen Namen Gottes denkt, den dieser dem Moses selbst nannte. Der Name „Ich bin der ich bin" (Exod. 3, 14) nennt nach aller Negation des Kreatürlichen die unendliche Positivität des Seins Gottes 92, „die abgründige und grenzenlose Fülle und die schlechthin absolute Vollkommen- heit des göttlichen und ungeschaffenen Seins, das gleichsam als ein unermeßliches Meer jeglichen Adel und jegliche Erhabenheit des Seins in sich befaßt" 9S.

«s XXV 425 D. 89 Vgl. z. B. IV 473 AB; 695 D. VII 184 C. XVIII 302 BC. XL 433 CD; 524 D sq.

XXIX 344 D. 91 XVIII 355 D. 92 Der Satz „Ego sum qui sum" ist der biblische Ursprung für die metaphysische

Auslegung Gottes als des reinen Seins (esse sincerum, Aug. serm. 7, 7), des magnum Est (Aug. en in Psalm. 101, s. II 10) in der Geschichte des mittelalterlichen Denkens. Prolegomena zur Metaphysik des Ego sum, qui sum (insbes. bei Augustinus) siehe bei R. Berlinger , Augustīns dialogische Metaphysik , Frankfurt 1962, 233-237. 93 XXXIII 117 D:... quia désignât abyssaleni ac infinitam plenitudinem et

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54 Werner Beierwaltes

Gott als das Sein selbst (ipsum esse) ist Ziel der Negation. Das menschliche Denken vermag diese Negation als Rückführung seiner selbst in seinen Grund und als Befreiung von allem Wandelbaren nur deshalb bis an ihr Ende zu vollziehen, weil es dem Ursprung von Grund auf ähnlich ist und ihm in der Einübung in den höchsten Gedanken immer ähnlicher wird (assimilatio94). Die Ähnlichkeit des personal bestimmten menschlichen Denkens mit dem Ursprung aber ist das Vermögen des Denkens, sich selbst zu denken (conversivum ad se ipsum et reditivum ac reflexivum super proprium actum95).

Eine eingehende Darstellung des Verhältnisses Ryckels zur Philosophie des Proklos hätte bei einer Interpretation der Schrift De lumine christianae theoriae anzusetzen96, deren Ziel es ist: eius quae per fidem traditur cognitionis et sapientiae, christianae videlicet theoriae, veritatem indu- cere, et fundamenta reserare, ipsiusque certitudinem ostendere, non dico demonstrare97. Dies geschieht dadurch, daß die metaphysische Implika- tion der christlichen Theologie entfaltet wird. Das proklische Denken ist darin ein wesentliches Element98. Das Gedankengefüge des ersten Buches hat als Grundriß die triadische Bewegung der Kausalität, indem es zu- nächst den Ursprung in sich darstellt, dann aber das Hervorgehen des Seienden aus dem Ursprung (bonum als diffusivum sui, der Ursprung in Hinblick auf das Entsprungene), endlich die Rückkehr alles Seienden in seinen Grund (Gott als finis).

Aufschlußreich wäre auch zu untersuchen, unter welcher Rücksicht Ryckel die Schriften des Areopagiten durch Proklos zu interpretieren ver- sucht99, deren Abhängigkeit von Proklos er bereits erkannt hatte.

III

Zwei Jahre nach der Edition der Elementatio physica hat Helmut Boese als bedeutsame Eröffnung der von Paul Wilpert herausgegebenen Reihe absolutissimam perfectionem divini incretique esse quod tamquam pelagus quoddam immensum, omnem nobilitatem et superexcellentiam essendi continet in se.

94 XV 362 BC. »5 VU 232 AB. ibid. 136 B. VIII 98 D. XXXIII 356 C. Proclus, Elem. theol. 16:

167; 186; 191. 98 XXXIII 235 sqq. Über die Stellung dieses Werkes innerhalb des Corpus Diony- siacum vgl. A. Stoelen , De Chronologie van de Werken van Dionysius de Kartuizer , Sacris Erudiri 5 (1953) 371 und 393. Die Abhängigkeit dieser Schrift von Thomas untersucht P. Teeuwen , Dionysius de Karthuizer en de philosophisch-theologische stroomingen aan de Keulsche Universiteit , Brüssel- Nijmegen 1938, 60 sqq.

»? Ibid. 240 B. 98 Vgl. insbesondere lb. I art. 28 sqq. 31. 78. 97 sq. 99 Kommentar zu De caelesti et ecclesiastica hierarchia in Bd. XV, zu De divinis

nominibus in Bd. XVI. Vgl. auch XXXIII 43 A ; 62 B.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten ß5

, Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie' die Tria Opuscula des Proklos in einer überaus sorgfältigen kritischen Ausgabe vorgelegt (de decern dubitationibus circa providentiam 10°, de Providentia et fato et eo quod in nobis ad Theodorum Mechanicum 101, de malorum subsisten - tia 102). Schon der kritisch gesicherte lateinische Text in der Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke wäre gegenüber der letzten Ausgabe von Cousin103 ein wesentlicher Fortschritt in der Proklos-Forschung gewe- sen. Dadurch aber, daß Boese neben dem lateinischen Text überraschen- derweise beträchtliche Teile des bis jetzt unbekannten griechischen Textes veröffentlichen konnte, kommt seiner Ausgabe der Rang einer Editio princeps zu, die das Verständnis der Philosophie des Proklos in vielfacher Hinsicht voranzubringen vermag.

In der Praefatio geht Boese im wesentlichen auf literar- und textkritische Pro- bleme ein. Die griechischen Titel der Opuscula, deren zweiter nach der lateinischen Ubersetzung rekonstruiert wurde, sind diese: neoi %(bv ôéxa fiQÒç vrjv Tzoóvoiaa àjioQï]1Jiàx(ùv. liegi Jioovoíaç nal et[jiaQļ.iēvrļg xah zov ècp * t)ļnīv Jigòç Beôôœgov tòv fiYìzaviKÓv. IIeqí tfjç %(ùv xaxã)v vjzoováoecúç [wvößißXog.

Die Opuscula wurden zumeist als Frühwerke des Proklos betrachtet. Wenn auch die Methode, aus Verweisen innerhalb der Schriften auf eine relative Chronologie zu schließen, in vielen Fällen im Werk des Proklos die Sache nicht trifft, da er manche Verweise in einer zweiten Redaktion hinzugefügt haben mag104, kann sie dennoch bei den Opuscula weiterführen. Die Bemerkung in mal. 1, 17 sq nämlich: quaecumque de ipso (seil, malo) quaerere in commentis consuevimus, wird sich schwerlich auf Grund der Geschlossenheit des Textes als nachträglicher Einschub erweisen lassen. Ein weiterer Hinweis darauf, daß die Opuscula in der späteren Schaffenszeit des Proklos entstanden sind, findet sich in prov. 45, 4 sqq, wo er die Meinung seines Freundes Theodoros, bonum und delectabile seien identisch, als seines Alters nicht würdig zurückweist.

Die lateinische Ubersetzung wurde von Wilhelm von Moerbeke innerhalb weniger Wochen des Jahres 1280 angefertigt. Durch seine Methode, den griechischen Text verbum e verbo 105 zu übertragen, was dem Streben nach absoluter Objektivität ent- sprungen ist, schafft er eine Textgestalt, deren Sinn zuweilen nur mit Hilfe des griechischen Textes aufgehellt werden kann108. Bei seltenen Worten gibt Moerbeke

100 Im folgenden als „dub." abgekürzt. 101 Im folgenden als „prov." abgekürzt. 102 Im folgenden als „mal." abgekürzt. 103 Prodi Philosophi Platonici Opera inedita . . . secundis curis emendavit et auxit Victor Cousin , Paris 1864.

104 E. R. Dodds , ProcluSy The Elements of Theology , Oxford 1933, XV. ios Vergleiche zu diesem Ubersetzungsprinzip im Mittelalter: R. Klibansky , Pro-

klos-Fund p. 15, 1. 108 Zur Ubersetzungsmethode des Moerbeke im besonderen vergleiche R. Kli- bansky, Proklos-Fund p. 14 sqq; Plato Latinus III, XVI sqq. Außer der dort p. XVI, 5 genannten Literatur vgl. C. Vansteenkiste , Procli Elementatio theologica translata a Guilelmo de Moerbeke , notae de methodo translationis, in: Tijdschrift voor Philo- sophie 14 (1952) 503-546. G. Verbeke , Guillaume de Moerbeke traducteur de Proclus ,

5 Philosophische Rundschau 10 Heft 1/2

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66 Werner Beierwaltes

selbst eine Paraphrase des Griechischen, um die Reichweite der Bedeutung ein- sichtig zu machen 107. Wenngleich es im Mittelalter an Kritik der Moerbekeschen Ubersetzungsmethode nicht gefehlt hat108, scheint doch die Klage über das schwer zu verstehende Latein erst im 18. Jahrhundert ihren Ursprung zu haben 109. Berthold von Moosburg wenigstens hat den Text richtig verstanden, was seine Randnotizen zu den Opuscula beweisen110. Thomas von Aquin zeigt nicht weniger durch seinen Kommentar zum Liber de causis, daß ihm die Moerbekesche Ubersetzung der Ele- mentatio theologica durchaus verständlich war. Die Entwicklung der Moerbekeschen Ubersetzungstechnik, die Wortwahl und den Sinnumkreis der einzelnen Worte, die Entstehungszeit der Ubersetzungen Moerbekes zu erforschen, ferner den Bedeu- tungswandel des mittelalterlichen Lateins und die Geschichte der philosophischen Begriffe zu erhellen, bieten die sorgfältig gearbeiteten lateinisch-griechischen und griechisch-lateinischen Indices der Boeseschen Ausgabe sowie des Plato Latinus III (erstellt von C. Labowsky und L. Minio-Paluello) wesentliche Ansätze.

Während der Text der Ausgabe Cousins eine unzureichende handschriftliche Grundlage hatte und noch dazu durch willkürliche Änderungen Cousins entstellt wurde, beruht der lateinische Text jetzt auf 14 Handschriften, die meist die gesamten Opuscula enthalten. Ihr Uberlieferungswert ist unterschiedlich111.

Von der Kenntnis des griechischen Textes der Opuscula sind bereits im 6. Jahrhundert nur noch geringe Spuren ausfindig zu machen. Johannes Philoponos zitiert Teile aus der ersten Aporie über die Vorsehung in ,de aeternitate mundi' 112, Johannes Lydos eine Stelle aus ,de malorum subsi- stentia4 11S, Ps. Dionysios Areopagita benutzt gerade diese Schrift in viel- facher Hinsicht114. Wieder aufgenommen wird diese Tradition durch die

in: Rev. Phil, de Louvain 51 (1953) 349-373. Dodds, The Elements p. XXXI und XLII.

iw Vgl. z. B. dub. 12, 3; 15. 13, 32. 15, 21. 24, 11. prov. 19, 17; 19. 34, 5. mal. 11, 36. 108 Roger Bacon über W. v. Moerbeke (Comp, studii philosophiae cap. 8, Opera ed. Brewer, vol. I, London 1859, 471 sq; zit. bei Klibansky , Plato Latinus III, XXI 2): Ad hoc quod translatio fiat vera, oportet quod translator sciât linguam a qua transfert, et linguam in quam transfert, et scienti am quam vult transferre . . . et maxime hic Willielmus Flemingus qui nihil novit dignum ñeque in scientiis ñeque in linguis.

Boese XI. 110 Ibidem. 111 Vgl. Boese XV sqq. 112 ed. Rabe p. 6, 17-20; 37, 22-38, 2; 38, 3-15. Diese Stellen entsprechen ProcL

dub. 5, 30-33; 5, 1-8; 5, 14-23. 113 H. Ch. Puech , Un passage du ,De malorum sub sist entia^ de Proclus cité par Jean Lydus et traduit par Guillaume de Moerbeke , in: Mélanges Desrousseaux, Paris 1937, 377-392. Die Stelle aus Lydos, de mensibus p. 93, 17-94, 4 (Wünsch) hat Puech an Hand der Moerbeke-Ubersetzung als Zitat aus Proklos (mal. 61) identifi- ziert. Der Text bei Lydos weicht in manchem von dem bei Isaak ab.

114 Vgl. J. Stiglmayr , Der Neuplatoniker Proklos als Vorlage des sog. Dionysius Areopagita in der Lehre vom Übel¿ in: Hist. Jahrb. 16 (1895) 253-273 und 721- 748. Dieses Abhängigkeitsverhältnis versucht E. Elorduy S. J. ohne überzeugende Gründe

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten ßj

byzantinischen Philosophen Michael Psellos115 und in besonderer Weise von Isaak Sebastokrator 116. Dieser ist wahrscheinlich mit dem Bruder des Kaisers Alexius I. Komnenus identisch, Zeitgenosse und Gegner des Jo- hannes Italos117. Er schrieb drei Bücher, die thematisch mit den Tria Opuscula des Proklos übereinstimmen. Dem Text des Proklos ist er weit- hin wörtlich gefolgt, so daß wir in diesen noch auf andere Quellen zurück- gehenden Schriften eine umfangreiche Fragmentsammlung der Tria Opus- cula besitzen, die für die griechische Textgestalt des Proklos von hohem Wert ist. Es ist das Verdienst Boeses, die Vorlage des Isaak Sebastokrator identifiziert zu haben. Der Text findet sich in zwei Instanbuler Hand- schriften, ferner in einer Handschrift aus Athos und in dem Codex Vat. Graec. 1773. Letzterer liegt der Ausgabe Boeses zugrunde.

Damit sein Werk nicht als heidnisch erscheine, nennt Isaak nur Ps. Dionysios Areopagita und das Alte und Neue Testament als seine Quel- len118, seine eigentliche Quelle aber verschweigt er. Was Proklos aus den Chaldäischen Orakeln und aus Piaton zitiert, läßt Isaak weg, wenn es nicht mit dem christlichen Glauben übereinzustimmen scheint, oder er ändert den Proklos-Text im Sinne einer monotheistischen Theologie119. Wo Proklos von den verschiedenen Seelen des Menschen spricht, setzt Isaak dafür: Potenzen der Einen Seele. Die Beispiele aus der griechischen Geschichte, Staatsauffassung und Mythologie fallen ebenfalls weg 120. Auf Grund der wörtlichen lateinischen Übersetzung war es nun Boese mög- lich, diese christianisierende Interpretation an zahlreichen Stellen in den ursprünglichen Text zurückzuführen121, ebenso die Zusätze und Para- phrasen Isaaks auszuscheiden. Andererseits aber wurde auch dort, wo der griechische Text im Wortlaut ganz fehlt, dessen ungefähre Gestalt durch die Paraphrase des Isaak deutlich 122.

umzukehren: El problema del mal en Proclo y el Ps. Areopagita , in: Pensamiento 9 (19o3) 481-489. Über die Struktur und Herkunft des dionysischen Platonismus siehe: J. Kochy Augustinischer und Dionysischer Neuplatonismus und das Mittelalter , in: Kantstudien 48 (1956/57) 117-133.

115 Vgl. L. G. Westerink , Michael Psellos ? De omni faria doctrina , Utrecht 1948, passim. 116 Zum Folgenden vergleiche Boese XX-XXIII. 117 Auch in den Quaestiones quodlibetales des Italos ließe sich vielerorts die Wir- kung des Proklos nachweisen (Ed. princ. Joannou, Ettal 1956). 118 Boese XXII.

119 Vgl. z. B. dub. 16, 10 statt: JiXijQt] iïeùv: /nerà zov ïïeov. 62, 5 sqq. prov. 19, 8 statt: fteibv ai)x(òv /ttováôaç: ty)v . . . %quiòlwy}v ïïeùai [lováôa . 12° Vgļ z. B. dub. 56, 26 sqq; 59, 1 sqq; 46, 13 {%QV)Ozií)Qia) ; 60, 21. 121 Vgl. z. B. dub. 13, 23; 44, 45; 46, 13; 51, 8 sq; 61, 15. mal. 43 passim; 56, 8. 122 Vgl. z. B. dub. 31, 6-23. prov. 6, 1-10. 7, 1-14. 8, 1-10. 9, 1-6. 28, 3-8. 30, 1-5.

5*

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58 Werner Beierwaltes

Die Konjunkturen und textkritischen Entscheidungen im lateinischen Text, sowie die Rückübersetzungen in das Griechische zeugen von Boeses großer Umsicht, sowie subtiler Sprach- und Sachkenntnis. Ein gründlicher Zugang zum Text ist durch die knapp und präzis gearbeiteten Apparate vorbereitet. Der erste Apparat stellt den Fundort der im Proklos-Text vorkommenden Zitate fest und versucht Hinweise auf die Quelle mancher Philosopheme zu geben, der zweite merkt die Abweichungen der lateinischen Ubersetzung vom ursprünglichen griechischen Text an, der dritte verzeichnet die variae lectiones der lateinischen Codices, der vierte schließlich gibt jene Teile des Textes an, die weder aus den Quellen noch aus Isaak selbst genommen sind, ferner die Stellen, wo der konstituierte Text von der lateinischen Ubersetzung und von Isaak abweicht.

Für die Philosophie des Proklos und für spätgriechisches Denken über- haupt bedeutsam sind die Tria Opuscula insbesondere deshalb, weil sie von mannigfaltigen Aspekten her die Einheit der Problematik von Vor- sehung, Geschick, Freiheit und Übel sichtbar machen. Auf Grund des neuen griechischen Textes wird eine Interpretation der in Rede stehenden Sache viel eher gerecht werden können als früher. Im folgenden versuche ich, das alle drei Schriften bestimmende Grundthema zu skizzieren.

Die Welt als ovoTrjfm, ögäßa oder xooļiixi / tc oXitelci12* gründet in Einem die Einheit stiftenden Prinzip: der Vorsehung. Ihre Mächtigkeit (ôúvafAiç dub. 18, 13) durchdringt jedwede Dimension des Seins und des Denkens in je verschiedener Weise 124. Je mehr nämlich Seiendes und Denkendes selbst Eins ist, um so mehr Wirkmöglichkeit hat die Vorsehung in ihm; oder: je mehr die Vorsehung in einem Seienden oder Denkenden auf Grund seines Wesens zu wirken vermag, um so mehr Eins ist es. Die Wirkmächtigkeit der Vorsehung ist also analog der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit, Nähe oder Ferne eines Seienden zu seinem Ursprung, dem Einen selbst125. So zeigt sich als der Grund und Ursprung von Vorsehung zunächst das Eine in ihr, dieses aber hat den Grund seines alles erkennenden Wirkens im Einen selbst. Das Eine der Vorsehung ist weder identisch mit der Einheit der Materie : diese ist unfruchtbar; das Eine der Vorsehung aber ist „über- aus wirksam " (ôgaoTixáraTov126) ; noch ist es identisch mit dem „unteilbaren Einen" : dieses ist das Letzte im Prozeß des Teilens und somit Nichts von allem Geteilten. Das Eine der Vorsehung „umfaßt" vielmehr „alles und ist allem gegenwärtig, dessen Ursache es ist, und bewahrt alles" 127 . Selbst

123 prov. 54, 27 sqq. 124 dub. 18, 10 sq: jiávvcov Tß àváyxr] jt oôvoiav eivai xai oí) Ttáviov aůvtfv. Uber den Zusammenhang von Logos, Vorsehung und ,theatrum mundi4 bei Plotin, der auch hierin das Denken des Proklos bestimmt, vergleiche E. Früchtel , Der Logos- begriff bei Plotin , Diss. München 1955, 26 sqq. 125 dub. 17, 18 sqq. 128 dub. 10, 12. 127 Ibid. 10, 14 sq: èxelvo ôs é)Ç Jiávxa neQié%ov xah Jiãoi n açòv óv êor iv ah lov xai jtávzcov ocúouxóv.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 59

aller Vielfalt enthoben zeugt es doch alles und hat „auf Grund der Ei- nung die Eine unbeschreibliche und von Nichts faßbare Mächtigkeit" 128. In keinem aus ihm entsprungenen Seienden vermag es sich ganz zu ent- falten129. Es ist nur in sich selbst ganz es selbst. Seine grenzenlose Mäch- tigkeit (àîiELQoôvva[jLovno) aber wirkt in allem. So kann gesagt werden, daß die Vorsehung das Erscheinen(e^gpao¿g181) der Sein setzenden und Sein bewahrenden Macht des Einen in allem Seienden ist132. Sie begründet dessen rationale und analoge Einheit (7) tcqòç t iyv éxáoxov oůoíav ovļiļie%Qoq eve oouç133), die in sich gestufte Ordnung134 von Geist und Welt. Indem die Vorsehung allem Seienden die Einheit als Wesensmoment seiner selbst gewährt und erhält, macht sie es zu einem wesenhaft guten185. Das Eins- Sein eines Seienden nämlich ist sein Gut-Sein; gut aber ist Seiendes nur, weil es Eines ist. Beide Wesenszüge legen sich gegenseitig aus. Mit der Einheit und Gutheit zugleich läßt die Vorsehung die wahre Schönheit denen, die zu sehen vermögen, sichtbar werden 136.

Das einende Wirken der Vorsehung kann auch als Bestimmung oder Ausgrenzung und damit als Gestaltung des Seienden gefaßt werden187. Das Grenzenlose, Unbestimmte wird durch die Teilhabe an der Grenze, die die Vorsehung gewährt, selbst bestimmt und gestaltet. Die begrenzende Macht der Vorsehung läßt Seiendes nicht in den gestaltlosen „Abgrund des Nicht-Seins" (zov ¡ni) ovzoç à^áveca138) verfallen, sondern führt es immer wieder in seine ursprüngliche Gutheit und Einheit, in seine eigentliche Gestalt zurück139.

Die alles umfassende Erkenntnis der Vorsehung ist jeglicher mensch- lichen Reflexion voraus. Sie ist die allem reflektierenden und diskursiven Denken vorläufige Mächtigkeit des Einen, die das Denken des vovç und der ipvyj) als im Einen gründend allererst ermöglicht, erwirkt und erhält. rÍQÓvoia ist deshalb wörtlich zu fassen als vor dem vovç seiendes Denken 14°. Dies heißt nicht, daß Vorsehung als Vordenken zeitlich früher ist als

128 Ibid. 10, 20 sq: yevvœv ôe oļumg návza xaxà zijv ëvœotv ztfv fxíav exet ôvva^iv àjiegíygaqpov xaí āīiegCĀrjJizov zolç jzciolv.

129 Ibid. 10,24. !3o Ibid. 11, 2. «i Ibid. 5, 7. *32 Ibid. 5, 15. "s Ibid. 11, 19 sq. 134 ovvôeo^óç dub. 18,5; zá^iç, ovvzaÇiç ibid. 18,7 sq. 135 dub. 17, 1. 18. 13« dub. 34, 6 sqq. 137 Vgl. dub. 13. 16, 1 sqq, bes. 1. 19 sqq. 138 dub. 16,28. i3» dub. 31,5; 16,30. 140 dub. 5, 3 sq: àváyxi] xah ztfv ji Qovor]zixr¡v yvCůoiv vjièq xijv vosgùv eivai. Ibid. 23, 1. prov. 7, 10. 13, 25: (ei ovv tf) jiqóvolci xah vJièo vovv èoxt. Vgl. ferner Elem. theol. 120; 106, 7. 134; 118, 26. Zum Problem siehe J . Trouillard^ Notes sur nPOOYülO - et ĪJPONOIA chez Proclus , Rev. des Études Grecques 73 (1960) 80-87.

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reflexives Denken, sondern daß es die zeitlose Vorentworfenheit von Den- ken überhaupt ist, die als Prinzip von Denken diesem erst das Maß gibt 141 .

Die immer wieder gestellten Fragen sind nun diese: Wie ist trotz der immer und überall wirkenden Vorsehung das Übel überhaupt möglich? Wie vermag sich trotz des absoluten Vorherwissens der Vorsehung die Freiheit des Menschen zu behaupten 142 ? Durch diese Fragen werden wir zur Bestimmung von Übel, Geschick und Freiheit geführt.

Während das Gute jedes Seiende in seinem Sein bewahrt, zerstört das Übel die ursprüngliche Seinsverfassung: Gutheit, Schönheit, Einheit, Maß, Leben und Wahrheit werden als Constituentien von Seiendem auf- gelöst. Tò xaxóv èoTL tò êxáoTov (pïïciQuxôv 143. Sein und Bewahrung ent- springen dem Guten, Nicht -Sein und Zerstörung (tò ļii] sívat xaC qpêeí- Qeoïïai144) aber dem Übel. Seine negative Mächtigkeit empfängt das Übel nur vom Guten, indem es nur das Gute in das Nicht- Sein verfallen las- sen 145 oder seiner Gestalt berauben kann. „Das Gute nämlich ist Maß und Licht, das Übel aber ist Finsternis und Maßlosigkeit.4' 146

Seine negative Mächtigkeit ist also kein Wirken und Vermögen, son- dern zerstörende Ohnmacht: tò xaxòv àôgavèç xaí àôvvafxov xaffďÓTÓ 147. Von sich aus und in sich ist es nichts, es hat kein Wesen und keine Substanz (ávovoiovU8) . Kai õhoç jiüv tò xaxòv ego t fjç oiïoCaç xai oi)x ovo¿au 9. Weil es nicht in sich selbst und aus sich selbst zu sein vermag, gewährt es dem „Nichts (der Negation) des Guten" Spielraum. Es ist die Beraubung ( oTégrioiç 15°), der Ausstand (e?2eiiptçí5í),áie Verkehrung (nagaTgoniļ 152) des Guten oder der Abfall von ihm (ànóx rcoôtç153). Es ist also alles nicht, was das Gute substantial ist , oder es ist dies in der Weise der Defìzienz154, als pervertierte Positivität.

„Wenn das Übel, sofern es Übel ist, Beraubung jeglichen Guten ist, ist es als Übel der Quelle des Guten unteilhaftig, als Grenzeloses ist es unteilhaftig der Grenze von allem, als Schwäche aber ist es unteilhaftig der Mächtigkeit im Guten, als Maßlosigkeit und Trug und Häßlichkeit aber hat es nicht teil an der Schönheit, der Wahrheit und dem Maß, . . . als Beraubung und Leblosigkeit hat es nicht teil an der ersten Einheit der Gestalten und des Lebens dort; als Zerstörendes und

141 prov. 13, 25. 142 Vgl. z. B. dub. 26 sqq; mal. 58. 143 mal. 5, 1. 144 mal. 5,4. 145 mal. 5, 23: ... Tfjç ovoíag àyofxévií)Ç eiç te tò fxi] eivai. 148 mal. 13, 12 sqq: bonum quidem enim mensura et lumen, malum autem tene-

bra et immensuratio. Vgl. ferner 41, 14 sqq. 58, 9. 14? mal. 54, 1. 14* mal. 1, 12, 149 45, 15. 15® 26,15. 38. 39. 51, 8; 10. 54,3. 151 51,8. «2 Theol. Plat. I 17; 47, 12. 153 mal. 9, 9. 154 Über das Problem des malum als deficiens in einem von der Personalität be- stimmten Denken vgl. R. Berlinger , Augustīns dialogische Metaphysik , Frankfurt 1962, 142.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten Jl

Trennendes dessen, dem es gegenwärtig ist und als Unvollkommenes ist es unteil- haftig der vollkommen machenden Gutheit von allem; das Zerstörende nämlich führt vom Sein zum Nicht-Sein, das Trennende hebt den Zusammenhang und die Einung des Seins auf, das Unvollkommene aber schließt (sich selbst) von der eige- nen Vollkommenheit und der Verfaß theit aus, die jedem Seienden naturgemäß zu- kommt." 155

Da das Übel das der Mächtigkeit des Guten ledige Nicht-Sein, das Zerstörende, Sinnentleerte (oxozeovov 156) ist, kann es auch nicht hinter- rücks wieder als Etwas begriffen werden, da jedem Etwas-Sein Einheit, Gestalt und Sinn innewohnen. So kann das Übel unter der Rücksicht des substantialen Charakters des Guten ( vjióoxaoiç ) nur als nagvjzóoTaotç157 gedacht werden.

„Das Subsistieren ist dem eigen, was von einem Prinzip aus auf ein Ziel zugeht, das Außer-Subsistieren aber ist dem eigen, was weder gemäß seiner Natur aus einem Prinzip erscheint noch in einem bestimmten Ziel endet." 158

So ist das Übel ziellos, in gewissem Sinne ursachlos und maßlos 159. Es ist nicht dem Sein innerlich und wesensbestimmend, sondern äußerlich und beiläufig: tò ôè xaxòv ¡-Çœiïev xai èjieiooôiãôeç 16°. Es ist die Ver- kehrung oder das Nichterreichen (¿txevUaíñí) des jedwedem Seienden zu- kommenden Zieles.

Durch die Bestimmung des Übels als nagvjióoTaotç ist auch die Auf- fassung abgewehrt, das Übel sei ein dem Guten widersprechendes Prinzip, oder ebenso Ur-Sache des Seins von Welt wie das Gute. Dies aber heißt: das Übel ist weder Substanz noch Ursprung 162. Es gibt kein reines

155 mal. 51, 10-21: tò ôè xaxrìv, ei èoú JiavTÒç % ov àyaïïov {] xaxòv 0Têgr)0iç, ãfioioóv èoztv ó)ç [lèv xaxòv Tfjç tõív àyaïï (bv Jir)yf)ç, á>ç ôè ãnecgov vov jrávvcov Jiéoavoç, éç ôè àofìéveta Tfjç èv am(p ôwájiíeoç , á>ç ôè àGV1X1iexQla x ai yjevôoç xai aioxQÓTYiç tov te xáXXovç xai vfjç àXrjïïeiaç xai tov /nêrgov, . . . (bç ôè ozéorjoiç xai àfaia Tfjç îïoo)Tï}ç tcov eiôCov ¿ lováôoç xai v rjç êxel Çœfjç' éç ôè (p&agvixòv xai ôtaigeTtxòv olç àv nagf] xai àveÂèç vfjç Tekeotovgyov tcov õàcov <:yaúóvr]voç' tò yág qpïïogojioiôv ļ lèv àjiò tov ovtoç cíyet ngòç tò ¡m) óv, tò ôè ôiaigexixòv àvaigel ti)v tov ovtoç ovvé/etàv Te xai ty)v svcùoiv, tò ôè àxe?»èç jiagaigeĪTai vfjç Te oixeíaç t eXeióvY]Toç xai vfjç êxáoTov xaTà q vvotv ôtaúéoeoiç.

Í5« Ibid. 1. 32. 157 50, 2 sqq. 158 50, 23-25: tò ¡¿èv vyÎGîaoïïai tôïv è£ àgxfjç eiç Té?>oç nogevoļiēv cov r¡v, tò ôè JiagvfpíoTaoůai toìv ßfjTe èx Tfjç àg%fjç xazà qpvotv éxqpatvo/uémv 'xi) Te eiç (boio/iiêvov Té/.oç Te?*evTù)VT(ùv. Die Bestimmung des Übels als TcagvTióoTaoiç wurde auch in der Folgezeit beibehalten, cf.Simpl. comment, in Epicteti enchir. c. 27 (ed. Dübner Paris 1840, 69 sqq). 159 mal. 50, 30. 180 Ibid. 1. 34. 181 Ibid.

162 In diesem Zusammenhang ist die Interpretation von Theaitetos 176 a 6: VJievaVTÍov yág vi t(¡) ¿tyaïïq) àei elvat àváyxrj bedeutsam cf. mal. 2, 30. 6, 29 sqq. 7, 1. 735. 9, 12. 37, 7. 54, 15: Es gibt keinen „ewigen Kampf" (jt óÂe.aoç ôiauòvioç) gegen das erste Gute (Theol. Plat. I 17; 49, 2).

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72 Werner Beierwaltes

(àfityéç16*) und erstes Übel ( jiqúxoíç xaxóv 163), da selbst dieses noch am Guten teilhat164, freilich nicht in dem seiner ursprünglichen Natur ent- sprechenden Maße. Deshalb ist auch die Materie nicht das îiqùxov xaxóv 1#5, diese ist vielmehr weder gut noch böse, sondern notwendig 16e. Somit ist das Übel weder in den Ursprung selbst zurückverlegt, denn dieser ist als die Gutheit selbst der absolute Ausschluß des Übels, noch ist es - duali- stisch gedacht - absolutes Gegenprinzip des Guten, noch ist es so sehr relativiert, daß es wie in einem optimistischen System zur reinen Funk- tion würde, die der Harmonie des Ganzen zur Verwirklichung ihrer selbst verhülfe, sondern es ist gedacht im Horizont einer durch das Gute bestimm- ten Freiheit. Dies aber heißt: Das Übel entspringt weder der Sphäre des Göttlichen 167 noch der Materie168, sondern vielmehr der „Schwäche der Seele" (àoïïêveta x fjç ipvzr}ç169, debilitas170), deren Augen unfähig sind, „das Wahre selbst und die Helligkeit dort" 171 zu betrachten 172. Es hat also seinen Ort in der Dimension der Zeitlichkeit und Veränderlichkeit, in der insbesondere durch das Tun des Menschen der Ohnmacht des Nichts, allerdings nur auf dem „Rücken" des Guten, ein wesentlicher Spielraum eingeräumt ist. Deshalb heißt dieser zu Recht xfjç àvo^otóxrjxog jzóvxoç 17S, Meer der Unähnlichkeit des vielfältig Seienden zueinander und des Seien- den zum Ursprung

Diese Dimension der Zeitlichkeit und Veränderlichkeit aber ist durch das Wirken der menschlichen Freiheit signiert. Der Akt des Philosophie - rens ist seinem Wesen nach ein in die Zeit verflochtener Akt - „Götter philosophieren nicht" 174 -, der sich nicht als eine naturale Notwendigkeit vollzieht, sondern in Freiheit ereignet. Die Aufhebung der Freiheit zer- störte deshalb den Sinn des Philosophierens : %ò èç1 f][ilv àvaigedèv ji sqlxxtjv àîio ņatvei xfļv (piXooocpíavllh .

163 37, 6 sq. 184 61, 6. 185 30, 6 sqq. Polemik gegen Piotili I 8, 3. 166 Ibid. 36. sq. 187 Vgl. z.B. mal. 41. 61,7; 17. 168 mal. 33, 29. 34,15. 18» 46, 12 (Apparat p. 239: Isaak). «o 46, 12. 171 mal. 46, 12 sq: nam anime oculi perseverare ad verum ipsum et earn que

ibi claritatem aspicientes impotentes sunt. Ibid. 48, 17 sqq. 49, 14 sq. 172 Daher ist die jeweilige Ursache des Übels sehr vielfältig. Die Begründung

des Proklos mal. 47 sqq ist durchaus nicht „sehr eigenartig" wie E. Schröder , Plotins Abhandlung Tlóůev xà xaxá, Diss. Rostock, Borna-Leipzig 1916, p. 200 meint, sondern gut platonisch. Vgl. Plat. rep. 445 c 5 sq: ev [lèv eivai eiôoç x fjç àgezfjç, ãjietga ôè xfjç xaxíaç. 173 Vgl. z. B. in remp. II 69, 17; in Crat. 47, 25 sq. Der Terminus geht auf Plat. Polit. 273 d 6 sq zurück. Vgl. dazu A. E. Taylor , Regio di s similitudini s , in: Archives d'histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age VII 305 sq.

174 Plat. Symp. 204 a 1: ïïecov ovôeiç (ptÁooo(f el. 175 prov. 66, 7 sq.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 73

Darin zeigt sich, daß in der Frage nach der Freiheit die Frage nach dem Sinn des Philosophierens oder nach dem Menschen überhaupt ge- stellt ist, oder: daß nur im Horizont der Frage nach dem Wesen des Men- schen nach Wesen und Sinn von Freiheit gefragt werden kann.

Der Mensch ist selbst Urheber seines Handelns. „Wir sind Herren unserer Taten, soweit sie wählbar sind.44 178 Ursprung der Freiheit ist die Kraft des Menschen, das was in unserer Macht steht (tò ècp ' tfßiv 177) zu erkennen, zu wollen und zu wählen, und das Gewollte zu tätigen. So ist das in unserer Macht Stehende sowohl ngoaigexixóv als auch Jigaxxixóv 178. Der Akt der Freiheit als ihre Tätigung gründet in der Vernunft. Vernunft wird so zum Prinzip des Willens, so daß sich dieser selbst in Freiheit ge- braucht. Die Freiheit der Vernunft ist die seiende Möglichkeit, sich als freier Wille aus der Indifferenz heraus als gut oder böse handelnd zu bestimmen.

Die Dimension des Wählens und Tätigens als eines Aktes der Freiheit ist der Mensch selbst. Der Kosmos ist Schranke der Freiheit179. Freiheit also ist wesentlich Herrschaft des Menschen über sich selbst, in der er zum Ursprung der Selbstdarstellung in seinem Handeln wird. Sie ist der nicht mehr zu hintergreifende Grund seines Handelns. „Se choisir, c'est exercer son acte substantiel.44 1 80 Dies aber heißt nicht, daß er sich in Willkür selbst entwirft, sondern sich nach dem Maß des Guten gestaltet. Die In- differenz der Macht zu wählen (potentia electiva181, ngoaígeoiç182), die sowohl zum Guten als zum nicht -Guten geneigt ist (ad ambo vertitur, ad ambo inclinato183), ist zwar der Anfang von Freiheit, ihr Vollzug aber ist die nicht indifferente Tat. Läßt sich die potentia electiva vom Guten bestimmen, so ist der Mensch im wahren Sinne frei, folgt sie aber dem Übel, so wird der Mensch zum Knecht.

„Jegliclie Seele hat, soweit sie an Tugend teilhat, auch am Frei-Sein teil ; soweit sie aber an Bosheit und Schwäche teilhat, hat sie auch am Knecht-Sein ( ôovÂeveiv ) gegenüber anderen teil." 184

176 prov. 56,12 sq. Vgl. ferner dub. 59,3. prov. 25,18: ôvváozr)Ç. 177 prov. 26, 1. 35, 1. 56, 6. 44, 18. 57, 6 sqq. Unterschied und Entwicklung dieses Begriffes wäre durch einen Vergleich von Proklos und Epiktet zu zeigen. Uber dessen Einfluß auf den Neuplatonismus vgl. M. Spanneut , RAC s. v. Epiktet , Bd. V 622 sqq. 178 56, 7. 17» 55, 1 sqq.

180 J. Trouillard , Convergence des définitions de Vâme chez Proclus , Rev. des scien- ces philos, et theolog. 45 (1961) 18. "i prov. 57, 18 sq. 182 56, 8. 183 56, 10; 18. 184 24, 5-5 : jiãoa totvvv ipvxv xaïï'ôoov àgeîfjç ļiez èyei xai %ov èXeviïtga eivai ļJLe%ē%Ei' xaïï'ooov ôè xaxiaç xai ¿loïïeveiaç, xai tov ôovXeúecv aXloiç.

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7 4 Werner Beierwaltes

Wer die Tugend hat, dient ( ôovÂevet ) nur denen, die ihm das Erstrebte zu gewähren und zu mehren vermögen, den Göttern. Diese „willentliche Knechtschaft aber ist höchste Freiheit": èiïeXoôovXeiav ravTTļv [¿eyCorrìv eivai èlevïïeQÎav 18°. So ist Freiheit nicht Selbstherrschaft aus Willkür, son- dern Selbstbestimmung des Menschen durch das Gute, die aus dem Nichts der Indifferenz entspringt. Die Indifferenz aber als Anfang von Freiheit ist lediglich die schwebende Möglichkeit186, die durch rechtes Handeln in den Vollzug der Freiheit aufgehoben wird, durch den Fehl aber sich selbst in die Knechtschaft destruiert. Indifferenz der Freiheit meint, daß der Mensch Freiheit aus ihrer Ursprünglichkeit ohne Nötigung zu voll- ziehen vermag 187 .

Geschick und Vorsehung beschränken die Freiheit nicht, da einerseits die denkende Seele das Geschick als „die Ursache der Verbundenheit und der Folge dessen was gezeugt wird" 188 zu erkennen und es deshalb zu über- winden vermag, andererseits aber die Vorsehung als Ursache alles Guten die Freiheit allererst gewährt, in deren Entscheidungen aber durch ihr universales Erkennen nicht bestimmend eingreift, sondern sie lediglich als Möglichkeiten weiß. Diese Unabhängigkeit der menschlichen Freiheit zu erweisen, ist eines der Hauptziele der Tria Opuscula.

Boese stellt einen Kommentar und eine deutsche Ubersetzung der Tria Opuscula in Aussicht (Praefatio p. XXIX). Sowohl Ubersetzung (bisher war in deutscher Sprache nur der Euklid-Kommentar zugänglich 189) als auch der Kommentar wer-

185 24, 9 sq. 186 36? g. 187 Aufschlußreich für das Problem der Freiheit als Indifferenz wäre eine Inter-

pretation des Er-Mythos (cf. Proci, in remp. II 195; insbes. 277 sqq). Die spekula- tive Entfaltung dieses Begriffes siehe bei R. Berlinger , Das Werk der Freiheit , Frankfurt 1959, 9 sqq. 188 prov. 7, 3 sq: ... fatum autem causam quidem esse et ipsum, sed connexionis cuiusdam et consequentie hiis que generantur. 18® Proklus Diadochus , Kommentar zum ersten Buch von Euklids „Elementen" , Ubersetzung von L. Schönberger O. S. B., herausgegeben von M. Steck, Halle 1945.

W. Tritsch hat seiner Ubersetzung des Pseudo-Dionysios Areopagita ( Dionisios Areopagita , Mystische Theologie und andere Schriften , Otto Wilhelm Barth-Verlag, München-Planegg 1956) kurze Auszüge aus einigen Propositionen der Elementatio theologica des Proklos beigegeben (p. 213-222), um die Abhängigkeit des Dionysios von seinem „Lehrer" Proklos zu erläutern. Allerdings hätte eine Ubersetzung von. de malorum subsistentia (als Quelle zu de div. nom. IV 18-35) dieses Abhängigkeits- verhältnis deutlicher zu zeigen vermocht. Die Ubersetzung selbst wird zuweilen zur Paraphrase, z.B. prop. 11: „Alles Seiende geht von einer Ursache aus und zuletzt von einer einzigen ersten Ursache" für: Jidvxa %a òvxa jiqóslolv ànò fxiãç ahíaç, vrjç n Q(úT7)Ç (p. 12, 8 Dodds). prop. Ill: „. . . und nicht allen körperlichen Naturen ist eine anteilverleihende Seele gespendet, sondern nur den reicheren und geist- näheren": ov%e jiãoai 0(ú1¿azLxai q ovoeiç à moXavovoi tyvzfjç Jtagovorjç xah fieve- XOf.iêvi] ç, àXX al xeleióxegai Kai loyosiôéoveQat (98, 29 sqq Dodds). prop.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 75

den ein wünschenswerter Beitrag zur Erhellung der einzelnen Momente und der geschichtlichen Herkunft der hier dargestellten Problematik sein.

Es wäre auch ein lohnendes Unternehmen, die Wirkung der Tria Opuscula (in der Ubersetzung Moerbekes) auf die mittelalterliche Philosophie zu untersuchen. Dabei wäre zunächst zu fragen, ob der Begriff des ,unum in nobis4 bei Proklos direkte oder indirekte Quelle für das unum in anima bei Meister Eckhart190 ist. Ferner ist die Bedeutung der Tria Opuscula insbesondere für das Denken des Bert- hold von Moosburg191 zu zeigen. Dieser folgt in seiner Lehre vom Einen in der Seele ausdrücklich Proklos, z. B. zitiert er dub. 64, 9: Et enim nobis scilicet homini- bus iniacet aliquid secretum unius vestigium, quod et eo qui intellectu est divinius, im Prolog seines Kommentars. Dieser Grundgedanke wird im Zusammenhang seiner Erkenntniskritik spekulativ entfaltet191®.

122: „. . . denn in ihrem einzigen Wesen verharrend" für: ßbvovisq yc:p tv T(¡) FVia¿(¡) %(ļ) éavTow uai èv tfj ŮTráQtei (seil, oí ïïeoù). fvlciíov xah VTiag&ç ist nicht als Hendiadyoin aufzufassen. Die Beispiele ließen sich vermehren. Wenn man die Elementatio theologica nicht aus dem Gesamtwerk des Proklos heraus versteht und den dialektischen Grund, aus dem heraus sie gedacht ist, nicht mitbedenkt, kann man allerdings zu dem Schluß verführt werden, „es gehe hier zuweilen abstrakt und akrobatisch zu", aus „ein paar willkürlich vorgefaßten Begriffen werde die ganze Welt zu erklären versucht" (Tritsch p. 253). Dionysios habe von Proklos „die Meinung... übernommen, man könne aus Begriffen (!) die Wirklichkeit ableiten, durch jene herstellende Logik, welche im Späthellenismus allmählich die Rolle des Zauberns und der herstellenden Magie der alten Mysterien und Opfer eingenom- men hatte: durch den Glauben an das zeugende Wort." (Ibid.) Allenfalls kann von dem proklischen Demiurgen gesagt werden, daß er die Welt durch sein Wort in der ihr nun eigenen Gestalt gestiftet habe (in Tim. II 255, 21-24); die Magie des Wor- tes aber hat in der Philosophie des Proklos keinen Ort. Dies zeigt eine Interpretation seines Kratylos-Kommentars. Die Elementatio theologica wurde nicht „später , liber de causis4 genannt" (Tritsch ibid.), sondern ist Quelle für den arabischen Auszug. - Das Vorwort Tritschs zu Dionysios und die Übersetzung kann hier nicht Gegen- stand der Erörterung sein. Teile einer Ubersetzung der Schrift De div. nominibus, die den Text nicht überformt, sondern sich asketisch von ihm das Maß geben läßt und so dessen „incorrupta Veritas44 (Boethius, Isagoge I 1, PL 64, 71: von der Über- setzung der logischen Schriften des Aristoteles gesagt) zur Sprache bringt, finden sich in: Dionysius Areopagita , Von den Namen zum Unnennbaren , übers, v. E. von Ivánka , Reihe Sigillum 7, Einsiedeln, o. J.

190 Vgl. dazu J. Koch , Piatonismus im Mittelalter , 51 sq. H. Hof , Scintilla animae , Lund-Bonn 1952, 213 sqq. 191 Grundlegende Studien zur Proklos-Rezeption des Berthold von Moosburg finden sich bei W. Eckert O. P., Berthold von Moosburg O. P. und sein Kommentar zur Elementatio theologica des Proklos , Diss. München 1956. Idem, Berthold von Moosburg O.P., in: Phil. Jahrbuch d. Görresgesellschaft 65 (1957) 120-133. Bert- hold zitiert die Opuscula 94 mal (Eckert, Diss. p. 26). „Das Gebet an das göttliche Licht" cf. bei Klibansky, Proklos-Fund 33.

19ia cf. Eckert, Diss. 106 sqq (Die Einheit des Mikrokosmos).

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76

IV

1. Die Neuplatoniker betrachteten den Alkibiades Platons, an dessen Echtheit192 sie nicht wie manche Piaton -Interpreten seit Schleiermacher zweifelten, als eine sachgerechte Hinführung zur Philosophie Piatons und zum Philosophieren überhaupt193. In ihm wird der Anfang als Prinzip des Philosophierens zum Problem. Anfang aber als bewegendes Moment und durchtragender Grund des Philosophierens ist die Selbsterkenntnis (èamûv yvûoLç10*) des Denkens, das sich als das Selbst des Menschen (atoo to atoó) erweist. In der Selbsterkenntnis wird sich das Denken seiner selbst und damit seines Weges bewußt:

. .Aller Philosophie . . . eigentlichster Anfang ... ist das reine und unver- fälschte Wissen seiner selbst, umschrieben in wissenschaftlichen Abgrenzungen und fest gebunden durch die Erwägung des Grundes. Und von wo anders ziemte es sich mit der Reinigung und Vollendung seiner selbst anzufangen als von woher der Gott in Delphi es hieß ?" 195

Das „Erkenne dich selbst" aber macht deutlich „die Weise der Er- hebung zum Göttlichen und des förderlichsten Weges zur Reinigung." m Der aber erfüllt das Geheiß des Gottes, der sich in Freiheit von allem Äußeren abzuwenden vermag und in sich selbst zurückkehrt (zf¡g jzg(òzr)ç . . . €iç èavzovç èmozgocpfjç 197), um sein eigenes Wesen und damit seinen eige- nen Grund und Ursprung zu erkennen198. Dieser Akt der Rückkehr in

192 Für die Echtheit: P. Friedländer , Der Große Alcibíades , II (kritische Er- örterung) Bonn 1925. Idem, Platon 77, Berlin 19572, 517. P. M. Clark , The Greater Alcibíades , Class. Quart. 49 (1955) 251-540. 193 Albinos , Eisag. S (ed. Hermann 149, 56) : Man müsse mit dem Alkibiades an- fangen, da man durch ihn erkenne, wofür man Sorge zu tragen habe. Proleg. in Plat, phil. 26 (ed. Hermann 219, 51). Iamblich setzte ihn als ersten der 10 kanonischen Dialoge, da er wie ein Same die ganze Philosophie in sich befasse (Proci, in Ale. 11, 12 sqq). Olymp, in Ale. 11, 5; 5 (, ngonvXaia ). 194 Proci, in Ale. 5, 14. Vgl. darüber als ethisches Phänomen bei Proklos: L. J. Rosdn , The Philosophy of Proclus , New York 1949, 204 sqq. Uber Selbsterkenntnis als Motiv des Philosophierens im Zusammenhang mit dem Problem des Guten und der Freiheit vgl. 77. Kuhn , Nosce te ipsum , in: Philosophia viva, Festschrift f. A. Dempf, München 1960, 256-245. 196 In Ale. 4, 19-5,5: (piXooocpiaç âîi áorjç . . . zavzrjv ãv àgxvv xvgt(úzázr)v vo[àCÇol1ulev . . . %r¡v tffiMûv avzãv xaúagàv xai äxtßö rļXov Biôï]Oiv èv õgotç èm- ozï)[a,ovlxoÎç îieoiysyga/iAfiévrjv xai % otç zfjç alzíaç Xoycofjioiç ßeßaCog xazaôeiïeîoav. uai jiôïïev yàg âXXoïïev ãgxeoúat ngooirjxei zrjç èavzcbv xaïïàgoewç xal zeXetcjoscùç fj oftev xai ó èv AeXtpoiç îiagexeXsvoazo ïïeôç; 196 In Aie. 5, 6-8: % ò yvã&i oeavzòv . . . èôrjXov zòv zgójzov ol/uac zfjç èni zò ïïeiov àvayoyfjg xai zrjç eiç xàïïagoiv ôôov zrjç àvvot1À(úzázr)ç. 197 Ibid. 11, 10 sq. 198 ̂ zfjç êavzœv ovoíaç ôiáyvcúOiç, ibid. 1, 4 sq.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 77

sich selbst ist nicht als ein solipsistisches Sich- Verschließen dem Anderen gegenüber zu fassen, vielmehr ist der Andere im Dialog 199 gerade Anlaß der Rückkehr in sich selbst, wie man sich auch nicht selbst ohne den Spiegel im Auge des Anderen zu sehen vermag.

Nur der sich selbst Erkennende wird im Grunde seines Wesens „mit Gott verbunden, der die ganze Wahrheit offenbar macht und zum reinen Leben führt." 200 Hieraus wird deutlich, warum Rückkehr in sich selbst und Erkenntnis seiner selbst als Voraussetzung und Anfang des Philo- sophierens gedacht werden müssen. Im Akt des Philosophierens nämlich, der sich, als seiner selbst bewußtwerdendes Denken vollzieht, „weckt" 201 das Denken das Eine in sich, die „Blüte unseres Seins" 202, mit der wir das Eine selbst als den vorreflexiven Grund des Einen in uns denkend zu berühren vermögen.

So wird der Rückgang des Denkens in sich selbst zur Ursache des Auf- stiegs zu dem aller Vielheit und Unterschiedlichkeit enthobenen Einen, dem Ursprung des Guten 203. Die Erkenntnis des eigenen Wesens also ist übergriffen von der Erkenntnis des voraussetzungslosen Grundes jedwedes Seienden. Der Anfang des Weges bleibt daher nicht in sich verschlossen, sondern wird in seiner Vollendung vom Ziel her allererst sinnvoll. So ist der verläßliche {ßeßatoTäxr}204) Anfang philosophisch -methodischen Den- kens nicht als ein einmalig sich ereignender Anfang zu fassen, sondern als ein in der Zeit zeitlos durchtragender Grund, als einendes, immer es selbst bleibendes Prinzip im Denken, durch das das Denken in der Zeit zu einem von jeglicher Zeit freien Leben des Geistes geführt wird205. Hierin vollendet sich auch die philosophische Ergründung des Wesens des Men- schen, was im Sinne des Proklos Ziel des Dialogs Alkibiades ist206.

Der Text dieses bedeutsamen Dokumentes neuplatonischer Philosophie war uns bisher nur in unzureichenden Ausgaben zugänglich207. Weste-

199 Olymp, in Ale. 213, 10; 217 (Westerink). 200 Proci, in Ale. 5, 9 sq: ... ovvàîiîEoêai . . . tņ xfjç ÕÃ7]Ç àl^eíaç ¿xq>avnxq> xai yepióvi xfjç xaêagnxriç Ço)f}ç. 201 Ibid. 247, 8. 202 Ibid. 1. 11: âvïïoç xfjç oůoíag 'fļļ icòv .

2°3 249, 11 sqq: . . . oxójzel xah %r)v èçoQ7i1névr}v zcov o Ac ov svcoolv. xàvxavúa yevó/Lisvoç jiãv xò rcXffòoç toy xaxaXwicov xai jiqòç avxr¡v ävaßeßr)x0g % i]v t ov àycvftov 7ir¡yr¡v. 204 1, 4. 205 249, 5 sqq. 206 6, 5 : ïïeoïQÎa xf)ç ovoíaç fißcov. 207 Initia Philosophiae ac Theologiae I ed. F. Creuzer Frankfurt 1820 (Bois- sonade und Schelling gewidmet). V. Cousin Prodi opera inedita Paris 18642, 268- 602.

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7 8 Werner Beierwaltes

rink hat nun einen auf umfassendem Handschriftenstudium beruhenden kritischen Text vorgelegt, der auch in den sparsamen Konjekturen eine glückliche Hand zeigt. Dieser und den noch zu besprechenden Ausgaben ist als besonderer Vorzug eigen, daß der kritische Apparat nur die wesent- lichen Varianten bringt und daß mit den sorgfältig gearbeiteten Indices, deren einzelne Lemmata zuweilen schon einen Problemhorizont entwer- fen, eine nicht zu unterschätzende Hilfe für die Erforschung der Begriffs -

geschichte geboten ist. 2. Der Kommentar des Proklos bricht mitten in der Auslegung von

p. 116 A/B ab, umfaßt also noch nicht die Hälfte des „Alkibiades". Olympiodors Kommentar dagegen reicht bis zum Ende des Dialoges. Wenngleich die Interpretation Olympiodors nicht sehr tiefgründig ist und eher einer freien Assoziation der aus der Tradition überkommenen Ge- danken zur Problematik des Alkibiades gleicht, so wird gerade durch die Zurückhaltung Olympiodors im eigenen Denken der Sachgehalt der uns sonst nicht überlieferten Auslegung des Proklos und des Damaskios208 wenigstens im Umriß deutlich. Manche Stellen Olympiodors zeigen sogar, daß ihm eine noch umfänglichere Kommentarhyle zu Gebote stand als Proklos selbst, so daß durch ihn die Tradition über Syrian, Iamblich209 bis zu Porphyrios zurückverfolgt werden könnte210.

Olympiodor hat die bei Proklos angelegte Methode der Interpreta- tion211 zum Schema verfestigt: eine Kollegstunde (ngāķg ovv war scharf in dewgia und Uhg geschieden212. Dies heißt: der umfassenden Exposition der Problematik, die vom Ziel des Ganzen her entworfen ist, folgt die Auslegung ad verbum, die die Aussage der ïïeoQÎa als wahr zu erweisen hat.

Im folgenden stelle ich den Grundriß der Gedanken dar, die, für das neuplatonische Verständnis des Alkibiades bedeutsam, teilweise bei Pro- klos nicht überliefert sind und den Unterschied in der Auslegung des Proklos und des Damaskios durch Vermittlung des Olympiodor sichtbar machen.

208 Der Alkibiades-Kommentar des Damaskios ist gänzlich verschollen, so daß wir in Olympiodor nur noch eine Sammlung von Fragmenten des Damaskios haben.

2°® Ygi Asmus ? Der Alkibiades-Kommentar des lamblichos als Hauptquelle für Kaiser Julian , S. B. d. Heidelbg. Ak. d. Wiss., phil. hist. Klasse 1917, 3. Abh.

210 Einen Vergleich der unterschiedlichen und ähnlichen Verwendung der Kom- mentarhyle bei Proklos und Olympiodor gibt R. Beutler , Olympiodoros , RE XVIII (1942) 208. 211 Vgl. die Unterscheidung der Interpretation der Sache (jioãy/^á) und der Worte (xaxci ?»éì;Lv) Proci, in Tim. II 255, 9. 279, 16. 299, 13. III 34, 12. in remp. II 199, 22. 212 Über dieses Schema der Interpretation nach Olympiodor vgl. Beutler 1. c. 225.

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Philosophische Marginalien zu Proklo s -Text en 79

Wie für Proklos so ist auch für Damaskios und Olympiodor Ziel des Dialoges die Selbsterkenntnis des Menschen. Philosophieren ereignet sich als ein Erweckungsakt aus dem Unwissen ( àyvoia ) zum Wissen {yvCooig) über sich selbst218. In diesem Akt wird der Mensch sich seines Wesens (èyá, zò è/iióv, zci zov ê/uov214) bewußt, um in diesem Wissen sich des der Zeit transzendenten Grundes dieses Wesens gewiß zu werden. Daher hängt das Problem der Selbsterkenntnis mit dem der Unsterblichkeit der Seele eng zusammen. Gerade im Akt des Philosophierens, in dem der Mensch sich selbst reflex wird, erfährt das Denken das unwandelbare Sein der Seele215. In der Erkenntnis der Seele aber gelangt es zur Erkennt- nis alles Seienden {jzqòç zi]v yvcoocv mlvzcov zœv övzcov), denn die Seele ist der Ort der ¿óyoi alles Seienden216. „Wer in der Philosophie das Sein (Wesen) des Menschen erkennt, der findet, daß es Seele ist; wer aber die Seele kennt, kennt die Àóyoc in ihr; wer aber die Àóyot in ihr kennt, kennt alles Seiende, weil er die Seele als vielgestaltiges Bild alles Seienden findet und durch Eine Sache kennt er alles Seiende und hat keine Schwierigkeit in der Erkenntnis des übrigen." 217 Selbsterkenntnis ist daher nicht Rückkehr in die Innerlichkeit der Subjektivität, die sich als grundloses Absolutum versteht, sondern Gewißwerden der Objektivität des menschlichen Den- kens und Seins, das in dem durch kein Denken auflösbaren Einen selbst gründet.

Da in der Selbsterkenntnis deutlich wird, daß der Mensch wesentlich Àóyoç 218 ist, vermag das Denken auch zu unterscheiden, was für die Seele gut und was schlecht ist219. So entspringt aus dem Wissen um das Wesen der Seele die Sorge um sie, daß sie möglichst gut sei 220. In der Sorge um sich selbst (sm^éleia éavzœv221) vollendet sich die Selbsterkenntnis, so daß sich „Ethik" als in der höchsten Wissenschaft, im Wissen des Grundes von allem Seienden, grundgelegt erweist.

Damit jedoch „Sorge um sich selbst" und „Selbsterkenntnis" nicht als solipsistische Selbstbespiegelung mißverstanden werden, bestimmt Da-

213 Olymp. 9, 9 sqq. 214 Ibid. 3, 12. 2*5 10, 2 sqq. 216 10, 7 sqq. 217 198, 20-199, 1: ční ôè q)ikoooq)íaç ó yvovç ziļv ovoiav zov ¿ivúqújiov, ovïoç evoLokel òzi ipvzrļ èoziv à ôè elôcoç zî)v ipv/jļv xai zovç èv ainfj kôyovç oìòev: 6 ôè eLôcûç zovç èv ciĎzf/ Àóyovç Jicivza tcï övza olôev , ôiózi evqíoxel avzyv ndļLtfiogqpov ¿ iyafyia züv övzov n;ávzon>, xah òi fvòç Tigáy^azoç olôe zà övza jiávza xai oi) 1.io%$eÍ tieql zi)v yvcooiv zòív uâácov.

21« 10,14. 218 10,11. 220 198, 4-6: . . . ôeÍ vqovzíÇeiv zf'ç ovoíaç zfjç ̂vxriç, otkúç; ßE/*ziozr)v ai)zi]v

JlOV))Où)1lEV . . . OZI 0EĪ ZÒV èjlL1lEÂOV1LlEVÓV ZCVOÇ 7lok?J~) XQOZEQOV ZY1V OVOÍdV CIVZOV Eiôêvai.

221 198, 16 sq.

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gO Werner Beierwaltes

maskios nach dem Bericht Olympiodors die Selbsterkenntnis als eine auf Gemeinschaft bezogene (nohzixcog yvõvai èavzóv). Olympiodor stellt diese Weise der Selbsterkenntnis der ihm offenbar als zu spirituell erscheinen- den Interpretation des Proklos gegenüber 222.

Was aber heißt nohzix còç? Wie verhält sich das Gemeinschaftliche zu den übrigen Momenten des Aktes der Selbsterkenntnis?

IJohztx cog yvCùvai êavzóv heißt zunächst erkennen, daß der Mensch den- kende Seele ist, die den Leib als Werkzeug gebraucht223, daß also der Mensch bereits in sich gemeinschaftlich existiere (Tcohztxóç224). Diese Er- kenntnis ist Voraussetzung dafür, daß die „politische" Grundverfaßtheit des Menschen nach außen wirksam werde. So kann einerseits gesagt wer- den, daß der sich selbst Erkennende notwendig auf Gemeinschaft bezogen ist, andererseits aber, daß der in Gemeinschaft Seiende oder die Gemein- schaft Führende allererst sich selbst erkennen müsse. Denn wer sich selbst nicht kennt, kennt auch das Seine nicht ; wer das Seine nicht kennt, kennt auch nicht das der Anderen, die mit ihm Gemeinschaft haben: ó zotovzog oi) jtofazcxóç225 . Ein anderer Syllogismus kehrt diesen Gedanken um:

„Der Politiķos erkennt sich selbst; der Politiķos macht nämlich die mit ihm in Gemeinschaft Seienden (Bürger) gut; . . . wer jemand gut macht, ist (selbst) gut . . . Der Gute ist gottgeliebt (Gut und Gott nämlich ist dasselbe) ; der Gottgeliebte aber kennt das Göttliche in ihm; ein solcher kennt sich selbst, weil er das Höchste der Seele und ihre Blüte kennt; der Politiķos also kennt sich selbst." 226

Durch ihre Beziehung zur Gemeinschaft unterscheidet sich diese Weise der Selbsterkenntnis von der kathartischen Selbsterkenntnis227, die sich von allem Leiblichen, in Raum und Zeit Verflochtenen zu befreien strebt, von der theoretischen, die nur denkend mit dem Seienden umgeht (ófiikeív228), von der theologischen, in der der sich selbst Erkennende sich „gemäß seiner Idee" 229 erkennt, und von der enthusiastischen, die auf dem Einen als dem „Göttlichen in uns" gründet und uns mit ihm eint280.

Das gemeinschaftliche Element in der Selbsterkenntnis, durch das sich die Interpretation des Damaskios von der des Proklos nach der Darstellung

222 4, 15 sqq. 223 4, 18 sq :%wziļv Xoyiwr)v ógyávq) xexgWftévrìv od)ļiaxi. 224 177, 15. 225 225, 15. 226 225, 25-226, 2: ó tioXizíxòç yiváoxei êavzóv ó yàg tioXlzixòç àyaftovç Jiotel

z ovç JioMzaç' ... ó àyaïïovç Tiotõv àyaftóç' ... ó àyaïïôç fteoq (zcvbzòv yàg àyaúòç xai ïïeôç)' ô $eo(piXi]ç %ò èv ai)%(p ïïeiov olòev ô tolovtoç èavxòv olôev , ôcózc zò áxgózazov olôev zrjç tpvzrjç xal zò àji áw&io[ia' ò ãga n oáizlxòç olòev èavzôv. Uber die vier Ursachen politischen Handelns vgl. 178, 1-180, 10.

227 5, 1 : xaïïagztxôç. 228 8, 10. 229 172, 10: xazà zr¡v iòéav zy)v êavzov. 230 172, 11 sq.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten gl

des Olympiodor besonders unterscheidet, zeigt sich gerade in der Aus- legung des Augengleichnisses. Zur Selbsterkenntnis gelangt der Mensch durch den Anderen. Sieh dich selbst, heißt: blicke in das Auge des Ande- ren231. Erkenne dich selbst aber heißt: „Blicke in mich, das ist in die Sokratische Seele, und nicht in einen beliebigen Teil von ihr, sondern in den höchsten und siehe in mir Geist und Gott." 232 Die Blüte der Seele des Anderen ist für den sich selbst Erkennenden der Spiegel seiner selbst283. Der Anfang der Selbsterkenntnis, die liebende Gemeinschaft stiftet, ist der Dialog. Die Liebe ist „Rückkehr" (ájioxaxáoxaoiç, émazgoq)^) zu dem Geliebten. Eine Weise dieser Rückkehr aber ist das Wort, denn es ist „Werkzeug der Gemeinsamkeit" (ögyavov yàg xoivovCaç ó Aóyoç234). Im Gespräch „zeigen sich die Seelen" 235, und streben danach, mit dem Anderen in Gemeinsamkeit zu gelangen: der Eine erkennt sein Selbst im Selbst des Anderen236.

Was aber ist das Selbst selbst (atoò zò atoó)? Damit wird die Proble- matik noch einmal auf ihren Anfang zurückgenommen, in dem gefragt wird: Was gibt sich in der Selbsterkenntnis als das Wesen des Menschen zu erkennen? Die Antwort des Proklos ist: atoó meint die Dreiteilung der Seele, atoo xò atoó die denkende Seele, atoo xò atoó ëxaozov aber das Indi- viduum (axo/nov 237). Damaskios hingegen faßt das „Selbst" gemäß seinem Ansatz als die „gemeinschaftliche Seele", das „Selbst selbst" aber meine die sich vom Leib befreiende, „theoretische" Seele238. Allerdings ist nur das Wesen der gemeinschaftlichen Seele Gegenstand des Dialoges, nicht aber das sich von aller Zufälligkeit und Zeitlichkeit befreiende Denken. Beiden Interpretationen aber ist offenbar der Gedanke gemeinsam, daß das Denken in der Selbsterkenntnis das Selbst dieses Selbst, seinen gött- lichen Grund erkenne: Geist und Gott: vovv xaí fìeóv280. Gerade dieser Gedanke, daß der Mensch in der Erkenntnis seiner selbst den nicht mehr zu hintergreifenden Grund seiner selbst entdeckt, ist zu einem Wesensele- ment der Mystik geworden, in der der Rückgang des Geistes in sich selbst immer als Anfang des dialektischen Aufstiegs, des Verlassens der eigenen Innerlichkeit und der Einung mit dem Ursprung begriffen wird240.

281 7, 12 sqq. 232 8, 3-5: änößXsipov elç èfxé, xovxéoxt xi]v 2(ùxgaxixi)v ipvxýv, xai xator¡g ¡mi] €Íç zò xv%òv (JiéooÇy àXk' siç xò àxçózazov, xai òipei èv ètaoi vovv xai fîeôv. 233 21 7, 11 sqq. Uber die unterschiedliche Interpretation der Funktion des Spie- gels durch Proklos und Damaskios vgl. 217, 23 sqq. 234 213, 6. 23* 213, 10 sq. 288 217, 14 sq: . . . xai yváoj) ài1 atofjg (seil, yrvzfiç zf¡g èfirjç) xai zrjv or¡v . 237 204, 1 sqq. 238 204, 12 sqq. 239 217, 16; 8, 5; 229, 27: xò ïïstov xai ÀajLiiioóv. 240 Zu diesem Problem, insbesondere zur Spiegelsymbolik, vergleiche H. Leise-

€ Philosophische Rundschau 10 Heft 1/2

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32 Werner Beierwaltes

Alle Handschriften, die den Text des Alkibiades-Kommentars von Olympiodor überliefern, gehen auf den Codex Marcianus Graecus 196 (um 900 p. Chr. n.) zurück, der auch Olympiodors Vorlesungen zum Górgias und Phaidon enthält. Letztere sind uns bereits in kritischen Ausgaben zugänglich 241, während man für den Alki- biades-Kommentar immer noch auf die Ausgabe von Creuzer242 angewiesen war, die in ihrer Textgestalt im wesentlichen nur auf den vom Marcianus 196 unabhän- gigen Vaticanus Graecus 1106 gründete. Westerink untersucht in seiner Praefatio kurz die Frage nach den antiken Editoren des ursprünglichen Textes und versucht die Fehlerquellen in den Nachschriften aufzuzeigen. Ferner gibt er wertvolle Hin- weise auf die sprachlichen Eigentümlichkeiten des Textes. In einem eigenen Ap- parat über dem textkritischen Apparat sind die Randnotizen aus dem Codex Mar- cianus abgedruckt, die zuweilen die Struktur des in Rede stehenden Problems recht gut erläutern.

Mit dieser Ausgabe sind der Erforschung sowohl der Philosophie des

späten Neuplatonismus als auch der Tradition der Alkibiades -Auslegung neue und fruchtbare Impulse gegeben.

3. Der genannte Codex Marcianus Graecus 196 enthält ferner einen Kommentar zu Piatons Philebos, der bisher dem Olympiodor zugeschrie- ben wurde243. Westerink hat nun den überzeugenden Nachweis erbracht, daß Damaskios der Autor des Kommentars ist. Da es sich um eine Vor- lesungsnachschrift handelt, zeigt es sich, daß unter ô tifiécegoç xa&riyriiiáv Damaskios selbst zu verstehen ist, èÇrjyrivfiç aber den Verfasser eines be- reits vorliegenden Kommentars, nämlich Proklos meint, den Damaskios auslegt. Diese indirekte Methode der Piatoninterpretation des Damas- kios, die nicht vom Platon-Text selbst ausgeht, wird auch in dem Bericht des Olympiodor im Phaidon- und Alkibiades -Kommentar deutlich (We- sterink, Damascius XVII, XIX). Für die Autorschaft des Damaskios spricht ferner ein Vergleich dieses Philebos-Kommentars mit der in den 2. Phaidon-Kommentar eingefügten, auf Syrianos und Proklos zurück- gehenden Abhandlung „Über die Gegensätze" 244, die sich durch ihre strikte Gedankenführung von ihrem Kontext wesentlich abhebt245. In der Überschrift nennt sie ó rißE-veoog naůriyřitx áv, der mit dem ̂¡Líêxegoç xaůr1yr)fi(ov im Philebos-Kommentar identisch sein dürfte (XIX). Westerink zeigt so-

gangj Die Erkenntnis Gottes im Spiegel der Seele und der Natur , Zeitschr. f. phil. Forsch. 4 (1949) 162-183. Dazu meine Ergänzungen in: Lux intelligibilis , Unter- suchungen zur Lichtmetaphysik der Griechen , München 1957, 91.

241 In Phaedonem, ed. Norvin, Leipzig 1913. In Gorgiam, ed. Norvin, Leipzig 1936.

242 In Phaedonem, ed. Norvin, Leipzig 1913. In Gorgiam, ed. Norvin, Leipzig. 243 Erstausgabe: Olympiodori scholia in Piatonis Philebum, ed. Stallbaum , in:

Piatonis Philebus, Leipzig 1820, 235-288. 244 In Phaedonem, p. 132 sqq (Norvin). 245 Vgl. dazu il. Beutler , Olympiodor , in: RE XVIII (1942) 212, 29 sqq, der

Damaskios als Autor als wahrscheinlich erweist.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten g 3

wohl in der Praefatio als auch in den reichen Anmerkungen sprachliche und sachliche Eigentümlichkeiten, die auf Damaskios weisen. P. Wilpcrt hat als nicht zu unterschätzendes Argument für die Autorschaft des Damaskios den Qualitätsunterschied der Kommentare des Olympiodor zum Philebos-Kommentar herausgestellt246, der in Kritik und Schärfe des Denkens den Dubitationes et Solutiones des Damaskios nahe kommt.

Für die Proklos -Forschung ist dieser Text des Damaskios deshalb sehr bedeutsam, da wir durch ihn die Grundzüge des Philebos-Kommentars des Proklos, der verloren ist, zu rekonstruieren vermögen. Reichere Spuren der Auslegung des Philebos bei Proklos selbst finden sich in dem Auszug aus seinem Buch jiegi tcov tqlcov ¡lovâôcùv (zu Phil. 64a- 65a), über Gutheit, Schönheit und Maß 247. In den Anmerkungen verweist Westerink durch- gängig auf den proklischen Ursprung des Kommentars. Im Text selbst zeigt sich auch, wie im Alkibiades -Kommentar, die Differenz des Damas- kios zu Proklos und die immanente Auseinandersetzung beider248.

Einer eigenen Abhandlung bleibt es vorbehalten, die Grundstruktur der neuplatonischen Auslegung des Philebos darzustellen. Sie wird das Wesen des Guten unter der Rücksicht zu bestimmen haben, daß höchste Freude (^ócmý) das Denken ist 249, das das àiafìóv zu berühren strebt. Un- ter diesem Horizont ist das Problem der Dialektik250 und deren Momente zu entfalten, ferner das Eine und Viele, die Triaden jiêgaç - ãjtBtgov - fAsixTÓv251, ák1¡fteia - xáÀÀoç - ovļiļieigia202 als Strukturelemente des Sy- stems von Seiendem zu zeigen.

Vielleicht gibt die Ausgabe Westerinks auch einen Anstoß für eine gründlichere Beschäftigung mit der Philosophie des Damaskios, die die negative Kritik Zellers 253 in wesentlichen Aspekten zu überwinden ver- möchte 254. Des Damaskios Hauptwerk „Über die ersten Prinzipien" ist der letzte spekulative Versuch griechischen Philosophierens, auf dem Grunde der gesamten philosophischen und religiösen Tradition die Dialektik von Einheit und Vielheit des Seienden und das Eine als Anfang und Mitte alles Seienden analogisch und symbolisch zu begreifen. Damaskios ist noch mehr als Proklos eine Gestalt des Übergangs, in der sich strenge meta-

246 Arch. f. Gesch. d. Philos. 43 (1961) 107. 247 In remp. I 295, 18-28; Theol. Plat. 142, 35-45; 150, 50-151, 35. Dam. 236, 15-19. 248 z.B. 103, 104, 114, 205, 211, 239. Vgl. dazu auch Simpl. phys. 795,15. 249 257. 136, 6-12. 155, 7-8. «0 52 sqq. 225, 21. 232, 7. 251 97 sqq; 109; 127; 128; 134. 233 sqq. 253 E. Zeller , Die Philosophie der Griechen , Leipzig 19235, III 2, 901 sqq. 254 Eine Vergleichung der Dubitationes et Solutiones mit der Elementatio theo-

logica und der Theologia Piatonis des Proklos könnte in manchen Punkten die Un- abhängigkeit des Damaskios erweisen.

6*

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physische Spekulation und leidenschaftliche Suche nach der Wahrheit 255

mit wundersüchtigem Mystizismus und Okkultismus einen256.

V

Die Hymnen des Proklos sind das personale Element in der Religio- sität seiner Philosophie257. In der Weise des Gebetes vollzieht sich in ihnen die Rückkehr des Philosophierenden in den Ursprung des Philosophierens, denn das Gebet wird als Ähnlichwerden, Verbindung und Einung mit dem Göttlichen, als allmähliche Einübung in das göttliche Licht gefaßt258. So kommt in dem das Wesen und die Gaben des jeweiligen Gottes feiern- den Wort die Sehnsucht nach Reinigung, Befreiung von Ungewißheit, Dunkelheit und Leid der Welt, nach Aufstieg, Erleuchtung und Einung zur Sprache259. Proklos betet zu Athene, die er die das „Tor zur Weisheit öffnende" heißt260:

„Höre mich, der du heiliges Licht von deinem Angesicht strahlst, Gib mir, unruhig auf der Erde schweifend, beglückende Ruhe, Gib der Seele heiliges Licht von deinen hochheiligen Worten Und Weisheit und Liebe; Kraft hauche der Liebe ein Von solcher Größe und Art, daß sie uns von irdischen Gestaden Ziehe zum Olymp, der Wohnung deines Vaters."2®1

Die Liebe ist das bewegende Element im Aufstieg, der „zu viel Schönheit" (¿ç TtoXv JíáAAoç262) führt und mit dem Ursprung eint. Die Sphäre der Einigung aber

255 Man könnte von ihm selbst, wie er von seinem Lehrer Isidor, sagen: . . . Tïôïïq) re à[ir)xávq) zfjç ītegi tò ïïeiov ßanzeiag olov ājioļiavrcvoļiēvņ ècpxsi vņv % rjç àXr)ïïeiaç eÜQeoiv. 258 Dies zeigt sich besonders in seiner vita des Isidoros (Photios, Bibliothek, ed. Bekker, Berlin 1824 II 355 a 21 sqq, rekonstruiert von R. Asmus, Das Leben des Philosophen Isidoros von Damaskios aus Damaskos, Leipzig 1911). Eine gute Studie zur Philosophie des Damaskios findet sich in E. Vacherot , Histoire critique de VEcole (V Alexandrie, Paris 1846-51, II (1846) 384 sqq. Ch. E. Ruelle , Le philosophe Damas- cius , Paris 1861, stellt das Leben des Damaskios dar, untersucht die handschrift- liche Grundlage insbesondere der Dubitationes et Solutiones (ed. Ruelle, Paris 1889) und versucht die Quellen der verlorenen Werke aufzufinden. Der im Titel viel- versprechende Aufsatz von R. Strömberg , Damascius , his personality and signifi- cance , in: Eranos 44 (1946) 175-192 bringt im wesentlichen Bemerkungen zur Mythologie (Orphik, Magie, Okkultismus) des Damaskios.

257 Zu diesem Problem im allgemeinen vgl. A. J. Festugière O. P., Personal reli- gion among the Greeks , Berkeley- Los Angeles 1954.

258 In Tim. I 207, 21 sqq. Ibid. 213, 5 sq: xcità ftiXQÒv GweútÇovoa (seil. tf eůzv) T*ìv WVXVV MQÒç tò iïelov (pãç.

25» Vergleiche zu den genannten Begriffen etwa: hymn. I 35 (Reinigung). I 40; III 1; IV 6; IV 13: VI 9; VII 7; 33 (Licht, Erleuchtung). II 5; III 1; 14; 15 ; IV 2 sq; V 14 sq; VI 7 (Aufstieg). VII 43 ; 46 Leid.

280 vu 7. 261 vu 3l_36 . 262 V 14.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten g 5

ist für die Seele der Ort der Ruhe (ÔQfjioç 268 (¿vozu coç ÕQfJLOÇ 2#4), die Frucht eines „Lebens nach dem Geiste" (?} xoto vovv 26ß) ist. Die Musen bittet Proklos um ihr „hinaufführendes Licht" (àvaycoycov qxòç 26e) :

aiel ô' êç ôfiúôoto JioXvjzXáyx voto ysvéftXriç eXxeť é¡JLÍ)v ipv%ï)v Jiavakiiļļiova jiqòç (páoç áyvóv 267.

Der Aufstieg ist als immer größeres Ähnlichwerden mit dem Ursprung eine Flucht von hier nach dort (èvftévôe èxeloe q oeéyeiv 268).

So zeigt sich in den Hymnen im Grundriß das Grundthema proklischen Philosophierens, das in den systematischen Werken als negative, anago- gische Dialektik entwickelt wird. Daher ist in den Hymnen auch keine „Erweiterung der Lehre" zu erwarten 269, denn ebensowenig wie der My- thos wird die Dichtung als eine Erweiterung des Wissens und Denkens begriffen. Sie ist auch nicht Quelle des Denkens in der Weise, daß eine Auslegung der Dichtung allererst in die Tiefe des zu Denkenden führen könnte. Sie setzt vielmehr die Anstrengung des Begriffes voraus. In der Form des Hymnus ist sie sowohl Lob des göttlichen Ursprungs, der Grund - thema des Philosophierens ist, als auch personale Bitte an den Gott, daß er dem Philosophierenden die Rückkehr in das gewähre, dessen Struktur er denkend zu begreifen versucht.

Die Aussage der Hymnen vollzieht sich in der Dimension univer- saler270 Mythologie. Die mythologische Aussage aber verweist hier wie in den systematischen Werken des Proklos auf dasselbe Ziel wie die philo- sophische Spekulation. Dies heißt, daß Mythos' oder Mythologie kein integrierendes Moment der philosophischen Aussage ist, so daß Philo- sophie im Mythos begründet und nur von ihm her verstehbar wäre. Philosophie würde sich dann insgeheim in eine „Mythologie der Ver- nunft" 271 verwandeln. Der Mythos jedoch wird in der Philosophie des

283 VI 12. 2«4 In Parm. 1025, 54. 2«5 Ibid. 1. 35 . 266 III 1. 2«7 IH 14 sq. 288 Plat. Theait. 176a 8. hymn. V 15; VI 10; VII 9. 209 U . v. Wilamowitz-Moellendorffy Die Hymnen des Proklos und Synesios , S. B.

d. Preuß. Ak. d. Wiss. Berlin 1907, H 14, 272 sqq äußert dies als negative Kritik an den Hymnen. 270 Marinos (vita Prodi 19, 35, 21 sqq) berichtet von Proklos, daß er die Feste - nicht nur des griechischen Kultus - mit unablässigem Gebet und Hymnen gefeiert habe (. . . èvxv%i(ùv ôè áygójivcov xah vfjivípòíaç xal %(bv ô^iomv ibid. 1. 25 sq). Einem Philosophen stehe es an, so sagt Proklos, nicht nur Verehrer der Götter einer einzigen Stadt, sondern „Hierophant des ganzen Kosmos" zu sein (. . . xoivfj ôè xov oXov x0oßov legoņāvzīļv, ibid. 56, 4 sq). So kann gesagt werden: „His religion is a kind of pantheism which, in opposition to Christianity, transforms Graeco-Roman and barbaric polytheism into a sort of pluralistic monotheism." ( F . H. Heinemann , Artikel Proclus , in: Chambers's Encyclopaedia XI (1955) 254.) 271 Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus , ed. F. Rosenzweig ,

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86 Werner Beierwaltes

Proklos nicht um seiner selbst willen eingeführt oder dargestellt, auch nicht deshalb, weil er das dem Begreifen nicht Erreichbare zureichender zu sagen vermöchte, er ist vielmehr der Sache der Philosophie äußerlich : er ist lediglich ein Mittelbares, in dem etwas anderes spricht: Allegorie. Dies aber heißt: Mythos wird als ovfißokov oder àvakoyía zur Erläuterung des spekulativen Gedankens gebraucht 212 . Er zeigt nur die Spuren der Wahrheit273 und bewegt zu ihr hin274. Mythos versucht zwar den ver- borgenen Gedanken zu enthüllen275, verdeckt ihn aber zugleich, da er dem Gedanken, der in sich selbst zeigt, was er ist, nie angemessen ist, sondern immer nur analog zu ihm bleibt 276. Sofern der Mythos jedoch als Analo- gie, Symbol oder Allegorie einer philosophischen Aussage gebraucht wird, wird er systematisiert und dadurch in seinem eigentlichen Wesen zerstört. Mythos nämlich ist von Grund auf unsystematisch, variabel. Darin grün- det auch, daß er in vieler Weise applizierbar ist, wenngleich er dabei sein Wesen aufgibt. Andererseits aber heißt dies für die Philosophie des Proklos : der metaphysische Ansatz vermag durch die vielgestaltigen mythologischen Aussagen nicht destruiert zu werden, weil das in seinen Grund sich zu- rücknehmende Denken zur Vollendung seiner selbst des Mythos nicht be- darf. Es dürfte wohl eher die Annahme zutreffen, daß Mythos und My- thologie auch noch in der letzten Phase griechischen Denkens insbesondere als Gegenspiel zur christlichen Theologie in die Philosophie eingeführt wurden277, als die Behauptung, die vielfältigen Distinktionen in der Hierarchie des Seienden dienten dazu, „das System in seiner Lückenlosig- keit abzudichten" 278, wodurch es gelänge, alle Götter der Mythologie „einzubauen" 279. Wäre die Systematisierung der überkommenen Mytho-

Sitz. Ber. d. Heidelb. Ak. d. Wiss., phil. hist. Klasse 1917, p. 7 (Z. 19). Ibid.: „ . . . die Mythologie muß philosophisch werden, und das Volk vernünftig und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen." (Z. 23-25) 272 Vergleiche z. B. in remp. I 86, 18 sqq. Zur Geschichte und hermeneutisclien Funktion von Symbol, Allegorie und Mythos, vgl. H.-G. Gadamer , Wahrheit und Methode , Tübingen 1960, 68 sqq. 273 In remp. I 74, 22. Theol. Plat. V 3; 254, 5. 274 In remp. I 85, 26; 86, 2. 275 In remp. I 74, 16 sqq. 276 Sallustios, IJegl ůewv Kal xóafJLOV 4 (p. 6 Rochefort): tï]V ovoíav ò ļiv ftoç aiví TT et ai TOV ïïeov.

277 P. Labriolle , La réaction païenne, Étude sur la polémique antichrétienne du 1er au Vie siècle , Paris 1934, passim. H. Ch. Puech , Temps , histoire et mythe dans le Christianisme des premiers siècles , in: Proceedings of the 7th Congress for the History of Religions, Amsterdam 1951, 33-66. 27® Rģ Beutler , Proklos, RE XXIII 1 (1957) 232. 27» Ibid. 231.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten g 7

logie das eigentliche Ziel der proklischen Philosophie 280, dann könnte auch von ihr das Wort des Aristoteles gesagt werden: „Über die mythisch Philo- sophierenden ist es nicht wert ernsthaft nachzudenken." 281

Die uns erhaltenen Hymnen des Proklos finden sich in zahlreichen Sammelhand- srhriften zumeist mit den homerischen, orphischen und kallimacheischen Hymnen zusammen282. In der neuen Ausgabe von Vogt werden neben dem durch präzise Kollation der Handschriften hergestellten Text der Hymnen auch die Scholien ver- öffentlicht, die allerdings wenig zum Verständnis der Hymnen beitragen. Dieses wird indes sehr gefördert durch die zahlreichen Parallelstellen aus Proklos und an- deren Autoren, die Vogt mit Umsicht gesammelt hat, so daß der philosophische Horizont der Hymnen deutlich wird. Sie sind die Grundlage eines philosophischen Kommentars. Dabei wäre die übliche formale Interpretation aus der Hymnentradi- tion zu überwinden, die Sache der Philosophie müßte thematisch werden 283.

In die alte Streitfrage, ob der Hymnus rQ jiàvzœv ènéneiva, der ur- sprünglich Gregor von Nazianz zugeschrieben wurde, Proklos284 oder einen anderen Neuplatoniker285 als Autor hat, kann durch eine gründ-

280 Die Bedeutung von Mythos und Mythologie für die philosophische Ausle- gung von Dichtung (besonders der Homers) zeigt A. J. Friedl , Die Homer-Inter- pretation des Neuplatoniker s Proklos , Diss. Würzburg 1936. Proklos habe versucht, ,,die anthropomorphen Darstellungen der Götterwelt in der homerischen Dichtung mit dem transzendenten Gottesbegriff des Neuplatonismus in Einklang zu brin- gen." (87) Maß der Auslegung ist der philosophische Gedanke, nicht aber „erzeugt" die Mythologie den Gedanken. In einem anderen Zusammenhang werde ich ver- suchen, Beziehungen und gegenseitige Begrenzung von Mythologie und philosophi- scher Spekulation im Neuplatonismus eingehender zu erörtern und diese Weise der Mythologie von einer „Philosophie der Mythologie" abzugrenzen, in der der Mythos ein notwendiges Moment in der Selbstentfaltung des Absoluten ist (Schelling). Ver- gleiche zu diesem Problem: G. Dekker , Die Rückwendung zum Mythos , München 1950, und: M. Schröter , Mythopoese , Verhandlungen der Schelling-Tagung in Bad Ragaz, Studia Philosophica XIV, Basel 1954, 202-210. - Über den Zusammenhang von Philosophie und Religion im späten griechischen Denken vgl. A. J. Festugière O. P., LHdéal religieuse des Grecs et VÉvangile , Paris 1932, bes. p. 73 sqq. Die mythologisch-subjektivistische Destruktion von Metaphysik in der neueren Philo- sophie hat H. Deku in seiner Abhandlung Quod deus sit (Phil. Jb. d. Görresges. 68 [1960] 111-139) eindringlich dargestellt. 281 met. 1000 a 18 sq: tibqí ļihv tow fiv&Mœç Gocpitpļiivtov oi)X ãÇiov [lexà onovôfjç ÖXOJZELV.

282 Vergleiche die Beschreibung dieser Sammelhandschriften bei R. Pfeiffer , Cal- limachus , vol. II, Oxford 1953, LV sqq. 283 Vogt weist schon für die Textgestaltung der Hymnen darauf hin, daß diese nicht so sehr von Nonnos her zu sehen sei, als daß vielmehr „die philosophischen Werke für sie sachlich und textlich maßgebend werden sollten." (in: Z u den Hym- nen des Neuplatoniker s Proklos , Rhein, Mus. 100 (1957) 361 sq.) 284 Vgl. A. Jahn, Eclogae e Proclo de philosophia chaldaica, Halle 1891, 62-64; 76.

285 W . Theiler , Die chaldäischen Orakel und die Hymnen des Synesios , Sehr. d. Königsberger Gel. Ges., 18. Jg. H. 1, Halle 1942, 39.

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88 Werner Beierwaltes

liehe Interpretation dieses Textes einiges Licht gebracht werden. Bislang fehlt den Behauptungen, die für oder gegen Proklos sprechen286, eine zu- reichende, aus der Problemgeschichte von Philosophie oder Theologie überzeugende Begründung. Auch die Bedenken gegen Sprache und Kom- position dieses Hymnus sind lediglich geäußert, aber nicht erläutert wor- den287. Vogt berührt diese Frage (p. 34), ohne auf die Problematik selbst einzugehen. Es hätte den Wert der Arbeit nur noch erhöht, wenn Vogt auch zu diesem Hymnus sprachliche und sachliche Parallelen aus Proklos beigebracht, oder die Gegenargumente sachlicher, sprachlicher und kom- positorischer Natur entwickelt hätte. Der Text hätte wenigstens unter „Incerta" in die Edition aufgenommen werden sollen. - In eine umfas- sende Entfaltung dieser Problematik wären auch die wertvollen Hinweise Saffreys 288 auf Olympiodor einzubegreifen, der an einigen Stellen offen- bar auf diesen Hymnus anspielt.

VI

Kritische Ausgaben von zwei der bedeutendsten Werke des Proklos stehen noch zu erwarten.

H.-D. Saffrey bereitet zusammen mit L. G. Westerink eine Ausgabe der „Theologia secundum Platonem" vor. Dadurch wird die Ausgabe des Aemilius Portus (Hamburg 1618) ersetzt, die nur auf einer einzigen Handschrift beruht und in der Textgestalt, Interpunktion, Kapitelein - teilung und Übersetzung sehr unzulänglich ist. In einer Abhandlung 289 hat Saffrey bereits die handschriftliche Grundlage der Ausgabe erörtert. Er führt insgesamt 55 Handschriften an, die entweder den gesamten

288 Für die Autorschaft des Proklos: J. Dräseke , Zu Proklos ' Hymnos auf Gott, Zeitschr. f. wiss. Theol. 59 (1896) 293-303. L. J. Rosdn , The Philosophy of Proclus , New York 1949, 54 verweist auf einige dem Text des Hymnus sehr nahe kommende Formulierungen aus Proklos und behauptet die innere Ubereinstimmung mit dessen Philosophie. Gegen Jahn und Dräseke vergleiche z. B. C. Weymann, Byz. Zeitschr. 5 (1896) 613 sq.

Cardinal Bessarion, der für die Überlieferungsgeschichte der Proklos-Texte sehr bedeutsam und ein hervorragender Kenner des Neuplatonismus ist, hat den Hym- nus 'Í2 JiávTCúv èjiéxeiva in sein Exemplar der Theologia Piatonis geschrieben, Cod. Monac. Graec. 547, fol. Iv. (vgl. H.-D. Saffrey, Rev. des sciences philos, et théol. 42 [1958] 108 s. f.) 287 Es wird dabei vielmehr an einen „gesunden Verstand" in der Philologie appelliert (vgl. W. Kroll, Neue philol. Rundschau 1892, 101), auf den man sich aller- dings in der Wissenschaft der Philologie ebensowenig wie in der Philosophie als auf „die bestverteilte Sache der Welt" verlassen kann.

288 Rev. des sciences philos, et théol. 42 (1958) 108 sq. 289 H.-D. Saffrey O.P., Sur la tradition manuscrite de la Theologie platonicienne

de Proclus, in: Autor Aristote, Mélanges Mansion, Louvain 1955, 387-430.

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Philosophische Marginalien zu Proklos-Texten 39

griechischen Text oder umfängliche Fragmente und die lateinische Über- setzung des Petrus Baibus290 enthalten. Die Beschreibung der verschie- denen Handschriften zeigt nicht nur die Complexität der Überlieferung und die Schwierigkeiten, die in der Edition zu überwinden sind, sondern sie ist zugleich eine Einführung in einen wesentlichen Aspekt der Geistes - geschichte der Renaissance, da sie die Quellen insbesondere des Nicolaus von Cues, Bessarion, Traversari, Pico de la Mirandola und Marsilius Ficinus sichtbar macht291. Die Ausgabe wird ferner eine französische Übersetzung292 und einen Kommentar enthalten, der die problem- und begriffsgeschichtliche Struktur der Theologia Piatonis erhellen wird.

Es besteht die Hoffnung, daß uns auch der Parmenides -Kommentar in absehbarer Zeit in einer kritischen Ausgabe vorliegen wird. Dieser Aufgabe hat sich Ch. Labowsky 293 unterzogen, die sich durch die Mit- herausgabe und Übersetzung des Plato Latinus III als gute Kennerin des Textes und der Sache der proklischen Philosophie ausgewiesen hat. Über die Textgeschichte, insbesondere im Zusammenhang mit Cardinal

290 Diese Ubersetzung wurde auf Veranlassung des Nicolaus von Cues unter- nommen und am 22. März 1462 vollendet (vgl. Saffrey 1. c. 395, 18). Im Codex Cusanus 185 finden sich zahlreiche Marginalien dazu von der Hand des Cardinais, die Klibansky zusammen mit den Marginalien zum Parmenides-Kommentar (Cod. Cus. 186) herauszugeben beabsichtigt (vgl. oben Anm. 28). Eine revidierte Über- setzung mit einer Praefatio des Petrus Baibus, die über das Verhältnis des Cusanus zur Theologia Piatonis einigen Aufschluß gibt, findet sich in Cod. Bergamo r IV 19.

291 In einer eigenen Abhandlung hat Saffrey die Proklos-Rezeption bei Ficinus dargestellt, indem er Randnotizen des Ficinus zum Cod. Riccardianus 70 ver- öffentlichte und kommentierte (Notes Platoniciennes de Marsile Ficin dans un manuscrit de Proclus, in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance, Travaux et Documents XXI, Genf 1959), worin das System des Proklos und seine Terminologie erörtert werden.

292 E. Turolla hat den Text des Portus durch Kollation mit dem Cod. Marci anus 192 (vgl. dazu Saffrey 1. c. 397) in einigen Punkten verbessert und auf der Grund- lage dieses (immer noch unvollkommenen Textes) eine Ubersetzung ins Italienische vorgelegt ( Proclo , La Theologia Platonica a cura di Enrico Turolla^ Editori Laterza, Bari 1957). Es ist sehr zu bedauern, daß Turolla die gewaltige Arbeit der Über- setzung auf sich genommen hat, die bei dem derzeitigen Stand des Textes zu keinem klaren oder gar endgültigen Ziel führen konnte. Durch die Unsicherheit des Textes selbst mußte an vielen Stellen auch der Sinn der Uber setzung in der Schwebe blei- ben, wobei allerdings zuweilen durch Paraphrase eher der eigene Gedanke des Ubersetzers als die Sache des Textes zu Worte kam. Oft hätte die Ubersetzung des Petrus Baibus Aufschluß geben können. - Die Gedankenstruktur der Theologia Piatonis suchte Turolla durch Einteilung des Textes in Kapitel und durch Zwi- schenüberschriften zu verdeutlichen. Auch die Fundstellen der Zitate und Gedanken aus Piaton sind im Text angemerkt. 293 Vgl. Compte Rendu de la Trente-Troisième Session du Comité de l'Union Académique Internationale 9 Bruxelles 1959, 57 sq.

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90 Günter Gawlick

Bessarion, wird sie zunächst in einer in den , Mediaeval and Renais- sance Studies' erscheinenden Abhandlung berichten. Der Erforschung sowohl der Philosophie des Proklos als auch des mittelalterlichen Piatonis - mus wäre es sehr förderlich, wenn mit dem griechischen Text zusammen die lateinische Übersetzung des Moerbeke ediert würde 294, so daß durch sorgfältige Vergleichung vielleicht sogar eine Übersetzung des letzten Teiles ins Griechische möglich würde.

Werner Beierwaltes (Wîirzburg)

NEUE TEXTE UND DEUTUNGEN ZU NIKOLAUS VON KUES

II. Teil

Unter den hier zu besprechenden Arbeiten stellt die von /. Peters über Grenze und Überstieg in der Philosophie des Nikolaus von Kues den höch- sten Anspruch. Sie will nicht bloß Vergangenes distanziert referieren, sondern in echtem philosophischem Nach Vollzug das Denken des Cusanus vergegenwärtigen. Ineins damit will sie die bisher verborgen gebliebene Grundintention dieses Denkens ans Licht bringen. Das eine wie das an- dere impliziert eine grundsätzliche Kritik an der bisherigen Cusanus- Forschung und erfordert eine Auseinandersetzung unter methodischen Gesichtspunkten. P. setzt sich nicht im einzelnen mit den älteren Arbeiten auseinander, sondern nimmt von vornherein „größtmögliche Freiheit von jeglicher Bindung an frühere und andersgeartete Interpretationen" in An- spruch (9); er sieht sich hierzu von Cusanus selbst ermutigt, dessen Werke ihm überall die Zeichen einer „unbekümmerten . . . Spontaneität" zu tra- gen scheinen (8). Zugleich ist wohl auch die Auffassung im Spiel, daß die bisherige Forschung kein rechter Partner der Auseinandersetzung sei: Die Fragestellungen des 19. Jh. entstammten einer Denkweise, die von einer „durchgängigen ontischen Grundhaltung" bestimmt war (8, vgl. 78); die Antworten wurden in „polemischer Hitze und manchmal ein wenig vorschneller Urteilsbereitschaft" gegeben (8) und verfehlten das Eigentliche. Dies bedeutet nun nicht, daß der Vf. der Illusion einer histo- risch voraussetzungslosen Interpretation erlegen sei, die endlich den „wahren" Cusanus aufzeigen müßte. Eher ist das Gegenteil der Fall; sein Versuch, Lebendigkeit und Aktualität der cusanischen Philosophie auf-

294 Eine Textprobe (griechischer Text mit Moerbekes Ubersetzung) siehe in Plato Latinus III 26-29.

^ I. Teil PhR, 8. Jg. (1960), 171-202.

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