Top Banner
Neurokognitive Forschung zu Lernstörungen: Befunde und Konsequenzen für die Intervention Karin Landerl Universität Salzburg
27

Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Sep 16, 2019

Download

Documents

dariahiddleston
Welcome message from author
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Page 1: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Neurokognitive Forschung zu Lernstörungen:

Befunde und Konsequenzen für die Intervention

Karin LanderlUniversität Salzburg

Page 2: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Lesen/Rechtschreiben & Rechnenzentrale Kulturtechnikenwichtig für Schulerfolg und Chancen am Arbeitsmarktkönnen spezifisch gestört sein:“umschriebene Lern-/Entwicklungsstörung”: – Lesen/Rechtschreiben: Legasthenie/Dyslexie– Rechnen: Dyskalkulie

Page 3: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Drei Annahmen über neurologischbedingte Entwicklungsstörungen

•Die meisten kognitiven Komponenten sind intakt

• ein kognitives Defiziterklärt vieleProbleme

• Kompensationaber Schwierigkeiten bleiben

Page 4: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Annahme bei einerneuro-kognitiven Theorie

• Es gibt einen angeborenen Mechanismus für die kritische Fähigkeit, die man zum Lesen / Rechnenbraucht• Angeborene start-up Mechanismen ermöglichenFast-track Lernen (Mit normaler Stimulation von derUmwelt)

• Was passiert, wenn der start-up Mechanismusnicht funktioniert? Vielleicht durch genetischeProgrammfehler?

• Es folgt eine Entwicklungsstörung

Page 5: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Was ist der kritische‘Start-up’ Fehler by Legasthenie?

Phonologieermöglicht fast-track Lernen von Sprache

Page 6: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Der start-up Mechanismus derPhonologie ist gestört...

Kein fast-track Lernen von gesprochener Sprache

Kein fast-track Lernen von geschriebener Sprache

Kein fast-track Lernen von Fremdsprachen

Langsames kompensatorisches Lernen

Page 7: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Störung der Leseflüssigkeit und Rechtschreibstörung treten isoliert auf und sind mit unterschiedlichen kognitiven Defizitenassoziiert (Wimmer, Mayringer & Landerl, 2000; Mayringer & Wimmer, 2002)

N= 530 Kinderisolierte RS: 4 % isolierte LS: 5% LRS: 7 %

Page 8: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Warum ist langsames Lesen ein Problem?

Landerl (2000):österreichweite Erhebung des Leseverständnisses und der Lesegeschwindigkeit (N=2604 Kinder am Ende der 3. Schulstufe)

Leseflüssigkeit (Anzahl gelesener Sätze)Satzlesetest: Anzahl bearbeiteter Sätze

80706050403020100

HA

MLE

T 3-

4 (R

ohw

ert)

40

30

20

10

0

Lese

vers

tänd

nis

(Anz

ahl k

orre

kter

Ant

wor

ten) r=.64

Leseflüssigkeit: Anzahl bearbeiteter Sätze (SLS 1-4)

Page 9: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Wie stabil ist niedrige Leseflüssigkeit?

Klicpera & Gasteiger-Klicpera (1993)

Page 10: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Dyskalkulie:

Welches kognitive Defizit ?

Domäneübergreifende Verursachungshypothesen• Problemlöseverhalten• Arbeitsgedächtnis• Abruf aus dem semantischen Gedächtnis• allgemeine kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit• visuell-räumliche Verarbeitung

Dyslexie Dyskalkulie

?

Page 11: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Domäne-spezifische Erklärung:

Number sense (Dehaene, 1992)Number module (Butterworth, 1999)

PhonologischesDefizit

Defizit inZahlen-

repräsentation

Dyslexie Dyskalkulie

Page 12: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Basale Zahlverarbeitung bei Kindern mit Rechenschwäche und/oder LeseschwächeLanderl, Bevan, & Butterworth (2004), Cognition

Annahme: Dyskalkulie ist durch ein subtiles Defizit der basalen kognitiven Verarbeitung von Numerosität verursacht

Prädiktionen: • Nur bei Vorliegen einer Rechenschwäche sind entsprechende Auffälligkeiten der Zahlenverarbeitung festzustellen. • Komorbide Lese- (oder sonstige) Auffälligkeiten haben keinen wesentlichen Einfluss auf das Störungsbild

Page 13: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Basale Zahlverarbeitung bei Kindern mit Rechenschwäche und/oder LeseschwächeLanderl, Bevan, & Butterworth (2004), Cognition

Control (N=18)

Reading disabled

RD

(N=10)

Maths disabled

MD (N=10)

Double deficit

MD/RD (N=11)

Age in mths 108.7 (8.6) 110.1 (5.9) 103.7 (6.0) 103.9 (5.7)

IQ (percentile) 50th - 75th 75th 75th – 90th 75th

BAS reading (RA-CA in mths) -0.94 (6.9) -19.90 (4.8) -6.30 (6.4) -19.73 (6.6)

BAS numeracy (NA-CA in mths) 5.72 (8.1) 0.90 (5.5) -8.20 (10.4) -7.18 (8.3)

Digit span standard score 10.24 (2.3) 8.60 (1.5) 10.80 (4.0) 8.22 (1.6)

Mazes standard score 9.88 (2.5) 10.60 (2.5) 12.10 (3.5) 10.11 (2.7)

Page 14: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Arithmetic facts: RTs

2000

4000

6000

8000

10000

12000

14000

addition subtraction multiplication

RTs

in m

s Contr

RD

MD

MD/R

Arithmetic fact

23456789

101112

addition subtract

Num

ber c

orre

ct

s: accuracy

ion multiplication

Control

RD

MD

MD/RD

Page 15: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Welche Zahl ist größer?

3 9 3 9Size and number comparison

0

200

400

600

800

1000

1200

1400

1600

1800

size comparison number comparison

RTs

in m

s Control

RD

MD

MD/RD

Page 16: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Number sequences

4

6

8

10

12

14

16

18

20

22

1 - 20 45 - 65 2 - 20 20 - 1

Tim

e in

sec

onds Control

RD

MD

MD/RD

Zählgeschwindigkeit

Page 17: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Naming

600

700

800

900

1000

1100

1200

1300

1-digit 2-digit colour

RTs

in m

s Control

RD

MD

MD/RD

Page 18: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

dot counting

010002000300040005000600070008000

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

no. of dots

RTs

in m

s

double deficitdyscalculicdyslexiccontrol

Page 19: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Dot counting: subitizing range

1000

1100

1200

1300

1400

1500

1600

1700

1 2 3

no. of dots

RTs

in m

s double deficit

dyscalculic

dyslexic

control

Page 20: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Subitizing -empirische Evidenz für Start-up Fehler?

500

700

900

1100

1300

1500

1700

1900

1 2 3 4

no. of dots

RTs

in m

s

control dyscalculic dyslexic/dyscalculic

Landerl & Reitsma (in prep.)

Bruandet, Molko, Cohen, & Dehaene (2003)

Page 21: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

• Kinder mit umschriebener Rechenschwäche zeigen Schwierigkeiten im Bereich der basalen Zahlverarbeitung – ansonsten unauffällig

• Kinder mit umschriebener Leseschwäche unterscheiden sich in basalerZahlverarbeitung nicht von der Kontrollgruppe - abgesehen von beeinträchtigter Artikulation

• Kinder mit kombinierter Lese- und Rechenschwäche zeigen ein ähnliches Muster wie Kinder mit isolierter Rechenschwäche – keine spezifischen Auffälligkeiten, die sich aus Leseschwierigkeiten ableiten ließen

Evidenz fü Unabhängigkeit der beiden Entwicklungsstörungen:

PhonologischesDefizit

Defizit inZahlen-

repräsentation

Dyslexie Dyskalkulie

Page 22: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Neurologische Evidenz

Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen

Paulesu et al. (2001)

Molko et al. (2003)

Dyskalkulie: geringere Aktivierung im intraparietalenSulcus

Page 23: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Das Triple-Code Modell der Zahlenverarbeitung (Dehaene, 1992)

Page 24: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

OkzipitotemporalesSystem

TemporoparietalesSystem

Frontales System

Kognitives Modell der Leseverarbeitung(Patterson & Shewell, 1987)

Neurologische Lesezentren

Page 25: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Neurokognitive Befunde weisen auf Unabhängigkeit derLeseleistung, Rechtschreibleistung und Rechenleistung hinWichtig: Berücksichtigung von Komorbidität!z.B. Zahlennachsprechen als Test des verbalen KZG,Ziffernbenennen als Test der Benennungsflüssigkeit

Problem der komorbiden Aufmerksamkeitsproblemez-

Wer

te

2

1

0

-1

-2

-3

Störung

Kontrollkind

Page 26: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Neurokognitive Befunde weisen auf Unabhängigkeit derLeseleistung, Rechtschreibleistung und Rechenleistung hinWichtig: Berücksichtigung von Komorbidität!z.B. Zahlennachsprechen als Test des verbalen KZG,Ziffernbenennen als Test der Benennungsflüssigkeit

Problem der komorbiden Aufmerksamkeitsproblemez-

Wer

te

2

1

0

-1

-2

-3

Störung

Kontrollkindz-W

erte

2

1

0

-1

-2

-3

kombinierte Störung

isolierte Störung

Kontrollkind

Page 27: Befunde und Konsequenzen für die Intervention · Dyslexie Dyskalkulie. Neurologische Evidenz Dyslexie: geringere Aktivierung im linken Temporallappen Paulesu et al. (2001) Molko

Was folgt für die Praxis?Man muss die neurologischen und kognitiven

Ursachen der Probleme verstehen

Kompensation• durch spezifische Förderung

(Ansetzen am Problem!)

• durch Motivation usw.